Der Überfall auf das Sommerlager des Varus - Manfred Millhoff - E-Book

Der Überfall auf das Sommerlager des Varus E-Book

Manfred Millhoff

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Beschreibung

2004 trafen sich die Autoren dieses Buches bei einem Vortrag über die Varusschlacht und stellten fest, dass sie beide schon lange der dionischen Darstellung der "Varusschlacht" misstrauten. Sie beschlossen deswegen, gemeinsam zu versuchen, das Rätsel dieser Schlacht zu lösen. Nach einer textkritischen Analyse der antiken Quellen, Verfolgung der Berichte über die römischen Kriegszüge in Germanien 16 v. bis 16 n. Chr. und vielen Ortsbesichtigungen gelang es ihnen, die heiligen Haine der Germanen, das Sommerlager, in dem Drusus gestorben war, und das vermutliche Schlachtfeld zu lokalisieren. Anschließend bemühten sie sich, ihre Thesen durch aufwändige Untersuchungen mittels verschiedener geophysikalischer Messtechniken zu erhärten. Bestätigt sahen sie ihre Ergebnisse durch die kürzlich entzifferte Bleimarke, die einen L. Caedicius 15 v. Chr. unter Varus als Centurio der 1. Kohorte der 19. Legion bezeichnete. Dieser Caedicius, der bisher nur als Verteidiger Alisos erwähnt wurde, musste deswegen den Überfall der Germanen im Jahre 9 überlebt haben. Da die meisten Historiker es bisher für unmöglich halten, dass es den Germanen gelungen sein könnte, ein vollbesetztes Drei-Legionen-Lager erfolgreich einzunehmen, versuchten wir, um weitere Beweise zu gewinnen, eine Grabungserlaubnis auf dem von uns vermuteten Schlachtfeld zu bekommen. Im August 2007 war es soweit, dass wir mit amtlicher Genehmigung eine kleinräumige Grabung durchführen durften und so mehrere parallele Pfostenspuren, einen breiten, mit schwarzem Material verfüllten Graben und eine Pfostenspur nachweisen konnten, die zusätzlich in der Tiefe durch einen Querbalken unterlegt war. Diese Technik, die die Römer vornehmlich in sumpfigem Gelände anwandten, bewies uns, dass Römer an diesem Ort gelagert haben. Wir waren jetzt zwar überzeugt, den Schlachtort und die heiligen Haine zu kennen, rätselten aber immer noch, wie es den Germanen gelungen sein könnte, gegen ein voll besetztes Drei-Legionen-Lager so komplett zu siegen. Die Lösung dieses Rätsels musste unserer Ansicht nach in der Aussage des Königs Marbod liegen, der Arminius vorwarf, er habe lediglich "tres vacuas legiones" geschlagen. Da die genaue Übersetzung von "vacuas" bis heute unklar ist, begnügten sich Mommsen und seine Nachfolger damit, "vacuas" in "vagas" (umherirren) in den lateinischen Texten zu ändern. Wir dagegen übersetzten diese Textstelle bisher stets mit arbeitsfrei, wohl wissend, dass es beim römischen Militär für die Soldaten dienst- oder arbeitsfrei kaum gegeben hat. Bei weiterer Recherche stießen wir bei Vegetius auf eine völlig neue Bedeutung von "vacuus". Das war die Lösung. Jetzt war für uns das letzte Rätsel der Schlacht und der Ablauf dieses Szenario der römischen Katastrophe entschlüsselt.

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von Manfred Millhoff sind bereits erschienen:

Die Varusschlacht Anatomie eines Mythos

ISBN 3890098231 (1995)

Die „Varusschlacht“ eine Erfindung der augusteischen Propaganda!

ISBN 9783842330023 (2011)

Die Varusschlacht: Vom Mythos zur Wahrheit

ISBN 978748188711 (2019)

Der Tod des Varus und seiner Legionen

Eine textkritische Analyse der antiken Quellen mit

neuen Erkenntnissen zur Varusschlacht.

ISBN 9783754348321 (2021)

Cassius Dio: Römische Geschichte, Band IV,

Buch 53/19.46:

„Man argwöhnt, dass sich alle Worte und Taten nur nach den Wünschen der jeweiligen Machthaber und ihrer Anhänger richten. Und so schwatzt man von vielen Dingen, die sich gar nicht zutrugen, während man von anderem, was sich bestimmt ereignet, nichts weiß; jedenfalls laufen fast sämtliche Geschehnisse in einer Version um, die sich mit den Tatsachen nicht deckt [...]. Infolgedessen werde auch ich alle nun folgenden Ereignisse, soweit sie besprochen werden müssen, [...] darbieten und keine Rücksicht darauf nehmen, ob sich die Dinge so oder auf andere Weise abspielten.“

Cassius Dio: Römische Geschichte, Band IV,

Buch 54/15.3:

„Ich habe daher meinerseits die Absicht, in sämtlichen derartigen Fällen lediglich, was überliefert wird, niederzuschreiben, ohne mich damit zu beschäftigen, ob [...] die Überlieferung der Wahrheit entspricht oder nicht. Diese meine Erklärung soll auch für den Rest der Schrift gelten. “

Inhalt

Prolog

I

Die allgemein gültige Lehrmeinung zur

Varusschlacht

II Die antiken Quellen zur Varusschlacht

1. Cassius Dio

2. Cornelius Tacitus

3. Velleius Paterculus

4. Annaeus Florus

III Die „Varusschlacht“

IV Spurensuche in der Paderborner Bucht

V Die Suche nach dem Schlachtort

VI Der Standort der heiligen Haine

VII Untersuchungen vor Ort

VIII Der Überfall auf das Sommerlager des Varus

IX Der letzte Gerichtstag

Epilog

Schriftenverzeichnis

Sammelwerke

Bilder und Karten

Prolog

Seitdem am Anfang des 16. Jahrhunderts Franz von Ketteier die Annalen des Tacitus in der Bibliothek des Klosters Corvey wiederentdeckt hatte, beherrscht bis heute Historiker, Archäologen und Heimatforscher die brennende Frage: Was geschah damals in Germanien dies und jenseits des Rheins? Unabhängig davon wurde seitdem im 19. Jahrhundert vor allem die „Varusschlacht“ als epochales Ereignis romantisch verklärt und euphorisch gefeiert und man erhob die Cherusker voller Stolz zu Vorfahren der deutschen Nation, träumte beim Gedanken an diesen Sieg von der Kraft der Germanen und sehnte sich nach der Einheit aller Deutschen. Hermann der Cherusker (Arminius) entwickelte sich so zu einem wirkungsvollen Mythos der Deutschen. Sein heroischer Widerstand gegen Rom, sowie auch sein tragisches Ende (er wurde mit 37 Jahren aufgrund einer Intrige seiner eigenen Familie ermordet), wurde vor allem deswegen von vielen Schriftstellern wie Hutten (1529), Schlegel (1749), Klopstock (1752, 1769 u. 1787), Kleist (1808), Kotzebue (1819) und Grabbe (1838) dramatisch verherrlicht, weil hier erstens ein David gegen einen Goliath triumphierte, er zweitens durch den anschließenden erfolgreichen Abwehrkampf gegen die römischen Legionen verhinderte, dass „Germania libra“, das rechtsrheinische Germanien, von Rom okkupiert wurde und drittens sich nur dadurch auf Dauer das freie Germanien eigenständig entwickeln konnte. Schon Theodor Mommsen1 vermutete, bestärkt durch römische Münzfunde, den Schlachtort bei Barenaue und seitdem gilt die Beschreibung der Varusschlacht durch Cassius Dio2 für Historiker und Archäologen als einzig sichere Quelle der römischen Katastrophe im Jahre 9 n. Chr.. Alle anderen antiken Quellenangaben, die im Gegensatz zu Cassius Dio einen ganz anderen Verlauf dieser Katastrophe vermuten lassen, wurden seitdem als unwissenschaftlich und unkritisch abgetan, wegen ihrer Ungenauigkeiten und Fehler getadelt beziehungsweise in neuester Zeit weitgehend ignoriert. Nun hat im Jahre 2009 die 2000jährige Wiederkehr dieses Ereignisses dazu geführt, dass in vielen bibliophilen Neuerscheinungen diese „Schlacht im Teutoburger Wald“ wieder gewürdigt wurde und man glaubte, aufgrund spektakulärer archäologischer Funde bei Kalkriese so sichere Beweise in den Händen zu haben, um diesen Ort in der Nähe von Osnabrück endlich als Originalschauplatz der „Varusschlacht“ betiteln zu können. Weil die Autoren, bestärkt durch die Lektüre des Buches von RitterSchaumburg: Der Cherusker, sich schon lange mit den vorhandenen antiken Quellen befassten und vor allem die Übersetzungen der lateinischen Texte von Velleius Paterculus, Florus und Tacitus sowie auch die deutsche Fassung der vorliegenden Bände von Cassius Dios: Römische Geschichte intensiv studiert und einer kritischen Analyse unterzogen hatten, war ihnen die offensichtliche Diskrepanz in den verschiedenen Berichten unerklärlich und sie konnte auch das Urteil Mommsens, der ausschließlich den Bericht Dios für wahr hielt, nicht überzeugen. Sie schlossen sich deswegen weitgehend der Meinung Rankes an, der sich bereits vor über einhundertfünfzig Jahren außerstande sah, die Darstellungen der Varusschlacht bei Cassius Dio mit dessen zeitnäheren Autoren (Velleius Paterculus, Florus und Tacitus) zu vereinen. Um zu verstehen, wie es überhaupt möglich war, dass so unterschiedliche Berichte ihren Weg in die Geschichtsbücher finden konnten, begannen sie erneut in den vorhandenen Quellen die Geschichte der frühen Römischen Kaiserzeit von Caesar bis einschließlich der Regierung des Tiberius zu lesen. Dabei fielen ihnen beim Vergleich der lateinischen Texte mit den deutschen Übersetzungen zahlreiche Ungereimtheiten und Übertragungsfehler auf. Außerdem hatten sie oft den Eindruck, dass die Übersetzer, wenn es verschiedene Bedeutungen für lateinische Wörter gab, versucht haben, ihre Übertragungen mit der ihnen bekannten mommsenschen Lehrmeinung der damaligen Ereignisse in Einklang zu bringen.

Wir beschlossen darum, zunächst die Annalen des Tacitus, die Römische Geschichte von Velleius Paterculus und den Abriss der Römischen Geschichte von Florus zu überprüfen und unabhängig von den bekannten Berichten und der Darstellung der Schlacht, alles möglichst wortgetreu und objektiv ins Deutsche zu übertragen. Gleichzeitig unterzogen wir den gesamten Bericht des Cassius Dio über die frühe Römische Kaiserzeit einer kritischen Analyse und gewannen dabei die Überzeugung, dass es den viertägigen Marsch der Varuslegionen in ihren Untergang so gar nicht gegeben haben kann. Weil aber alle offenen Streitfragen, alle Kritiken sowie alle berechtigten Zweifel an der heute geltenden Lehrmeinung über den Verlauf der Varusschlacht in Büchern wie: Der Cherusker (RitterSchaumburg 1988), „Die Varusschlacht“ Anatomie eines Mythos (Millhoff 1995), Varusschlacht und Irminsul (Millhoff 2000), Das Geheimnis der Varusschlacht (Oppitz 2006), Die Schlacht – plausible Gründe zur Varuskatastrophe (Schlüter, Lippek 2008) , Die Varusschlacht (Höfer 1888, Neuauflage 2009), Die Varusschlacht — eine Erfindung der augusteischen Propaganda! (Millhoff 2011), Die Varusschlacht Vom Mythos zur Wahrheit (Millhoff 2019) und Der Tod des Varus und seiner Legionen (Millhoff 2021) weitgehend unbeachtet blieben und vor allem von den meisten Archäologen und Historikern ignoriert wurden, versuchten wir, wenigstens durch Diskussionen, wissenschaftlich fundierte Artikel und Vorträge, unsere Zweifel an der „Marschthese“ Dios zu artikulieren und gleichzeitig auch die Vorwürfe gegen Tacitus und die allgemeine Herabwürdigung seiner Berichte zu entkräften. Doch leider war kein Experte bereit, Cassius Dios Bericht überhaupt infrage zu stellen. Alle von uns eingereichten Artikel zu diesem Thema wurden von den Verlagen, Zeitschriften und wissenschaftlichen Magazinen unkommentiert abgelehnt oder, wie zum Beispiel vom Spiegel, ungelesen ins Archiv verbannt. Ja, selbst die fundierten Hinweise auf Fehlinterpretationen der römischen Bodenund Münzfunde bei Kalkriese (Lippek) waren vergeblich und blieben ungehört. Die mommsensche Lehrmeinung war nicht zu erschüttern, und sie blieb in den meisten Expertenköpfen fest verankert. Somit erfahren heute nur Veröffentlichungen, die in ihrer Analyse ausschließlich dem Bericht Cassius Dios folgen, wie: Die Varusschlacht (Bökemeier 2000), Die Varusschlacht: Wendepunkt der Geschichte (Wiegels 2007), Varusschlacht (Schoppe 2007), Die Varusschlacht im Teutoburger Wald (Wolters 2008), Die Varusschlacht: Rom und die Germanen (Märtin 2008), Varusschlacht im Osnabrücker Land: Museum und Park Kalkriese (Schlüter 2009), Varusschlacht: Band II (Schoppe 2009) , Die Varusschlacht (Moosbauer 2010), Die Römer in Germanien (Wolters 2011), Weissbuch Hermanns Schlacht (Schoppe 2014) und Die Schlacht im Teutoburger Wald (Wolters 2017) starken Zuspruch und beherrschen die wissenschaftlichen Diskussionen. Wir haben deswegen versucht, unsere Thesen durch zahlreiche Ortsbegehungen mit neuester Technik wie Georadar, Geomagnetik und Messung der Bodenleitfähigkeit, was teilweise auch zu überzeugenden Ergebnissen fühlte, zu untermauern. Doch schon bald wurde uns selbst das Begehen von infrage kommenden Arealen mit technischem Gerät teils von den Besitzern, teils von den zuständigen Behörden untersagt. Gottseidank wurde in der Zwischenzeit der Zugang zum Truppenübungsplatz Stapelager Senne durch Einzäunung des gesamten Gebietes soweit geschützt, dass Untersucher dieses Gebietes nur nach Voranmeldung in Augustdorf Zugangsgenehmigungen erteilt bekommen. Wir haben uns seitdem, um uns nicht dem Verdacht der Raubgrabung ausgesetzt zu sehen, auf die Analyse von Luftbildern der britischen Luftwaffe aus dem Zweiten Weltkrieg und auf die Untersuchung von Schummerungsbildern nach dem Prinzip des LidarVerfahrens beschränkt, weil wir, wegen des strikten Verbotes den Truppenübungsplatz Stapelager Senne zu überfliegen, auf aktuelle Luftbilder verzichten mussten. Damit sich unsere kritische Analyse der römischgermanischen Auseinandersetzung überhaupt nachvollziehen lässt, beschlossen wir, dem Leser zunächst objektiv darzulegen, wie die heute wissenschaftlich allgemein anerkannte Auffassung über die Ereignisse vor, während und nach der „Varusschlacht“ aussieht und welche Hypothese über den Verlauf der römischen Katastrophe in Germanien heute bei Historikern und Archäologen als gesichert gilt.

Lesern, die sich eingehender für unsere Beurteilung der Geschichte der frühen Römischen Kaiserzeit, insbesondere für die Machtergreifung des jungen Oktavian, sowie für die Auseinandersetzungen in der Familie des Augustus interessieren und die die Feldzüge des Drusus, Tiberius, Varus und Germanicus verfolgen wollen, empfehlen wir die Lektüre des Buches: Der Tod des Varus und seiner Legionen (Millhoff 2021). Darin werden auch die Bodenfunde bei Kalkriese und die dort gefundenen Münzen analysiert, weil diese im Wesentlichen ja als Beweis für die Varusschlacht an diesem Ort gelten. Der Leser wird am Ende dann, nach zahlreichen Ortsbegehungen, genehmigten kleinteiligen Versuchsgrabungen und intensiven Untersuchungen mit verschiedenen technischen Messverfahren, schließlich der Ort vor Augen geführt, wo diese Katastrophe mit großer Wahrscheinlichkeit stattgefunden hat.

Insgesamt mag es vielen überflüssig erscheinen, heute noch über das Wo und das Wie der damaligen Ereignisse Nachforschungen anzustellen, wir, Bernd Rehfuß und ich, halten aber gerade das für besonders wichtig, weil sich an diesem Beispiel exemplarisch nachweisen lässt, wie leicht sich schon in frühester Zeit durch Desinformation und Propaganda und deswegen bis heute selbst von den Historikern unbemerkt, die Geschichtsschreibung von autoritären Führern und Diktatoren manipulieren ließ und lässt, wenn eine freie und unabhängige Berichterstattung fehlt beziehungsweise unterdrückt wurde. Sinn unserer Forschung war es auch aufzuzeigen, ob das heute in unseren Geschichtsbüchern dargestellte „Goldene Zeitalter“ der frühen Römischen Kaiserzeit Realität oder lediglich Ausdruck einer bewussten Geschichtsfalschung des Augustus gewesen ist, um das Resultat seiner propagandistischen Informationspolitik für die Nachwelt zu zementieren. Leider stellte sich am Ende unserer Überprüfung der Provinzialisierung Germaniens zur Zeitenwende heraus, dass Mommsen und seine Nachfolger, basierend auf dem festen Glauben an den Wahrheitsgehalt der Selbstdarstellungen des Augustus und geblendet durch den großen Erfolg seiner Pax Romana, die Machtergreifung des jungen Oktavian in Rom und den Beginn der Regierungszeit des Augustus viel zu positiv und gleichzeitig den Tacitus wegen seiner kritischen Einstellung zum Prinzipat viel zu negativ beurteilt haben.

Unna, im September 2024 Manfred Millhoff / Bernd Rehfuß

Abb. 1 : Germanien nach Tacitus „Germania“3

1 Mommsen Theodor: Über die Örtlichkeit der Varusschlacht II. Auflage

2 Cassius Dio: Römische Geschichte Band IV Buch 56/18 ff., Artemis

3 Der Große Atlas Weltgeschichte, S.26, Westermannschulbuchverlag

I. Die allgemein gültige Lehrmeinung zur Varusschlacht

Die kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Römern und Germanen begannen bereits 16 v. Chr. mit der Niederlage des Lollius und dem Verlust der fünften Legion gegen die vereinten Stammeskrieger der Sugambrer, Tenkterer und Usipeter. Danach ließ Augustus (15 v. Chr.) durch seine Stiefsöhne, Tiberius und Drusus, die Expansion des Imperium Romanum nach Osten vorantreiben und die Rheingrenze erstmalig durch die Stationierung römischer Truppen in Mainz, Bonn, Neuss, Xanten und Nijmegen sichern. Außerdem wurden unter großem Aufwand die Straßen in Gallien und Germania inferior ausgebaut und gleichzeitig die Aufmarschwege in Richtung Rhein angelegt. Die eigentlichen Feldzüge der Römer zur Eroberung Germaniens begannen erst nach dem gallischen Aufstand, an dem die Sugambrer, Usipeter, Sueben, Chauken und Cherusker beteiligt waren, als Drusus 12 v. Chr. den Rhein überschritt, die Usipeter und die Sugambrer besiegte und Erkundigungsfeldzüge durch Germanien von der Nordsee bis zur Elbe durchführte. Nach seinem Tod (9 v. Chr.) wurde Tiberius als sein Nachfolger Statthalter in Germanien von 8 bis 6 v. Chr. und er siedelte während dieser Zeit 40000 Sugambrer auf das linksrheinische Gebiet über. Anschließend ging er ins Exil nach Rhodos. In der Zeit von 6 v. bis 1 n. Chr. führte Lucius Domitius Ahenobarbus als Statthalter von Illyrien mehrere Feldzüge in Germanien durch und drang 3 v. Chr. als erster römischer Feldherr über die Elbe vor. Zwischen 1 bis 4 n. Chr. kam es dann unter dem Statthalter Vinicius in Germanien zu großen Unruhen und zu einem „immensum bellum“. Nach seiner Rückkehr nach Rom unterwarf Tiberius 4 und 5 n. Chr. ganz Germanien bis zur Elbe, nahm dabei die Cherusker als Bundesgenossen (4 n. Chr.) in die Heeresgemeinschaft der Römer auf und bereitete 6 n. Chr. eine große kombinierte Heeresaktion gegen den König der Markomannen, Marbod, vor. Sentius Saturninus sollte damals gleichzeitig von Westen her mit großen Teilen der Rheinarmee durch den Hercynischen Wald nach Osten marschieren, während Tiberius selbst von Carnuntum aus nach Norden mit einem großen Heeresverband gegen das Markomannenreich vorstoßen wollte. Zur Ausführung dieses Feldzuges kam es allerdings nicht mehr, weil plötzlich ein Aufstand in Pannonien losbrach, der große Teile der römischen Streitkräfte band. Die römische Katastrophe in Germanien zeichnete sich dann ab, als im Jahre 7 n. Chr. Augustus den bisherigen Statthalter von Syrien, Varus, mit dem Oberbefehl über Germanien betraute und ihn beauftragte, dort zügig eine römische Verwaltung aufzubauen. Ziel dieses Auftrags war es, das Gebiet zwischen Rhein und Weser möglichst bald als Provinz in das römische Reich einzugliedern. Sicher ist, dass sich Augustus und Varus sowohl über den Zeitpunkt der kompletten Unterwerfung Germaniens verschätzten, sie zudem den Charakter der germanischen Stammesverbände nicht berücksichtigten und sich auch in der Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel zur Durchsetzung dieser Provinzialisierung vergriffen. Unstrittig ist, dass erst durch diesen vorschnellen Vollzug und vor allem durch die hierzu veranlassten Gewaltmaßnahmen (Hinrichtungen, Tributzahlungen) die Germanen zum Aufstand gegen Rom provoziert wurden. Die Hauptstützpunkte der römischen militärischen Unternehmungen waren zum damaligen Zeitpunkt Köln (Colonia Agrippinensis, Standort der ersten und zwanzigsten Legion4), Mainz (Mogontiacum, Standort der zweiten, dreizehnten, vierzehnten und sechzehnten Legion5) und Xanten (Castra Vetera, Standort der achtzehnten und neunzehnten Legion). Auch jenseits des Rheins, im späteren „Germania libra“, befanden sich neben sicher zahlreichen heute noch unbekannten Lagern, das Sommerlager des Varus, die Lager Haltern, Holsterhausen, Olfen, Anreppen und Kneblinghausen sowie auch das stark befestigte Lager Aliso, über dessen genauen Standort sich die Wissenschaft bis heute heftig streitet. In seinem großen Sommerlager, das nach Meinung der meisten Historiker wahrscheinlich bei Minden an der Weser lag, erreichte im Jahre 9 n. Chr. Varus die Nachricht vom Aufstand einiger entfernt lebender Germanenstämme. Obwohl der Germanenfürst Segestes, ein Freund der Römer und der Schwiegervater des Arminius, den Varus warnte, zog dieser mit drei Legionen und dem gesamten Tross gegen den Feind. Auf diesem Marsch durch germanische Wälder, fern der römischen Heerstraßen, wurden die Römer dann von den Germanen unter der Führung des Arminius überfallen. Die Römer gingen damals in einer sich über drei Tage hinziehenden Schlacht unter, wobei sowohl das ungünstige Gelände als auch das widrige Wetter und die Art der Bewaffnung einen wesentlichen Anteil am Sieg der Germanen gehabt haben sollen. Varus aber beging, als er das Ausmaß seiner Niederlage begriff, Selbstmord. Der Rest der Truppen wurde teilweise getötet beziehungsweise kapitulierte nach seinem Tod und die während der Kämpfe gefangenen Offiziere wurden von den Germanen später hingerichtet. Allerdings konnten wenige Römer und der Tross sich bis nach Aliso durchschlagen, wurden dort zunächst von den Germanen belagert, bis es ihnen schließlich gelang, unversehrt den Rhein zu erreichen. Als die Nachricht von dieser Katastrophe nach Rom gelangte, wurde Tiberius von Augustus sofort nach Germanien entsandt, um die Germanen zurückzuwerfen und die Rheingrenze zu sichern. In der Folgezeit haben weder die Germanen den Versuch unternommen, die Rheingrenze mit einem Heer zu überschreiten, noch hat Tiberius geplant das germanische Gebiet bis zur Weser zurückzuerobern. Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Römern und Germanen begannen erst wieder, als im Jahr 13 n. Chr. Germanicus, der Sohn des Drusus und Enkel des Augustus, Oberbefehlshaber in Germanien wurde. In diesen „Rachefeldzügen“ von 14 16 n. Chr., die vom Lager Castra Vetera bei Xanten aus sowohl über die Lippelinie als auch von Mainz aus durch die Wetterau bis zur Eder und schließlich über die Nordsee und die Ems sogar bis zur Weser ins Innere Germaniens geführt wurden, gelang es Germanicus lediglich, das Lager Aliso kurzfristig erneut zu besetzen und das Schlachtfeld aufzusuchen, um die toten Soldaten der Varusschlacht zu begraben. Obwohl Germanicus zeitweise zehn Legionen ins Feld führte, konnte er die Germanen unter Arminius nicht endgültig besiegen und wurde deshalb im Jahre 17 n. Chr. vom Nachfolger des Augustus, Tiberius, abberufen, um in Rom das Konsulat zu übernehmen. Er wurde dann in den Osten des Römischen Reiches abkommandiert und dort kurze Zeit später vom Sohn und der Gemahlin eines Freundes des Tiberius vergiftet. Jeder, der sich heute mit den damaligen Vorgängen beschäftigt, kann sein Wissen nur aus den Berichten der Schriftsteller Cassius Dio, Florus, Velleius Paterculus, Frontin und Tacitus schöpfen, weil die ausführlicheren Berichte über die Germanenkriege von Plinius d. Ä. (2379 n. Chr.) und des Velleius Paterculus u. a. verlorengegangen sind. Allein von Cassius Dio gibt es eine ausführliche Darstellung der Varusschlacht. Alle anderen Autoren lassen nur mehr oder weniger genaue Rückschlüsse auf das Schlachtgeschehen zu. Leider ist aber der Bericht des Cassius Dio nicht mit den anderen antiken Berichten vereinbar. Sie alle unterscheiden sich so wesentlich, dass sie sich teilweise sogar gegenseitig ausschließen. Wir versuchten deshalb, in allen unseren Publikationen nach wissenschaftlichen Maßstäben zu überprüfen und festzustellen, was sich in den Jahren 12 v. Chr. bis 16 n. Chr. beim Versuch der verschiedenen Feldherren „Germania libra“ ins Römische Reich als Provinz einzugliedern, wirklich abgespielt hat und werden, damit sich der Leser selbst ein Bild über die damaligen Auseinandersetzungen machen kann, zunächst alle vorliegenden antiken Quellen ausführlich zitieren. Anschließend werden wir uns in diesem Buch ausschließlich damit beschäftigen, wie es überhaupt zu einem Überfall auf ein vollbesetztes römisches DreiLegionenLager kommen konnte und werden versuchen zu erklären, wie ein solches Vorhaben trotz der technischen und zahlenmäßigen Überlegenheit der Römer erfolgreich durchgeführt werden konnte.

4 Tacitus: Annalen 1/39

5 Tacitus: Annalen 1/34

II. Die antiken Quellen zur Varusschlacht

1. Cassius Dio: Sohn eines römischen Senators und Konsuls. Er wurde in Nikäa (Bithynien) um 155 n. Chr. geboren und starb um 235 n. Chr. Er war zweimal Konsul, ferner Statthalter in Afrika, Dalmatien und Pannonien. Sein historisches Werk enthielt die römische Geschichte von der Gründung Roms bis 229 n. Chr. in 80 Büchern. Er benutzte viele Quellen, neben den Senatsberichten der frühen Römischen Kaiserzeit auch die Berichte der Schriftsteller Cicero, Sallust und Livius. Viele seiner Bücher sind verlorengegangen. Die noch erhaltenen Teile (3660) sind allerdings eine wichtige Quelle für die frühe Römische Kaiserzeit und die in ihnen bestehenden Lücken lassen sich teilweise durch Epitome des Xiphilinos und Zonaras ergänzen.

Nur Cassius Dios Bericht enthält nach Meinung der meisten Historiker seit Mommsen einen zusammenhängenden Bericht über die Varusschlacht, den dieser wahrscheinlich nach Lesen der Senatsberichte des Augustus verfasst hat.

Cassius Dio, Band IV, Buch 56/18 22:

„18 (3) [...] Als jedoch Quintilius Varus Statthalter der Provinz Germanien wurde und in Wahrnehmung seines Amtes sich auch mit den Angelegenheiten dieser Volksstämme befasste, da drängte er darauf, die Menschen rascher umzustellen, und erteilte ihnen nicht nur Befehle, als wenn sie tatsächlich römische Sklaven wären, sondern trieb sogar von ihnen, wie von Unterworfenen, Steuern ein. (4) Eine derartige Behandlung aber wollten sie sich nicht gefallen lassen. [...] Sie empörten sich indes nicht in aller Offenheit, da sie sahen, dass viele römische Truppen am Rhein, viele aber auch in ihrem eigenen Lande standen. (5) Stattdessen nahmen sie Varus bei sich auf, taten so, als wollten sie alle ihnen erteilten Befehle ausführen, und lockten ihn auf diese Weise weit vom Rhein weg ins Cheruskerland und bis an die Weser. Dort zeigten sie sich höchst friedlich und freundschaftlich und erweckten damit in ihm den Glauben, sie könnten auch ohne die Anwesenheit von Soldaten ein unterwürfiges Leben führen.

19. (1) Varus behielt daher seine Legionen, wie es in einem Feindesland richtig gewesen wäre, nicht beisammen, sondern verteilte viele seiner Soldaten an schwache Gemeinwesen, die ihn darum baten, angeblich zu dem Zweck, entweder verschiedene Punkte zu bewachen oder Räuber festzunehmen oder gewisse Lebensmitteltransporte zu geleiten. (2) Hauptverschwörer und Anführer bei dem Anschlag wie bei dem Krieg waren neben anderen Arminius und Segimerus, Varus dauernde Begleiter und wiederholt auch Tischgenossen. (3) So fühlte sich der römische Feldherr sicher und rechnete mit nichts Schlimmem; all denen aber, welche die Vorgänge argwöhnisch verfolgten und ihn zur Vorsicht mahnten, schenkte er keinen Glauben, ja machte ihnen sogar Vorwürfe, als seien sie ohne Grund beunruhigt und wollten seine Freunde nur verleumden. Dann kam es zu einer ersten Aufstandsbewegung, und zwar bei den Völkerschaften, die von ihm entfernt wohnten, ein wohlüberlegter Plan: (4) Varus sollte gegen diese Unruhestifter zu Felde ziehen und auf dem Marsch durch angeblich befreundetes Gebiet mit geringerer Mühe überwältigt werden, anstatt dass er sich, wie bei einem allgemeinen plötzlichen Ausbruch von Feindseligkeiten gegen ihn zu erwarten war, besonders in Acht nahm. Und so kam es denn auch: Zuerst gaben ihm die Verschworenen beim Ausmarsch das Geleite, dann beurlaubten sie sich, um angeblich die verbündeten Kontingente zu sammeln und ihm damit rasch zu Hilfe zu kommen, (5) übernahmen aber nur die Führung ihrer schon bereitstehenden Truppen und griffen, nachdem man allerorts die dort befindlichen, zuvor erbetenen Garnisonen niedergemacht hatte, den Feldherrn selber an, der sich bereits inmitten undurchdringlicher Wälder befand. Dort aber offenbarten sich im gleichen Augenblick die Germanen statt als Untertanen als Feinde und richteten viele schreckliche Verheerungen an.

20. (1) Die Berge, ohne Ebenen, waren nämlich von Schluchten durchzogen, außerdem standen Baumriesen dicht nebeneinander, sodass die Römer bereits vor dem feindlichen Überfall mit dem Fällen der Bäume, der Anlage von Wegen und der Überbrückung von Geländeabschnitten, wo solches nötig war, Mühe genug hatten.

(2) Wie mitten im Frieden führten sie viele Wagen und auch Lasttiere mit sich; dazu begleiteten sie zahlreiche Kinder und Frauen und noch ein stattlicher Sklaventross, die sie ebenfalls zu einer gelockerten Marschform zwangen. (3) Inzwischen kamen auch ein starker Regen und Sturm auf, was die Marschierenden weiterhin voneinander trennte, und der Boden, um die Wurzeln und Stämme her schlüpfrig geworden, machte jeden Schritt höchst unsicher; Bruch und Sturz der Baumwipfel sorgten für weitere Verwirrung. (4) Mit solchen Schwierigkeiten hatten damals die Römer zu ringen, als die Barbaren, wegekundig wie sie waren, gerade durch die ärgsten Dickichte drangen und sie plötzlich gleichzeitig von allen Seiten her umzingelten. Zuerst schossen sie nur aus der Ferne, dann aber, als niemand sich wehrte und viele verwundet waren, rückten sie näher an die Gegner heran. (5) Die Römer marschierten ja in keiner festen Ordnung, sondern im Durcheinander mit Wagen und Unbewaffneten; sie konnten sich auch nirgendwo leicht zu einer Gruppe zusammenschließen, und da sie überall den jeweiligen Angreifern zahlenmäßig unterlegen waren, hatten sie selbst schwer zu leiden, ohne etwas dagegen ausrichten zu können. 21. (1) Aus diesem Grunde schlugen sie an Ort und Stelle ein Lager, nachdem sie, soweit dies auf einem bewaldeten Berge möglich war, einen passenden Platz gefunden hatten. Hierauf verbrannten sie die meisten Wagen und was ihnen sonst nicht dringend nötig schien oder ließen sie zurück. Anderntags ging der Marsch in etwas besserer Ordnung weiter, und sie erreichten, freilich nicht ohne blutige Verluste, sogar freies Gelände.

(2) Von dort aus gerieten sie aber wieder in Wälder, und hier mussten sie sich gegen die Angreifer wehren, wobei sie aber gerade die schwersten Verluste erlitten. Denn auf engem Raum zusammengepresst, damit Schulter an Schulter Reiter und Fußvolk den Feinden entgegenstürmen konnten, stießen sie vielfach aufeinander oder gegen die Bäume. (3) Als der 4. Tag graute, befanden sie sich immer noch auf dem Marsche, und erneut überfielen sie heftiger Regen und starker Wind, die sie weder weitergehen noch festen Stand finden, ja nicht einmal mehr die Waffen gebrauchen ließen. Sie konnten sich nämlich nicht mehr mit Erfolg ihrer Bogen und Speere oder der ganz und gar durchnässten Schilde bedienen. (4) Die Feinde hingegen, größtenteils nur leicht gerüstet und imstande, ungefährdet anzugreifen und sich zurückzuziehen, hatten weniger unter den Unbilden zu leiden. Außerdem hatte sich ihre Zahl stark vermehrt, da viele von den anderen, welche zunächst nur abgewartet hatten, sich ihnen jetzt vor allem in der Hoffnung auf Beute anschlossen. Bei den Römern dagegen war in den vorausgehenden Gefechten schon eine Menge gefallen, und ihre Reihen waren gelichtet. (5) So konnten die Barbaren ihre Gegner leichter umzingeln und niedermachen. Varus und die übrigen hohen Offiziere erfasste darüber Angst, sie möchten entweder lebendig in Gefangenschaft geraten oder von ihren grimmigsten Feinden getötet werden sie waren ja schon alle verwundet, und das ließ sie eine zwar schreckliche, aber notwendige Tat wagen: Sie begingen Selbstmord. 22. (1) Als sich die Kunde davon verbreitete, leistete vom Rest der Leute, selbst wenn er noch bei Kräften war, auch nicht einer mehr Widerstand, vielmehr ahmten die einen das Beispiel ihres Feldherren nach, während die anderen selbst ihre Waffen wegwarfen und sich vom Nächstbesten, der da wollte, niedermachen ließen; denn Flucht war unmöglich, wie sehr sie einer auch ergreifen wollte. (2) Und so wurde jeder Mann und jedes Pferd, ohne dass man Gegenwehr fürchten musste, niedergehauen und die... [Lücke im Text]“

Weil wir nach dem Studium dieser Darstellung nicht glauben konnten, dass die Germanen die in voller Bewaffnung marschierenden drei Elitelegionen6 Roms, immerhin fast zwanzigtausend Soldaten, in einer Schlacht besiegt haben sollten, in der allein die Römer durch das anhaltende schlechte Wetter benachteiligt waren, beschlossen wir zunächst alle erhaltenen Bände Cassius Dios zu studieren. Dabei fiel uns auf, dass Cassius Dio, seit dem Zeitpunkt an dem Augustus nach dem Tod des Antonius die Alleinherrschaft über Rom ausübte, eine sehr negative Einstellung zu den öffentlichen Verlautbarungen des Augustus hatte und er stark den Wahrheitsgehalt der Senatsberichte bezweifelte, denn er schreibt:

„Doch können die späteren Ereignisse nicht auf gleiche Weise wie die vorausliegenden berichtet werden. Denn früher wurden bekanntlich sämtliche Vorkommnisse und mochten sie sich selbst in weiter Ferne zutragen, vor den Senat und das Volk gebracht. Und so erfuhren alle davon und viele berichteten schriftlich darüber, wodurch sich die Wahrheit über den Ablauf der Dinge, [...], bis zu einem gewissen Grad wenigstens bei den anderen Geschichtsschreibern, welche die nämlichen Gegenstände behandelten, sowie in den öffentlichen Aufzeichnungen feststellen ließ. Doch seit jener Zeit begann man die meisten Ereignisse heimlich und verborgen zu behandeln, und wenn trotzdem einige Dinge zufällig in die Öffentlichkeit drangen, so finden sie keinen Glauben, weil man sie jedenfalls auf ihren Wahrheitsgehalt nicht prüfen kann; denn man argwöhnt, dass sich alle Worte und Taten nur nach den Wünschen der jeweiligen Machthaber und ihrer Anhänger richten. Und so schwatzt man von vielen Dingen, die sich gar nicht zutrugen, während man von anderem, was sich bestimmt ereignet, nichts weiß; jedenfalls laufen fast sämtliche Geschehnisse in einer Version um, die sich mit den Tatsachen nicht deckt. [...] Infolgedessen werde auch ich alle nun folgenden Ereignisse, soweit sie besprochen werden müssen, im Einklang mit dem, was etwa veröffentlicht wurde, darbieten und keine Rücksicht darauf nehmen, ob sich die Dinge so oder auf andere Weise abspielten.“7

Etwas später, als Dio darüber berichtet, „dass viele sogleich, viele auch erst später entweder zu Recht oder zu Unrecht angeklagt wurden, gegen den Kaiser und Agrippa einen Anschlag verübt zu haben,“ wird Dio noch deutlicher:

„Ich habe daher meinerseits die Absicht, in sämtlichen derartigen Fällen lediglich, was überliefert wird, niederzuschreiben, ohne mich damit zu beschäftigen, ob [...] die Überlieferung der Wahrheit entspricht oder nicht. Diese meine Erklärung soll auch für den Rest der Schrift gelten!“8

Wie seitdem selbst eklatante Niederlagen in den Senatsberichten beschönigt wurden, dafür mag die Niederlage des Lollius mit dem Verlust der 5. Legion gelten. Cassius Dio schreibt:

„Als ihnen (Sugambrer, Usipeter und Tenkterer) aber die römische Reiterei entgegentreten wollte, griffen sie diese aus einem Hinterhalt an und setzten ihr nach, als sie die Flucht ergriff. Dabei stießen sie unerwartet auf Lollius, den Statthalter der Provinz, und fügten auch ihm eine Niederlage zu. Wie nun Augustus davon hörte, rückte er in Eilmärschen gegen die Feinde, fand jedoch keine Gelegenheit zu einer Kriegstat. Denn die Barbaren, die von den Vorbereitungen des Lollius und dem Anmarsch des Kaisers vernahmen, kehrten in ihr eigenes Land zurück, stellten Geiseln und schlossen Frieden.“9

Beim Lesen dieser Senatsmitteilung konnte sicher kein Römer auf die Idee kommen, dass dies eine schändliche militärische Schlappe mit dem Verlust einer ganzen Legion gewesen ist.

Da selbst Cassius Dio schon so starke Zweifel an der Darstellung des Schlachtgeschehens hatte, überprüften wir seinen Bericht noch etwas eingehender und dabei fielen uns einige Ungereimtheiten auf.

Varus wurde vor den Hauptverschwörern gewarnt und glaubte, man wolle lediglich seine Freunde verleumden. Trotzdem auch Florus und Velleius Paterculus berichten, dass Segestes (Schwiegervater des Arminius) Varus den bevorstehenden Aufstand verraten haben soll, haben wir Zweifel, dass Segestes seine Warnung so offen ausgesprochen hat, sodass mehrere Autoren darüber berichten konnten. Wenn überhaupt ein Verrat stattgefunden hat, war das unmöglich geheim zu halten, und der Verräter, Segestes, wäre sofort nach dem Sieg der Germanen hingerichtet worden und er hätte auf keinen Fall noch sechs Jahre als Fürst bei den Germanen regieren können.

Der Bericht nennt weder die Namen der Völkerschaften von denen die erste Aufstandsbewegung ausging noch die Namen der beteiligten Legaten, sodass kein Römer und auch später niemand die Richtung dieses Varusfeldzuges nachprüfen konnte.

Die Verschworenen gaben Varus beim Ausmarsch das Geleite, beurlaubten sich dann, um die verbündeten Kontingente zu sammeln, übernahmen aber nur die Führung ihrer schon bereitstehenden Truppen, die vorher die im Land verbreitenden Garnisonen niedergemacht hatten, ohne dass die Römer etwas gemerkt hatten. Es ist kaum zu glauben, dass die Tötung der im Lande verbreiteten römischen Garnisonen so still und heimlich vollendet werden konnte, ohne dass das auffiel und dass die Römer nicht sofort eine Nachricht darüber erhalten hätten.

Die Germanen griffen Varus sofort an, der sich bereits inmitten undurchdringlicher Wälder befand. Wie sollten es die an dem im ganzen Lande stattfindenden Massaker beteiligten Germanen geschafft haben, noch am selben Tag mitten im germanischen Urwald vor Ort gewesen zu sein?

Die Wegbeschreibung Dios, „die Berge, ohne Ebenen, waren nämlich von Schluchten durchzogen, außerdem standen Baumriesen dicht nebeneinander [...] und die Barbaren, wegekundig wie sie waren, drangen gerade durch die ärgsten Dickichte...,“ war schon auffällig, denn bereits RitterSchaumburg wies in seinem Buch

Der Cherusker

darauf hin, dass „übergroße Bäume nicht dicht stehen und dicht stehende Bäume nicht übergroß werden.“

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Selbstverständlich können auch zwischen engstehenden Baumriesen keine ärgsten Dickichte entstehen.

Wenig überzeugend ist auch die Mitteilung, dass Varus, „wie mitten im Frieden führten sie viele Wagen und auch Lasttiere mit sich; dazu begleiteten sie zahlreiche Kinder und Frauen und noch ein stattlicher Sklaventross,“ [...] mit einer solchen Begleitung gegen den Feind gezogen sein soll.

Warum verbrannten die Römer „die meisten Wagen und was ihnen sonst nicht nötig schien,“ wenn ihnen das zurückgelassene Gepäck sicher einen Vorsprung zur Flucht gewährt hätte, weil die Germanen ja stets dem Kampf die Plünderung vorzogen haben?

Da Varus mit drei Legionen gegen die Aufständischen zog, „sollen die Römer in keiner festen Ordnung“ marschiert und „überall den jeweiligen Angreifern zahlenmäßig unterlegen“ gewesen sein. Geht man davon aus, dass drei Legionen circa zwanzigtausend Soldaten sind, müssen während der Schlacht auf Seiten der Rebellen mindestens dreißig bis fünfzigtausend Germanen gekämpft haben. Wir sind der Meinung, dass eine solche Konzentration von germanischen Kämpfern damals schwer möglich war, wenn aber doch, dann hätte man das kaum vor den Römern verheimlichen können.

Außerdem soll Varus am zweiten Marschtag ein Lager „an Ort und Stelle” aufgeschlagen haben, „soweit dies auf einem bewaldeten Berge möglich war.“ Bereits damals führte in der Ebene von der Weser eine alte Heerstraße in Richtung Kalkriese. Es ist deshalb nicht zu erklären, warum Varus nach dem Angriff der Germanen mit seinem Heer und dem Tross auf das Wiehengebirge geklettert sein soll, anstatt die in der Ebene verlaufende römische Heerstraße zu nehmen?

Da Mommsen überzeugt war, dass dieses Lager das erste der drei Marschlager der Römer auf dem Weg in den Untergang gewesen sein soll, halten wir es für unmöglich, dass Varus nach dem Angriff der Germanen ein Marschlager geschanzt hat, welches besonders durch „lato ambitu et dimensis principiis“

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(weiten Umfang und Absteckung des Feldhermplatzes) auffiel.

Einen weiteren Anhaltspunkt, der für uns stark für eine Fälschung des Schlachtgeschehens spricht, findet man in Caesars

De Bello Gallico

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worauf bereits Höfer

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