Der verliebte Schwarzbrenner und wie er die Welt sah - Jonas Jonasson - E-Book

Der verliebte Schwarzbrenner und wie er die Welt sah E-Book

Jonas Jonasson

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Beschreibung

Um endlich mal wieder herzhaft und unbeschwert zu lachen, braucht es kein Wundermittel – sondern nur den neuen Roman von Bestsellerautor Jonas Jonasson!

Småland 1852: Algot Olsson, Sohn eines Schweinezüchters, bleibt nach dem Tod seines Vaters nur ein Kartoffelacker und ein Destillierapparat für den Hausgebrauch. Doch Algot hat Grips, Geschäftssinn und eine Idee: Für die Gleisarbeiter, die gerade die ersten Eisenbahnschienen verlegen und wie alle Schweden nur grauenvollen Fusel gewohnt sind, brennt Algot richtig guten Schnaps und ist damit so erfolgreich, dass der missgünstige Graf Bielkegren ihn mit allen Mitteln sabotiert.

Zum Glück hat Algot gute Freunde an seiner Seite: den aus Bayern geflohenen Druckermeister Helmut, der es mit der Wahrheit manchmal nicht ganz so genau nimmt, und dessen ebenso hübsche wie resolute Tochter Anna Stina. Gemeinsam trotzen sie den Intrigen des Grafen, und so wird aus Algots Schwarzbrand kurzerhand ›Apotheker Otterdahls Tropfen gegen trübe Gedanken‹ – ein weiterer Verkaufsschlager und, wie sich zeigt, wahres Wundermittel, das nicht nur des Königs Zahnschmerzen heilt, sondern sogar Kriege vereitelt. Doch hilft es auch bei hoffnungsloser Verliebtheit?

Rasant, voller genialer Pointen und aberwitziger Verstrickungen – der neue Roman von Bestsellerautor Jonas Jonasson ist »ein wunderbarer Weg, sich in diesen düsteren Zeiten in eine heitere Welt zu beamen.« Münchner Merkur

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Småland 1852: Algot Olsson, Sohn eines Schweinezüchters, bleibt nach dem Tod seines Vaters nur ein Kartoffelacker und ein Destillierapparat für den Hausgebrauch. Doch Algot hat Grips, Geschäftssinn und eine Idee: Für die Gleisarbeiter, die gerade die ersten Eisenbahnschienen verlegen und wie alle Schweden nur grauenvollen Fusel gewohnt sind, brennt Algot richtig guten Schnaps und ist damit so erfolgreich, dass der missgünstige Graf Bielkegren ihn mit allen Mitteln sabotiert.

Zum Glück hat Algot gute Freunde an seiner Seite: den aus Bayern geflohenen Druckermeister Helmut, der es mit der Wahrheit manchmal nicht ganz so genau nimmt, und dessen ebenso hübsche wie resolute Tochter Anna Stina. Gemeinsam trotzen sie den Intrigen des Grafen, und so wird aus Algots Schwarzbrand kurzerhand »Apotheker Otterdahls Tropfen gegen trübe Gedanken« – ein weiterer Verkaufsschlager und, wie sich zeigt, wahres Wundermittel, das nicht nur des Königs Zahnschmerzen heilt, sondern sogar Kriege vereitelt. Doch hilft es auch bei hoffnungsloser Verliebtheit?

Jonas Jonasson, geboren 1961 im schwedischen Växjö, arbeitete nach seinem Studium in Göteborg als Journalist unter anderem für die Zeitungen »Smålandsposten« und »Expressen«. Später gründete er eine eigene Medien-Consulting-Firma. Doch nach 20 Jahren in der Medienwelt verkaufte er seine Firma und schrieb den Roman, über den er schon jahrelang nachgedacht hatte: »Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand«. Das Buch wurde weltweit zu einem Bestseller und auch höchst erfolgreich verfilmt. Seitdem beglückt Jonas Jonasson seine Fans immer wieder mit turbulent witzigen Romanen, jeder ein wahres Feuerwerk an genialen Einfällen und jeder ein gefeierter Bestseller.

www.cbertelsmann.de

Die Originalausgabe erschien 2024

unter dem Titel Algot, Anna Stina och det välsignade brännvinet

bei Polaris, Stockholm.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

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Copyright © der Originalausgabe 2024 by Jonas Jonasson

Published by arrangement with Albatros Agency, Sweden

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2024 C. Bertelsmann in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Friederike Arnold

Umschlaggestaltung: Favoritbuero

Umschlagabbildung: Shutterstock.com (OKSANA, Evgeny Turaev)

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-29544-8V001

www.cbertelsmann.de

Übel riechende Nachbarschaft1852

Algot wäre nie auf die Idee gekommen, dass er alles und noch viel mehr verlieren würde, wie er da so im Stall zwischen all den vielen Schweinen seines Vaters stand und Mist schaufelte. Mit seinen gerade mal einundzwanzig Jahren war er noch nicht bereit, das Lebenswerk seines Vaters zu übernehmen, jedenfalls vorerst noch nicht. Aber in ein, zwei Jahren vielleicht?

Ebenso wenig konnte er ahnen, geschweige denn wissen, dass in genau diesen ein, zwei Jahren allein in seinem Umkreis mehr passieren würde als in einer schwedischen Provinz des neunzehnten Jahrhunderts während einer ganzen Lebensspanne. Was er hingegen wusste, weil er das von seiner kränkelnden Mutter gelernt hatte, war, dass auf Regen stets Sonnenschein folgt.

Alles fing damit an, dass sich die Gräfin auf Schloss Kronogården mehr Platz für ihre Vollblut-Araberpferde wünschte. Diese trefflichen Tiere waren ihr Ein und Alles, und die Gräfin echauffierte sich darüber, dass sie nicht mehr Auslauf auf ihrer Weide hatten. Schweine, Schafe und Bauersleute konnten ruhig etwas enger zusammenrücken, aber Vollblut-Araber! Das war weit unter deren Würde. Obendrein sollten diese makellosen Geschöpfe mit der Zeit immer mehr werden. Zum einen, weil jedes einzelne Exemplar ihr Seelenfrieden bescherte, zum anderen, weil … nun, das brauchte der Graf nicht zu wissen.

Da traf es sich gut, dass Algots Vater, der Schweinezüchter Olsson, über einen Hektar Land in direktem Anschluss an das Sägewerk von Kronogården und in annehmbarer Entfernung vom Schloss besaß. Die Gräfin dachte sich ihn und seine Familie einfach weg, und damit hatte sie auch schon ihren Plan ausgeheckt: Der Schweinestall des Bauern sollte zum Pferdestall umfunktioniert werden. Aus dem Schlachthaus konnte ihr Gatte eine Schmiede machen. Das Wohnhaus taugte allemal zur Futtereinlagerung, wenn man ein, zwei Wände rausnahm. Das Grundstück grenzte übrigens direkt an die vorhandene Pferdeweide an, die sich mit einem Schlag um das Dreifache vergrößern würde.

Nun ging es nur noch darum, den Bauern zu überzeugen. Das Eigentumsrecht galt nun mal für jedermann, hohen wie niederen Standes. Bedauerlicherweise.

Die Gräfin wusste, dass der Graf sie für etwas unbedarft hielt. Über die Jahre hatte sie es hübsch bleiben lassen, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Dann hätte er ihr nur mehr Verantwortung aufgehalst, anstatt alles so zu lassen, wie es war: nämlich dass sie im Großen und Ganzen ihre Ruhe hatte. Zumal Antoinette auf den Trichter gekommen war, wie sie es anstellen musste, um ihren Willen durchzusetzen.

Diesmal beschloss sie aber doch, die Verhandlungen mit dem Schweinezüchter höchstselbst in die Hand zu nehmen. Der Graf war nicht ganz auf der Höhe. Es gab irgendwie Ärger mit dem Wald, dem Sägewerk, den Pächtern oder den Tagelöhnern. Wenn nicht gar mit allen auf einmal. Glücklicherweise besprach Gustav seine Sorgen nie mit ihr, aber da sie mittlerweile im siebenundzwanzigsten Ehejahr angelangt waren, wusste sie seine Sorgenfalten auch so zu deuten.

Vom Schloss war es nicht weit bis zu den Schweinen. Antoinette warf sich in etwas Schlichtes, bevor sie sich auf den Weg zum Bauern machte, um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen.

Schon bald fand sie den Gesuchten. Und nicht nur den. Zusammen mit seinem Sohn trottete er den Weg vom Schweinestall zum Wohnhaus entlang.

»Bonjour, Monsieur Olsson!«

Die Gräfin war stolz auf sich, weil sie sich zuvor nach seinem Namen erkundigt und ihn sich sogar gemerkt hatte. Auch einfache Leute mochten durchaus einen gewissen Respekt verdienen. Den Sohn übersah sie hingegen geflissentlich.

Sven und Algot hatten just die Schweine gefüttert und waren nun unterwegs zum dritten Familienmitglied, damit sie auch etwas in den Magen bekamen. Esther ging es schon längere Zeit gar nicht gut, aber sie war eine Kämpfernatur. Für den heutigen Tag hatte sie ihnen Blutpudding mit Preiselbeermarmelade in Aussicht gestellt.

Doch was war das? Ging die Gräfin da etwa auf Svens Grund und Boden spazieren? Natürlich durfte sie das, wenn ihr der Sinn danach stand – und jetzt rief sie ihn auch noch. Mit Namen. Und kam näher!

Der Schweinezüchter murmelte seinem Sohn zu: »Was glauben wir, um was es da gehen könnte?«

Bauern im Allgemeinen und Schweinezüchter im Besonderen waren mit Sicherheit gleich nach Armenhäuslern, Pächtern und Tagelöhnern das Letzte, womit sich eine waschechte Gräfin für gewöhnlich abzugeben beliebte.

»Um irgendeinen Schweinkram«, sagte Algot. »Also, wenn Ihr mich fragt, Vater.«

Für die Gräfin lief es von Anfang an nicht gut. Der Bauer konnte ja kein Französisch. Und sie wohnte seit mittlerweile bald drei Jahrzehnten in Schweden, ohne auch nur einen Gedanken ans Erlernen der Landessprache zu verschwenden. An diesem speziellen Tag hätte es freilich nicht geschadet.

Trotz alledem trug sie ihr Anliegen in ihrer Muttersprache vor, während sie zugleich der Reihe nach auf das, dies und jenes Gebäude zeigte, welche sie zusammen mit dem ganzen Grund und Boden käuflich zu erwerben gedachte. Um abschließend gestisch zu verdeutlichen, dass es dabei um einen hübschen Batzen Geld gehen könnte.

Sven fragte seinen Sohn, ob er sie verstanden habe.

»Wo du doch Sprachen kannst.«

Algot hatte eine Schulbildung, wie sie die wenigsten, wenn nicht gar kein anderer zum Bauernhoferbe Bestimmter Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in Schweden genoss. An die Gräfin gewandt, intonierte er, so deutlich er nur konnte:

»Könnt. Ihr. Versuchen. Es. Auf. Schwedisch. Zu. Erklären. Frau. Gräfin?«

Das konnte die Gräfin nicht. Im Gegenteil, nichts in ihrem Mienenspiel ließ darauf schließen, dass sie auch nur erahnte, was Algot da soeben geäußert hatte. Eventuell deutete einiges darauf hin, dass sie ob seiner Einmischung irritiert war.

»Na, das klappt ja famos«, sagte Sven.

Algot probierte es trotzdem mit einer Vermutung:

»Wer weiß, vielleicht will sie unseren ganzen Besitz aufkaufen.«

»Wirklich? Wird es ihr im Schloss zu eng?«

Das nahm Algot nicht an, vielmehr neigte er verstärkt zu seiner ursprünglichen Annahme.

Aber jetzt hatte der Schweinebauer genug vom nutzlosen Herumstehen. Er hatte Wichtigeres zu tun. Wie zum Beispiel Abendessen. Außerdem war ihm ganz blümerant zumute. Was stank hier so bestialisch? Wenn das bis zu den Schweinen hinüberwehte, konnten sie davon krank werden.

Algot sagte, dies entweiche der Hochwohlgeborenen und heiße Parfüm, und keine Dame wolle gern hören, dass sie stinke. Schon gar nicht in einer Sprache, die sie nicht verstand.

O je, der Schweinezüchter hatte es nicht böse gemeint. Er bat Gräfin Bielkegren um Entschuldigung.

»Bestimmt ist an Eurem Geruch nichts auszusetzen, es ist nur so, dass ich und die Schweine etwas anderes gewöhnt sind. Ihr müsst wissen, dass Ihr uns jederzeit auf unserem Grund und Boden willkommen seid, aber den Schweinen zuliebe wäre es überaus freundlich von Euch, wenn Ihr Euch so weit wie möglich von ihrem Stall fernhalten könntet. Und nun entschuldigt mich bitte, daheim wartet der Blutpudding auf mich. Noch einen angenehmen Tag wünsche ich. Adjö.«

Und damit ging er seiner Wege.

Der Sohn lächelte der Gräfin entschuldigend zu und schloss sich ihm an.

Zurück blieb Antoinette Bielkegren. Höchst unsicher, ob ihre Botschaft bis ans Ziel durchgedrungen war. Vielleicht hatte der Jüngling verstanden? Was der Vater zum Schluss von sich gegeben hatte, war ihr schleierhaft. Bis auf das allerletzte Wort, denn das hatte wie adieu geklungen.

***

Sven setzte sich an den Küchentisch, Algot tat es ihm nach, und Esther leistete den beiden Gesellschaft. Schwerfällig ließ sie sich auf ihren Stuhl plumpsen. Die Stunde am Herd war ihr nicht leichtgefallen. Trotzdem gab es ihr ein gutes Gefühl, sich ein wenig nützlich machen zu können, statt bloß mit Schmerzen im Bett zu liegen.

Der Schweinezüchter und sein Sohn fragten sie nicht, wie es ihr ging, weil sie wussten, dass sie nicht gefragt werden wollte. Stattdessen erzählte Sven zwischen zwei Bissen von dem überraschenden Zusammentreffen mit der Gräfin:

»Genau hier draußen, gerade eben.«

»Na so was aber auch«, sagte Esther. »Was sie wohl auf dem Herzen hat?«

»Algot zufolge will sie unser Haus, den Schweinestall, das Schlachthaus und alles kaufen und uns mit den Taschen voller Reichstaler von hier wegschicken.«

»Falls ich sie richtig verstanden habe«, gab Algot zu bedenken. »Vielleicht wollte sie auch bloß ein Schwein kaufen.«

Doch da konnte Sven nur den Kopf schütteln. Ein Schwein habe sie ja schon, in Gestalt des Grafen.

Algot musste ihm lachend recht geben.

Esther ließ nicht locker. Um Klarheit bemüht, wandte sie sich an den Sohn:

»Da gibt es ja wohl einen gewissen Unterschied, ob sie unseren ganzen Besitz kaufen will oder bloß eins von dreihundert Schweinen? Du hast doch Sprache studiert, Algot!«

»Aber nicht genau die Sprache, Mutter. I can speak a little English.«

Sven führte näher aus:

»Da draußen auf der Welt gibt es verschiedene Sprachen. Die Gräfin, diese dumme Nuss, spricht nichts außer Französisch.«

»Will sie Schweinezüchterin werden?«, überlegte Esther laut.

Das hielt Sven für wenig wahrscheinlich. Aber sie importierte ja Pferde, die zu nichts anderem zu gebrauchen waren, als sich begaffen zu lassen.

»Vollblutaraber, Gott bewahre! Und der Schweinehof liegt nun mal, wo er liegt, genau richtig, wenn man diesen gottverdammten Pferden mehr Platz verschaffen will.«

»Du sollst den Namen des Herrn nicht missbrauchen!«, tadelte Esther ihn. »Niemals während Gottes gesegneter Mahlzeit, weißt du doch.«

»Denkst du an Verkaufen?«, wollte der Sohn wissen.

Er stand ja in den Startlöchern für die Übernahme und interessierte sich dafür, ob er eines Tages einen Schweinehof zu gewärtigen hatte oder bloß einen Sack mit Silbertalern.

»Im Leben nicht!«, sagte Sven Olsson.

Esther, die ihren geliebten Gatten nur zu gut kannte, überlegte besorgt, was er der Gräfin wohl geantwortet hatte.

»Du hast doch hoffentlich nichts gesagt, was Unglück über uns bringen könnte?«

Sven besah sich interessiert seinen Blutpudding.

»Mir ist da so eine Bemerkung über ihren Geruch rausgerutscht …«

Esther reagierte entsetzt.

»Ihren Geruch?!«

»Algot sagt, das heißt Parfüm.«

»Du hast aber nicht vor ihr geflucht?«

»Scheiße, nein!«, entfuhr es Sven – und schon hatte er glatt zum zweiten Mal bei Tisch geflucht. »Ich hab sie nur gebeten, sich von den Schweinen fernzuhalten, damit sie nicht krank werden.«

»Grundgütiger!«

Aber jetzt wollte Algot das doch zurechtrücken.

»Vater war nicht unhöflich. Keine Spur! Nun ja, er hat schon das mit dem Geruch gesagt, aber zum einen hat es ja gestimmt, und zum anderen bin ich mir sicher, dass die Gräfin kein Wort davon verstanden hat.«

***

»Ich habe nur ein Wort verstanden«, sagte Antoinette Bielkegren am selben Abend bei Tisch zu ihrem Gustav.

Das interessierte den Grafen nur mäßig, doch er war klug genug, sich das nicht anmerken zu lassen.

»Welches denn?«, fragte er.

»Adieu«, sagte die Gräfin.

Worauf sie sich auf bewährte Weise daranmachte, ihn um den kleinen Finger zu wickeln. Sie sagte, sie wisse natürlich, wie beschäftigt Gustav mit all seinen wichtigen und verantwortungsvollen Aufgaben sei … aber ob er ihr nicht ein klitzekleines bisschen beistehen könne? Es sei ja nun mal so eine Sache mit der Sprache.

»Sei so gut?«, flötete sie flehend mit ihrer lieblichsten Stimme.

Gustav Bielkegren seufzte. Er hasste die lieblichste Stimme der Gräfin und konnte auch alles Übrige an ihr auf den Tod nicht ausstehen. Trotzdem tat er ihr jeden Gefallen, um des lieben Friedens willen. Aber was war das jetzt schon wieder? Die Familie musste sich ohnehin bereits mit sechsundzwanzigtausend Hektar Land herumschlagen. War es da nicht nur recht und billig, wenn der elende Bauerntölpel seinen lumpigen Hektar behalten durfte?

Der Graf wollte nichts lieber als in Ruhe und Frieden aufessen. Und doch konnte er es nicht lassen, der Gräfin diese eine Frage zu stellen.

Mit strahlenderem Lächeln denn je beteuerte Antoinette zuckersüß, ihr liebster Gustav habe gewiss nicht richtig verstanden. Hier ginge es um eine geografische Frage! Beispielsweise könne man die Araberpferde nicht in gar so weiter Entfernung halten, etwa da, wo die Pachtgrundstücke lägen. Sonst hätte man natürlich schlichtweg einem oder mehreren Pächtern kündigen, ihnen für die Umstände einen oder zwei Reichstaler in die Hand drücken, die elenden Hütten abreißen, einen neuen Stall bauen und das bisschen Acker zur Pferdeweide umwandeln können.

Schlichtweg abreißen und neu bauen?, dachte Gustav. Und obendrein den Pächtern kündigen? Warum das denn?!

Zu all den vielen Dingen, die seine Frau nicht verstand, gehörten die Preise von diesem und jenem. Ferner: Wenn sie eine oder zwei Pächterfamilien vor die Tür setzte und ins Armenhaus schickte, würde er ja ebenso viele monatliche Pachtzahlungen verlieren!

Da war es immer noch besser, Olsson mit seinen Schweinen zu verjagen.

Aber wie? Der Bauer hatte allem Anschein nach bereits abgelehnt. Stellte sich seine beschränkte Gräfin etwa vor, dass er, Gustav, hingehen und sich ein zweites Nein abholen würde?

In der Tat, wie sich herausstellte.

»Du kannst ja wohl zumindest mit ihm reden? Wo du doch verstehst, was er sagt?!«

Gefolgt vom nächsten »Ach, sei so gut!«.

Dabei verhielt es sich nun mal so, dass Gustav Bielkegren auf gar keinen Fall mehr als irgend nötig mit dem Schweinezüchter Olsson zu schaffen haben wollte. Der hatte es zu etwas gebracht, hatte mittlerweile an die dreihundert Schweine und seinen Landwirtschaftsbetrieb vor einigen Jahren noch um ein Schlachthaus erweitert. Dazu legte er eine Sturköpfigkeit an den Tag, wie es sich im Verkehr zwischen Bauer und Graf so gar nicht ziemte. Doppelt ärgerlich war, dass dieser Olsson auch noch einen wohlgeratenen Sohn besaß, nicht viel jünger als Gustavs Erstgeborener und Stammhalter, aus dem einfach nichts Rechtes werden wollte.

Aber da war ja auch noch die Sache mit dem Hausfrieden. Antoinette würde so lange nicht davon ablassen, ihm mit dem Grundstück des Schweinebauern in den Ohren zu liegen, bis sie ihren Willen bekam.

Also kapitulierte er (zum wievielten Male eigentlich?), um nach Möglichkeit die letzten Bissen auf seinem Teller in Ruhe und Frieden genießen zu können – ehe er sich in seinen Weinkeller mit dazugehörigem Geheimnis runterschlich.

»Nun gut, meine Liebste«, sagte er zu der, die er so gar nicht liebte. »Ich werde an einem der nächsten Tage mit Olsson reden, versprochen. Aber jetzt möchte ich meinen Zander aufessen, bevor er ganz kalt wird.«

Während die Gräfin sich bedankte, blickte die jüngste Tochter Sophia auf. Bis dahin hatte sie in Gedanken versunken dagesessen und nur verstanden, dass die Eltern sich wie üblich um etwas stritten, wenn auch nicht, um was. Jetzt merkte sie, dass das Wortgefecht vorbei war.

»Vater, ich brauche neue Schuhe.«

»Durchaus nicht«, sagte der Vater beim Essen und dachte bei sich: Wenn es nicht das eine ist, ist es das andere. »Du hast nämlich schon vierzig Paar. Mindestens!«

Die Siebzehnjährige verdrehte die Augen.

»Vater, Ihr versteht aber auch rein gar nichts.«

Sophia spielte auf der gleichen Klaviatur wie ihre Mutter. Die zwei waren ein Herz und eine Seele und dem Gedanken, Schwedinnen zu werden, beide gleich abhold, obwohl die eine Landestochter war. Antoinette hielt es für selbstverständlich, dass ihre Tochter neue Schuhe bekam, wenn es sie danach gelüstete. Und das ging so, dass man die Frage eines schönen Tages am Frühstückstisch aufwarf und dann so lange wiederholte, bis der Graf allen Widerstand aufgab. Mutter und Tochter waren ja schließlich zu lebenslänglichem Aufenthalt in diesem Land der Dunkelheit, des Elends und der Kälte verdammt – noch dazu drei ganze Tagesritte von Stockholm entfernt, wo doch immerhin ansatzweise eine gewisse Form von Zivilisation vorherrschte.

Doch dieses eine Mal konnte Antoinette ihrer Tochter nicht mit fliegenden Fahnen zu Hilfe eilen. Dafür stand zu viel auf dem Spiel, was ihre Pferde anging. Gustav hatte ohnehin schon genügend Sorgen. Die Gräfin beschloss, ihren Einfluss auf vermittelnde Art walten zu lassen.

»Vielleicht brauchst du sie diesmal ja nicht aus Paris kommen zu lassen, Sophia? In Växjö haben sie auch einige ganz schmucke. Oder zumindest in der königlichen Hauptstadt.«

Das verfehlte seinen Zweck.

»Wenn Mutter sich noch einen Vollblutaraber aus Paris bestellen kann, kann ich dann nicht mal ein klitzekleines Paar Schühchen von dort bekommen?«

Bei diesen Worten schaute der Graf von seinem Zander auf.

»Wie, du hast noch einen Vollblüter bestellt?«, fragte er die Gräfin.

Gar nicht gut!, dachte Antoinette.

»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, mein Guter. Jetzt wollen wir uns zu Bett begeben, es wird schon spät.«

Algot und der Kandidat1842

Als der Bauernsohn Algot noch in den Kinderschuhen steckte (lange bevor der Graf seinen Vater und ihn auf dem Kieker hatte), bestand in Schweden keine Schulpflicht. Und die Schulen, die es dennoch gab, richteten ihr Augenmerk mehr auf religiöse Dinge als auf die Faktenlage. Doch mit zunehmendem Erfolg des Schweinehofs befanden Sven und Esther Olsson, dass ihnen für ihren einzigen Sohn nichts zu schade war und er bekommen sollte, was sie nie hatten.

Dank der direkten Nachbarschaft zum Schloss hatten sie mit eigenen Augen gesehen, wie dort ein Hauslehrer einmal die Woche mit Pferd und Wagen vorfuhr, um die drei Kinder des gräflichen Paares zu unterrichten. Sommers, wenn das Wetter es zuließ, wurden die Stunden in den nahe gelegenen Hortensienhain verlegt.

Nach einer solchen Stunde im Freien schlich sich der Schweinebauer zum Lehrer, als der für die gut zwölf Meilen bis Växjö schon wieder auf den Kutschbock gestiegen war.

»Verzeihung«, sagte Sven, worauf der andere am Zügel seines Pferdes zog.

»Weswegen, wenn ich fragen darf?«

Der Bauer stellte sich vor und sagte, ihm falle schon seit Längerem auf, dass der Herr den drei gräflichen Kindern regelmäßig Wissen einflöße.

Der Mann auf dem Wagen nickte und sagte, in der Hinsicht gebe er sich schon seit geraumer Zeit redlich Mühe. Und mit einem Freimut, der Sven regelrecht begeisterte, fuhr er fort:

»Leider Gottes wurde von mir erwartet, ihnen selbiges auf Französisch einzutrichtern, was nicht eben eine Sprache ist, in der ich beschwerdefrei parliere. Ich habe den Auftrag trotzdem angenommen, weil zwei plus zwei selbst in Paris vier macht und Gustav III. ungeachtet der Sprache 1792 in Stockholm erschossen wurde. Es geht also so leidlich seinen Gang, auch wenn ich dem Grafen oder der Gräfin gelegentlich die vereinbarten Reichstaler aus den Händen winden musste. Die trennen sich nicht gern von ihrer Barschaft.«

Der Mann redete im selben Dialekt wie Sven, was anheimelnd auf ihn wirkte. Eigentlich war der Schweinebauer zu ihm gegangen, um sich beraten zu lassen, wer seinen Sohn auf vergleichbare Art und Weise unterrichten könne. Doch nun fasste er einen noch kühneren Plan:

»Wie wär’s, wenn der Herr zu einem Schüler wechselt, mit dem Er sprechen kann, ohne sich die Zunge zu verrenken, gerne zweimal wöchentlich gegen das Doppelte von dem, was der Graf löhnt – und dazu per Vorauszahlung?«

Da stieg der andere vom Wagen und kam auf den Meistbietenden zu.

»Wie alt ist der fragliche Knabe?«

»Elf Jahre.«

»Und wie ist es um seinen Verstand bestellt?«

Das wusste Sven nicht so genau. Deshalb konnte er auch gleich sagen, wie es war:

»Er kann die Uhr lesen, er kann zusammenzählen und auch abziehen, wenn er Futter abmisst, und Mist schaufeln kann er schon wie ein ganzer Kerl. Hingegen weiß er wohl nicht allzu viel darüber, wann Gustav III. gestorben ist. Sagtet Ihr, der wurde erschossen?«

Daraufhin reichte ihm der andere die Hand und stellte sich vor:

»Ich bin Kandidat Henriksson aus Växjö. Gräfin Bielkegren hat mich soeben aus ihren Diensten entlassen, weil ich ihre Frage, was ich von den Lernerfolgen ihrer Kinder hielte, freimütig beantwortet habe. Ich habe also Kapazitäten für einen neuen Schüler, und was könnte besser passen als ein Jüngling, der nicht nur Schwedisch spricht, sondern auch Mist schaufelt wie ein ganzer Kerl?«

So kam es, dass Sven, Esther und der elfjährige Algot mit Kandidat Henriksson um den Küchentisch der Bauernfamilie saßen. Letzterer erzählte, dass er Jura studiere, ihn aber Sprachen, Gesellschaft, Literatur, Politik und Geschichte schon immer interessiert hätten. Und dass er glaube, dem Knaben ein würdiger Wegbegleiter sein zu können.

»Am allerliebsten möchte ich lernen, wie Vaters Apparat zum Schwarzbrennen funktioniert«, sagte Algot. »Gehört das vielleicht auch zum Auftrag des Kandidaten?«

Da schritt Sven ein und sagte, alles zu seiner Zeit. Mit Schnapsbrennerei solle man nicht vor dem fünfzehnten Lebensjahr herumhantieren. Oder wenigstens nicht vor dem vierzehnten.

»Dann fangen wir stattdessen mit Kirchenlehre an«, sagte der Kandidat.

Das hätte er sich besser verkniffen.

»Dass Ihr mir das ja bleiben lasst, zur Hölle auch!«, polterte der Schweinebauer.

»Wie redest du, Sven!«, ereiferte sich Esther. »Noch dazu am Küchentisch!«

Sie war ja krank und wagte nicht an Besserung zu glauben. Wenn in nicht allzu ferner Zeit ihr Stündlein schlug und der Herrgott sie heimholte, wollte sie sich nicht zunächst einmal für ihren Ehemann entschuldigen müssen.

Der Schweinebauer zügelte sein Temperament. Esther wusste ja, dass er Propst Sikelius partout nicht ausstehen konnte. Die Vorstellung, der religiöse Lehrstoff könnte Algot womöglich gar zu einem kirchlichen Beruf verleiten, hatte ihm die Zunge entgleiten lassen.

Pfarrer werden?, dachte der elfjährige Algot. Bloß das nicht. Er wollte doch Schweinebauer sein. Aber das hier war ein Erwachsenengespräch. Er blieb still sitzen.

Allerdings hatte der Kandidat beruhigende Nachrichten, was das Religiöse anging. Er für seinen Teil hegte da beträchtliche Zweifel an bestimmten Bibelpassagen. Es war nur so, dass all jene, die ihren Katechismus beherrschten, es im Leben so viel leichter hatten. Denn bei allem Respekt vor dem Adel, den Bürgern und Bauern – gleich nach dem König war es nun mal der Priesterstand, vor dem die Menschen buckeln mussten.

»Habt Ihr übrigens gesagt, dass der Propst hier in der Gemeinde Sikelius heißt? Der ist mir vage ein Begriff. Als ganz junger Spund wurde ich in Växjo in die Kirchenbank gezwungen, als er dort das Sagen hatte. Damals war er barsch bis dorthinaus.«

»Seither ist es nicht besser geworden«, sagte Sven, der immer mit sich reden ließ und seine Meinung nötigenfalls auch mal ändern konnte.

Folglich wurde die Regelung getroffen, dass er seinen Sohn, ob mit oder ohne väterliche Billigung, zweimal die Woche zur Kirchenschule schickte, während der Kandidat ebenso oft die über zwölf Meilen von Växjö zum Schweinehof zurücklegte.

Was dann so aussah:

Montags und mittwochs lehrte der Propst Algot, dass Gott in sechs Tagen Himmel und Erde erschaffen hat, während der Kandidat die Dienstage und Donnerstage dazu nutzte, ihm zu erklären, dass eben diese Erde rund ist und sich um die Sonne dreht, anstatt umgekehrt, und es keine noch so ausgeklügelte wissenschaftliche Erklärung dafür gibt, wie sich Wasser in Wein verwandeln lässt.

***

Algot und der Kandidat hielten sieben Jahre lang regelmäßig Unterrichtsstunden ab und schlossen einander ins Herz. Als es an Algots achtzehntem Geburtstag ans Abschiednehmen ging, war der Kandidat längst kein Kandidat mehr, sondern ein vielversprechender Jurist mit besten Zukunftsaussichten. Für Algot war und blieb er dennoch der Kandidat.

»Vielen herzlichen Dank für diese Jahre, Herr Kandidat«, sagte er.

»Gustav III. wurde 1792 in der Oper erschossen«, sagte Papa Sven, der sich an seine allererste Begegnung mit dem jungen Mann erinnerte und ihm zeigen wollte, dass auch er das eine oder andere aufgeschnappt hatte.

»Und wer hat auf ihn geschossen?«, erkundigte sich der Kandidat lächelnd.

»Lasst gut sein«, sagte Sven.

Der Graf und seine vielen Sorgen1852

Es gab nur ein Thema, über das sich Graf und Gräfin einig waren. Doch davon wurde nie gesprochen, weil es da um die Meinung des einen von der anderen und der anderen von dem einen ging.

Gustav Bielkegren tat sich selber leid. Er hatte (mit gewissem Zutun seiner Frau Gemahlin) drei Kinder in die Welt gesetzt. Und alle drei schlugen einzig und allein nach ihr!

Sie hießen Mauritz, Désirée und Sophia, aber bei sich nannte sie der Vater – in umgekehrter Reihenfolge – Dumm, Dümmer und Am Dümmsten.

Er hatte sich längst damit abgefunden, dass er sich ganz allein um Schloss, sechsundzwanzigtausend Hektar Wald plus Felder sowie das modernste Sägewerk Schwedens kümmern musste. Die restlichen Familienmitglieder verbuchte er als bloße Kostenfaktoren, Spielverderber und Problemfälle.

Auf das Sägewerk zu setzen, war übrigens die Idee des Grafen gewesen. Er war von allen Seiten gewarnt worden. Etwa, dass Schloss und Gutshof Kronogården zu weit ab von der Küste lägen und er sich lieber der Eisenerzgewinnung aus den nahe gelegenen Flussläufen widmen solle. Als ob der Graf selbst bestimmen könnte, wo sein Wald wuchs! Das Schnittholz erreichte auch auf Wasserwegen die Ostsee. Die im Vergleich zur Konkurrenz höheren Transportkosten mussten eben von Gustavs Brillanz in puncto Weitsicht, Organisation und Effektivität aufgewogen werden. Dass die Lästermäuler auch nach Jahrzehnten noch nicht so recht Lügen gestraft wurden, lag einzig und allein am Wetter. Wie viele außergewöhnlich strenge Winter konnten eigentlich aufeinanderfolgen?

Von all seinen Sorgen war die Ökonomie die hartnäckigste. Schließlich war der Graf ja nun mal Graf und nicht irgendein x-beliebiger Bürstenbinder. Und zudem kein x-beliebiger Graf! Er war die wichtigste Person des ganzen Landkreises und hatte in Südschweden nur sehr wenige, wenn nicht gar überhaupt niemanden über sich. Jedes Mal, wenn es den König mit seinem Hofstaat in den Süden von Stockholm verschlug, wurde als Zwischenstation unterwegs nach Dänemark auf Kronogården Halt gemacht. Entweder endete die Reise im Nachbarland, denn der dänische und der schwedische König hatten immer viel miteinander zu besprechen; oder die Fahrt führte in die deutschen Kleinstaaten und vielleicht sogar bis nach Paris. Bielkegren nahm besonders erfreut zur Kenntnis, dass es im Umkreis von Kronogården nie zu weiteren königlichen Aufenthalten auf schwedischem Terrain kam. Damit war und blieb er ein für alle Mal die einzige bedeutende Persönlichkeit weit und breit.

Der Graf hielt die Fahne seiner Ahnenreihe in der achten Generation hoch und verteidigte die Familienehre mit seinem Namen. Was aus der neunten Generation werden sollte, daran wagte er kaum zu denken. Wie hatte das Erbgut der Familie nur dermaßen auf den Hund kommen können?

***

Alles hatte damit angefangen, dass König Karl XIV. Johan zu Beginn seiner Regentschaft dem Sägewerk seinen ersten von zwei Besuchen abstattete. In seiner Entourage befand sich eine junge Dame aus dem französischen Hochadel. Majestät stellte sie Gustavs Vater vor und redete diesem zu, eine Verbindung zwischen Gustav und der Tochter von des Königs bestem Freund zu arrangieren. Dem Sohn blieb nichts anderes übrig, als sich für die junge Dame zu interessieren. Da sein Französisch zu jener Zeit größere Lücken aufwies, konnte er ihre geistigen Kapazitäten erst beurteilen, als es zu spät war. Nicht dass es ihm geholfen hätte, denn jeglicher königliche Wunsch war einem ja Befehl.

Das besagte Arrangement führte jedenfalls zu Sohn Mauritz, gefolgt von Töchterlein Désirée. Als Gustavs Vater das Zeitliche segnete, wünschte der frischgebackene Graf seine Erbfolge durch einen weiteren Sohn zu festigen und machte sich widerstrebend für den höheren Zweck an die harte Arbeit.

Es dauerte seine Zeit, aber acht Jahre nach Mauritz sollte es ein weiteres Kind geben. Sie wurde auf den Namen Sophia getauft, und damit fand Gustav, dass es reichte. Unter Hinweis auf hartnäckige Schlafstörungen teilte er das Bett nicht mehr mit seiner Gräfin.

***

Die Jahre gingen ins Land. Eines schönen Tages war Mauritz alt genug, sodass dem Grafen aufging: Die Gräfin und er hatten einen Schwachkopf gezeugt. Schuld daran gab er in erster Linie der Gemahlin, in zweiter dem Sohn. Sein Erstgeborener unternahm schlichtweg rein gar nichts. Und wenn doch, schlug es fehl. Das war besonders ärgerlich, weil sein nächster und einziger Nachbar, der Schweinezüchter Olsson, einen Sohn hatte, der seinem Vater offenbar an einem einzigen Tag mehr Nutzen brachte als Mauritz in seinem ganzen bisherigen Leben dem seinen. Zu allem Überfluss war der Bauernjunge auch noch ein paar Jahre jünger!

Um seinen Stammhalter in Fasson bringen zu lassen, schickte ihn der Graf auf die Offiziersschule nach Kristianstad, sobald er das entsprechende Alter erreicht hatte. Von wo er alsbald nach Hause retourniert wurde. Zweiter Versuch in Skövde mit gleichem Ergebnis.

Erst in Stockholm fand Gustav einen Regimentschef mit weitem Gewissensspielraum und ausreichend Geldnöten, um aus Mauritz trotz all seiner unverbesserlichen Defizite einen Leutnant zu machen.

Mit der ältesten Tochter Désirée klappte es besser. Gustav, dem es gelang, sie an einen nicht allzu anspruchsvollen dänischen Baron zu verheiraten, hatte seit jenem Tag nur noch an Dumm und Am Dümmsten zu denken.

Tochter Sophia war mittlerweile auch schon heiratsfähig, aber betrüblicherweise ganz die Mutter, von daher: gleichermaßen frei von Ausstrahlung wie Verstand. Das würde wahrlich kein leichtes Unterfangen werden!

Sohn Mauritz hatte zumindest den Vorteil, dass er günstig im Unterhalt war. Nach dem großzügig bemessenen Schmiergeld in Stockholm genügte dem General alljährlich ein tüchtiger Nachschlag an Reichstalern, damit der General nicht vergaß, was Gustav ihm dafür bezahlt hatte, dass er sich an ihn erinnerte. Ein verschwindend geringer Betrag im Vergleich zu den Kosten auch nur einer einzigen von zahlreichen Einkaufslaunen seiner jüngeren Tochter. Im Übrigen würde das Königshaus schon für Mauritz sorgen. Nun musste sich nur noch erweisen, ob irgendetwas aus dem elenden Nichtsnutz werden könnte.

Apropos Nichtsnutze, als da wären: seine Gemahlin Antoinette und ihre verfluchten Pferde, die zu nichts als starkem Galopp zu gebrauchen waren. Was ja an sich nicht von Übel gewesen wäre, wenn sich die Gräfin jemals irgendwohin davongemacht hätte. Aber die verließ ja nie die Ländereien. Leider!

Mit der Tochter gestaltete es sich auch nicht besser. Schon siebzehn und noch kein Freier in Sicht, ganz gleich, welche Schuhe und welches Kleid sie sich für den jeweiligen Tag aussuchte. Wenigstens war es zweimal nahe dran gewesen. Indes beide Male daran gescheitert, dass die Kandidaten zunächst auf einem Plausch mit der Auserwählten bestanden hatten.

»Puh!«, resümierte der Graf und schlich sich nach unten in seinen Weinkeller. Zur Sicherheit schloss er immer hinter sich ab, auch wenn er Frau und Tochter weisgemacht hatte, dort würden große fleischfressende Spinnen hausen. Nicht dass er je eine gesehen hätte oder es in Schweden überhaupt welche gab, aber das hielt die Frauenzimmer fern.

Endlich allein zwischen Fässern und Flaschen, musste er sich zunächst einmal setzen, um seinen Puls nach dem Souper herunterzufahren, denn die von Gräfin und Tochter zu Hecht und Zander servierten Gesprächsthemen drehten sich selten genug um etwas anderes als Ausgaben. Da war dieser Abend keine Ausnahme gewesen.

Anschließend stand er auf (es war ja Mittwoch) und öffnete vorsichtig die kleine Tür in der einen Ecke neben dem Eichenfass mit Cognac, die auf die Rückseite des Schlosses hinausführte, wo sein Sägewerk-Vorarbeiter Björk auftragsgemäß mit gesatteltem Pferd wartete.

»Ich wünsche dem Herrn Grafen einen angenehmen Ausritt«, log Björk.

Ob das eventuell eine Anspielung sein sollte?

»Ich brauche dich heute nicht mehr«, gab der Graf kurz und knapp zurück.

Die Gräfin und ihre vielen Sorgen

Antoinette Bielkegren tat sich selbst leid. Sie hatte (mit gewissem Zutun ihres Herrn Gemahls) drei Kinder in die Welt gesetzt. Der Erstgeborene kam zu allem Unglück ganz nach dem Vater. Antoinette fand ja, dass es mit einem von der Sorte reichte, doch nun hatte sie gleich zwei Stück um sich.

Aus der ältesten Tochter wurde sie auch nicht richtig schlau. Gustav hatte sie an einen einfachen Baron in Dänemark verheiratet, und in ihrem letzten Brief hatte Désirée geschrieben, wie glücklich sie sei.

Glücklich? In Dänemark?!

Zumindest sprach der Baron Französisch. Aber er war immer noch Däne. Und sein Vermögen bestand im Wesentlichen aus achtundvierzig Windmühlen zum Mahlen von Mehl. Mehl, aus dem Brot gebacken wurde! Wer wollte schon von Brot und dänischem Bier leben, solange es Gänseleberpastete und Wein von der Loire gab, dachte eine, die seit über zwanzig Jahren unter Heimweh litt.

Dann war da noch Sophia. Mit ihren nunmehr siebzehn Jahren nach wie vor voller Lebenslust. Aber wie lange wohl noch? Das schauderhafte Schweden saugte ihnen beiden so allmählich jegliche Vitalität aus Mark und Bein.

Antoinettes Vater trug dafür die Schuld, dass es so weit gekommen war. Obschon selbst ein Marquis, hatte er sich vom Bürgerlichen Jean Baptiste Bernadotte blenden lassen, der in der französischen Armee zum General aufgestiegen war. Die beiden waren bereits unverbrüchlich beste Freunde, als Bernadotte unversehens erst Kronprinz und dann auch noch König von Schweden wurde. Bis auf den heutigen Tag gab es Antoinette Rätsel auf, wie sich der Bürger Bernadotte, ein ordensdekorierter Offizier in der stolzesten Armee der Welt, freiwillig zum Herrscher über wenig mehr als ein paar Lümmel, Säufer und Hungerleider mit Ruhr und/oder Typhus krönen lassen konnte. Nun, das wäre ja noch angegangen, wenn er nicht obendrein seinem Freund die Idee eingeflüstert hätte, dessen Tochter mit dem Sohn eines schwedischen Grafen zu vermählen.

Ihr Vater und der Bürgerliche hatten es natürlich trotz alledem gut gemeint. Ein Graf stand schließlich im Adelsrang ein Ideechen über einem Marquis. So kam es, wie es kommen musste. Woraufhin sowohl der bürgerliche König als auch Antoinettes Vater entschwanden – und sie ihrem Schicksal überließen.

Das Vermögen des vulgären Gustav bestand im Übrigen nicht einmal aus Windmühlen, sondern aus Bäumen! Brot war – im Unterschied zu Bohlen und Brettern – zumindest essbar, wenn man es in Olivenöl tunkte.

Mehr als alles andere fehlten der Gräfin ihr Bruder und die französischen Ländereien der Familie. Nicht zu fassen, dass sie das Loiretal – den Garten Frankreichs! – gegen nichts als Kiefern und Fichten, Kiefern und Fichten eingetauscht hatte: Winter mit meterhohem Schnee und einen Schweinezüchter zum Nachbarn, mit dem sich nicht gepflegt parlieren ließ. Wozu auch immer das hätte gut sein sollen, außer, um ihm zu verklickern, dass man ihn loswerden wollte.

Und zu allem Überdruss waren es auch noch zwei Stunden per Pferdekutsche in die nächste Stadt.

Växjö. Allein schon der Name war ihr ein Graus. Antoinette hatte sich hoch und heilig geschworen, nie im Leben einen Fuß dort hineinzusetzen; ein Gelübde, das sie seither bereits mehrmals hatte brechen müssen. Erst vor zwei Jahren, als der Dom feierlich wieder eingeweiht wurde. Alle, die etwas auf sich hielten, waren eingeladen, von allen wurde nicht nur erwartet, zu erscheinen – sondern auch beeindruckt zu sein! Als ob es Notre-Dame nicht gäbe? Fünfhundert Jahre älter und mindestens ebenso viele Male schöner.

Antoinette träumte davon, gemeinsam mit Sophia aus dem Land zu fliehen, bevor diese das gleiche schlimme Schicksal ereilte wie Désirée. Leider musste es bei dem Traum bleiben, denn wie sollten sie jemals aus dem eiskalten Norden fliehen können? Der Graf war ja bis in alle Ewigkeit an die sechsundzwanzigtausend Hektar seines vermaledeiten Waldes gebunden. Und in Adelsfamilien trennte man sich nicht, nicht ohne einen Skandal zu verursachen.

Ihr blieb nichts anderes übrig, als den einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen: sich dem einfältigen Gatten gegenüber mindestens ebenso einfältig zu geben und die Vorteile mitzunehmen, die sich daraus ziehen ließen. Wie beispielsweise die prachtvollen Araber.

»Puh!«, resümierte Antoinette ihre und Sophias Lage, ging in ihr Gemach, nahm an ihrem Schreibtisch Platz, griff zu Papier und Gänsekiel und setzte zum nächsten Brief einer nicht enden wollenden Serie an.

Frère bien-aimé. Geliebter Bruder … Stell dir vor!

Algot hilft seinem Vater, sich eine Meinung zu bilden

Sven Olsson konnte sich keine besseren Nachbarn als die wünschen, die er hatte. Insgeheim amüsierte er sich königlich darüber, wie Graf und Gräfin nicht nur an der bloßen, sondern auch noch erfolgreichen Existenz von ihm und seiner Familie Anstoß nahmen.

Beide wollten ihn aus der Gegend vertreiben, weil Bielkegrens übel riechende Gattin Platz für ihre Pferde brauchte!

Erst war die Bielkegren’sche angekommen und hatte ihn auf Französisch zu überreden versucht. Ein paar Tage später war der Graf dran gewesen. Wenigstens hatte er in einer verständlichen Sprache geredet und eine genau bezifferte Summe Reichstaler für Haus und Grund angeboten. Aber das Gespräch hatte zu nichts geführt, war ins Stocken geraten, als er ihm die Antwort darauf schuldig geblieben war, wo Sven denn dann mit seinen zahlreichen Schweinen, seiner kränkelnden Frau und seinem bald flüggen Sohn hinziehen solle.

***

Sven und Gustav Bielkegren waren gleichaltrig. Natürlich hatten sie als Kinder nie miteinander gespielt und sich auch nie in der Schule getroffen. Einerseits, weil der Grafensohn im Schloss unterrichtet wurde, andererseits, weil Sven gar keinen Unterricht bekam.

Einen Schweinehof betrieb man schließlich am besten mit einem Näschen fürs Geschäft, was wenig zu tun hatte mit Katechismus lernen oder Kenntnissen darüber, was alle französischen Philosophen der Welt gedacht und verzapft hatten.

Im Übrigen war Sven aufgefallen, dass das Französische gewisse lautliche Ähnlichkeiten mit den Schweinen aufwies, wenn sie zufrieden waren, etwa wenn er und Algot ihnen Eimer mit faulen Äpfeln brachten.

Als der Vater des derzeitigen Bauern 1825 verschied, übernahm der Sohn den Hof. Von dem Tag an wuchs der Betrieb rasch, weil Sven nicht nur gelehrig, sondern obendrein auch von jugendlichem Eifer beseelt war. Aus dreißig Schweinen wurden fünfzig, hundert, zweihundert, die aktuelle Stückzahl betrug nun zweihundertneunundneunzig. Noch dazu etliche trächtige Säue.

Das Wohnhaus konnte schon im Jahr 1831 ausgebaut werden, gerade rechtzeitig vor Esthers Niederkunft mit Algot, der ihr einziger Sohn bleiben sollte. Am achten Geburtstag des Jungen weihten sie einen neuen Schweinestall mit Platz für vierhundert Tiere ein (man musste nach vorn blicken). Etwas später kam ein großes Schlachthaus hinzu, das sofort Gewinn abwarf, weil Sven auch die Nutztiere der Nachbarn im Umkreis annehmen und verarbeiten konnte.

Nach ein paar Jahrzehnten war der Schweinebauer Olsson ein gemachter Mann, der etwas galt! Und zwar dergestalt, dass andere in der Gegend, die ebenfalls etwas galten (wenn auch nicht ganz so viel), ihn nunmehr zum Repräsentanten der Bauern im Stockholmer Ständereichstag gewählt hatten. Bald sollte sich Sven also die Gelegenheit bieten, vor Seiner Majestät und den Reichstagsmitgliedern zu sprechen und seine politische Meinung kundzutun! Zudem würde König Oskar verstehen, was er sagte, denn der konnte ja Schwedisch, im Unterschied zu seinem Vorgänger – und im Übrigen auch zur Gräfin auf Kronogården.

Mittlerweile ging Sven auf die fünfzig zu. In nicht mehr allzu ferner Zukunft würde er aller Wahrscheinlichkeit nach den Löffel abgeben. Doch das bereitete ihm keine Sorgen, da der Sohn schon herangewachsen und wohlgeraten war.

»Wir sollten dich als neuen Schweinebauern einarbeiten, solange ich noch am Leben bin«, überlegte er laut. Seinerseits war er bereits als Zwanzigjähriger in die Fußstapfen seines Vaters getreten. »Dann könnte ich mich in meinen letzten Lebensjahren mit voller Kraft der Politik widmen.«

»Welche Meinung vertretet Ihr denn, Vater?«, fragte Algot.

»Zu was?«, wollte Sven wissen.

»Zu allem! Wenn Ihr vor Seiner Majestät sprechen und Eure politische Meinung kundtun wollt, wäre es doch gewiss zweckdienlich, eine Meinung auf Lager zu haben? Gerne auch zwei.«

Der Schweinebauer dachte nach. Ja, welcher Meinung war er eigentlich? Er fand, dass die Winter zu streng ausfielen, der Graf ein Idiot war, die Gräfin nun mal roch, wie sie roch, und der Weg nach Växjö etwas zu weit war.

Sven verstand, dass man damit keine Politik betreiben konnte.

»Wahrscheinlich sollte ich am besten noch mehr Meinungen haben, nicht wahr?«

***

So kam es, dass das künftige Reichstagsmitglied, der Schweinebauer Sven Olsson, in seinem Landstrich von Hof zu Hof fuhr, um sich anzuhören, wie die Bauern, die er vertreten sollte, das Leben sahen. Zur Sicherheit nahm er Algot als sein drittes Ohr mit auf die Reise.

Er und sein Sohn mussten sich anhören, dass alles Mist sei: die Steuern, das Wetter, die Faulheit der Knechte und Mägde und der Kirchgangszwang. Ein Bauer merkte ferner an, er habe eine viel zu sauertöpfische Frau, als ob der kommende Reichstagsmann daran was ändern könnte.

Nur Andersson auf dem Hügel war mit seiner Meinung zum ganzen Elend weitsichtiger als die anderen. Er lud Sven und Algot zum Kaffee ein und erinnerte sie an die Revolution in Frankreich vor einigen Jahren und zu wie viel Unruhen es danach gekommen sei: in den deutschen Kleinstaaten, in Österreich-Ungarn, Polen, Venedig, Tschechien, also so gut wie überall. Selbst in Stockholm flogen Steine auf die Regierung. Aber nur so lange, bis keine Steine mehr da waren, anschließend war wohl jeder wieder zu sich nach Hause gegangen.

Der belesene Bauer berichtete, dass ehrbare französische Bürger und Bauern gänzlich den Verstand verloren und sich mit den Sozialisten zusammengetan hätten, um gemeinsam stärker zu sein und mehr Erfolg mit ihrer Revolution zu haben.

Sven saß schweigend da, während sich Andersson durch ganz Europa redete.

Aber Algot nahm all seinen Mut zusammen und fragte, was denn der größte Fehler an den Sozialisten sei? Darauf erfuhr er, dass sie den König stürzen, eine Republik einführen und fast jeden wählen lassen wollten!

»Wo kämen wir da hin, wenn jeder dahergelaufene Landstreicher mitentscheiden dürfte?«, ereiferte sich der Belesene. »Das Mindeste, was man von einem verlangen kann, der das Gesetzbuch ändern will, ist ja wohl, dass er die vorhandenen Gesetzestexte lesen kann?«

Dank der hilfreichen Einflüsterungen seines Sohns versprach der Reichstagskandidat Sven Olsson aus dem Regierungsbezirk Allbo (ganze sechzehn Gemeinden!) seinem heimischen Umfeld, für die Aufrechterhaltung der Monarchie einzutreten sowie dafür, dass nur des Lesens Kundige das allgemeine Wahlrecht ausüben dürften.

Dass Sven selbst Buchstaben und Wörter weder entziffern noch niederschreiben konnte, betrachtete Algot als überwindbares Hindernis. Da musste Vater eben umso mehr reden. Unter anderem vor dem König, auf den sie weiß Gott auch ganz gut verzichten konnten.

Der Graf tut dem Bauern einen Gefallen

Gustav Bielkegren wurde schier übel von der Nachricht, dass der störrische Schweinebauer in den schwedischen Reichstag gewählt worden war (in dem er natürlich selbst einen Sitz hatte).

Woraufhin Olsson den Grafen doch wahrhaftig auch noch aufsuchte, um ihn um einen Gefallen zu bitten!

»Einen Gefallen?«, sagte der verblüfft. »Warum sollte ich mich dazu herablassen, Olsson einen solchen zu erweisen, obgleich Er sich mir unablässig widersetzt? Die Gräfin weint sich Abend für Abend in den Schlaf.«

Der Schweinebauer sagte, er habe keine übergroßen Hoffnungen, dass der Herr Graf zustimmen werde, aber Fragen koste hierzulande ja nichts. Anders als so manches andere.

»Also, um was geht’s?«, blaffte der Graf ihn an.

Nun ja, die Sache sei die, der Sohn des Schweinebauern habe bereits das einundzwanzigste Lebensjahr erreicht, während er selbst allmählich in die Jahre komme. Eines nicht mehr allzu fernen Tages solle der junge Algot als Hoferbe in die Fußstapfen seines Vaters treten.

»Genau wie der Sohn des Herrn Grafen, Mauritz.«

»Für Ihn immer noch Leutnant Bielkegren«, sagte der Graf ungehalten, während ihn bei dem Gedanken schauderte.

»Nun ja«, fuhr Olsson fort. »Algot bleibt allemal Algot, auch vor dem Herrn Grafen. Was ihn angeht, so denke ich mir, es wird Zeit, dass er lernt, auf eigenen Beinen zu stehen, bevor mein letztes Stündlein schlägt. Genau wie Leutnant Bielkegren – was der aber auch für einen rasanten Aufstieg durch die militärischen Ränge hingelegt hat! Natürlich hat König Oskar ihm in dieser Hinsicht einiges voraus, aber sonst wohl kaum einer.«

Graf Bielkegren verstand, worauf der Bauerntölpel anspielte. Kronprinz Oskar war im Alter von dreizehn Jahren Oberstleutnant geworden, mit sechzehn Oberst und genau rechtzeitig zu seinem achtzehnten Geburtstag Generalmajor. Eine herausragende militärische Karriere, die eventuell nicht ausschließlich auf persönlichen Vorzügen beruhte.

»Will Er damit etwa andeuten, mein Sohn hätte seine Position nicht verdient?«, sagte der Graf, während er sich ins Gedächtnis rief, dass es bald Zeit wurde für die jährliche Nachschlagsbestechung des Generals.

»Absolut nicht!«, sagte Sven Olsson in einem Tonfall, der sich nach dem genauen Gegenteil anhörte.

Mehr als jetzt würde sich der Graf wohl bald nur noch über die Gräfin ärgern können.

»Wie wär’s, wenn Er endlich zur Sache kommt?«

Gut wäre das, fand Sven.

Er wollte nämlich um einen Gefallen bitten, und zwar, dass der junge Algot eine der vielen Katen mit dazugehörigem Stück Land vom Grafen pachten durfte. Es waren ja schwere Zeiten, mit den strengen Wintern und allem. Der Junge müsste Tag und Nacht ackern, um auch nur halbwegs über die Runden zu kommen. Eine bessere Lehrzeit, bevor die schwere Arbeit als Schweinebauer und eventuell zukünftiger Reichstagsmann begann, konnte Papa Sven sich nicht vorstellen.

Zukünftiger Reichstagsmann?, dachte Graf Bielkegren. Das Amt war ja wohl verflucht noch eins nicht erblich (wenn man kein Graf war).

Doch das behielt er für sich, weil ihm in dem Moment einfiel, dass eine seiner sechsunddreißig Katen in der Tat nicht verpachtet war. Was daran lag, dass sie auseinanderfiel und es in der Gegend kein einziges Stück Land gab, das steiniger und zur Bewirtschaftung weniger geeignet war. Immerhin konnte der Kartoffelacker sich sehen lassen.

Wenn der Sohn des Bauerntölpels das Grundstück nun gestellt bekam und kläglich daran scheiterte, nicht zuletzt dabei, die Pacht prompt und pünktlich zu bezahlen? Der Gedanke, dass das dem Schweinebauern das Genick brechen würde, schien vielleicht etwas gewagt, aber wer wusste das schon. Das Mindeste wäre immerhin, dass Olsson – genau wie Gustav – erleben würde, wie es sich anfühlte, einen nichtsnutzigen Nachkommen zu haben.

»Kråketorp steht leer«, sagte er. »Dann muss Er aber eigenhändig das Loch im Dach flicken, und ich verlange die Pacht an jedem Monatsletzten bar auf die Hand.«

Wobei er eine höhere Pacht als bei allen anderen veranschlagte.

»Besten Dank!«, sagte Schweinezüchter Olsson.

Zeit, erwachsen zu werden

Sven traf Algot beim Mistschaufeln im Schweinestall an.

»Leg die Mistgabel beiseite, Sohn, jetzt ist es Zeit für dich, erwachsen zu werden.«

»Aufregend!«, sagte der Sohn.

Was ihn erwartete, waren zwei, drei magere Jahre als Pächter, bevor ihm daheim alle Türen offen standen, das väterliche Schweineerbe weiterzuführen.

»Wenn ich es recht verstanden habe, ist die eigentliche Kate nicht in Bestzustand, und keins der Felder scheint einen Pächter je glücklich gemacht zu haben«, sagte Papa Sven.

»Das wird schon werden«, erwiderte sein Sohn.

Am Abreisetag durfte Algot das junge Pferd Brunte, einen Wagen, ein paar Bücher, ein kleines Startkapital und den Destillierapparat für den Hausgebrauch mitnehmen, nach dem er all die Jahre geschielt hatte – die Gebrauchsanleitung wurde mündlich mitgeliefert.

»Nichts ist wichtiger als die Temperatur, Algot«, sagte sein Vater.

Der Sohn versprach, daran zu denken.

»Na dann, jetzt aber ab mit dir!«, fuhr der Vater fort. »Mutter lässt herzlich grüßen. Sie ist heute nicht aus dem Bett gekommen.«

Vater und Sohn gaben einander die Hand und sahen sich tief in die Augen. Beide wussten, worauf es mit Mutter hinauslief.

Der Graf hat eine Idee

Für die Gräfin stellte es ein permanentes Ärgernis dar, wie arg das Land des Schweinebauern ihre Pferde in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkte. Die arabischen Vollblüter waren nun zu elft, ein Pferd feuriger als das andere. Sie konnte es nur schwer ertragen, mit ansehen zu müssen, wie wenig Platz die elf auf ihrer Koppel im Schlosspark hatten.

Das bekam der Graf natürlich bei jedem Frühstück wie auch Mittagessen aufs Brot geschmiert, was ihn womöglich schwerwiegend verstimmt hätte, wäre er nicht darauf gekommen, dass seine törichte Gattin gar nicht mal so unrecht hatte. Nicht etwa, weil er sich was aus den Arabern gemacht hätte, sondern weil das Land des Schweinebauern so lag, dass es dem Sägewerk einen bequemeren Zugang zum Fluss ermöglichen würde, der zum See und irgendwann ans Meer führte, wo das Frachtschiff auf den Holztransport wartete. Wenn es ihm also gelang, den Olsson zu verjagen, konnte er seine Gräfin ruhigstellen und die Kosten des Sägewerks senken, das auch nach Jahrzehnten immer noch keinen Gewinn abwarf.

Gustav Bielkegren schöpfte neue Hoffnung, als Sven Olssons Frau an Krebs erkrankte und starb. Binnen Monaten war es mit ihr aus. Möglicherweise hatte der Schweinebauer seine Frau geliebt, weil sich die einfachen Leute gern auf Grundlage dieses Prinzips verheirateten. Da jetzt auch noch der Sohn ausgezogen und Pächter geworden war … ja, vielleicht hockte Olsson hinterm Ofen und sehnte sich fort?

Daher suchte er ihn abermals auf und bot ihm einen anständigen Preis für den Hektar, der dem Grafen und der Gräfin im Weg war. Den gleichen Betrag wie beim letzten Mal …

»Plus zehn Prozent, Olsson!«

Als der Schweinebauer den Grafen zur Antwort nur mit leerem Blick ansah, rang Gustav sich durch, sein Angebot noch etwas zu erhöhen:

»Ich leg noch einen drauf: Du kannst dir gratis Bretter vom Sägewerk holen und deiner Frau einen anständigen Sarg zimmern!«

Da reagierte er immerhin. Aber anders, als der Graf sich das gedacht hatte.

Esther lag noch mit gefalteten Händen im ersten Stock. Besaß der Graf tatsächlich die Frechheit, mit Sven in dessen Küche mit ihrem Sarg als Lockangebot um den Hof zu feilschen?

Der Schweinebauer erhob sich langsam:

»Ihr wart schon immer ein Arschloch, Bielkegren. Jetzt seht zu, dass Ihr Euch schleunigst von meinem Grund und Boden macht, sonst kann ich für nichts garantieren.«

Gustav beschloss, das Betragen des Schweinebauern nicht überzubewerten. Es war ja klar, dass er um die Tote trauerte, und in der Trauer konnte den Leuten alles Mögliche herausrutschen. Und da es keine Zeugen gab, hatte der Graf nicht unmittelbar seine Ehre vor Dritten zu verteidigen.

Allerdings hatte sich ihm ein Stachel ins Fleisch gebohrt. Denn von nun an würden, wenn er und der Schweinebauer sich begegneten, alle beide wissen, was Olsson gesagt und Gustav widerspruchslos hingenommen hatte. Was das Mächteverhältnis zwischen ihnen aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Kurzum, der Schweinebauer musste verschwinden!

Nicht zu glauben, aber bald darauf trat für den Grafen der Glücksfall ein, dass an der Grenze zwischen Småland und Blekinge die Schweinepest ausbrach. Nun wäre es zwar allemal zu viel verlangt gewesen, zu hoffen, dass sie sich bis in den Landstrich um Kronogården ausbreitete, doch der Graf dachte sich, man könnte der Sache nachhelfen.

Und so brach er Hals über Kopf nach Fridafors auf, wo die Seuche offensichtlich am ärgsten wütete. Und wo er dann auch genau das fand, wonach er suchte: eine einfache Pächterfamilie mit kärglichem Kartoffelacker, einem von Missernten geprägten Stück Land – und einem hustenden Schwein, dessen Tage eindeutig gezählt waren! 

Dass die jungen Bauersleute aus Gustavs heimatlichen Gefilden stammten, erleichterte die Verhandlungen zusätzlich. Der Graf bot dem Pächter eine Stellung in Schwedens modernstem Sägewerk an. Er ließ ein paar unverbindliche Worte über zukünftige Aufstiegschancen fallen, vielleicht sogar bis hin zum Vorarbeiter!

Die Frau war ja in erster Linie zum Kinderkriegen vorgesehen, aber weil dem Grafen auffiel, dass sie Ehrgeiz besaß, machte er Andeutungen, für die junge Frau ließe sich vielleicht auch Arbeit im eigentlichen Schloss finden.

Nach Verhandlungsabschluss kamen der Pächter und seine Frau gleich mit zum Sägewerk, um in eins der gräflichen Wohnhäuser für Tagelöhner zu ziehen. Sein vages Versprechen einer Anstellung für die Frau im Schloss hatte Bielkegren schon vor ihrer Ankunft wieder vergessen.

Dem Pächterpaar war unbegreiflich, wieso der Graf darauf bestand, das todkranke Schwein mitzunehmen. Gustav antwortete, solange Leben sei, sei Hoffnung.

Auf der langen Fahrt von Fridafors nach Kronogården wurde das Schwein natürlich nur noch kränker. Endlich angekommen, rang Gustav sich eine tragische Miene ab und sagte, nun sei wohl doch alle Hoffnung dahin. Er bot den beiden an, sich des sterbenden Tiers anzunehmen. Der schlichte Ehemann verlieh seiner Dankbarkeit Ausdruck, während die noch schlichtere Ehefrau den Grafen komisch ansah. Vielleicht hatte sie ihn nicht ganz verstanden? Sie war ja eine Frau.

Draußen war es schon dunkel. Der Graf schlich sich auf das Grundstück des Bauern Olsson und ließ das todkranke Schwein unter seinen kerngesunden Artgenossen frei. In Sekundenschnelle entdeckte eine alte Sau einen Fremdkörper in der Herde. Sie trottete hin, um den Neuankömmling zu beschnuppern und sich wahrscheinlich auch zu entscheiden, ob er verjagt gehörte oder nicht. Damit hatte der Graf sein Ziel erreicht. Jetzt hieß es Abwarten und Tee trinken.

Und siehe da: Die alte Sau wurde krank, noch bevor sie sich entschieden hatte, wie mit dem Neuen zu verfahren sei. Sie starb sogar noch vor dem todsterbenskranken Schwein. Gustav konnte sich gar nicht erinnern, wann er in letzter Zeit überhaupt mal einen Erfolg hatte verzeichnen können. Vielleicht wendete sich jetzt endlich das Blatt!

Binnen zweier Wochen ereilte alle dreihundert Schweine Sven Olssons das gleiche Schicksal. Der Bauer, der bis dato den Lieferanten und Großhändlern noch nie etwas schuldig geblieben war, wurde plötzlich zahlungsunfähig!

Die Gläubiger standen Schlange, aber bloß, bis der Graf Olssons sämtliche Schuldscheine aufgekauft hatte, um sie – wie er sagte – unter einem Dach zu sammeln. Anschließend wartete er ab.

Und ganz recht, kurz darauf trat der Schweinebauer mit der Mütze in der Hand vor ihn.

»Mir wurde gesagt, dass ich allein mit dem Herrn Grafen sprechen muss, wenn ich mir Zahlungsaufschub erbitte. Zwischen uns sind in der Vergangenheit zwar mitunter harte Worte gefallen, aber ob dieser Tragödie sollte man ja nun alles andere vergessen, oder was meint Ihr, Herr Graf?«

Es sah nach einem guten Tag für Gustav Bielkegren aus. Übrigens hatte der Bauerntölpel auch noch seinen Pechvogel von Pächter-Sohn dabei:

»Ich habe Vater mit der Berechnung geholfen, wie er wieder auf die Beine kommen kann«, sagte der Sohn. »Ob sich der Herr Graf wohl einmal mit uns die Zahlen ansehen würde?«

Auf die Beine kommen?

»Ich kann mich an keine harten Worte zwischen uns erinnern«, sagte der Graf. »Hingegen … weiß ich ja nicht, wie es in Eurer Welt zugeht, aber in meiner kommt man seinen Verpflichtungen nach. Elftausendeinhundertzehn Reichstaler … nein, Moment mal, da kommen ja noch Verzugszinsen hinzu … lasst sehen …«

Der Graf war in seinem Element.

»Den exakten Betrag kann ich Euch erst morgen nennen. Sei’s drum, letzter Zahlungstermin ist der Donnerstag.«

Gustav hätte den Moment gerne noch etwas verlängert, aber Vater und Sohn waren schon davongelatscht. Immerhin waren sie noch in Hörweite.

»Meldet Euch, wenn ich noch mit etwas anderem behilflich sein kann«, rief Bielkegren ihnen hinterher. »Nachbarn müssen zusammenhalten.«

Also ging es mit dem Schweinezüchter – genau nach Plan – gänzlich den Bach runter. Da der Graf nun schon am Zug war, half er weiter nach, indem er im Gemeinderat die Frage aufwarf, ob es wirklich angebracht sei, dass Sven Olsson die Bauern im Reichstag vertrete.

»Ich will mitnichten Salz in die Wunde streuen, wie man so schön sagt … Ich frage mich nur: Wenn Olsson kein Bauer mehr ist, kann er dann Wortführer der Bauern in der Hauptstadt sein?«

Zu dem Zeitpunkt war Sven noch ein Rest des streitbaren Geistes geblieben, mit dem er es so weit gebracht hatte. Er saß im selben Gemeinderat wie der Graf, und jetzt nahm er vor der ganzen Versammlung kein Blatt vor den Mund:

»Verfluchte Scheiße, schließlich soll ich vor dem König reden und nicht die Schweine! Und dieser Bielkegren, der kann meinetwegen zur Hölle fahren!«

Woraufhin der Beschluss gefasst wurde, dass Olsson sein Reichstagsmandat verwirkt hatte. Denn so redete man nicht mit Hochwohlgeborenen.

Nun brauchte der Graf nur noch gesetzestreu den gesamten Besitz des Bauern zu pfänden, einschließlich des Grundstücks, auf das die Bielkegrens so begehrliche Blicke geworfen hatten.

Die Gräfin weinte sich auch an diesem Abend in den Schlaf. Vor Glück. 

Vor dem Nichts

Algot tat alles, was in seiner Macht stand, um seinem Vater wieder aufzuhelfen.

Für den Anfang bestand der Sohn darauf, dass Sven nicht im Armenhaus bleiben konnte, wo er gelandet war, nachdem er auch seine letzte Habe verloren hatte: den Ohrensessel, in dem er immer noch saß, als alles andere schon weg war. Vater und Sohn würden doch wohl beide Platz in der Kate finden, wenn sie ein wenig zusammenrückten?

Aber Sven hatte in kurzer Zeit seine Frau, seine Schweine, seinen Hof, sein Reichstagsmandat und seine Ehre gegenüber dem Grafen und der Gräfin verloren, die für ihn im Wettstreit mit der Pest, die ihn um seinen gesamten Viehbestand gebracht hatte, das Ärgste überhaupt waren.

Zudem war ihm unterdessen der Appetit vergangen und wollte sich bei der Verpflegung in dem Haus, in das er geraten war, durchaus nicht von allein wieder einstellen. Daraufhin verlor er noch dazu alle Lebenslust und verhungerte wenig später infolge von kompletter Selbstaufgabe.