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Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gilt Sklaverei als eine der schwersten Menschenrechtsverletzungen. Sklaverei gab es als gesellschaftliche und rechtliche Institution seit der Antike und bildete für verschiedene Kulturen bis in die Neuzeit hinein eine wichtige wirtschaftliche Grundlage. Erst seit der Zeit der Aufklärung konnte sich allmählich eine Antisklavereibewegung durchsetzen, die im 19. und 20. Jahrhundert große Erfolge erzielte. Doch wie Recherchen mutiger Journalisten und von Menschenrechtsorganisationen zeigen, gibt es Sklaverei offenbar noch heute. Schätzungen von Menschenrechts- und Antisklavereiorganisationen gehen weltweit noch immer von bis zu 30 Millionen modernen Sklaven aus! Das vorliegende Buch bietet eine historische Einführung und Darstellung der Problematik und begibt sich auf Spurensuche. Es beschreibt die Entwicklung der Sklaverei für verschiedene Kulturen – von der Antike bis in die Neuzeit. In übergreifenden Artikeln skizziert es den Umgang mit der Sklaverei in den Bereichen Religion, Philosophie und Wirtschaft. Ebenso macht es deutlich, welche Unterschiede es zwischen alter und moderner Sklaverei gibt.
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Seitenzahl: 267
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Martin Schneider, M. A.
Jahrgang 1973, studierte an der Universität Regensburg Allgemeine Wissenschaftsgeschichte, Geschichte und Politikwissenschaft. 2004–2009 arbeitete er für das Technische Museum Wien. Mitarbeit am Jubiläumsband »100 Jahre Technisches Museum Wien« (2009). 2009–2014 war er Programm-Manager für die Volkshochschule Traunreut. Er arbeitet als freier Autor sowie als Dozent in der Erwachsenenbildung.
Zum Buch
»Kein Mensch kann seinem Mitmenschen eine Kette um den Fuß schlagen, ohne das andere Ende der Fessel schließlich um den eigenen Hals gewunden zu finden.« FREDERICK DOUGLASS
Sklaverei gab es als gesellschaftliche und rechtliche Institution seit der Antike, zu Beginn des 21. Jahrhunderts gilt sie als eine der schwersten Menschenrechtsverletzungen. Doch wie Recherchen mutiger Journalisten und von Menschenrechtsorganisationen zeigen, gibt es Sklaverei noch heute. Schätzungen gehen weltweit noch immer von bis zu 30 Millionen modernen Sklaven aus!
Das vorliegende Buch bietet eine historische Einführung und Darstellung der Problematik und begibt sich auf Spurensuche. Es beschreibt die Entwicklung der Sklaverei für verschiedene Kulturen – von der Antike bis in die Neuzeit. In übergreifenden Artikeln skizziert es den Umgang mit der Sklaverei in den Bereichen Religion, Philosophie und Wirtschaft. Ebenso macht es deutlich, welche Unterschiede es zwischen alter und moderner Sklaverei gibt.
Martin SchneiderGeschichte der Sklaverei
Martin Schneider
Von den Anfängen biszur Gegenwart
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Alle Rechte vorbehalten
© by marixverlag in der Verlagshaus Römerweg GmbH, Wiesbaden 2015Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2015Covergestaltung: Network! Werbeagentur, MünchenBildnachweis: »Feitors corrigeant des nègres« Lithographie, koloriert, nach Jean-Baptiste Debret (1768–1848) © akg-images GmbHeBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0489-9
www.verlagshaus-roemerweg.de
»Die Armut ist nicht nur einfruchtbarer Boden für die Sklaverei,sondern sie ist die Saatmaschine,die Sklaven und Sklavinnen in allerWelt hervorbringt.«
Lydia Cacho
WAS IST SKLAVEREI?
Bestandsaufnahmen
Formen der Unfreiheit
HISTORISCHE ENTWICKLUNG
Sklaverei in alten Kulturen Asiens
Ägypten und der Orient
Griechenland und Rom
Das christliche Mittelalter
Der islamische Kulturraum
Sklavenhandel zwischen Afrika und der Neuen Welt
Widerstand und Rebellion
Die Abschaffung der Sklaverei
Sklaverei im Nationalsozialismus
Sklaverei und moderne Menschenrechte
Moderne Sklaverei im 20. und 21. Jahrhundert
THEMATISCHE ASPEKTE
Sklaverei als Thema in der Philosophie
Sklaverei als Thema in der Religion
Sklaverei als wirtschaftspolitischer Faktor
Sklaverei und Rassismus
SKLAVEREI – EIN DEUTUNGSVERSUCH
WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN IM INTERNET
ANMERKUNGEN
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
Rechtsquellen
Literatur
Artikel 4 der 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte besagt: »Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel in allen ihren Formen sind verboten.«1 Doch die Realität erscheint zu Beginn des 21. Jahrhunderts weit davon entfernt.
So berichtete die in Australien ansässige Walk Free Foundation in Ihrem Global Slavery Index 2014 von weltweit 35,8 Mio. Menschen, die im Jahr 2013 noch immer als Sklaven lebten.2 61 % dieser Menschen ließen sich dem Bericht zufolge fünf Ländern zuordnen: Indien, China, Pakistan, Usbekistan und Russland. Ferner zählen Nigeria, die Demokratische Republik Kongo, Indonesien, Bangladesch und Thailand zu den zehn Ländern, in denen weltweit die meisten Sklaven leben würden.
Vergleicht man diese Angaben mit dem Global Slavery Index 2013 (für das Jahr 2012), so scheint die Zahl der versklavten Menschen sogar noch angestiegen zu sein, da sie im Vorjahr »nur« mit 29,8 Mio. angegeben wurde.3 Walk Free führt dies allerdings nicht auf einen tatsächlichen Anstieg zurück, sondern auf die Verbesserung der dieser Statistik zugrundeliegenden Messverfahren.4 Die Liste der zehn Staaten denen auch im Index 2013 die höchsten Sklavenzahlen zugeordnet wurden, ist fast mit der Auflistung von 2014 identisch: Indien, China, Pakistan, Nigeria, Äthiopien, Russland, Thailand, Demokratische Republik Kongo, Myanmar und Bangladesch.
Diesen Studien zufolge gibt es kein Land auf der Erde, in dem keine Sklaven leben. Das würde somit sogar auf europäische Staaten zutreffen. In einem internationalen Vergleich, der die Einwohnerzahl eines Landes mit der geschätzten Anzahl der in ihm lebenden Sklaven in Beziehung setzt, belegte die Bundesrepublik Deutschland im Global Slavery Index 2013 den 136. Platz. In ihr lebten laut dieser Studie zwischen 10.000 und 11.000 Sklaven. In Frankreich seien es zwischen 8.000 und 9.000 Sklaven gewesen (Platz 139). Großbritannien lag mit geschätzten 4.200 bis 4.600 Sklaven auf dem 160. Platz.5 Im Bericht von 2014 belegte Deutschland mit 10.500 Sklaven den 147. Platz, Frankreich mit 8.600 Sklaven Platz 148 und Großbritannien findet sich mit 8.300 Sklaven auf Platz 149.6
Die International Labour Organisation (ILO) kam in ihrem 2014 veröffentlichten Bericht Profits and Poverty. The Economics of Forced Labour für 2012 zu dem Schluss, dass weltweit 20,9 Mio. Menschen Zwangsarbeit leisten mussten oder unter sklavereiähnlichen Bedingungen lebten: 4,5 Mio. (= 22 %) von ihnen seien Opfer sexueller Ausbeutung und in weiteren 2,2 Mio. Fällen (= 10 %) sei die Zwangsarbeit sogar staatlich angeordnet.7 Unter Verweis auf die ILO wird diese Zahl auch von der Menschenrechtsorganisation Anti-Slavery International genannt.8
Der Sonderausschuss gegen organisiertes Verbrechen, Korruption und Geldwäsche des Europäischen Parlaments berichtete im September 2013, dass allein in Europa 880.000 Menschen Zwangsarbeit leisten müssten. Von ihnen seien 270.000 Menschen Opfer sexueller Ausbeutung.9
Sklaverei und Zwangsarbeit in unserer modernen Welt sind ein verstörender Befund! Die im kalifornischen Oakland (USA) ansässige Organisation Slavery Footprint publizierte 2011 sogar die Website How many slaves work for you? Sie bietet dem Besucher einen Test, der zunächst in elf Abschnitten seine Lebensweise sowie sein Konsumverhalten abfragt und anschließend errechnet, wieviele Sklaven zur Aufrechterhaltung dieses Lebensstils notwendig sind – wieviele moderne Sklaven somit für sie oder ihn arbeiten.10
Auch wenn die den angeführten Studien zugrunde liegenden Methoden der Berechnung hinterfragt, kritisiert und verbessert werden können:11 Es ist nicht zuletzt die mutige Arbeit von Menschenrechtsorganisationen, einzelner Menschenrechtler und Journalisten, die immer wieder Fälle von Sklaverei aufdecken, Zeugenaussagen sammeln, Opfer befreien und den oft traumatisierten Menschen helfen. Sie belegen, dass dieses Thema auch in der heutigen Welt nach wie vor aktuell ist.
Wie der zitierte Artikel 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die Studie der International Labour Organisation und der Bericht des Sonderausschusses zeigen, sind mit der Sklaverei auch Begriffe wie »Leibeigenschaft« und »Zwangsarbeit« eng verbunden. Zwar beschreiben diese durchaus verschiedene Zustände. Sie weisen aber so große Überschneidungen mit der Sklaverei auf, dass sie umgangssprachlich häufig synonym verwendet werden. Daher soll zunächst der Frage nachgegangen werden, was denn eigentlich unter Sklaverei zu verstehen ist und wer als Sklave bezeichnet werden kann.
Sklaverei bezeichnet die völlige persönliche, rechtliche und wirtschaftliche Abhängigkeit eines Menschen von einem anderen. Dieser abhängige Mensch – der Sklave – ist das Eigentum seines Herrn – des Sklavenhalters. Letzterer kann im Extremfall über körperliche Bestrafung, Verkauf, Vererbung und Tötung, aber auch über die Freilassung seines Sklaven entscheiden.
Die erste völkerrechtlich verbindliche Definition findet sich in der Antisklavereikonvention des Völkerbundes von 1926. Artikel 1, Abs. 1 beschreibt Sklaverei als den »Zustand oder die Stellung einer Person, an der die mit dem Eigentumsrechte verbundenen Befugnisse oder einzelne davon ausgeübt werden«. Das 1956 von den Vereinten Nationen verabschiedete Zusatzabkommen über Abschaffung der Sklaverei bezog dann auch Schuldknechtschaft, Leibeigenschaft, Kinderarbeit und Zwangsehen mit ein.
Da Sklaverei vielfältige Aspekte aufweist, ist sie Untersuchungsgegenstand unterschiedlicher Fachdisziplinen. Somit finden sich Definitionsansätze von Historikern, Wirtschaftswissenschaftlern, Anthropologen, Soziologen, Juristen und Menschenrechtlern. Jedoch lässt sich eine Schnittmenge an Kriterien bilden, die erfüllt sein müssen, um in einem bestimmten Fall von historischer Sklaverei sprechen zu können, wie sie von der Antike bis in die Neuzeit existierte: Es handelte sich bei ihr um eine Institution, die sich auf rechtliche Grundlagen stützte und gesellschaftlich akzeptiert war. Sklaven galten als das Eigentum ihrer Besitzer. Sie besaßen keine persönliche Freiheit und ihre Bewegungsmöglichkeit wurde durch die Kontrolle ihres Herrn eingeschränkt. Ebenso wurden Ehe und Fortpflanzung von diesem kontrolliert: Sie konnten gestattet, verboten oder zwangsweise arrangiert werden. Sklaven waren Rechtsobjekte, keine -subjekte. Ihre Rechte waren drastisch begrenzt, gesetzlich vorgesehene Strafen waren in der Regel härter als für Freie. Allerdings finden sich kaum Gesellschaften, in denen Sklaven gar keine Rechte besaßen. Zwar galt die Züchtigung eines Sklaven durch seinen Herrn als legitim und legal, aber Misshandlungen und Tötungen waren – zumindest juristisch – häufig Grenzen gezogen. Der Sklave war immer Außenseiter in der Gesellschaft, in der er lebte. Das gilt paradoxerweise auch für diejenigen Sklaven, die hohe Positionen inne haben konnten. Sklaven waren grundsätzlich nicht vermögens- und geschäftsfähig. Sofern sie – scheinbar – selbstständig wirtschafteten, taten sie es doch immer in Abhängigkeit von ihrem Herrn sowie für dessen Nutzen.12
Der international renommierte Sklavereiforscher Orlando Patterson (geb. 1940) bezeichnete Sklaverei in seinem 1982 erschienenen Buch Slavery and Social Death als »Sozialen Tod«.13 Der französische Ethnologe Claude Meillasoux (1925–2005) hatte in seiner Anthropologie der Sklaverei von »Nichtgeborenen und Toten auf Bewährung« gesprochen. Um diesen Zustand herbeizuführen, verlaufe die Versklavung über die Stufen der Entsozialisierung, der Entpersönlichung, der Entsexualisierung sowie der Entzivilisierung.14
Wie noch gezeigt werden soll, hat sich die moderne Sklaverei in Grundzügen gewandelt. Der amerikanische Soziologe Kevin Bales hat neben weiteren Unterschieden v.a. darauf hingewiesen, dass es sich bei der modernen Sklaverei – wie sie im 21. Jahrhundert auftritt – nicht mehr um eine akzeptierte juristische und gesellschaftliche Institution handelt, da sie inzwischen durch eine Vielzahl von Menschenrechtsabkommen und nationalen Gesetzen bekämpft wird.15 Nichtsdestotrotz bleiben auch bei dieser Form die persönliche Unfreiheit, Gewalt und Ausbeutung bestehen.
Andere Formen von Unfreiheit unterscheiden sich von der Sklaverei in der Regel durch das Recht auf die eigene Person, Heirat und Fortpflanzung. Das ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. entstehende Kolonat – auf das noch eingegangen werden soll – bezeichnete ein bäuerliches Pachtverhältnis. Zwar waren Kolonen zu Kopfsteuer, Kriegs- und Frondiensten verpflichtet, doch waren sie persönlich frei.
Das Rechtsverhältnis der Leibeigenschaft wird besonders mit dem mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa verbunden, in dem v.a. Bauern oft in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit von ihrem Gutsherrn lebten. Sie waren ihm zu Abgaben sowie zu Frondiensten verpflichtet und besaßen ohne Erlaubnis ihres Herrn keine Freizügigkeit. Im Unterschied zur Sklaverei waren sie allerdings nicht sein Eigentum. Sie besaßen auch Rechte. Dennoch konnten Abgaben- und Dienstpflichten so drückend ausgeprägt sein, dass die Betroffenen und ihre Familien in bitterer Armut lebten und die Grenzen zur Sklaverei nur noch theoretisch existierten. Die harten Formen der Leibeigenschaft in osteuropäischen und russischen Gebieten des 18. und 19. Jahrhunderts liefern dazu viele Beispiele. So ließ die russische Zarin Katharina die Große (reg. 1762–1796) zwar öffentliche Versteigerungen von Leibeigenen verbieten.16 Dies hielt sie jedoch nicht davon ab, selbst mehrere tausend leibeigene Bauern wie eine Ware an ihre Günstlinge zu verschenken.17 Auch in Mittel- und Westeuropa existierte die Leibeigenschaft, war oft jedoch nicht so ausgeprägt wie im Osten. Erst die im 18. und 19. Jahrhundert in vielen Staaten durchgeführten Bauernbefreiungen veränderten diesen Zustand.
Unter Zwangsarbeit versteht man jede Arbeit und Dienstleistung, die von einem Menschen unter Androhung von Strafe verlangt wird und für die er sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat.
Doch auch Zwangsarbeit unterscheidet sich von der Sklaverei im personenrechtlichen Status: Während in der Sklaverei sowohl die Arbeit als auch die arbeitende Person unfrei sind, kann Zwangsarbeit auch von personenrechtlich Freien geleistet werden.18
Es liegt in der Natur der Sache, dass eine Einrichtung wie die Sklaverei, in der ein Mensch zum Eigentum eines anderen bestimmt wird, der notfalls auch über Bestrafung und Tötung entscheiden darf, unter Zwang verrichteter Arbeit Tür und Tor öffnet: Aus Angst vor Strafe wird der Sklave die Arbeit ausführen, von Freiwilligkeit kann dabei keine Rede sein. Sklaverei führt damit zur bedingungslosen Ausbeutung der Arbeitskraft eines Menschen zum wirtschaftlichen Nutzen seines Besitzers. Ein besonders grausames Beispiel liefert die deutsche Geschichte: Die angeblich rassisch minderwertige, während des Zweiten Weltkriegs versklavte Bevölkerung osteuropäischer Länder musste während des Nationalsozialismus Zwangsarbeit in Konzentrations- und Vernichtungslagern sowie in kriegswichtigen Betrieben leisten. Ziele waren die wirtschaftliche Ausbeutung ihrer Arbeitskraft für einen deutschen »Endsieg« sowie ihre ethnische Vernichtung durch harte Arbeit unter unmenschlichen Bedingungen.
Sklavenhandel ist immer Menschenhandel. Er lässt sich beschreiben als die Bewegung von Menschen, um sie zu Ausbeutungszwecken zu verkaufen.19 Seitens des Händlers wird die menschliche Ware kontrolliert. Das Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels (2005) der Vereinten Nationen definiert diesen in Artikel 3a als
die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen.20
Schon diese kurzen und sicher nicht erschöpfenden Ausführungen zeigen, dass eine eindeutige Abgrenzung der Sklaverei zu anderen Formen und Prozessen der Unfreiheit nicht immer einfach zu ziehen ist. Viele Themenkomplexe sind miteinander verbunden und die Grenzen verschwimmen. Auch müssen große Unterschiede in der Ausprägung sowie im gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Umgang mit dieser Institution berücksichtigt werden. Zudem wäre es historisch verfehlt, die heutigen internationalen Bestimmungen der Menschenrechte gegen Sklaverei und Menschenhandel als ethischen Maßstab zur Beurteilung vergangener Kulturen heranzuziehen. Die Menschenrechte, die Versuche ihrer Umsetzung aber auch der derzeitige Zustand moderner Sklaverei stellen vielmehr den Status Quo einer Entwicklung dar, die vielfältige Wurzeln aufweist. Sie liegen in der Geschichte, in der Politik, in der Philosophie, in der Theologie sowie in der Rechtswissenschaft. Diesen Wurzeln soll im Folgenden nachgegangen werden.
Dazu gliedert sich das vorliegende Buch in zwei große Abschnitte. Zunächst wird ein historischer Überblick zur Sklaverei von der Antike bis ins 21. Jahrhundert im jeweiligen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Kontext gegeben. Anschließend werden verschiedene ideengeschichtliche Aspekte aus Religion, Philosophie, Wirtschaft und Menschenrechten betrachtet. Das Schlusskapitel unternimmt den Versuch, die vielen dabei skizzierten Entwicklungen in einem Deutungsversuch zusammenzuführen.
Der verbesserten Lesbarkeit halber wird im Text dieses Buches in der Regel die maskuline Form »Sklave« verwendet. Damit sind sowohl Sklaven als auch Sklavinnen gleichermaßen gemeint, sofern nicht ausdrücklich auf geschlechtsspezifische Unterschiede hingewiesen wird.
Die chinesische Geschichte beginnt mit den fünf legendären Urkaisern des 3. Jahrtausends v. Chr. Sie gliedert sich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts n. Chr. in eine Vielzahl von Dynastien, die zum Teil regionale, teilweise überregionale Bedeutung besaßen. Sie können hier nur ansatzweise erwähnt werden. Erstmals ist ein auf Mittelchina begrenztes Reich unter der Shang-Dynastie (ca. 1600–1100 v. Chr.) belegt. Unter der nachfolgenden Zhou-Dynastie (ca. 1100–256 v. Chr.) bildete sich ein Lehnssystem heraus. Allerdings zerfiel das Reich bereits ab dem 5. Jahrhundert v. Chr.
In dieser Zeit des Umbruchs lebten die großen Philosophen Konfuzius (551–479 v. Chr.) und Lao-tse (4./3. Jahrhundert v. Chr.). Konfuzius richtete sich gegen den Verfall und strebte eine ethisch basierte Neuerrichtung des bisherigen Reiches an. Auf Lao-tse geht die Begründung des philosophischen Taoismus zurück.
Für den Feudalstaat Zheng kann 536 v. Chr. bereits eine Rechtskodifizierung nachgewiesen werden. Die im 5. Jahrhundert v. Chr. einsetzende Zeit der Streitenden Reiche sowie das sich anschließende Interregnum wurde 221 v. Chr. unter der kurzlebigen Qin-Dynastie durch Einigung des Landes beendet. Es folgte die Han-Zeit (206 v. Chr.–220 n. Chr.). Unter Kaiser Wudi (reg. 141–87 v. Chr.) begann das Reich außenpolitisch zu expandieren. In der Rechtsprechung gewannen die Konfuzianer an Einfluss. Um das gesellschaftliche Zusammenleben zu sichern, sollte – bei der Familie angefangen – eine strenge soziale und rechtliche Hierarchie bestehen. Damit wandten sie sich gegen legalistische Ansätze, die zuvor für eine Gleichheit aller Untertanen vor dem Gesetz eingetreten waren. Am Ende der Han-Zeit zerbrach das Reich erneut, konnte in der westlichen Jin-Zeit (265–317 n. Chr.) jedoch nochmals kurzzeitig geeint werden. Bis in das 10. Jahrhundert n. Chr. folgten eine Vielzahl von Dynastien im Norden und im Süden. Das kodifizierte Recht bestand in großen Teilen aus Strafrechtsbestimmungen. Zu diesen gehörten nicht nur Todes- sondern auch Prügelstrafen, Deportationen, Verbannungen und Zwangsarbeit.
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