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In 'Der Waldläufer' von Karl May begleiten wir den Protagonisten Fred de Montfaucon auf seinen Abenteuern im Wilden Westen Amerikas. Das Buch ist voller spannender Begegnungen mit Indianern, Banditen und anderen unheimlichen Gestalten, die Freds Mut und Intelligenz auf die Probe stellen. Karl May bedient sich einer bildhaften und detailreichen Sprache, die es dem Leser ermöglicht, sich mitten in die Action zu versetzen. Mit seinem Werk schafft May eine einzigartige Kombination aus Abenteuer und Charakterentwicklung, die im literarischen Kontext seiner Zeit als Meisterwerk angesehen wird. Karl May, selbst nie im Wilden Westen gewesen, wurde dennoch durch seine Fantasie und seine umfassenden Recherchen inspiriert, 'Der Waldläufer' zu schreiben. Als einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts war May für seine Abenteuergeschichten berühmt. Seine Fähigkeit, exotische und ferne Orte lebendig werden zu lassen, faszinierte Leser weltweit und machte ihn zu einem Bestseller-Autor. 'Der Waldläufer' ist ein Buch, das Abenteuerliebhaber und Geschichtsenthusiasten gleichermaßen begeistern wird. Die fesselnde Erzählung und die vielschichtigen Charaktere bieten sowohl Unterhaltung als auch tiefergehende Einblicke in das Leben im Wilden Westen. Karl Mays Werk ist zeitlos und 'Der Waldläufer' bleibt ein Klassiker, der Leser jeden Alters anspricht.
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Books
Inhaltsverzeichnis
Da, wo sich der jedem Seefahrer als ›Matrosenfriedhof‹ bekannte Meerbusen von Biskaya zwischen Frankreich und der Pyrenäen-Halbinsel einschiebt, liegt an der spanischen Nordküste der kleine Hafen Elanchove. Anmutig und wuchtig zugleich steigt das Land terrassenförmig empor, vor den gefräßigen Fluten des Meeres durch einen aus Quadersteinen errichteten Damm geschützt, von dem aus man die sich stufenartig erhebenden Felsen ersteigt, um in die einzige Straße zu gelangen, die einer ungeheuren, von der Natur gleichsam für gigantische Wesen errichteten Treppe gleicht und so das Dorf Elanchove bildet.
Auf der höchsten Spitze des Felsengürtels erhebt sich ein verwittertes Schloß, das mit seinen Schieferdächern und gotischen Wetterfahnen weit hinaus über die See blickt und dem alten, reichen Geschlecht der Mediana gehört.
Schon seit langer Zeit hatten die Grafen von Mediana dieses in so wilder und einsamer Gegend liegende Schloß nicht mehr bewohnt, sondern ihren Aufenthalt fast nur noch in Madrid gehabt, wo sie von ihren militärischen Pflichten in der Nähe des Königs gehalten wurden. Zur Zeit, als die Heere Napoleons Spanien überschwemmten, diente Juan de Mediana, der ältere von zwei Brüdern, als höherer Offizier in der Armee. Don Antonio, der jüngere Bruder, hatte eine Stellung bei der Marine angenommen, war aber auf einer Expedition nach den spanischen Besitzungen in Mittelamerika spurlos verschwunden. Weil man auch von seinem Schiff nicht mehr das geringste vernahm, hatte sich bald das Gerücht von seinem Tode verbreitet, ohne jedoch durch eine zuverlässige Kunde bestätigt worden zu sein.
Die siegreichen Legionen des französischen Imperators rückten von Provinz zu Provinz; der Krieg entwickelte sich in all seiner leidenschaftlichen Unversöhnlichkeit, und die spanische Regierung sah sich zu den größten Anstrengungen gezwungen, den kühnen Eroberern Einhalt zu tun. Auch Graf Juan de Mediana erhielt die Weisung, mit seinem Kommando am Verteidigungskampf teilzunehmen. Bevor er jedoch zur Armee abging, brachte er Doña Luisa, seine Frau, und den kleinen Fabian, sein einziges Kind, nach Schloß Elanchove, wo er beide in der Einsamkeit dieser abgelegenen Gegend vor jeder Fährlichkeit sicher glaubte, und vertraute sie der besonderen Obhut seines Verwalters Don Juan de Diaz an, – bis zu seiner Rückkehr, wie er sagte. Aber er kam nicht mehr zurück, um die beiden Geliebten abzuholen, denn eine französische Kugel streckte ihn in einem der Kämpfe, die der Schlacht von Burgos vorausgingen, zu Boden.
Von jetzt an bewohnte Doña Luisa mit ihrem Liebling ganz allein Schloß Elanchove und trauerte um den Tod des Gatten, den ihr ein so grausames Schicksal entrissen hatte. Mit mütterlicher Sorgfalt wachte sie über das Wohl des kleinen Fabian, der, wie sie nicht anders wußte und glaubte, nun der Letzte seines Stammes war.
Die Einwohner des Dorfes sind meist Fischer und während des ganzen Tages nicht daheim. Daher erscheint Elanchove auf den ersten Blick unbewohnt und verlassen. Allein zuweilen steigt von den kaminlosen Dächern der Häuser Rauch empor, der anzeigt, daß die Hausfrauen für die heimkehrenden Gatten und Söhne die Mahlzeit bereiten, und dann erscheint öfter ein Gesicht am kleinen Fenster oder eine weibliche Gestalt im grellfarbigen Rock und mit lang herabhängenden Zöpfen vor der Tür, um auszuschauen, ob die Erwarteten ihre Kähne nach der Küste gelenkt haben. Das einförmige, lautarme Leben auf der Höhe, verbunden mit dem brandenden Getöse der Wogen in der Tiefe gibt Elanchove einen Anstrich tiefer Melancholie, der durch die Armseligkeit der mit Sand und Stürmen kämpfenden Vegetation eher vermehrt als vermindert wird.
Bei seiner einsamen Lage an der Küste von Biskaya hatte der Hafen von Elanchove, wie man sich leicht denken kann, eine zahlreiche, aus Miqueletes bestehende Besatzung. Diese Milizsoldaten befanden sich nicht in der angenehmsten Lage. Die spanische Regierung verweigerte ihnen zwar keineswegs den Sold, vergaß aber beständig, ihn auszuzahlen. Die Folge davon war, daß sich die Aufmerksamkeit der Besseren von ihnen verdoppelte, durch die Beschlagnahme von Schmuggelgütern sich von Zeit zu Zeit eine Prämie zu verdienen. Die weniger gewissenhaften unter den Zollbeamten aber machten mit den Contrabandistas gemeinschaftliche Sache, um mit ihnen die Früchte des verbotenen Handwerks zu teilen. Daher entwickelten alle, vom Hauptmann der Carabineros an bis zum geringsten Miquelete herab, eine unermüdliche Tätigkeit, wobei sich natürlich ihre heimlichen Interessen feindselig gegenüberstanden, so daß sie alle List und Schlauheit anwenden mußten, einander den Vorteil aus der Hand zu ringen.
Unter diesen Küstenwächtern gab es einen, dem der Schleichhandel vollständig gleichgültig war; er ging sogar soweit, zu behaupten, ein Schmuggel sei in Elanchove ganz unmöglich und völlig undenkbar. Man wußte, daß er auf seinem Posten beständig einschlief, und nannte ihn daher nicht anders als den ›Schläfer‹, ein Name, dem er so oft und viel wie möglich Ehre zu machen suchte.
Er hieß Pepe und war ein Kerl von fünfundzwanzig Jahren, groß, mager, sehnig und überaus stark. Seine schwarzen, tief unter dichten Brauen verborgenen Augen blickten ungewöhnlich teilnahmslos in die Welt, doch konnten sie, wenn er sich unbeobachtet wußte, auch Blitze werfen, die man ihnen sonst nicht zugetraut hätte. Seine Züge hatten ein durchaus schläfriges Aussehen, und sein Gang, seine ganze Haltung war die eines Mannes, der gleichmütig Gottes Wasser über Gottes Land laufen läßt. Erschien bei allen Anzeichen eines rüstigen Körpers und einer feurigen Seele der faulste und lahmste Mensch der Erde zu sein; beständig in seiner Hängematte liegend, schlief er Tag für Tag zwanzig Stunden und dachte, wenn er erwachte und sich eine Zigarette anbrannte, mit Entzücken daran, daß er bald wieder einschlafen werde.
Man hätte denken sollen, daß sein Vorgesetzter, der Hauptmann Don Lucas Despierto, über diesen Mangel an Pflichteifer höchst erzürnt sein werde; dies traf aber nicht zu und hatte wohl auch seine guten Gründe. Don Lucas hatte auf seinem Bestallungsdekret zwar ein beträchtliches Gehalt verzeichnet, von diesem jedoch, gerade wie seine Untergebenen, seit mehreren Jahren nicht die mindeste Spur in seiner Tasche bemerkt, und da sich die Finanzen des Reiches in den allermißlichsten Verhältnissen befanden, so gab es auch keine Hoffnung, jemals etwas ausgezahlt zu erhalten. Daher philosophierte er folgendermaßen: ›Beißt den König sein Gewissen nicht, wenn ich trotz meines Amtes verhungere, so beißt mich auch das meinige nicht, wenn ich trotz dieses Amtes zu leben suche. Ich soll an der Küste aufpassen und darben –; gut, ich werde meine Augen offenhalten und dabei Geld verdienen. Meine Carabineros dürfen freilich nicht das mindeste davon merken, sonst könnte ich um die schöne Anstellung kommen, und ein Amt ohne Gehalt ist immerhin besser als gar nichts. Der gescheiteste von allen Miqueletes ist doch dieser brave Pepe. Er verschläft den Hunger und wird sich nie darum kümmern, ob sein Hauptmann Privatgeschäfte macht. Ich kann mich auf ihn und seine Schlafsucht vollständig verlassen und werde ihn stets dahin stellen, wo ich keine Augen brauche!‹ – Pepe war damit durchaus einverstanden und gab sich nicht die geringste Mühe, seine dienstliche Befähigung in einem helleren Licht erscheinen zu lassen. Auch das hatte vielleicht seine guten Gründe.
Eines Abends lehnte er an seiner Tür und lauschte den nimmer ruhenden Stimmen der Natur. Ein dichter Novembernebel lag auf der See und bot im Verein mit der nächtlichen Dunkelheit dem Auge unüberwindliche Hindernisse dar. Pepe hatte in der Dämmerung ganz draußen am Horizont ein Segel bemerkt, das zu kreuzen und also die Nacht abzuwarten schien, um unbemerkt an der Küste anlegen zu können.
Da erklangen Schritte, und sofort schlossen sich Pepes Augen, sein Kopf neigte sich auf die Brust herab, und seinem halbgeöffneten Mund entquollen jene wundervollen Töne, die der musikalische Laie mit dem häßlichen Worte ›Schnarchen‹ bezeichnet. Der Nahende war ein Kamerad.
»Pepe!« rief er, als er den Schläfer erkannte.
Der Angeredete antwortete mit einem kurzen Grunzen.
»Pepe, wach auf, altes Murmeltier!«
»Wo – wie – wa – was?« fragte jetzt der Miquelete, wobei es schien, als erwache er aus tiefstem Schlaf.
»Por Dios, der Kerl schläft sogar im Stehen, grad wie ein steifbeiniges Maultier, das sich nicht mehr legen kann! Reib dir die Augen aus und mach dich von hinnen; der Hauptmann will sofort mit dir sprechen!«
»Der Hauptmann?« klang es mitten aus einem entsetzlichen Gähnen heraus.
»Ja, der Hauptmann Don Lucas Despierto.«
»So, der Hauptmann. Wie herrlich wäre es, wenn der Mensch schlafen könnte, ohne so oft aufwachen zu müssen! Geh, ich werde sehen, ob ich kommen kann!«
»Kommen kann? Kann? Du mußt, sage ich dir; der Dienst ruft, verstehst du, und der geht über den Schlaf!«
»Gut, daß du mich daran erinnerst. Ich werde also kommen.«
Er trat in die Hütte, um seine Mütze zu holen, während der Kamerad sich schnell entfernte. Als er sich wieder allein wußte, reckte sich seine schläfrig zusammengesunkene Gestalt empor, und seine verschleierten Augen bekamen jenen Glanz, den man nur bei heißblütigen und entschlossenen Charakteren bemerkt.
»Er hat wirklich geglaubt, ich schlafe im Stehen; Santa Lauretta, sind diese Menschen leichtgläubig! Was kommt den Hauptmann an, daß er mich rufen läßt? Hat sein Beutel schon wieder Ebbe, und soll ihm etwa mit dem Segel da draußen die Flut kommen? Ich werde das bald erfahren«
Er begab sich nach der Wohnung seines Vorgesetzten. Diesem ging offenbar etwas im Kopf herum, denn er war so in Gedanken versunken, daß er den Eintritt des ›Schläfers‹ gar nicht bemerkte.
Pepe lehnte sich an die Wand und schloß die Augen, hatte aber recht wohl ein zusammengefaltetes Papier bemerkt, das am Boden lag und jedenfalls schon in irgendeiner Tasche herumgetragen worden war. Ein scharfer Blick unter den gesenkten Lidern hervor auf den Hauptmann, der ihm den Rücken zukehrte, zeigte ihm, daß er es wagen könne. Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte er das Papier aufgehoben, und unter dem Mantel verborgen; dann fiel er wieder in seine scheinbare Gleichgültigkeit zurück. Er sagte sich im stillen, daß es doch schade sei, ein Papier liegen zu lassen, das seinen Wert haben müsse, da man es bisher aufbewahrt hatte.
Da drehte sich der Hauptmann um und bemerkte ihn.
»Holla, Pepe, schläfst du?«
Der Miquelete stieß einen tiefen Seufzer aus und schlug die Augen auf.
»Hier bin ich, Herr Hauptmann«, antwortete er, ehrerbietig salutierend. »Ich glaube, Sie haben mich rufen lassen?«
»Du glaubst es? Wahrhaftig, der Mensch ist im vollen Schlaf herbeigelaufen und weiß nicht genau, ob er gewacht oder geträumt hat!«
»Ich komme auch im Traum, Herr Hauptmann, – ein Beweis von Gehorsam, wie ihn kein anderer zu führen vermag.«
»Richtig!« lachte Don Lucas. »Doch laß uns zur Sache kommen! Es sind schlechte Zeiten, nicht wahr, Pepe?«
»Es ist mir, als hätte ich davon sprechen hören.«
»Es ist dir so? Ja, das Elend der jetzigen Zeiten hat über dich nur halbe Macht: du schläfst beständig.«
Pepe unterdrückte ein Gähnen.
»Wenn ich schlafe, habe ich keinen Hunger. Und dann träumt es mir auch zuweilen, daß die Regierung mir meinen Sold bezahlt.«
»Dann bist du glücklicherweise nur einen kurzen Teil des Tages ihr Gläubiger. Aber weißt du auch, daß der immerwährende Schlaf eigentlich schlecht zu den Obliegenheiten eines Miquelete paßt?«
»Ah? Wieso?«
»Ein Küstenwächter muß vor allen Dingen wachsam sein. Man spricht täglich immer mehr von deiner Trägheit, und es kann gar leicht so weit kommen, daß du als ein unnützer Diener aus dem Amt gejagt wirst. Es wäre recht traurig, wenn du ganz ohne Dienst wärst!«
»Ganz fürchterlich, Herr Hauptmann!« stimmte Pepe mit außerordentlicher Gutmütigkeit bei. »Ich sterbe beim Dienst schon vor Hunger; wie soll es dann werden, wenn ich gar keinen mehr habe!«
»Das wäre noch schrecklicher als der dienstliche Hungertod. Aber ich will dich vor einem solchen Elend bewahren und dir heute einen Beweis meines Vertrauens geben, der dir deinen Ruf wieder herstellen wird.«
»Tun Sie das, Herr Hauptmann«, meinte Pepe, während er Papier und Tabak hervorzog und sich gemächlich eine Zigarette drehte. »Ein solches Vertrauen ist beinahe ebenso erquickend wie ein kleiner Schlummer!«
»Du wirst für heute nacht einen Posten beziehen, den ich nur dem zuverlässigsten meiner Leute anvertrauen kann. Du bist bisher noch niemals hinkommandiert worden, und ich hoffe sehr, daß du deine Pflicht mit vollem Eifer erfüllst!«
»Santa Lauretta! Als ob sich das nicht ganz von selbst verstände! Wo ist es?«
»In der Ensenada.«
»In der Bucht? Schön! Was soll ich dort tun?«
»Vor allen Dingen auf deinem Posten nicht schlafen!«
»Ich werde das sehr versuchen, obgleich ich schon seit drei Stunden kein Auge zugetan habe, Herr Hauptmann! Und dann?«
Don Lucas gab ihm seine Verhaltungsbefehle in so verworrener Weise, daß selbst der beste Scharfsinn ihnen nichts zu entnehmen vermocht hätte, fragte jedoch am Schluß:
»Du hast doch alles genau verstanden, Pepe?«
»Ganz genau!« versicherte der Miquelete, hatte aber alle Mühe, die schweren Augenlider offenzuhalten.
»Und nimm vor allen Dingen die Laterne mit, damit ich dich in der Dunkelheit finde, wenn ich inspizieren komme. Jetzt kannst du gehen!«
Pepe rührte sich trotz dieses Befehls nicht von der Stelle; die Lider waren ihm doch noch zugefallen. Der Hauptmann schüttelte ihn am Arm.
»Hast du nicht gehört? Du kannst gehen!«
Der Miquelete raffte sich zusammen.
»Schön, Herr Hauptmann!«
Er schob sich schleppenden Schrittes zur Tür hinaus; Don Lucas aber rieb sich mit zufriedener Miene die Hände.
»Dieser Kerl ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Hätte ich ihn eigens für meine Bedürfnisse geschaffen, so hätte es mir nicht besser gelingen können. Er wird schlafen und schnarchen wie ein Rhinozeros, und ich werde einige Hände voll Dublonen einstecken dürfen!«
Auch Pepe hielt ein Selbstgespräch, als er die Wohnung des Hauptmanns verlassen hatte.
»Santa Lauretta, die Sache ist ganz so, wie ich sie mir gedacht hatte! Don Lucas hat in der Bucht zu tun, jedenfalls irgendeine geldbringende Heimlichkeit, und da ein anderer wachen und ihn stören würde, so gibt er mir den Posten. Gut, mein bester Don Lucas, ich werde schlafen, aber nur so lange, wie es mir angebracht erscheint. Und einen Blick in den Brief werde ich nun auch werfen, vielleicht, daß er mir einigen Aufschluß gibt. Es ist nichts so vorteilhaft, wie zu schlafen, wenn man eigentlich amtlich zu wachen hätte!«
Mit schnellem, elastischem Schritt kehrte er in seine Hütte zurück, wo er die Lampe anbrannte und das Papier hervorzog. Er hatte Lesen gelernt, was keiner seiner Kameraden von sich rühmen konnte, hielt aber diese Fertigkeit möglichst geheim. Der Brief entsprach seiner Erwartung vollständig.
»Richtig! Das Schiff ist die Brigg ›Esmeralda‹, deren Kapitän sich nicht nennt. Er will die Erlaubnis, mit einigen seiner Leute um zehn Uhr in der Ensenada mit einem Boot landen zu dürfen, mit vierzig Goldstücken bezahlen und bittet um ein Licht, das ihm als Zeichen dienen soll. Darum also befahl der Hauptmann, daß ich die Laterne mitnehmen soll! Der Brief ist ihm jedenfalls durch einen Matrosen der ›Esmeralda‹ zugestellt worden und konnte in gar keine besseren Hände kommen! Herr Kapitän, die Regierung zahlt mir keinen Sold; Sie werden Ihren Beutel dem König zur Verfügung stellen müssen!«
Die kleine Bucht, die ›Ensenada‹ genannt wurde und soeben der Wachsamkeit Pepes anvertraut worden war, lag so versteckt zwischen den Felsen, daß sie eigens dazu geschaffen schien, jenen Schleichhandel zu begünstigen, der mit dem Dolch im Gürtel und der sicher treffenden Büchse in der Faust an der Küste Spaniens betrieben wird. Infolge der einsamen Stellung war jener Posten nicht ohne Gefahr. Die Dünste des Meeres hingen in der nebeligen Novembernacht wie eine dichte Decke in der Atmosphäre, benahmen einem gewöhnlichen Auge jede Möglichkeit, etwas zu sehen, und dämpften den Laut der Stimme, die vielleicht Veranlassung hatte, um Hilfe zu rufen.
Pepe lud seinen Karabiner, steckte das Messer in den Gürtel, brannte seine Blendlaterne an und trat hinaus in die Finsternis, um sich auf seinen Posten zu begeben. Wer den schläfrigen, stets müden Miquelete jetzt gesehen hätte, würde ihn wohl kaum wiedererkannt haben, so fest und sicher waren seine sonst so schwerfälligen Schritte, so elastisch und gewandt seine Bewegungen und so aufrecht und stramm hielt er seine gewöhnlich schlaff zusammengeknickte Gestalt.
Es mochte neun Uhr vorüber sein. Die Nacht war still, finster und kalt. Nicht das geringste Geräusch ließ sich vom Dorf her vernehmen, und nur das dumpfe Branden des Ozeans, der rast- und ruhelos unten gegen die Felsdämme anbrauste, störte das Schweigen der Natur. Kein Stern ließ sich am Himmel sehen; das einzige Licht kam aus der Laterne des Miquelete, der jetzt in der Bucht angelangt war und sich durch vorsichtiges Umherleuchten überzeugte, daß er allein war.
Er stellte die Laterne so, daß ihr Strahl hinaus auf die See und auf den nach dem Dorfe führenden Hohlweg fiel, und legte sich einige Schritte davon, in seinen Mantel gehüllt, auf dem Boden nieder, so daß der Weg und Bucht übersehen konnte.
»Herr Hauptmann«, murmelte er vergnügt, »Sie vertrauen wahrhaftig den Leuten, die immer schlafen, ein wenig zu viel; Ihnen scheint sehr daran zu liegen, daß ich ein Schläfchen mache. Gut, überzeugen Sie sich, daß ich gehorsam bin!«
Wohl eine halbe Stunde lang blieb Pepe allein, hing seinen Gedanken nach und beobachtete die Bucht und den Hohlweg mit größter Genauigkeit. Er hatte ein Auge wie selten einer und wußte, daß ihm nicht das geringste entgehen werde.
Nach Verlauf dieser Zeit hörte er den Sand des Fußweges leise knirschen, und es erschien in dem von der Laterne ausgehenden Lichtkegel eine dunkle Gestalt, in der er den ehrenwerten Don Lucas erkannte. Sofort schloß er die Augen, öffnete den Mund und ließ jene Töne vernehmen, die die Folge einer unbequemen Lage während des Schlafes sind.
Der Hauptmann näherte sich und beugte sich zu ihm nieder.
»Pepe!« rief er halblaut.
Dem Miquelete fiel es nicht ein zu antworten.
»Pepe!« rief der Hauptmann zum zweitenmal, und zwar etwas lauter.
Der Angerufene schnarchte ruhig weiter. Don Lucas stand eine Weile unentschlossen und abwartend da, dann schien er jedoch zufriedengestellt, und bald verlor sich das Geräusch seiner Schritte in der Ferne.
»Fort!« meinte jetzt Pepe, während er sich emporrichtete. »Ich müßte mich schon sehr ungeschickt benehmen, wenn es mir nicht gelänge, da etwas zu fischen, wo auch der Hauptmann sein Netz ausgeworfen hat!«
Er kroch vorsichtig dem Rand der steilen Böschung zu, unterhalb derer der schmale Strand lag, und legte sich hier hinter dichten Grasbüscheln auf die Lauer. Statt seine Augen vergeblich anzustrengen, konzentrierte er die ganze Kraft und Schärfe seiner Sinne auf das Gehör.
Da drang ein schwaches Geräusch über die Oberfläche des Wassers zu ihm hin, und einige Augenblicke später unterschied er deutlich das leise Rauschen umwundener Ruder und das geschwächte Knarren der Dollen, an denen sich die Ruderstangen rieben. Ein schwarzer Punkt zeichnete sich auf dem fahlen Nebel ab, wurde von Sekunde zu Sekunde größer und enthüllte sich schließlich als ein Boot, dem eine weiße Schaumfurche folgte. Es hielt auf das Ufer der Bucht zu und landete.
»Señor Despierto!« rief eine gedämpfte Stimme.
»Hier!«
Die Gestalt des Hauptmanns richtete sich ganz in der Nähe des Fahrzeugs vom Boden auf, wo sie bis jetzt nicht zu erkennen gewesen war.
»Ist alles sicher?«
»Alles sicher.«
»Seid Ihr allein?«
»Droben bei der Laterne liegt einer meiner Carabineros; er schläft wie ein Toter. Ich muß, wenn ich mich nicht verraten will, die Ensenada besetzen und habe dies mit einem Mann getan, der an unheilbarer Schlafsucht leidet.«
»Gut, hier habt Ihr die vierzig Goldstücke! Nun aber sorgt dafür, daß ich ungestört bleibe. Ihr zieht Euch in das Dorf zurück, gebt mir aber vorher ein Zeichen, daß der Mann auch wirklich schläft.«
»Ganz wie Ihr wollt, Señor Capitán. Ich werde den Ruf der Möwe nachahmen; dann seid Ihr völlig sicher!«
Pepe vernahm noch das Klingen des Goldes und eilte dann schleunigst nach der Stelle zurück, an der er vorher gelegen hatte. Es verging auch keine Minute, so stand der Hauptmann wieder vor ihm.
»Pepe!«
Er schnarchte, rührte sich aber nicht. Don Lucas berührte seinen Arm.
»Pepe, steh auf!«
Der Miquelete ließ sich nicht zur geringsten Bewegung verführen, und sein Vorgesetzter entfernte sich. Als der verabredete Ruf erscholl, lag der Küstenwächter bereits wieder an der Böschung und beobachtete den Kahn. Es befanden sich nur drei Männer darin, von denen noch keiner ausgestiegen war. Ihre Kleidung glich jedoch in keiner Weise derjenigen, die Schleichhändler zu tragen pflegen.
»Oh«, flüsterte Pepe erstaunt, »nicht ein einziger Warenballen ist im Boot! Sollten es etwa keine Schmuggler sein? Was hätten sie dann aber vor?«
»Steigt aus; wir sind jetzt sicher!« ließ sich da einer von den dreien mit einer Stimme vernehmen, der man es anhörte, daß sie zu befehlen gewohnt war. »Ihr geht hier am Wasser entlang und steigt in der Spalte empor, die zum Balkon führt. Ich muß wissen, ob man noch wach ist!«
Die beiden Männer verließen das Boot und entfernten sich. Pepe sah dabei, daß ihr Anzug dem der Korsaren glich; ihre Gesichtszüge vermochte er unter den baskischen Mützen nicht zu unterscheiden. Der im Boot zurückgebliebene Mann hatte sich eng in den Mantel gehüllt und hielt den Blick auf die hohe See gerichtet, so daß er die Gestalt Pepes nicht bemerkte, der sich jetzt langsam aufrichtete und mit dem Auge die Entfernung maß, die ihn vom flachen Ufer trennte. Da machte der Fremde eine Bewegung, um sich nach der Landseite hinzuwenden, und in demselben Augenblick sprang der gewandte Miquelete mit einem tigerartigen Satz zu ihm hinab. Ehe der Überraschte nur einen Laut auszustoßen vermochte, setzte er ihm die Mündung des Karabiners auf die Brust.
»Kein Laut und keine Bewegung, Señor, sonst sind Sie ein Kind des Todes!«
»Wer bist du?« fragte der Überfallene, wobei er mit funkelnden Augen die drohende Haltung seines Feindes maß.
»Wer ich bin? Wer denn anders als Pepe, der da droben liegt und wie ein Toter schläft. Die Möwe ist kein Vogel, auf den man sich verlassen kann!«
»So hat mich Don Lucas Despierto betrogen? Wehe ihm!«
»Er Sie betrogen? Fällt ihm gar nicht ein! Ich handle hier nur nach meinem eigenen Ermessen. Er ist ganz unfähig, euch zu täuschen, wie die vierzig Unzen beweisen, die er mit nach Hause nimmt.«
»So hältst du uns für Schleichhändler?«
»Nein. Sie haben ja überhaupt keine Ware bei sich, man müßte denn die Strickleiter, die hier auf der Ruderbank liegt, als eine Musterprobe ansehen. Ich halte Sie vielmehr für einen Herrn, der in der Ensenada eine Promenade machen will, um sich die Beine ein wenig zu vertreten, und da ich dies eigentlich nicht zugeben darf, so schmeichle ich mir, daß sich noch einige Unzen in Ihrer Tasche befinden.«
»Ah so! Wieviel willst du?«
»Sie haben dem Hauptmann vierzig Unzen gegeben!«
»Zwanzig!«
»Ich an Ihrer Stelle hätte vorgezogen, vierzig zu sagen, weil dies die wirkliche Summe ist und –«
»Zwanzig, sage ich dir!«
»Gut, ich bin rücksichtsvoll und werde nicht lange mit Ihnen streiten. Also zwanzig hat der Hauptmann bekommen! Ich will nicht unbescheiden sein: er ist Offizier, und ich bin nur Soldat; hätten Sie ihm vierzig gegeben, so könnte ich mich mit zwanzig begnügen; da er aber nur zwanzig bekommen hat, so muß ich die vierzig verlangen!«
»Schurke!«
Der Fremde war ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren. Er hatte den bräunlichen Teint des Seemanns; dichte, dunkle Augenbrauen begrenzten eine knochige Stirn; die Augen, die düster in ihren Höhlen brannten, zeigten unversöhnliche Leidenschaftlichkeit; der nach unten gekrümmte Mund bekundete ein höhnisch-stolzes Wesen, und die trotz des jugendlichen Alters stark markierten Wangenfalten verliehen dem Gesicht eine hochmütigen, verächtlichen Ausdruck. Rachsucht und Ehrgeiz schienen die vorherrschenden Neigungen dieses Mannes zu sein. Nur die dunklen, gelockten Haare milderten die Kälte und Strenge dieser Züge ein wenig. Was die Kleidung betrifft, so bestand sie in der Uniform eines Offiziers der spanischen Marine. Bei seinem letzten Ausruf blitzten seine Augen drohend empor und er machte eine Bewegung, als wollte er aufspringen.
»Bleiben Sie sitzen, Señor, sonst bekommen Sie die Kugel! Den ›Schurken‹ will ich nicht gehört haben, aber sagen Sie das Wort nicht zum zweitenmal, denn ich bekümmere mich auch nicht darum, zu welcher Gattung von Menschenkindern Sie gehören! Vierzig Unzen also, Señor!«
»Ich habe sie nicht bei mir!«
»Das tut mir leid um Ihretwillen, denn dann muß ich Sie als verdächtig festnehmen!«
»Warte, bis meine Leute kommen, mit deren Hilfe ich die Summe vielleicht zusammenbringen werde!«
»Ich habe nicht die mindeste Lust, mit den beiden Menschen handgemein zu werden. Steigen Sie aus und folgen Sie mir! Ich stehe hier auf Posten und habe jede mir verdächtig erscheinende Person abzuliefern.«
»Also, wenn ich zahle, so kann ich tun, was mir beliebt?«
»Vierzig Unzen!«
»Ich habe sie wirklich nicht bei mir, aber hier ist ein Ring, der das Fünffache wert ist!«
Er streifte einen Reif von seinem Finger und bot ihn dem Miquelete hin; dieser nahm und untersuchte ihn; er schien unschlüssig zu sein.
»Nimm ihn und pack dich!« rief der Kapitän zornig.
»Ich will es riskieren und nehme ihn für vierzig Unzen an.«
»Und nun bist du taub, blind und stumm?«
»Soweit ich es fertigbringe, ja, vorausgesetzt, daß Sie Ihre Angelegenheit in der Weise ordnen, daß ich nicht hören, sehen und reden muß!«
Pepe begab sich ohne ein weiteres Wort zu seiner Laterne zurück, in deren Schein er den Brillanten funkeln ließ.
»Ich bin kein Kenner von solchen Dingen, aber ich glaube, daß ich ein besseres Geschäft gemacht habe, als der ehrenwerte Don Lucas Despierto. Ist dieser Stein echt, so will ich der Regierung des allerchristlichen Königreiches gern den rückständigen Sold schenken, obgleich ich gezwungen bin, schon morgen früh über die nichtbezahlte Löhnung so laut zu schreien, daß jedermann glauben muß, ich sei dem Hungertod nahe.«
Er streckte sich nieder und schien zu schlafen, ein aufmerksamer Beobachter aber hätte bemerkt, daß er in der linken Faust das Messer hielt, während die rechte den Karabiner umklammerte, – ein sicherer Beweis, daß er keine Veranlassung zu haben glaubte, dem Kapitän mit seinen beiden Leuten ein allzu großes Vertrauen zu schenken.
Indessen saß der Kapitän noch immer im Boot und erwartete die Meldung, die ihn zum Aufbruch veranlassen sollte. Da vernahm er leise, schleichende Schritte, die sich ihm näherten.
»José?«
»Capitán!«
»Du bist's! Nun?«
»Alles nach Wunsch. Die Doña wacht noch, und der Knabe schläft in der Wiege.«
»So nimm die Strickleiter und komm!«
Er stieg aus dem Boot, warf dem Mann die Leiter zu und schritt voran, immer am Wasser entlang, bis er an eine Felsenrinne gelangte, die zur Höhe führte. Trotz der Dunkelheit kletterte er bis zum Schloß empor und erreichte die Höhe an einer Stelle, über der sich ein Balkon befand, der auf massiven steinernen Trägern ruhte. Er blickte empor und gewahrte seinen zweiten Gehilfen, der auf ihn gewartet hatte.
»Fang die Leiter auf, Juan, und befestige sie an der Balustrade!«
Dem Befehl wurde lautlos Folge geleistet; dann erstieg er den Balkon und blickte durch die breite Glastür in ein Zimmer, das so groß war, daß die auf einem Sockel stehende Lampe nur eine spärliche Helle verbreitete.
An einer Wiege saß eine junge, wunderschöne Frau und blickte mit liebestrahlenden Augen auf den Knaben, der darin schlummerte. Ein Faustschlag zertrümmerte das Glas, und im nächsten Augenblick stand der Kapitän im Zimmer. Die junge Frau war erschrocken aufgesprungen und starrte ihn an wie ein Gespenst, das Furcht und Entsetzen mit sich bringt.
»Mein Gott, wer seid Ihr, was wollt Ihr?«
»Wer ich bin? Kennt Doña Luisa ihren Schwager nicht?«
»Ihren –! Heilige Mutter Gottes, ja, er ist's, Ihr seid es, Don Antonio, den wir alle tot geglaubt haben!«
Die Gräfin befand sich in einer unbeschreiblichen Aufregung; der Graf blickte ihr mit einem ruhigen, höhnischen Lächeln in das bleiche Angesicht.
»Tot geglaubt, Frau Schwägerin, ja; aber das Schicksal hat es nicht ganz so schlimm mit mir gemeint, wie Ihr dachtet. Ich lebe noch und muß Euch um Verzeihung bitten, daß ich den Versuch wage, Euch von meinem Dasein zu überzeugen.«
»Dann danke ich Gott mit Euch, der Euch so gnädig beschützt und glücklich zurückgeführt hat! Aber sagt, wo Ihr Euch bisher befunden habt, da nicht die geringste Kunde von Euch zu uns gelangte!«
»Ich war nach Kuba beordert, wurde aber von einer französischen Flotte eingeholt und geentert. Der Widerstand war vergebens, man brachte mich nach Martinique, wo es mir später gelang, mich mit verschiedenen Leidensgefährten einer dort vor Anker liegenden Brigg zu bemächtigen, deren Bemannung wir niederstießen, um dann in See zu gehen. Von da an kreuzte ich in den Gewässern von Mittel- und Südamerika, machte manchen guten Fang und kehre nun zurück, um die Früchte meines Seeglücks zu genießen.«
»Ich heiße Euch herzlich willkommen in der Heimat, Don Antonio! Aber warum kommt Ihr zu so ungewöhnlicher Stunde und auf einem so auffälligen Wege nach Schloß Elanchove?«
»Erratet Ihr dies nicht meine teure Doña?«
Sie blickte bei dem Ton dieser Worte mit schärferem Auge in sein Gesicht, und unwillkürlich erbebte sie, als sie darauf nur Haß und Tücke geschrieben fand.
»Was soll ich raten, Don Antonio?«
»Daß Ihr mir im Wege seid, Ihr und der Knabe hier, der mir mein Erbe nimmt, das mich zum reichsten Mann des Königreichs machen würde, wenn mein Bruder sich nicht von Eurer Stimme hätte betören lassen. Ich bin gewohnt, den Besitz der Mediana als den meinigen anzusehen und werde keinen Augenblick lang von dieser Gewohnheit lassen.«
»Höre ich recht! Ist es möglich, daß –«
»Ihr hört ganz recht«, fiel er ihr in die Rede, »und alles ist möglich, wenn ich es will. Ich komme zu so später Stunde und auf diesem ungewöhnlichen Wege zu Euch, um am hellen Tag als der einzige Mediana meinen Einzug auf Schloß Elanchove halten zu können. Was mir im Wege ist, trete ich unter die Füße, und Ihr seid mir im Wege, Ihr und Euer Kind!«
Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an; sie konnte nur schwer begreifen, welche Absicht ihn, den Bruder ihres verstorbenen Mannes, zu ihr führte; dann aber zog es blitzschnell durch ihre Seele, daß sie sich und ihren kleinen Fabian zu schützen habe, und mit einigen raschen Schritten eilte sie zur Klingel. Aber ehe sie den Glockenzug in Bewegung zu setzen vermochte, stand der unheimliche Besucher neben ihr und streckte sie mit einem jähen Schlag zu Boden, wo sie besinnungslos liegenblieb.
»José! Juan!«
Die beiden Männer traten vom Balkon herein. Ihren Zügen war der echte Korsarengeist eingeprägt, sie mußten zu jeder Tat fähig sein, von der sie Lohn erwarten konnten.
»Das Weib hat es mir leicht gemacht. Schafft sie beiseite –, aber gut und sicher; dafür ist alles, was ihr hier findet, euer Eigentum!«
Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, ergriffen die rohen Kerle die Gräfin und schleppten sie fort. Der Graf aber beugte sich über den Knaben und betrachtete die Züge des schlummernden Kindes.
»Er hat die Züge der Mediana und ist der Sohn meines Bruders. Dieses Weib war mir fremd; an ihren Tod darf ich ruhig denken, ihn aber werde ich leben lassen. Wenn er nie erfährt, wo er geboren wurde, wird er mir auch nie schaden können.«
Juan und José traten wieder ein; mit regungslosem Gesicht sah der Kapitän, wie sie den blutigen Dolch an der weißseidenen Decke der Wiege abwischten.
»Dürfen wir nun zugreifen, Señor?«
»Nehmt, was euch gefällt; nur macht so schnell wie möglich und sucht euch nichts Unnützes aus. Das Boot ist klein und vermag nicht viel zu fassen!«
»Und das Kind?«
»Nehme ich mit. Es erhält andere Kleider und wird auf der Höhe von Bayonne in einem Kahn ausgesetzt!« –
Unterdessen lag der Miquelete bei seiner Laterne und dachte an die vielen Unzen, die er für den so leicht erworbenen Ring lösen werde. Er war ein braver, ehrlicher Charakter, aber auch ein Mensch, der Nahrung zu sich nehmen mußte, wenn er nicht verhungern wollte. Da ihn der Staat aber gelassen verhungern ließ, so fühlte er sein Gewissen nicht sonderlich beschwert durch das Bewußtsein, daß er sich das Nötige auf heimlichem Wege erworben hatte. Je prachtvoller aber der Ring an seinem Finger funkelte, desto nachdenklicher wurde sein Blick. Das Durchschlüpfenlassen einiger Warenballen dünkte ihn keine Todsünde zu sein, aber das Boot hatte kein Schmuggelgut enthalten, und die Strickleiter deutete auf ein Unternehmen hin, das schwerer auf die Seele fallen konnte, als eine kleine, unbedeutende Pascherei.
»Santa Lauretta, wenn ich hier etwa gar die Hand zu einem todeswürdigen Verbrechen geboten hätte! Pepe, da droben im Himmel gibt es einen, der alles sieht, was du tust! Was soll er von dir denken, wenn – hm, sie sind nach dem Schloß gegangen; was wollen sie dort?«
Voller Unruhe drehte er sich hin und her, betrachtete den Ring, der ihm Brot bringen sollte, schaute dann nachdenklich in den dichten Nebel hinein und zu den Wolken empor und konnte endlich seine ahnende Beklommenheit nicht länger unterdrücken.
»Ich gehe! Ich muß sehen, was sie vorhaben!«
Er erhob sich, ließ die Laterne stehen, schwang sich die Böschung hinab und schlich mit unhörbaren Schritten der Felsenrinne zu. Da war es ihm, als vernehme er nahende Schritte und das unterdrückte Schluchzen einer Kinderstimme. Schnell warf er sich zur Erde.
Drei Männer kamen. Der vordere von ihnen trug einen kleinen Knaben auf dem Arm und suchte ihn durch leise Drohungen zum Schweigen zu bewegen; die anderen beiden trugen umfangreiche Pakete auf dem Rücken. Hier war ein Verbrechen verübt worden, vielleicht gar ein Kindesraub, und schon wollte sich der Miquelete aufrichten, um den Männern Halt zu gebieten, als der Voranschreitende stehenblieb und sich zurückwandte.
»Legt eure Sachen ab und schleicht euch hinauf zu dem Licht. Der Küstenwächter, der dort oben liegt, hat uns gesehen und kann später zum Verräter werden. Ihr wißt, was da zu tun ist!«
Juan und José legten ihren Raub zur Erde und schickten sich an, dem Befehl Gehorsam zu leisten; da aber stand Pepe schon mit angeschlagenem Karabiner vor ihnen.
»Halt, Señores! Keinen Schritt weiter!«
»Drauf!« gebot der Kapitän.
Der Schuß krachte und José stürzte, durch den Kopf getroffen, zur Erde. Der Miquelete riß das Messer heraus und sprang auf den Kapitän ein; dieser machte eine schnelle Wendung, der Stoß ging fehl und – die Klingenspitze streifte die Wange des Knaben. Dieser stieß einen lauten Schmerzensschrei aus, der den guten Pepe so aus der Ruhe brachte, daß er die nächsten Augenblicke unbenutzt vorüberließ. Dann aber sprang er desto eilfertiger hinter den beiden Flüchtigen her, kam jedoch zu spät, denn als er die Stelle erreichte, wo das Boot gelegen hatte, befand es sich schon einige Ruderschläge weit draußen im Wasser und verschwand nach wenigen Sekunden in der dichten Nebelhülle, die mit bleierner Schwere auf dem Wasser lag.
»Santa Lauretta, da fahren sie hin, die Verbrecher! Härte ich einen Kahn oder so etwas Ähnliches, so sollten sie mir wohl nicht entkommen; nun aber muß ich sie davon lassen! Mein lieber Don Lucas Despierto, das kann eine ganz verteufelte Suppe werden, die wir ausessen müssen. Ich werde gleich nach dem Kerl sehen, auf den ich geschossen habe; vielleicht finde ich bei ihm Aufschluß über das, was sie vorgehabt haben!«
Er holte seine Laterne und schritt am Gestade hin. José war tot; die beiden Pakete lagen neben ihm.
»Ich darf sie nicht öffnen, sondern muß warten, bis die Ablösung oder der Hauptmann auf Inspektion kommt!«
Er schüttelte nachdenklich den Kopf, lud seinen Karabiner wieder und begab sich zurück auf seinen Posten. Doch hatte er dort noch nicht lange verweilt, so knirschte der Sand.
»Pepe!«
»Herr Hauptmann!«
»Du hast geschossen?«
»Ja.«
»Teufel! Ich hoffte schon, du wärst im Schlaf an das Gewehr gekommen, so daß es sich entladen hätte. Auf wen hast du gezielt?«
»Kommen Sie und sehen Sie selbst!«
Er nahm die Laterne und führte den erschrockenen Don Lucas zu dem Toten.
»Wer ist der Mensch?«
»Weiß nicht, Herr Hauptmann!«
»Warum hast du auf ihn geschossen?«
Pepe deutete statt der Antwort auf die Pakete.
»Ah, ein Schmuggler!«
»Es waren ihrer drei!«
»Drei?« fragte der Hauptmann besorgt. »Wo sind die anderen?«
»Fort mit dem Kahn.«
»Mit dem Kahn?«
Don Lucas stampfte mit dem Fuß; es war nicht zu erkennen, ob aus Ärger, daß sie entkommen waren, oder aus Wut, daß Pepe sich in die heikle Angelegenheit eingemischt hatte.
»Woher kam der Kahn?«
»Hm –, als ich erwachte, war er da; ich stieg herab und fand ihn leer. Dann ging ich am Wasser hin und begegnete ihnen. Der eine trug ein Kind, die anderen hatten diese Sachen. Sie wollten zu mir, um mich kaltzumachen; da rief ich sie an; und da sie nicht standen, so gab ich Feuer. Das übrige wissen Sie, Herr Hauptmann.«
»Por Dios, das ist eine ganz eigentümliche Geschichte! Ich werde einmal nachsehen, was in den Tüchern steckt!«
Er öffnete die Knoten und fuhr nach einer kurzen Musterung erschrocken zurück.
»Heilige Madonna, sie sind auf dem Schloß eingebrochen! Wer ist das Kind gewesen? Doch nicht etwa der kleine Don Fabian?«
Er ging ratlos mit großen Schritten auf und ab und blieb dann plötzlich dicht vor dem Miquelete stehen.
»Pepe, als du erwachtest, war das Boot da, sagtest du vorhin?«
»Ja.«
»So hast du also geschlafen?«
»Hm!« räusperte sich der Carabinero.
»Gut! Weißt du, was ich dir heute abend sagte?«
»Daß ich vom Dienst gejagt werden kann, wenn ich schlafe.«
»Ja, und daß ich dir einen Beweis meines Vertrauens geben wollte, indem ich dich in die Ensenada schickte. Dennoch hast du geschlafen! Das wird dich, wenn droben bei der Gräfin ein Unglück geschehen ist, den Kopf mitsamt dem Hals kosten!«
Pepe zeigte nicht die mindeste Spur von Schreck oder Besorgnis; er gähnte.
»Nun?«
»Um meinen Kopf ist mir's nicht angst, Herr Hauptmann.«
»Wieso?«
»Ich hatte ein Recht auf den Schlaf.«
»Welches Recht?«
»Ich sah das Boot allerdings landen; der Kapitän von der Brigg ›Esmeralda‹ saß am Steuer.«
»Ah! Woher wußtest du das?«
»Aus einem Brief, den jemand verloren hatte. Dieser Jemand kam in die Ensenada und erhielt vierzig Unzen, für die er nichts weiter gab als einen Möwenschrei. Hatte ich nicht ein Recht zum Schlafen, Señor Lucas Despierto?«
»Diablo! Hast du den Brief noch?«
»Ja.«
»Wo?«
»In meiner Wohnung.«
»Ich muß ihn sehen!«
»Schön, Herr Hauptmann! Aber darf ich ihn vielleicht vorher dem Alkalden Don Ramón Cohecho zeigen?«
Der Hauptmann dämpfte seine vorher so zornige Stimme zum leisen, vertraulichen Flüstern.
»Pepe, du weißt, daß ich immer große Stücke auf dich gehalten habe!«
Der Miquelete gähnte.
»Und ebensogut weißt du, daß ich dein Vorgesetzter bin, dem du nichts vorenthalten darfst. Wenn also auf dem Schloß ein Unglück geschehen sein sollte, so –«
»So kostet es mich den Kopf mitsamt dem Hals!«
»Eigentlich ja; aber ich werde dir meine ganze Protektion zuwenden und alles für dich tun, was in meinen Kräften steht! – Zeig mir den Brief!«
»Sie sollen ihn erhalten!«
»Aber vor dem Alkalden?«
Pepe mußte ungeheuer schläfrig sein; er gähnte wieder und zwar mit solchem Nachdruck, daß es dem Hauptmann angst zu werden schien.
»Nun?«
»Herr Hauptmann, ich habe zwei Vorgesetzte, Sie und den Alkalden. Ich glaube, der Brief gehört dem letzteren; doch muß ich bis zur Morgenablösung in der Ensenada bleiben, und wenn bis dahin das Schreiben aus meiner Hütte verschwindet, so kann ich nicht weiter davon sprechen.«
»Gut, mein lieber Pepe. Wo liegt es? Du hast es doch wohl verwahrt?«
»Ich glaube, es muß sich in der Tasche meiner Pantalons befinden.«
»Das ist allerdings kein geeigneter Platz für einen so wichtigen Gegenstand! Du hast es gelesen?«
»Ja.«
»Du kannst also lesen?« klang die höchst verwunderte Frage.
»Ein wenig, Herr Hauptmann.«
»Wo hast du es gelernt?«
Der Küstenwächter schien zum Umsinken müde; er gähnte mit einer Ausdauer, als habe er monatelang ununterbrochen wachen müssen, und dazwischen klang es aus dem weitgeöffneten Munde:
»Im – Schlaf –, Herr – Haupt – mann!«
»Im Schlaf?« fragte der andere mit nur mühsam unterdrücktem Ärger.
»Ja. Es hat mir geträumt, ich sei in einem Kloster und müßte studieren, weil ich Prior und dann Großinquisitor werden sollte.«
»So schlafe fort, Pepe; vielleicht wirst du es wirklich! Jetzt aber muß ich gehen und Anzeige machen, damit der Tatbestand aufgenommen werden kann. Sorge dafür, daß weder an der Leiche noch an den zwei Paketen etwas verändert wird.«
Er verschwand in der Dunkelheit, und Pepe lauschte seinen Schritten, bis sie in der Entfernung verklungen waren.
»Santa Lauretta, wie wird der Hauptmann in den alten Pantalons suchen! Und doch habe ich ihm die reine Wahrheit gesagt, denn der Brief steckt wirklich darin, aber nicht in denen, die am Nagel hängen, sondern in denen, die ich hier an den Beinen habe. Und was meinen Kopf betrifft, so glaube ich, daß er noch wesentlich fester sitzt als derjenige des braven Don Lucas, der das Lesen nicht im Schlaf gelernt hat. Jetzt aber muß ich dafür sorgen, daß der Ring keinen Liebhaber findet, der mir an den Kragen kann.«
Er trat zu einem im Sande liegenden Felsblock, dessen Gewicht mehrere Zentner betragen mußte. Ein einzelner Mensch schien gar nicht imstande zu sein, ihn ohne Anwendung mechanischer Hilfsmittel zu bewegen. Pepe aber stemmte sich dagegen, lüftete ihn ohne größere Anstrengung, legte den Ring darunter in eine Vertiefung und ließ den Stein wieder in seine vorige Lage gleiten. Offenbar besaß der Miquelete eine Körperkraft, die ihn auch dem stärksten Mann gegenüber zu einem ebenbürtigen Gegner machen mußte. Jetzt legte er sich wieder nieder, wickelte sich in seinen Mantel und harrte der Dinge, die da kommen sollten. –
Um diese Zeit lief eine alte Frau in höchster Eile durch Elanchove und klopfte an den Laden einer armseligen Baracke, die am Ende des Dorfes lag.
»Don Gregorio, Señor Escribano, steht auf, steht auf; es sind fürchterliche Dinge geschehen!«
Im Innern der Hütte ließ sich ein unwilliges Schnaufen und Stöhnen und darauf eine ärgerliche Stimme vernehmen.
»Wer ist draußen?«
»Ich bin es, Nicolasa, die Wirtschafterin von Don Ramón, dem Alkalden!«
Da wurde das Fenster geöffnet der Laden aufgestoßen und ein Kopf erschien in der Öffnung.
»Seid Ihr es wirklich, Doña Nicolasa?« fragte der so jäh aus dem Schlaf Gestörte mit jener spanischen Höflichkeit, mit der zwei Schuhputzer, wenn sie miteinander sprechen, sich ganz wie Granden erster Klasse anreden. »Was ist geschehen?«
»Ach, mein wertester Don Gregorio, ein ganz entsetzliches Ereignis ist geschehen! Soeben hat uns der Hauptmann Don Lucas Despierto geweckt und die Meldung gemacht, daß unten am Wasser ein Toter liegt, den Pepe, der Schläfer, erschossen hat. Neben ihm befinden sich zwei Pakete, die lauter Kostbarkeiten aus dem Schloß enthalten. Es sind drei Männer gewesen, zwei von ihnen sind auf die See entkommen, und einer hat einen Knaben auf dem Arm gehabt. Nun steht zu vermuten, daß sie auf dem Schloß eingebrochen sind und vielleicht gar schreckliche Untaten verübt haben. Don Ramón, mein Herr, will sofort mit dem Hauptmann hinauf, um die Sache zu untersuchen, und da Ihr der Escribano seid, so habe ich Euch holen müssen. Macht schnell, Señor, es ist keine Zeit zu verlieren! Ich will unterdessen vorangehen und den heiligen Bartolomeo bitten, Elanchove in seinen Schutz zu nehmen.«
»Geht, geht und bittet; ich komme gleich!« antwortete der Schreiber, während er seinen Kopf zurückzog und das Fenster schloß.
Schon nach wenigen Augenblicken trat er aus der Tür und eilte dem Hause seines Vorgesetzten zu, bei dem sich der Hauptmann befand. Der Alkalde empfing seinen Schreiber mit einem Ernst, der auf die Wichtigkeit des Ereignisses schließen ließ.
»Señor Escribano, ich habe Euch rufen lassen, um mit Euch einem Verbrechen nachzuspüren, das ein ganz außerordentlicher Kriminalfall genannt werden muß, wenn es überhaupt geschehen ist. Habt Ihr Eure Tinte mit?«
»Por Dios, Don Ramón, die habe ich in der Eile meiner Beflissenheit vergessen.«
»So nehmt die meine!«
»Sie ist vollständig eingetrocknet, denn wir haben seit drei Vierteljahren keinen einzigen Buchstaben zu schreiben gehabt.«
»Schadet nichts. Auf dem Schloß wird wohl Tinte vorhanden sein! Wie steht es mit dem Papier?«
»Die drei Bogen, die wir zur Adventszeit ankauften, sind schon vor Monaten verbraucht.«
»Schadet nichts. Im Schloß werden wir genug finden! Brennt Euch die Laterne an und leuchtet uns voran. Darf ich bitten, Don Lucas, sich uns anzuschließen?«
»Mit Vergnügen, Señor Alkalde!«
Die drei Männer verließen das Haus und schritten dem Schlosse zu. Sie fanden das Tor verschlossen und setzten den schweren, eisernen Klopfer in Bewegung. Erst nach längerer Zeit vernahmen sie schlürfende Schritte, die über den Hof kamen, und eine mürrische Stimme fragte:
»Wer begehrt Einlaß zu so später Stunde?«
»Im Namen des Gesetzes, öffnet sofort! Es ist ein ganz außerordentliches Crimen bei euch im Schloß begangen worden!«
»Ein Crimen! Was ist das?« fragte der Mann, während er den Riegel zurückschob. Als das Tor sich öffnete, erkannten die Eintretenden den Verwalter der Gräfin.
»Ein Crimen ist das Fortschaffen eines Knaben in Verbindung mit erschwerenden Umständen in Form von zwei Paketen, Don Juan de Diaz«, antwortete mit Würde der Alkalde. »Wo ist ihre Excelencia, die hochgnädige Frau Gräfin von Mediana?«
»Sie schläft in ihrem Zimmer.«
»Ich ersuche Euch, sie zu wecken und uns sofort zu ihr zu führen!«
»Zu solcher Zeit? Was wollt Ihr mit dem Knaben sagen und den Umständen von zwei Paketen?«
»Das ist noch Sache unserer juristischen Verschwiegenheit. Also vorwärts im Namen des Gesetzes!«
Der gute Alkalde hatte wenig Gelegenheit, die Würde seines Amtes zur Geltung zu bringen, weshalb es ihm nicht übelzunehmen war, daß er es hier mit dem äußersten Nachdruck versuchte.
Gewichtigen Schrittes begaben sich die vier Männer über den Hof und die Treppe hinauf. Juan verschwand hier in den Gemächern der Gräfin, kehrte aber bald mit allen Zeichen des Entsetzens wieder zurück.
»Don Ramón, Don Lucas, Señor Escribano, oh, oh, was habe ich gesehen, was – oh, oh –!«
Er rang nach Atem, wand die Hände und warf hilfesuchende Blicke um sich.
»Was habt Ihr gesehen, Don Juan?«
»Etwas Schauderhaftes, etwas Grausiges, etwas Haarsträubendes, etwas –«
»Etwas, nun was denn? Ich fordere Euch im Namen des Gesetzes allen Ernstes auf, mir sofort zu sagen, was Ihr gesehen habt!«
»Die Gräfin –«
»Nun ja, die müßt Ihr doch wohl gesehen haben, denn ich habe Euch ja zu ihr geschickt. Aber seit wann ist denn die Doña eine solch schauderhafte und haarsträubende Dame?«
»Seit sie – erstochen worden ist!« rang es sich zwischen den bebenden Lippen des alten Mannes hervor.
»Erstochen? Santa Virgen! Habt Ihr das genau gesehen?«
»Ganz genau, so genau und deutlich, daß ich vor Schreck kaum zu euch zurückkehren konnte. Kommt mit und überzeugt euch selbst!«
Er führte die drei in das Balkonzimmer, in dem die Lampe noch brannte, und von da aus in den Nebenraum, wo die Gräfin in ihrem Blut auf dem Bett lag. Eine tiefe, klaffende Wunde, die gerade zum Herzen führte, zeigte nur zu deutlich, daß keine Hoffnung mehr war. Entsetzen raubte den Umstehenden für längere Zeit die Sprache; dann raffte sich der Alkalde als erster aus der Betäubung auf.
»Don Juan de Diaz, habt Ihr Feder und Papier?« fragte er mit harter Stimme.
»Dort auf dem Schreibpult liegt, was Ihr sucht.«
»Señor Escribano, stellt Euch an das Pult und schreibt alles nieder was Ihr vernehmt! Ich beginne hiermit die Untersuchung.«
Die Befragung der herbeigerufenen Dienerschaft ergab, daß man von dem verübten Verbrechen nicht das mindeste wußte und daß auch niemand durch irgendeinen Laut oder ein ungewöhnliches Geräusch in seiner Ruhe gestört worden war. Der kleine Fabian fehlte; das zerbrochene Balkontürfenster zeigte, auf welchem Weg die Täter eingedrungen waren; alles Wertvolle hatte man entwendet, und die noch an der Balustrade hängende Strickleiter vervollständigte die Deutlichkeit des Bildes, das man sich von dem verabscheuungswürdigen Vorgang machen konnte.
Der Escribano Don Gregorio stand am Pult und schrieb, daß die Feder kreischend über das Papier fuhr. Dicke Schweißtropfen rannen ihm von der Stirn, denn er hatte während seines ganzen Lebens noch nicht so viel Tinte verbraucht, wie in dieser halben Stunde. Endlich durfte er den Federkiel ausspritzen; der Alkalde erklärte, mit seiner Untersuchung auf dem Schloß fertig zu sein.
»Im Namen des Gesetzes befehle ich, daß hier alles genauso bleibt, wie es ist, bis der Procurador kommt, dem ich Meldung machen werde, sobald ich auch am Strand gewesen bin!«
Er forderte die Anwesenden auf, das Zimmer zu verlassen, schloß ab und steckte den Schlüssel zu sich. Dann verließ er mit dem Hauptmann und dem Schreiber das Schloß, um sich zur Leiche des Erschossenen zu begeben.
»Wollt Ihr nicht den Alguacil (sprich: Algwaßíl) Polizist mitnehmen, Don Ramon?« fragte der Schreiber. »In solchen Fällen ist die Gegenwart der Polizei geboten.«
»Ich bin selbst Polizei, und der Alguacil darf nicht gestört werden, er hat mir bis Mittag den neuen Mantel fertig zu machen. Hätte er nicht die edle Kunst der Schneiderei erlernt, so müßte er verhungern; denn er kann kein Gehalt bekommen, weil die Gemeindekasse nicht auf solche Dinge eingerichtet ist.«
Als die drei Männer an der Küste angekommen waren, stieg der Hauptmann zu Pepe empor, der noch immer bei seiner Laterne lag.
»Pepe!«
Der Küstenwächter schlief.
»Pepe!«
Don Lucas ergriff den Arm seines schläfrigen Wächters und schüttelte ihn heftig.
»Pepe, wach auf, der Alkalde will dich vernehmen.«
Der Miquelete erwachte.
»Vernehmen? Ah, Herr Hauptmann, Sie sind es! Wo ist der Alkalde?«
»Unten bei der Leiche. Aber sage mir schnell, Pepe, wohin hast du den Brief gesteckt?«
»Ich glaube in die Pantalons.«
»Du glaubst es? Also gewiß weißt du es nicht?«
»Ganz gewiß, denn was ich gewiß weiß, das kann ich auch glauben.«
»Aber er steckt nicht darin!«
»Nicht? Woher wissen Sie das, Don Lucas?«
Der Hauptmann schien infolge dieser Frage in einige Verlegenheit zu kommen, doch hielt er es für das beste, die Wahrheit zu sagen.
»Ich dachte, daß dir während deiner Abwesenheit das kostbare Schreiben abhanden kommen könne, und trat daher ein, um es an einen sicheren Ort zu bringen. Die Taschen deiner Pantalons aber waren leer. Besinne dich, wo ist der Brief?«
»Er steckte in den Pantalons, Herr Hauptmann; ist er nicht mehr darin, so kann ich nicht anders denken, als daß er sich jetzt an dem sicheren Ort befindet, von dem Sie sprachen.«
»So meinst du, ich hätte ihn genommen?«
Pepe gähnte.
»Wollten wir nicht zum Alkalden gehen?«
»Ja. Also das Schreiben –?«
»Befindet sich in den Pantalons!«
Er nahm seine Laterne und überließ es dem Hauptmann, ihm zu folgen oder nicht.
Als sie bei der Leiche ankamen, fanden sie Don Ramón Cohecho beschäftigt, ein Verzeichnis der geraubten Sachen aufzunehmen; die Untersuchung des Toten hatte er schon beendet.
»Kommt einmal her, Señor Pepe«, meinte er. »Ich habe im Namen des Gesetzes einige Fragen an Euch zu richten. Ihr hattet heute den Ensenada-Posten?«
»Ja.«
»Wann habt Ihr ihn bezogen?«
»Um neun.«
»Was tatet Ihr, als Ihr an Ort und Stelle kamt?«
»Ich – hm, ich setzte mich nieder.«
»Und dann?«
»Und dann – dann stand ich wieder auf.«
»Aber inzwischen habt Ihr wohl auch ein wenig geschlafen?«
Der Klang dieses letzten Wortes brachte eine besondere Wirkung auf den Miquelete hervor: er öffnete den Mund und gähnte.
»Habt Ihr denn heute nicht auch geschlafen, Don Ramón?«
»Ja; aber ich befand mich nicht auf Posten. Also Ihr standet wieder auf, und dann –?«
»– ging ich zum Ufer hinab und schoß diesen Menschen hier durch den Kopf.«
»Wie kam das?«
Pepe erzählte den Vorgang. Der Escribano kauerte zwischen den beiden Laternen, hatte das Papier auf dem Knie und schrieb den Bericht nieder.
»Wir werden die Pakete mitnehmen, die Leiche aber liegen lassen«, bestimmte der Alkalde. »Sie bleibt unter Eurem Schutz zurück, Pepe, und ich hoffe, daß sie sicher ist.«
»So sicher wie im Schoße Abrahams, denn ich hoffe nicht, daß der Kerl noch einmal lebendig wird und auf das Schloß geht, sonst müßte ich ihm nochmal eine Kugel geben!«
»Kommt, Don Lucas! Unsere Aufgabe ist hier beendet!«
Die drei Männer entfernten sich, und Pepe streckte sich wieder auf der Erde aus. Er blieb bis zur Ablösung völlig ungestört und kehrte dann ins Dorf zurück, um nun nicht nur zum Schein, sondern in aller Wirklichkeit zu schlafen.
Der Raubmord auf Schloß Elanchove erregte auch in weiteren Kreisen ein ungeheures Aufsehen. Die Justiz des Landes befand sich nie, und zu jener Zeit am allerwenigsten, in einer lobenswerten Verfassung; man tat alles mögliche oder gab wenigstens vor, alles mögliche zu tun, um die Täter zu entdecken und das Schicksal des kleinen Fabian zu erforschen, – doch vergebens. Die beiden einzigen, die einige Aufklärung zu erteilen vermochten, der Hauptmann und Pepe, schwiegen, da sie sich mit einer rückhaltslosen Mitteilung in Gefahr bringen mußten. Aber der ehrliche Miquelete fühlte Gewissensbisse. Er konnte sich nicht über den Gedanken hinwegsetzen, daß er selbst einen Teil der Schuld trage, die diese Mörder von Elanchove mit fortgenommen hatten; der Ring blieb darum unter dem Stein verborgen; Pepe wollte lieber hungern, als sich von dem Blutgeld sättigen, und so quälte er sich mit allerlei Gedanken, auf welche Art und Weise es möglich sein könnte, die schwere Last von seiner Seele abzuwälzen.
Es war wohl eine Woche nach jener Nacht in der Ensenada, als er den Tagesdienst am Hafen hatte. Ein englischer Dreimaster hatte draußen auf der hohen See die Flut abgewartet und lief jetzt in den Hafen ein. Er schien lediglich Wasser einnehmen zu wollen und hatte nur einen einzigen Passagier, der sich sofort, als der Anker gefallen war, an Land rudern ließ.
Pepe stand neben dem Haushofmeister Juan de Diaz, den irgendein häusliches Geschäft aus dem Dorf herabgetrieben hatte, und folgte ganz unwillkürlich mit den Augen dem Boot, in dem der Landende saß. Da stieß der Verwalter einen Ruf der Überraschung aus.
»Was ist's, Don Juan de Diaz?«
»Seht Ihr den Mann im Boot?«
»Ja.«
»Wißt Ihr, wer es ist?«
»Nein. Er hat das Gesicht in den Zipfel seines Mantels gelegt, um es gegen die Sonne zu schützen.«
»Und dennoch kenne ich ihn! Oh, das ist ein heiliges Wunder! Die Toten stehen auf und werden wieder lebendig.«
»Santa Lauretta, Ihr macht mir beinahe bange! Ist dieser Mann tot gewesen?«
»Habt Ihr noch nie gehört, daß Graf Antonio de Mediana tot sei?«
»Tot oder verschollen! Was hat dieser Señor mit dem Grafen Antonio zu tun?«
»Was er mit ihm zu tun hat? Por Dios, viel, sehr viel, denn er ist es ja selbst! Ich kenne ihn und werde ihn sofort begrüßen!«
Der alte Mayordomo Haushofmeister stürzte der Stelle zu, wo sich der Passagier soeben im Boot erhoben hatte und an Land gesprungen war wie einer, der solche Sprünge gewohnt ist. Sein Gesicht war jetzt unverhüllt und deutlich zu erkennen, und – da stieß auch Pepe einen halblauten Ruf aus, der mehr nach Entsetzen als nach Überraschung klang.
»Heilige Mutter von Segovia, das ist kein anderer, als der Capitán, von dem ich den Ring erhalten habe! Und, wahrhaftig, es muß der Graf sein, denn er bietet Diaz die Hand und begrüßt ihn, wie der Herr den Diener begrüßt!«
Die beiden schlugen den Weg nach dem Schloß ein und mußten hart an Pepe vorüber, der, vor Aufregung beinahe zitternd, den Ankömmling mit funkelnden Augen musterte. Der Graf mußte diesen Blick bemerken. Er bohrte sein dunkles Auge in das Gesicht des Miquelete und wurde plötzlich einen Schatten bleicher. Pepe trat, rasch mit sich im klaren, einen Schritt vor.
»Erlaubt, Don Juan de Diaz! Ist dieser Herr wirklich die Excelencia von Mediana?«
»Ja, Pepe, ich habe recht gehabt; es ist mein hoher Herr und Gebieter, der von einer langen und weiten Reise nach Elanchove zurückkehrt!«
Pepe wandte sich nun zum Grafen.
»Dann bitte ich um eine Unterredung, Don Antonio!«
»Warum?«
»Weil ich Ihnen eine Frage vorzulegen habe, die sehr wichtig ist.«
»Sprich sie aus!«
»Ich werde sie nur unter vier Augen tun.«
»So komm hinauf zum Schloß.«
»Um sechs Uhr ist Ablösung; dann werde ich kommen!«
Im Ton des Miquelete lag nicht jene herkömmliche Ergebenheit, mit der ein tiefer Gestellter mit dem höher Geborenen zu sprechen pflegt, und seine letzten Worte schienen beinahe eine Drohung zu enthalten. Des Grafen Augen blitzten auf, doch bezwang er sich, und ein verächtliches Lächeln zuckte um seinen Mund.
»So komm!« klang es kalt und streng, fast wie eine Herausforderung; dann schritten die beiden weiter.
Pepe verfolgte sie mit den Augen, bis sie hinter dem Felsen verschwunden waren.
»Santa Lauretta, er ist es wirklich; ich habe ihn auch an der Stimme wiedererkannt! Er hat die Gräfin ermordet und den kleinen Don Fabian geraubt, um ihre Güter für sich zu bekommen. Jetzt werde ich die Qual los, die mir das Gewissen bereitet hat. Ich werde ihn anklagen; ja, das werde ich, obgleich er ein Graf ist und ich nur Pepe, der Schläfer, bin!«
Er konnte die sechste Stunde kaum erwarten und stieg, als er sich vom Dienst frei sah, mit großen, hastigen Schritten zum Schloß empor.
Dort wurde er in dasselbe Balkonzimmer geführt, in dem man die Gräfin überfallen hatte. Der Graf stand am Fenster und blickte hinaus auf die See. Beim Eintritt des Küstenwächters fuhr er mit einer raschen Wendung herum.
»Warum hast du den Karabiner nicht draußen abgelegt?«
»Weil ich nicht überzeugt bin, daß ich ihn hier entbehren kann«, antwortete Pepe ruhig.
»Ah! Was willst du?«
»Ich wollte fragen, ob Sie Ihren Ring zurücknehmen wollen.«
»Welchen Ring?«
»Den ich von dem Kapitän der ›Esmeralda‹ in der Ensenada erhielt.«
»Geh. Ich habe weder Zeit noch Lust, deine Rätsel anzuhören!«
»Es sind keine Rätsel für Sie. Wo ist Don Fabian, der Knabe, mit dem Sie mir entkamen?«
Der Graf schnellte einige Schritte näher; seine Fäuste ballten sich, doch ließ er die Hände wieder sinken, als Pepe den Karabiner erhob.
»Bist du wahnsinnig?«
»Nein«, lächelte der Miquelete. »Meine Gedanken und Sinne sind so gesund und gut, daß ich mich von keinem Titel täuschen lasse. Geben Sie den Knaben zurück!«
»Ich lasse dich festnehmen und schicke dich ins Irrenhaus!«
»Ich lasse Sie festnehmen und schicke Sie auf das Schafott oder auf die Galeere! – Wo ist der Knabe?«
Don Antonio trat hart an ihn heran. Auf seinem Gesicht stritt der Ausdruck des Spottes mit dem von Haß und Verachtung.
»Mensch, bildest du dir wirklich ein, daß ich dich fürchten muß? Ich will dich mehr als zur Genüge vom Gegenteil überzeugen! Ja, ich bin der Kapitän der ›Esmeralda‹, ich habe die Gräfin erdolchen lassen und den Knaben entführt. Ich ließ ihn auf einem kleinen Boot aussetzen, da ich mich nicht unmittelbar an ihm vergreifen wollte; jetzt ist er verschmachtet oder eine Beute des Meeres geworden. Nun geh und zeig mich an, Wurm, der du bist!«
Pepe sah ihm fest und ruhig in die Augen.
»Don Antonio de Mediana, Sie sollen Ihren Willen haben. Und läßt die menschliche Gerechtigkeit sich von Ihnen bestechen, so gibt es einen höheren Richter, dem Sie sicher nicht entgehen werden. Er wird Sie finden, und wenn Sie vor ihm in die tiefste Wildnis fliehen. Merken Sie sich das! Und wenn seine Hand Sie ereilt, so denken Sie an Pepe, der Gott bitten wird, den Mord nicht ungestraft zu lassen!«
Er ging, aber nicht in seine Wohnung, sondern zum Alkalden. Er fand den Hauptmann bei ihm. Don Ramón trat ihm mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit entgegen.
»Ihr kommt zur guten Stunde, um eine Neuigkeit zu hören, Pepe! Don Fabian lebt!«
»Santa Lauretta! Ist's wahr?«
»Ich versichere es Euch im Namen des Gesetzes, und dann ist es wahr, wie Ihr Euch wohl denken könnt!«
»Wo ist er?«
»Das weiß ich nicht.«
»So sage ich Euch im Namen des Gesetzes, daß er wahrscheinlich nicht mehr lebt.«
»Ihr habt im Namen des Gesetzes weder etwas zu sagen noch zu versichern! Was aber meine Worte betrifft, so kann ich beweisen, daß sie die reine Wahrheit enthalten.«
»Ich würde Euch sehr dankbar sein, wenn Ihr diesen Beweis führen wolltet!«
»So hört her! Der Arriero (sprich: Arjéro) Maultiertreiber Carlos Palgenzo aus Guernica war heute bei mir und erzählte, daß sein Bruder Manfredo mit einem französischen Schiff angekommen sei, das auf der Höhe von Bayonne ein Boot gefunden habe, in dem ein Knabe gelegen hat, über dessen Wange eine leichte Schnittwunde gegangen ist. Die ganze Beschreibung paßt genau auf Don Fabian de Mediana.«
»Wie heißt das Schiff?«
»Palgenzo wußte es nicht; es ist sofort wieder in See gegangen; aber ich werde die umfassendsten Nachforschungen anstellen und habe Don Lucas Despierto rufen lassen, um seine Meinung zu vernehmen.«
»Die dahin lautet«, fiel der Hauptmann ein, »daß die Entdeckung schleunigst Don Antonio de Mediana, der heute zurückgekehrt ist, gemeldet wird.«
»Er würde Euch für diese Meldung nicht sehr dankbar sein«, meinte Pepe.
»Warum?«
»Weil gerade er es ist und kein anderer, der die Gräfin ermordet und den Knaben geraubt hat.«
»Wer? Don Antonio?«
Der Alkalde sprang auf, der Hauptmann ebenso. Die Nachricht war für sie so unglaublich, so ungeheuer, daß sie den Sprecher mit weit aufgerissenen Augen anstarrten.
»Ja. Don Antonio. Ich habe ihn wiedererkannt und komme von ihm. Er hat mir die Tat eingestanden.«
»Du redest irre!« rief der Hauptmann.
»Hört mich an und urteilt hernach!«