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Bis heute wird Taiwan von der Volksrepublik China nicht als eigenständiger Staat anerkannt, sondern gilt als "abtrünniger" Teil Chinas. Die politischen Systeme sind sehr unterschiedlich. Peking fordert die Wiedervereinigung, droht mit dem Einsatz "nicht friedlicher Mittel" und führt immer wieder Militärmanöver in der Taiwanstraße durch. Der Konflikt schwelt seit fast acht Jahrzehnten. Seine Vorgeschichte reicht bis in das chinesische Kaiserreich des 19. Jahrhunderts und in die Zeit der chinesischen Republik des 20. Jahrhunderts zurück. Seine strukturelle Ausprägung erhielt er während des Kalten Krieges und überdauerte die großen politischen Veränderungen, die sowohl die Volksrepublik China als auch Taiwan in den 1980er und 1990er Jahren erlebten. Heute ist er eingebunden in eine komplexe internationale Konkurrenzsituation.
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Seitenzahl: 95
Veröffentlichungsjahr: 2025
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1 Zur Einführung
2 Versprechungen und Drohungen
2.1 „Ein Land, zwei Systeme“?
2.2 Souveränität vs. Ein-China-Politik
2.3 Gefährliche Militärmanöver
3 Die historischen Wurzeln des Konflikts
3.1 Das Ende des chinesischen Kaiserreiches
3.2 Die Bürgerkriege der Republik China
3.3 Japan greift erneut nach China
3.4 Taiwan fällt wieder an China
3.5 Zwei chinesische Staaten?
3.6 Containment und Koreakrieg
3.7 Handelsembargo und Wirtschaftshilfe
4 UNO-Resolution 2758
4.1 Isolation der Volksrepublik China
4.2 Albanien an der Seite der Volksrepublik
4.3 Weitere Unterstützer der Volksrepublik
4.4 Eine Resolution mit Folgen
4.5 USA und Volksrepublik: Tauwetter
4.6 Ausschluss aus der UNO?
5 Reformen seit den 1980er Jahren
5.1 Reformen auf Taiwan
5.2 Taiwan als „Tigerstaat“
5.3 Reformen in der Volksrepublik
5.4 Konsens und erneute Krise
5.5 „Fünf Neins“
5.6 Das Antisezessionsgesetz der Volksrepublik
6 Zur Situation Taiwans
6.1 Staatlichkeit und politisches System
6.2 Taiwanesische Selbstwahrnehmung
6.3 Militär
6.4 Unvollständige Isolation
7 Die Haltung der USA
7.1 US-Einfluss vor der chinesischen Küste
7.2 Was wäre wenn …?
7.3 Eine deutliche Aussage Joe Bidens?
7.4 Die USA unter Donald Trump
8 Die Haltung der Volksrepublik
8.1 Ein-China-Politik
8.2 Taiwanfrage als innere Angelegenheit
8.3 Inselketten
8.4 Wirtschaftliche Vernetzungen
9 Die Situation der EU
9.1 Lockerung der Abhängigkeiten?
9.2 Werte der EU?
9.3 Alternativen zum Chinahandel?
10 China und Russland
10.1 Ablehnung von westlicher Einflussnahme
10.2 Militärmanöver
10.3 Chinas Macht und Russlands Stärke
11 Droht eine Eskalation um Taiwan?
11.1 Pulverfass Taiwanfrage
11.2 Drohgebärden oder mehr?
11.3 Ein neuer Stellvertreterkrieg?
12 Quellen
Taiwan wird von der Volksrepublik China nicht als eigenständiger Staat anerkannt, sondern gilt der Regierung in Peking als „abtrünniger“ Teil Chinas. Peking erhebt im Rahmen der sogenannten Ein-China-Politik Anspruch auf Taiwan, fordert die friedliche Wiedervereinigung, droht aber gleichzeitig auch mit dem Einsatz „nicht-friedlicher Mittel“ („non-peaceful means“).1 Vor diesem Hintergrund bewegt sich die Stimmung in der taiwanesischen Bevölkerung und innerhalb der Parteienlandschaft zwischen den Polen einer chinafreundlichen Politik und nationaler Eigenständigkeit. Ebenso beeinflusst die Situation die Selbstwahrnehmung der taiwanesischen Einwohner. Taiwan besitzt seinerseits enge Verbindungen zu den USA, die seit Jahrzehnten die größte Schutzmacht des Landes sind.
Dieses Buch vermittelt grundlegende Informationen zum Verständnis dieses seit fast acht Jahrzehnten schwelenden Konfliktes. Er hat eine Vorgeschichte, die bis in das chinesische Kaiserreich des 19. Jahrhunderts und in die Zeit der chinesischen Republik des 20. Jahrhunderts zurückreicht. Der Konflikt erhielt seine strukturelle Ausprägung in der Zeit des Kalten Krieges. Er überdauerte auch die politischen Reformen, die seit den 1980er Jahren sowohl in der Volksrepublik China als auch in Taiwan für wesentliche Veränderungen gesorgt haben. Heute ist er in eine komplexe internationale Konkurrenzsituation verschiedener mächtiger Akteure eingebettet, weshalb neben den Interessen und Aktivitäten Taiwans, Chinas und der USA auch Russland und die Europäische Union betrachtet werden müssen.
Die Drohgebärden der Volksrepublik China in Form militärischer Manöver um Taiwan herum, haben in den letzten Jahren eine hohe Intensität angenommen, so dass die Gefahr einer Eskalation durchaus besteht. Zusätzlich hat der Taiwan-Konflikt durch den russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 sowie durch die am 20. Januar 2025 begonnene zweite Amtszeit von US-Präsident Donald Trump neue Dynamiken erhalten.
Die Aussage des chinesischen Staatschefs Xi Jinping war deutlich. In seiner Neujahrsansprache zum Jahreswechsel 2024/2025 sagte er:
„Die Landsleute auf beiden Seiten der Taiwan-Straße gehören zu einer Nation. Niemand kann unsere Blutsverwandtschaft verleugnen und niemand kann die historische Strömung der Wiedervereinigung des Mutterlandes aufhalten!“2
Jenseits der Taiwanstraße, einer bis zu 180 km breiten Meerenge, liegt vom Festland aus gesehen die Insel Taiwan. Ihr internationaler Status ist umstritten. Die kommunistische Volksrepublik China sieht sie als abtrünniges Gebiet und weltweit unterhalten nur noch wenige Staaten diplomatische Beziehungen mit der Regierung in der Hauptstadt Taipeh.
Weiter erklärte Xi Jinping in der gleichen Ansprache:
„Wir werden unbeirrt die Richtlinie ‚Ein Land, zwei Systeme‘ umsetzen und eine langfristige Prosperität und Stabilität in Hongkong und Macau aufrechterhalten.“3
Beide sind ehemalige Kolonien. Hongkong war 1997 von Großbritannien und Macau 1999 von Portugal an die Volksrepublik zurückgegeben worden. Sie sind Sonderverwaltungszonen auf Grundlage von Art. 31 der chinesischen Verfassung4 und besitzen innenpolitisch autonome Rechte. Ihre Wirtschaft boomt und beide Zonen sind sogar Mitglieder der World Trade Organization (WTO).5
Doch in Hongkong gilt das ehemals liberale gesellschaftspolitische System sowie die Demokratiebewegung durch die chinesische Staatsmacht als zerschlagen. Prosperität und Stabilität in Pekings Sinne sind durchaus vorhanden. Aber Liberalismus und Demokratie scheinen nicht durch die Formel von zwei Systemen in einem Land abgedeckt zu sein.
In Macau verlief die gesellschaftspolitische Entwicklung nach der Rückgabe anders. Denn hier scheint man sich mit dem chinesischen politischen System relativ schnell arrangiert zu haben.6
Taiwan ist ebenfalls eine ehemalige Kolonie und wurde 1945 von Japan an China zurückgegeben – doch nicht an die Volksrepublik, sondern an die Republik China. Die Republik ging nur wenige Jahre später auf dem Festland in einem Bürgerkrieg zwischen kommunistischen Truppen und den sogenannten nationalchinesischen Truppen der Kuomintang unter Chiang Kai-shek (1887 – 1975) unter. Die Kommunisten siegten. Nachfolger der Republik wurde die von Mao Zedong (1893 – 1976) am 1. Oktober 1949 ausgerufene Volksrepublik China.
Hier beginnen die Schwierigkeiten, die die Taiwanfrage bis heute zu einem brisanten Konflikt machen. Denn Chiang Kai-shek floh mit seinen Truppen nach Taiwan, sah sich in der Kontinuität der Republik China und dementierte den Herrschaftsanspruch der Volksrepublik. Die Insel entwickelte sich unter ihm zunächst zu einer Militärdiktatur, ab den 1980er Jahren aber zu einer liberalen Demokratie.
Auch an die Regierung in der Hauptstadt Taipeh ist bereits das Angebot der Volksrepublik einer Wiedervereinigung unter der Richtlinie „Ein Land, zwei Systeme“ ergangen. Doch das Beispiel Hongkongs vor Augen, ist sie für taiwanesische Politiker keine glaubwürdige Option. Die ehemalige taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen (2016 – 2024) erklärte 2019, dass man „Ein Land, zwei Systeme“ nicht akzeptieren werde.7 Doch es ist gerade Taiwan, dass nach der Rückkehr Hongkongs und Macaus in der Propaganda der Regierung in Peking fehlt, um die seit dem 19. Jahrhundert eingebüßte Einheit der Nation wieder herzustellen.8
Die Volksrepublik China erkennt Taiwan nicht als souveränen Staat an, obwohl es alle Eigenschaften der klassischen Staatsdefinition – die Existenz eines Staatsgebiets, eines Staatsvolks und einer Staatsgewalt –9 besitzt. Das Gebiet ist 35.980 km2groß, die Bevölkerung umfasst 23,6 Mio. Einwohner und das politische System ist das einer semipräsidentiellen Republik mit fünfteiliger Gewaltenteilung. Doch die Volksrepublik verfolgt – u. a. gestützt auf einen UNO-Beschluss von 1971 – die Ein-China-Politik, nach der es nur „ein einziges“ China gibt, das sie mit sich selbst identifiziert. Taiwan sei „unveräußerlicher Teil des chinesischen Territoriums“.10
Selbst die USA unterhalten zur Inselrepublik keine offiziellen diplomatischen Beziehungen mehr und haben sich der Ein-China-Politik angeschlossen [→ Kap. 4.5]11 – obwohl sie nach wie vor die wichtigste Schutzmacht Taiwans sind. Doch mit Blick auf das wirtschaftlich nicht unbedeutende und strategisch wichtige Taiwan ist die US-Politik bewusst ambivalent und unklar gehalten. Denn die USA und zahlreiche andere Länder haben die Ein-China-Politik zum Missfallen Pekings variiert. Zwar unterhalten sie keine offiziellen, dafür aber zahlreiche informelle Kontakte mit Taipeh auf politischer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, kultureller, touristischer und auch auf militärischer Ebene.
Die Volksrepublik China ist ihrerseits an der Vergrößerung ihres eigenen Einflusses auf die Insel und an der Isolation Taiwans interessiert. Die taiwanesische Durchbrechung der Isolation durch informelle oder halbdiplomatische Kontakte zu anderen Staaten erwecken ein ums andere mal empörte diplomatische Proteste und militärische Drohungen auf Seiten der Pekinger Führung.12
Das zeigt aber auch, dass Taiwan de facto nicht völlig isoliert ist. Ebenso ist es in wenigen internationalen Organisationen vertreten, allerdings nicht unter dem Namen Taiwan oder unter seiner offiziellen Selbstbezeichnung als „Republik China“. Denn dies würde auf umgehenden Widerspruch der Volksrepublik stoßen, da die Namen als Eigenständigkeit und Abspaltung des Gebiets von „dem einen China“ interpretiert werden können.
Beispielsweise ist Taiwan unter zusätzlicher Nennung der von ihm in der Taiwanstraße beanspruchten Inselgruppen am 1. Januar 2002 als „Separate Customs Territory of Taiwan, Penghu, Kinmen and Matsu (Chinese Taipei)“ der World Trade Organization (WTO) beigetreten.13 Die Volksrepublik China, deren Beitrittsgespräche parallel zu denen Taiwans liefen, hatte diesem Kompromiss zustimmen müssen. Sie war nur wenige Tage zuvor – am 11. Dezember 2001 – selber der WTO beigetreten. Unter dem Namen „Chinese Taipei“ ist die Inselrepublik seit 1999 auch Mitglied der Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC).14
Die Namensgebung „Chinese Taipei“ ist ein Kompromiss, das auf dem Adjektiv „chinese“ fokussiert. Denn „chinesisch“ muss nicht unbedingt die Zugehörigkeit zu einem Staat ausdrücken, sondern kann auch kulturell interpretiert werden. Die Regelung wurde 1979 ursprünglich vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) für die Teilnahme taiwanesischer Sportlerinnen und Sportler an den Olympischen Spielen entwickelt. Seither wird sie aber auch für andere Zwecke übernommen.
Vor allem der Schutz der USA ist es gewesen, der es Taiwan bis heute ermöglicht hat, direkt vor der Küste der kommunistischen Volksrepublik China mit einem anderen politischen System als diese zu überleben: Zunächst als nicht-kommunistische (!) Militärdiktatur unter Chiang Kai-shek (1887 – 1975) und in Folge der demokratischen Reformen ab 1987 als stabile, liberale Demokratie. Wie sich die Beziehungen zwischen den USA und der Volksrepublik China, sowie zwischen den USA und Taiwan während der aktuellen zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump entwickeln werden, muss international aufmerksam beobachtet werden [→ Kap. 7.4].
Immer wieder ist es in den vergangenen Jahrzehnten zu militärischen Drohungen der Volksrepublik China gegenüber Taiwan gekommen. Noch in unguter Erinnerung ist das große chinesische Militärmanöver, das aus Protest gegen den im August 2022 erfolgten Taiwan-Besuch Nancy Pelosis durchgeführt wurde.15 Sie war damals Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses und damit eine offizielle Vertreterin der USA. Da die Taiwanstraße ein wichtiger Seeweg ist, hatten die Manöver auch Auswirkungen auf den Schiffsverkehr. Während pro Tag etwa 250 Schiffe die Meerenge durchqueren, sank die Zahl während der Manöver auf maximal 20 Schiffe. Das beeinträchtigte Handelsrouten und Lieferketten.16
Auch Cyberattacken müssen in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Wie das Global Taiwan Institute im März 2024 berichtete, sind Cyberangriffe chinesischer Hacker in den letzten 20 Jahren angestiegen. Alleine zwischen dem 11. und 12. Januar 2024 seien über 4.300 Angriffe chinesischer Hacker auf taiwanesische Regierungsbehörden, Finanzinstitute und Justizbehörden registriert worden.17 Nur einen Tag später, am 13. Januar, fanden die taiwanesischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt.
Im Dezember 2024 spitzte sich die militärische Situation in der Taiwanstraße und rund um die Insel erneut gefährlich zu: China setzte bei einem Manöver 90 Kriegsschiffe und 47 Flugzeuge als Drohkulisse ein.18 Grund für diese Aktionen war vermutlich die diplomatische Reise des amtierenden taiwanesischen Präsidenten Lai Ching-te, vor dessen Amtsantritt am 20. Mai 2024 es ebenfalls zu chinesischen Manövern gekommen war.19 Anfang Dezember hatte er offiziell die Marshall-Inseln, Tuvalu und Palau besucht. Sie alle sind nicht nur eigenständige Staaten, sondern haben Taiwan sogar anerkannt.
Lai Ching-te legte auf seiner Reise ebenfalls Stopps auf Hawaii und Guam ein. Hawaii ist US-Bundesstaat, Guam US-Außengebiet. Kurz darauf, am 9. Dezember, empfing der taiwanesische Präsident eine US-Delegation zu wirtschaftlichen und politischen Gesprächen, die von Oklahomas Gouverneur Kevin Stitt angeführt wurde.20
Und am 27. Februar 2025 meldete Taiwan erneut eine Zunahme militärischer Aktivitäten der Volksrepublik vor der Insel. Dabei seien 45 Militärflugzeuge und 14 Kriegsschiffe zum Einsatz gekommen.21