Magische Zeit - Uschi Zietsch - E-Book

Magische Zeit E-Book

Uschi Zietsch

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Beschreibung

Heitere gruslige Weihnachten! Was passiert, wenn der Weihnachtsmann seinen Schlitten verliert und ein Taxi nehmen muss? Wer springt für ihn ein, wenn er durch einen selbst verschuldeten Unfall ausgeknockt ist? Was passiert mit unartigen Kindern am Nikolaustag? Gehen zur Fastnachtszeit kostümierte Monster um? Was passiert in den zwölf Nächten zwischen Weihnachten und dem neuen Jahr? Können Drachen kochen? Und welche Auswirkungen hat das Tulpen-Desaster? Diese und viele weitere Fragen werden in diesem unterhaltsamen, ganz und gar nicht feierlichen Band geklärt. 11 Geschichten über unerklärliche Geschehnisse in besonderen Zeiten. Band 3 der Werkausgabe gesammelter Storys.

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Seitenzahl: 247

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Inhalt

Titelseite

Die Autorin:

Impressum

Vorwort

Der chinesische Weihnachtsmann

Die eintausendneunhundertneunundneunzigste Weihnacht

Niklastag

Zwölfnacht

Rattenfeuer

Faschingszeit

Morphyr

Das Kochduell

Charly

Bonus 1 Schach und Vanillekipferl

Bonus 2 Geister der SOL

Bibliographie

Titelseite

Uschi Zietsch
Magische Zeit

Heitere gruslige Weihnachten!

Was passiert, wenn der Weihnachtsmann seinen Schlitten verliert und ein Taxi nehmen muss? Wer springt für ihn ein, wenn er durch einen selbst verschuldeten Unfall ausgeknockt ist?

Was passiert mit unartigen Kindern am Nikolaustag? Gehen zur Fastnachtszeit kostümierte Monster um?

Was passiert in den zwölf Nächten zwischen Weihnachten und dem neuen Jahr?

Können Drachen kochen?

Und welche Auswirkungen hat das Tulpen-Desaster?

Diese und viele weitere Fragen werden in diesem unterhaltsamen, ganz und gar nicht feierlichen Band geklärt.

11 Geschichten über unerklärliche Geschehnisse in besonderen Zeiten.

Band 3 der Werkausgabe gesammelter Storys.

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Die Autorin:

Uschi Zietsch, geboren 1961 in München, publiziert seit 1986 in vielen verschiedenen Genres, ist als Susan Schwartz Teamautorin bei Perry Rhodan, gibt Schreibseminare, arbeitet zudem als Lektorin und Coach und ab und zu als Moderatorin sowie Stand-up-Comedian im Duo Außer&Irdisch.

Bei Fabylon sind u.a. erschienen:

Unerwartete Begegnungen (Werkausgabe 1) Anderwelten (Werkausgabe 2) Elfenzeit Die Chroniken von Waldsee Das Reich Albalon

www.uschizietsch.de

Dieser Titel ist auch als Print erschienen.

Impressum

© Fabylon Verlag 2024 Umschlaggestaltung: Madeleine Hirth, Cover: Art Tower ISBN 978-3-946773-52-8 Originalausgabe. Alle Rechte vorbehalten. www.fabylon.de

Vorwort

Ein magisches Willkommen zum dritten und letzten Teil der Werkausgabe!

Diesmal, passend zu dieser Jahreszeit, habe ich einige Weihnachtsgeschichten versammelt, Schauergeschichten und Unheimliches. Als Zugaben sind zwei PERRY-RHODAN-Geschichten dabei – eine davon ein Weihnachtsstück – und zwei Kindergeschichten, die auf ihre Art auch dazu passen und das Bild abrunden, wie ich finde.

Erklärungen dazu gibt es wie immer im Anhang.

Damit ist mein Fundus an bunten Sammelsurien auch schon mit euch allen geteilt, geneigte Leser. Es war eine abwechslungsreiche Reise durch viele Welten.

Ich wünsche noch einmal viel Lesespaß!

Markt Rettenbach, Oktober 2024

Der chinesische Weihnachtsmann

Um halb vier nachmittags entschloss Johnny sich zu einer Glühweinpause. Er war schon seit fünf Uhr früh unterwegs und brauchte jetzt einen Herzwärmer. Ganz München war festlich beleuchtet, an jeder U-Bahn-Haltestelle gab es mindestens zwei kleine Buden mit Glühwein, Lebkuchen und Maroni; an größeren Plätzen wurden die Stände zahlreicher und wuchsen sich zu winzigen Weihnachtsmärkten aus. Weihnachten, das Fest der Liebe, wie man so sagt, dachte sich Johnny. Nur wenige Fahrgäste hatte er bis jetzt gehabt, jedes Mal für ein lächerliches Kleingeld. Alle waren schlecht gelaunt gewesen, müde, ungesprächig. Johnny war an sich auch kein besonders fröhlicher Mensch, aber diese niedergedrückte Stimmung machte ihm allmählich zu schaffen. Wenn es so weiterging, würde es für ihn ein noch traurigeres Weihnachten werden, als er es sich vorgestellt hatte. Bisher würde es nicht zu einem opulenten Festessen reichen. Denn er hatte zwei Prinzipien: niemals mehr als eine Straße Umweg, und niemals einen Fahrgast bei der Abrechnung bescheißen, und wenn der noch so betrunken war. Johnny konnte sich keine Auffälligkeit leisten. Er war im Hauptberuf Taschendieb gewesen, und das bis vor wenigen Monaten.

Das Taxi und den Schein hatte er sich jahrelang aus seinem Haupterwerb zusammengespart. Also die Anzahlung fürs Taxi; die Leasingraten musste er noch monatlich aufbringen. Johnny war ohne sonstigen Abschluss, und er wollte seine ehrliche Existenz, die er gerade mühsam aufbaute, nicht aufs Spiel setzen. Er wusste selbst nicht, weshalb er es so wichtig fand, einen ehrlichen Beruf zu haben, wenn es doch viel leichter gehen könnte.

Vielleicht, weil er seit seiner Jugendzeit aus dem Scherbenviertel am Stadtrand ausbrechen wollte und eher eine Chance bekommen konnte, wenn er einen einigermaßen anständigen Lebenslauf vorzuweisen hatte. Eine andere Möglichkeit sah er nicht, denn ohne Hauptschule nahmen sie ihn nirgends als Lehrling, und als Spüler lebte er erst recht von der Hand in den Mund.

Für große krumme Sachen war er nicht geschaffen, und die kleinen krummen Sachen hatte er aus Not unternommen, mit dem festen Vorsatz, das Geld zu etwas Gutem zu verwenden: Sein künftiges Leben als ehrlicher Mann.

Immerhin hatte ihn sein Grundsatz, sich nicht selbst zu überschätzen, noch nie in Polizeihände gebracht, und das war einzigartig im ganzen Viertel. Er war Einzelgänger, aber die anderen respektierten ihn, weil er nicht registriert war, und kamen ihm nie zu nahe.

Genug gegrübelt, dachte er und parkte den Wagen halb auf dem Gehsteig. Blödes Weihnachten. Es macht mich total sentimental, und was habe ich davon? Frust und einen leeren Tisch. Also muss jetzt Glühwein her, sonst fang ich noch an zu heulen.

Er stiefelte auf die Buden zu; diesen kleinen Markt kannte er schon von früheren Fahrten her, und er wusste genau, wo es den stärksten und billigsten Glühwein gab: ganz außen, fast im Dunkel, wo ein normaler Mensch schon gar nicht mehr hinging. Da er kein normaler Mensch war, gehörte er genau da hin.

Die schummrige Beleuchtung passte zu seiner seltsamen Stimmung. Der starke, mit Zimt, Orangen und Nelken durchsetzte Weinduft umnebelte schon auf die Entfernung seinen Verstand, und zum ersten Mal an diesem Tag ließ er sich treiben, befreit und zufrieden, als er unversehens über zwei Füße stolperte und, verzweifelt mit den Händen rudernd, mit der Stirn an einen Lichtmast stieß und langsam daran hinabrutschte.

Verwirrt rappelte er sich hoch, schüttelte den Kopf, um sein Gehirn wieder in die richtige Lage zu bringen, und drehte sich um. Auf der Bordsteinkante saß erbärmlich frierend ein kleines, hutzliges altes Männlein in langen weißen Unterhosen, einem zerfledderten weißen Unterhemd und handgestrickten grauen Socken. Das Gesichtchen verschwand fast hinter einem spitz zulaufenden langen weißen Bart, und filzartige weiße Haare, die bestimmt schon lang keinen Kamm mehr gesehen hatten, standen ihm wirr um den Kopf.

»He, Alterchen«, stieß Johnny keuchend hervor und rieb seine immer noch schmerzende Stirn. »Meinst du, dass das der richtige Aufzug für so ein kaltes Winterwetter ist?«

»Bitte«, flüsterte das Männlein. »M-m-mir ist so k-k-alt.«

»Wart mal«, erwiderte Johnny, »bin gleich wieder da.« Er ging rasch zu der Glühweinbude und kehrte mit zwei dampfenden Bechern zurück. Er setzte sich neben den halb erfrorenen Greis und hielt ihm den Becher an den Mund. »Komm, ich helf dir, mit deinen zitternden Händen verschüttest du nur alles … ganz vorsichtig nippen, das Zeug ist verflucht heiß …«

Der Alte nippte folgsam, stieß ein glucksendes Geräusch aus, umschloss den Becher fest mit beiden Händen und kippte den heißen Glühwein in einem Zug hinunter. Musste Lederhaut statt Speiseröhre haben. Sogleich huschte Farbe über sein leichenblasses Gesicht, Nasenspitze und Wangen wurden rot, und er kicherte leise. Ehe Johnny es verhindern konnte, packte er den zweiten Becher und trank auch ihn leer.

»He«, machte das Männlein. »Dass Zeugs schmecks aber gutt, dass.«

»Na, wohl bekomm’s«, meinte Johnny irritiert und starrte auf seine leeren Hände.

»Hups!«, antwortete der Greis. »Jetz’ is’ mir warm … und lussig im Kopf …«

»Wenigstens einer …«, sagte Johnny mehr für sich und wieder ein wenig traurig. Schließlich hatte er auch noch keinen Glühwein bekommen. Er riss sich zusammen, zwang sich zu einem Lächeln und sah den Alten an. »Und jetzt erzähl mir mal, wie du zu diesem Aufzug kommst.«

Der Alte richtete zwei pechschwarze glänzende Augen auf ihn. »Ich bin beraubt worden!«, erklärte er ziemlich klar, das R seltsam rollend. Nur zwischendrin hickste er leise. »Kannst du dir das vorstellen, Jungchen? Schlitten, Geschenke, Kleider … alles weg!«

»Was!«, rief Johnny. »Warst du schon bei der Polizei?«

Der Alte sah an sich hinunter. »In Unterhosen? Die sperren mich doch gleich ein. Außerdem war mir so kalt, dass ich mich nicht mehr rühren konnte.«

»Na ja, das stimmt … komisch siehst du schon aus … hör mal, wo wohnst du? Ich bin Taxifahrer, und ich kann dich …«

»Nein, Jungchen, ich muss den Schlitten wiederfinden«, plapperte der Greis weiter, ohne auf ihn zu achten, »ich hab einen Auftrag … es ist ohnehin schon so spät … ich bin doch der Weihnachtsmann …«

»Alterchen, was erzählst du da? Du bist doch Chinese.«

»Na und? Was dagegen? Bist du Rassist? Wer sagt, dass der Weihnachtsmann Weißer sein soll?«

»Zum Beispiel meine Oma. Da war ich drei, ich weiß es noch ganz genau, und sie hat’s mir erzählt. Und in allen Büchern kannst du’s lesen, dass der Sankt Nikolaus weiß ist und der Krampus dunkel und finster.«

»Ich bin doch nicht der!«, entrüstete sich das Männlein. »Ich komme aus Amerika!«

»Von Coca-Cola?«

»So in der Art.«

»Der ist aber auch weiß, und du bist immer noch Chinese.«

»Ich bin Amerikaner!«

Der spinnt, dachte Johnny. Bestimmt ist er aus irgendeiner Klinik ausgebrochen. Vielleicht ist er sogar gemeingefährlich und sein Aussehen täuscht. Ich sollte abhauen. »Wieso sollte ausgerechnet der Weihnachtsmann bestohlen werden?« versuchte er es mit vernünftigen Argumenten. »Du bist doch ein himmlisches Geschöpf, dir kann kein Mensch was antun, ob Weißer oder nicht.«

»Und doch ist es passiert«, klagte das Männlein. »Ein Schlag auf den Kopf, und alles war weg! Hick!« Es schielte vertrauensvoll zu Johnny hinauf. »Gibt’s noch was von diesem märchenhaften Getränk, mein Freund?«

»Ich denke, du hast genug.«

»Bitte. Mir wird schon wieder so schrecklich kalt. Mir war noch nie im Leben kalt, und das ist sehr lang …«

»Das ist Glühwein, Alterchen. A-l-k-o-h-o-l.«

»Das ist Alkohol?«, flüsterte der chinesische Weihnachtsmann und verdrehte verzückt und berauscht die Augen. »Was habe ich versäumt …«

Ach, was soll’s, dachte Johnny. Ich spiele seinen Vormund, einfach lachhaft. Warum soll der kleine Alte nicht auch mal was Schönes haben, verrückt oder nicht. Man macht sich das Leben immer so unnötig schwer. Er ging zum Taxi und holte seinen Mantel, in den er den Alten einwickelte. »Einen Moment, Opa. Ich hole dir noch Glühwein.«

»Du kannst mich Niki nennen«, sagte der Alte behutsam und unschuldig.

Aber klar doch. »Und ich bin Johnny«, erwiderte der Jüngere und ging zu der Bude. Er kam bald zurück, reichte dem Alten einen Becher und prostete ihm zu. Sein Becher war natürlich alkoholfrei, mehr Risiko wollte er nicht eingehen. Bei Taxifahrern wurden oft Augen zugedrückt, beim Parken, zu schnell fahren – aber bei Alkohol hörte die Kameradschaft auf.

Der Chinese trank diesmal in kleinen Schlucken, blühte dabei zusehends auf und wurde immer rosiger und fröhlicher. Er stupste Johnnys Knie an und neigte sich ihm zutraulich zu. »Was hältst du denn von Weihnachten?«, fragte er im Verschwörerton.

»Nichts«, erwiderte Johnny. »Blödsinn. Als wenn ich jemanden nur zu Weihnachten lieb zu haben brauchte und ihn anschließend das restliche Jahr verprügle. Kommerz, bah.«

»Früher war’s was anderes …«

»Ach, hör doch auf! War es nicht! Einmal im Jahr konnten sich diese armen Schweine satt essen, wenn sie eine Gratifikation bekamen! Umgekehrt wär’s besser gewesen!«

»Lieber einmal im Jahr als nie … oder glaubst du, damals waren sie unglücklich an Weihnachten?«

»Nicht mehr und nicht weniger als heute auch. Wer’s im Herzen hat, war damals wie heute glücklich, wer nicht, na, der nicht. Und die Armen haben keinen Grund zum Glücklichsein, die hatten damals wie heute nichts. Diese Tage erinnern sie nur noch mehr daran.«

Der Alte schwieg einen Augenblick verblüfft. »Es kann doch ein Ansporn sein …«, sagte er vorsichtig. »Damals wurde die Hoffnung geboren …«

»… und gekreuzigt!«, rief Johnny. »Glaubst du, dass er glücklich darüber war?«

»Darüber steht mir kein Urteil zu. Ich bin nur der Weihnachtsmann, und ich beschenke die Leute. Schenkst du denn nicht gerne?«

»Wenn ich jemanden hätte, schon«, gab Johnny zu. »Ich hab aber niemanden. Könnt’ mir ohnehin nichts leisten. Zu Weihnachten ist alles dreimal so teuer wie sonst. Ich muss zusehen, dass ich die Miete und die Leasingrate zusammenbringe. Und was soll’s auch? Die Reichen beschenken sich reich, die Armen arm. Es ist so wie immer. Von wegen Besinnlichkeit, stille Zeit … hat doch gar keiner Zeit dazu. Jeder muss Geld verdienen, da kann man nicht nachdenklich sein. Die Eltern rödeln wie die Wahnsinnigen, um alles schön zu machen … und im Familienkreis gibt’s dann Krach. Der Baum steht schief, die Christbaumkugel gehört dorthin, nicht dahin, Mami, ich will meine Geschenke, Papi, die Eisenbahn gehört mir, und all so was. Meine Oma ist gestorben, als ich vier war, Eltern hab ich nie gehabt. Ich bin im Waisenhaus aufgewachsen. Weißt du, was es da Weihnachten gab? Eine Portion Extra-Prügel.«

»Und der Weihnachtsmann?«

»Ja, verdammt, wo warst du? Wo warst du, als ich dich brauchte und mich in den Schlaf weinte vor Kummer und Einsamkeit? Ach, hör auf mit dem Quatsch. Der Nikolaus oder das Christkind oder der Weihnachtsmann sind Märchen wie der Schwarze Mann. Ein Schmarrn!«

»Dann hältst du mich wohl für einen Schwindler?« fistelte der kleine Mann traurig.

Johnny seufzte. »Alterchen, du bist reizend, aber wie der Weihnachtsmann siehst du wahrhaftig nicht aus und du wirkst auch nicht so. Abgesehen von den roten Wangen und der roten Nasenspitze vom Glühwein hast du nichts, aber auch gar nichts von einem guten Weihnachtsgeist an dir! Und du lachst auch nicht dieses Ho-ho-ho!«

»Würdest du so lachen, wenn man dich all deiner Habe beraubt hätte?«

»Genau. Diese Geschichte mit dem Raub. Findest du nicht, dass das reichlich verrückt klingt?«

»Hupps«, machte der chinesische Weihnachtsmann. Sein Becher war leer. »Ja, schon. Wenn ich’s mir recht überlege, klingt es ein bisschen merkwürdig. Aber ich kann’s dir nicht beweisen, so leid es mir tut.«

»Na siehst du. Weißt du, bei all der Scheiße, die auf der ganzen Welt passiert – und vor allem mir –, glaube ich nicht mehr an Wunder.«

»Die Welt ist, wie sie ist. Der Mensch hat sie sich so geformt. Unserer Ansicht nach ist er volljährig und verantwortlich für das, was er tut. Sonst bräuchten wir ihm keinen Verstand zu geben. Aber Kleinigkeiten können wir tun. Ein bisschen Glück …«

»Schon wieder dieses Glück!«, schnaubte Johnny. »Ich sag dir was, Opa. Ich bin vor fünfzehn Jahren aus dem Waisenhaus ausgerissen. Ich hab versucht, anständig zu leben, aber was denkst du, was ich alles so gehört habe auf meinen Touren, wie überall beschissen wird! Es regiert, wer sich Gerechtigkeit kaufen kann. Ja, trotzdem versuche ich jetzt wieder, eine ehrliche Haut zu werden, und du glaubst nicht, was mir da im Taxi alles zu Ohren kommt! Ich bin nicht wie die, und ich werde nie so sein, aber schönreden tu ich es auch nicht. Also lass mich mit diesen Plattitüden aus den amerikanischen Seifenopern in Ruh.«

»Aber … vielleicht bin ich auch damals dagewesen, und du hast mich nicht erkannt …«, sagte der Alte und nieste so heftig, dass es seinen kleinen mageren Körper durchschüttelte. »Ich glaub, ich bin erkältet«, schniefte er.

»Scheint mir auch so, Opa. Und verrückt bist du, aber ich hab dich gern. Auch wenn dein Gerede keinerlei Sinn ergibt.«

»Wunder sind Wunder. Wenn sie einen Sinn hätten oder erklärt werden könnten, wären es keine Wunder mehr. So einfach ist das.« Der chinesische Weihnachtsmann nieste wieder. Johnny kramte nach einem Taschentuch, und das Männlein putzte sich geräuschvoll die Nase.

»Du meinst, ich empfinde es als ein Wunder, dich hier ausgeraubt zu finden?«, meinte Johnny nachsichtig.

»Nein«, erwiderte der Chinese. »Aber ich. Und dieser Glühwein, der ist ebenfalls ein Wunder. Es ist bloß nie genug da …« Er griff nach Johnnys Hand, die seinen Becher gehalten hatte, während er nieste, zog sie mitsamt Becher an seinen Mund, trank den ganzen Rest und bekam den nächsten Schluckauf.

»Ja, und ein chinesischer Weihnachtsmann ist auch sehr verwunderlich.« Johnny wusste nicht, warum er das alles mitmachte.

»Man tut, was man kann.« Der Alte kicherte leise. »Es macht Spaß.«

»Hör zu, ich bring dich jetzt nach Hause.«

»Ich habe eine viel bessere Idee. Du holst mir noch einen Wein und hilfst mir bei der Suche nach meinem Schlitten.«

Johnny seufzte. Wahrscheinlich weiß er wirklich nicht mehr, aus welcher Klinik er entwischt ist. Ach, was soll’s. Heute verdiene ich sowieso nichts mehr, und ich mag den kleinen Zausel wirklich, weiß der Teufel warum. Ich nehme ihn mit, vielleicht erkennt er unterwegs was wieder. Er brachte dem alten Mann den vierten Glühwein, zog ihn hoch und transportierte ihn zu seinem Taxi. Der Chinese schwankte ziemlich, aber er war so leicht, dass Johnny ihn mühelos in den Wagen stopfen konnte.

»Eines musst du mir versprechen, Alterchen«, sagte er, während er in den Fond kletterte, »falls tatsächlich ein Fahrgast auftauchen sollte, bist du ganz still, ja? Laber bloß nichts von wegen Weihnachtsmann und so, sonst landen wir beide in der Klapse. Ich hab mir dieses Weihnachten so sehr eine gute Flasche Schampus, ein Büchschen Kaviar, Weißbrot und einen riesigen Schinken gewünscht, und ich werde die Hoffnung nicht aufgeben, dass es doch noch was wird.«

»Versprochen!«, quäkte der Greis, noch stärker das R rollend. »Du könntest doch ganz leicht an das Geld kommen, oder? Du bist doch ein Dieb?«

»Mann«, sagte Johnny genervt, »Mann, die Geschäfte bestehlen die Leute schon genug, und auf dieses Niveau bin ich wahrhaft noch nicht gesunken.«

Danach schwiegen beide, Johnny fuhr durch die Straßen, und sein seltsamer Begleiter schlürfte den Wein und summte eine leise, glückliche Weise.

»Ist es warm genug?«, fragte Johnny nach einiger Zeit nach hinten.

»Jungchen, solchen Komfort bin ich doch sonst nicht gewohnt. Ich fühle mich ausgezeichnet.«

»Na, prima.« Johnny schaltete das Autoradio an und pfiff leise vor sich hin. Der Chinese räusperte sich einmal, zweimal, dann begann er zu husten. Schließlich sagte er leise:

»Außer …«

Johnny blickte in den Rückspiegel. »Was ist denn?«

»Es ist so eine furchtbar trockene Luft hier drin, da bekommt man schrecklichen Durst.«

»Ich halte bei der nächsten Tankstelle und hole dir eine Cola.«

»Willst du mich vergiften?«

»Ich denke, du hast Durst.«

Der Chinese hopste plötzlich von links nach rechts und deutete aufgeregt nach draußen. »Sieh mal, was für ein schöner Weihnachtsmarkt! Viel schöner als der erste! Jungchen, halt an, ich bitte dich!«

Johnny stoppte sofort und drehte sich um. »Das hast du also mit Durst gemeint. Warte hier, ich bin gleich zurück. Rühr dich bloß nicht vom Fleck!«

»Keine Bange!«, rief der Alte. »Draußen ist es viel zu kalt. Nun mach schon, ich verdurste.«

Johnny ging gleich zum ersten Kiosk, er wollte so rasch wie möglich wieder ein Auge auf den Alten haben. So unrecht hatte er damit gar nicht, denn als er zurückkam, war das Männlein, fest in Johnnys viel zu großen Mantel eingewickelt, ausgestiegen und diskutierte heftig mit einem anderen Mann.

»Was ist los?«, fragte Johnny atemlos.

»Ach, da sind Sie ja!«, wandte sich der fremde Mann zu ihm. »Wissen Sie, fürs Herumstehen werde ich nicht bezahlt. Kommen Sie schon, stellen Sie sich neben Ihren Freund, ich muss weiter.«

»Was …«, begann Johnny, während er sich folgsam neben den kleinen Chinesen stellte.

»Lächeln!«, rief der Mann.

Johnny öffnete den Mund zur nächsten Frage, doch da gab es einen fürchterlichen Blitz, und er schloss geblendet die Augen.

»Er sagt, es hält ewig!«, rief der Chinese glücklich und schüttelte Johnnys Arm. »Sieh doch nur!«

Johnny starrte auf ein Polaroid-Foto. »O Gott«, murmelte er. »Das willst du doch nicht behalten?«

»Es ist doch wunderschön!«, erwiderte der Chinese.

Der Fotograf streckte Johnny auffordernd die Hand hin, und er zahlte, immer noch auf das Foto starrend. Es zeigte Johnny mit einem ziemlich dümmlich-fragenden Gesichtsausdruck und den erschreckend breit grinsenden Chinesen neben ihm.

»Ist das dein voller Ernst?«, wiederholte er. »Du willst das behalten?«

»Jungchen, es ist die einzige Erinnerung, die ich mit meinen Augen betrachten kann, so oft ich nur will, nicht nur mit meinem Herzen. Diesen Tag werde ich nie vergessen, und wenn ich nie sage, dann hat das eine wahrhaft tragende Bedeutung bei einem ewigen Leben.«

»So«, sagte Johnny, während er die hintere Wagentür öffnete, »du meinst also, dass du ewig leben wirst?«

»So lange noch ein einziger Mensch auf Erden an mich glaubt, ja«, antwortete der chinesische Weihnachtsmann und kletterte umständlich ins Auto.

Johnny holte rasch die beiden Glühweinbecher, die er vorher auf der Motorhaube abgestellt hatte, und stieg ebenfalls ein. Er gab dem Chinesen den Becher und nickte ihm zu. »Ich werde diesen Tag bestimmt auch nicht so schnell wieder vergessen«, sagte er. »Umso mehr, wenn die Polizei mich erwischt. Dann bin ich meine Lizenz ein für alle Mal los.« Er hatte sich nämlich noch einen mit Alkohol gegönnt.

»Ach, keine Sorge«, gackerte der Alte. »Kauf dir ruhig echten Glühwein, nicht den komischen Kindertee. Denen wirst du nicht im mindesten auffallen. Schließlich brauche ich dich heute noch. Du musst mir bei der Suche nach meinem Schlitten helfen, weißt du noch?« Er streckte die Hand aus und nahm Johnny den halbleeren Becher aus der Hand. »Ich glaube, da kommt ein Fahrgast.«

Die Beifahrertür wurde aufgerissen, und ein Geschäftsmann steckte seinen Kopf herein. »Ist frei?«, knurrte er und deutete nach hinten.

»Steigen Sie nur ein«, forderte Johnny ihn freundlich auf.

Der Mann zögerte kurz und stieg dann ein, nannte brummig sein Ziel und starrte missmutig vor sich hin, während Johnny sich in den Verkehr einfädelte.

»Müssen Sie noch Geschenke einkaufen?«, erkundigte sich Johnny. »Wir können unterwegs noch halten, wenn Sie …«

»Ich bezahle fürs Fahren, nicht fürs Quatschen«, unterbrach ihn der Mann mürrisch. »Geschenke sind nicht meine Sache. Darf bloß das Geld dafür rausrücken.«

»Bestimmt ist es schon ganz gemütlich bei Ihnen«, unternahm Johnny noch einen Versuch. Was rede ich da?, fragte er sich erschrocken. Jetzt werde ich auch noch verrückt.

»Überflüssig, das Ganze«, sagte der Fahrgast grimmig. »Überall Kerzen … ekelhaft. Stinkt nach Ruß, überall Wachs … hab’s ihr oft genug gesagt, aber sie ist ja so sentimental …«

»Aim singing in se räin … dschast singing in se räin …«, sang der chinesische Weihnachtsmann leise im Hintergrund und schlürfte geräuschvoll den Glühwein, aus beiden Bechern abwechselnd.

»Was soll das? Ist der besoffen?«, rief der Mann.

»Ach, das ist bloß mein Onkel … Sie können ihn Niki nennen … er ist aus Amerika und zum ersten Mal hier …«, stammelte Johnny.

Der Mann schaute zuerst nach hinten und dann wieder zu Johnny.

»Sehr ähnlich sehen Sie ihm nicht«, sagte er misstrauisch.

»Oh … er ist nur entfernt verwandt, eine Seitenlinie«, erklärte Johnny eilig.

»Dlei Chinesen und ein Kontlabass …«, sang der Weihnachtsmann und nieste.

»Halten Sie sofort an! Ich will hier raus!«, schrie der Mann.

Johnny fuhr rechts an den Randstein, und der Mann sprang aus dem Wagen, stutzte und verharrte einen Moment.

Johnny drehte sich zu dem Alten um. »Du, wenn du mir noch mal eine Fahrt vermasselst, setz ich dich auf die Straße, ich schwör’s!«

»Sch-scht!«, machte der kleine Chinese aufgeregt.

Der Fahrgast neigte sich wieder ins Innere des Wagens. »Ich habe tatsächlich etwas vergessen«, sagte er in ganz verändertem Tonfall. »Können Sie hier warten? Es soll Ihr Schaden nicht sein …« Er wartete keine Antwort ab und verschwand in dem Kaufhaus, vor dem Johnny zufällig gehalten hatte.

»Was hast du jetzt wieder gemacht?« schrie Johnny nach hinten.

Der Alte grinste fröhlich. »Ein Wunder, hick, warum?«

»Hör auf zu saufen, du Wurzelzwerg, das bekommt dir …«

»Ein Wunder für ein anderes!«, rief der chinesische Weihnachtsmann und lächelte so treuherzig, dass Johnny lachen musste.

*

Später, als der Geschäftsmann zu Hause angekommen war und Johnny reichlich entlohnt hatte, fuhr das Taxi die nächste größere U-Bahn-Haltestelle an.

»Möchtest du eine Tüte Maroni, Niki?«, fragte er.

»Darauf kannste wetten!« Der Greis lachte und hielt ihm die beiden leeren Becher hin. »Aber die sind ziemlich ausgetrocknet, oder?«

Johnny lachte jetzt auch aus vollem Hals. »Und du willst mir einreden, dass du noch nie im Leben Glühwein getrunken hast? Bei deiner Statur müsstest du allmählich schon eine Alkoholvergiftung haben!« Er holte eine Tüte Maroni, zwei Becher Glühwein und zwei große Lebkuchen, und es machte ihm nicht einmal etwas aus, dass der alte Chinese seine Sitzpolster mit Maronischalen und Lebkuchenresten vollkrümelte. »Weißt du, allmählich glaube ich, dass du so etwas wie ein Glücksbringer bist«, sagte er nachdenklich und trank einen Schluck. »Ich meine, so ein chinesischer Glückskeks oder so.«

»Ich bin kein Keks, du frecher Bub, sondern der Weihnachtsmann.«

»Dann eben ein Weihnachtsglückbringer. Nein, wirklich. So etwas wie mit dir habe ich noch nie erlebt.«

»Danke, gleichfalls. Ich wusste gar nicht, wie langweilig mein Leben bisher war.« Er grabschte nach Johnnys Becher, als der nächste Fahrgast einstieg, eine wohlbetuchte alte Dame.

Johnny hatte längst aufgehört, sich über sich selbst zu wundern, als er, sonst stets so schweigsam, auch die Dame freundlich anredete. Sie antwortete höflich, aber einsilbig. Als eine winzige Gesprächspause eintrat, begann der alte Chinese wieder ein Lied zu trällern, falsch und von Glucksern durchsetzt, aber es kam von Herzen.

Die Dame ignorierte ihn völlig und dirigierte Johnny mit leiser, wohlmodulierter Stimme in ein anderes Stadtviertel.

»Ich bin ein kleinel Splinginsfeld und ganz allein auf diesel Welt, weil niemand um mich ist«, deklamierte der Chinese hicksend.

Die Dame drehte sich zu ihm um. »Woher wissen Sie …«, begann sie, starrte dann Johnny an, als würde sie jetzt erst nach einem langen Schlaf erwachen. »Drehen Sie um, schnell«, sagte sie. »Ich will woandershin.«

*

»Ist das auch wieder eins deiner Wunder?«, fragte Johnny danach. Auch diesmal war er fürstlich bezahlt worden; noch während die ältere Dame ausstieg, kam eine junge Frau aus einem der Häuser herausgelaufen und umarmte sie stürmisch und unter Tränen.

»Jungchen, ich will dir doch nur zu deinem Weihnachtsessen verhelfen«, erwiderte der Chinese. »Jeder Mensch hat so einen Tag im Leben, und heute ist eben der deine gekommen.«

»Du meinst, du ziehst den Leuten das Geld aus der Tasche?«

»Was denn sonst? Es ist alles Kommerz, wie du sagtest, Geld regiert die Welt. Und damit du kein schlechtes Gewissen bekommst, erledige ich das. Wenn dabei noch ein bisschen was für die anderen abfällt, desto besser.«

»Alterchen, allmählich machst du mir Angst.«

»Kleiner, jeder lebt irgendwie auf Kosten der anderen. Ich hab bisher sehr gut auf deine Kosten gelebt. Wenn du jetzt noch meinen Schlitten findest, wird dir mein Dank ewig nachschleichen. Amen.« Er stopfte die leeren Becher in den Aschenbecher an der Tür, lehnte sich zurück und begann geräuschvoll zu schnarchen.

*

Bis Mitternacht fand Johnny noch einige sehr spendable Fahrgäste; der alte Chinese hatte mittlerweile noch drei Glühweine und vier Tüten Maroni verspeist, er war inzwischen sehr betrunken und sehr fröhlich. Sein Schlaf war nur kurz gewesen und hatte ihn zu weiteren Gesängen inspiriert, und ab jetzt misstönend und laut von Johnny begleitet. Das fidele Taxi kurvte kreuz und quer durch München, von einem Ende zum anderen, und wenn Johnny zwischendrin nach seiner prallen Geldtasche griff, wurde ihm ganz warm ums Herz. Zum ersten Mal würde er so viel einkaufen, wie er tragen konnte, nur mit ehrlich verdientem Geld. Allmählich lenkte er den Wagen zum Stadtrand, als er an einem hell erleuchteten alten Haus vorüberkam, in einer Straße, die er seit fünfzehn Jahren nicht mehr betreten hatte. Unwillkürlich hielt er an. Schaute auf die Geldtasche und wieder auf das Haus. Drei-, viermal. Ach, verdammt. Er griff nach der Tasche, stieg aus und ging in das alte Haus.

Kurz darauf kam er mit leeren Händen wieder heraus, schlug den Jackenkragen hoch und lief händereibend zum Auto.

»Es ist verflixt kalt geworden«, schnaufte er und drehte sich zu dem Chinesen um. »Alterchen, ich weiß nicht, wer du bist, aber ob ich mir das je verzeihen kann …«

Der kleine alte Mann hörte ihm gar nicht zu, er starrte angestrengt aus dem Fenster. »Jungchen, hier war ich schon«, flüsterte er. »Führt die Straße da hinten in den Wald?«

»Ja.« Johnny fühlte sich wie betäubt, mechanisch legte er den ersten Gang ein und fuhr langsam an.

»Jetzt rechts!«, rief der Alte, als sie die Stadtgrenze erreichten, und deutete auf einen Feldweg. Johnny gehorchte wie im Traum.

»Da ist er ja!«, schrie der chinesische Weihnachtsmann, und wahrhaftig, ein paar Meter nach der Hauptstraße, auf einer Lichtung, stand ein riesiger Schlitten in Rot und Gold mit zehn Rentieren davor.

Johnny würgte den Motor ab und beugte sich nach vorn. Er war ganz blass geworden. »Jetzt bin ich wirklich verrückt«, hauchte er.

»Komm, Kleiner, schau’s dir an!«, rief der Alte glücklich, quetschte sich aus dem Wagen und lief schwankend auf seinen Schlitten zu. Die leuchtenden Rentiere drehten schnaubend die Köpfe zu ihm, die Glöckchen am Zaumzeug klingelten zauberisch.

»Meine Kinder! Sie haben sich befreit! Und sind wieder hierher …« Der alte Mann drückte sein Gesicht in das weiche Fell seiner Tiere, weinend vor Freude.

»Aber … aber die Geschenke …«, sagte Johnny leise, der langsam gefolgt war. »Sie sind weg …«

»Nicht doch«, erwiderte der chinesische Weihnachtsmann. »Nur meine Kleidung ist weg. Wenn es dir recht ist, behalte ich deinen Mantel. Erstens sehe ich nicht ganz so lächerlich aus, und zum zweiten erfriere ich ohne.«

»Na klar …«, sagte Johnny verständnislos. »Aber die Geschenke …«

»Was hast du nur immer mit den Geschenken? Sie sind doch ordentlich verteilt worden. Du hast sie verteilt, mein Junge. Alle bis auf eines, und das erledige ich selber. Hast du denn immer noch nicht begriffen? Du warst mein Gehilfe. Ohne dich wäre es für einige ein sehr trauriges Weihnachten geworden. Vielleicht sollte ich nächstes Jahr doch wieder das vertraute Aussehen annehmen, und der Schlitten ist auch ziemlich altmodisch. Ein Taxi ist schon weitaus komfortabler. Nun, für Erfahrungen ist man nie zu alt.«

»Neinnein«, stotterte Johnny.

»Leb wohl, Jungchen, hick«, sagte der chinesische Weihnachtsmann und stieg mühsam auf den Schlitten. »Oje«, murmelte er, als er endlich oben saß. »In meinem Kopf dreht sich alles … eins von den Wein… hicks … Weinchen war bestimmt schlecht …«

Johnny brachte kein Wort mehr heraus, stumm winkte er dem Schlitten nach und begann irgendwann zu weinen.

*

So ein verrückter Traum, dachte Johnny am anderen Morgen, dass Glühwein solchen Schaden anrichten kann …

Schlaftrunken kroch er aus dem Bett und stieß einen erschrockenen Schrei aus, als er über einen riesigen Karton fiel. Er konnte sich nicht erinnern, dass der gestern Abend schon dagestanden hatte.

»Oh-oh«, stieß er verzweifelt hervor, sein Gesicht war leichenblass, und die Hände zitterten, als er den Deckel langsam anhob.

Inmitten von Holzwolle lagen ein riesiger Schinken, eine Dose Kaviar, Lachs, Champagner, Butter und Weißbrot und noch ein paar Dinge. Ein Umschlag war dabei, den Johnny sogleich aufriss. Das fürchterliche Polaroid-Foto und eine Karte fielen heraus.

Guten Appetit, Junge. Halt den Glühwein bis nächstes Jahr warm. Nick.