Die Hexe aus dem Remstal - Martin Schneider - E-Book

Die Hexe aus dem Remstal E-Book

Martin Schneider

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Beschreibung

Thomas, ein junger Mann aus Berlin kommt unverhofft zu einem kleinen Vermögen. Er erfüllt sich einen Traum und kauft sich ein kleines Grundstück, in einem Dorf an der Rems. Er freundet sich mit seiner Nachbarin an und stellt bald darauf fest, dass sie ein Geheimnis hat. Ist sie eine Hexe? Gibt es in unserer Gegenwart Hexen? Was unterscheidet sie untereinander? Zu was sind sie fähig?Thomas begibt sich auf die Suche nach Erkenntnis und erlebt hautnah die Magie der Hexen in unserer Zeit. Muss er am Ende sein Wissen mit dem Leben bezahlen?

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Seitenzahl: 540

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Martin Schneider

Die Hexe aus dem Remstal

Roman Nr. 1

Martin Schneider

Die Hexe aus dem

Remstal

Gegenwartsmythologie aus

Deutschland

Roman

Impressum

Texte: © 2023 Copyright by Martin Schneider

Umschlag:© 2023 Copyright by Martin Schneider Bild von Enrique Meseguer auf Pixabay

Verantwortlich

für den Inhalt:Martin Schneider

Heinrich-Heine-Str. 15

17153 Stavenhagen

[email protected]

Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Berlin im Sommer 2001

Die Luft ist zum Ersticken heiß, die Straßen sind staubig und der Asphalt brennt förmlich. Es ist Anfang August und seit einigen Wochen ist die Hitze so unerträglich. Thomas lenkt den, mittlerweile in die Jahre gekommenen, Transporter auf den firmeneigenen Parkplatz. Nur noch die Lieferscheine ausfüllen und das Fahrtenbuch für heute beenden. Feierabend! Der Parkplatz ist nun voll, das heißt, die Kollegen sind alle schon fertig. Irgendwas macht Thomas falsch! Er fragt sich, wie machen sie das nur? Bekommen sie weniger Arbeit, weil sie so viel herumjammern? Er sollte auch mehr jammern, dann würde er bereits mit einem kühlen Bier auf dem Balkon sitzen. Im Sommer ist der Balkon sein Lieblingsplatz. Hier hat er eine unverbaute Sicht auf ein großes, brachliegendes Feld und er kann nach Feierabend, mit einem kühlen Bier, den Tag zu Ende gehen lassen.

Egal! Er öffnet langsam die Tür zum Büro. Keiner ist zu sehen. Thomas hängt den Schlüssel ans Brett und verschwindet, so leise, wie er gekommen ist. Wenn der Chef ihn gesehen hätte, würde er ihn nur wieder aufhalten, denn irgendetwas hat er ja immer.

Seit gut drei Jahren arbeitet er nun in dieser kleinen Spedition. Thomas bekommt immer den ganzen Kleinkram über geholfen. Er fährt auch den kleinsten Transporter. Aber so recht stimmt da was nicht. Es liegt wohl eher daran, dass er der schnellste ist und am fleißigsten arbeitet. Na gut, tot macht er sich hier nicht, aber die Bezahlung ist dem entsprechend auch nicht so doll.

So wird das nie etwas! Irgendwas muss sich ändern! Er will ja auch mal weiterkommen. Thomas ist mittlerweile 32 Jahre alt und hat sich noch nie so recht Gedanken über seine Zukunft gemacht.

Nach dem er, mit seinem Fahrrad die Fünfeinhalb Kilometer nach Hause gefahren ist, sitzt er nun auf seinem Lieblingsplatz. Er lässt den Blick über den Balkon schweifen und denkt zurück an seinen Urlaub. Noch vor einer Woche stand er mit seinem alten Bulli auf einem kleinen verlassenen Parkplatz, irgendwo oberhalb der Schwäbischen Alb. Das Wetter war auch so warm wie heute, aber es war eine andere Hitze. Die Luft war einfach frisch und rein, nicht so stickig wie hier in der Großstadt.

Thomas liebt es durch die Wälder zu wandern. Die deutschen Mittelgebirge haben es ihm angetan. Frische Luft, klare Bäche und schöne Aussichten, wennman nach ein paar Stunden Wandern den Gipfel erreicht hat. Für die Nacht sucht er sich immer einen versteckten Parkplatz irgendwo, abgelegen am Waldrand oder an einem See.

Thomas ist kein Stadtmensch, obwohl er schon immer in Berlin wohnt. Partys, Kneipen oder Diskotheken waren noch nie was für ihn. Lieber will er die Ruhe in der Natur genießen.

Die zwei Wochen Urlaub hatten ihm so richtig gutgetan. Doch nun ist er wieder drin, mitten im Alltag. Wie kann er nur diesem Alltag entfliehen? Die billige Wohnung aufgeben, den Job kündigen und einfach in die Berge ziehen? Wovon sollte er leben? Wo sollte er leben? Ein kleines Grundstück in den Bergen. Schnapsidee! Da wo es schön ist, findet man keine Arbeit. Wovon sollte er so ein Grundstück bezahlen? Alles, was in den letzten Jahren am Monatsende übrig war, ging in den Bulli. Den Transporter hat er vor vier Jahren gekauft. Zu dem Zeitpunkt war der auch schon zehn Jahre alt. Aber es ist ein Typ 3 nicht einer dieser 08/15 Transporter. Liebevoll hat er den Bulli ausgebaut. Mit einer kleinen Küche, einem gemütlichen Bett, Schränken und einer guten Standheizung. Er ist sein ganzer Stolz, sein Weg in die Freiheit, zumindest für die Wochenenden.

Auch in den nächsten Tagen denkt er immer wieder daran aus diesem Alltagstrott auszubrechen. Da er aber keine Lösung findet, rückt der Gedanke immer weiter in den Hintergrund. Die Tage und Wochen vergehen und wie jeden Tag stellt Thomas zum Feierabend seine alte Klapperkiste ab und hängt den Schlüssel ans Brett. Es ist mittlerweile Herbst, die Bäume verlieren langsam ihre Blätter und in den Nächten wird es manchmal schon so richtig kalt.

„Endlich Wochenende!“, ruft Micha, sein Kollege. Er hofft auf ein kurzes Gespräch, kurz vor dem Wochenende.

„Ja, endlich!“, antwortet Thomas. „Und das Wetter passt auch!“

Freitags nimmt Thomas immer den Bulli und lässt das Fahrrad zu Hause. So kann er direkt nach der Arbeit ins Wochenende starten. Meist geht es nur in das nahe Umland, irgendwo an einem See. Irgendwo findet sich immer eine Möglichkeit zum Übernachten.

„Wo geht es denn diesmal hin?“, fragt Micha.

„Nach Bad Saarow, an den Scharmützelsee“, gibt Thomas zurück.

Da Micha aus Fürstenwalde kommt, kennt er den Scharmützelsee, denn der liegt nur 15 Km entfernt. „Wo genau stehst du denn da?“

„Meist in Bad Saarow Strand, aber heute fahre ich nach Dienstdorf. Da ist morgen ein Dorffest. Komm doch auch hin, vielleicht triffst Du ja jemand von Früher.“

„Meine Frau wird mir was husten! Seitdem die mitgekriegt hat, dass da was mit Sybille läuft, passt sie auf wie ein Schießhund!“

„Hat sie Dich erwischt?“

„Nein, aber irgendwas ahnt die. Keine Ahnung, aber Frauen scheinen so was zu riechen. Mach Du dir mal ein schönes Wochenende. Irgendwann wird es Dich auch erwischen, dann ist es vorbei mit der Freiheit!“ Hinter seinem Lachen verbirgt sich die Sehnsucht nach der Zeit als er selbst noch ungebunden war.

Doreen, seine Frau, passt überhaupt nicht in sein Beuteschema. Er hat sie vor fünf Jahren in einer Berliner Diskothek kennen gelernt. Nachdem er zu viel getrunken hatte, wacht er am Morgen danach in ihrem Bett auf. Eigentlich hat er nur eine Mitfahrgelegenheit gesucht.

Viereinhalb Monate später stand sie dann in Fürstenwalde vor seiner Tür, etwas dicker als er sie in Erinnerung hatte. Kurz bevor die Zwillinge kamen, zog er zu ihr nach Berlin und heiratete sie. Michael hat bis dahin nie eine Party verpasst, keine Gelegenheit hat er ausgelassen.

Seine sportliche Gestalt und sein charmantes Selbstbewusstsein wirken wie ein Magnet auf Frauen. Er kennt ihre Schwachstellen und weiß im richtigen Moment die passenden Komplimente einzusetzen.

Nach dreieinhalb Jahren Ehe hat er sich nun auf ein Verhältnis mit Sybille eingelassen. Sie ist eine Kundin, die er drei bis vier Mal in der Woche beliefert. Er teilt es sich immer genau so ein, dass sie gerade Pause hat, wenn er sie beliefert. Meist ist dann Mal eine schnelle Nummer drin. Außerhalb der Arbeit sehen sie sich nie, denn die glücklich verheiratete Sybille ist da cleverer als der notgeile Michael. Schließlich ist sie eine Frau und ihr Ehemann würde nie etwas von ihren kleinen Abenteuern merken.

Thomas sieht Michael noch einen Moment lang hinterher und denkt bei sich, armer Kerl! Obwohl er eine nette Frau und zwei gesunde, liebe Jungs hat ist er so unglücklich. Andere freuen sich auf ihren Feierabend und er freut sich auf die Arbeit, wo er mit den Frauen flirten kann und nicht selten den Hahn im Korb spielt.

Schon im nächsten Augenblick sitzt Thomas in seinem Bulli und steuert ihn direkt in den nächsten Stau, der ihn aus der Stadt herausbringt. Nach gut einer Stunde lässt er endlich die verhasste Stadt hinter sich und der Verkehr wird flüssiger. Der Boxer blubbert hinten ruhig vor sich hin und Thomas gleitet förmlich über die Landstraße.

Jeden Freitag dasselbe Ritual, nur dass er oftmals gar nicht weiß wo er hin will. Hauptsache raus aus der Stadt und hinein in die Natur.

Obwohl das Dorffest erst Sonnabend ist, sucht er sich heute schon einen passenden Parkplatz. Zum Wochenende ist richtig schönes Wetter angesagt. Im Herbst werden es nochmal über zwanzig Grad, das wird auch andere aus Berlin anlocken. Erfahrungsgemäß wird es bei schönem Wetter, an den Wochenenden, rund um den Scharmützelsee immer voll.

Sein Lieblingsplatz ist noch frei. Problemlos parkt er den Bulli vor einer Hecke, die den Strand von den Parkplätzen trennt. Thomas nimmt sich ein Bier aus seiner Kühlbox und schlüpft damit durch die Hecke.

Freitagabend ist der Strand leer. Ein Pärchen sitzt auf einer Bank am anderen Ende. Die Beiden sitzen Arm in Arm gekuschelt und genießen den Abend. Thomas hat nur sein Bier, das er in der Hand hält. Morgenabend ist hier ordentlich etwas los. Vielleicht, so malt er es sich aus, trifft er ja auf eine hübsche Frau. Obwohl er sein Sigle-Leben genießt, sehnt er sich doch nach Zweisamkeit. Er beobachtet noch eine Weile das Pärchen am Strand, bis er das Bier geleert hat. Mit dem nahenden Sonnenuntergang über den Scharmützelsee wird ihm der Anblick zu kitschig. Durch die Dämmerung spaziert er noch durch das Dorf, bis es dunkel ist.

Es ist so ruhig und friedlich hier. In den Häusern gehen langsam die Lichter an und die Wohnzimmer werden durch das zuckende Licht der Fernseher erhellt. Hier, so eines der verfallenen Häuser am Dorfrand kaufen und herziehen. Er malt sich aus, wie er das Haus wieder aufbaut und renoviert. Eine schöne Vorstellung, aber jeden Tag nach Berlin zur Arbeit fahren? Woher sollte das Geld für so ein Haus kommen? Die Preise sind nach der Wende explodiert. Es ist nur eine Träumerei.

Hinter der Kirche dreht er um und schlendert zurück, zu seinem Bulli. Von weiten sieht er ein Auto, dass genau vor seinem steht. Da die Standlichter noch an sind, geht er davon aus, dass es gerade ausgeladen wird. Thomas mag es nicht, wenn die Leute sehen, dass er direkt vor ihrem Haus in seinem Camper schläft. Er wird langsamer aber es passiert nichts. Er nähert sich weiter und hört nun leise Stimmen, aber nicht aus dem Haus gegenüber, sondern aus einer verfallenen Scheune. Die Scheune steht auf einem großen Grundstück, das den Strand nach Süden begrenzt. Das Grundstück ist verwildert und unbewohnt. Am alten Zaun hängt das Schild vom Makler. Dieses große Seegrundstück wird sehr teuer sein und weil der Übergang zum See auch recht sumpfig ist, wird sich so bald kein Käufer finden.

Einen Mann kann er am Zaun sehen, der andere scheint in der Scheune zu sein. Thomas bleibt in sicherer Deckung, hinter der Hecke und beobachtet die Situation weiter. Die beiden Männer verlassen das Grundstück umständlich durch eine Lücke im Zaun. Sie sehen nicht aus, als ob sie hierhergehören. Dunkel gekleidet und auch mit dicken Wollmützen auf dem Kopf, obwohl es nicht gerade kalt ist. Beide schauen sich den Bulli von Thomas genau an und leuchten mit einer Taschenlampe hinein. Es sieht für sie nicht so aus, als ob jemand hier campt. Sie sehen sich noch in der Gegend um und leuchten auch über die Hecke den Strand ab. Thomas duckt sich tiefer und Angst kriecht durch seine Glieder.

Eine unheimliche Stille liegt über dem Dorf, nur die leisen Geräusche der beiden Männer sind zu hören. So eine unheimliche Situation hat Thomas noch nie erlebt. Jetzt klappen nacheinander die Türen der Mercedes E-Klasse, die sehr gut in diese Gegend passt, aber nicht zu den beiden Männern. Leise rollt der Wagen an der Hecke entlang. Thomas rührt kein Glied. Erst, gefühlte fünf Minuten, nachdem das Auto in Richtung Bad Saarow auf die Hauptstraße biegt, richtet sich Thomas langsam wieder auf. Vorsichtig sieht er sich um und schlüpft durch die Hecke auf den schmalen Parkplatz.

Gruselige Stille herrscht über dem Dorf. Thomas schaut sich immer wieder ängstlich um. Er öffnet leise seinen Bulli und nimmt Platz. Was war das jetzt? So was hat er noch nie erlebt. Sein Herz rast immer noch. So langsam sammelt er seine Gedanken und um zu sie begreifen, resümiert er was gerade geschehen ist.

Zwei Männer halten mit einem Auto, das nicht zu ihnen passt, vor einem verlassenen Grundstück. Einer geht in die verfallene Scheue, der andere steht schmiere. Sie haben nichts herausgeholt, also müssen die dort etwas versteckt haben.

Langsam verscheucht die Neugier seine Angst. Nach fast einer Stunde grübeln muss er über sich selbst lachen. Es ist dreiviertel Zehn und er ist müde, doch die Neugier hält ihn wach. In der ganzen Zeit, die nach dieser seltsamen Situation verstrichen ist, war nicht ein Mensch hier zu sehen.

Bevor ihm die Neugier noch umbringt, nimmt er all seinen Mut und die Taschenlampe. Er schleicht sich im Schutz der Dunkelheit zum Loch im Zaun, das auch die Beiden nutzten. Mehrmals sieht er sich um, doch nichts als Stille. Die ersten Lichter in den umliegenden Häusern gehen bereits aus. Nichts ist zu Hören. Kein bellender Hund, keine menschlichen Stimmen, keine lärmenden Kinder, nichts. Er schlüpft durch das Loch, sieht sich vorsichtig um und schleicht weiter zur Scheune. Die Scheune sieht verfallen aus, ist sie aber nicht. Das Dach ist noch intakt, deshalb ist es drinnen auch trocken. Möglichst leise versucht er das Scheunentor so weit zu öffnen, dass er hindurch passt. Bis hierher haben die Straßenlaternen genug Licht in die Dunkelheit gebracht, doch in der Scheune kann er nichts sehen. Vorsichtig steckt er den Kopf wieder raus, aus dem Scheunentor, um sicher zu gehen, dass ihn niemand beobachtet oder gar gefolgt ist. Das Adrenalin schießt durch seinen Körper. Mit der Taschenlampe leuchtet er das Innere der Scheune ab. Da nur einer der beiden Männer hinein ging, kann es nichts Großes gewesen sein, was sie hier versteckt haben, wenn sie denn etwas versteckt haben. Womöglich haben sie auf ihrem Grundstück, in ihrer Scheune nur Mal nach dem rechten gesehen. In der Nacht? Darauf bedacht, nicht gesehen zu werden? Hier muss etwas sein!

Auf dem Boden sieht er Spuren im Staub, er folgt ihnen und entdeckt am Ende der Spur, unter einem Haufen Gerümpel, eine graue Decke. Diese Decke verbirgt etwas in ihrem Inneren. Einige Bretter und eine alte Schranktür legt er beiseite und will das Paket anheben. Es ist schwerer als gedacht, also wickelt er es aus. Vorsichtig nimmt er die Decke auseinander, um ihr Geheimnis zu lüften. Es funkelt im inneren und er leuchtet mit der Taschenlampe darauf. Etwas Goldenes verbirgt sich in der Decke.Was nun? Es ist wohl eher eine Kurzschlusshandlung als eine überlegte Tat. Thomas wickelt das goldene Ding wieder ein. Er formt die Decke so um den Griff, dass er ihn benutzen kann. Es wiegt so etwa zehn Kilogramm. Am Griff trägt er es bis zumScheunentor. Das Straßenlicht scheint durch die Ritzen der Bretter und reicht ihm aus, um den Weg zu finden. Etwa zwei Meter vor dem Tor stolpert er. Nach einigen Ruderbewegungen mit seiner freien Hand kann er sich noch fangen. Zum Glück hat er dabei keinen Lärm gemacht. Er steckt den Kopf wieder durch das Scheunentor.

Alles ist ruhig. Immer noch diese unheimliche Stille. Thomas schiebt sich durchs Tor, sieht sich noch einmal um und greift das Paket, das noch immer hinter dem Tor steht. Das Paket stellt er am Rand des Grundstücks, hinter dem Zaun, ab. Er selbst geht wieder durch das Loch, was sich etwa in der Mitte des Zauns befindet. Wieder schaut er sich um. Nichts, absolute Stille und in den Häusern ist auch nur noch wenig Licht zu sehen.

Er schleicht wieder zum Strand. Das verlassene Grundstück und der Strand sind nur durch eine dichte Hecke voneinander getrennt. Thomas drückt sich durch diese Hecke und greift sich sein Paket. Wieder sieht er sich um. Das Adrenalin bringt sein Blut zu Kochen.

So viel Aufregung hat er seit Jahren nicht gehabt. Sein Leben ist so normal ohne jede Abwechslung. Arbeit, Feierabend, Schlafen und das Woche für Woche, Monat für Monat, bis er dann im Urlaub dem Ganzen für zwei Wochen entfliehen kann.

Über den Strand geht es dann mit dem Paket zurück in seinen Bulli. Ohne viel nachzudenken, wuchtet er das Paket in sein Bett, hinter der Rücksitzbank. Er legt die Bettdecke darüber, schiebt sich zwischen die Frontsitze auf den Fahrersitz, startet den Motor und fährt los.

Erst auf der Hauptstraße schaltet er das Licht ein. Als er endlich begreift, was er gerade gemacht hat, ist er bereits auf der Autobahn. Orientierungslos liest er die Schilder und sieht, dass er nach Berlin fährt. Langsam wird er ruhiger. Jetzt bloß nichts falsch machen. Er muss sich konzentrieren, denn eine Polizeikontrolle würde alles kaputt machen. Um kurz vor Zwei kommt er zu Hause an. Er stopft das Ding in einen Müllsack und trägt es nach oben, in seine Wohnung. Obwohl eh keiner in seine Wohnung hineinsehen kann, zieht er die Vorhänge zu. Vorsichtig packt er das Paket aus. Erst schlitzt er den Müllsack auf und dann wickelt er behutsam die Decke ab. Zum Vorschein kommt eine goldene Vase. Ob sie wohl tatsächlich aus Gold ist? Sie sieht ziemlich alt aus und hat viele Verzierungen. Die Verzierungen sehen aus wie eine Schrift. Nur lesen kann er sie nicht. Weder Deutsch noch Englisch oder Französisch. Thomas hat keine Ahnung von Sprachen, außer etwas Schulenglisch kennt er keine. Es muss irgendeine alte Sprache sein, vielleicht Griechisch oder Latein. Er stopft das Ding in seinen Küchenschrank und versucht zu schlafen. Es dauert eine Weile, bis er Schlaf finden kann.

Trotz der zugezogenen Vorhänge scheint die Sonne in sein Zimmer. Es ist bereits Mittag, also steht er auf und macht sich Kaffee. Beim Kaffeekochen wirft er einen Blick in den Küchenschrank. Tatsächlich, es war kein Traum. Da steht eine riesige, goldene Vase. Schnell macht er den Schrank wieder zu, als ob es sonst jemand sehen könnte. Wie geht es jetzt weiter? Thomas nimmt sich seinen Kaffee, setzt sich ins Wohnzimmer und schaltet den Fernseher an. Er zappt hin und her, sucht nach den Nachrichten. Nichts von einem Raub oder Einbruch. Ganz normale Nachrichten.

Thomas muss den Kopf frei kriegen. Er läuft über das Feld vor seinem Haus und weiter durch das angrenzende Industriegebiet. Nach etwa zweieinhalb Stunden ist er zurück. Er räumt seinen Bulli aus und geht nach oben in seine Wohnung. Im Treppenhaus kommt Mirko ihm entgegen. „Was machst Du den hier? Ist deine Karre kaputt?“ Mirko wohnt in der dritten Etage. Er hat ein Motorrad. Ab und zu treffen sie sich vorm Haus und trinken beim Basteln ein Bier zusammen. Er weiß, wenn Thomas bei so schönem Wetter in Berlin ist, dann ist da was faul.

„Wahrscheinlich der Vergaser!“ Etwas Besseres fällt ihm so schnell nicht ein. Thomas ist darauf absolut nicht vorbereitet. Er muss jetzt vorsichtiger sein und sich auf solche Situationen vorbereiten. „Ich habe keine Lust irgendwo in der Pampa liegenzubleiben.“, schiebt er noch hinterher. „Man sieht sich“ er dreht sich um und geht die Treppe hoch.

„Ja Ja!“ Mirko dreht sich auch um und geht weiter nach unten.

Dummerweise hat Thomas die Kühlbox gestern Nacht angelassen. So hat er zwar kaltes Bier in der Hand, aber ob beim nächsten Mal sein Bulli noch genug Saft zum Starten hat? Erst einmal setzt er sich auf den Balkon und genießt das kalte Bier. Später macht er den Fernseher an und schaltet von einem Kanal zum nächsten. Nichts. Keine Nachrichten über eine goldene Vase.

Da ein bisschen Wartung nie schadet, kümmert sich Thomas den halben Sonntag um sein Bulli. So schöpft auch keiner einen Verdacht. Aber wer sollte eigentlich Verdacht schöpfen und wieso? Nach einer kurzen Probefahrt geht er wieder nach oben und verbringt den Sonntagnachmittag mit Grübeln. Wie kann man nur aus einer goldenen Vase Geld machen? Wie weiß er, ob sie tatsächlich aus Gold ist und wenn ja, aus welchem? Er zermartert sich den Kopf, doch solange er nicht weiß, was er da in seinem Küchenschrank zu stehen hat, kann er auch nichts machen. Am Abend entspannt er sich mit dem restlichen Bier und einem Film im Fernsehen.

Erst am Dienstag trifft er seinen Kollegen Michael wieder. Thomas hat sich für diese Situation bereits eine gute Geschichte zurechtgelegt, doch Micha spricht ihm gar nicht auf das Wochenende an.

Täglich kauft er die Bild-Zeitung und geht sie durch. Er sucht auch in den anderen Boulevardblättern, die seine Kollegen im Papierkorb entsorgen. Das geht vier Wochen so. Heute findet Thomas einen Artikel in der BZ.

Dreister Diebstahl

Am Sonntag wurde aus einer Villa in Berlin-Zehlendorf eine, für die Kunstwelt sehr Wertvolle, goldene Vase gestohlen. Sie ist Teil einer privaten Sammlung. Ihr Wert wird auf mindestens Zweimillionen Euro geschätzt, wobei der reine Gold-Wert bei etwa einer dreiviertel Million Euro liegen dürfte. Die Vase war Teil der Beute eines legendären Raubzugs zum Ende des Achtzehnten Jahrhunderts.

Informationen und Hinweise zum Raub nimmt jede Polizeidienststelle entgegen.

Der Versicherer hat eine Belohnung von 500.000 € ausgesetzt.

Na endlich! Aber wieso am Sonntag? Thomas hat seit fast fünf Wochen dieses Ding im Schrank. Was läuft hier? Wurde der Diebstahl erst jetzt bemerkt oder erst jetzt gemeldet?

Nun weiß er endlich, was er da in seiner Wohnung hat. Zwei Millionen Euro! Aber wie an das Geld herankommen? Thomas braucht nicht lange bis ihm klar ist, dass er die Vase nicht verkaufen kann. Zurückgeben kann er sie aber auch nicht. Die Geschichte glaubt ihm doch kein Mensch! Mit irgendwelchen zwielichtigen Gestalten will er sich auf keinen Fall einlassen. Wenn er nicht erwischt werden will, kann er nur eines machen, das Gold in Einzelteilen verkaufen. Damit ist die Vase zwar nur noch die Hälfte wert, aber lieber eine halbe Million haben als in den Knast gehen. Die Vase einfach zersägen? Nein das wird nichts, denn die Goldhändler wissen wohl genau Bescheid was, wann, wo geklaut wurde. An der markanten Inschrift werden sie die Vase erkennen.

Thomas kauft sich einige Bücher über Edelmetallbearbeitung und studiert sie. Mit dem nun erworbenen Wissen und seinen handwerklichen Fähigkeiten hofft er das Gold in kleine Teile zu gießen, um sie dann einzeln zu Verkaufen.

Er durchstreift Flohmärkte und Antiquitätenhändler, um sich Anregungen zu holen. Auf einem Flohmarkt entdeckt er eine alte Messingarmatur. Das Ding ist ziemlich schwer. Von goldenen Wasserhähnen hat er schon gehört, aber ob es die wirklich gibt?

Eine Weile unterhält er sich mit einem alten Händler auf dem Flohmarkt. Er erfährt von ihm, dass es wohl Mal den Fund eines goldenen Wasserhahns gab, jedoch hat er selbst nie einen gesehen. Er meint aber, dass sich in den 60er und 70er Jahren einige Reiche Leute Ihre Armaturen vergolden ließen.

Das ist seine Idee: Wasserhähne aus Gold. So ein Wasserhahn wiegt etwa ein bis zweihundert Gramm. Er kauft sich ein paar Messinghähne bei verschiedenen Händlern und macht sich an die Arbeit. Nach zwei Wochen hat er sich eine Gussform für einen Wasserhahn hergestellt. Er nimmt seine Gasflasche aus dem Bulli mit nach oben und kauft einen Gasbrenner. Da es mittlerweile Winter ist, stört die Hitze beim Schmelzen nicht allzu sehr.

Ein Wasserhahn wiegt rund 115 Gramm. Mal mehr, Mal weniger. Das entspricht einem Goldwert von etwa 5.500 €. Ein guter Preis. Nicht so viel, dass es gemeldet werden muss, aber genug um nicht Jahrelang mit dem Verkauf beschäftigt zu sein.

Jeden Tag, nach Feierabend, schmelzt er ein Stück der Gold Vase ein und gießt es in seine Form. Nach ein paar Wochen hat er 104 Wasserhähne aus Gold in seiner Wohnung zu liegen.

Jetzt geht es an den Verkauf. In Berlin sind innerhalb von drei Wochen alle Händler abgeklappert. Gerade einmal zwölf Stück kann er verkaufen. Jeden Händler sucht er nur einmal auf. Also muss er jetzt ins Umland fahren.

Am 3. Februar geht er zu seinem Chef und fragt spontan nach zwei Wochen Urlaub. Sein Chef fällt aus allen Wolken und macht ein Riesentheater. Letztlich kann er aber eineinhalb Wochen Urlaub nehmen.

Gleich am Mittwochmorgen ist er auf dem Weg in die nächstgrößere Stadt. Mit an Bord ist eine unscheinbare Kiste mit vierzig goldenen Wasserhähnen und einigen alten Armaturen zur Tarnung. Quer durch Deutschland geht es.

Bereits in Wittenberg findet er einen kleinen Schmuckladen. Der alte Verkäufer nimmt ihm gleich zwei Stück zu einem guten Preis ab. Mit diesem Enthusiasmus geht es weiter nach Leipzig, direkt in die Altstadt. Hier gibt es einige Läden mit dem Hinweis: Wir kaufen Altgold. An einem Wasserhahn ist nicht einer interessiert. Den meisten fällt eine fadenscheinige Ausrede ein und Thomas glaubt es ist ihnen einfach noch zu viel.

Dann ein Treffer. Ein recht modernes Schmuckgeschäft, mitten in der Altstadt. 2.800 € will er bezahlen. Thomas erklärt ihm: „Laut meinen Recherchen liegt der Goldpreis bei gut fünftausend Euro für hundert Gramm. Der Wasserhahn hier wiegt 113 g. Da sollte schon mehr drin sein.“

„Das kriegen Sie nur für Goldbarren mit einem Zertifikat, aber Sie legen mir hier ein... ein Wasserhahn auf den Tresen. Woher haben Sie den eigentlich? Ist der irgendwo geklaut? Ich weiß doch überhaupt nichts über die Herkunft von dem Gold“, schnauzt der Verkäufer zurück.

„Den habe ich auf einem Flohmarkt gekauft. Der Händler hielt den Hahn, samt Armatur für Messing. Tja, Glück für mich, Pech für ihn.“

Misstrauisch beäugt der Verkäufer Thomas. Er glaubt ihm nicht ein Wort. „Bei dem Risiko, das ich hier eingehe, gebe ich Ihnen maximal dreitausend Euro. Nicht einen Cent mehr.“

„Danke, ich verzichte!“ Thomas nimmt den Wasserhahn, steckt ihn lässig in die Hosentasche und geht zur Tür. Mit: „Schönen Tag noch!“, verabschiedet er sich und geht.

„Dreitausend zweihundert“ sagt der Verkäufer, ziemlich genervt.

Einen Augenblick zögert Thomas, doch ihm ist klar, dass der Mann ihm nie einen ordentlichen Preis zahlen wird. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verlässt er das Geschäft.

Viertausend zweihundert Euro hat er für seinen zweiten Hahn bekommen. Das war auch das Niedrigste, was ihm geboten wurde. Meist waren es knappe fünftausend Euro, manchmal auch zwei-, dreihundert Euro darüber. Das ist auch in Ordnung. Ob die Händler dabei ein Risiko eingehen und wie hoch dieses Risiko ist, weiß er nicht. Aber bei den Preisen, die sie zahlen, scheint das Risiko nicht all zu hoch zu sein.

Als Thomas Leipzig gerade verlassen will, hält er noch in einer Seitenstraße am Stadtrand. Er hat Hunger und kauft sich eine Bratwurst mit Pommes und ordentlich viel Ketchup. Beim Genießen der leckeren Bratwurst, entdeckt er ein Schmuckgeschäft auf der anderen Straßenseite.

Als die Bratwurst verputzt ist, stellt er fest, dass er den Wasserhahn noch in der Hosentasche hat. Schnell rennt er über die Straße und hinein in den Schmuckladen.

Um zu signalisieren, dass er weiß, was sein Wasserhahn wert ist, legt er ihn auf den Tresen und sagt „Guten Tag, ich möchte diesen goldenen Wasserhahn verkaufen. Der wiegt 113 Gramm und sollte so etwa fünfeinhalb bis sechstausend Euro wert sein.“

Die Dame schätzt er auf knappe fünfzig Jahre, sie schaut ihn lächelnd an. „Darf ich ihn mir Mal ansehen?“ Ungläubig begutachtet sie den Hahn, wiegt ihn und kratzt ein wenig an der Innenseite herum. „Interessant“ ihre Mine wird ernster. Sie tippt ein wenig auf ihren Taschenrechner herum und meint: „Viertausend neunhundert und zweiundvierzig und zweiundsiebzig Cent kann ich ihnen zahlen.“

Ob sie den Preis wohl wirklich ausgerechnet hat? Wohl eher nicht. Thomas tut so, als überlege er noch und sagt dann: „Ja ist okay!“

„Moment bitte!“ Die Verkäuferin holt eine schwarze, flache Tasche hervor und zählt daraus das Geld ab. Das wird die Schwarzgeldkasse sein. An diesem Geschäft verdient sie etwa tausend Euro. Da lohnt sich schon mal eine zweite Buchführung. Denkt sich Thomas und antwortet „kein Problem“.

„So, bitte schön“ sie legt das Geld, bereits abgezählt, auf den Tisch und nimmt mit derselben Bewegung den Hahn an sich.

So müsste es immer laufen, denkt sich Thomas, greift sich das Geld und sagt: „Na dann schönen Tag noch!“

„Danke, Ihnen auch!“, kommt von der Verkäuferin zurück.

Da es bereits halb fünf ist, steuert Thomas einen Parkplatz an einem ehemaligen Tagebauloch an. Hier wird es mal einen See geben. Bis jetzt ist da unten nur eine Pfütze zu sehen. Er schaltet die Standheizung ein, gönnt sich noch ein Bier und geht zeitig schlafen.

Bereits um halb fünf ist er wach, macht sich in aller Ruhe einen Kaffee und kurz nach sechs ist er wieder unterwegs.

In Naumburg sieht er, auf der Durchfahrt, keinen Schmuckladen, der Gold ankauft, dafür kommt er an einer kleinen Bäckerei vorbei. Hier wird erst einmal ausgiebig gefrühstückt.

Pünktlich um zehn Uhr ist er in Jena. Bereits eine Stunde später und um zehntausend Euro reicher, verlässt er Jena. In Weimar und Erfurt wird er jeweils einen Wasserhahn los und am Nachmittag erreicht er Ilmenau. Bei einem Spaziergang durch die Altstadt entdeckt er einen kleinen Schmuckladen. Er versucht sein Glück. Der Verkäufer, ein alter, hagerer Mann, bietet ihm 5.250 €. Bei der Frage: „Haben Sie noch mehr davon?“ wird Thomas schwach. So ein guter Preis, wer weiß wann er das nächste Mal so viel Glück hat. Gegen jede Vorsicht bietet er dem Verkäufer noch drei weitere Hähne an. Der wiederum willigt ein.

Thomas will in etwa einer Stunde wiederkommen. In Ilmenau hat er seinen Bulli so schön geparkt. Hier wollte er den Abend und auch die Nacht verbringen. Bis zum Parkplatz sind es gerade einmal 5 Minuten. Thomas nimmt allerdings einen Umweg von 20 Minuten. Ständig sieht er sich um. Folgt ihm jemand? Er sieht schon Schatten, wo keine sind, überlegt hin und her. Soll er das Risiko mit den drei zusätzlichen Wasserhähnen eingehen? Ist das wo möglich eine Falle? Das Adrenalin kocht mal wieder in seinem Blut.

Am Bulli angekommen sieht er sich ausgiebig um. Es ist ihm wohl keiner gefolgt. Als Erstes verteilt er das Geld in allen möglichen Verstecken. Immer wieder schaut er aus den Fenstern heraus. Die Verlockung ist groß. Schnell gemachtes Geld. Ach was! Thomas nimmt sich drei Wasserhähne aus der Schachtel und geht los. Immer wieder dreht er sich um. Er geht in ein anderes Schmuckgeschäft, gleich an Anfang der Ladenstraße. Er sieht sich etwas im Laden um und geht wieder Richtung Parkplatz. Nichts. Den Bulli kann er von Weiten sehen. Ganz allein steht er da. Nun sieht er sich nochmals um und geht zum anderen Ende der Ladenstraße.

Er geht in das Geschäft und legt dem alten Mann die drei Hähne auf den Tresen. Ohne weitere Fragen zu stellen, überprüft er die Ware und übergibt Thomas das Geld, so wie besprochen. Das Geld stopft sich Thomas in seine Innentasche und läuft mit schnellen Schritten zu seinem Bulli. Die Jacke legt er auf den Beifahrersitz und los geht es. Hier will er nun nicht mehr übernachten. Immer wieder der Blick in den Rückspiegel. Zwei Kilometer nach dem Ortsausgang entdeckt er ein Auto hinter sich. Ein Mercedes erreicht ihm. Thomas wird langsamer. Sein Bulli ist sowieso nicht so schnell. Der Mercedes bleibt aber direkt hinter ihm. Der Fahrer versucht nicht zu überholen, bleibt stets direkt hinter ihm. Am nächsten Ortseingang fährt Thomas auf einen Parkplatz. Der Mercedes hinterher. Was nun? Was soll er jetzt tun? Thomas gibt Gas und fährt weiter. Sein Herz droht zu zerspringen. Im Rückspiegel sieht er wie der Fahrer aussteigt und um das Auto geht. Langsam beruhigt er sich etwas. Noch im selben Ort fährt er in eine Seitenstraße, wendet und parkt so, dass er die Hauptstraße beobachten kann.

Nach etwa drei Minuten fährt der Mercedes vorbei. Langsam fährt Thomas los und bleibt in größerem Abstand hinter dem Mercedes. Sein Bulli hat große Probleme hinterher zu kommen. Bald ist der Mercedes außer Sichtweite. An jedem Parkplatz, den er passiert, sucht er den Mercedes. Nichts, alles in Ordnung. Thomas ist so aufgekratzt und hellwach, dass er bis nach Schweinfurt fährt. Hier sucht er sich einen Parkplatz am Stadtrand. Er findet keine Ruhe der Verfolgungswahn hält ihn wach. War es das wert? Erst spät in der Nacht schläft er ein.

Freitagmorgen, es ist bereits um Acht. Tief und fest hat Thomas geschlafen. Nach dieser Aufregung beschließt Thomas nur noch einen Wasserhahn in jedem Ort zu verkaufen. Er umkreist Würzburg und verkauft an diesem Tag noch weitere vier Hähne. Im Westen ist es erstaunlicherweise viel einfacher das Gold loszuwerden. Die Verkäufer stellen keine weiteren Fragen und zahlen um die 5.200 Euro. In einem der Läden sieht er ein Schild mit der Aufschrift: Goldankauf nur Mo-Fr. Das könnte überall so sein, deshalb fährt er noch bis in die Dunkelheit und übernachtet an einem Stausee, kurz hinter Weinsberg.

Übers Wochenende will er noch einmal in dieses schöne Remstal, wo er im Urlaub ein paar Tage verbracht hat. Der Morgen verspricht richtig schönes Wetter. Die Sonne lacht und Thomas fährt in das Remstal. Er findet diesen versteckten Parkplatz an den Weinbergen, an das hintere Ende stellt er sich. Nun hält ihn nichts mehr. Er kramt die Wanderschuhe heraus und macht sich auf den Weg. Am Ende des Weinhangs beginnt der Wald. Thomas läuft den Weg zwischen Wald und Wein Hang hinauf. Er kommt an einigen Wochenendgrundstücken vorbei, an Zweien hängt ein Makler Schild. Eines davon hat ein kleines Häuschen darauf. Der Zaun ist nicht sehr hoch und Thomas steigt einfach Mal so darüber. Von den Nachbarn ist weit und breit nichts zu sehen, also geht er weiter und sieht sich um. Es ist perfekt. Genau wie er es sich im Sommer erträumt hatte.

Genau jetzt bemerkt er was los ist. Ohne es geplant zu haben, steuert er genau hierher. Mit jeder Menge Bargeld dabei. Er verlässt das Grundstück, nimmt sein Handy und ruft den Makler an. Als es das dritte Mal klingelt fällt ihm ein, es ist Wochenende. Gerade will er auflegen, da hört er: „Müller, Grundstücksmakler! Was kann ich für Sie tun?“

„Bitte entschuldigen Sie, dass ich am Sonnabend anrufe.“

„Das ist schon okay.“

„Ich stehe hier vor einem kleinen Grundstück“

„Wo sind Sie denn?“

„Äh… ja, äh… ich weiß nicht genau!“ Thomas will das Grundstück gerade beschreiben, da fällt ihm der Makler ins Wort.

„Auf meinem Schild ist, unten rechts eine Nummer. Lesen Sie mir die Mal bitte vor.“

„Ah, ja klasse. 239-00372!“

„Moment… das ist ja nicht weit weg, ich könnte in einer halben Stunde da sein.“

„Ja, super! Kann ich mich schon Mal umsehen?“

„Ja, ja, machen sie ruhig. Bis später.“

„Bis dann.“

Thomas läuft die Straße entlang und späht zum Nachbargrundstück herüber. Keiner zu sehen. Er steigt wieder über den Zaun und sieht sich nochmals um. An der Vorderseite ist der Weg, der den Berg hinaufführt. Anscheinend endet das Grundstück an dem Bach, denn hiernach geht es steil bergauf. Das linke Grundstück steht auch zum Verkauf und das rechte ist wohl ein Wochenendrundstück. Das kleine Haus in der Mitte hat eine gute Substanz. Als er so das Grundstück erkundet, hört er ein Auto kommen. Er geht zum Tor.

Da kommt er, natürlich mit einem Mercedes. Der Makler steigt aus und nimmt von der Rückbank einen Ordner mit. Sie begrüßen sich und der Makler fragt: „wo ist denn ihr Auto?“

„Ich habe das Grundstück beim Wandern entdeckt. Mein Auto steht unten an der Hauptstraße.“

„Dann zeige ich Ihnen das Haus. Den Garten haben sie sich schon angesehen?“

„Ja, das ist gut.“

Über eine kleine Terrasse geht es direkt in eine Wohnküche. Der alte Küchenofen sticht ihm sofort ins Auge. „Funktioniert der noch?“

„Aber ja. Damit können Sie backen, kochen und heizen. Reicht völlig aus für das kleine Zimmer. Das zweite Zimmer hat keinen Ofen und im Bad ist ein klassischer Badeofen.“

Thomas schaut sich um. Alles ist perfekt. Im Bad gibt es eine Badewanne und neben der Toilette und dem Wachbecken wäre auch Platz für eine Waschmaschine. „Kann ich hier fest wohnen oder ist das nur was fürs Wochenende?“

„Das sind hier alles Wochenendgrundstücke. Sie haben Strom, einen eigenen Brunnen und eine Abwassergrube. Das sollte also funktionieren. Wollen Sie hier alleine wohnen?“

„Ja, nur ich! Können Sie mir bestätigen, dass ich hier wohnen darf?“

„Ich kümmere mich darum und gebe Ihnen Anfang der Woche Bescheid.“

„Was kostet denn das Grundstück?“ Da ist die alles entscheidende Frage.

„Das Grundstück hat 1.150 m². Das bekommen Sie zum Schnäppchenpreis von 165.000 €.“

Thomas schluckt, solche Summen ist er einfach nicht gewohnt. Grob überschlägt er was er bisher an Geld gesammelt hat. Mit einem leichten grinsen fragt er: „Was kommt da noch hinzu?“

„Rechnen Sie Mal mit 15 Tausend für Notar, Steuern und Maklergebühr.“

„Gut, wie geht es jetzt weiter?“

„Sie regeln alles mit Ihrer Bank, ich gebe Ihnen die nötigen Unterlagen mit und mache einen Termin beim Notar.“

„Aber nur wenn ich hier wohnen darf!“

„Darum kümmere ich mich.“

„Ich wohne noch in Berlin, brauchen sie noch irgendwelche Unterschriften von mir?“

Der Makler überlegt und meint dann: „kommen sie morgen bei mir vorbei! Dann machen wir alles fix. Hier ist meine Karte. Einfach die B 29 bis Weinheim. Ich wohne direkt an der Bundesstraße, auf der linken Seite.“

„Das finde Ich. Wann soll ich da sein?“

„Ist Ihnen 16.00 Uhr recht?“

„Gut, dann bis morgen um 16.00 Uhr“

„Ach sagen Sie, ob es wohl möglich ist, dass ich mit meinem Bulli, hier auf dem Grundstück übernachte?“

Der Makler überlegte kurz. So eine Frage hat er noch nie gehört. „Ja, machen Sie das. Schließen Sie morgen alles gut ab, wenn Sie das Grundstück verlassen.“ Er hält ihm die Schlüssel hin und Thomas greift zu.

Lässig wandert er den Weg zurück und sieht sich dabei die Gegend an, dabei wird ihm langsam bewusst, das es seine neue Heimat ist, die er sich da betrachtet. Er hat schon wieder ein Grinsen im Gesicht.

Unten im Tal angekommen, setzt er sich in seinen Bulli und fährt auf die Hauptstraße. Er versucht sich an die Anzahl der Querwege zu erinnern und zählt sie. Den Vierten nimmt er und erwischt den Richtigen. Wenige hundert Meter geht es den Berg hoch und schon die dritte Einfahrt ist seine. Er öffnet das Tor und parkt das Gefährt direkt hinter dem Tor.

Abermals durchstreift er das Grundstück. In Gedanken plant er bereits was er wohin pflanzen wird. Nun geht er ins Haus und stellt in Gedanken seine Möbel in die richtige Position. Nachdem sich die Sonne verabschiedet, wird ihm kalt. Er schließt das Haus ab und steigt in den warmen Bulli. So langsam begreift er, was er da gerade tut. Ihm wird mulmig im Magen bei dem Gedanken, dass er gerade sein ganzes Leben umkrempelt.

Die Magenprobleme sind mental, das ist ihm Bewusst. Er hat noch den guten Whisky und tastet danach in den Tiefen seines Schrankes. Dabei ertastet er ein dickes Geldbündel, vor der Whisky Flasche und der Brechreiz kommt wieder in ihm hoch. Nun noch das gute Glas, welches zum Schutz mit einem Zewa-Tuch eingewickelt ist. Er nimmt das Glas, wickelt das Tuch ab und im Glas ist wieder ein dickes Geldbündel.

Jetzt reißt er die Tür auf und purzelt fast selbst heraus. Er übergibt sich, ohne dass wirklich etwas seinen Magen verlässt. Beim Atmen der frischen und kalten Luft beruhigt er sich. Seinen Magen beruhigt er mit einem kräftigen Schluck Whisky. Nach dem dritten Glas geht es ihm besser. Er überlegt sich die nächsten Schritte. Eigentlich ganz einfach. Job kündigen, Wohnung kündigen und für alle eine plausible Geschichte einfallen lassen.

Da sind noch seine Eltern. Als Thomas, mit gerade einmal achtzehn Jahren, ausgezogen ist, hat sein Stiefvater seinen amerikanischen Traum verwirklicht. Ohne nennenswertem Vermögen wanderte er nach Amerika aus. Seine Mutter machte bereitwillig alles mit. Der Traum platzte. Bis über beide Ohren verschuldet, gehen Beide nun in einer Fabrik arbeiten. Mit Stolz schickten sie Fotos von ihrem riesigen Pick-Up, übersahen aber die schäbige Behausung im Hintergrund. Seine Mutter schickt alle ein bis zwei Jahre Mal einen Brief, in dem sie sich ausheult. Trotz der beschissenen Situation teilt sie die Hoffnung ihres Mannes auf ein besseres Leben. Soll sie doch! Thomas wird ihr einen Brief schicken in dem er ihr seine neue, beschissene Lage schildert. So wird sie nicht auf die Idee kommen ihn zu besuchen. Eine Reise nach Deutschland können sie sich eh nicht leisten.

Die Sonne scheint auf die vereiste Frontscheibe. Im Bulli ist es dank der Heizung schön warm. Gut gelaunt steht er auf und kocht sich einen Kaffee. Er zieht sich den dicken Pullover über und trinkt seinen Kaffee draußen, dabei blinzelt er in die Sonne und freut sich auf sein neues Leben. Aber vorher muss er noch Geld machen. Bis zum Mittag arbeitet er eine effektive Route durch Baden-Württemberg und Bayern aus. Die großen Städte umfährt er und die kleinen steuert er an. Vier Städte pro Tag, hat er sich als Ziel gesetzt. Wenn alles gut geht, hat er zum Ende der Woche genug Geld zusammen um das Grundstück zu Kaufen. Gegen Mittag wandert er den Berg hinauf. Vorbei an den nächsten zwei Grundstücken geht es dann durch den Wald. Immer wieder versucht er den Lauf des Baches zu folgen, der dann auch die hintere Grenze seines Grundstücks bildet. Als er oben angekommen ist, genießt er die wunderschöne Aussicht über das Tal. Nach unten nimmt er einen anderen Weg, der nicht weniger schön ist. Am Grundstück angekommen ist es dann auch Zeit aufzubrechen. Der Makler hat bereits alles für den Kauf vorbereitet. Selbst eine Bestätigung, dass er das Grundstück, als seien Hauptwohnsitz melden kann, hat er da. „Hier ist die Aufstellung für die Bank.“ Der Makler hält einen Aktendeckel hoch und legt ihn dann wieder zurück in die Mappe mit den restlichen Papieren.

„Ich muss das Grundstück nicht finanzieren, ich möchte es Bar bezahlen.“

Sichtlich überrascht schaut ihm der Makler an. „Das ist kein Problem. Überweisen Sie einfach das Geld. Die Kontonummern und alle weiteren Details finden sie in den Bank-Unterlagen.“

„Gut, ich überweise das Geld in gut einer Woche. Reicht das?“

„Sie haben vierzehn Tage Zeit. Das sollte also reichen.“

„Vielen Dank, ich hoffe, ich habe Ihnen nicht das Wochenende versaut.“

„Ganz und gar nicht!“ Er lächelt. „Machen Sie es gut. Sie können sich jederzeit bei mir melden, wenn es Probleme gibt.“

„Das werde ich. Bis dann!“

Der Makler begleitet Thomas noch hinaus und wünscht ihm eine gute Fahrt. Kurz vor Lorch, dem ersten Punkt auf seiner Liste, findet er einen ruhigen Parkplatz an einem Park. Hier macht er noch einen Spaziergang in den Abend hinein und geht nochmal seine Strategie für die nächsten Tage durch.

Routiniert verkauft er einen Wasserhahn nach dem anderen. Ohne Probleme bekommt er überall das erwartete Geld. Am Mittwochabend holt er seine Schatzkiste hervor und zählt einmal durch. Vierzig Stück hat er mitgenommen. Zwölf sind noch in der Kiste, also hat er 28 Stück verkauft. Demnach sollten sich in den Tiefen seiner Schränke und ritzen, zwischen Gläsern und Socken um die einhundert-vierzig-tausend Euro befinden. Mit den achtundfünfzig-tausend Euro, die zu Hause liegen, hat er fast zweihundert-tausend Euro zusammen. Das sollte reichen. Er ist bis kurz vor Nürnberg gekommen. In einem kleinen Wohngebiet in einem Vorort von Nürnberg übernachtet er. Thomas beschließt, dass er morgen noch vier Stück verkaufen wird und dann am Freitag zurück nach Hause fährt.

Der Makler sagte überweisen sie das Geld. Thomas hatte darauf nicht reagiert, denn ihm war klar, dass es unüblich ist in bar zu Bezahlen. Zum Glück ist da noch sein Sparbuch. Da sind zwar nur 2.500 Euro drauf, aber er kann es nutzen, um das Geld aufzuteilen. Er will gerade das Bargeld vom letzten Verkauf verstecken, als ihm eine Idee kommt. Er geht noch einmal los, durch den kleinen Vorort zur Sparkasse. Da steht doch Einzahlungen über dem zweiten Geldautomaten. Er versucht es mit Erfolg. So ist er das Bargeld los und hat es auf dem Konto. Am Donnerstag verkauft er, wie geplant die vier Hähne und zahlt auch noch 40.000 Euro, an vier Automaten ein. Freitag fährt er nach Hause und am Wochenende zählt er das restliche Bargeld. 171.234 Euro hat er ordentlich sortiert nach Noten auf dem Tisch zu liegen. So recht glaubt er nicht, was er da sieht. Doch es ist real!

Wie immer, geht er Montag früh zur Arbeit. Als er, pünktlich zum Feierabend den Transporter parkt, räumt er all seine privaten Sachen aus. Er putzt gründlich durch und gibt seinem Chef die sofortige Kündigung ab. „Ab nächsten Montag habe ich einen neuen Job als Fernfahrer bei einer Hamburger Spedition.“ Das reicht aus, um den Arbeitsvertrag fristlos zu kündigen. Das weiß auch sein Chef.

„Hast Du dir das gut überlegt?“, fragt er als er sich die handschriftliche Kündigung durchliest.

„Ja, ich habe den neuen Arbeitsvertrag auch schon unterschrieben.“

„Na gut, dann ist es so. Ich will mir noch das Auto ansehen, bevor Du gehst.“ Sie gehen Beide raus auf den Parkplatz. Er geht einmal um den Transporter und schaut auch in das Fahrerhaus. „Gut. Tschüss!“

Das wars? Gut, Tschüss, war alles? „Tschüss“, bringt Thomas verwundert hervor, dreht sich um und fährt nach Hause. Er geht nach oben, greift sich die 165.000 €, die abgezählt in einer unscheinbaren Tüte liegen und fährt zur Sparkasse. Als er an der Reihe ist, erklärt er der Angestellten, dass er 165.000 € in bar auf ein Konto zahlen will.

„Haben Sie das Geld dabei?“

Thomas hebt die Tüte hoch und sagt „ja“.

Als die Angestellte sieht, wie groß die Tüte ist, meint sie: „Gehen Sie bitte zu der Tür auf der linken Seite.“ Sie macht die Klappe vom Schalter zu und steht auf.

Thomas geht zur Tür und wartet bis die Angestellte da ist und ihm hereinlässt. Er geht in einen kleinen, fensterlosen Raum.

„Dann geben Sie mir Mal das Geld!“

Thomas legt die Tüte auf den Tisch und holt die Geldbündel heraus. Die sortierten Bündel hat er mit Gummis gebunden. Die Angestellte greift sich ein Bündel nach dem nächsten und legt sie in eine große Zählmaschine. Das Prozedere dauert ewig. Am Ende ist Thomas froh, dass er sich nicht verzählt hat. Die Angestellte gibt alles in den Computer ein und reicht ihm zwei A4 Seiten. „So, dann brauche ich noch hier und hier eine Unterschrift.“

Thomas unterschreibt und bekommt einen Einzahlungsbeleg. Sie verabschieden sich und er verlässt den kleinen Raum. Am öffentlichen Bankcomputer überweist er die Maklergebühr und die Kosten für den Notar. Anschließend verlässt er die Sparkasse und setzt sich in sein Auto. Er nimmt sein Handy und ruft den Makler an. „Hallo, hier ist Thomas Ferch. Ich habe gerade das Geld überwiesen. Wie geht es jetzt weiter?“

„Hallo Herr Ferch. Wir müssen jetzt abwarten, bis das Geld auf meinem Konto ist. Dann gehe ich zum Notar und der macht dann mit Ihnen einen Termin aus. Sobald ich das Geld habe, schicke ich Ihnen alle Unterlagen zu.“

„Bitte rufen Sie mich dann an. Ich hole sie mir bei Ihnen ab.“

„Das ist noch besser. Ich denke in zwei bis drei Tagen sollte das Geld hier sein. Ich melde mich dann bei Ihnen.“

„Super. Ich warte dann auf Ihren Anruf. Tschüss, schönen Tag noch“

„Danke, Ihnen auch.“

Gleich am nächsten Morgen geht er zu seiner Wohnungsbaugesellschaft. Er teilt sein Anliegen mit und nach fünfzehn Minuten wird er aufgerufen. Eine sehr sympathische und nette Frau sitzt ihm gegenüber. Er erzählt ihr von seinem plötzlichen Jobwechsel nach Hamburg. Sie kommen ins Plaudern und Thomas hört geduldig zu.

„Ich will Mal sehen, ob sich da was machen lässt. Nehmen Sie bitte einen Moment im Warteraum Platz.“ Thomas verlässt das Büro und setzt sich in den Warteraum. Nach fünf Minuten steckt die nette Frau ihren Kopf aus der Tür und sagt: „Kommen sie bitte nochmal rein.“

Thomas springt auf und huscht in das Büro.

„Also!“, beginnt die blonde Frau, mit einem Lächeln im Gesicht. „Normalerweise haben Sie eine Kündigungsfrist von drei Monaten. Das wäre Ende Mai. Da Einraumwohnungen aber so begehrt sind, können wir den Mietvertrag zum Ende des Monats beenden.“

„Das ist ja super!“

„Wann können Sie die Wohnung übergeben? Also besenrein, Ohne Makel an den Wänden und alles frisch gestrichen.“

„Ich habe die Wohnung erst letzten Sommer renoviert. Die Wände sind weiß und die Löcher sind alle zugeschmiert. Am Wochenende will ich umziehen und am Montag könnte ich die Wohnung übergeben.“

In diesem Moment merkt Thomas wie er sich nun völlig unnötig unter Stress setzt. Er könnte sich doch Zeit lassen, doch er will einfach nur raus aus Berlin. Jetzt wo sich diese Möglichkeit auftut, will er alles gleich und sofort.

„Gut, wie können wir sie erreichen?“

Thomas diktiert ihr seine Handynummer.

„Der Hausmeister wird sich in den nächsten Tagen bei Ihnen melden und einen Termin für die Übergabe vereinbaren. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg in Hamburg.“ Die Angestellte ist regelrecht glücklich diese Lösung für ihn gefunden zu haben.

Thomas verabschiedet sich und bedankt sich mehrmals bei Ihr. Als nächstes ruft er zwei seiner Kollegen an. Er weiß, dass die Beiden bei jedem privaten Umzug dabei sind. Auch Thomas hat, in den letzten zwei Jahren so manches Wochenende auf diese Art, gutes Geld verdient. Holger und Sven machen mit. Beide haben, ohne groß zu überlegen zugestimmt. Für das Wochenende reserviert er sich auch gleich einen Sprinter bei einer Autovermietung. Im Baumarkt holt er Farbe und Spachtelmasse. Die Küche muss er auf jeden Fall streichen. Vom Gold schmelzen, mit dem Gasbrenner, sind die Wände schon etwas grau geworden.

Freitagmittag sitzt er in seiner Wohnung. Nur das Bett steht noch, alles andere ist verpackt in Kartons. Die Schränke sind auseinandergenommen und alles, was er nicht mehr will, landet in der Mülltonne. Das alte Sofa hat er zerlegt und zum Sperrmüll gebracht. Dreimal ist er mit dem Bulli zum Sperrmüll gefahren. Morgen früh braucht er nur noch das Bett auseinandernehmen, dann kann der Umzug starten.

Jeden Tag der Woche hat er bis in die Nacht hineingepackt und etliche Male ist er die fünf Etagen hoch und wieder runter gelaufen. Bis auf ein kurzes Verschnaufen fand er keine Ruhe, keinen Moment zum Nachdenken. Nun sitzt er auf dem Bett und sieht sich um. Alles ist bereit für den Umzug. In Gedanken hackt er Punkt für Punkt auf seiner Liste ab. Hat er auch nichts vergessen? Er grübelt, denkt nach und dabei denkt er auch an die Vase, die es ja nun nicht mehr gibt. Hat er wirklich eine Straftat begangen? Wenn er etwas wertvolles findet und es verkauft? Mit welcher Strafe muss er rechnen, wenn sie ihn auf die Schliche kommen? Muss er ins Gefängnis? Wie lange? Das sie ihm alles wegnehmen würden ist ihm klar. Panik steigt in ihm auf.

Es ist alles erledigt, er kann nichts tun, um sich abzulenken. Dann nimmt er einen schweren Karton und bringt ihn runter zum Bulli. Was er heute schon runter bringt, braucht er morgen nicht schleppen. Nach dem dritten Karton kramt er die halbvolle Whisky Flasche vor und nimmt sie mit hoch. Das Schleppen bringt nichts. Der Schweiß auf seiner Stirn ist blanke Panik. Aufmerksam hat er in den letzten Wochen die Nachrichten verfolgt. Im Auto läuft die ganze Zeit ein Nachrichtensender. Nichts haben sie über die Vase gebracht. Seit der Nacht, als er die Vase aus der Scheune geholt hat, war er nicht mehr da gewesen. Die ganze Umgebung hat er gemieden. Ob noch mehr Schätze in der Scheune waren? Vielleicht war die Scheune voll solcher Schätze und die Diebe konnten den Verlust verkraften.

Die Polizei sucht garantiert nicht mehr danach. Der ursprüngliche Eigentümer hat ein Gutachten erstellen lassen und die Versicherung wird sicher weit mehr als zwei Millionen gezahlt haben. Der Alkohol schiebt die Panik und die Zweifel davon. Als die Flasche leer ist, fällt Thomas in einen tiefen und erholsamen Schlaf.

Es klingelt. Müde steht Thomas auf und geht zur Tür. Er öffnet und zwei schwerbewaffnete Polizisten stehen vor seiner Tür. „Herr Ferch, Sie sind verhaftet!“

Immer noch müde, schaut Thomas die Polizisten an und sagt: „Ist ja gut, hören sie doch auf zu klingeln.“ Er streckt die Hände vor und lässt sich die Handschellen anlegen. „Hören sie doch endlich auf zu klingeln! Sie wecken ja das ganze Haus auf!“

Da wird er wach. Es klingelt immer noch! Thomas will zur Tür da merkt er, dass sein Wecker klingelt. Er haut drauf und Ruhe will sich breit machen.

Thomas legt los, räumt das Bett zusammen, nimmt es auseinander und stellt es zu den anderen Möbeln. Er duscht, zieht sich an und fährt mit dem Fahrrad durch einen eiskalten Morgen zur Autovermietung. Um halb Zehn ist er mit dem Sprinter zurück und stellt ihn mit geöffneten Laderaumtüren direkt vor den Eingang. Als er das zweite Mal, beladen mit Schrankteilen, unten ist, sind Holger und Sven auch da. Alles geht ruck zuck und um Elf verabschiedet er die Beiden auch schon wieder. Großzügig entlohnt er sie und macht sich selbst auf die Fahrt.

Mit 130 Km/h jagt er den Sprinter über die Autobahn. Ohne nennenswerte Staus kommt er gut durch. Als er fast da ist, fällt ihm ein, dass er ja irgendwo übernachten muss.

Das Thermometer steigt tagsüber gerade einmal auf zwei bis drei Grad über Null. Nachts ist es bitterkalt. Das Haus bekommt er nicht so schnell warm. Durch seinen Bulli hat er schon seit Jahren in keinem Hotelzimmer übernachtet.

Um halb Acht kommt er nach Weinheim. An der ersten Pension hält er an und klingelt, die Wirtin gibt ihm ein Zimmer. Er fährt gleich noch zum Makler und holt sich die Schlüssel. Im Restaurant neben der Pension bekommt er noch ein gutes Abendessen und dann geht er auch schon schlafen. Als es hell wird ist Thomas auch schon an seinem Grundstück und legt los. Nach zwei Stunden hat er den Sprinter ausgeräumt und alles im Haus verstaut.

Den leeren Transporter jagt er zurück nach Berlin und erreicht zehn Minuten vor Fünf die Autovermietung. Mit dem Fahrrad geht es wieder zurück zur Wohnung. Als er, wie gewohnt, seinen Schlüssel an das Schlüsselbrett hängen will, stellt er fest, dass da kein Hacken mehr ist. Auch kein Bett und kein Stuhl. Das hat er auch wieder nicht bedacht. Zum Glück kann er in seinem Bulli schlafen. Er geht nach unten sucht sich frische Sachen und ein Handtuch raus, macht die Standheizung an und geht wieder nach oben. Hier duscht er und lässt sich dabei viel Zeit. Als er dann unten im Bulli ankommt, ist es darin schön warm. Er parkt den Bulli so, vor einem Gebüsch, dass man morgens die beschlagene Frontscheibe nicht sehen kann.

Am nächsten Morgen hat er den Termin mit dem Hausmeister. Der findet keine Mängel und nimmt ihm die Wohnung ab. Zum Abschluss braucht der Hausmeister noch seine neue Adresse in Hamburg.

„Ich fange morgen als Fernfahrer an zu arbeiten. Schicken sie bitte alles zu meinen Eltern!“ Er gibt dem Hausmeister aber seine neue Adresse. „Die neue Firma stellt mir eine Wohnung. Ich weiß noch gar nicht wie das dort abläuft.“

„Okay!“ Dem Hausmeister reicht das als Erklärung und er stellt keine weiteren Fragen.

Thomas denkt sich: ‚Wann hat diese Lügerei endlich ein Ende? Wann werde ich mich mit Leuten wieder normal unterhalten können, ohne ihnen etwas vorzumachen?‘

Eigentlich braucht er in seinem neuen Leben nur noch eine Lüge, wie er zu dem ganzen Geld gekommen ist.

Thomas geht in Gedanken nochmal alles durch. Alles erledigt! Er setzt sich in seinen Bulli und fährt in sein neues Leben. Erstmal raus aus Berlin. An einem kleinen See kurz hinter dem Berliner Autobahnring verbringt er den Nachmittag und übernachtet auch dort. Am Freitag ist der Termin beim Notar. Bis dahin lässt er sich für die Heimreise Zeit. Thomas nimmt bewusst kleine Landstraßen und geht auch hier und da Mal Wandern.

Das Haus am Weinberg

Freitag um Elf ist Thomas beim Notar. Dieser erklärt ihm alles und schließt damit den Kauf endgültig ab. Nun ist Thomas offiziell Grundstückseigentümer. Im nächsten Baumarkt holt er sich einiges an Werkzeug, Nägel und Schrauben, einen Briefkasten, Feuerholz und zwei Pakete Kohlen.

Am Wochenende baut er seine Möbel wieder auf. Er heizt das Haus ordentlich durch und bringt damit die Feuchtigkeit heraus. Sonntagabend schläft er zum ersten Mal in seinem Haus.

Am Ende der Woche kommt ein LKW und liefert seine neue Couch, ein neues Bett und Schlafzimmermöbel. Unterwegs hatte er die in einem riesigen Möbelkaufhaus erstanden. Nach und nach macht er es sich in seinem neuen Heim gemütlich.

Der Frost geht und der Frühling kommt. Thomas fängt auch an den Garten zu gestalten. Schnell merkt er, dass er überhaupt keine Ahnung vom Gärtnern hat. Sein Ziel ist es, im Einklang mit der Natur zu leben. Er will seine laufenden Kosten auf ein Minimum reduzieren. In dem er mit Holz heizt, das er sich im Wald zusammensucht. Wenn er seinen Strom noch selbst erzeugen kann und auf ein Auto verzichtet dann könnte das Gold bis zur Rente reichen. Vielleicht ein paar kleine Jobs Mal hier und da, aber ein festes Einkommen braucht er nicht.

Seine Nachbarin hat einen Naturgarten mit sehr vielen Kräutern, von Ihr erhofft er sich etwas Hilfe für seinen Garten. Jetzt im Frühjahr kommt sie zwei bis drei Mal die Woche und kümmert sich um ihren Garten. Anneliese ist nicht gerade sehr gesprächig, deshalb muss Thomas die Initiative ergreifen. Er spricht sie immer wieder an, möchte wissen, wann man welches Gemüse aussäht. Bereitwillig gibt sie ihm Antwort, vermittelt dann immer wieder gern ihr Wissen. Zu längeren Gesprächen kommt es aber nie.

Anneliese selbst beobachtet ihren neuen Nachbarn sehr genau. Dabei achtet sie aber stets auf Abstand. Keine längeren Gespräche, bloß keinen näheren Kontakt. Obwohl, niedlich findet sie ihren neuen Nachbarn schon und ein bisschen genauer begutachten kann sie ihn ja.

Während Thomas das große Beet zum Pflanzen vorbereitet und es mühevoll umgräbt, macht sie es sich auf ihrer Terrasse gemütlich. Hier hat sie freien Blick auf das Nachbargrundstück. Wie er da so mit freiem Oberkörper den Boden bearbeitet, das gefällt ihr schon. Mit einem Lächeln auf den Lippen, denkt sie an vergangene Zeiten, als sie sich so einen Leckerbissen ohne große Umschweife geschnappt hätte.

Thomas bemerkt ihr distanziertes Interesse an ihm. Oder bildet er es sich nur ein? Anneliese ist eine schlanke, alte Frau. Mehr kann er nicht erkennen. Sie trägt ständig weite und schmuddelig wirkende Sachen. Alles, was sie trägt, ist schwarz oder zumindest dunkelgrau. Ihre Bewegungen deuten nicht auf irgendwelche Gebrechen hin. Sie kann ordentlich zupacken und ihre Bewegungen wirken sehr geschmeidig. Stets hat sie einen schlabberigen Hoodie an und die Kapuze über den Kopf gezogen.

Mittlerweile ist der Garten bereit für den Sommer. Im Haus hat er die kleine Küchenzeile saniert und hat gegenüber, eine gemütliche Sofaecke eingerichtet. Einen Fernseher hat er nicht. Manchmal läuft sein kleines Kofferradio.

Nun ist es Zeit sich von seinem Bulli zu verabschieden. Eine kleine, einwöchige Abschiedstour macht er noch. Dabei verkauft er noch fünf Wasserhähne. Zwei Wochen später verkauft er den Bulli schweren Herzens. Die laufenden Kosten für den alten Benziner sind enorm hoch. Was er jetzt braucht, ist ein kleines Auto, das nicht viel an Unterhalt kostet und mit dem er auch Mal etwas transportieren kann. Gleich neben dem Autohändler, der seinen Bulli aufkauft, wird er auch gleich fündig. Dort kauft er sich einen einachsigen Gartentraktor mit einem kleinen Anhänger. Dafür brauch er keine Steuern zahlen und eine Versicherung muss er auch nicht abschließen. Da das kleine Ding nur 6 Km/h fährt, darf er damit auch auf die Straße. Jetzt hat er ja Zeit und größere Strecken will er eh nicht fahren. Eine Umstellung ist es schon, mit dem Ding zu fahren. Mit merklich Mühe kämpft sich der Einzylinder den Weinberg hoch.

Das nächste Projekt seiner Unabhängigkeit ist die eigene Stromversorgung. Bereits seit Tagen tüftelt er, hinter dem Haus am Bach, mit einer alten Lichtmaschine und einem Wasserrad herum. Erweitert wird das Ganze mit vier großen Solarzellen auf dem Dach und zwei großen LKW-Batterien als Speicher. Da er den kleinen Campingkühlschrank nur im Sommer braucht, wird ihm sein eigener Strom übers ganze Jahr hinweg ausreichen. Mit viel Mühe kann er seinen Stromvertrag kündigen. Er muss sogar dafür bezahlen, dass ein bevollmächtigter Elektriker den Anschluss abklemmt. Nun beendet er noch seinen Telefonvertrag. Damit hat er, außer der Grundstücksteuer keine laufenden Kosten mehr.

Thomas hat nirgends seine neue Adresse angegeben. Sein alter Arbeitgeber, seine Kollegen und Bekannten gehen davon aus, dass er nach Hamburg gegangen ist. Die Krankenkasse wird ewig brauchen, um seinen neuen Wohnort herauszufinden. Thomas hält nichts von Ärzten und dem ganzen Gesundheitssystem. Er will in Zukunft mehr auf seine Gesundheit achten. Mehr Gemüse essen und weniger Fastfood. So Mal eben zum nächsten McDonalds, wie soll das hier überhaupt gehen? Ganz automatisch wird er gesünder leben. Er will ein Selbstversorger werden. Er braucht keine Krankenkasse, schließlich ist er Gesund. Bei diesen Gedanken schaut er nach nebenan. Anneliese gießt gerade ihre Kräuter mit der Gießkanne. Kein Wunder, dass sie so fit ist. Stets kommt sie mit dem Fahrrad. Auch sie wird kein Auto haben und viel zu Fuß gehen. Von ihr kann er noch so einiges in dieser Hinsicht lernen.