Der schwarze Mustang - Karl May - E-Book

Der schwarze Mustang E-Book

Karl May

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Beschreibung

Der schwarze Mustang Karl May - Comanchen, unter der Führung des Häuptlings Tokvi-Kava - Schwarzer Mustang -, befinden sich auf Kriegspfad gegen ein Eisenbahnercamp. Old Shatterhand, gemeinsam mit Winnetou, sehen sich gezwungen hier einzugreifen.Dass ihnen auch noch ihre Schusswaffen, Silberbüchse, Henrystutzen und Bärentöter gestohlen wurden, macht das Ansinnen nicht einfacher.

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Karl May
Der schwarze Mustang

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Im Firwood-Camp

Ein schwerer Sturm peitschte den dichtströmenden Regen gegen die sich vor ihm beugenden Tannenwipfel des Hochwaldes; fingerstarke Wasserfäden flossen an den Riesenstämmen nieder und vereinigten sich an den Wurzeln zu erst kleinen, nach und nach aber immer größer werdenden Bächen, welche in zahllosen Wasserfällen von Fels zu Fels in die Tiefe stürzten, um unten in dem engen Thale von dem hochaufgeschwollenen Flusse aufgenommen zu werden. Es war Nacht geworden; von Minute zu Minute rollte ein zürnender Donner über die Tiefe hin, doch, so hell und grell der Blitz jedesmal dabei leuchtete, fiel der Regen so »korpulent« herab, wie der Westmann sich auszudrücken pflegt, daß man trotzdem kaum fünf Schritte weit zu sehen vermochte.

Der rasende Sturm traf oben den Hochwald und die Felsenklippen; seine Macht jedoch reichte nicht bis in die Tiefe, wo die Riesentannen im nächtlichen Dunkel unbeweglich standen, aber es war da auch nicht still, denn die Wasser des Flusses rauschten und brausten so erregt zwischen den Ufern dahin, daß nur ein ungemein scharfes Ohr es hören konnte, daß zwei einsame Reiter flußabwärts geritten kamen; zu sehen waren sie nicht.

Wäre es Tag und hell gewesen, so hätten sie gewiß den verwunderten Blick eines jeden Begegnenden auf sich gezogen, und zwar nicht etwa infolge ihrer Kleidung und Ausrüstung, sondern weil beide von einer wahrhaft angsterregenden Länge waren. Man hätte jahrzehntelang in allen Ländern der Erde suchen können, um zwei so gleichlange und gleichdürre Menschen zu finden.

Der eine war semmelblond und hatte einen bei seiner Höhe geradezu lächerlich kleinen Kopf. Mitten unter zwei gutmütigen Mäuseäuglein saß ein winziges, aufwärts gerichtetes Stumpfnäschen, welches viel besser in das Gesicht eines vierjährigen Kindes gepaßt hätte und in gar keinem Verhältnis zu dem ungeheuer breiten Munde stand, welcher sich fast von dem einen Ohre bis zu dem andern zog. Einen Bart hatte der Mann nicht, und dieser Mangel schien ein angeborener zu sein, denn über dieses frauenglatte Gesicht war gewiß noch nie ein Schermesser gegangen. Er trug ein ledernes Wams, welches ihm wie ein kurzer Mantel faltenreich von den schmalen Schultern hing, dazu enge Lederhosen, welche seine Storchbeine fest umschlossen, halbhohe Schaftstiefel und einen Strohhut, dessen Krempe traurig herabhing und den aufgefangenen Regen in ununterbrochenen Fäden rund um ihn niederströmen ließ. Auf seinem Rücken hing, die Mündung nach unten gerichtet, ein Doppelgewehr. Das Pferd, welches er ritt, war ein kräftiger, starkknochiger Klepper, der gewiß schon fünfzehn Sommer hinter sich hatte, aber alle Lust zu besitzen schien, noch weitere fünfzehn ebenso rüstig zu erleben.

Der andre Reiter hatte dunkles Haar, auf welchem eine uralte Pelzmütze saß, ein sehr schmales und sehr langes Gesicht, und ebenso sehr schmal und sehr lang waren auch die Nase, der Mund und der fadenartige Schnurrbart, dessen Spitzen fast hinter den Ohren zusammengebunden werden konnten. Seine weit über zwei Meter lange Gestalt war, umgekehrt zu seinem Gefährten, oben eng und unten weit bekleidet, denn während er eine sehr weite, faltenreiche Hose trug, deren Enden in rindsledernen Halbstiefeln steckten, umschloß seinen Oberkörper eine lange Filzjacke so eng, als ob sie ihm angegossen worden sei. Auch er hatte ein Doppelgewehr. Daß beide außerdem noch Messer und Revolver besaßen, war ganz selbstverständlich. Er saß auf einem zuverlässigen Mustang, dessen Wiegenfest sich wenigstens ebenso oft wiederholt hatte wie dasjenige des andern Pferdes.

Die beiden Reiter kümmerten sich weder um den Weg noch um den strömenden Regen. Den ersteren zu suchen und zu finden, das überließen sie ihren scharfsinnigen und erfahrenen Pferden, und aus dem letzteren machten sie sich aus dem Grunde nichts, weil er ihnen doch nicht tiefer als bis auf die Haut gehen konnte und dann unten ablaufen mußte.

Sie unterhielten sich trotz des unaufhörlichen Donnerns und Blitzens und trotz der gefährlichen Nähe des an seinen Ufern wühlenden und zerrenden Flusses so unbefangen miteinander, als ob sie im hellen Sonnenschein über eine offene Prairie ritten. Aber wer sie hätte sehen können, dem wäre wohl aufgefallen, daß sie einander trotz der Dunkelheit sehr aufmerksam beobachteten, denn sie kannten sich erst seit einer Stunde, und im wilden Westen ist ein anfängliches Mißtrauen stets an seinem Platze. Sie hatten sich kurz vor Einbruch der Nacht und dem Beginn des Gewitters oben am Flusse getroffen und da erfahren, daß sie beide heut noch nach dem Firwood-Camp wollten, und es war wohl selbstverständlich gewesen, daß sie nicht einzeln, sondern miteinander ritten.

Nach ihren Namen und Verhältnissen hatten sie sich nicht gefragt, und ihre Unterhaltung war bisher so allgemein gewesen, daß sie Persönliches nicht berührten. Jetzt ertönte ein mehrfacher, krachender Donnerschlag, und wiederholte Blitze zuckten blendend über die enge Tiefe hin. Da meinte der blonde Stumpfnäsige: »Bless my soul! Ist das ein Gewitter! Grad wie daheim bei Timpes Erben!«

Der andre hielt bei den beiden letzten Worten unwillkürlich sein Pferd an und öffnete bereits den Mund, um eine schnelle Frage auszusprechen, besann sich aber eines andern und schwieg, indem er sein Pferd weiter trieb. Er erinnerte sich daran, daß man westlich vom Mississippi nicht unvorsichtig sein dürfe.

Die Unterhaltung wurde fortgesetzt, natürlich ziemlich einsilbig, wie es die Örtlichkeit und Lage mit sich brachte. Es verging eine Viertelstunde und noch eine. Da machte der Fluß eine scharfe Biegung nach der Seite, auf welcher sich die beiden Reiter befanden; er hatte das hier erdige Ufer unterwaschen; das Pferd des Blonden konnte nicht schnell genug wenden, es geriet auf die haltlose Scholle und brach ein, glücklicherweise nicht tief; der Reiter riß es empor und herum, gab ihm die Sporen und war mit einem kühnen Satz wieder auf festem Boden.

»Good god!« rief er dann aus. »Ich bin schon naß genug vom Regen, wozu also noch ein solches Bad? Hier konnte ich ertrinken! Beinahe so wie damals bei Timpes Erben!«

Er nahm sichere Entfernung von dem Flusse und ritt dann weiter. Sein Gefährte folgte ihm eine Weile schweigend und fragte dann:

»Timpes Erben? Was ist das für ein Name, Sir?«

»Wißt Ihr das nicht?« lautete die Antwort.

»Nein.«

»Hm! Sonderbar! Alle meine Bekannten und Freunde wissen es!«

»Ihr vergeßt, daß wir uns vor wenig über einer Stunde zum erstenmal gesehen haben.«

»Richtig! Da könnt Ihr freilich noch nicht wissen, wer Timpes Erben sind. Ihr werdet es aber vielleicht erfahren.«

»Vielleicht?«

»Ja.«

»Wann?«

»Wenn wir länger beisammen bleiben.«

»Wenn ich es nun jetzt erfahren möchte, Sir?«

»Jetzt? Warum?«

»Weil ich Timpe heiße.«

»Was? Wie? Ihr heißt Timpe? Timpe ist Euer Name?«

»Ja.«

»Wirklich? Ist das wahr?«

»Warum sollte ich mir diesen Namen beilegen, wenn er nicht der meinige wäre?«

»Wonderful! Ich suche nach Timpe seit langen Jahren, überall, auf allen Bergen und in allen Thälern, im Osten und im Westen, bei Tag und bei Nacht, bei Sonnenschein und bei Regen, und nun, da ich es längst aufgegeben habe, ihn zu finden, da reitet er hier in diesem Wetter an meiner Seite und läßt mich beinahe in diesem schöne Flusse ersaufen, ohne mir zu sagen, wer er ist!«

»Ihr sucht nach mir?« fragte sein Begleiter verwundert.

»Ja, ja, und zum drittenmal ja!«

»Weshalb?«

»Na, wegen der Erbschaft! Weshalb denn sonst?«

»Erbschaft? Hm! Wer seid Ihr denn eigentlich, Sir?«

»Ich bin auch ein Timpe.«

»Auch einer? Woher denn?«

»Von drüben herüber.«

»Aus Deutschland?«

»Natürlich! Das ist doch ganz selbstverständlich! Oder kann ein Timpe wo anders geboren worden sein?«

»Allerdings, denn ich zum Beispiel bin hier in den Staaten geboren.«

»Aber von deutschen Eltern!«

»Mein Vater war ein Deutscher.«

»So seid Ihr wohl der deutschen Sprache mächtig?«

»Ja.«

»Nun, so redet doch, wenn Ihr einen Deutschen vor Euch habt, deutsch, wie Euch der Schnabel gewachsen ist!«

»Na, Sir, nur sachte, sachte! Ich habe doch nicht gewußt, daß Ihr ein Deutscher seid!«

»Aber nun wißt Ihr es. Ich bin ein Deutscher, ein Timpe sogar, und verlange, daß Deutsche deutsch mit mir reden.«

»Welches ist Eure Vaterstadt?«

»Ich stamme aus Hof in Bayern.«

»Da gehen wir einander nichts an, denn ich stamme aus Plauen im Voigtlande.«

»Oho! Nichts angehen? Mein Vater stammt auch aus Plauen und ist von dort nach Hof verzogen.«

Der Dunkelhaarige hielt sein Pferd an. Der Regen hatte nach einem heftigen Donnerschlage plötzlich aufgehört, und die Wolken waren vom Sturme zerteilt worden. Zwischen ihnen blickten helle, blaue Stellen des Himmels hernieder, und die beiden Männer konnten gegenseitig ihre Gesichter erkennen.

»Aus Plauen nach Hof verzogen?« fragte er. »Da ist es freilich nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich, daß wir Verwandte sind, denn der wohl sonderlich klingende Name Timpe ist kein so häufig vorkommender, daß die Träger desselben drüben zu Hunderttausenden herumlaufen, wie die Müllers, Schmidts, Schulzes und andre. Was ist Euer Vater gewesen?«

»Büchsenmacher, und ich bin es auch geworden.«

»Das stimmt, das stimmt! Das ist ja ein Zufall, wie es keinen zweiten geben kann! Aber wollen uns nicht hier aufhalten; das Gewitter kann leicht zurückkehren, und wir haben noch den schwierigsten Teil des Thales vor uns; da wollen wir das jetzige annehmbare Wetter benutzen. Wir können besser weiter sprechen, wenn wir an Ort und Stelle sind. Also kommt, Sir, oder Cousin, wenn Euch das besser gefällt!«

»Cousin? Warum nicht Vetter? Das ist Deutsch und wird wohl auch richtig sein. Also vorwärts!«

Sie ritten weiter. Das Thal wurde bald so eng, daß nur wenig Raum zwischen dem Flusse und der beinahe senkrecht aufsteigenden diesseitigen Felswand blieb. Und dieser Raum bestand nicht etwa aus grasigem Boden, sondern es gab da eine Menge Gesträuch, durch welches sich die Pferde oft geradezu drängen mußten. Hätte sich das Gewitter nicht verzogen gehabt, und wäre es so finster wie vorher geblieben, so dürfte es unmöglich gewesen sein, hier vorwärts zu kommen.

Das hielt eine bedeutende Strecke an, bis das Thal sich wieder verbreiterte, um nach einer halben Stunde wieder eine sehr schmale Schlucht zu bilden, die aber nicht lang war, sondern sehr bald auf den Platz mündete, welcher Firwood Camp genannt worden war, weil es hier nur Tannen gab, welche in riesiger Größe zum Himmel aufstrebten.

Es kreuzten sich hier zwei Thäler in fast grad rechtwinkeliger Richtung, nämlich das Thal des Flusses, an welchem die beiden Timpes herabgekommen waren, und ein andres, in welchem die im Bau begriffene Eisenbahn die Höhe des Gebirges zu ersteigen strebte. Camp heißt Lager, und daß es hier ein solches, und zwar ein nicht unbedeutendes gab, das sahen die beiden Reiter trotz der nächtlichen Dunkelheit sofort, als sie die Felsenenge vor sich hatten.

Es gab da eine Menge von Baumriesen, die gefällt worden waren, um aus den Stämmen Bretter und aus den starken Ästen Bahnschwellen zu bekommen; der Abfall lieferte das nötige Feuerholz. Die über den Fluß führende Brücke war beinahe fertig, und in der Nähe derselben lag die fliegende Schneidemühle, deren Sägen die Holzmassen zu bewältigen hatten. Weiterhin gähnte schwarz ein tief in den Felsen gesprengter Steinbruch, welcher die Quadern zum Unterbau zu liefern hatte, und links zogen sich mehrere aus Balken und Brettern errichtete schuppenähnliche Bauten hin, welche zur Unterbringung der Menschen, der Werkzeuge und der Vorräte dienten.

Eine dieser hier Shops genannten Buden war außerordentlich lang und tief. Die vier Feueressen, welche das Dach überragten, und die zahlreichen, jetzt erleuchteten Fenster ließen vermuten, daß die Shops den im Camp anwesenden Arbeitern Unterkunft zu gewähren hatte. Infolgedessen wendeten sich die beiden Ankömmlinge dorthin.

Schon von weitem scholl ihnen ein lautes Stimmengewirr entgegen, welches auf die Gegenwart nicht weniger Menschen schließen ließ, und als sie näher gekommen waren, machte sich mit jedem Schritte mehr eine von Branntweindunst geschwängerte Luft bemerklich. Sie stiegen ab und banden ihre Pferde an die wahrscheinlich zu diesem Zweck neben der Thür eingeschlagenen Pfähle und wollten eben eintreten, als ein Mann herauskam, welcher in das Innere zurückrief – »Der Bauzug muß gleich kommen; ich will ihn expedieren, dann bin ich wieder da. Vielleicht bringt er Neuigkeiten oder gar Zeitungen mit.«

Der Mann sah auf, erblickte die Fremden, trat zur Seite, um sie in das aus der Thür fallende Licht kommen zu lassen, und betrachtete sie.

»Good evening, Sir,« grüßte der Blonde. »Wir sind bis auf die Haut durchnäßt. Gibt es hier einen Platz, wo man trocken werden kann?«

»Ja.« antwortete er. »Es gibt sogar Plätze, um trocken schlafen zu können, nämlich falls ihr nicht zu derjenigen Sorte von Menschen gehört, die man lieber gar nicht eintreten läßt.«

»Keine Sorge, Sir! Wir sind ehrliche Westmänner, Gentlemen, die Euch nicht in Schaden bringen, sondern alles, was sie bekommen, bezahlen werden.«

»Wenn eure Ehrlichkeit so bedeutend wie eure Körperlänge ist, dann seid ihr freilich die größten Gentlemen unter der Sonne. Na, geht hinein, links in den kleineren Room, und sagt dem Shopman, ich, der Engineer hätte gesagt, ihr könntet bleiben. Wir sehen uns bald wieder.«

Er ging fort, und sie befolgten seine Aufforderung.

Das Innere der Bude bildete einen einzigen großen Raum, von dem links nur ein kleiner Teil durch eine bloß mannshohe Bretterwand halb abgeteilt war. Es gab da eine Menge primitiver Tische und Bänke, die in die Erde gerammt waren, und zwischen ihnen und an den Wänden hin Massenbetten, deren Füllung hauptsächlich nur aus trockenem Gras und Heu bestand. Vier Herde, auf denen hohe Feuer loderten, sorgten für eine wenig zulängliche Beleuchtung; Lampen oder Lichte gab es nicht, und so kam es, daß bei dem Flackern der Flammen alle Personen und Gegenstände in gespenstiger Unruhe und Bewegung zu sein schienen.

An den Tischen saßen und auf den Lagern hockten wohl an die zweihundert Bahnarbeiter, kleine, langzöpfige Burschen mit gelbem Teint, hervortretenden Backenknochen und schief geschlitzten Augen, die sich erstaunt auf die beiden überlangen Gestalten richteten.

»Pfui Teufel! Chinesen! Das konnten wir uns denken, denn man roch es schon von draußen!« meinte der Dunkelhaarige. »Kommt schnell in den kleinen Room, wo die Luft vielleicht genießbarer ist!«

In dieser Abteilung gab es auch eine Anzahl von Brettertafeln, an welchen aber weiße Arbeiter rauchend und trinkend saßen, derbe, wetterharte Männer, von denen wohl mancher eine bessere Vergangenheit hinter sich hatte, mancher aber auch nur deshalb hierher gekommen war, weil er sich im zivilisierten Osten nicht mehr sehen lassen durfte. Ihre überlaute Unterhaltung verstummte sofort, als sie die beiden Gäste sahen, denen ihre erstaunten Blicke bis hin zum Schenktische folgten, hinter welchem der Shopman bei zahlreichen Flaschen und Gläsern lehnte.

»Rail-roaders?« fragte er, indem er ihren Gruß nickend erwiderte.

»Nein, Sir,« antwortete der Blonde. »Wir haben nicht die Absicht, den hier sitzenden Gentlemen ihren Verdienst zu schmälern. Wir sind Westmänner und suchen ein Feuer, an dem wir uns trocknen können. Der Engineer schickt uns zu Euch.«

»Könnt ihr zahlen?« erkundigte er sich, indem er ihre langen Gestalten mit einem scharf taxierenden Blicke überflog.

»Ja.«

»Dann könnt ihr alles haben, was ihr braucht, auch später ein feines, abgesondertes Lager zum Schlafen da hinter den Kisten und Fässern. Setzt euch da an den Tisch am Herd; da gibt es Wärme genug, der andre ist für die Beamten und höhern Gentlemen.«

»Well! Ihr rechnet uns also zu den niedrigen Gentlemen. Das hätte ich Euch bei unsrer Länge nicht zugetraut. Thut aber nichts. Bringt uns Gläser, heißes Wasser, Zucker und Rum! Wir wollen uns auch innerlich anwärmen.«

Sie setzten sich an den ihnen angewiesenen Tisch, welcher so nahe am Feuer stand, daß ihre nassen Anzüge bald trocknen konnten, bekamen das Verlangte und brauten sich einen Grog. Die weißen Arbeiter hatten gehört, daß sie keine Konkurrenz zu befürchten hatten; sie waren befriedigt und setzten ihr unterbrochenes Gespräch lärmend wieder fort.

An dem für Beamte und »höhere Gentlemen« bestimmten Tische saß eine einzelne Person, ein junger, vielleicht nicht ganz dreißig Jahre zählender Mann, welcher wie ein weißer Jäger gekleidet war, aber der kaukasischen Rasse nicht angehörte, was sich aus der Farbe seiner Haut und der Bildung seines Gesichts schließen ließ. Er war jedenfalls ein Mestize, einer jener Mischlinge, welche zwar die körperlichen Vorzüge, aber dazu leider auch die moralischen Fehler ihrer verschiedenfarbigen Eltern erben. Seine Glieder waren kräftig und geschmeidig wie diejenigen eines Panthers und seine Gesichtszüge intelligent, aber seine dunkeln Augen lagen unter den tief gesenkten Lidern und Wimpern sprungbereit versteckt wie ein wildes Katzenpaar, welches eine Beute belauert. Er schien die beiden Fremden gar nicht zu beachten, ließ jedoch seine Blicke oft und verstohlen zu ihnen fliegen und neigte den Kopf zur Seite nach ihnen hin, um zu hören, wovon sie sprechen würden. Er hatte Grund zu erfahren, welche Absicht sie in diese Gegend geführt hatte und ob sie bleiben oder nicht bleiben wollten. Zu seinem Leidwesen verstand er keines ihrer Worte, obgleich sie laut genug miteinander redeten, denn sie bedienten sich einer Sprache, die er nicht kannte, der deutschen.

Als sie ihre Gläser gefüllt hatten, tranken sie sich dieselben zu und leerten sie bis auf den Boden. Der Dunkelköpfige setzte das seinige vor sich hin und sagte:

»So, das war der Willkommen, den wir einander schuldig sind, und nun wieder zur Sache! Also Sie sind eigentlich Büchsenmacher, und Ihr Vater war es auch. Das läßt übrigens, nebenbei bemerkt, darauf schließen, daß Sie ein guter Schütze sind. Nehmen wir einmal an, daß wir wirklich Verwandte seien, so will ich Ihnen offen sagen, daß ich noch nicht weiß, ob ich mich auch verwandtschaftlich zu Ihnen verhalten darf.«

»Warum sollten Sie das nicht dürfen?«

»Wegen der Erbschaft.«

»Wieso?«

»Ich bin um sie betrogen worden.«

»Ich doch auch!«

»Ach wirklich? Sie haben auch nichts bekommen?«

»Keinen Pfennig, keinen roten Heller!«

»Aber es ist doch eine so bedeutende Summe an die Erben drüben ausgezahlt worden!«

»Ja, an Timpes Erben in Plauen, jedoch nicht an mich, obwohl ich ein ebenso echter Timpe bin wie sie.«

»Erlauben Sie mir, diese Echtheit einmal zu prüfen! Wie ist Ihr vollständiger Name?«

»Kasimir Obadja Timpe.«

»Der Ihres Vaters?«

»Rehabeam Zacharias Timpe.«

»Wieviel Brüder hatte Ihr Vater?«

»Fünf. Die drei jüngsten sind nach Amerika gegangen. Sie glaubten, da schnell reich werden zu können, weil dort viele Gewehre gebraucht wurden. Die Brüder waren alle Büchsenmacher.«

»Wie hieß der zweite Bruder, der in Plauen geblieben ist?«

»Johannes Daniel. Er ist gestorben und hat zwei Söhne hinterlassen, nämlich Petrus Micha und Markus Absalom, welche die hunderttausend Thaler geerbt und aus der Stadt Fayette in Alabama geschickt bekommen haben.«

»Das stimmt; das stimmt abermals! Mit Ihrer Orts-und Personenkenntnis beweisen Sie, daß Sie wirklich mein Vetter sind.«

»O, ich kann es noch besser beweisen. Ich habe meine Papiere und Legitimationen heilig aufgehoben; ich trage sie auf meinem Herzen. Ich kann sie Ihnen sofort –«

»Jetzt nicht, jetzt nicht, vielleicht später,« fiel ihm Hasael in die Rede. »Ich glaube Ihnen. Sie wissen doch auch, warum die fünf Brüder und ihre Söhne alle solche biblische Namen haben?«

»Ja. Es war das ein uralter Gebrauch in der Familie, von dem keiner abgewichen ist.«

»Richtig! Und dieser Gebrauch konnte in den Staaten hier leicht beibehalten werden, weil der Amerikaner solche Namen auch bevorzugt. Mein Vater war der dritte Bruder; er hieß David Makkabäus und blieb in New York. Mein Name ist Hasael Benjamin. Die zwei Jüngsten gingen weiter ins Land und setzten sich in Fayette im Staate Alabama fest. Der Allerjüngste hieß Joseph Habakuk; er starb dort kinderlos und hat das große Erbteil hinterlassen. Der vierte Bruder, Tobias Holofernes, starb in derselben Stadt; sein einziger Sohn, Nahum Samuel, ist der Betrüger.«

»Wieso?«

»Sehen Sie das nicht ein? Ich bin vollständig ahnungslos gewesen. Vater hat zwar in der ersten Zeit mit seinen zwei Brüdern in Fayette Briefe gewechselt, doch ist das nach und nach eingeschlafen, bis man einander schier vergessen hat. Die Entfernungen in den Staaten sind so groß, daß selbst Brüder sich nach und nach aus den Augen kommen. Nach Vaters Tode führte ich das Geschäft fort, schlecht und recht, ohne viel mehr als das Leben herauszuschlagen. Da traf ich in Hoboken mit einem Deutschen zusammen; er war Einwanderer und kam aus Plauen im Voigtlande. Ich erkundigte mich natürlich nach meinen dortigen Verwandten und erfuhr zu meinem Erstaunen, daß sie bare hunderttausend Thaler von dem Onkel Joseph Habakuk in Fayette geerbt hatten. Und ich nichts! Ich glaubte, der Schlag werde mich treffen! Ich hatte meinen Anteil auch zu verlangen und schrieb wohl zehn und noch mehr Briefe nach Fayette, bekam aber keine Antwort. Da verkaufte ich kurz entschlossen mein Geschäft und reiste hin.«

»Ganz recht, ganz recht, lieber Vetter! Nun, und der Erfolg?«

»War gar kein Erfolg, denn der Vogel hatte sich unsichtbar gemacht; er war ausgeflogen.«

»Welcher Vogel?«

»Sonderbare Frage! Das können Sie sich doch nun denken! Man hatte in Fayette geglaubt, der alte Joseph Habakuk sei nur in guten Verhältnissen gestorben; daß er so reich gewesen war, hatte man nicht geahnt. Wahrscheinlich hat ihn sein Geiz abgehalten, es zu zeigen. Sein Bruder Tobias Holofernes war sehr arm vor ihm gestorben, und er hatte dessen Sohn, seinen Neffen Nahum Samuel, zu sich in das Geschäft genommen. Dieser nun ist der Betrüger. Er hat zwar nicht umhin gekonnt, die hunderttausend Thaler nach Plauen zu schicken, mit dem übrigen Gelde aber hat er sich aus dem Staube gemacht, auch mit den hunderttausend Thalern, die mir zufallen mußten.«

»Und mit den meinigen wahrscheinlich auch?«

»Jedenfalls!«

»Der Schurke! Vater zog von Plauen fort, weil er sich wegen der Konkurrenz mit dem Bruder arg verfeindet hatte. Diese Feindschaft wuchs trotz der Entfernung mehr und mehr, so daß keiner mehr etwas von dem andern wissen und hören wollte. Darüber ist Vater gestorben, sein Bruder in Plauen auch. Später schrieben mir dessen Söhne, sie hätten von dem Oheim Joseph Habakuk in Amerika hunderttausend Thaler geerbt. Ich fuhr sofort nach Plauen, um mich zu erkundigen. Da ging es freilich sehr hoch her. Die beiden Vettern wurden nicht anders als Timpes Erben genannt; sie hatten ihr Geschäft aufgegeben und lebten wie die Fürsten. Ich wurde sehr gut aufgenommen und mußte einige Wochen bei ihnen bleiben. Von der alten Feindschaft wurde kein Wort gesprochen, aber ebensowenig konnte ich etwas Näheres und Sicheres über den Onkel Joseph Habakuk und seine Hinterlassenschaft erfahren. Die Vettern ließen mich ihren Reichtum kosten, aber meinen Anteil schienen sie mir nicht zu gönnen. Da machte ich es kurz entschlossen wie Sie: ich verkaufte mein Geschäft, ging nach Amerika und begab mich von New York natürlich sofort direkt nach Fayette.«

»Ah, also auch! Wie fanden Sie es dort?«

»Ganz wie Sie, nur daß man mich auslachte. Man sagte mir, daß die dortigen Timpes niemals wohlhabend gewesen seien.«

»Unsinn! Verstanden Sie damals Englisch?«

»Nein.«

»So hat man Sie dort als Deutschen an der Nase geführt. Was haben Sie dann angefangen?«

»Ich wendete mich nach St. Louis, wo ich bei Mr. Henry, dem Erfinder des berühmten fünfundzwanzigschüssigen Henrystutzens, Arbeit nehmen und soviel wie möglich von seiner Kunst lernen und profitieren wollte, kam aber in der Stadt Napoleon am Arkansas und Mississippi in die Gesellschaft einiger Prairiejäger, denen ich als Büchsenmacher recht war. Sie ließen mich nicht weiter und veranlaßten mich, mit ihnen nach den Felsenbergen zu gehen. So bin ich also ein Westmann geworden.«

»Und sind Sie zufrieden mit diesem Wechsel?«

»Ja. Lieber freilich wäre es mir, wenn ich meine hunderttausend Thaler erwischt hätte und in dulci jubilo leben könnte, so wie Timpes Erben.«

»Hm! Das kann vielleicht noch werden.«

»Schwerlich! Mir ist später auch der Gedanke gekommen, daß der alte Joseph Habakuk doch so reich gewesen und sein Neffe Nahum Samuel mit dem Gelde entwichen sein könne. Ich habe nach dem letzteren gesucht, mehrere Jahre lang, doch vergebens, wie ich Ihnen schon sagte.«

»Ich auch, und ebenso vergebens, doch nur bis vor kurzer Zeit, denn nun habe ich seine Spur.«

»Sei – ne – Spur? Wie – wa – wirk – lich?« rief Kasimir, indem er so schnell von seinem Sitze aufsprang, daß die Anwesenden alle aufmerksam wurden und ihre Blicke auf ihn richteten.

»Still, ruhig!« warnte Hasael. »Man darf sich nicht so bald aufregen lassen. Ich habe aus einem ganz untrüglichen Munde gehört, daß ein gewisser Nahum Samuel Timpe, früher Büchsenmacher und nun ungeheuer reich, jetzt in Santa Fé wohnt.«

»In Santa Fé da drüben? Da müssen wir hin, unverzüglich hin, wir beide, Sie und ich!«

»Bin damit einverstanden, Vetter. Es war natürlich meine Absicht, ihn aufzusuchen und zur Herausgabe des Geldes nebst Zinsen zu zwingen. Daß dies schwer, sehr schwer sein wird, habe ich mir nicht verhehlt, und darum freut es mich, Sie getroffen zu haben, denn zweien muß es leichter werden. Wir treten in einer solchen Weise vor ihn hin, daß er vor Schreck seine Schandthat eingesteht und das Geld augenblicklich aufzählt. Wir sind Westmänner und drohen ihm mit dem Gesetze der Prairie. Nicht?«

»Selbstverständlich, ganz und gar selbstverständlich!« stimmte Kasimir höchst eifrig bei. »Welch ein Glück, daß ich Sie getroffen habe, Sie – Sie – Sie? Ist es nicht eine Dummheit, Vetter, uns Sie zu nennen, da wir so nahe Verwandte und Schicksalsgenossen sind?«

»Kommt mir auch so vor.«

»Also Brüderschaft machen, du sagen, nicht wahr, du?«

»Mir recht. Hier ist meine Hand; schlag ein! Wir füllen die Gläser wieder und leeren sie auf unser Wohl und auf das Gelingen unsres Vorhabens. Da, stoß an!«

»Prosit, Vetter, oder vielmehr: Prosit, lieber Hasael!«

»Prosit! Aber Hasael? Weißt du, man ist in den Staaten möglichst kurz, besonders mit den Namen. Man sagt Jim, Tim, Ben und Bob und spricht nicht alle Silben aus, wenn eine einzige genügt. Mein Vater sagte stets Has' oder vielmehr Has anstatt Hasael, und ich habe mich daran gewöhnt. Mach du es ebenso!«

»Has? Hm! Dann müßtest du zu mir auch Kas' oder vielmehr Kas sagen anstatt Kasimir!«

»Warum nicht?«

»Klingt das nicht sehr dumm?«

»Dumm? Unsinn! Es klingt, sage ich dir; mir gefällt es, und wie es andern klingen mag, das ist mir gleichgültig. Also nochmals prosit, lieber Kas!«

»Prosit, lieber Has! Aufs Wohl von Kas und Has, den neuesten Erben Timpes!«

Sie stießen still begeistert und nur leise ihre Gläser zusammen, um nicht die Aufmerksamkeit der andern Zecher auf sich zu ziehen. Dann meinte der dunkelköpfige Has:

»Also auf nach Santa Fé! Aber das ist nicht so leicht und schnell ausgeführt, denn wir werden zu einem weiten Umwege gezwungen sein.«

»Warum?« fragte der semmelblonde Kas.

»Weil wir durch das Gebiet der Komantschen müßten, wenn wir den kürzesten Weg einschlagen wollten.«

»Ich hörte doch nicht, daß diese Roten jetzt das Kriegsbeil ausgegraben haben!«

»Ich auch nicht; aber die Canaillen sind selbst im tiefsten Frieden treulos und stets den Bleichgesichtern feind. Zudem traf ich gestern mit einem Pedlar zusammen, der von ihnen kam. Du weißt, daß die Indsmen einem Pedlar niemals etwas Böses thun, weil sie ihn notwendig brauchen. Der sagte mir, daß der große Kriegshäuptling Tokvi-Kava jetzt nicht bei seinem Stamme sei, sondern sich mit einigen seiner besten Krieger entfernt habe, ohne zu sagen, wohin.«

»Tokvi-Kava, der ›schwarze Mustang‹, der Jägerschinder? Mit den besten Kriegern? Und ohne zu sagen, wohin? Das läßt allerdings sehr stark vermuten, daß er wieder auf eine seiner Grausamkeiten sinnt. Ich fürchte mich wahrlich vor keinem Roten, aber sei man noch so mutig, besser ist es immer, einem solchen Burschen gar nicht zu begegnen. Ich schlage also vor, lieber den Umweg zu machen und eine Woche später in Santa Fe anzukommen. Unser Nahum Samuel wird uns wohl nicht grad' jetzt zum zweitenmal davonlaufen.«

»Und wenn er lief, wir haben seine Spur und würden ihn nun ganz gewiß erwischen, denn –«

Er wurde unterbrochen, denn der Engineer kam zurück und brachte noch zwei Männer mit. Kas und Has hatten im Eifer ihres Gespräches das wiederholte Pfeifen einer Lokomotive überhört. Der Arbeitszug war angekommen; der Engineer hatte ihn expediert und wurde nun bei der Rückkehr von seinem Aufseher und dem Magazinverwalter begleitet. Er nickte den beiden Westmännern grüßend zu, und dann setzten sich die drei zu dem Mestizen an den für die »Beamten und höheren Gentlemen« bestimmten Tisch. Sie ließen sich auch Grog geben, und dann erkundigte sich der Mischling:

»Nun, Sir, sind Zeitungen angekommen?«

»Nein,« antwortete der Engineer, »die werden morgen erst eintreffen; aber Nachrichten habe ich erhalten.«

»Gute?«

»Leider nicht. Wir werden von jetzt an sehr wachsam sein müssen.«

»Warum?«

»Es sind in der Nähe der Rückstation Spuren von Indianern gesehen worden.«

Es war, als ob die halb unter den Lidern verborgenen Augen des Mischlings für einen Moment zornig aufleuchteten, doch klang seine Stimme ganz gelassen, als er sagte:

»Das ist doch kein Grund, ungewöhnlich wachsam zu sein!«

»Ich denke doch!«

»Pshaw! Kein Stamm hat jetzt den Tomahawk des Krieges ausgegraben, und wenn es wäre, so darf man von einigen Fußstapfen nicht gleich auf Feinde schließen.«

»Freunde lassen sich sehen. Wer sich versteckt hält, der hat keine guten Absichten; das kann ich mir sagen, obgleich ich kein Scout und Westmann bin.«

»Eben weil Ihr keiner seid, sagt Ihr es Euch. Der erfahrene Westmann würde der Ansicht sein, daß die Roten an der Station vorübergegangen seien, weil sie keine Zeit hatten, sich zu zeigen.«

»Keine Zeit? Die Roten haben stets und immer Zeit, bei den Weißen herumzulungern und sie anzubetteln. Wenn sie sich verstecken, ist ihre Absicht sicher keine gute. Du bist ein tüchtiger Pfadfinder und in dieser Gegend bekannt; ich habe dich engagiert, daß du von morgen an die Umgebung scharf durchstreifst.«

Durch die geschmeidige Gestalt und über das Gesicht des Mestizen ging ein leises Zucken, als ob er zornig auffahren wollte, doch beherrschte er sich wieder und antwortete in ruhigem Tone:

»Ich werde es thun, Sir, obgleich ich weiß, daß es nicht nötig ist. Indianerspuren haben nur zur Kriegszeit böse Bedeutung. Und noch eins: die Roten sind oft bessere und treuere Menschen als die Weißen.«

»Diese Ansicht macht deiner allgemeinen Menschenliebe alle Ehre, aber ich könnte dir mit Beispielen, mit vielen Beispielen beweisen, daß du im Irrtum bist.«

»Und ich mit noch mehreren, daß ich recht habe. Ist jemals ein Mensch treuer gewesen, als Winnetou zu Old Shatterhand ist?«

»Winnetou ist eine Ausnahme. Kennst du ihn?«

»Gesehen habe ich ihn noch nicht.«

»Oder Old Shatterhand?«

»Auch noch nicht; aber alle ihre Thaten kenne ich.«

»So hast du auch von Tangua, dem Häuptling der Kiowas gehört?«

»Ja.«

»Welch ein Verräter war dieser Schurke! Er warf sich damals, als Old Shatterhand noch Surveyor war, zu seinem Beschützer auf und hat ihm doch fort und fort nach dem Leben getrachtet. Er hätte ihn sicher ausgelöscht, wenn dieser berühmte Weiße nicht ein so kluger, umsichtiger und ebenso kühner wie starker Mann gewesen wäre. Wo findest du da die Treue, von der du sprichst? Und daß die Spuren von Roten nur im Kriege Gefahr bedeuten – haben die Sioux Ogallalah nicht mitten im Frieden wiederholt Eisenbahnzüge überfallen? Haben sie nicht mitten im Frieden Männer getötet und Weiber geraubt? Sie sind dafür bestraft worden, nicht von großen Jäger-und Militärhaufen, sondern von zwei einzelnen Menschen, von Winnetou und Old Shatterhand. Keiner gleicht diesen beiden. Befände sich einer von ihnen hier, so würden mir allerdings selbst hundert Indianerspuren wenig Angst bereiten.«

»Pshaw! Ihr übertreibt, Sir! Diese beiden Männer haben Glück, sehr viel Glück gehabt; das ist alles. Es gibt noch ebensolche und auch noch bessere, als sie sind.«

»Wo?«

Der Mestize sah ihm mit stolz herausforderndem Blicke in das Gesicht und antwortete –

»Fragt nicht, sondern seht Euch um!«

»Meinst du etwa dich, dich selbst?«

»Und wenn?« Der Engineer wollte ihm eine zurechtweisende Antwort geben, wurde derselben aber enthoben, denn Kas kam mit zwei Schritten seiner langen Beine herbei, pflanzte sich hoch vor dem Mestizen auf und sagte:

»Du bist der größte Schafskopf, den es geben kann, mein Sohn!«

Der Mischling sprang im Nu auf und riß sein Messer aus dem Gürtel; aber noch schneller hatte Kas seinen Revolver gespannt, hielt ihm denselben entgegen und warnte:

»Keine Übereilung, my boy! Es soll Menschen geben, die eine Kugel durch ihren Dummkopf nicht vertragen und auch nicht überleben können, und ich habe allen Grund, anzunehmen, daß du so einer bist.«

Der auf ihn gerichtete Lauf des Revolvers verbot dem Mestizen, sein Messer zu gebrauchen, denn eine Kugel ist schneller als die beste Klinge. Darüber wütend, zischte er dem Langen zu:

»Was habe ich mit Euch zu schaffen? Wer hat Euch erlaubt, Euch in unser Gespräch zu mischen?«

»Ich selbst, mein junge, ich selbst. Und wenn ich mir oder irgend jemand etwas erlaube, so möchte ich den sehen, der es nicht leiden will! Etwa du; he du?«

»Ihr seid ein Grobian, Sir!«

»Well, diese Antwort laß ich mir gefallen, denn ich sehe, daß du Geschmack an mir findest. Sorg nur dafür, daß ich auch welchen an dir finde, sonst ergeht es dir wie damals bei Timpes Erben!«

»Timpes Erben? Wer seid Ihr denn eigentlich, Sir?«

»Ich bin einer, der auf Winnetou und Old Shatterhand nichts kommen läßt; mehr brauchst du nicht zu wissen. Leb wohl, my boy und steck dein Stecheisen wieder in den Gürtel, damit du dir damit nicht etwa selbst einen Schaden thust!«

Kas kehrte nach seinem Tische zurück, wo er sich behaglich wieder niederließ. Der Mestize folgte seinen Bewegungen mit sprühenden Augen, seine Sehnen spannten sich, dem Beleidiger nachzuspringen und das Messer in den Leib zu stoßen, doch brachte er es nicht fertig. Es gab in der Haltung des langen dünnen Mannes etwas, was ihm den Fuß bannte.

Er steckte das Messer ein, setzte sich wieder nieder und murmelte, um sich vor seinen Tischgenossen zu entschuldigen, vor sich hin:

»Der Kerl ist offenbar ein Narr und gar nicht im stande, einen vernünftigen Menschen zu beleidigen. Lassen wir ihn schwatzen!«

»Schwatzen?« antwortete der Engineer. »Der Mann scheint im Gegenteil Haare auf den Zähnen zu haben. Daß er für Old Shatterhand und Winnetou gesprochen hat, freut mich von ihm, denn die Thaten und Erlebnisse dieser beiden Helden des Westens bilden mein Leib-und Lieblingsthema. Will doch einmal sehen, ob er sie auch wirklich kennt.«

Und sich an den andern Tisch wendend, fragte er:

»Ihr bezeichnet euch als Westmänner, Sir. Seid ihr jemals Winnetou oder Old Shatterhand begegnet?«

Die kleinen Mausaugen von Kas funkelten vor Vergnügen, indem er antwortete:

»Und ob! Habe beide gesehen.«

»Längere Zeit?«

»Bin zwei Wochen mit ihnen geritten.«

»Was? Du?« rief Has verwundert aus. »Du hast dich in der Gesellschaft dieser zwei größten Westmänner befunden und mir noch nichts davon gesagt?«

»Wann hätte ich es sagen sollen? Wir haben ja noch gar keine Zeit gefunden, von unsern Erlebnissen zu sprechen.«

»O, ihr kennt euch erst seit kurzer Zeit?« fragte der Engineer.

»Haben uns erst heute, kurz vor Abend, zum erstenmal gesehen,« antwortete Kas.

»Sind Euch mit Winnetou und Old Shatterhand Abenteuer begegnet?«

»Das ist eine sonderbare Frage, Sir. Wer bei diesen Männern ist, erlebt immer etwas, oft an einem Tage mehr als sonst in einem Monat oder gar in einem ganzen Jahre.«

»Wetter! Wollt Ihr nicht herkommen und uns davon erzählen?«

»Nein.«

»Nicht? Warum denn nicht?«

»Weil ich kein Geschick zum Erzählen habe, Sir. Es ist mit dem Erzählen eine ganz eigene Sache; das muß angeboren sein. Ich habe es schon oft versucht, aber ich bringe es nicht fertig. Ich fange in der Regel in der Mitte oder hinten an und höre stets vorn oder gar schon in der Mitte auf. Ich kann Euch nur kurz sagen, daß wir damals eine Gesellschaft von acht Weißen waren und in die Gefangenschaft der Upsarokas gerieten, die uns für den Marterpfahl bestimmten. Das hatten Old Shatterhand und Winnetou erfahren. Sie suchten unsre Fährte, folgten ihr, beschlichen die Upsarokas und holten uns in der Nacht heraus, ganz allein, ohne alle Beihilfe, ein Meisterstück, wie es außer ihnen auch der Berühmteste nicht fertig bringt, selbst Euer Halfbreed nicht, welcher dort bei Euch sitzt und vorhin das Maul so vollgenommen hat.«

Der Mestize wollte wieder aufbrausen, doch kam ihm der Ingenieur mit der schnellen, an Kas gerichteten Frage zuvor:

»Wißt Ihr nicht, wo sich die beiden jetzt befinden, Sir?«

»Habe keine Ahnung. Es wurde einmal davon gesprochen, daß Old Shatterhand hinüber in eines der altmodischen Länder sei, Ägypten oder Persien heißt es wohl, aber bald wiederkommen werde.«

»Möchte sie doch gar zu gern einmal sehen! Sind sie denn wirklich so, wie man sie beschreibt? Hat Old Shatterhand wirklich solche Kraft in seiner Faust? Man hat mir gesagt, daß seine Hände trotzdem fast so klein wie Ladieshände seien.«

»Das ist wahr. Und dennoch kracht er mit einem Schlag den schwersten Mann zu Boden. Er ist nicht etwa übermäßig lang und breit, aber seine Muskeln sind wie Eisen und seine Sehnen wie Federstahl. So ist es auch mit Winnetou.«

»Sind sie stolz?«

»Fällt ihnen nicht ein! Die wahren Kinder! Lieb, mild und herzig gut. Dabei durch keine, auch durch die größte Gefahr nicht aus der Fassung zu bringen. Aber wenn es gilt, dann solltet Ihr sie sehen! Diese Augen! Diese Schritte und Bewegungen! Dieser Sitz im Sattel! Diese kalte Berechnung jedes Vorteils und dieses stets untrügliche Voraussehen aller, aber auch aller Folgen dessen, was sie thun! Es hat noch nie einen Menschen, rot oder weiß, und sei er noch so pfiffig und verschlagen, gegeben, dem es gelungen wäre, einen von ihnen länger als einen Augenblick zu täuschen.«

»Ihr beschreibt sie wirklich als Halbgötter, Sir. Ich gäbe sonst etwas darum, wenn ich sie einmal sehen könnte. Vielleicht aber bin ich ihnen oder einem von ihnen schon einmal begegnet, ohne es zu wissen.«

»Wird wohl nicht der Fall sein, Sir. Wer sie kennt, der weiß: Wenn einer von ihnen jetzt hereinträte, euch allen unbekannt, ihr würdet doch sofort wissen, daß es Old Shatterhand oder daß es Winnetou ist.«

»Und ihre Waffen? Sind sie wirklich so vorzüglich, wie man erzählt?«

»Will es meinen, Sir! Aus Winnetous Silberbüchse ist noch nicht ein Fehlschuß gegangen; sie hat in ihrer Art nicht ihresgleichen. Der Bärentöter Old Shatterhands ist wie ein brüllender Löwe, dem keine Beute entgehen kann, und wenn sie noch so schnell entflöhe. Und nun erst sein Henrystutzen! Ich bin Büchsenmacher gewesen und verstehe mich darauf. Henry hat, glaube ich, nur zehn oder zwölf solcher Stutzen gefertigt, aber wer hat sie und wo sind sie? Keiner von ihnen ist bekannt, als nur der Old Shatterhands. Dieser Stutzen, ursprünglich ein totes Meisterstück, ist in dieser Hand zu einem lebenden Wesen geworden, hat denken, berechnen und gehorchen gelernt. Old Shatterhand wettet zwar mit jedem fremden Gewehr nach drei Probeschüssen so hoch ihr wollt, auf Ziel; hat er aber seinen Stutzen in der Hand, so würde er Euch niederschlagen, wenn Ihr es wagtet, ihm eine Wette anzubieten. Er weiß, ja, er fühlt die Kugel schon genau im Ziele sitzen, wenn er die Patrone noch in der Tasche hat. Er und sein Stutzen haben nur eine Seele, nur einen Gedanken und nur einen Willen. Begreift Ihr das?«

»Nein.«

»Weil Ihr kein Jäger, kein passionierter Schütze seid. Diese drei Gewehre sind von unschätzbarem Werte. Man kann nicht sagen, welches den andern vorzuziehen ist; ich aber würde unbedingt den Henrystutzen wählen. Böte jemand dem Besitzer zehntausend, zwanzigtausend Dollars und noch mehr, ich bin überzeugt, Old Shatterhand würde lächelnd fortgehen. Vor seinem Tode wird kein Mensch das Gewehr bekommen oder auch nur untersuchen dürfen, denn in einer andern Hand würde der Stutzen bald seinen Wert verlieren und eine ganz gewöhnliche, tote Waffe sein, die keine Seele hat und keinen Gehorsam kennt: es wäre ein Mord an ihm geschehen.«

»Lackaday! Ihr werdet geradezu poetisch, Sir! So habe ich noch niemand von einer Waffe sprechen hören. Und doch behauptetet Ihr vorhin, daß Ihr nicht erzählen könntet!«

»Kann ich auch nicht; aber ich war, wie gesagt, früher Büchsenmacher und bin jetzt Jäger. Ich behaupte, daß jedes Gewehr eine, erlaubt mir das Wort, eine Seele hat, die von dem Schützen studiert, verstanden und geliebt werden muß, dann haben beide auch nur einen Willen. Wer kein Fachmann ist und sich noch nie über nichtsnutzige Schießprügel geärgert hat, versteht das nicht und lacht darüber, Wollt Ihr auch lachen, so thut es immerhin, ich habe nichts dagegen.«

»Fällt mir nicht ein! Eure Ansicht ist zwar außergewöhnlich, aber sie gefällt mir fast ebensosehr, wie Ihr mir selbst gefallt.«

»So, ich gefalle Euch, Sir? Well, so thut mir den Gefallen, uns zu sagen, wo wir unsre Pferde unterbringen können. Ich möchte sie gern sicher unter Dach und Fach haben, weil Ihr vorhin von Indianerspuren gesprochen habt.«

»Erscheinen Euch diese Spuren auch bedenklich?«

»Natürlich! Das kluge Halfbreed dort mag denken, was er will, ich weiß, woran ich bin.«

»So biete ich Euch den Werkzeugschuppen an, der ein gutes, festes Schloß besitzt; der Verwalter hier wird Euch führen und auch für Futter und Wasser sorgen.«

Der Genannte erhob sich bereitwillig von seinem Platze, und Kas und Has folgten ihm hinaus zu ihren Pferden.

Die weißen Bahnarbeiter hatten der Unterhaltung ihre ganze Aufmerksamkeit geschenkt; das Thema derselben war ihnen ebenso interessant gewesen wie ihrem Vorgesetzten. Dieser benutzte die Abwesenheit der beiden Jäger dazu, dem Mestizen sein Gebaren zu verweisen, was der Genannte mit scheinbarer Ruhe hinnahm, während er innerlich wütend war. Darüber verging einige Zeit, bis sich draußen wieder die Schritte von Pferden hören ließen.

»Was ist denn das?« fragte der Engineer verwundert. »Sie bringen die Pferde zurück, und es ist doch Platz genug für sie im Schuppen.«

Er blickte nach dem Eingang und sah nicht die drei fortgegangenen Personen, sondern zwei ganz andre Männer eintreten. Es war ein Weißer und ein Indianer.

Der erstere war von nicht sehr hoher und nicht sehr breiter Gestalt. Ein dunkelblonder Vollbart umrahmte sein sonnverbranntes Gesicht. Er trug ausgefranste Leggins und ein ebenso an den Nähten ausgefranstes Jagdhemd, lange Stiefel, die bis über die Kniee heraufgezogen waren, und einen breitkrempigen Filzhut, in dessen Schnur rundum die Ohrenspitzen des fürchterlichen grauen Bären steckten. In dem breiten, aus einzelnen Riemen geflochtenen Gürtel steckten zwei Revolver und ein Bowiemesser; er schien rundum mit Patronen gefüllt zu sein, und an ihm hingen mehrere Lederbeutel, in denen wahrscheinlich die einem Westmanne nötigen kleineren Requisiten steckten. Von der linken Schulter nach der rechten Hüfte lag ein zusammengeschlungener, aus mehrfachen Riemen geflochtener Lasso, und um den Hals hing an einer Seidenschnur eine mit Kolibribälgen verzierte Friedenspfeife, in deren künstlerisch geschnittenen Kopf indianische Charaktere eingegraben waren. Ein breiter Riemen hielt auf dem Rücken dieses Mannes ein ungewöhnlich langes und schweres Doppelgewehr fest, während in der rechten Hand ein leichteres, einläufiges ruhte, dessen Schloß kein gewöhnliches zu sein schien; das sah man, obwohl es jetzt durch ein ledernes Etui verhüllt wurde.

Der Indianer war ganz genau so gekleidet wie der Weiße, nur daß er anstatt der hohen Stiefel leichte Mokassins trug, die mit Stachelschweinsborsten verziert waren. Auch eine Kopfbedeckung hatte er nicht, sondern sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einen hohen, helmartigen Schopf geordnet und mit einer Klapperschlangenhaut durchflochten. Um den Hals trug er den Medizinbeutel, eine höchst wertvolle Friedenspfeife und eine dreifache Kette von Grizzlykrallen, ein glänzender Beweis seiner Tapferkeit und seines Mutes, denn kein Indianer darf Trophäen zeigen, die er sich nicht selbst erworben hat. Der Lasso fehlte ebensowenig wie der Gürtel mit den Revolvern, dem Bowiemesser und den Lederbeuteln, und in der Rechten hielt der Indsman eine doppelläufige Büchse, deren Holzteile eng mit glänzenden silbernen Nägeln beschlagen waren. Der Ausdruck seines ernsten, männlich schönen Gesichts war fast römisch zu nennen; trotz des tiefdunklen Sammets seiner Augen glänzte in ihnen ein jetzt ruhiges, wohlthuendes Feuer; die Backenknochen standen kaum merklich vor, und die Farbe seiner Haut war ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch.

Diese beiden Ankömmlinge waren keine Riesen von Gestalt; sie kamen ruhiger und bescheidener herein als wohl der niedrigste Arbeiter des Camps; nichts, gar nichts an ihnen zeigte, daß sie die Absicht hätten, in irgend einer Weise Ansprüche zu erheben oder gar Aufsehen zu erwecken, und doch wirkte ihr Erscheinen grad so, als ob zwei fürstliche Personen zu ihren Unterthanen getreten wären. Das tolle Geschwätz der Chinesen verstummte im Nu; die weißen Arbeiter im kleinen Room standen unwillkürlich von ihren Sitzen auf; der Engineer, sein Aufseher und der Mischling thaten dasselbe; der Shopman versuchte sogar eine Verbeugung fertig zu bringen, welche leider sehr eckig ausfiel.

Die beiden schienen das Aufsehen, welches sie erregten, gar nicht zu bemerken; der Indsman grüßte nur mit einem leichten, aber keineswegs stolzen Neigen seines Kopfes, und der Weiße sagte in freundlichem Tone:

»Good evening, Mesch'schurs! Bleibt sitzen, wir wünschen nicht zu stören.« Und sich dann an den Wirt wendend, fuhr er fort: »Kann man bei Euch ein gutes Mittel gegen den Hunger und den Durst bekommen, Sir?«

»Readily, with pleasure, Sir!« antwortete dieser. »Zunächst welcome, Gentlemen! Es steht alles zu euren Diensten, was ich habe. Nehmt da am warmen Feuer Platz, Mesch'schurs! Es sitzen zwar schon zwei Westmänner da, die einmal hinausgegangen sind, aber wenn euch dies stört, so werden sie Platz machen.«

»Das wollen wir keineswegs. Sie waren eher da als wir und haben also ein größeres Recht. Wenn sie zurückkehren, werden wir sie fragen, ob sie uns bei sich haben wollen. Macht uns zunächst ein warmes Ingwerbier, dann werden wir sehen, was Ihr zu essen habt.«

Sie sahen an den zurückgelassenen Gewehren, wo Kas und Has gesessen hatten, und nahmen an der andern Seite des Tisches Platz.

»Prächtige Kerls!« flüsterte der Engineer seinen beiden Nachbarn zu. »Der Rote blickt wie ein König drein und der Weiße nicht weniger.«

»Und das Gewehr des Indsman!« antwortete ebenso leise der Aufseher. »Die vielen silbernen Nägel daran! Ob das –«

»Thounderstorm! Silberbüchse! Winnetou! Seht das schwere Doppelgewehr des Weißen! Ob das der berühmte Bärentöter ist? Und das kleine, leichte Gewehr! Vielleicht gar der Henrystutzen?«

»Dann wäre es Old Shatterhand!«

»Old Shatterhand und Winnetou! Mein Wunsch, mein Herzenswunsch!«

Da hörte man draußen vor dem Eingange die Stimme Kasimirs:

»All devils! Was sind das für Pferde hier? Wer ist angekommen?«

»Weiß es nicht,« antwortete die Stimme des Verwalters, welcher mit den beiden Vettern von dem Schuppen zurückgekehrt war.

»Zwei Rapphengste mit roten Nüstern und dem Vollblutswirbel in der Mähne! Die kenne ich, die kenne ich, und auch die Reiter, denen sie gehören. Indianisch aufgeschirrt! Es stimmt, es stimmt! Welch eine Freude! Genau so wie bei Timpes Erben! Kommt herein, kommt schnell herein; Ihr werdet die zwei größten, die zwei berühmtesten Männer des Westens sehen!«

Er kam in langen Schritten, welche beinahe Sprünge genannt werden konnten, in das Innere des Gebäudes. Has und der Verwalter folgten ihm. Sein Gesicht glänzte vor freudiger Aufregung. Als er den Apatschenhäuptling und dessen weißen Freund und Blutsbruder erblickte, schoß er förmlich auf sie zu, streckte ihnen bewillkommnend beide Hände entgegen und rief:

»Ja, sie sind's, sie sind's; ich habe mich nicht geirrt! Was für eine Freude das für mich ist, was für eine große Freude! Gebt mir eure Hände her, Mesch'schurs, daß ich sie euch drücken kann und –«

Er hielt mitten im Satze inne, ließ die Hände sinken, trat einen Schritt zurück und fuhr weniger laut und in entschuldigendem Tone fort:

»Ich bitte um Verzeihung, Mister Shatterhand und Mister Winnetou! Die Freude hat mich konfus gemacht. Leute, wie ihr seid, schreit man nicht in dieser Weise an, sondern man wartet bescheiden, bis man sieht, daß sie sich herablassen wollen, von einem Notiz zu nehmen.«

Da hielt ihm Old Shatterhand seine Rechte hin und antwortete mit einem freundlichen Lächeln:

»Wir haben uns gar nicht herabzulassen, Mister Timpe. Hier im Westen stehen alle ehrlichen Männer einander gleich. Hier ist meine Hand. Wenn Ihr sie drücken wollt, so thut es ganz nach Belieben.«

Kas ergriff sie, schüttelte sie aus Leibeskräften und rief dabei entzückt:

»Mister Timpe, Mister Timpe nennt Ihr mich? Ihr kennt mich also noch? Ihr habt mich nicht vergessen, Sir?«

»Man vergißt nicht so leicht einen Mann, mit dem man solche Dinge erlebt hat, wie wir beide damals mit Euch und Euern Gefährten.«

»Ja, ja, das war eine ungemein dicke Tinte, in welcher wir dazumal steckten. Wir sollten ausgelöscht werden, vollständig ausgelöscht; Ihr habt uns aber herausgeholt. Das werde ich Euch nie vergessen, niemals, darauf könnt Ihr euch verlassen. Wir haben noch vorhin erst von diesem Abenteuer gesprochen. Wird auch Winnetou, der große Häuptling der Apatschen, mir erlauben, ihn zu begrüßen?«

Der Gefragte gab ihm die Hand und sagte in seinem ernsten und dabei doch so milden Tone:

»Winnetou heißt seinen weißen Bruder willkommen und bittet ihn, sich mit hierher zu ihm zu setzen.«

Da stand der Engineer auf, kam herbei, verbeugte sich sehr höflich und sagte:

»Verzeiht mir die Freiheit, die ich mir nehme, Gentlemen! Ihr dürft nicht hier sitzen, sondern ich lade euch ein, mit hinüber an unsern Tisch zu kommen, der nur für Beamte und hervorragende Personen reserviert ist.«

»Beamte und hervorragende Personen?« antwortete nun Old Shatterhand. »Wir sind weder Beamte, noch bilden wir uns ein, über andre emporzuragen. Ihr habt soeben gehört, daß hier im Westen alle ehrlichen Männer einander gleichstehen. Wir sagen Euch Dank für die Einladung, bitten aber, hier bleiben zu dürfen.«

»Ganz wie Ihr wollt, Sir. Wir hätten nur so gern die Ehre gehabt, mit so berühmten Westmännern einen guten ›drink‹ thun und uns mit ihnen unterhalten zu dürfen.«

»Der Unterhaltung werden wir uns nicht entziehen. Ich vermute, daß Ihr Beamter dieser Bahnstrecke seid?«

»Ich bin der Engineer; hier seht Ihr meinen Aufseher und meinen Verwalter, und dort sitzt der Scout, den wir engagiert haben für unsre Sicherheit zu sorgen.«

Er zeigte bei diesen Worten mit der Hand auf die Personen, welche er nannte. Old Shatterhand warf einen sehr kurzen, ganz unauffälligen aber dabei doch scharf forschenden Blick auf den Mischling und fragte dann:

»Ein Scout für eure Sicherheit? Wie heißt der Mann?«

»Yato Inda. Er hat einen indianischen Namen, weil er von einer roten Mutter stammt.«

Der weiße Jäger musterte den Mestizen mit einem längern, schärfern Blick und wendete sich dann mit einem so leisen »Hm!«, daß nur der Apatsche es hörte, ab. Was er dachte, das war seinem Gesichte nicht anzusehen. Der Häuptling aber schien Grund zu haben, nicht ebenso zu schweigen; er wendete sich direkt an den Scout:

»Mein Bruder mag mir erlauben, ihn anzureden! jedermann muß hier vorsichtig sein, und wenn zur Sicherheit dieses Camps ein Scout notwendig ist, so muß es Feinde geben, welche das Lager bedrohen. Wer sind diese Leute?«

Der Mestize antwortete zwar höflich, aber doch nicht so zuvorkommend, wie es einem so berühmten Manne gegenüber geboten war:

»Es scheint, daß den Komantschen nicht zu trauen ist.«

Winnetou machte mit dem Kopfe eine horchende Bewegung, als ob er jedes Wort des Sprechenden besonders abschätzen wolle. Auch nach erhaltener Antwort wartete er noch mehrere Sekunden, wie in sich hinein lauschend; dann fuhr er fort:

»Hat mein Bruder einen Grund, diesen Verdacht zu hegen?«

»Einen eigentlichen, wirklichen Grund nicht; es ist nur eine Vermutung.«

»Mein Bruder heißt Yato Inda. Yato heißt ›gut‹ und ist der Navajosprache entnommen, Inda heißt ›Mann‹ und gehört der Apatschensprache an. Die Navajos sind auch Apatschen, und so vermute ich, daß die rote Mutter meines halbfarbigen Bruders eine Apatschin gewesen ist.«

Dem Mischling war diese Frage sichtlich unangenehm; er versuchte, um die Antwort herumzukommen, indem er in abweisendem Tone erwiderte:

»Ich habe noch nie gehört, daß der große Winnetou neugierig sei. Wie kommt es, daß er sich heut um eine unbekannte Indianer-Squaw bekümmert?«

»Weil sie deine Mutter ist,« erklang es fest und scharf aus dem Munde des Häuptlings. »Und weil, wenn ich mich hier befinde, ich wissen will, was für ein Mann für die Sicherheit dieses Ortes zu sorgen hat. Welchem Stamme gehörte deine Mutter an?«

Bei diesem Tone und bei dem großen, offenen Auge, mit dem Winnetou ihn anleuchtete, konnte der Scout nicht schweigen. Er antwortete:

»Zum Stamme der Pinal-Apatschen.«

»Und von ihr hast du das Reden gelernt?«

»Natürlich, ja.«

»Ich kenne alle Sprachen und Dialekte der Apatschen. Sie sprechen viele Laute mit Zunge und Kehle zugleich aus, zu denen du nur die Zunge nimmst, genau so, wie die Komantschen es machen.«

Da fuhr der Mestize auf:

»Willst du damit etwa sagen, daß ich der Sohn einer Komantschin sei?«

»Und wenn ich dies behauptete?«

»Eine Behauptung ist noch kein Beweis. Und wenn meine Mutter eine Komantschin gewesen wäre, so folgt daraus noch lange nicht, daß ich es mit den Komantschen halte.«

»Allerdings nicht; aber kennst du Tokvi-Kava, den ›schwarzen Mustang‹, welcher der grimmigste Häuptling der Komantschen ist?«

»Ich habe nur von ihm gehört.«

»Er hatte eine Tochter, welche die Squaw eines Bleichgesichtes wurde; sie starben beide und hinterließen einen halbblütigen Knaben, welcher von dem ›schwarzen Mustang‹ in größter Feindschaft gegen die Weißen erzogen wurde. Dieser Knabe wurde einst von einem Gespielen mit dem Messer in das rechte Ohr geschnitten. Wie kommt es, daß du wie ein Komantsche sprichst und einen Schlitz in demselben Ohre hast?«

Da sprang der Scout in die Höhe und rief zornig aus:

»Diesen Schnitt verdanke ich grade der Feindschaft der Komantschen; ich habe ihn im Handgemenge mit ihnen bekommen. Wenn du daran zweifelst, fordere ich dich auf, mit mir zu kämpfen.«

»Pshaw!«

Nur dieses eine Wort sagte Winnetou in unbeschreiblich nachlässigem Tone; dann wendete er sich ab und griff zu dem Ingwerbier, welches der Wirt soeben brachte.

Wie gewöhnlich auf so unliebsame Scenen, folgte eine tiefe Stille, ehe an den beiden Tischen das Gespräch wieder aufgenommen wurde. Nachher erkundigte sich der Engineer, ob Old Shatterhand und Winnetou die Absicht hätten, im Camp zu übernachten, und als er eine bejahende Antwort erhielt, bot er ihnen seine Wohnung an und unterstützte seine Gastlichkeit mit dem Hinweise:

»Den beiden vor euch gekommenen Gentlemen hat der Shopman ihr Lager bei sich angewiesen; da gibt es keine Plätze mehr. In der Nässe draußen werdet ihr doch nicht schlafen. Und hier im Schuppen, bei den schnarchenden, unreinlichen Chinamännern? Keineswegs! Wir haben uns Chinesen aus dem Westen verschreiben müssen, weil wir keine weißen Arbeiter finden konnten und weil sie billiger und auch weit leichter in Zucht zu halten sind als das Gesindel, auf welches wir sonst angewiesen gewesen wären. Sagt, Sir, ob Ihr meine Einladung annehmen wollt!«

Old Shatterhand warf einen fragenden Blick auf Winnetou, sah, daß dieser leise bejahend den Kopf neigte, und antwortete:

»Ja, wir nehmen sie an, vorausgesetzt, daß auch unsre Pferde eine gute und sichere Unterkunft hier finden können.«

»Die finden sie. Wir haben die Pferde der beiden andern Gentlemen auch schon in Verwahrung genommen. Wollt ihr meine Wohnung vielleicht einmal ansehen?«

»Ja, zeigt sie uns! Es ist immer gut, den Ort, an welchem man die Nacht zubringt, vorher zu kennen.«

Winnetou und Old Shatterhand nahmen ihre Waffen und folgten dem Engineer nach einem nicht sehr entfernt liegenden, niedrigen Gebäude, dessen Wände aus Stein gemauert waren, weil es nicht Interimszwecken dienen, sondern später die Wohnung der Brückenwache bilden sollte. Der Beamte öffnete und brannte, als sie eingetreten waren, ein Licht an. Es gab da einen Herd, einen Tisch, einige Stühle und außer verschiedenen Geräten und Geschirr eine breite Lagerstätte, auf welcher es an Platz nicht fehlte. Die beiden Gäste drückten ihre Zufriedenheit aus und wollten gehen, um nun auch ihre Pferde unterzubringen. Da meinte der Engineer:

»Wollt ihr nicht eure Sachen gleich hier lassen? Warum die Decken und Gewehre unnötigerweise mit herumtragen?«

Es war kein Grund vorhanden, ihm unrecht zu geben. Die Mauern waren stark und die Fenster so klein, daß kein Mensch einsteigen konnte; die aus starkem Holze hergestellte Thür hatte ein gutes Schloß, und die genannten Gegenstände schienen also hier ganz sicher aufbewahrt zu sein; sie wurden also hier gelassen, und dann brachte man die Pferde nach dem Schuppen, wo schon diejenigen der beiden Timpe standen. Sie erhielten Wasser und Futter, und dann fragte Old Shatterhand, ob nicht, unvorhergesehener Fälle wegen, ein Arbeiter hier wachen könne. Die Pferde hätten hohen Wert, und ihr Verlust würde fast unersetzlich sein. Der Engineer versprach, für einen Wächter zu sorgen, und dann kehrte man nach dem Shop zurück.

Unterwegs erklärte er, daß sie auch in Beziehung auf das Nachtessen seine Gäste sein möchten und fügte dann hinzu:

»Ich werde also heut abend mit euch und nicht mit meinen Leuten speisen, zumal euch einer derselben, nämlich der Scout, nicht gefallen zu haben scheint. Sagt einmal, Mister Winnetou, habt Ihr Grund, ihm zu mißtrauen?«

»Winnetou thut und sagt niemals etwas ohne Grund,« antwortete der Häuptling.

»Aber er ist stets treu und zuverlässig gewesen!«

»Winnetou glaubt nicht an diese Treue. Mein Bruder wird wohl erfahren, wie lange sie währt. Er nennt sich Yato Inda, den ›guten Mann‹, sein wirklicher Name aber wird wohl lauten Ik Senanda, was in der Sprache der Komantschen soviel wie ›böse Schlange‹ heißt.«

»Gibt es einen Komantschen dieses Namens?«

»Der Mischling, von welchem Winnetou vorhin sprach, heißt so, nämlich der Enkel des ›schwarzen Mustangs‹.«

»Mister Winnetou, Euern Scharfsinn und Euer Urteil in allen Ehren, aber diesmal müßt Ihr Euch irren! Der Scout hat mir so viele Beweise von Treue gegeben, daß ich ihm vertrauen muß.«

»Mein weißer Bruder kann thun, was ihm beliebt; aber wenn Old Shatterhand und Winnetou nachher so sprechen, daß der Scout es hört, so wird alles, was sie sagen, nur zum Scheine sein. Howgh!«

Mit diesem letzteren Worte deutete er an, daß er über das jetzige Thema nichts mehr hören oder sagen wolle.