Der Tote und das Mädchen & Tod auf der Werft - Martina Bick - E-Book
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Der Tote und das Mädchen & Tod auf der Werft E-Book

Martina Bick

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Beschreibung

Der Tote und das Mädchen „Wetten, dass es in Hamburg wieder einen Toten gibt, wenn ich nach dem Urlaub ins Büro komme?“ Marie Maas hat gerade erst einen erholsamen Kurzurlaub an der Nordsee verbracht und hätte eigentlich gern noch etwas mehr Zeit für ihren Liebhaber. Doch die Pflicht ruft, schließlich trägt man als Chefin der Hamburger Mordkommission eine gewisse Verantwortung – und natürlich wartet schon ein neuer Fall auf sie. Der Devisenmakler Horst Reimann wurde in seiner Wohnung erschossen. Hat der Mord etwas mit den illegalen Waffengeschäften des Opfers zu tun? Oder wurde er von seiner eigenen Vergangenheit eingeholt? Der erste Fall für Marie Maas – eine außergewöhnliche Kommissarin stellt sich vor. Jetzt als eBook: „Der Tote und das Mädchen“ von Martina Bick. dotbooks – der eBook-Verlag Tod auf der Werft Für Rache und Vergeltung war es zu spät, und auch für Buße und Rechenschaft gab es keinen Anlass mehr. Und trotzdem konnte Marie Maas den Fall nicht zu den Akten legen … Es ist Winter, in Hamburg ist es kalt und nass. Marie Maas muss sich nicht nur mit ihrem jungen Neffen herumschlagen, der für ein paar Wochen bei ihr eingezogen ist und sich den ganzen Tag nicht aus der Wohnung traut, sondern auch noch in einem verzwickten Mordfall ermitteln: Ein junger Handwerker wurde auf einer Werft im Hamburger Elbvorort Finkenwerder brutal zusammengeschlagen und später tot aufgefunden. Marie Maas stellt Nachforschungen an und stößt zunächst auf eine Mauer des Schweigens. Erst als eine zweite Leiche gefunden wird, findet sie eine Spur, die sie zu einer Wahrheit führt, die sie besser nicht gefunden hätte … Der zweite Fall für Marie Maas – eine außergewöhnliche Kommissarin auf der Suche nach der Wahrheit. Jetzt als eBook: „Der Tote und das Mädchen“ von Martina Bick. dotbooks – der eBook-Verlag

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Über „Der Tote und das Mädchen“:

Marie Maas hat gerade erst einen erholsamen Kurzurlaub an der Nordsee verbracht und hätte eigentlich gern noch etwas mehr Zeit für ihren Liebhaber. Doch die Pflicht ruft, schließlich trägt man als Chefin der Hamburger Mordkommission eine gewisse Verantwortung – und natürlich wartet schon ein neuer Fall auf sie. Der Devisenmakler Horst Reimann wurde in seiner Wohnung erschossen. Hat der Mord etwas mit den illegalen Waffengeschäften des Opfers zu tun? Oder wurde er von seiner eigenen Vergangenheit eingeholt?

Der erste Fall für Marie Maas – eine außergewöhnliche Kommissarin stellt sich vor.

Über „Tod auf der Werft“:

Es ist Winter, in Hamburg ist es kalt und nass. Marie Maas muss sich nicht nur mit ihrem jungen Neffen herumschlagen, der für ein paar Wochen bei ihr eingezogen ist und sich den ganzen Tag nicht aus der Wohnung traut, sondern auch noch in einem verzwickten Mordfall ermitteln: Ein junger Handwerker wurde auf einer Werft im Hamburger Elbvorort Finkenwerder brutal zusammengeschlagen und später tot aufgefunden. Marie Maas stellt Nachforschungen an und stößt zunächst auf eine Mauer des Schweigens. Erst als eine zweite Leiche gefunden wird, findet sie eine Spur, die sie zu einer Wahrheit führt, die sie besser nicht gefunden hätte …

Der zweite Fall für Marie Maas – eine außergewöhnliche Kommissarin auf der Suche nach der Wahrheit.

Über die Autorin:

Martina Bick wurde 1956 in Bremen geboren. Sie studierte Historische Musikwissenschaft, Neuere deutsche Literatur und Gender Studies in Münster und Hamburg. Nach mehreren Auslandsaufenthalten lebt sie heute in Hamburg, wo sie an der Hochschule für Musik und Theater arbeitet. Martina Bick veröffentlichte zahlreiche Kriminalromane, Romane und Kurzgeschichten und war auch als Herausgeberin tätig. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet. 2001 war sie die offizielle Krimistadtschreiberin von Flensburg.

Bei dotbooks erscheinen die Romane Unscharfe Männer, Die Landärztin und die Fortsetzung Neues von der Landärztin sowie die Krimi-Reihe um Hauptkommissarin Marie Maas, die folgende Bände umfasst:

Der Tote und das Mädchen. Der erste Fall für Marie Maas

Tod auf der Werft. Der zweite Fall für Marie Maas

Die Tote am Kanal. Der dritte Fall für Marie Maas

Tödliche Prozession. Der vierte Fall für Marie Maas

Nordseegrab. Der fünfte Fall für Marie Maas

Tote Puppen lügen nicht. Der sechste Fall für Marie Maas

Totenreise. Der siebte Fall für Marie Maas

Heute schön, morgen tot. Der achte Fall für Marie Maas

***

Originalausgabe November 2015

Die Tote am Kanal erschien bereits 1995 unter dem Titel Tödliche Ostern in dem Doppelband Tödliche Ostern / Mörderischer Advent bei Knaur.

Copyright © der Originalausgabe Die Tote am Kanal 1995 Knaur

Tod auf der Werft erschien bereits 1995 unter dem Titel Mörderischer Advent in dem Doppelband Tödliche Ostern / Mörderischer Advent bei Knaur.

Copyright © der Originalausgabe Tod auf der Werft 1995 Knaur

Copyright © der Neuausgaben 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz unter Verwendung von shutterstock/Evgeny Vorobyev

ISBN 978-3-95824-418-4

***

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Martina Bick

Der Tote und das Mädchen & Tod auf der Werft

Zwei Kriminalromane in einem Band

dotbooks.

Der Tote und das Mädchen

Der erste Fall für Marie Maas

1

Am Ostersamstag wurde es richtig voll. Beim Schlachter stand die Schlange bis auf die Straße, und bei Petersen zog sie sich vom Drehkreuz am Eingang in einer U-förmigen Schlangenlinie an allen Regalen vorbei, mit Ausbuchtungen an den Extra-Aufbauten für Sonderangebote bis hin zur Kasse. Man schob sich langsam durch die Konserven, kämpfte um Tüten und Waage am Obststand, grapschte nach den letzten Milchflaschen und konnte sich erst zwischen den Kristallvasen und in Plastik eingeschweißten Spielwaren kurz vor der Kasse entspannen. Ein letzter Sprint zu den Zeitungen, und dann war man endlich an dem schwarzen Band vor der Kasse angelangt und erkämpfte sich Millimeter für Millimeter, um die erstandenen Lebensmittel aufzutürmen. Breitestes Dithmarscher Platt, das die Worte auf ganz eigentümliche Weise zum Platzen brachte und als Zäsuren unzählige, scharf gerollte R's dazwischenstreute, klapperte Marie Maas in den Ohren. Sie sah sich nach Tomkin um, dessen Gesicht sich etwa eine Kopflänge über ihrem befand, weltabgewandt, in irgendwelche typisch britische Gedankengänge vertieft. Er lächelte sie verstört an, als ihr Blick ihn erreichte.

»Everything okay?«

Marie Maas widmete sich der Kassiererin.

»Wollen wir uns noch eine Lammkeule leisten?« fragte sie dann, ehe sie die vollen Taschen an den Fahrradlenker hängte. Tomkin sah unglücklich auf die Menschenansammlung vor dem Schlachterladen.

»Sagtest du nicht, wir wollen Fisch essen?«

Im Fischladen am Hafen sah es nicht anders aus. Tomkin schlenderte mit den Händen in den Gesäßtaschen an den Krabbenkuttern entlang, auf denen die Fischer hantierten. Die Flut lief auf, sie würden bald zum Fang ausfahren. An die vierzig bunt gestrichene Kähne lagen im Friedrichskooger Hafenbecken, neben Büsum die letzte Krabbenkutter-flotte an der deutschen Nordseeküste. Und selbst die hatte zu kämpfen. In einem Jahr fraßen die Schollen die Brut weg, im nächsten verbot ein Robbensterben mit ungeklärter Ursache den Fang, im dritten setzte eine frühe Wärmeperiode eine übermäßige Algenblüte in Gang und machte den Fang unmöglich. Das letzte Jahr war mit miserablen Fangergebnissen rot zu Buche geschlagen, und einige Fischer waren abgewandert nach Holland, wo leichtere Bestimmungen und verschiedene Nebengeschäfte bessere Ergebnisse versprachen. Tomkin schnupperte dem salzigen Fischgeruch nach und besah sich die dicken Träger, an denen die Netze befestigt waren. Ausgeklappt würden sie den gedrungenen Motorschiffen das Aussehen von Flugzeugen verleihen, die über dem Wasser zu schweben schienen. Ein Schiffer tippte sich an die Mütze und rief ihm etwas zu. Tomkin sprach zwar gut Deutsch, aber diese Sprache hier verstand er nicht. Sie hörte sich an wie Englisch. Aber es war Deutsch. Es war wie eine Mischung von beidem und also gar nichts.

»Hier!«

Marie schwenkte eine weiße Plastiktüte mit rotem Aufdruck und hielt sie ihm wie Beute unter die Nase. Süßlicher Fischgeruch schlug ihm entgegen. »Krabben satt! Und dies hier.« Sie holte ein weißes Paket heraus. »Makrele. Und hier: zwei dicke Schollen. Gut?«

Die Ferienwohnung befand sich in einem flachen Neubau hinter dem Hotel »Stadt Hamburg«. Schwimmbad und Gartenanlage standen zur Verfügung, in zwei Minuten war man auf dem Deich, auf dessen Seeseite bunte Strandkörbe aufgestellt waren. Hinter der Steinmole erstreckte sich kilometerweit das Wattenmeer, und darüber zog sich flach und wolkig wie eine Daunendecke der norddeutsche Himmel. Marie Maas versuchte die Grautöne zu zählen. Die der Wolkenberge und die der silbrig glänzenden Fläche des Watts. Da brach die Sonne durch eine Ritze und verzauberte auf einen Schlag das Bleigrau in Weißgold, Minuten später war der Himmel frei, marineblau, und wärmte ihren dicken, weißen Norwegerpullover. Sie legte ihr Buch aufgeschlagen über das Gesicht und genoß die plötzliche Wärme.

»Machen wir eine Fahrradtour?« fragte Tomkin und rekelte sich an ihrer Seite im Strandkorb. Er quietschte mit der Fußstütze, und an dem kühlen Streifen über ihrer Brust, den wohl sein Schatten verursachte, merkte Marie, daß er sich aufgerichtet hatte.

»Ich möchte das Kapitel noch zu Ende lesen.«

»Was macht Janosch?«

»Janosch ist inzwischen eingeschult worden. Hab ich dir schon erzählt, wie er von der Violine zur Oboe gelangt ist? Also, zuerst hatte ihn sein Vater Geige spielen gelehrt.«

Tomkin nahm ihr das Buch vom Gesicht, damit er sie besser verstehen konnte. Er sah sich das Foto des Musikers auf der Rückseite des Einbandes an. Ein dunkler, schnauzbärtiger, schöner Mann, Ungar, im Sternzeichen des Löwen geboren. Janosch Zanucci, Oboist der Weltklasse. Eine Biographie aus den Anfängen dieses Jahrhunderts.

»Das konnte der kleine Kerl auch ganz gut, aber das Herumstromern und die Prügelschlachten mit den Dorfkindern schienen ihm besser zu gefallen. Dann schenkte ihm eine Tante, die aus Budapest zu Besuch kam, eine Okarina. Weißt du, so ein Tonkörperchen, in der Form ähnlich wie ein Entenleib. Mit acht Grifflöchern versehen und einem Mundloch; ein altes asiatisches Blasinstrument, auf dem man hübsche Melodien spielen kann. Und was tat der kleine Janosch? Er nahm die Okarina und spielte darauf wie der Gott Pan. Da wußte man also: Der junge war ein Bläser.«

»Und dann bekam er die Oboe.«

»Anzunehmen. So weit bin ich noch nicht.«

»Stell dir vor, es gäbe keine Tanten.«

»Willst du heute noch arbeiten?«

Tomkin legte sich die Musikerbiographie über die Augen. Er ertrug diese Frage einfach nicht. Auch wenn er wußte, daß Marie sie nur organisationshalber stellte. Während Marie Maas, Kriminalhauptkommissarin und Chefin der Hamburger Mordkommission, die Arbeit hinterherlief, die Toten sich ihr sozusagen in den Weg zu legen pflegten, war Tomkin umgekehrt derjenige, der ständig seiner Arbeit nachrannte. Marie Maas hatte regelrechte Tricks entwickelt, um ihrem Stigma zu entfliehen. In den Anmeldezettel des Hotels, das die Ferienwohnungen verwaltete, hatte sie unter Beruf zum Beispiel »Hausfrau« eingetragen. Bisher schien die Methode zu funktionieren, jedenfalls war ihr in Friedrichskoog noch kein Mord gemeldet worden. Tomkin hingegen hatte sich Berge von Arbeit mit in den Osterurlaub genommen. Nach langjähriger Tätigkeit als Texter in einer Werbeagentur war er seit ungefähr einem Jahr freischaffender Schriftsteller und brütete über seinem ersten Roman, in dem er seine Kindheit aufarbeiten wollte. Eine Tasche voll psychologischer Lektüre über Kinder, die wie er bei nur einem Elternteil aufgewachsen waren, stand immer im Weg zwischen Sessel und Sofa, fand sich neben dem Bett wieder oder vor dem Kühlschrank, wenn Marie mit fischigen Fingern nur rasch die Zitrone aus dem Gemüsefach angeln wollte. Nur – Tomkin las gar nicht. Und schrieb noch viel weniger.

»Warum verdirbst du dir die paar Tage hier mit diesem elenden Vorsatz zu arbeiten?«

»Hm?« brummte Tomkin unter dem Schutz von Janosch Zanuccis Biographie.

»Ich werde deine verdammte Materialtasche mit der Post zurück nach London schicken. Sie steht nur im Weg.«

Tomkin legte ihr das Buch in den Schoß und stand auf.

»Come on, laß uns was essen. Damit du auf andere Gedanken kommst.«

»Wetten, daß es in Hamburg wieder einen Toten gibt, wenn ich am Dienstag ins Büro komme?«

Tomkin saß auf dem Fahrrad wie ein Pudel, der Männchen macht. Der Lenker war viel zu hoch, dafür der Sattel zu niedrig, das ganze Rad insgesamt zu klein. Maries Leihrad war gerade andersherum fehlproportioniert. Sie mußte sich tief nach unten beugen, sofern sie nicht freihändig fahren wollte, und der Sattel schien übermäßig weit vom Lenker entfernt zu sein. Jedenfalls hatte sie den Eindruck, auf ungewohnte Art und Weise gestreckt zu werden, und konnte nur hoffen, daß ihrer eingerosteten Büromuskulatur die Übung gut bekäme. Sie stierte auf den vorbeisausenden schwarzen Straßenbelag und auf ihre Turnschuhe, die sich wie Paternoster auf und ab bewegten. Der Wind blies ihnen streng und beständig entgegen, und Marie Maas tröstete sich mit der Aussicht auf Rückenwind auf dem Heimweg. »Mal doch den Teufel nicht an die Wand!« rief Tomkin. »Ich habe schließlich noch zwei Tage Urlaub. Immer diese Toten, an die ich dich abtreten muß.«

Marie grinste und suchte nach einer Spitze, um Tomkin zu ärgern. Etwas in Richtung Eifersucht. Aber ihr fiel nichts ein. Der Süderdeich zog sich schnurgerade dahin, links von ihr mit windschiefen Pappeln und Ahorn bestanden. Einmal rund um den Koog, hatten sie sich vorgenommen. Tomkin hatte lange die Radwanderkarte studiert und alle Entfernungen sorgfältig ausgemessen, ehe er dem Wagnis zustimmte.

»Können höchstens dreißig Kilometer sein, das schaffen wir wohl.«

Fahrradflickzeug hatte er trotzdem mitgenommen, der Pessimist, aber keine Luftpumpe. Marie hatte nichts dazu gesagt, sonst würden sie jetzt immer noch in Friedrichskoog-Spitze herumhängen, auf der Suche nach einer Luftpumpe. »Sieh mal«, sagte Tomkin, der einen phantastischen Rundblick in seiner Pudelmännchenstellung genoß. »Diese Häuschen könnten mir gefallen.«

Statt Kohl- und Weizenfeldern reihten sich jetzt kleine Einfamilienhäuser an der Deichstraße auf, von akkuraten Gärten umgeben, mit jeweils einem Mandelbäumchen und abgezirkelten Tulpenbeeten.

»Ach nein«, meinte Marie und wies auf einen häßlichen, umgebauten Kasten mit einer dreieckigen Glasfront nach Südwesten. »Das ist doch biederste deutsche Hausmannskost.«

»Dies vielleicht eher?« Tomkin bremste vor einem dunkelbraun gestrichenen, von hohen Kastanien umstandenen Altbau.

»Zu finster. Aber das da.«

Marie sprang vom Rad und schob es an den Straßenrand. Zu verkaufen stand auf einem handgemalten Holzschild. Das Haus fiel allerdings aus der Reihe. Nicht nur, weil es statt von akkuraten Rasenflächen von einer wildwachsenden, kniehohen Wiese umgeben war; es war auch als einziges noch in seiner ursprünglich nordfriesischen Form belassen worden. Abgeflachte Giebel, weißgekalkte Wände mit niedrigen, blaugestrichenen Fensterrahmen und ein schiefer dicker Schornstein auf der bemoosten Eternitabdeckung, die das Reetdach ersetzt hatte. Das Häuschen duckte sich hinter den Deich und zwischen das Grün, als wolle es nur ja nicht auffallen in stürmischen Zeiten.

Tomkin stakste hinter Marie her durch das hohe Gras, bis er den ausgetretenen Pfad entdeckte, der zur Haustür führte. Hier war alles plattgetreten.

»Das muß aber bewohnt sein«, stellte er fest.

»Und wie«, sagte Marie, die ihre Augen mit den Händen abschirmte und durch die Scheiben linste. »Ganz schönes Chaos da drin.« Das Bett in dem niedrigen, mit blassen Tapeten ausgestatteten Raum war nicht gemacht, Bücher, Schuhe und Kleidungsstücke lagen auf dem runden Holztisch und am Boden. Vor der Küche war eine schmale Terrasse sorgfältig vom Unkraut freigelegt worden, und hier hatte auch jemand versucht, einen Kräutergarten anzulegen. Die Küche war einfach mit Kohleofen, Elektroherd, Kühlschrank, Spüle und Eßtisch ausgestattet. Ein altes Röhrenradio thronte in der Ecke. Frühstücksgeschirr für eine Person stand abgewaschen auf dem Abtropfgestell.

»Da ist niemand!«

Marie drehte sich erschrocken um. Schließlich rechtfertigte doch das Verkaufsschild ihre Neugierde, oder?

Eine kräftige junge Frau stieg über den Entwässerungsgraben, der die Nachbargrundstücke voneinander trennte. Sie trug einen aufmerksam guckenden Jungen auf dem Arm und kam auf die Küchenterrasse zu.

»Niemand da. Interessieren Sie sich für das Haus?« Marie steckte ihre Verlegenheit weg und reichte der Frau die Hand.

»Maas«, stellte sie sich vor. »Ja, wir sahen zufällig das Verkaufsschild. Und das Haus gefällt uns so gut.«

»Das gefällt vielen. Aber die Besitzer wollen zu viel Geld dafür haben. Nun verfällt es so langsam.«

Sie wies mit dem Kopf auf eine herabhängende Dachrinne, die so niedrig angebracht war, daß man mit der Hand danach greifen konnte.

»Sie müssen es mal von drinnen sehen. Da muß viel dran gemacht werden. Der ganze hintere Teil ist noch Scheune, wie zu Adams Zeiten. Nee, das werden die nie los.«

»Aber es wohnt doch jemand drin?« fragte Tomkin.

»Nein. Manchmal kommt jemand und sieht nach dem Rechten. Ein junges Mädchen, das sich auch um den Garten kümmert. Mein Essen brennt mir an. Machen Sie Urlaub hier?« fragte sie schon im Weggehen. »Gute Luft haben Sie sich ausgesucht! Soll auch noch ein paar Tage so bleiben.« Und dann verschwand sie mit ihrem Jungen wieder über ihren picobello kurzgeschorenen Rasen, auf dem sorgsam verteilt ein paar Krokusse blühten.

2

Tomkin schlief noch, als Marie Maas am Dienstagmorgen den hellen Trenchcoat von der Garderobe nahm und ihre Wohnung verließ. Nach drei Tagen »Frühdienst«, was bedeutete, ihr ein ausgiebiges Frühstück ans Bett zu servieren, einen kurzen Wetterbericht zu skizzieren und bei der Schlemmerei im Nachtdreß Wache zu halten und für eine angenehme und belanglose Plauderei zu sorgen, war der junge Mann zu Recht erschöpft. Tomkin war zehn Jahre jünger als die Kommissarin, also gerade zweiunddreißig geworden. Er hatte das Osterwochenende mit der üblichen Schreibkrise beendet und würde sicher bis zur Abreise nur noch herummaulen.

»Das wächst sich zurecht«, hatte Marie versucht, ihn zu ermutigen.

Ohne Erfolg. Morgen früh würde er wieder nach London entfliehen, und Marie sah wie immer, nach nunmehr über zwei Jahren, dem Abschied mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen. Sie hatte den Kerl verdammt gern um sich, ja, er war das Beste, was ihr je passiert war, und in vierzig Jahren lernt man so einiges kennen. Aber die beständige Anwesenheit auch der nettesten Person in ihrer unmittelbaren Nähe machte sie nervös. Sie stolperte über fremde Pantoffeln, fand sich in ihrer Zeitung nicht mehr zurecht, die immer beim Feuilleton aufgeschlagen, in Seitenteile zerlegt herumlag, fing an, Kuchen zu backen, was sonst gar nicht ihre Art war, nur um ihm eine Freude zu machen und dann festzustellen, daß er Apfeltorte überhaupt nicht mochte, schon gar nicht mit Rosinen – kurz, es brachte sie durcheinander. Sie war ein unsoziales Wesen geworden, unkoordinierbar, eigenbrötlerisch. »Denken ist solitär, Einsamkeit ist eine gute Sache«, hatte sie mal bei Ingeborg Bachmann gelesen. Ja, war sie denn eine Denkerin? Bei weitem nicht. Sie war Beamtin. Ob das ein Unterschied war oder gar ein Widerspruch, wollte sie so früh am Morgen wirklich nicht mit sich ausdiskutieren.

Hamburg strahlte unter blauem Osterhimmel, ein Frühlingstag zog auf, wie er sich nur werktags zu präsentieren pflegte. Die Autoschlange am Grindel schien fröhlicher zu pesten als gewöhnlich, und Marie beschloß, die U-Bahn zu nehmen.

Sie fühlte sich eins mit allen wartenden Fahrgästen auf dem Bahnhof Hoheluftbrücke, ja, am liebsten hätte sie die Frau neben sich, aus deren großer Umhängetasche eine Thermoskanne und eine Zeitung hervorlugten, angesprochen, sich bei ihr untergehakt, so wie man als Schulkind gemeinsam einen Tag begonnen hatte. Aber sie beherrschte sich natürlich und suchte sich im U-Bahn-Waggon eine Vierersitzgruppe für sich allein.

Als sie im Polizeihochhaus aus dem Fahrstuhl stieg und über »ihren« Flur ging, war sie sich ganz sicher, daß sie ihre Wette vom Ostersamstag mal wieder gewonnen hatte. Spätestens als sie den Kollegen Karsten Scholz aus dem Schreibbüro am Ende des Ganges hechten sah, ein paar zerknautschte Zettel in der Hand und die Tür wie ein Windstoß hinter sich zuschlagend, wußte sie Bescheid. Sie trat in ihr Büro, stellte sich hinter den Schreibtisch, ohne auch nur ihre Tasche von der Schulter zu nehmen, und empfing den Kriminaloberkommissar mit ergebener Miene.

»Wer? Wann? Wo?«

»Ein gewisser Horst Reimann, Devisenmakler«, sagte Karsten Scholz. »Heute morgen gefunden. In seinem Büro in der Brandstwiete.«

»Wie?«

»Erschossen.«

»Wer hat ihn gefunden?«

»Die Sekretärin. Gegen acht Uhr. Krankenwagen und Erkennungsdienst sind schon unterwegs.«

»Laß uns doch Yalcin und die kleine Bollmann mitnehmen.«

Zu viert stiegen sie in einen Dienstwagen und schoben sich im Stau über die Schumacherallee am Bahnhof vorbei. Kasten Scholz mit seinen langen Gliedmaßen war immer am besten hinter dem Steuer untergebracht. Außerdem schien seine übermäßige Länge von fast zwei Metern zu Verzögerungen in den Nervenbahnen zu führen. Er blieb in der Regel auch in den hektischsten Situation die Ruhe selbst. Nur fiel das meist nicht auf, weil auch die kleinste Bewegung von ihm, eben wegen seiner Größe, eine fürchterliche Unruhe schuf. Aber der Kern, Karsten Scholz, blieb immer ruhig und kühl. Erst als sie ihn hinter dem Steuer eines Autos erlebt hatte, war Marie Maas sich dieser Tatsache bewußt geworden und hatte sie schätzen gelernt. Niemals hörte man ihn fluchen über einen dreisten Quertreiber, der sich vordrängelte, niemals wurde er unruhig, wenn jemand vor ihm in aller Ruhe einen Parkplatz suchte. Marie hatte gelernt, den Verkehr völlig aus den Augen zu verlieren und den Luxus eines Chauffeurs wirklich zu genießen. Für eine passionierte Autofahrerin keine leichte Aufgabe. Auf der Rückbank saß Yalcin, ein junger Kollege türkischer Abstammung, der erst vor ein paar Wochen in der Mordkommission angefangen hatte, und Susanne Bollmann, die direkt von der Polizeischule kam und heute ihren ersten echten Toten sehen würde. Die beiden schwiegen tapfer wie zwei Kinder, die man zum Zahnarzt fährt.

»Wie waren die Ostertage?« fragte Marie Maas, um die Atmosphäre aufzulockern.

»Gut«, sagte Karsten Scholz. »Wir waren bei meinen zukünftigen Schwiegereltern zu Besuch. Grillen im Garten und so.«

»Und? Hast du die Probe bestanden?«

»Logisch. Schwiegermama kannte ich ja schon. Und der Alte ist auch ganz in Ordnung. Man muß ihn halt zu nehmen wissen. Er wollte natürlich über die Hamburger Sicherheitspolitik mit mir debattieren, strengeres Regiment, härter durchgreifen, mehr Einfluß für die Polizei ...«

»Du hast das Gespräch hoffentlich abbiegen können?«

»Na ja. Es ging schon. Er macht sich eben Sorgen um seine Tochter. Hätte wohl lieber einen Bahnbeamten für sie gehabt.«

Wie man mit vierundzwanzig Jahren schon so vernünftig sein konnte wie Karsten Scholz, würde Marie Maas nie verstehen. Als sie ihn, ein einziges Mal bisher, privat aufgesucht hatte, und auch das nur, um ihn zu einem Sondereinsatz abzuholen, war sie fast erschrocken gewesen angesichts des Einrichtungsstandards des jungen Paares – es fehlte einfach an nichts. Die Bilder hingen exakt gerade und gerahmt an der Wand, auf der Couch knieten zwei Sofakissen, die Fernsehzeitung lag ordentlich auf dem Glastisch neben dem Fernseher, und auf dem Schuhschrank im Flur stand ein Kunstblumenstrauß. Wenn sie an die Bude dachte, die sie mit vierundzwanzig bewohnt hatte und die Teil einer unsortierten Hausgemeinschaft von Studenten, Anarchos, Flippis und ein paar Frauen war, die das nötige Geld nach Hause brachten – aber das war eben zwanzig Jahre her. Und die Debatten, denen sie sich als junge Polizeischülerin stellen mußte, die Angriffe, die auf sie niederhagelten nach den brutalen Polizeieinsätzen in Brockdorf und Kalkar, das war ein anderer Hintergrund gewesen. Daß sie trotzdem bei der Polizei geblieben war, war wahrscheinlich nur auf ein gewisses Phlegma und eine zeitweilige Begriffsstutzigkeit zurückzuführen. Phantasielosigkeit, könnte sie auch sagen. Aber beruflich wurde ihr eigentlich immer ein hohes Maß an Phantasie nachgesagt. Vielleicht war ihr auch insgeheim klar gewesen, daß sie ihre Fähigkeiten, welcher Art auch immer sie sein mochten, nur in so einem festen Rahmen, wie ihn der Polizeidienst bietet, entfalten konnte. So wie manchmal zwischen dem Beton ein Gänseblümchen wächst. Wer weiß, vielleicht hätte eben dieses Gänseblümchen auf einer sonnigen Wiese keine Chance gehabt? Sie müßte mal mit Tomkin drüber reden, bei einer schönen Flasche Wein. Der schätzte sie schließlich, obwohl sie ein »Bulle« war.

Karsten Scholz parkte den Wagen in der dritten Reihe und stellte das blaue Blinklicht aufs Dach, damit der Zivilwagen als Polizeifahrzeug gekennzeichnet war und nicht abgeschleppt wurde. Die hohen grünen Glasfronten an der Ost-West-Straße blinkten in der Sonne und spiegelten viele Male die Turmruine der Nicolaikirche. Die Luft so nah hier an der Elbe hatte in ihre frische Morgenbrise einen tranigen Süßwasserdunst aufgenommen, herzhaft und hanseatisch. Statt einen Tatort zu besichtigen, hätte Marie Maas jetzt lieber einen Gang durch die Fleete gemacht, irgendwo ein gutes Frühstück bestellt und Tomkin angerufen, um ihn zu bitten, sich umgehend in ein Taxi zu setzen und ihr Gesellschaft zu leisten. Vielleicht sollte sie doch mal dieses Phlegma über Bord werfen. Bis zur Pensionierung dauerte es schließlich noch eine Weile.

»Hier entlang.« Ein Schutzpolizist sicherte den Eingang gegen Neugierige und Journalisten.

Die Büroräume von Reimann Consulting, Unternehmensberatung und Devisenhandel, lagen im Erdgeschoß eines Hamburger Altbaus aus den Gründerjahren dieses Jahrhunderts. Durch einen langen, künstlich erleuchteten Flurschlauch, der rechts und links mit modernen Grafiken wie eine Galerie gestaltet war, gelangte man in die Büroräume. Reimann, vielmehr sein Leichnam, lag direkt hinter der Eingangstür.

»Er ist von vorne erschossen worden. Anscheinend hat er seinem Mörder die Tür geöffnet«, sagte ein Beamter von der Spurensicherung.

Marie betrachtete die Leiche und sah sich dann rasch nach ihren beiden Eleven um. Yalcin blickte ihr neugierig über die Schulter und schien sich an dem großen Blutfleck auf der Brust des Opfers nicht zu stören. Susanne Bollmann hielt sich im Hintergrund und warf Marie Maas einen flehenden Blick zu. Aber da kannte die Kommissarin keinen Pardon. Leichen gehörten zum Geschäft.

»Kommen Sie mal näher ran. Was fällt Ihnen auf?«

Susanne schluckte heftig und riß die Augen auf, als könne sie sich dann besser konzentrieren.

»Der Tote trägt einen eleganten, grauen Anzug, ein« – sie stockte – »weißes Hemd. Die Krawatte hat er sich am Hals gelockert. Das Jackett ist aufgeschlagen, aber durchschossen. Vielleicht wurde die Leiche durchsucht.«

»Sehr gut«, sagte Marie Maas und machte dem Beamten von der Spurensicherung ein Zeichen. Er beugte sich über den Toten und zog eine Brieftasche aus dem Jackett. In den Jackentaschen hörte man Kleingeld klimpern.

»Nein, der wurde wohl nicht angerührt.«

»Gut. Oder nicht gut«, sagte die Kommissarin. »Kommen Sie, das Schlimmste ist überstanden.« Sie schob Susanne Bollmann vor sich her in die Büroräume.

Die waren nicht weniger geschmackvoll und teuer ausgestattet als der Flur. Tapeten, Teppiche und Vorhänge waren in Blau- und Grautönen gehalten, die Möbel mit schwarzen Metallkanten abgesetzt und in geraden, schlichten Linien entworfen. Über dieser stilvollen Grundlage breitete sich nun jedoch eine infernalische Unordnung aus. Ordner und Akten waren aus den Stahlregalen gerissen, die Schubladen der Schreibtische ausgeleert. Telefon und Faxgerät lagen zerbrochen am Boden.

»Stand das Fenster dort offen?« fragte Marie Maas streng den Schutzpolizisten, der seinen breiten Ledernacken schräg aus dem Fenster gelehnt hatte und dem Treiben auf der Ost-West-Straße zusah.

»Jawohl, Kommissarin. Es wurde von außen aufgebrochen. Hier sieht man die Werkzeugspuren.«

Marie Maas beließ es bei diesem ersten, groben Eindruck und wandte sich an ihre Leute.

»Wir nehmen uns jetzt im Präsidium die Angestellten vor. Außer der Sekretärin gibt es doch sicher noch weitere Angestellte, oder?«

»Einen Herrn Lehnhoff. Wir haben ihn noch nicht erreicht«, sagte Karsten Scholz.

»Können Sie schon etwas über den Todeszeitpunkt sagen?« fragte Marie Maas den Arzt beim Hinausgehen.

»Innerhalb der letzten zwölf Stunden, Genaueres in meinem Bericht nicht vor morgen früh.«

»Na dann, frohes Schaffen, meine Herren.«

»Gleichfalls«, murmelte der Beamte von der Spurensicherung und war froh, daß die Kripo wieder abzog und er in Ruhe seine Arbeit fortsetzen konnte.

3

Als Marie Maas am frühen Abend gegen neunzehn Uhr das Präsidium verließ, wußte sie nicht mehr, wie sie am Morgen gekommen war, so kaputt war sie. Stand ihr Auto hier irgendwo? Aber wo? Ihr Fahrrad? Hatte Tomkin sie hergebracht? War sie mit der U-Bahn gekommen? Und jetzt? Am liebsten wäre sie zu Fuß nach Hause gegangen, in die Dämmerung hinein, an der Alster entlang, quer durch Pöseldorf und Hoheluft. In dieser Nullzeit, in der der Abend noch nicht begonnen hatte, aber der Tag deutlich vorüber war, die Geschäfte geschlossen, die Restaurants noch leer. Hinter allen Küchenfenstern geschäftiges Treiben, Fernsehgeräusche, Kinder, die schon müde waren und herumquengelten, Familienzeit eben. Unschlüssig stand sie auf dem Bürgersteig, unfähig, sich zu entscheiden. Bis ein Taxi genau vor ihren Füßen hielt und zwei mondäne Damen ausspuckte, die, nachdem sie dem Fahrer großzügig einen Schein durchs Beifahrerfenster gereicht hatten, mit erhobenen Köpfen und klackenden Tritten im Präsidium verschwanden. Ehe sie überlegen konnte, was die beiden wohl ins »Strohhaus« führte, ob sie Opfer, Zeuginnen, Verdächtige oder Beamtenanwärterinnen waren, saß sie schon neben dem Fahrer und streckte sich auf dem Ledersitz aus. »Roonstraße, bitte.« Und sanft wie auf einer Welle glitt der schwere Daimler um die Ecke.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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