Weihnachten auf dem Lande - Martina Bick - E-Book
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Martina Bick

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Beschreibung

Landluft und Weihnachtsmagie.

Kurz vor Weihnachten macht Emina sich auf, den Vater ihres Kindes zu finden, nachdem sie ihrem Freund Jasper die Wahrheit gestanden hat. Bei einer fröhlichen Landpartie hat sie den Organisten Christoph kennengelernt – und da ist es passiert. In einem kleinen Dorf sucht sie nach Christoph, den hier jedoch niemand zu kennen scheint. Schnee und Eis verhindern, dass sie wieder abreisen kann. Zudem suchen die Dörfler für ihr Krippenspiel noch eine Maria, da kommt Emina gerade recht. Und dann taucht auch Christoph auf, doch die Begegnung verläuft ganz anders, als Emina es sich vorgestellt hat ... 

Die wunderbare Geschichte eines Weihnachtskindes.

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Über Martina Bick

Martina Bick, 1956 in Bremen geboren, arbeitet an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Sie schrieb zahlreiche Kriminalromane und Romane sowie Kurzgeschichten und Gedichte für Anthologien und den Rundfunk.

Bei Rütten & Loening erscheint im Oktober 2013 ihr Roman »Weihnachten auf dem Lande«

Informationen zum Buch

Landluft und Weihnachtsmagie

Kurz vor Weihnachten macht Emina sich auf, den Vater ihres Kindes zu finden, nachdem sie ihrem Freund Jasper die Wahrheit gestanden hat. Bei einer fröhlichen Landpartie hat sie den Organisten Christoph kennengelernt – und da ist es passiert. In einem kleinen Dorf sucht sie nach Christoph, den hier jedoch niemand zu kennen scheint. Schnee und Eis verhindern, dass sie wieder abreisen kann. Zudem suchen die Dörfler für ihr Krippenspiel noch eine Maria, da kommt Emina gerade recht. Und dann taucht auch Christoph auf, doch die Begegnung verläuft ganz anders, als Emina es sich vorgestellt hat.

Die wunderbare Geschichte eines Weihnachtskindes

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Weihnachten auf dem Lande

Martina Bick

Inhaltsübersicht

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Advent

Maria

Hirten und Engel

Strohfeuer

Josef

Der Stern

An der Krippe

Dank

Impressum

Advent

Es schien gar nicht richtig hell zu werden an diesem 19. Dezember, einem Montag, dem letzten vor dem Weihnachtsfest. Die Autos fuhren mit eingeschalteten Scheinwerfern und tauchten trotzdem erst spät aus dem Dunst auf, der über Autobahnen und Landstraßen hing. Emina ließ den Scheibenwischer ihres Smart laufen, um den feinen Wasserfilm von der Scheibe zu fegen, den die Nebelschleier hinterließen.

Im Radio spielten sie ab heute nur noch Adventsund Weihnachtslieder. Die schönste Zeit des Jahres, betonte der Moderator. Dabei war es für die meisten Mitmenschen vor allem die anstrengendste und hektischste Zeit. Emina hatte bisher keinen Weihnachtsstress gekannt. Sie musste keine Familienfeier ausrichten und auch schon lange nirgendwo mehr erscheinen. Ihre Mutter flog seit Jahren über die Feiertage nach Gran Canaria, wo sie inzwischen ganz lebte. Früher war Emina mitgefahren, aber sie hatte diese seltsame Sommerwoche mitten im Winter nie gemocht. Sie liebte die heimatliche Weihnachtsstimmung, die mit Kerzen und Tannen geschmückten Räume, die guten Düfte, welche die grünen Nadeln, das Weihnachtsgebäck, Punsch und Glühwein verströmten, und die glänzenden Augen von Klein und Groß, in denen sich die Lichter des Weihnachtsschmucks spiegelten. Sie mochte auch die schönen alten Lieder, die sich alle Jahre wieder in ihr Herz schlichen, obwohl ihre musikalischen Interessen sonst ganz anders gelagert waren. Leise summte sie eine ziemlich kitschige Fassung von »Macht hoch die Tür, die Tor macht weit« mit und ließ die feierliche Stimmung, in der so viel Vorfreude und Erwartung mitschwangen, in sich hineinströmen.

Wenn nur die frühe Dunkelheit und die andauernde Kälte ihr nicht so zusetzen würden. Hatte sie auch noch so viele Schichten warmer Pullover und dicker Strümpfe übereinander gezogen, fror sie doch immer den ganzen Winter über und hatte ständig kalte Hände und Füße. Sie ließ mit Volldampf die Motorwärme ins Wageninnere blasen.

Ohne die Erfindung dieses bunten fröhlichen Fests mitten in der finstersten Zeit des Jahres wären die nördlichen Regionen für die meisten Menschen vermutlich immer unbewohnbar geblieben. Dabei war es gerade heute ein bisschen wärmer geworden, und natürlich hatte es gleich angefangen zu nieseln. Würde die Temperatur wieder unter null fallen, würde die feine Feuchtigkeit überall gefrieren und die Straßen in gefährliche Rutschbahnen verwandeln. Bis dahin sollte sie ihre kleine Reise erledigt haben und wieder zu Hause in Hamburg sein.

Kurz hinter Lüneburg verließ sie die Autobahn und bog auf eine schmale, wenig befahrene Landstraße ab. Keine schaukelnden Lkw mehr, die meinten, kleine Autos spielend überholen zu können. Keine drängelnden Raser hinter ihr, wenn sie es einmal wagte, auf die Überholspur einzuscheren. Sie streckte sich hinter dem Steuer, drehte das Radio lauter und versuchte, eine zweite Stimme zu »In dulci jubilo« zu finden, die sich hübsch zu dem Gesang des Tölzer Knabenchors anhörte.

Die Wiesen längs des Flusses verschwanden im Nebel. Wie karg und streng diese Landschaft sich heute darstellte, die im Frühjahr so bunt und leuchtend gewesen war. Knorrig streckte sich das Geäst schwarzer, kahler Bäume in den Himmel. Weich verloren sich die Wiesen hinter den Deichen. Das Flussbett konnte man von der Straße aus nicht sehen, aber man ahnte den breiten Strom, weil der Himmel darüber irgendwie weiter zu sein schien.

Immer öfter kamen ihr Trecker entgegen, die Anhänger hochbeladen mit Kartoffeln oder Rüben. Vor einem Kreisverkehr warf sie schnell einen Blick auf die Karte. Lechnow war die nächste Ortschaft.

Die Kirche von Lechnow war ein massives, kleines Backsteingebäude mit einem dicken, nicht sehr hohen Glockenturm. Die Wetterseite des Gebäudes war ganz mit Efeu überwachsen. Ein alter Friedhof umgab die Kirche. Seine Mauer war zerfallen. Auch die meisten Grabsteine waren verwittert und die Grabstätten vermutlich schon vor langer Zeit aufgelöst worden.

Emina fuhr über den mit Kopfsteinen gepflasterten Dorfplatz und stellte den Wagen vor einem ehemaligen Kaufladen ab. Die Ladenreklame hing noch am Haus, das Schaufenster aber war mit vergilbten Gardinen verhangen. Es gab keine aufgezeichneten Parkplätze. Hier hatten zu Ostern die Kirmesbuden gestanden, das kleine Karussell mit den holzgeschnitzten Pferden und der jauligen Leierkastenmusik, die Schießbude und der Stand mit den gebrannten Mandeln und leckerem türkischen Honig. Und schließlich das Bierzelt, in dem sie bis spät am Abend gesessen und gefeiert hatten. Wo sie ihn kennengelernt hatte, noch später am Abend. Christoph und sie. Oder hatte er Christian geheißen?

Emina öffnete die Autotür und stemmte sich aus dem Wagen. Fast passte sie mit ihrem Bauch nicht mehr hinter das Steuerrad. Sie knöpfte den schwarzen Wollmantel zu, den Anett ihr geliehen hatte. Anett war Jaspers Schwester, sie hatte schon drei Kinder und mehr Schwangerschaftsklamotten als normale Kleider. Aber sie hatte auch dann nicht mehr ihre normale Kleidergröße, wenn sie mal nicht schwanger war.

»Ein bisschen bleibt von jedem Kind an einem hängen«, hatte sie gern lachend gesagt und sich stolz über den Bauch gestrichen.

Emina hatte sich geschworen, dass sie kein solches Dauerpolster davontragen würde von ihrem Kind. Sie war auch nicht besonders stolz auf ihren Bauch – ein Kind bekommen konnte doch nun wirklich jede. Das stimmte natürlich nicht ganz, gab es heutzutage doch unzählige Frauen mit »unerfülltem Kinderwunsch«. Sie hatte darüber jede Menge im Wartezimmer ihrer Frauenärztin erfahren. Trotzdem schien ihr ihre Schwangerschaft bis jetzt keine besondere Leistung zu sein. Man musste sie ja im wahrsten Sinne des Wortes nur er-tragen. Die Leistung kam dann später, wenn das Kind da war. Aber daran wollte sie jetzt noch nicht denken. Auch nicht an die Geburt. Je näher sie kam – und sie kam rasant näher, besonders seitdem sie in der Mutterschutzfrist angekommen war und offiziell nicht mal mehr in ihrem Schneideratelier arbeiten durfte –, desto mehr verdrängte sie den Gedanken daran. Eins nach dem anderen. Jetzt galt es erst mal, Christoph zu finden. Oder Christian.

Sie ging ein paar Schritte über den Dorfplatz. Die Luft war feucht und schwer, aber sie roch würzig und frisch, fast so wie damals im Frühjahr. Ein wunderbar leichtes Lüftchen, gereinigt von Wald und Flur, aufgefrischt vom großen Strom, gesättigt mit den Düften frühblühender Pflanzen und Bäume – so roch es jedenfalls in ihrer Erinnerung. Genau die richtige Luft, um sich an einem ersten lauen Frühlingsabend spontan zu verlieben. War sie eigentlich verliebt gewesen? Doch, gleich auf den ersten Blick. Und lange genug für das, was folgte.

Emina schob die Hände in die Manteltaschen und ging über den Friedhof zur Kirche. Die große Holztür war verschlossen. Schade. Sie lauschte einen Moment – niemand spielte auf der Orgel. Nur Gänse oder Enten flogen schnatternd über sie hinweg. Sie formierten sich in regelmäßigen Mustern am niedrigen Himmel. Irgendwo bellte ein Hund. Sonst war es still.

Auf der anderen Seite des Dorfplatzes, der Kirche gegenüber, befand sich das Gemeindehaus. Das Gemeindebüro war nur vormittags besetzt, las Emina. Jetzt war es schon weit nach Mittag. Im Schaukasten hing ein Zettel mit Terminplan, wann in welcher Kirche des Landkreises am Sonntag Gottesdienste stattfanden. In St. Laurentius in Lechnow würde am Heiligen Abend um 16 Uhr ein Weihnachtsgottesdienst mit Krippenspiel abgehalten werden. Der Altenkreis, den Diakon Schmidt leitete, fiel in der Woche zwischen den Feiertagen aus. Der Neujahrsgottesdienst würde in der Kirche St. Pankratius in Groß Löwen stattfinden. Emina hatte keine Ahnung, wo das war. Für den Schneedienst war die Küsterin, Frau Griese, zuständig.

Emina schaute über den Dorfplatz, der so ausgestorben vor ihr lag, als wären alle Bewohner des Ortes ausgewandert. Sie hatte Hunger, und sie war müde. Sie war dauernd müde und hatte Hunger. Carola hatte sich schon über sie lustig gemacht, weil sie jetzt immer mit Butterbrotpaketen und Plastikdosen voll Obst- und Gemüseschnitzen zur Arbeit kam. Carola war Kostümschneiderin, genau wie Emina, sie hatten in derselben Werkstatt gelernt und teilten sich nun ein Atelier. Seit Emina schwanger war, hatte sie nicht viel mehr gegessen als früher, aber sie musste wesentlich öfter etwas essen. Besonders in letzter Zeit. Das war auch ganz in Ordnung, hatte ihre Ärztin ihr erklärt. In den letzten Wochen der Schwangerschaft verdoppelte das Kind sein Gewicht. Vor drei Wochen hatte es ungefähr vier Pfund gewogen, jetzt waren es vermutlich schon sechs, und bei der Geburt würde dann vielleicht ein satter Sieben- oder Achtpfünder herauskommen. Emina lächelte bei dem Gedanken an das dralle Baby, legte die rechte Hand an ihre Seite, dorthin, wo meistens seine kleinen Tritte und Knüffe landeten. Sie wandte sich nach rechts, wo das Gasthaus »Zum Goldenen Anker« in der abknickenden Vorfahrtstraße einen Mittagstisch anbot.

Das Gasthausschild war erleuchtet. Emina stemmte die schwere Eichentür auf und prallte zurück vor der dicken Luft in der dunklen, überhitzten Wirtsstube. Obwohl die Kneipe rauchfrei war, schienen die drei Männer, die um einen Holztisch herum saßen und Karten spielten, von dichtem Qualm umgeben zu sein. Aber es war nur die feuchte Wärme, die an den Scheiben kondensierte und sich in Schwaden unter der Decke sammelte.

»Guten Tag«, murmelte Emina.

Die Herren ließen ihre Karten nicht sinken, aber sie hoben die Augen und starrten den Neuankömmling mit ausdruckslosen Mienen an. Auf Eminas Bauch blieben ihre Blicke einen Moment lang ruhen, dann glitten sie zurück in die Karten.

Emina knöpfte ihren Mantel auf und fühlte erleichtert, wie der Druck auf dem Bauch nachließ. Eine junge Frau kam aus der Küche und begrüßte sie. Sie wies auf den freien Tisch am Fenster und brachte die Karte.

»Mittagstisch gibt es aber nur bis 14 Uhr.« Sie sah auf die große altmodische Uhr, die über dem Tresen hing. Sie zeigte auf Viertel nach zwei. »Na gut, weil sie es sind. Wir haben noch ein paar Portionen Fisch da.«

Emina bestellte gebratenen Zander mit Bratkartoffeln und eine kleine Apfelschorle. Zufrieden faltete sie die Hände auf der Tischdecke. Die Wärme der Gaststube tat gut, und sie spürte, wie ihre Hände und Füße prickelnd auftauten.

Die Kellnerin brachte die Apfelschorle. Sie hatte sehr rote Hände, als hätte sie zu lange im kalten Wasser zu tun gehabt. Sie roch nach Kernseife und Zigaretten, ein angenehm frischer Duft.

»Kennen Sie hier vielleicht jemanden, der Christoph heißt? Oder Christian? Er ist ungefähr Ende zwanzig und Musiker. Er spielt zum Beispiel die Orgel in der Kirche.«

Die Kellnerin strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht und schaute nachdenklich auf Eminas Bauch.

»Hier in Lechnow war ich noch nie in der Kirche. Gibt es da überhaupt eine Orgel? Christoph, sagen Sie? Nee, kenne ich nicht. Wo soll der wohnen?«

»Keine Ahnung.«

»Dann fragen Sie doch Frau Griese. Das ist die Küsterin in der Kirche. Die kennt jeden hier.«

»Und wo kann ich die finden?«

»Sie wohnt gleich gegenüber, auf der anderen Seite des Platzes. Neben dem alten Pastorat. Aber sie ist jetzt vermutlich nicht zu Hause. Montagnachmittags fährt sie immer in die Stadt zum Einkaufen.«

Aus der Küche klingelte es, und die Kellnerin lief schnell davon. Die Männer hatten ihr Skatspiel wieder aufgenommen und murmelten hin und wieder kurze Bemerkungen, schnalzten mit der Zunge und machten ihre Spielansagen. Einer murrte über sein Blatt. Der Älteste, ein dicker, rotgesichtiger Bauer mit nur noch sehr wenigen Haarsträhnen, klatschte lautstark seine Karten auf den Tisch. Er kam Emina vom Frühjahr her bekannt vor. Hin und wieder sah der Jüngste von den dreien kurz zu ihr her. Sein Gesicht war verschlossen, er sah sie nicht an, starrte nur auf ihren Bauch. Er hatte eine speckige Lederjacke an. Alle drei Männer trugen schwere Arbeitsschuhe mit dicken Sohlen, unter denen sich schmutzige Wasserlachen gesammelt hatten.

Emina verspeiste ihr Fischfilet, das gut gewürzt war, aber vor Bratfett triefte, und trank ein zweites Glas Apfelschorle. Dafür würde sie den ganzen Nachmittag über auf Toilettensuche sein – egal. Sie hatte Durst und das Baby auch. Fische wollen schwimmen.

Frau Griese war wie angekündigt nicht zu Hause. Emina trat zurück von der Haustür und musterte das alte Fachwerkhaus, das vor längerer Zeit stilvoll renoviert worden war. Das Haupthaus stand mit der Breitseite zur Straße, der Eingang lag in der Mitte. Große Scheunenflügel rechts und links bildeten hinter dem Haupthaus einen Hof, dessen Einfahrt rechts neben dem Eingang mit Wagen befahrbar war. Es war vermutlich eins der größten Anwesen im Dorf.

Neben der Haustür hing ein altes, weiß emailliertes Arztschild: Dr. Helmut Griese, Tierarzt. Es war ziemlich verwittert, die Nieten waren verrostet. Dr. Griese war wohl schon ein älteres Semester. Ob Frau Griese seine Gattin war? Aber die Ehefrauen von Tierärzten arbeiteten ja meist selbst in der Praxis mit und waren keine Küsterinnen. Vielleicht war sie die Tochter?

Im trüben Licht der Dämmerung betrachtete Emina den Vorgarten, der sehr ordentlich gepflegt war. Die Buchsbaumhecken waren akkurat geschnitten und die kleinen Wege zwischen den Beeten säuberlich geharkt. Emina notierte sich die Öffnungszeiten des Tierarztes und wandte sich um zu ihrem Wagen. Bald würde die Straßenlampe angeschaltet werden, unter der sie ihn geparkt hatte. Sie setzte sich in den Wagen und wickelte sich in ihren Mantel.

»Du musst es Jasper sagen«, hatte Carola gesagt. »Du kannst dein Kind doch nicht mit einer Lüge aufwachsen lassen. Kinder kommen immer dahinter, wenn sie nicht von ihren leiblichen Eltern erzogen werden. Und wenn du es nicht von Anfang an aufklärst, wird es sich schließlich betrogen und verraten fühlen, wenn es von selbst dahinterkommt, dass Jasper nicht sein leiblicher Vater ist. Dann hast du zwei Probleme am Hals: einen Partner, der sich betrogen fühlt, und ein Kind, das belogen wurde.«

»Es wird ein Junge«, sagte Emina leise.

»Scheißegal«, sagte Carola. Carola lebte mit einer Frau zusammen und hatte sich grundsätzlich gegen eigene Kinder entschieden. Nicht, dass sie als Lesbe nicht gewusst hätte, wie man trotzdem ein Kind bekommen konnte – es gab ja genug Frauen und Frauenpaare, die inzwischen jede Menge eigene Kinder bekamen, wobei bei ihrer Erzeugung der Phantasie keine Grenzen gesetzt waren –, aber Carola wollte kein eigenes Kind. Auch kein angenommenes. Ihre Partnerin arbeitete als Psychologin in einem sogenannten »sozial schwachen« Stadtteil. Sie bekam dort so viel Elend und Leid von Kindern und Erwachsenen mit, deren Kindheit ein Fiasko war, dass es ihr für das ganze Leben reichte. »Bei einem adoptierten Kind weiß man letztlich nicht, wie viel Einfluss die Gene haben und wie wenig man als Erzieher hat. Und von alleinerziehenden Müttern oder Vätern halte ich sowieso gar nichts«, meinte sie. Sie hatten oft darüber diskutiert, Emina, Carola und ihre Freundin. Auch ihre anderen Freundinnen zerbrachen sich wegen der Kinderfrage die Köpfe, spätestens wenn sie das magische dreißigste Jahr überschritten. Emina war einunddreißig. Sollte sie nun ein Kind bekommen oder nicht? Wenn, dann jetzt, sonst war es bald zu spät. Aber war Jasper dafür wirklich der Richtige? Würde ihre Beziehung das aushalten, würde sie es hergeben, dass sie gemeinsam »Eltern« wurden? Musste man sich dafür nicht mehr lieben – oder weniger oder anders? Musste man mehr Zeit haben, mehr Geld, eine andere Arbeit, eine größere Wohnung, ein Haus im Grünen …? Und mussten es nicht am Ende mindestens zwei Kinder werden oder am besten gleich ein ganzer Stall voll? Waren Einzelkinder nicht per se unglückliche Wesen, prädestiniert dazu, Egoisten und Einzelkämpfer zu werden, die nie gelernt hatten zu teilen? Während sie tage-, wochen- und jahrelang darüber diskutierten, waren etliche von ihnen inzwischen schwanger geworden und erfolgreich in die Welt der Mütter und Eltern eingetreten. Andere Frauen hatten sich wie Carola und ihre Partnerin definitiv gegen Kinder entschieden. Nur Emina schwankte noch immer, unentschieden und ungewiss, ob in ihre Beziehung zu Jasper und in ihr eigenes Selbstbild ein Kind passte oder nicht, und wenn ja, ob es ausgerechnet jetzt der richtige Zeitpunkt dafür war. Schließlich hatte sie einfach die Pille abgesetzt. Fast ein Jahr lang hatten sie und Jasper es drauf ankommen lassen – aber nichts war passiert. Insgeheim hatte Emina es schon aufgegeben. Sollte das Schicksal sich gegen ein Kind für sie entscheiden, würde sie damit zufrieden sein und die Entscheidung akzeptieren. So dringend war ihr Kinderwunsch nicht. Für Jasper sah es anders aus, fürchtete Emina, aber sie sprachen nicht darüber. Sie hatten überhaupt wenig Wesentliches miteinander besprochen im letzten Jahr.

Und dann war es eben doch passiert. Ungewollt oder jedenfalls nicht auf diese Weise gewollt, war Emina plötzlich schwanger gewesen – nur leider nicht von Jasper, sondern von einem Fremden. Es war ein Seitensprung, der erste, einzige in der langen Reihe von treuen Jahren der Partnerschaft mit Jasper. Es war eine kleine, spontane Verliebtheit gewesen, eine leichtsinnige, etwas angetrunkene Verrücktheit. So etwas konnte doch jedem mal passieren – schlimm genug, aber kein Drama. Eigentlich unwichtig, prickelnd, belebend, jedoch folgenlos. Sofern man davon nicht schwanger wurde! Zudem in einer Zeit, in der mit Jasper überhaupt nichts gelaufen war im Bett – das war nun wirklich ziemlich blöd gewesen.

Sie wusste von diesem Erzeuger nur noch seinen Namen und dass er hier irgendwo in der Nähe lebte. Und dass er Orgel spielte, Kirchenmusiker war und in Hamburg studiert hatte. Ein Musiker immerhin, das war doch eine gute Erbanlage!

»Ist es wirklich wahr, dass du ihn vorher überhaupt nicht gekannt hast?«, hatte Carola gefragt, als Emina sich ihr in einer schwachen Stunde anvertraut hatte. »Es passt so gar nicht zu dir. Du bist doch sonst so solide. Lief da nicht vielleicht schon länger was mit euch?«

Emina schüttelte den Kopf.

»Ein richtiger One-Night-Stand?«

»Muss man wohl sagen, ja.«

Carola schüttelte den Kopf. »Tja, so wenig kennt man sich, auch wenn man schon so lange befreundet ist wie wir beide. Aber warum eigentlich nicht? Mir hätte das auch passieren können.«

Emina zeichnete die Muster der Tischdecke nach, die sie aufgelegt hatte, Tannenzweige, die zu kleinen Kränzen angeordnet waren, die wiederum eine Anordnung von großen und kleinen Kränzen um eine Mitte bildeten. Eine Tischdecke für die Adventszeit, dabei war es gerade erst Mitte November, und der erste Advent war noch drei Wochen hin. Sie liebte die Decke und konnte sie gar nicht früh genug auflegen. Sie hatte sie von ihrer Großmutter geerbt. Dazu gab es bei ihr auch schon lange Weihnachtsgebäck, das sie immer Ende September kaufte, wenn es noch frisch war, und nicht erst in der Vorweihnachtszeit, nachdem es monatelang in den Läden herumgestanden hatte. Wenn sie so weitermachte, wurde sie noch ein richtiger Weihnachtsfreak, genau wie ihre Großmutter. Die hätte am liebsten das ganze Jahr über ihre Wohnung mit Tannenzweigen dekoriert. Die schönsten dunkelroten Weihnachtssterne und Amaryllis hatten in jedem Zimmer geprangt, und ab September gab es überall Kerzen und Teelichter, um die Dunkelheit zu vertreiben. Leider war Großmama vor ein paar Jahren gestorben.

»Ist ja letztlich auch egal«, hatte Carolas Freundin Tatjana gemeint. »Vielleicht wärst du von Jasper niemals schwanger geworden. Vielleicht passt ihr in dieser Hinsicht einfach nicht zueinander. Aber nun geht es darum, mit der Sache richtig umzugehen.«

Emina zuckte die Achseln.

»Dein Vater war immer da«, fuhr Tatjana fort. »Du weißt nicht, wie das ist, wenn man seinen Erzeuger nicht kennt. Wenn man keinen Vater hat, den man den anderen Kindern präsentieren kann. Der einen zur Schule fährt und abends von der S-Bahn abholt, wenn man viel zu spät aus der Disko heimkommt und Mutter stinksauer zu Hause sitzt und auf einen wartet. Du kannst nichts dafür, dass du das nicht weißt, sei froh drum. Aber tu es bitte nicht deinem Kind an. Jeder Mensch hat ein Recht darauf zu wissen, woher er kommt. So wie jedes Kind ein Recht darauf hat, von mehreren Menschen aufgezogen zu werden. Es gehört nicht dir allein.«

Emina seufzte. Genau so hatte sie es sich vorgestellt. Von nun an stand das Kind im Mittelpunkt ihres Lebens. Ihre eigenen Interessen waren ab sofort gleichgültig, mussten hinten angestellt werden, wie früher, als man selbst noch Kind gewesen war. Was sie gewollt hatte, hatte nie eine Rolle gespielt, den Ton gaben immer die Erwachsenen an. Und zwar beide zusammen, Mutter und Vater. Es tat ihr ja leid, dass Tatjana so viele Kinder ohne Vater kannte, sie würde auch nicht mit ihnen tauschen wollen. Sie hatte ihren Vater immer geliebt und für ihr Gefühl war er viel zu früh gestorben, als er vor ein paar Jahren an Lungenkrebs dahinsiechte. Aber die reine Freude war es trotzdem nicht gewesen, in einer sogenannten heilen Familie groß zu werden, mit Mutter, Vater, Bruder und Großeltern. Es waren andere Härten, die ein Kind zu ertragen hatte in dieser schützenden Familienburg. Subtile Zucht- und Unterdrückungsmechanismen, offene Machtkämpfe, Manipulationen und nicht selten ein hoher Grad an emotionaler Verwahrlosung, der sich bestens verstecken konnte hinter der harmlosen Fassade der normalen Familien.

»Du musst es Jasper jedenfalls sagen«, meinte Carola. »Jetzt sofort. Hast du Angst, dass er dir davonläuft?«

»Schließlich habe ich ihn betrogen. Und außerdem freut er sich so sehr auf das Kind. Auf sein Kind.«

»Ja, Mist«, sagte Carola und strich Emina teilnahmsvoll über den Rücken. »Das wird kein leichtes Gespräch. Aber es gibt keinen anderen Weg.«