Der Silberbauer - Karl May - E-Book

Der Silberbauer E-Book

Karl May

4,7

Beschreibung

Des Peitschenmüllers dunkle Vergangenheit, die sich im vorigen Band abzeichnete, wirft ihren Schatten auf den hochmütigen Silberbauern. Eng sind die gemeinsamen Untaten der beiden Tyrannen mit der geheimnisvollen Herkunft des Wasserfex verknüpft. Wurzelsepp sorgt für die Klärung der Fragen. Die vorliegende Erzählung spielt in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts. Bearbeitung aus dem 1886/1887 geschriebenen Kolportageroman "Der Weg zum Glück". Fortsetzung von Band 66 "Der Peitschenmüller". Weitere Teile: Band 68 "Der Wurzelsepp" Band 73 "Der Habicht" Band 78 "Das Rätsel von Miramare"

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KARL MAY’s

GESAMMELTE WERKE

BAND 67

DER SILBERBAUER

Zweiter Band der Bearbeitung von

Der Weg zum Glück

ROMAN

VON

KARL MAY

Herausgegeben von Roland Schmid

© 1959 Karl-May-Verlag

ISBN 978-3-7802-1567-3

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

1. Der neue Lehrer

Es war ein warmer Junitag.

Draußen im Freien machte sich die Mittagshitze stark bemerkbar, aber im tiefen Wald gab es kühlenden Schatten und von den fließenden Wässern stieg ein sanfter Luftstrom empor, der die Zweige der Waldbäume zu leisem, vertraulichem Flüstern verleitete.

Ein junger Mann schritt quer durch den Wald, und die Art, wie er sich umblickte und zuweilen lauschend stehen blieb, zeigte, dass er sich verirrt hatte.

Er war städtisch, aber nicht übermäßig fein gekleidet, und an der linken Seite hing eine kleine Tasche, wie man sie zu tragen pflegt, wenn man sich auf einer Wanderung nicht mit überflüssigen Dingen belasten will.

Eben jetzt hemmte er wieder den Schritt. Er hatte etwas gehört, was wie der Laut einer menschlichen Stimme geklungen hatte. Und nun vernahm er deutlich den Lockruf:

„Matz, Matz, lieber Matz, sing noch einmal!“

„Finkferlinkfinkfink!“, erklang ein heller Finkenschlag als Antwort.

„So ists schön! – Machs noch einmal, Kleiner!“

„Finkfink – finkfinkfififififink!“

„Prächtig, prächtig! Bist doch mein Liebling. Hier hast nun auch die Rübsenkörner. Ich hab sie vorher eingequellt, dass d’ dir den Schnabel nicht anstrengen musst.“

Der junge Mann ging versonnenen Schrittes den Tönen nach.

Schon nach kurzem Weg erreichte er eine Waldblöße, die rings von hohen Bäumen umstanden war, unter deren weiten Ästen es grünes Unterholz gab. Dort saß ein grauköpfiger Mann, dessen Gesicht aber nicht zu erkennen war, da er dem Ankömmling den Rücken zugekehrt hatte.

Der Alte trug kurze Lederhosen und war barfuß. Die Jacke lag neben ihm und der Hut darauf. Sein vielgeflicktes Hemd war vom gröbsten Leinenzeug, aber reinlich und schneeweiß gebleicht. Wie es schien, fehlte ihm der linke Arm.

Der junge Mann schritt langsam auf ihn zu und bemerkte, dass ein Fink, der in der Nähe des Alten gesessen hatte, bei seinem Nahen scheu davonflog. Das veranlasste den Alten sich umzudrehen.

„Grüß Gott!“, sagte der Jüngere.

„Grüß Gott auch!“, nickte der Finkenfreund. „Wann der Fink nicht fortgeflogen wär, hätte ich gar nicht gewusst, dass jemand kommt; so einen leisen Schritt hast du.“

„Hoffentlich bist mir nicht bös, dass ich dich störe?“

„Bös? Warum nicht gar? Die liebe Sonn, der Wald, die Luft, das alles hat der Herrgott gemacht, und da hat halt ein jeder das Recht, darinnen zu sein. Aber dich hab ich hier noch niemals gesehn.“

„Ich bin fremd.“

„Wo kommst her?“

„Von der Eisenbahn.“

„So. Da hast zwei Stunden laufen müssen.“

„Über drei. Ich wollt es klug machen und quer durch den Wald gehn, da hab ich mich auf meine Landkarte verlassen und mich grad erst recht verirrt.“

Der Alte blickte mit einer Art drolliger Hochachtung zu ihm auf.

„Soso! Eine Landkarte hast? Da bist wohl gar ein Gelehrter?“

„O nein.“

„Na, ich dachts halt nur. Aber mit den Landkarten ists ein eigen Ding. Wer nach ihnen geht, der verirrtsichoft. Weißt, wo die beste Landkarte gezeichnet ist?“

„Nun?“

„Im Köpferl der Vögel. Die fliegen weit übers Meer hinweg und irren sich doch nie. Und kein Schulmeister hat sie die Geografie gelehrt und keinen Wegweiser können sie lesen. Aber wo willst hin, da du von der Eisenbahn kommst?“

„Nach Hohenwald.“

„Schau, nach Hohenwald! Dort wohn ich auch. Willst jemand besuchen?“

„Ja.“

„So kann ich dir wohl Auskunft erteilen.“

„Zunächst muss ich zum geistlichen Herrn.“

„Den kann ich dir loben. Das ist einer von der rechten Sorte, weißt, nicht so gelehrt und frommtuerisch; einer, der mehr in Taten predigt, als in Worten. Wannst zu dem kommst, so sag ihm einen Gruß von mir!“

„Danke! Aber wenn ich ihn von dir grüßen soll, so muss ich deinen Namen sagen können.“

„Das sollst auch. Ich heiß eigentlich Heinrich Weise; weil man aber hier Heiner dafür sagt und weil ich ein Vogelfreund bin und ganz besonders die Finkerln gern hab, so macht mans kurz und nennt mich halt nur den Finkenheiner. Willst nachher auch noch zu einem andern?“

,Ja, zum Dorfschulzen.“

„Ach so! – Hm!“

Er hustete leise vor sich hin und schwieg.

„Kannst mir da nicht auch Auskunft geben?“

„Es ist besser, wann den ein jeder selber kennen lernt. Nimms mir nicht übel!“

„Warum sollt ichs dir übel nehmen?“

„Ja, du hast ein guts Gesicht. Du kannst mir schon gefallen und – pst, pst! Setz dich doch gleich mal da neben mich her! Da kommt meine Bachstelze. Die war heut noch nicht da und will sich nun ihr Wurmerl holen.“

Wirklich kam eine Bachstelze geflogen und blieb in einiger Entfernung auf einem Stein sitzen. Sie betrachtete die beiden Männer. Der Junge setzte sich schnell zu dem Alten nieder.

„Bist wohl nicht ein Vogelfreund?“, fragte Heiner.

„Oh, ich liebe die Kleinen sogar sehr.“

„Und hast Käfige?“

„Nicht einen. Ich höre ihren Gesang für mein Leben gern, aber frei müssen sie sein. Einen Vogel im Käfig möchte ich nicht haben, selbst wenn er der beste Schlager wäre.“

„Du, da bist mein Mann! Da stimmen wir beide vollständig zusammen. Ich sitz den ganzen Tag hier im Wald und alle Vögerl kennen mich. Ich hab meine ganz besondern Lieblinge; die kommen und holen sich eine Leckerei von mir, ein Wurmerl, eine Fliege, ein Ameiseneierl oder ein Körnchen, je nach dem Geschmack, den ein jedes hat. Pass nur mal auf das Bachstelzerl auf. Es fürchtetsichnoch vor dir, aber ich werds doch herlocken.“

Er hatte nur einen Arm, den rechten. Vor ihm stand eine kleine Schachtel, er öffnete sie mit den Fingern seiner einzigen Hand und nahm einen kleinen Wurm heraus. Dann ahmte er den leisen, kurzen Pfiff nach, den die Bachstelze bei jedem Flügelschlag hören lässt, und hielt dem Vogel den Wurm entgegen. Das kleine, niedliche Geschöpf kam auch wirklich nach kurzem Zögern herbei und fraß ihm den Wurm aus der Hand.

„Hasts gesehn?“, fragte er glückstrahlend.

„Sollte man es für möglich halten!“

„Möglich? Was denkst von diesen Tierlen? – Schau mal hin! Hipp hipp, tipp tipp, jipp jipp und schwipp schwipp ists nun fort. So sauber das Körperchen, ohne Schmutz und Fleck. So ist auch die Seel im Innern. So ein Geschöpf kennt keine Sünd, und vor einem guten Menschen, da fürchtet sichs gar nimmer. Diese kleinen Vögerl sind die Einzigen, denen ich Gutes tun darf. Ich bin arm und kann niemand was geben. Und wann ich auch mehr hätt – von dem Finkenheiner nähm doch keiner was an.“

„Warum?“

„Weil ich ein schlechter Kerl bin.“

„Du? Das glaub ich im ganzen Leben nicht. Wer ein solches Gesicht und ein solches Auge hat wie du, der ist gewiss kein böser Mensch.“

„Meinst?“

„Ja, ganz gewiss.“

In den Augen des Alten schimmerte es. Er gab dem andern die Hand.

„Da sagichdir auch meinen Dank. Du glaubst gar nicht, wie wohl ein solches Wort tut, wann man von allen Leuten verachtet wird.“

„Da tut man dir unrecht.“

„Das sag ich auch, aber niemand glaubts.“

„So hast wohl mal einen Fehler begangen?“

„Ja.“

„Ah! Und den will man dir nicht vergeben?“

„Du hasts erraten. Weißt, als meine Tochter krank darniederlag, da wollte sie essen und hatte nix. Und auch der Bub weinte vor Hunger. Ich kriegte nix mehr geborgt, und wo ich bat, da wurde ich abgewiesen, weil ich nicht aus dem Dorf stamme. Da bin ich in meiner Not bei dem Schulzen in den Keller gestiegen und hab mir einen Sack Kartoffeln holen wollen. Er hat mich erwischt, weil ich zum Stehlen kein Geschick gehabt hab. Dann bin ich ins Gefängnis kommen, und alsichwieder frei war, da steckten die beiden Kinder im Gemeindehaus. Seit dieser Zeit gelt ich halt für einen Spitzbuben und nur die Waldvögerl halten mich noch für einen Ehrlichen.“

„Auch ich halte dich für einen guten Menschen. Hier hast du meine Hand nochmals darauf, undichwill es dir auch beweisen. Ich habe eine Bitte. Einem andern würdeichsie nicht sagen, dazu bin ich zu stolz.“

„Sage sie nur heraus!“

„Ich hab Hunger.“

Der Alte machte eine Bewegung freudiger Überraschung. Seine Augen leuchteten auf.

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