Wie die Schweden das Träumen erfanden - Jonas Jonasson - E-Book
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Wie die Schweden das Träumen erfanden E-Book

Jonas Jonasson

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Beschreibung

Schläfst du noch oder träumst du schon?
Das perfekte Weihnachtsgeschenk für eine glückliche Lesezeit


Überall auf der Welt schlummert man selig in den kuscheligsten Betten der Marke Traumbett, made in Hamburg, Germany. Überall? Nein, einzig in Schweden konnte das Unternehmen sich noch nicht durchsetzen. Das will der neue Firmenbesitzer Konrad Kaltenbacher Jr. schnellstens ändern. Und wenn es nach Julia, der Bürgermeisterin von Halstaholm in der schwedischen Provinz, ginge, dann hätte sich Traumbett mitsamt seinen 800 neuen Arbeitsplätzen sowieso schon längst bei ihnen niedergelassen. Um die Deutschen von den Vorzügen ihrer Heimatstadt zu überzeugen, startet Julia fest entschlossen eine Charmeoffensive, die man so in Halstaholm noch nicht gesehen hat: Vom kurzerhand umbenannten Angela-Merkel-Kreisverkehr, selbstverständlich mit schwarz-rot-goldener Bepflanzung, über eine aus dem Boden gestampfte Deutsche Schule unter der Führung von drei betagten Rentnerinnenfräuleins, bis hin zur umfunktionierten »Bierstube Badehaus« – das Schwimmbad stand doch sowieso schon seit Jahren leer! –, jeder muss mitziehen. Denn Julia bekommt immer, was sie sich in den Kopf setzt. Eine Hartnäckigkeit, die auch den deutschen Traumbett-Chef Konrad Jr. beeindruckt …

Charmant, rasant und originell wie immer!

»In diesen schweren Zeiten wollte ich etwas Hoffnungsvolles schreiben, über die Freundschaft – nämlich über die Freundschaft zwischen den Schweden und den Deutschen, die ich so sehr liebe. In meiner neuen Geschichte trifft Blau-Gelb auf Schwarz-Rot-Gold und es zeigt sich: Mit den richtigen Freunden an der Seite geht es für alle wieder bergauf!« Jonas Jonasson

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Buch

Schläfst du noch, oder träumst du schon?

Überall auf der Welt schlummert man selig in den kuscheligsten Betten der Marke Traumbett, made in Hamburg, Germany. Überall? Nein, einzig in Schweden konnte das Unternehmen sich noch nicht durchsetzen. Das will der neue Firmenchef Konrad Kaltenbacher jr. schnellstens ändern. Und wenn es nach Julia, der Bürgermeisterin von Halstaholm in der schwedischen Provinz, ginge, dann hätte sich Traumbett mitsamt seinen 800 neuen Arbeitsplätzen sowieso schon längst bei ihnen niedergelassen. Um die Deutschen von den Vorzügen ihrer Heimatstadt zu überzeugen, startet Julia fest entschlossen eine Charmeoffensive, die man so in Halstaholm noch nicht gesehen hat: Vom kurzerhand umbenannten Angela-Merkel-Kreisverkehr, selbstverständlich mit schwarz-rot-goldener Bepflanzung, über eine aus dem Boden gestampfte deutsche Schule, bis hin zur umfunktionierten »Bierstube Badehaus« – das Schwimmbad stand doch sowieso schon seit Jahren leer! –, jeder muss mitziehen. Denn Julia bekommt immer, was sie sich in den Kopf setzt. Eine Hartnäckigkeit, die auch den deutschen Traumbett-Chef Konrad jr. beeindruckt …

»In diesen schweren Zeiten wollte ich etwas Hoffnungsvolles schreiben über die Freundschaft – nämlich über die Freundschaft zwischen den Schweden und den Deutschen, die ich so sehr liebe. In meiner neuen Geschichte trifft Blau-Gelb auf Schwarz-Rot-Gold, und es zeigt sich: Mit den richtigen Freunden an der Seite geht es für alle wieder bergauf!« Jonas Jonasson

Autor

Jonas Jonasson, geboren 1961 im schwedischen Växjö, arbeitete lange als Journalist und gründete eine eigene Medien-Consulting-Firma. Nach zwanzig Jahren in der Medienwelt verkaufte er seine Firma und schrieb seinen ersten Roman: »Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand«. Das Buch eroberte die Leser*innen auf der ganzen Welt und verkaufte sich allein in Deutschland 4,4 Millionen Mal. Auch alle seine weiteren Romane waren in Deutschland gefeierte Bestseller. Mit seinen schrägen Feel-Good-Romanen hat Jonasson ein ganz eigenes Genre erfunden und begeistert damit seit über zehn Jahren eine riesige Fangemeinde.

»Jonas Jonasson vereint Charme, Humor und Tiefgang.« Göttinger Tageblatt

»Jonas Jonasson schreibt Entgiftungsbücher für die Seele.«SPIEGEL Plus

www.cbertelsmann.de

Roman

Aus dem Schwedischen von Astrid Arz

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2023 by Jonas Jonasson

Published by arrangement with Albatros Agency, Sweden

Copyright © 2023 C. Bertelsmann

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Favoritbuero

Umschlagabbildung: © Evgeny Turaev/shutterstock; © Marie Maerz/shutterstock; © Pisut Tardging/shutterstock

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-31800-0V001

www.cbertelsmann.de

Liebe Leserinnen und Leser,

die Zeiten sind wahrlich nicht einfach, Krieg und Konflikte überall, und genau deshalb hatte ich das dringende Bedürfnis, etwas zu schreiben, das uns Hoffnung schenkt. Ich wollte über die Freundschaft zwischen den Menschen unterschiedlicher Nationen schreiben. So zum Beispiel über meine Landsmänner die Schweden und die Deutschen, die ich so sehr liebgewonnen habe in den letzten Jahren. Und heraus kam diese Geschichte über eine Kleinstadt in Schweden, die es nicht einfach hat: Arbeitslosigkeit, die Jungen ziehen weg – sogar der örtliche Buchladen musste schließen. Schlimmer geht es wirklich nicht! Aber als Blau-Gelb auf Schwarz-Rot-Gold trifft, geht es endlich wieder bergauf …

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß mit meinem kleinen Beitrag zur deutsch-schwedischen Freundschaft und angenehme Lesestunden!

Herzlich,

Ihr Jonas Jonasson

Kaltenbacher und Kaltenbacher

Verdammte Skandinavier. Vor allem die Schweden!

Konrad Kaltenbacher hatte fünfzig Jahre gebraucht, um die ganze Welt zu erobern. Nun ja, fast die ganze Welt. In Buenos Aires schlief niemand besser als all jene, die sich in ein Bett der Marke Traumbett legten. Ebenso in Melbourne. Shanghai. Montreal. Tokio. New York. Und erst im Sheraton in Johannesburg, vom Hilton in Kairo ganz zu schweigen.

Traumbett – weil du dir guten Schlaf verdient hast.

Aber Schweden! Drei Markteroberungsversuche im Lauf der Jahre. Alle mit dem gleichen niederschmetternden Ergebnis.

Hinter geschlossenen Türen gab Konrad bereitwillig zu, dass die Schweden etwas von der Bettenfabrikation verstanden. Und doch wurmte es ihn, dass sich in diesen drei so wohlhabenden Ländern, Schweden, Norwegen und Dänemark, fast niemand in einem Traumbett schlafen legte. Es brachte ihn geradezu selbst um den Schlaf.

Er war jetzt fünfundsiebzig. Einer der großen Männer Hamburgs, wenn man so wollte. Allgemein bewundert für alles, was er erreicht hatte. Niemand konnte ahnen, dass seine Gedanken immerzu um das kreisten, was er nicht erreicht hatte.

Doch, einer schon! Konrad Kaltenbacher jr., der leibliche Sohn des Bettenkönigs. Nichts und niemand konnte den Vater stolzer machen. Der Junior war schon lange bereit, die Geschäftsführung zu übernehmen, er würde das hervorragend hinkriegen!

Doch der Sohn kannte seinen Vater. Vorläufig hatte er um Erlaubnis gebeten, eine neue, alles entscheidende Skandinavienattacke in Angriff zu nehmen. Diesmal wollten sie nämlich auf »All In« setzen, wie die Amerikaner sagten. Nicht bloß Marketing und Verkauf, sondern auch eine Fabrik mit achthundert Mitarbeitern. Die Produktion in Hamburg musste ohnehin ausgebaut werden. Der Junior trug sich mit der Idee, das Geld stattdessen in Oslo, Kopenhagen oder Stockholm zu investieren.

»Traumbett goes Scandinavia!«, sagte der Sohn, als er seine Idee verkündete.

Der Vater hatte sich mittlerweile damit abgefunden, dass alle, die etwas Werbewirksames zu sagen hatten, sich heutzutage des Englischen bedienten. In fünfzig Jahren würde die deutsche Sprache unter Garantie ausgestorben sein. Und die schwedische gleich mit, sei’s drum. Das Beste daran war, dass er dann schon längst tot und begraben sein würde.

Aber der Sohn hatte sich immerhin recht vernünftige Gedanken gemacht. Er hatte drei Monate lang geplant, berechnet und analysiert. Und das am Mahagonischreibtisch im Chefbüro der Firma Traumbett.

Er hatte nämlich vor einem halben Jahr das repräsentative Büro einschließlich der Sekretärin Frau Müller übernommen. Um der Belegschaft gegenüber ein Zeichen zu setzen: Nicht mehr lange, und Konrad Kaltenbacher würde in die Fußstapfen Konrad Kaltenbachers treten! So alt der Alte auch war, Traumbett blieb vital wie eh und je.

Offiziell war der ältere Konrad noch Geschäftsführer. Daher betrat er das Büro seines Sohnes, ohne vorher anzuklopfen. Irgendwo musste man ja eine Grenze ziehen.

»Willkommen, Vater!«, sagte Konrad jr.

Er saß bereits auf einem der beiden Ledersessel in der Besprechungsecke. Der andere Sessel wartete auf den Konzernchef.

Konrad jr. hatte einen Stapel Papiere auf dem Schoß. Auf dem Beistelltischchen zwischen den Sesseln standen schon ein volles Glas Mineralwasser für den Sohn und eines mit Cognac für den Vater.

Konrad sen. nahm Platz, nickte zufrieden in Richtung seines Schwenkers und kam direkt zur Sache: »Du hast dich also entschieden?«

Lächelnd erwiderte der Sohn, noch sei der Konzernchef für die Entscheidungen im Hause zuständig, aber, ja, er, Konrad, habe sich entschieden: »Oslo liegt rein logistisch gesehen etwas ungünstig, und der Preis des Geländes, das ich dort gefunden habe, entspricht einem halben Bruttosozialprodukt.«

Der Sohn wartete respektvoll ab, bis der Vater seinen ersten Schluck Cognac intus hatte, eher er fortfuhr: »Kopenhagen liegt unserem Hauptsitz und der Fabrik hier am nächsten. Das hat seine Vor-, aber auch seine Nachteile. In erster Linie wollen wir ja Schweden erobern, und da erscheint es mir eher suboptimal, wenn unsere Skandinavien-Niederlassung näher an Hamburg als an der schwedischen Hauptstadt liegt.«

»Und der Vorteil?«

»Eventuell der Preis.«

Nächste Kunstpause.

»Möchtest du noch ein Schlückchen nehmen, bevor ich weiterrede?«

Konrad sen. sagte, das könne warten. »Also Stockholm?«, erkundigte er sich.

Der Juniorchef bejahte. »Bislang habe ich erst Bilder und überschlagsmäßige Zahlen zu Gesicht bekommen, aber im ehemaligen Containerhafen Frihamnen, fünfzehn Minuten vom Zentrum der Hauptstadt, gibt es ein optimales Betriebsgelände mit perfekter Anbindung. Die Finanzsenatorin ist Feuer und Flamme, und sie hat keine vorgefassten Meinungen, dass Schweden lieber in schwedischen Betten schlafen sollten.«

»Warum auch? Mit achthundert neuen Arbeitsplätzen hat sie ja die allerbesten Chancen, die nächste Wahl zu überleben«, brummte der Senior.

»Das habe ich mir auch gedacht«, pflichtete der Junior ihm bei. »Allerdings liegt die Monatsmiete bei hundertdreißigtausend …«

»Kronen oder Euro?«

»Euro, leider.«

Konrad sen. zuckte mit den Schultern. »Peanuts, wenn alles andere stimmt. Bist du bereit raufzufliegen, um es dir näher anzusehen?«

»Ja und nein«, antwortete der Sohn. »Die Mädchen und ich nehmen das Auto.«

»Du und dein Auto!«, sagte der Vater.

Der Sohn lächelte. »Wohl eher ich und meine Mädchen! Ich kann nirgends sonst so gut denken wie am Steuer, und wenn die Zwillinge auf dem Rücksitz singen, macht es noch mehr Spaß.«

Erster Arbeitstag

Im Großraum Hamburg wohnten gut fünf Millionen Menschen – und alle wussten, wer Konrad Kaltenbacher, der Bettenkönig der Stadt, war.

In Halstaholm, hundert Kilometer südwestlich von Stockholm, wohnten achttausendzweihundertacht. Die wenigsten von ihnen hatten je von Julia Bäck gehört.

Oder, etwas netter ausgedrückt: Halstaholm war nicht viel größer, als dass hier jeder jeden ein bisschen kannte. Aber dass die neunundzwanzigjährige Julia soeben den Posten der Bürgermeisterin der sterbenden Kleinstadt übernommen hatte, das hatte bloß in der Lokalzeitung gestanden, und deren Abo konnte sich allmählich sowieso kaum einer mehr leisten.

Es war also kein Wunder, dass der ältere Herr, der mit seinem Hund Gassi ging, Julia nur einen desinteressierten Blick zuwarf, als sie mit Aktenkoffer in der Hand an ihm vorbeiging.

»Guten Morgen«, sagte sie fröhlich.

»Morgen, das schon«, sagte der Hundebesitzer. »Aber was an diesem Morgen gut sein soll, das weiß ich auch nicht.«

Einer von den vielen Arbeitslosen und dann früher oder später Frühverrenteten, dachte Julia. Na, immerhin wohnte er im Gegensatz zu so vielen anderen immer noch hier. Bestenfalls zahlte er außerdem Hundesteuer. Kleinvieh macht schließlich auch Mist!

Die frischgebackene Bürgermeisterin kam an der einzigen Ladenzeile entlang der Hauptstraße des Städtchens vorbei. Die Hälfte der Geschäfte noch zu, weil es früh am Morgen war. Die andere Hälfte endgültig geschlossen: Halsta Bild & Ton, Halsta Buchhandlung, Wanjas Reformhaus …

Julia überlegte kurz, wohin es Wanja nach der Geschäftsaufgabe wohl verschlagen hatte? Bestimmt nach Stockholm, wie üblich.

Ihr Ziel, das Rathaus, war nebenbei erwähnt ein schlechter Scherz, genau wie alles andere. Die Empfangsdame – in Personalunion eigentlich auch Mädchen für alles – Harriet Ljungberg war als Einzige übrig geblieben. Und natürlich die Bürgermeisterin. Dazu die Amateurpolitiker*innen im Gemeinderat, der einmal im Monat tagte. Einundzwanzig Mitglieder. Achtzehn matte und resignierte Gestalten, eine senile Neunzigjährige, von der keiner mehr wusste, unter welchen Umständen sie an ihr Amt gelangt war und warum sie es immer noch innehielt, und der unvermeidliche Protestpolitiker, der nur herummeckerte und Unmögliches verlangte. Und am Kopfende des Tisches jetzt Julia Bäck, den Hammer der Vorsitzenden in der Hand.

Die neue Bürgermeisterin musste sich an ihrem ersten Tag im neuen Job selbst reinlassen. Super-Harriet war noch nicht am Platz. Warum auch, es war schließlich noch eine Stunde bis Dienstbeginn.

Julia schritt am Empfang vorbei durch die Glastüren und nahm die Treppe in den ersten Stock. Während sie ihren leeren Schreibtisch ansteuerte, fiel ihr das Schild an der Bürotür ins Auge:

Torsten BlomqvistBürgermeister

Ihr Parteigenosse Torsten konnte sich von nun an ganztags dem Angelsport widmen. Beim Gedanken an ihn musste Julia lächeln. Wie der sich für das Wohl der Kommune eingesetzt hatte! Fünfundzwanzig lange Jahre am Stück! Die ersten zehn waren der reinste Siegeszug gewesen. Die Stadt wuchs, Leute zogen zu, alle glaubten an die Zukunft.

Bis sich die ersten Anzeichen bemerkbar machten, dass die Reifenfabrik in Schieflage geriet. Halstadäck hatte ja Konkurrenz bis zum Abwinken. Michelin, Goodyear, Nokian …

Torsten hatte den Ernst der Lage begriffen. Und sich aus Leibeskräften dafür starkgemacht, dass die Stadt einen Mammutkredit aufnahm. Die Reifenfabrik mit ihren ganzen zweiundsiebzigtausend Quadratmetern Firmengelände wurde in Topzustand gesetzt, der es dem Unternehmen ermöglichen sollte, sich aus der Krise zu stemmen.

Wenn es da mal bloß nicht zu spät gewesen wäre.

Elf Jahre war das jetzt her. Fünfhundertfünfzig Halstaholmern war fristlos gekündigt worden. Torsten und die Stadt blieben auf einem der größten und modernsten Betriebsgelände Schwedens sitzen. Leer wie ein Nistkasten im Dezember.

Während sich die Umzugswagen von Halstaholm weg anstatt in die richtige Richtung auf den Weg machten, versuchte Julias Vorgänger, einen neuen Mieter zu finden. Hunderttausend Kronen Monatsmiete konnten ja auch reichen. Oder fünfzig. Oder fünfundzwanzig.

Während der letzten beiden Jahre von Torstens Zeit auf dem Bürgermeisterstuhl, auf dem Julia soeben Platz genommen hatte, war der Preis auf eine Krone im Monat gesunken. Mit anderen Worten: zehn Cent für den internationalen Player, der eventuell nicht abgeneigt wäre.

Und da war doch tatsächlich einer aufgekreuzt! Eine estländische Firma erbot sich, die zehn Cent im Monat während des halben Jahres zu zahlen, das sie brauchten, um die Fabrik abzureißen und die Backsteine auf dem Secondhandmarkt für fünfhundert Euro den Kubikmeter zu verkaufen. Das war das erste und einzige Mal gewesen, dass Julia Torsten fluchen gehört hatte.

»Haut bloß wieder ab nach Tallinn, ihr verdammten Halsabschneider!«, hatte er verlauten lassen.

So hatten es die Halsabschneider gemacht, und seither war nichts Neues unter der Sonne passiert. Oder unter den Regenwolken. Es war ja schon Oktober.

Nichts Neues, nicht mal was die Arbeitslosenquote anging. Die stand gleichbleibend bei dreißig Prozent. Ohne anzusteigen, weil ja so viele wegzogen.

Natürlich ins verdammte Stockholm. Anderthalb Stunden Busfahrt, einschließlich einmal Umsteigen in Södertälje. Zu Zeiten der Reifenfabrik hatte es täglich vier Direktfahrten gegeben.

***

Julia Bäck klappte ihren mitgebrachten Laptop auf, schloss das Kabel an und begann zu googeln. Ihr war sonnenklar: Eine zu neuem Leben erweckte Fabrik stellte die einzige annehmbare Alternative dazu dar, dass Halstaholm den langsamen, aber schnurgeraden Weg in den eigenen Tod ging.

Doch weiter kam sie nicht, denn da flog die Bürotür auf, und herein kam Harriet, das Mädchen für alles, mit einem Tablett mit Kaffee und Zimtschnecken und einer einsamen Rose in einer kleinen Vase. Und dazu einem Namensschildchen aus Leichtmetall.

»Guten Morgen, Frau Bürgermeisterin!«, zwitscherte Harriet. »Da bin ich schon, mit Kaffee!«

Harriet und Julia kannten und duzten sich schon lange. Julia war sich also ziemlich sicher, dass das feierliche »Frau Bürgermeisterin« nur für ihren ersten Tag im Rathaus vorbehalten war.

Nun stellte Harriet die Vase mit der einsamen Rose vor Julia auf den Schreibtisch.

»Die hier ist von einem heimlichen Verehrer, das heißt also von mir!«, verkündete sie.

»Ja, alles andere hätte mich auch sehr gewundert«, sagte Julia. »Denn leider ist der Dating-Markt in Halstaholm genauso trostlos wie der ganze Rest. Von daher bin und bleibe ich nun mal Single, und zwar bis ans Ende meiner Tage, wenn du mich fragst.«

Harriet nahm das Aluminium-Namensschildchen, stellte sich auf die Schwelle zu Julias Büro, tauschte Torsten Blomqvist. Bürgermeister gegen Julia Bäck. Bürgermeisterin aus, kam mit dem Schild des Vorgängers in der Hand wieder herein und warf es mit den Worten »Pardon, Torsten« in den Papierkorb in der Ecke.

Anschließend deckte sie ebendort den runden Tisch, an dem zwei Sitzgelegenheiten standen.

»Komm und setz dich, liebe Julia!«, sagte sie. »Der Kaffee ist frisch aufgebrüht, und die Zimtschnecken sind aus Algots Konditorei. Ein Wunder, dass die noch nicht dichtgemacht haben!«

Julia bedankte sich für die Rose und erhob sich vom Bürostuhl, um ihrer Assistentin am runden Tisch Gesellschaft zu leisten. Zur Rose fiel Harriet ein: »Unten am Empfang sind noch mehr Blumen. Die sind gleichzeitig mit mir gekommen. Ich hab alle ins Wasser gestellt.«

»Wollen mich etwa so viele beglückwünschen?«, staunte Julia.

»Na ja, wie man’s nimmt«, murmelte Harriet mit vollem Zimtschneckenmund. »Torsten natürlich. Ist er nicht süß! Und Andersson von der Klempnerei Andersson, ich glaube, der fischt nach Aufträgen, für den Fall, dass wir uns entschließen, das Hallenbad renovieren zu lassen und neu aufzumachen. Und dann noch einer …«

»Das Schwimmbad?«, fragte Julia. »Wozu sollten wir das denn wieder aufmachen? Damit alle, die noch nicht von hier weggezogen sind, was haben, worin sie sich ertränken können?«

Für eine Antwort hatte Harriet zu viel am letzten Bissen ihrer Zimtschnecke zu kauen. Und Julia schien in sich hineinzulauschen. Ein Weilchen blieb es still, bis Harriet sagte: »Denkst du an die Reifenfabrik?«

Julia nickte.

»Elf Jahre ist es jetzt her, dass sie aufgegeben haben. Da war ich achtzehn und bis dahin der felsenfesten Überzeugung, dass Halstaholm das Himmelreich auf Erden war … Zu der Zeit waren wir über sechzehntausend. Jetzt sind wir achttausendzweihundertacht.«

»Demnächst achttausendzweihundertvier«, sagte Harriet. »Gestern hab ich von dem Gartencentermann gehört, dass er mit seiner Familie einpackt. Die ziehen wohl nach Göteborg. Er hat gesagt, er versteht ja, dass die Leute von ihrem letzten Geld keine Rhododendronsträucher kaufen, aber wenn er jetzt nicht mal mehr Geranien für neun Kronen das Stück loswird, dann weiß er sich auch nicht mehr zu helfen.«

»Verdammt!«, sagte Julia. »Die Stadt sitzt auf der modernsten Fabrikhalle der Welt, die einfach leer steht! Wusstest du, dass es uns sechzigtausend im Monat kostet, den Scheiß einfach nur zu erhalten?«

»Wofür genau?«, erkundigte sich Harriet.

»Verfluchter Mist, was weiß ich denn! Strom, Wasser, Heizung … Ich hab nur die Zahlen gesehen.«

»Irre, du hast in deiner ersten halben Stunde im Job mehr geflucht als Torsten in fünfundzwanzig Jahren«, sagte Harriet beeindruckt. »Und wenn du einfach das ganze Ding abreißen lässt? Oder könnte man die Fabrik in Wohnungen umwandeln?«

»Wohnungen? Die Leute ziehen weg, Harriet. Nicht zu!«

»Ich hab nur gedacht …«

»Sehr gut! Genau das brauchen wir! Wir müssen denken! Möglichst offensiv!«

»Wieder in die Reifenproduktion einsteigen?«

»Nein, ich bin Bürgermeisterin, keine Reifenfabrikantin. Aber es muss doch noch was anderes geben!«

»Was könnte das sein?«

»Weiß ich doch nicht! Zweiundsiebzigtausend Quadratmeter! Immer noch in Topzustand! Ich verscherble das Ganze ruckzuck für zehn Mäuse an jeden, der verspricht, herzuziehen und Leute einzustellen.«

»Und die Stromrechnung zu bezahlen?«

»Versteht sich.«

»Wer könnte das sein?«

Die Antwort darauf blieb Julia Bäck ihrer Empfangsdame schuldig.

Die Bürgermeisterin und der Fisch ohne Namen

Eine einstweilen sehr ratlose Bürgermeisterin ließ ihren ersten Arbeitstag auf dem Sofa im heimischen Wohnzimmer ausklingen – in Jogginghose, ein Glas Roten auf dem Couchtisch, Laptop auf dem Schoß –, während ihr Haustier, ein Guppy, einsam in dem kleinen Aquarium auf einem Wandbord seine Bahnen schwamm.

Julia googelte nach denkbaren Firmen, die bereit sein könnten, sich in Halstaholm niederzulassen.

»Apropos Google, Fisch«, sagte sie zu dem namenlosen Guppy. »Wie wäre es mit einem skandinavischen Google-Standort hier bei uns? Aber stellen die überhaupt Leute ein, die älter als neunzehn sind? Und was fangen fünfhundert Neunzehnjährige nach Feierabend in Halstaholm an? In der Pizzeria gibt es doch höchstens zwanzig Stühle? Und nicht mal einen Flipperautomaten oder Kicker.«

Der Guppy antwortete nicht.

Julia googelte weiter.

»Ikea?«, sagte sie. »Dafür haben wir vielleicht nicht so ganz den Kundenstamm, oder was meinst du? Da müsste wohl jeder Halstaholmer ein neues Billy-Regal am Tag kaufen. Und wenn man bedenkt, dass sie sich nicht mal Geranien zu neun Kronen das Stück leisten …«

Der Guppy blieb so stumm wie zuvor.

Julia setzte ihre Suche fort. Da fiel ihr plötzlich eine Schlagzeile in der überregionalen Zeitung Dagens Nyheter ins Auge:

Kommt deutscherMega-Konzern nachStockholm?

Der deutsche Multimilliarden-Konzern Traumbett