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Sie gehörte zu den schillerndsten und beliebtesten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens des 18. Jahrhunderts. Franziska von Hohenheim war 13 Jahre lang die offizielle Mätresse von Herzog Carl Eugen von Württemberg, bevor sie 1785 rechtmäßig zur Ehefrau des Herzogs ernannt werden konnte. Ihr Wirken ist unlängst zur Legende stilisiert und ihr Einfluss auf den verhassten Willkürherrscher Carl Eugen gilt noch heute als unermesslich. In der "Der staatsgefährliche Kuss" setzt Utta Keppler der berühmten Herzogin ein literarisches Denkmal. -
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Seitenzahl: 69
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Utta Keppler
SAGA Egmont
Der staatsgefährliche Kuss. Eine Erzählung um Franziska von Hohenheim.
Copyright © 1973, 2018 Utta Keppler und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788726024654
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach
Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
Im Saal zittert die Luft. Flimmernde Kerzenflammen zucken vor den hellen Wänden. Aber von den glatten Flächen ist nicht mehr viel sichtbar, die Girlanden aus farbigem Stuck, die goldbordierten Schnörkel, die zartblauen Schatten in den Ecken — das gibt eine Atmosphäre von unstetem Flackern und Flirren: Rosa und mattes Gelb, Lila, Meergrün und Gold schimmern wie das Herz einer Perlmuschel.
An den Hufeisentafeln, die von Damast und Silber glänzen, neigen sich die Fächer, als regten viele Schmetterlinge ihre Flügel; aus dem Hintergrund tönt leise Musik, hebt sich lauter über das Stimmengewirr und ebbt wieder ab.
Im Bogen des größten Hufeisens sitzt die Herzogin Franziska. Ihr schwerfallendes weißes Rüschenkleid bauscht sich um die Hüften wie die Blätter einer aufgefalteten Blüte. Aus der zierlichen Taille steigt kelchartig das Mieder mit den blassen Schultern und dem schmalen Hals. Ihr Gesicht ist gerötet, sie lächelt warm und fraulich. Auf dem leicht gepuderten Haar trägt sie ein feines Spitzengeriesel, an den Ohren Rubintropfen. Karl Eugen sitzt schwerfällig neben ihr, seine Adlernase ist blank, die Stirn mit glitzernden Tropfen bedeckt. Er hält seinen Pokal vors Licht, sieht hindurch, kneift die Augen zu und winkt einem Diener. Das Glas wird gefüllt, die Gäste drehen sich aufmerksam dem Herzog zu. Franziska hebt erwartungsvoll den Kopf, Karl Eugen nimmt ihre Hand in seine rundliche Rechte, dann steht er unsicher auf, das Podagra setzt ihm zu.
»Liebwerte teure Geladene!« sagt er, »Exzellenzen und Herren, verehrte Damen, ersparet mir gütig die mehreren Anreden for diesmal! Wir haben zur Hoftafel geladen, da Wir mit heutigem Tage, dem zehnten Januar siebzehnhundertsiebenundachtzig, die Freude haben, den Geburtstag Ihrer Hochfürstlichen Durchlaucht, der Frau Herzogin, zu feiern. Wir wollen die festliche Stunde nicht vorübergehen lassen, ohne laut zu machen, wie glücklich Wir sind an der Seite Unserer lieben und getreuen Frau, Unseres guten Engels und besseren Ichs! Somit trinken Wir auf dieses Unser Glück und bitten die Gäste, mit Uns einzustimmen in Unseren großen Dank!«
Er verbeugt sich gegen Franziska.
»Auf dich, Franzele!« sagt er leiser und trinkt.
Die Herzogin wird tiefrot, sie neigt den Kopf und sieht dann mit nassen Augen zu Karl auf. Man erhebt sich und leert die Gläser.
Das Galadiner wird aufgetragen, Kapaunen und Wild, Pasteten und Konfekt, Weine in Kristallkaraffen. Die Minister und Würdenträger halten ihre angekündigten Reden; der holländische Gast, Exzellenz Pembroek, überreicht Franziska ein Etui mit einem kostbaren Smaragdarmband. Karl beobachtet jeden einzelnen scharf und rückt manchmal ungeduldig an seinem Teller herum; Franziska sitzt wohlig zurückgelehnt; die eigentliche Gratulationscour, die Spiele und Lieder des Landvolks, Armenspeisung und Festpredigt — das alles ist am Vormittag an ihr vorbeigebraust wie ein bedrängender, fast peinigender Schwall, dem sie standhalten mußte. Sie spielt mit ihrem Spitzenumhang und hört kaum zu.
Karl unterbricht den Kommandanten Seeger, der noch einmal — wie schon morgens — für seine Hohe Karlsschule spricht. »Man hole das Corps de Ballet!« ruft der Herzog.
Seeger setzt sich mit einer Verneigung.
Die Köpfe wenden sich jetzt dem Saaleingang zu. Die Musik beginnt, ein Diener öffnet die Türflügel. Da weht eine flüchtige zartgelbe Wolke heran, kreiselnde Röcke, winzige spitze Ballettschuhe, toupierte Puderfrisuren. Die Mädchen sind schlank, alle in den gleichen safranfarbenen Tüll gekleidet, die Wangen rosig geschminkt, die Lippen rot, die Augen dunkel umrandet. Sie wallen in einer einzigen Bewegung zum tiefen Knicks hinunter und wieder empor, dann teilen sich die Reihen, der Tanzmeister, mit Zopf und schwarzem Seidenfrack, hebt den Taktstock und dirigiert aus einer Ecke, selber tänzelnd und schmunzelnd, ein faltiger, aufgeputzter Mann mit bräunlicher Haut. Die Musik schwelt zitternd über dem wogenden Schwarm, Franziska nickt, ein kaum bewußtes Unbehagen streift sie, fragend schaut sie zu Karl hinüber, der kritisch und wach jede Bewegung verfolgt. Die Demoiselles der École sind Kinder aus guten Häusern, es gilt als Auszeichnung, aufgenommen zu werden; daß man die Töchter zu Tänzerinnen dressiert, gehört zu Karls neuen reformerischen Allüren; er hat vorher viel Geld für sein französisches Ballett gebraucht.
Unter den Mädchen, die vor schüchternem Eifer glühen, fällt der Herzogin eine blasse Dunkle auf, die ihre Augen fast immer gesenkt hält. Das hochgepuffte Haar sitzt straffer als das der anderen, die starkgebaute Stirn gibt ihr etwas Unweibliches, aber der kleinlippige Mund macht sie kindlicher als sie ist. Franziska denkt es, noch ehe ihr klar wird, wo sie dieses gepreßte schädelhohe Gesicht schon gesehen hat.
Die Reihe schwebt heran, die Tanzenden halten sich an den Händen, die Dunkle ist jetzt ganz nah an der Tafel, da schwankt sie. Ihre Augen springen das strahlende Paar an, Angst, Ratlosigkeit, Verzweiflung … ihre Hand fährt wie gestoßen ans Tischtuch, daß der Damast sich faltet, die zerbrechliche Leuchtergruppe fällt um, Schüsseln klirren, etwas Warmes rinnt Franziska über den Rock, Äpfel kullern auf dem Parkett.
Der Herzog ist aufgestanden. Sein scharf geprägter Kopf ragt über das Gedränge der erschreckten Gäste. Die Damen kreischen, die Männer Springen auf, ratlos drücken sich die Erschrockenen gegen Tisch und Wand. Karl faßt nach dem umgefallenen Leuchter. Das Porzellan ist geborsten, die Kerzenflamme hat das Tischtuch angesengt, die Schleifen an den Buketts brennen auf; Franziska schreit. Sie greift nach Karls Arm und reißt ihn zurück.
Der Tanzlehrer treibt seine Truppe hinaus. Zwischen stolpernden, hetzenden Menschen schimmert das Feuer. Der Rauch zieht dünne Schwaden.
Der Herzog nimmt einen riesigen silbernen Weinkühler auf und schüttet das Eiswasser in die zischende Glut; die Karaffe fällt heraus und zerkracht polternd auf den Fliesen.
Endlich sammeln sich auch die Gäste. Lakaien zerren das schwelende Tuch weg, mit Röcken und Handschuhen schlagen die Kavaliere auf den Brand ein und treten die Funken aus. Karl stampft. Mit rollenden Augen sucht er den Ballettmeister; aber der ist längst mit seiner verstörten Schar verschwunden. Alle brechen jetzt auf. Verscheucht drängen sich die Frauen nach dem Ausgang, die Männer drehen sich noch einmal um, verbeugen sich flüchtig, als wollten sie den blamablen Rückzug entschuldigen, Karl schwenkt gereizt den Arm. Endlich ist der Raum leer, nur die Diener kehren und wischen. Franziska steht steif in einem Winkel und wartet auf den Herzog. Er nimmt sie an der Hand, weicher und zärtlicher als während des ganzen Abends. Ein Lakai reißt mit rußigen Fingern die Tür auf. Franziska geht langsam auf ihre Zimmer zu, der Herzog kehrt noch einmal allein in den fremd gewordenen Saal zurück.
In dieser Nacht schneit es unaufhörlich. Die Lakaien schaufeln den Schnee unter der Aufsicht des Hofgärtners, aber das kühle Gewirbel deckt ihre Besenbahnen bald wieder zu. Die Gesimse der Fenster sind geschwollen von den weißen Polstern, die Häuser gebuckelt, die Zäune unkenntlich bemützt und vermummt. Zwischen den Schloßdächern lastet der dunkelgraue Himmel wie Blei, es rieselt in hauchleichten Flocken, als würde ein vergänglicher Schleier herabgelassen; auf dem Pflaster sinkt er zu formloser Ebenmäßigkeit zusammen. Die Dämmerung kommt früh. Über Hohenheim liegt der graurosige Winterabend. Aus den Ladenritzen blinkt das Kerzenlicht; am Hintertor steht ein junger Mann. Sacht klopft er. Drinnen rührt sich nichts. Er klopft lauter. Ein Spalt öffnet sich knarrend, das dicke Gesicht eines alten Dieners schiebt sich in die Lücke.
Der Schüchterne schüttelt den Schnee von den Schultern und tuschelt: »Es ist geheim, Ackermann, keiner soll mich sehen, ich hab beim Orchester keinen Urlaub eingegeben, und der Monsieur Dirigent …«
Der Diener lacht ihn breit an und läßt ihn herein.
»Der Herr Kammercellist kann doch aus- und eingehen wie alle herzoglichen Musici, wenn er sich bei den Durchlauchtigsten Herrschaften melden laßt; der Herr Oberkapellmeister wird’s schon durchgehen lassen.«
»Es soll’s aber niemand wissen! Ich such’ jemand, eine Dame … versteht er denn nicht?«
Er steckt dem Mann ungeschickt ein Geldstück zu; der tritt zur Seite.
»Ich kenn‘ ja den Monsieur Kaufmann; wollen der Herr nicht wenigstens die große Baßgeig’ dalassen?« Kaufmann antwortet nicht; er ist schon an der Treppe.
Franziskas vierzigster Geburtstag war vorbei; aber das Ende war zugleich Vorspiel und Auftakt, in denen schon angelegt war, was sich danach entfaltete.