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Nach einer irischen Legende. Das zweite veröffentliche Buch von Uschi Zietsch jetzt endlich als fabEbook. Menwy, die Wintersonne, wächst behütet im mythischen Land Connral heran. Lange Zeit haben ihre Eltern hier geherrscht und den Traum vom Frieden gewoben. Nach dem Tod von Menwys Mutter hat der König wieder geheiratet - ohne zu ahnen, dass die neue Königin ganz andere Pläne mit dem Land hat. Sie sorgt für den Tod des Königs, der den Traum zerbrechen lässt, und zwingt Menwy durch ein Duell im magischen Schachspiel, auf die Reise zu gehen und drei besondere Artefakte zu erringen, damit die dunkle Magierin ihre Macht und den Thron auf immer festigen kann. Doch in Menwy steckt weitaus mehr als erwartet, und sie stellt sich allen Prüfungen, um den Traum des Landes wiederzufinden. Aber die Zeit ist knapp: Sie hat nur ein Jahr und einen Tag, um den Frieden wiederherzustellen und rechtmäßige Königin zu werden. "High Fantasy. So wünscht man sich Fantasy für Erwachsene." (BRIGITTE)
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Seitenzahl: 228
Uschi Zietsch wurde 1961 in München geboren. Sie ist verheiratet und lebt seit Jahren als Schriftstellerin und Verlegerin mit ihrem Mann und vielen Tieren auf einem kleinen Hof im bayerischen Allgäu.
Ihre erste Veröffentlichung war 1986 der Fantasy-Roman »Sternwolke und Eiszauber« (auch als fabEbook erhältlich) im Heyne-Verlag. Darauf folgten bis heute kontinuierlich über einhundert Veröffentlichungen in den Bereichen der Science Fiction, Fantasy, Kinderbücher, TV-Serien und vielen mehr. Unter dem Künstlernamen »Susan Schwartz« schrieb sie jahrelang als Teamautorin bei »Perry Rhodan«, »Maddrax« und anderen Heftserien mit. Für die exklusiv bei BS-Editionen (Bertelsmann) erschienenen sehr erfolgreichen und beliebten Urban-Fantasy-Serien »Elfenzeit« und »Schattenlord« zeichnete sie für das gesamte Konzept und die Exposés verantwortlich und schrieb die meisten Romane.
Darüber hinaus gibt Uschi Zietsch Schreibseminare und ist Mit-Verlegerin des Fabylon-Verlags.
2008 erhielt sie den Literaturpreis von amnesty international für ihre Kurzgeschichte »Aische« zum Thema »Menschenrechte«.
Weitere fabEbooks von Uschi Zietsch:
HADES
Der ALP
Sternwolke und Eiszauber
Der Stern der Götter
Die Chroniken von Waldsee Trilogie
Nauraka (Waldsee 4)
Fyrgar (Waldsee 5)
Der wahre Schatz (Story aus Waldsee)
Drakhim – Die Drachenkrieger
Umschlagbild: Klaus Holitzka
© des eBooks 2013 by fabEbooks
ISBN: 978-3-943570-17-5
Hinweis: Die Print-Ausgabe (ISBN 978-3-927071-01-8) enthält Illustrationen.
Dies ist die Geschichte vom magischen Schachspiel, von Rigva, der mächtigen Königin und letzten Tochter der keltischen Göttin, von Eliesin, dem Sonnenadler; vor allem aber die Geschichte von Menwy, der Wintersonne, die zu einer gefahrvollen und mythischen Quest aufbricht, um den verlorenen Traum ihres Landes wiederzufinden und Rigvas Bestimmung, drei Zaubermittel aus dem Feenland zu holen, zu erfüllen.
Die Neugestaltung einer großen irischen Sage, die den Leser in die alte Zeit versetzt, in der die Magie alltäglich war und Druiden, Hexen und Feen lebendige Gestalten waren.
Eine Quest ist auch immer eine Suche nach sich selbst, eine Reise durch die Seele, und so wird Menwy am Ende eine große Wandlung durchleben.
Dieses Buch erhielt 1989 einen Kurd-Lasswitz-Preis.
»High Fantasy. So wünscht man sich Fantasy für Erwachsene.« (BRIGITTE)
Nacht lag wie ein schattendunkles, sternglitzerndes Tuch über den Hügeln von Connral, als Rigva auf dem Weg zur Schwarzen Gruft war.
Der Mond verbarg sich noch hinter den zerklüfteten Felsen, die sich scharf wie Raubtierzähne gegen den funkelnden Himmel erhoben, und Rigva konnte sich nur im matten Sternenlicht vorantasten. In der Ferne hörte sie das einsame Heulen eines alten Wolfes, dem sogleich ein Hofhund mit hasserfülltem Gekläff antwortete, und ihre Augen verfolgten aufmerksam den lautlosen, gespensterhaften Flug der Fledermäuse über den Wiesen. Mitternacht war schon vorüber, und das zarte Zirpen der Grillen und das vielstimmige Quaken von Fröschen und Kröten war längst verstummt; aber Rigvas feine Ohren vernahmen wohl den huschenden Flug mächtiger Nachtvögel, deren vorüberziehende Schatten hin und wieder das Sternenlicht auslöschten, und sie erspähte da und dort das kurze Aufglühen von gelben Katzenaugen. Im Gebüsch und zwischen den Bäumen erklang deutlich das Geprassel von flüchtenden Hasen und Rehen, und Rigva dachte bei sich, dass dies eine gute Nacht war: eine gute Nacht zur Jagd, gleich welcher, und der Gedanke stimmte sie freudig und erwartungsvoll zugleich. In ihren Augen blitzte ein triumphierendes Licht auf, als sie ein finsteres Loch in den Felsen entdeckte, unscheinbar und halb durch einen Busch verdeckt, aber sie wusste sofort, dass dies der Eingang zur Schwarzen Gruft war. Ihre Sinne waren so geschult, dass sie mühelos den Atem von Magie als kaum merkliches Vibrieren der Luft erkannte. Entschlossen zog sie ihren Umhang fester um sich und schlüpfte durch den schmalen Riss in die kalte, feuchte Finsternis einer uralten Tropfsteinhöhle, die schon viele Wandlungen der Erde erlebt hatte. Hier war es beinahe wie in dem Rachen eines erstarrten namenlosen Ungeheuers; die Stalaktiten und Stalagmiten bildeten die grausamen Zähne, und die herabfallenden Wassertropfen waren der Geifer. Der Boden war glatt und feucht, an den Wänden gab es hie und da phosphoreszierende Flechten, die Umrandungen der kleinen gelbleuchtenden Wassergruben waren von Moos überwuchert. Abgesehen von dem seelenlosen kalten Klang der fallenden Tropfen auf Stein herrschte absolute Stille. Auch Rigva bewegte sich völlig lautlos auf den schmalen, teilweise gefährlich abschüssigen Wegen; ihr Instinkt leitete sie unfehlbar durch die verschlungenen Irrpfade der Höhle bis tief hinab in ihr Herz, und sie blieb sofort stehen, als eine alte, raue Stimme plötzlich aus tiefster Dunkelheit hervorkam und sich schallend an den Wänden brach.
»Warum störst du unsere Ruhe?«
Rigva glitt dichter an eine Wand heran, um zumindest von einer Seite geschützt zu sein. »Ich bin hier, um die Drei Schwestern, die Ehrenwerten Hexen von Luft, Dunkelheit und Tod, um Hilfe zu bitten«, antwortete sie mit fester Stimme.
»Was ist dein Begehr?«, fragte eine andere, hohl klingende Stimme.
»Ich brauche das Spiel«, erklärte Rigva.
Eine dritte, schrille Stimme erklang: »Das magische Schachspiel?« Ein misstönendes Kichern zischte bösartig durch die Luft. »Dein Verstand ist ebenso töricht wie dein Mut groß!«
»Ich lasse mich nicht abweisen!«, rief Rigva und huschte gleichzeitig schnell und lautlos an der Wand entlang in die Finsternis; der Weg machte bald eine Biegung, und ihre Finger ertasteten eine Nische, in der sie sich verbarg. Angespannt lauschte sie dem flüsternden Streit der Hexen, die sich uneinig waren, ob sie den unerwünschten Besuch zu sich lassen sollten oder nicht. Es ging eine ganze Zeit zwischen Hinauswurf, Ermordung und Einladung hin und her, bis eine Hexe die anderen überzeugt hatte und die Frau aufforderte, zu ihnen zu kommen.
»Ich bin hier«, sagte Rigva und löste sich aus dem Schutz der Nische. Sie stand vor dem Eingang eines runden, durch ein magisches Feuer trocken gehaltenen Raumes. Die Wände waren mit den vielfarbigen Runen aus der Zeit der Göttin bemalt; neben dem Feuer befanden sich magische Gegenstände und Knochen; in zwei Ecken lagen schimmlige Strohmatten. Rigva fühlte ganz kurz Unsicherheit, als sie feststellte, dass der Raum keinen Geruch verströmte; ihre feine Nase konnte nicht einmal die Wärme menschlicher Körper erfassen. Die Drei Schwestern, uralte, große, ausgezehrte Frauen mit Habichtsgesichtern und starren Augen, standen am anderen Ende des Feuers.
»Du zögerst?«, zischelte Hexe Tod mit hohler, müder Stimme. Wie ihre Schwestern trug sie ein formloses, grobgewebtes Gewand, dessen schauriger Gürtel aus den Knochen von Säuglingen gearbeitet war.
»Natürlich«, fauchte die raue, hasserfüllte Stimme der Hexe Dunkelheit. Ihr Kleid wurde von einem Gürtel aus lebenden Schlangen gehalten. »Ich fühle ihre Unsicherheit. Ich sagte ja, sie taugt nichts.«
Hexe Luft, die jünger wirkte als die anderen und auch ein helleres Gewand ohne Gürtel trug, kicherte wieder. »Es ist doch verständlich, dass sie zögert. Wie kann etwas existieren, das nicht riecht? Alles auf dieser Welt hat seinen eigenen Geruch, er ist ein wichtiger Teil seiner Ausstrahlung und Wirkung. Wahrer Geruch ist ein Gesetz der Natur, denn er hilft, den anderen zu erkennen und Böses zu meiden. Was glaubst du, Fremde, weshalb dieser Raum hier außerhalb des Gesetzes existiert?«
Rigva erwiderte ruhig: »Im Inneren der Göttin, sagt man, herrsche nichts mehr außer Finsternis und Luft, und Sie würde nur dem Feuer gestatten, einzudringen. Es ist der Augenblick der Ruhe, der Starre, jener Moment kurz vor der Geburt und gerade nach dem Tod. Das Urwort nimmt hier seinen Anfang, und mit ihm alles, was existiert, und das Leben findet hier sein Ende. Auge und Ohr sind ein Teil der Rune des Feuers, wie die Sprache vor dem Urwort da war, um es zu formen. Der Geruch kam erst später, noch nach dem Leben. Das Feuer ...«
»Genug!«, unterbrach Hexe Dunkelheit. Die anderen wisperten miteinander. »Wer, bei der Heiligen Urmutter, bist du?«
Rigva tat einen Schritt nach vorne, öffnete ihren Umhang und schleuderte ihn in einer herrischen Geste von sich. Außer gekreuzten Lederbändern zwischen den Brüsten trug sie kein Kleidungsstück am ganzen Körper; auf dem Haupt saß eine mächtige, stachelbewehrte Helmkrone, deren verschlungenes Metallnetz ihr schönes hartes Gesicht schimmernd umrahmte. In einer entschlossenen Bewegung nahm sie auch die Krone ab, und ein Feuerstrahl schoss durch die Höhle, als welliges, leuchtendrotes Haar befreit über die Schultern bis zu den Hüften hinabfloss.
Die Hexen erstarrten. »Rigva!«, flüsterten sie gleichzeitig.
Rigva warf stolz ihr schönes Haupt zurück; die wehenden Haare versprühten Funken, ihre bernsteinfarbenen Augen funkelten in goldenen und orangenen Lichtern, und schneeweiße Zähne blitzten auf, als sie lachte. Sie stand nun hoch aufgerichtet und überlegen da, ganz Herrin und Gebieterin, die sie war. »Ja, ich bin Rigva«, sagte sie mit veränderter, nun machtvoller und autoritärer Stimme, »die Rote Königin, Herrscherin von Connral. Und ich bin gekommen, das magische Schachspiel für mich zu erringen.«
»Wozu?«, fragte eine der Schwestern; sie wirkten alle drei gewissermaßen fasziniert, da es seit Äonen niemandem gelungen war, sie aus der Fassung zu bringen.
»Das sei meine Sache.« Rigva lehnte eine erklärende Antwort bestimmt ab, neigte sich zu ihrem Umhang und holte einen funkelnden goldenen Gegenstand aus irgendeiner verborgenen Tasche hervor. Es war ein rundes Zepter, das nach oben spitz zulief und von rubinfarbenen Rosendornen besetzt war. Lächelnd hielt die Königin den Hexen das Zepter entgegen; ihre Bewegungen waren so anmutig, ihre schonungslose Nacktheit so verzaubernd, dass selbst die uralten weisen Hexen immer noch abwartend und erstaunt verharrten.
»Ich weiß, dass das Spiel sehr teuer ist«, fuhr sie fort. »Ihr verlangt einen Goldpreis, der durch den Feueratem eines Drachen geprägt ist. Dies ist mein Zepter, das einst von einem Drachen geschmiedet und eifersüchtig bewacht worden war, ehe ich es ihm stahl. Es ist mir lieb und teuer, aber das Spiel ist wichtiger.«
Die Hexen betrachteten das Juwel mit gierigen Augen.
»Aber das genügt uns nicht«, sagte Hexe Dunkelheit schließlich. »Du bist nicht würdig. Du bist gegen unseren Willen in unser Reich eingedrungen.«
»Ich habe die Berechtigung dazu«, widersprach die Königin. »Ich entstamme wie ihr dem Alten Geschlecht, als die Göttin noch herrschte, bevor jener ... Eine Gott Sie vertrieb.«
»Die Nachkommen der Heiligen Mutter sind längst ausgestorben!«, zischte Hexe Tod. »Du lügst!«
»Ich bin Ihre letzte Tochter«, erwiderte Rigva gelassen. »Und ich werde die alte Ordnung wiederherstellen. Ich werde diesen Gott der Männer von der Insel jagen, und die Weiße Stute wird wieder herrschen, und in mir wird Sie sich niederlassen!« Die letzten Worte schrie sie mit vor Hass entstellter Stimme, Machtgier und Besessenheit loderten in fanatischen Flammen aus ihren Augen, und die Haare ringelten sich wie Korallenschlangen um ihren Körper.
Die Hexe Luft näherte sich ihr langsam. »Beweise es uns«, flüsterte sie. »Beweise uns, dass du dich und alle Dinge beherrschen kannst!«
»Ich kann es!«, sprach Rigva stolz und furchtlos. »So wahr mein Name in der alten Sprache ist, so wahr bin auch ich, und ich kenne noch die Dinge des Ursprungs und beherrsche geheime Künste. Ja, fordert mich!«
Die Hexe Dunkelheit musterte sie scharf aus tiefliegenden Augen. »Hoffentlich weißt du auch, dass keiner dem ihm auferlegten geis entgehen kann«, murmelte sie.
»Ich nicht, und kein anderer. Ich weiß es, Schwester. Doch dieses geis hier werde ich einem Anderen auferlegen.« Ein kalter, tödlicher Schatten huschte kurz über das Antlitz der Königin und verzerrte ihr Lächeln zu einer Fratze.
»Wen meinst du?«
»Unwichtig.« Sie winkte ab. »Mein ganz persönlicher Feind.«
Hexe Tod nickte. »Dann lass uns beginnen.« Sie ging zu einer Nische und kehrte mit einem quadratischen Holzkasten zurück, der an zwei nebeneinander liegenden Seiten drehbare Schrauben hatte, die den oberen beweglichen Teil jeweils zu einer Seite kippen konnten. Dieser Teil nun besaß sehr viele kleine Löcher, an den verschiedensten Stellen waren Erhebungen aufgesetzt, und eine farbige Markierung lief kreuz und quer zwischen den Löchern hindurch. »Dies«, fuhr Hexe Tod fort, »nennt man das Kugellabyrinth. Du musst diese silberne Kugel hier vom Beginn des Pfeils bis zum Ende durch das Labyrinth rollen lassen, ohne dass sie auch nur ein einziges Mal in ein Loch fällt. Es sind genau einhundertundelf Löcher auf einem tückischen Feld, und wir geben dir genauso viele Zählungen Zeit für einen einzigen Versuch. Versagst du, gehörst du uns.«
»Darf ich das Spiel prüfen?«, fragte Rigva.
»Du darfst an jeder Schraube einmal drehen, aber nicht mehr. Pass auf, dass du das Feld gleich in die richtige Position bringst, bevor ich die Kugel hineinsetze. Du siehst direkt neben dem Anfang ein Loch und nicht viel weiter zwei andere Fallen. Achte darauf, dass du dich an den Wänden entlangtastest. Es sind nur wenige Erhebungen, aber an wichtigen Stellen platziert«, antwortete die Hexe.
Die Königin kauerte sich im Meditationssitz auf den Boden und reinigte die vorgesehene Fläche mit peinlicher Genauigkeit. Erst als sie ganz sicher war, dass keine noch so winzige Erhebung die Standfestigkeit des Kastens beeinträchtigen und den seidenen Faden ihres Lebens durchschneiden konnte, forderte sie die Hexe auf: »Nun setze das Spiel hierher.«
»Die Zeit ist so knapp«, fügte Hexe Luft hinzu, »dass du weder List noch Trick anwenden kannst. Hier musst du deine Geschicklichkeit beweisen, wie du sie von den Müttern gelernt haben müsstest.«
Rigva sagte nichts. Ihre ganze Konzentration galt nun dem Spiel; ihr Gesicht war so reglos wie das einer Statue, die Augen verdunkelten sich in der Sammlung ihres Willens. Ihr Körper schien ganz entspannt zu sein, doch konnte man bei genauerem Hinsehen das Anschwellen ihrer Muskeln erkennen, und die Oberfläche ihrer Haut begann sichtbar zu vibrieren. In einer anderen Zeit, einem anderen Leben war sie mit den letzten Amazonen und den Eisernen Kriegern in den Kampf gegen die Drachen gezogen, und genau wie damals fühlte sie jetzt eine wilde Erregung in sich, vergleichbar dem Fieber beim Liebesspiel, aber sie ließ sich nichts anmerken. Schon lange hatte sie keine solch gefährliche Herausforderung mehr gehabt, und sie wusste, dass weder ihre Kraft noch ihre Geschicklichkeit in den Jahren nachgelassen hatten.
Langsam streckte sie die Arme aus, bewegte die Finger, prüfte die Muskeln auf ihre Geschmeidigkeit und den Puls auf Ruhe, damit kein Zittern, kein stolpernder Herzschlag ihre Hoffnungen zerstörte. Sie legte die Hände an die Schrauben, überprüfte mit empfindlichen, unmerklich klopfenden Fingerkuppen die Nachgiebigkeit und Schwingungen des Holzes, und erspähte mit flinken, scharfen Augen die Möglichkeiten des Weges durchs Labyrinth. Vorsichtig drehte sie mit beiden Händen fast gleichzeitig an den Schrauben, das Brett neigte sich kaum merklich, als Hexe Tod die Kugel bereits mit einer geschickten, unglaublich schnellen Bewegung auf den Anfangspunkt setzte.
Die Kugel lag für einen Moment reglos und dunkel im Schatten, ehe sie zu zittern begann und in einem silbernen Aufblitzen über das Brett auf das zweite Loch zurollte. Rigva reagierte augenblicklich, stellte das Brett zunächst gerade und neigte es dann zur Seite, und die Kugel glitt elegant um das Loch herum, prallte an eine tückische Holzwand und bewegte sich mit gefährlicher Direktheit und Genauigkeit auf das nächste Loch zu. Rigva blieb eiskalt, kippte das Brett steil nach unten, und während die Kugel zurückschoss, bewegte sie die andere Schraube, und der Silberball schlängelte sich auf dem markierten Pfad wie eine Schlange im Dickicht an allen Löchern links und rechts vorbei, wobei seine Geschwindigkeit stetig zunahm.
Die Zeit schien stillzustehen. Rigva hörte nicht, dass eine der Schwestern leise die Sekunden zählte, sie sah und bemerkte nichts um sich herum außer dem Spiel der blitzenden Silberkugel, wie sie mit halsbrecherischer Geschwindigkeit jeweils der Neigung des Brettes folgte und den tödlichen Fallen auswich, bis sie klappernd in eine Ecke prallte und auf der Stelle rotierend stoppte.
Die Hälfte war geschafft. Rigva gestattete sich, einmal tief auszuatmen, um ihre wilde Erregung zu dämpfen; ihre Augen starrten weiter auf das Brett und ergründeten den nächsten Weg. Um sie herum herrschten Dunkelheit und Stille, sie war allein im Universum, fühlte sich eins mit der Unsterblichkeit; aus dem Nichts kam ein Lichtstrahl, der ihre Kugel erhellte, ins Nichts floh das sanfte schleifende Geräusch der Bewegung von Metall auf Holz.
Rigva kippte das Brett steil ab; es galt, wertvolle Sekunden aufzuholen, aber sie fühlte sich erfrischt und furchtlos. Auch die Kugel schüttelte die müde Reglosigkeit ab, pfeilschnell schlitterte sie zwischen zwei Löchern davon, bremste gerade noch vor dem dritten ab in einer scharfen Kurve nach links und krümmte sich um mehrere Ecken herum, entkam wiederum jeder Tücke mit unglaublicher Sicherheit, bis es in die Zielgerade ging, eine letzte Kurve noch, ein allerletztes Schlingern, und sie stieß scheppernd an den Endpunkt.
Rigva saß einen Moment wie erstarrt, ihre Finger schienen verkrampft zu sein, doch dann löste sich ihre Spannung und sie sah funkelnd und triumphierend zu den Hexen hoch. »Nun?«
Hexe Luft war sprachlos vor Verblüffung, Hexe Dunkelheit bebte vor Hass und Empörung, nur Hexe Tod blieb unerschütterlich ruhig.
»Erstaunlich«, sagte sie. »Einhundertundzehn Zählungen. Das ist noch keinem gelungen. Weder in dieser Zeit noch ohne Fehler.«
Die Königin lachte hell und sprang geschmeidig auf. »Dann gebt mir die letzte Prüfung! Ich möchte noch vor Tagesanbruch wieder im Schloss sein.«
Hexe Tod nickte. »Folge mir, Rigva.« Sie führte die Herrscherin aus dem Raum noch tiefer in die Schwarze Gruft hinab, bis sich das Ende fand; vor der Wand klaffte ein tiefer Spalt im Boden, und die Hitze des Herzblutes der Erde huschte rotleuchtend über die verkohlten schwarzen Felsen. Die Königin beugte sich über den Spalt und starrte in den Feuerschein der Lava.
»Deine Geschicklichkeit hast du bewiesen«, fuhr die alte Hexe fort. »Nun beweise, dass du dich an die alten Dinge noch erinnerst. Diesen Spalt haben wir einst in Aufbietung all unserer Kräfte in die Erde gerissen, um die Lebenskraft mit ihr zu teilen. Wenn du bei den Müttern erzogen worden bist, kannst auch du die Energie herausziehen. Zeige mir dies, ohne dass du sie nutzt oder dich mit ihr verbindest.«
Rigva neigte kurz das Haupt. Sie stellte sich dicht an den Spalt, erhob ihre Hände und atmete mehrere Male tief und gleichmäßig durch. Wieder spannten sich ihre Muskeln an, ihre von der Hitze feucht gewordene Haut schimmerte golden im Glutlicht, das Haar flammte wie Purpur. Sie schloss die Augen, während sie atmete, ihre Nasenflügel blähten sich, und ihr Mund öffnete sich, als die mächtigen Worte lang vergangener Zeiten aus ihrer Erinnerung hervordrängten und über die Lippen flossen. Ihre Stimme war nur ein Flüstern, doch die Worte prallten von den Wänden ab und sprangen von Echo zu Echo, immer stärker werdend, bis die ganze Höhle erfüllt war von Tönen und Sprachen. Wind kam auf und fauchte fordernd um die Königin herum, um ihr mehr und mehr Wissen zu entreißen, aber Rigva kannte ihre Grenzen genau. Sie erhob die Stimme zu einem letzten Machtwort, und es war kaum verhallt, als ein Blitz aus dem Spalt heraufschoss, sich in der Mitte zwischen den Händen feurig konzentrierte und Strahlen zu den Fingern aussandte. Rigva spürte die gewaltige Kraft der irdischen Energie in ihren Händen, hütete sich jedoch, sie eindringen zu lassen. Sie kannte viele Geheimnisse, aber sie war keine Zauberin; noch ehe sie ihre Kräfte erlahmen fühlte, brach sie den Bann ihrer Hände und zog sich vom Spalt zurück.
Hexe Tod sprach kein Wort, als sie sich umdrehte und in den Wohnraum zurückkehrte; die Königin folgte ihr ebenfalls schweigend, setzte die Helmkrone auf und hüllte sich in ihren Umhang.
Hexe Luft trat mit einer verschlossenen Kassette zu ihr. »Hier ist das Spiel mit den Figuren. Es ist gleich, ob du Schwarz oder Weiß wählst, denn das erste Spiel kannst du nie verlieren. Aber bedenke, es ist immer nur das erste Spiel gegen jeden neuen Gegner!«, warnte sie.
Rigva nahm die Schatulle in Empfang. »Ihr habt einen ungebührlich hohen Preis für etwas Unvollkommenes verlangt!«, sagte sie spöttisch.
»Anscheinend kannst du anders dein Ziel nicht erreichen«, entgegnete die uralte Frau ungerührt. »Mit deinem Wissen lägen dir noch ganz andere Möglichkeiten offen.«
Das stimmt, dachte die Königin, das ist auch mein letzter Anlauf, bevor ich aufgebe. Ich kann es nur noch mit einem geis versuchen. »Das geht euch nichts an!«, sagte sie laut. »Ohne Grund bin ich nicht gekommen.«
»Und wir können nicht eine so alte magische Sache ohne Grund hergeben. Sie ist ein Teil von uns«, sagte Hexe Dunkelheit.
»Sicher. Aber ihr werdet nicht arm dadurch. Mein Zepter ist ein großer Gewinn für eure Schatzsammlung.« Sie drückte die Kassette fest an sich, wandte sich um und verließ rasch die Schwarze Gruft.
Als Rigva ins Freie hinaustrat, atmete sie befreit durch und sog gierig die frische Luft in ihre Lungen. Sie war ins Leben zurückgekehrt, erkannte sie, denn allerlei Geräusche umschwirrten sie, die sie vorher durch Gewohnheit längst nicht mehr wahrgenommen hatte.
Es war gerade die kälteste und finsterste Stunde der Nacht vorüber, in der alles schweigt, um den umherschweifenden Tod nicht auf sich aufmerksam zu machen; im Osten, noch tief am Horizont, erschien gerade der erste schwach silbrige Schimmer des neuen Tages, und ein sanfter Wind kam auf. Noch war der Mond der uneingeschränkte Herr des Himmels, und Rigva konnte in seinem kalten Schein den Weg gut erkennen. Sie fühlte eine zufriedene Müdigkeit in sich, denn sie war ihrem Ziel endlich näher denn je zuvor. Diesmal wird es gelingen, dachte sie. Ich weiß es genau. Hier nützen weder Glück noch Unschuld. Ein Bild erschien ihr vor Augen; ein junges, blühendschönes Mädchen mit blondem Haar und dunkelblauen, fast schwarzen Augen: die Tochter des Königs, Gwynn-Deirdre, die alle nur Menwy, Wintersonne, nannten. Rigva hatte sie vom ersten Augenblick an gehasst, und dieses Gefühl fraß sich wie eine böse Krankheit immer tiefer in ihr Herz. Rigva hatte ihr ganzes Leben hindurch viele Feinde gehabt, aber niemanden hatte sie so abgrundtief gehasst wie dieses Mädchen. Sie verabscheute ihre Unschuld, ihre Liebe zu allen Dingen, ihr reines Wesen, ihr lichtes Aussehen, ihre sanfte Ausstrahlung. Sie ertrug es nicht, dass sie eines Tages Erbin von Connral sein würde, Herrscherin über ein mächtiges Reich. Sie empfand Übelkeit bei dem Gedanken, dass Menwy eine echte Rivalin war in allen Dingen, ihr sogar noch etwas voraus hatte, denn während die Königin gefürchtet war, wurde die Prinzessin voller Hingabe von jedem geliebt. Keine noch so geschickte, bösartige Intrige hatte jemals etwas daran ändern können. Rigva war ebenso schön wie hart und verderbenbringend; mit ihrer ungeheuren Kraft und unersättlichen Machtgier hatte sie bereits so vielen Menschen den Untergang bereitet, dass die Zahl kaum mehr nennbar war. Tod und Entsetzen waren die Begleiter ihres langen Weges, aber auch Leidenschaft und eine so starke Ausstrahlung, dass jeder in ihren Bann geraten mochte, ohne ihr wahres Selbst zu erkennen. Rigva war ihrem Ziel, Herrscherin der ganzen Insel zu werden, näher denn je gewesen, als sie den mächtigen König von Connral geheiratet hatte. Mit zuversichtlicher Tatkraft war sie ans Werk gegangen, die damals gerade fünfzehnjährige Prinzessin aus dem Weg zu räumen – und musste erschrocken feststellen, dass sie hier ihren Meister gefunden hatte. Lügengespinste und böse Geschichten konnten das Ansehen des Mädchens nicht zerstören, das dazu mit schlafwandlerischer Sicherheit allen tückischen Fallen entging; nicht einmal ein unnachweisbares Gift gelangte jemals in ihren Körper. Stets passierten sonderbare Zufälle, die alle klugen Pläne der Königin vernichteten. Das Schlimmste jedoch war, dass Menwy in ihrer Unschuld überhaupt nicht bemerkte, dass sie in ständiger Gefahr schwebte, und über das scheinbar dumme Geschwätz der besorgten Dienerschaft nur lachen konnte. Rigva empfand es als unerträglich, dass das verhasste Mädchen mit ehrlicher Bewunderung an ihr hing, keinerlei Ehrgeiz entwickelte und, vielleicht ein wenig verwundert zwar, aber gehorsam selbst absonderliche Befehle befolgte. Menwy hatte in all den Jahren niemals einen verwundbaren Punkt gezeigt, eine offene Stelle ihrer Herzlichkeit, die die Stiefmutter hätte angreifen können. Viele sagten, mit Menwy wäre ein Engel auf die Erde gekommen, der das Glück selbst sei; aber Rigva als Anhängerin der Alten Göttin glaubte nicht an Himmelsgeschöpfe, und schon gar nicht an Glück. Sicherlich musste sie zugeben, dass Menwy durch etwas Geheimnisvolles, was über Rigvas Begriffsvermögen ging, geschützt wurde; ein starker Zug ihres Charakters war es jedoch, niemals aufzugeben, ehe nicht die letzte Hoffnung erschöpft war. Jahrelang erprobte sie in Geduld alle Künste, bis sie einsehen musste, dass hier nur noch ein Einfluss von Außen helfen konnte, und da war ihr das magische Schachspiel der Drei Schwestern eingefallen.
Das Schachspiel war einst ein unentbehrliches politisches Machtmittel gewesen, das einen hohen Einsatz verlangte: das eigene Leben. Auf dem schwarz-weißen Brett spielten Könige und Fürsten um Land und Leben, um Krieg zu vermeiden oder zu beenden; alle Rivalitäten wurden hier im Kampf der Klugheit ausgetragen. Mächtige Kriegerbarone hatten auf dem theoretischen Schlachtfeld schon alles an verkrüppelte arme Herrscher verloren; am Schach waren viele lange Freundschaften zerbrochen, aber auch so manche Feindschaft konnte ihren Sinn verlieren. Doch als dann jene lange Friedensperiode nach dem Untergang der Göttin und dem Ende des letzten Krieges begonnen hatte, war aus dem Schach ein echtes, freundschaftliches Spiel geworden; und das einstmals so wichtige, von wenigen Wissenden als Geheimnis wohl behütete magische Brett der Hexen hatte an Bedeutung verloren und war vom Erdboden verschwunden – bis Rigva sich eines Tages in einer langen Meditation daran erinnerte und die einzige Möglichkeit erkannte, die Prinzessin zu vernichten.
Es war schon fast hell, als die Königin das Schloss erreichte; sie hörte das Krähen des ersten Hahnes, die Hunde waren erwacht und trotteten gähnend in den Hof, um sich die Flöhe aus dem Fell zu kratzen und auf die Frühstücksmahlzeit zu warten. Die Welpen purzelten quietschend hinterher und gerieten bald in die übliche Keilerei mit den gerade heimkehrenden müden Katzen, an der sich die erwachsenen Hunde nur mit halbherzigem Geknurre beteiligten. Im Stall wurden die Stuten unruhig, denn sie wollten mit ihren Fohlen auf die saftigen Weiden, wo streng abgeriegelt die Hengste bereits erwartungsvoll in wiegenden Bewegungen schnaubend auf- und abliefen und sich über die sicheren Entfernungen ausgelassen anfegten. Die Nachtwache schlich schlaftrunken zur Messe, unbeeindruckt durch die recht muntere Ablösung, die, noch mit dem Frühstück und dem korrekten Sitz der Kleidung beschäftigt, herauskam. Knechte und Mägde erschienen mit frischem, beschwingtem Gang auf dem Hof und riefen fröhliche Grüße in alle Richtungen, ehe sie das Tagwerk begannen.
Die Königin war längst vor dem ersten Sonnenstrahl in einem Seitengang verschwunden und gelangte auf ihr allein bekannten Wegen ins Schloss zu ihren Gemächern. Da niemand etwas zu verbergen oder zu befürchten hatte, kannte keiner die ungezählten Geheimgänge, die sich wie ein Labyrinth durchs ganze Gemäuer zogen; selbst Menwy hatte als Kind nach anfänglicher Neugierde das Interesse rasch verloren, denn für sie waren die dunklen, muffigen, teils feuchten Gänge leer und tot, und sie brauchte das Leben. Rigva jedoch hatte gleich zu Anfang jeden Winkel erkundet, um sich ungestört davonzustehlen und in die Nacht enteilen zu können. Wie nützlich das war, stellte sie gerade wieder in diesem Moment fest, als sie unbemerkt ihr Zimmer betrat, das Schachspiel versteckte und sich dann ins bisher unberührte Bett legte, um ein paar Stunden zu ruhen. Sie hatte den König so fest in der Hand, dass ihm wohl niemals Zweifel über ihre Gedanken und Absichten kommen würden, aber sie wollte kein unnötiges Risiko eingehen. Sie wusste, dass er vor dem Frühstück zu ihr kommen würde, und sie wollte seine Gewohnheiten nicht durcheinanderbringen. Er liebte sie abgöttisch und glaubte, dass sie ebenso empfand; und so lange er dessen sicher war, konnte auch sie weiter ihr Ziel verfolgen.
Behaglich dehnte sie ihre Glieder, kuschelte sich in Kissen und Decke und schloss zufrieden die Augen.
Als der König ihr Zimmer betrat, lag sie noch in tiefem Schlummer; aber sie erwachte, noch ehe er das Bett erreichte, entspannte ihre Züge zu sanfter Weiblichkeit und stellte sich schlafend.
Der König blieb einen Moment stehen und betrachtete ihr weiches Gesicht, dann setzte er sich an die Kante und berührte behutsam ihr Haar. Sie schlug die bernsteinfarbenen, goldstrahlenden Augen auf und lächelte ihn an.
»Guten Morgen«, sagte sie im Tonfall einer liebenden Ehefrau.
Er lächelte zurück. »Guten Morgen«, entgegnete er. »Wie machst du es nur, selbst nach dem Schlaf so wunderschön auszusehen?«