Der Weg zum Glück - Karl May - E-Book

Der Weg zum Glück E-Book

Karl May

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Beschreibung

»Der Weg zum Glück« war der fünfte und letzte Kolportageroman, den Karl May für den Dresdener Verleger H. G. Münchmeyer schrieb. Der Roman erschien erstmals als Fortsetzungsroman in 109 Lieferungsheften von Juli 1886 bis September 1888. Auf 2616 Seiten bot Karl May seinen Lesern spannende Unterhaltung. Eine tragende Rolle in Karl Mays großartigem und vielschichtigem Kolportageroman um Liebe und Verbrechen in den bayrischen Bergen spielt der Märchenkönig Ludwig II., der zusammen mit seinem treuen Freund, dem Wurzelsepp, die Machenschaften zweier Bösewichter, des Silberbauers und des Peitschenmüllers, bekämpft, um den von ihnen bedrohten Helden zur Seite zu stehen. Der Roman endet mit dem tragischen Tod des Königs und des Wurzelsepps, des Freundes, der seinem König in den Tod folgt. Der Text entspricht unverändert der im Münchmeyer Verlag erschienenen Erstausgabe des Romans.

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Der Weg zum Glück

1. Kapitel Auf der Alm2. Kapitel Gebrochene Liebe3. Kapitel Der Wasserfex4. Kapitel Schalksstreiche5. Kapitel Der Silberbauer6. Kapitel Die Sirene7. Kapitel Seelenstimmen8. Kapitel Zweimal Gerettet9. Kapitel Der Samiel10. Kapitel Herzenskrämpfe11. Kapitel In Miramare12. Kapitel SchlußImpressum

1. Kapitel Auf der Alm

»Als ich d'rauf am Morgen schied, Hört ich ferne noch ihr Lied, Und zugleich mit Schmerz und Lust Trug ich's fort in meiner Brust. Und seitdem, wo ich auch bin, Schwebt mir vor die Sennerin, Und sie ruft: »Kehr um geschwind!« Auf der Alm, ja Auf der Alm, ja Auf der Alm, da giebt's ka Sünd!«

So klang es hell und getragen von der Höhe in das Thal hinab, gesungen von zwei Menschenkindern, welche, obgleich verschieden nach Alter und Geschlecht, diesen dritten Vers des bekannten und beliebten Liedes aus voller Brust ertönen ließen. Ihre Gesichter glänzten förmlich vor Vergnügen, und aus ihren blitzenden Augen leuchtete die herzliche Freude über das Echo, welches ihr Jodler an den gegenüber liegenden Felswänden wach rief. Einer, der sie jetzt hätte beobachten können, wäre ganz gewiß zu der Ueberzeugung gekommen: »Das sind zwei gute Menschenkinder! Der Refrain ihres Liedes steht ihnen auf der Stirn geschrieben: Ja auf der Alm, da giebt's ka Sünd!«

Die Sonne eines schönen Herbsttages neigte sich den im Westen glänzenden Gletschern und Firnen entgegen. Ihr Licht brillirte im Wasser des Giesbaches, welcher schlank und in weiten Sätzen von der östlichen Höhe sprang. Sonntägliche Ruhe lag unten im Thale, und sonntäglich war auch die Sennerin gekleidet, welche neben der Thür am Holzstoße lehnte und dem Zither spielenden Alten fröhlich zunickte.

Sie mochte kaum achtzehn Jahre zählen, war aber körperlich und vielleicht auch geistig bereits weit über dieses Alter hinaus entwickelt. Das in niedrigen Schuhen steckende Füßchen war im Vergleiche zu ihrer hohen, vollen Gestalt klein und niedlich zu nennen. Das kurze, aus roth und blau gestreiftem Zeuge gefertigte und unten mit einer breiten Kante versehene Röckchen reichte nur Wenig über das Knie herab und gab die drallen, von schneeweißen Zwickelstrümpfen umschlossenen Waden frei. Die Taille war ungewöhnlich eng und von einem glanzledernen Gürtel umschlossen, an welchem die Schlüssel hingen.

Das dunkelgrüne Sammetmieder war tief ausgeschnitten, so daß über den drei silbernen Spangen, welche es zusammen hielten, die ganze Fülle des Busens zu sehen war, welcher, wenn sie während des Gesanges tief Athem holte, die feinen Fälteleien des weißen Hemdes zu sprengen drohte. Die runden, üppigen Schultern trugen einen kräftigen Hals, um welchen sich eine feine Schaumperlenkette legte, an der ein glasgoldenes Kreuzchen hing. Das Gesicht war gebräunt, energisch ausgeprägt und doch von einem weichen Ton überhaucht, der den Ausdruck innerer Selbstständigkeit bedeutend milderte. Das dunkle Haar war in zwei lange, schwere Zöpfe geflochten. Man sah deutlich, daß sich die vollen Locken nur schwer der Strenge des Kammes gefügt hatten, und um die Stirn und an den beiden Schläfen hatten sich einige rebellische Kräusel befreit und krönten nun wie ein Diadem das frische Angesicht.

Die silbernen Spangen waren von sehr alter Arbeit, wohl ein Erbstück von der Ahne her, Kette und Kreuz von ganz geringem Werthe. Das Mädchen war arm, aber von der Natur mit dem größten Reichthum: Schönheit und Gesundheit, begabt, welcher wohl manche reiche, hoch stehende Dame neidisch gemacht hätte. Dieser Vorzug erhielt einen ganz besonderen Werth durch die ausgesprochene Sauberkeit, welche aus jedem Fältchen glänzte. Man sah es deutlich - das Mädchen hielt Etwas auf sich.

Auch die Hütte und die ganze Umgebung derselben war ein Bild der größten Ordnung und Reinlichkeit. Da gab es kein erblindetes Fenster und keinen Schlamm- und Schmutzsee vor der Thür, durch welchen man, wie bei so vielen Sennereien, nur auf einzelnen hinein geworfenen Steinen springend gelangen kann.

Die Thür stand offen, und da erblickte man die weiß gescheuerten Holzgefäße und den glänzenden Kessel, welcher über dem Heerde hing. Auf dem schmalen Fensterbrette stand ein Vogelgebauer, in welchem ein Finke sein helles »Fink-fing-finkferlink - würz-würz-würzgebür« ertönen ließ.

Neben der Thür erhob sich eine Rasenbank, auf welcher der Alte saß, die Zither jetzt neben sich an die Mauer gelehnt. Er war ganz gewiß bereits siebzig Jahre alt. Sein graues, buschiges Haar und der mächtige weiße Schnurrwichs unter der scharf gebogenen Nase stachen recht eigenartig von dem hageren, tief gebräunten Gesichte ab. Alter und Beschwerden hatten dasselbe tief gefurcht; aber aus diesen Falten lugten tausend Schalke und Schälkchen hervor. Das Auge, wohl noch ganz so scharf wie in den Tagen der Jugend, lachte hell und freundlich unter den Wimpern hervor, und so energisch das Gesicht gezeichnet war, es zeigte doch trotzdem einen Ausdruck froher Gutmüthigkeit, welcher herzgewinnend wirkte.

Die Kleidung dieses freundlichen Alten bewies, daß auch er wohl nicht mit Glücksgütern gesegnet sei. Die derben, mit großen Nägeln versehenen Bergschuhe waren von der gröbsten Arbeit. Die grauen, wollenen Halbstrümpfe bedeckten nur die sehnigen Waden, so daß die Fußknöchel und die wetterbraunen Kniee nackt frei blieben. Die Hosen waren alt und vielfach geflickt, ebenso die lodene Juppe. Eine Weste trug er nicht, dafür einen breiten Gürtel, in welchem die Buchstaben J. und B. eingestickt waren. Das graue Wollhemde stand auf der Brust offen und ließ auch den Hals frei, denn ein Tuch um den Letzteren schien der Alte für einen sehr überflüssigen Luxus zu halten.

Neben der Bank lag ein alter Rucksack, welcher mit knolligen Gegenständen gefüllt zu sein schien. Den Hut hatte der Alte auf seinen Gebirgsstock gestülpt und mit demselben an die Wand gelehnt. Dieser Hut war ein wahres Prachtstück von Kopfbedeckung. Er hatte seit bereits zwei Ewigkeiten die Krempe verloren; ein Löchlein gab es am anderen, natürlich vor Alter, so daß er eigentlich einem Siebe oder Durchschlage glich; durch diese vielen Löcher aber hatte der praktische Alte allerlei Alpenkräuter geschlungen, Aretia, Primula, Soldanella, Saxifraga und andere, so daß der Hut einem Blumentopfe glich, welcher dem Studium der Alpenflora als Anschauungsmittel dienen sollte.

Dieser Alte hieß eigentlich Joseph Brendel. Weil er aber allerlei Wurzelwerk in den Bergen sammelte, von dessen Verkauf er lebte, und die Abkürzung von Joseph Sepp lautet, so wurde er allüberall nur der Wurzelsepp genannt. Er war beliebt nah und fern. Er kam sogar zuweilen hinein in die schöne Hauptstadt München, wo die Apotheker ihn seiner seltsamen Wurzeln und seines ehrlichen, gespaßigen Wesens wegen gern willkommen hießen.

Und die schöne Sennerin? Diese hieß eigentlich Magdalena Berghuber. Sie war ein armes Waisenkind und diente dem reichsten Bauer der Umgegend als Sennerin. Das Gut ihres Herrn lag an einer Muhre, das heißt an einem Erdhügel, welcher aus den Erdmassen entstanden ist, welche von dem Wasser in das Thal herniedergespült worden sind. Aus diesem Grunde wurde sie allgemein nur die Muhrenleni genannt. Der Wurzelsepp war ihr Pathe. Beide hielten große Stücke auf einander und thaten einander schier mehr zu Liebe, als ihre beiderseitige Armuth zu erlauben schien.

Nach Beendigung des Liedes hatte Sepp die Zither neben sich gelehnt, griff in die Tasche und sagte:

»So, da hab'n wir Aans gesungen, Das hat schön geklungen. Ein ander Mal thun wir wieder singen, Und das soll noch schöner klingen.

Jetzt nun will ich mir einen Tobak in die Pfeifen stopfen; dann nehm ich meine Kraxen und mache mich halt auf die Hachsen.«

»Wie?« sagte sie. »Path Sepp, Du willst heute noch abi gehn?«

»Was sonst denn?« lachte er. »Wann ich halt bei Dir blieb, Leni, würden die Leut allbereits sagen, ich hätt' mich in Dich verschamerirt, und das thät da meiner alten Zither weh; die ist die einzige Liebste, die ich noch habe.«

»Geh! Mach kein solch Gespaß! Der Nachmittag ist vorbei, und Du bleibst. Ich mach Dir halt ein schönes Ei auf Butter und geb Dir auch ein Käs und Brot dazu - -«

»O Jerum ja!« fiel Sepp schnell ein. »Und das Alles darbst Du Dir von dem eigenen Munde ab; denn Du bist viel zu ehrlich, um das Ei mit Butter und den Käs mit Brot von Dem zu nehmen, was Deinem Bauern gehört. Gelt, Leni, ich habe Recht?«

»Recht hast, Sepp. Aber mein Vorrath reicht. Und was das Ei betrifft, so hat mir die Bauersfrau eine Henne geschenkt und mit herauf gegeben; ich kann also mit den Eiern, welche die Putte mir legt, machen, was ich will.«

»Legt sie auch die Butter und den Käs dazu?«

»Schweig, Path', und sei nicht so ungut. Ich kann Dich doch nicht so spät noch den schlimmen Steg hinunterkraxeln lassen. Wenn Dir Etwas geschehen sollt, so würde man mir die Schuld geben, und ich könnte es gar nimmer verwinden.«

»Ich weiß, weiß! Du bist ein herzig guts Dirndl und thust Deinem alten Pathen gern alles Liebs und Schöns. Der Herrgott wird Dirs vergelten. Heut aber muß ich doch noch hinunter. Weißt, der Wirth braucht Enzianwurzeln für einen neuen Schnaps. Die muß ich ihm noch heut bringen. Da giebts eine Abendsuppe und ein Bett und auch ein Geld. Wenigstens zwanzig Kreuzer zahlt er mir aus. Du siehst also, daß ich heut noch hinunter muß. O weh! Da schau her! Was für ein Unglück ich hab. Die Pfeif ist da, aber in dem Beutel ist nix mehr. Ich hab halt geglaubt, daß noch ein Rest darin sei. Jetzt muß ich halt von meinem Hute rauchen.«

Er griff nach dem Hute, um die dürren Pflanzen von ihm zu nehmen und in die Pfeife zu stopfen.

»Halt!« sagte die Leni. »Ich will mal sehen, ob ich Etwas für Dich find'!

Sie ging in die Hütte und kehrte gleich darauf mit einem Päcktchen Tabak zurück.

»Da hast, Path Sepp,« sagte sie. »Es ist ein feiner, österreichischer Kaisertabak, glaub ich.«

Er griff schnell zu und schmunzelte vor Freude im ganzen Gesicht. Er hielt das Päcktchen empor, betrachtete die Ueberschrift und meinte:

»Ja, wenn ich halt doch lesen könnt! Da aber hat's stets gefehlt bei mir. Aber das kaiserliche Siegel ist schon oben darauf. Also ein Oesterreichischer! Wie kommst denn zu dieser Sorten, Leni?«

Sie erröthete ein Wenig und antwortete dann:

»Es war halt verwichen ein Bergsteiger da; der hatte mehrere solche Packeterle in der Tasche. Da hab ich mir von ihm eins für Dich ausgebeten.«

»Schau, schau, daß Du so immer an mich denkst, Leni. Du bist doch ein herzigs Pathchen! Aber wer war denn dieser Bergsteiger? Etwan Einer von der Grenz' drüben herüber?«

Er zwinkerte dabei ganz verdächtig mit den Augen.

»Mag sein,« antwortete sie möglichst kaltblütig.

»Ein Jäger?«

»Weiß nicht.«

»Oder gar ein Wilderer? Ich hab halt einmal vernommen, daß der Krikel-Anton stets nur vom besten Kaisertabak raucht.«

»Was geht mich der Anton an!«

Sie wendete sich ab, um die Röthe, welche ihr schönes Gesicht überflog, nicht sehen zu lassen.

»Ja, der geht Dich freilich nichts an,« meinte er ein klein Wenig ironisch. »Was hätte denn die Muhrenleni mit so einem berühmten Wilddiebe zu thun. Also kennen thust ihn nicht, Den nämlich, von welchem Du Dir das Packeterl ausgebeten hast; aber rauchen werde ich den Tabak dennoch. So einen feinen und guten hab ich all mein Lebtag nur selten in der Pfeifen gehabt.«

Er begann zu stopfen, und brannte dann an.

»O, ah! Sappermenterl! Der ist halt nobel! Das reine Gewürz! Fast wie Kraußemünz' und Muskatnuß und ein Lorbeerblatt dazu! Riech einmal!«

Er blies ihr einen Mund voll in das Gesicht und fragte triumphirend:

»Na, he! Was sagst dazu?«

Sie wehte sich verständnißvoll mit der Hand den Rauch an das Näschen und nickte bedeutsam:

»Fein, sehr fein!«

»Ja, der ist halt noch besser als Dein Ei auf Butter. Jetzt nun werde ich mich aufmachen. Aber, fast hätte ich vergessen - - was macht denn das vornehme Fräulein da drüben?«

Er zeigte mit der Hand nach einer gegenüber liegenden Höhe, welche mit dem diesseitigen Felsen durch eine fast lothrechte Steinwand verbunden war, über deren scharfen Kamm sich wohl kein Mensch herüber oder hinüber gewagt haben würde.

»Meinst' die Mondsüchtige?« antwortete sie. »Schau, bei Der ists halt gefehlt. Der Arzt hat ihren Eltern gerathen, sie in die reine Luft des Hochgebirges zu bringen. Da sind sie da hinüber gezogen, aber es ist nicht besser geworden. Sie nachtwandelt noch ebenso wie früher.«

»Was thut sie denn da?«

»Sie steigt auf dem Berge herum und über die Felsen hinweg und hat dabei die Augen immer zu.«

»Herrgottl! Wenn sie nun halt abi stürzt!«

»Das thut sie nicht. Ein Nachtwandler fällt gar niemals nicht, außer wenn man ihn anruft. Wenns sie unterwegs Jemand trifft, so darf Dieser kein Wort sagen, um sie nicht aufzuwecken. Dann sagt sie allerlei Geheimnißvolles zu ihm, was er ist und was er denkt und was er erleben wird.«

»Also eine Weissagende noch dazu?«

»Ja.«

»Hat sie Dir auch bereits geprophezeit?«

»Nein. Ich bin ihr stets aus dem Weg gangen.«

»Daran thust recht. Die Mondsucht ist eine wunderhafte Krankheit, daran man nicht mit ordinären Fingern greifen darf. Jetzt aber ist's genug, Leni. Die Pfeifen dampft, und die Sonn' geht hinab. Da muß ich nun auch abi steigen. Horch! Wer ist das?«

Es schallte aus der Tiefe ein lauter, durchdringender Juchzer empor. Der Aelpler ist da gewohnt, sofort zu antworten. Leni schritt an den Rand der Höhe vor, hielt die Hände rechts und links an den Mund, ein natürliches Sprachrohr bildend, und jauchzte wieder:

»Juhuuu! Holterroihoooo!«

Es schallte von unten abermals herauf, und die Leni antwortete wieder. So erklang es mehrere Male herauf und hinab, bis man die Stimme von unten deutlich verstehen konnte:

»Dirndl, laß Dichs nicht grämen, Du hast ja doch Alls, Hast ein wunderliebs Köpfchen Und ein Kröpfchen am Hals!«

»Ein Trutzgesangerl,« sagte Leni. »Diese Stimme kenn ich. Es ist der Jäger-Naz. Wart, ich werd ihm gleich antworten!«

Naz ist die Abkürzung von Ignatius. Jäger bedeutet so viel wie Landgensd'arm, Flurschütz. Das Mädchen sang als Antwort hinab:

»Du schreist wie ein Truthahn Und singst wie ein Pfau; Davon thut halt das Ohr weh, Und Alles schreit Au!«

Der Wurzelsepp lachte und meinte:

»Das war brav! Ich kann den Kerl halt auch nicht leiden. Polizei muß sein, und Polizei ist nothwendig. Der Polizei hat man viel zu danken; aber ein guter Polizist wird sich niemals zum Hausspionen erniedrigen. Horch!«

Von unten herauf erscholl es:

»Das Dirndl hat Zähnerl So weiß wie ein Schnee, Doch sind sie halt eingesetzt, Drum thut ihr keins weh!«

Leni antwortete sofort, ohne sich zu besinnen:

»Fall nicht in die Schüssel, Könntst nimmer 'rausgucken; Ich thät Dich ja gleich so Im Löffel 'neinschlucken!«

»Bravo, bravissimum!« lachte der Alte, indem er sich vor Vergnügen mit den beiden flachen Händen auf die Oberschenkel klatschte. »Giebs ihm, giebs ihm!«

Der Jäger aber, welcher näher und näher kam, ließ sich nicht irre machen. Er sang:

»O Du Herzerl, Du Tauserl, Hast 'n Kopf wie ein Mauserl Und ein Herzerl wie Wachs - Krumme Bein' wie ein Dachs!«

Um die Wirkung dieses Trutzgesanges zu verstärken, schoß er sein Gewehr ab. Leni antwortete:

»Der Jäger hat geschossen Aber 's Schießen nicht könnt Und hat bei der Gelegenheit Sich den Schnauzer verbrennt.«

In den Alpen sind nämlich solche Gestanzeln und Trutzlieder gang und gäbe. Der Eine beginnt, und der Andere antwortet. Es geht herüber und hinüber, und ein Jeder ist der Dichter der Reime, welche er singt. Der Jägernaz sang noch einen Vers. Leni antwortete ihm nicht wieder. Sie meinte zu ihrem Pathen:

»Wahrhaftig, er kommt zu mir! Ich habe gemeint, er will den anderen Pfad emporsteigen nach der Nachtwandlerin; jetzt aber hör ich, daß er auf meinem Weg geblieben ist. Was thue ich?«

»Fürchtest Du ihn etwa?«

»Nein; aber er ist mir zuwider; er ist ein so sehr zudringliches Mannsbild.«

»Was? Wie? Hat er Dich etwa einmal falsch anrühren wollen? Dann - -«

Der Alte hob die beiden Fäuste in die Höhe.

»Er hat es gewollt, aber es ist ihm halt nicht gelungen.«

»Das glaub ich. Du bist ein Mädel, welches halt seinen Mann stellt. Aber besser ist besser. Wird er lange hier bleiben?«

»Nein. Er bleibt niemals lange hier; ich sorge schon dafür.«

»So will ich noch ein Wenig warten. Wehe ihm, wenn er meine Path unrecht anblickt. Sag ihm aber nix, daß ich auch da bin!«

Er ergriff Zither, Hut, Rucksack und Bergstock, um sich zu verstecken. Die Sennerin aber sagte:

»Brauchst keine Angst um mich zu haben. Dort steht mein Beschützer, der Peter.«

Sie deutete nach der Grasalpe, welche sich hinter der Hütte hoch emporzog. Dort weideten die Kühe und Ziegen. In der Nähe der Sennhütte war eine sogenannte Salzlecke angebracht, ein breiter, seichter Holztrog, mit Viehsalz gefüllt. Die Wiederkäuer lecken gern von dem Salze, und ein solcher Trog erleichtert das Zusammenhalten einer Heerde ungemein.

Ebenjetzt befand sich der Held und Pascha der Ziegenheerde dort, ein großer, ungewöhnlich starker Ziegenbock. Er war es, den die Sennerin als ihren Beschützer bezeichnete. Der Wurzelsepp meinte aber:

»Das Vieh kann Dir da nix helfen. Es ist besser, ich bleibe da.«

Er verschwand in der Hütte, blieb aber nicht in dem Sennerraume, sondern trat in das daneben liegende Heustadel, um von dem Jäger nicht gesehen zu werden, wenn dieser in der Hütte nachforschen sollte, ob Jemand da sei.

Kaum hatte der Alte sich verborgen, so tauchte der Jäger hinter den Felsen auf, hinter denen sich der Bergpfad in die Tiefe stürzte. Leni hatte sich indessen auf die Bank gesetzt und eine höchst unbefangene Miene angenommen.

Er kam herbei, blieb vor ihr stehen und stemmte das Gewehr mit dem Kolben auf die Erde.

»Grüß Gott, Schatz!«

Sie schwieg.

»Hörst etwa nicht?«

»Meinst etwa mich?«

Sie blickte erst jetzt zu ihm auf.

»Wen sonst? Ist etwa noch eine Andere hier?«

»Nein. Aber wenn Du »Schatz« sagst, mußt halt doch eine Andere meinen.«

»Oho! Willst mein Schatz nicht sein?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil Du mir nicht gefallst.«

»Nicht? Wie müßt ich denn sein, wenn ich Dir gefallen sollte?«

»Ganz das Gegentheil von jetzt.«

»Und Jäger dürft ich etwa auch nicht sein?«

»Warum nicht?«

»Weil die Polizei nirgends beliebt ist und auf der Alm gar erst recht nicht.«

»Schwatz nicht so dummes Zeug. Die Polizei muß sein. Sie ist vom Herrgott und von unserem guten König Ludwig eingesetzt. Ohne Gesetz und Polizei könnten wir nicht bestehen, und ohne sie würde es sehr bald drunter und drüber gehen. Also warum sollten wir die Polizei nicht leiden können? Wir ehren und achten sie. Da hast meine Antwort.«

»Nun, wenn das so ist, warum willst da nicht mein Schatz sein? Warum magst mich nicht?«

»Weil Du eine richtige Zuwiderwurzel bist, auf die man Leibgrimmen bekommt, wenn man sie nur anschaut.«

»Der Andere ist wohl besser?«

Er blickte sie höhnisch von der Seite an. Sie erhob den Kopf, sah ihm voll in das Gesicht und fragte:

»Welcher Andere?«

»Nun, der Wilddieb, der Krikel-Anton!«

Ihre Wangen erbleichten, ob vor Schreck oder vor Zorn, das war nicht zu bestimmen. Doch zwang sie sich, in ruhigem Tone zu antworten:

»Was soll mich der Wilddieb angehen?«

»Was er Dich angehen soll? Sehr viel, denke ich. Denkst etwa, man weiß nicht, daß Ihr einander kennt?«

Da stand sie von der Bank auf, stellte sich hoch vor ihn hin und sagte:

»Was ich denk, das geht Dich nix an, und was Du weißt, das ist mir ganz egal. Wer bist überhaupt, daß Du zu mir gestiegen kommst und mich Schatz nennst? Nenne so wen Du willst, aber mich nicht! Ich habe mit Dir nix zu schaffen.«

Er nickte ihr hämisch zu und antwortete:

»Meinst? Aber ich habe mit Dir zu schaffen. Ich komme aussuchen.«

»Aussuchen? Was suchst?«

»Den Krikelanton.«

»Bei mir?«

»Ja, bei Dir! Du bist seine Liebste.«

Da trat sie so rasch auf ihn zu, daß er zurückfuhr. Ihre kleinen Hände ballten sich.

»Jetzt laß mich aus! Nennst mich noch einmal so, dann hat es gefehlt! Merke Dir es! Der Anton war im Winter auf dem Saal, und Keiner hat ihn gekannt. Er hat mit mir getanzt, freilich nur mit mir. Aber hätt ich es gewußt, wer er war, so hätt ich es ihm abgeschlagen. Wer nun aus diesem Grunde sagt, daß er mein Schatz sei, der ist ein schlechter Kerl und will mir an meiner Reputation Schaden machen. Ich bin ein armes Waisenkind und hab Keinen, der mir hilft. Darum ist es doppelt schlecht, mir solche Lügen nachzureden!«

»Wie? Du hast keinen?«

»Nein.«

»Auch den Wurzelsepp nicht?«

»Der ist immer fern von hier.«

»Ja, der ist der richtige Thunichtgut, der echte Landstreicher. Er stiehlt die Pflanzen und Wurzeln und betrügt die Leute damit. Wenn ich ihn einmal mit seinem Rucksack erwische, so kann er sich in Acht nehmen!«

Das Mädchen war im Gesicht feuerroth geworden. Ihre Stimme zitterte, als sie antwortete:

»Höre, Jäger, thu mir und Dir den Gefallen, zu schweigen! Meinen Pathen laß ich mir nicht verschimpfirn! Wenn Du noch ein solches Wort über ihn sagst, so hole ich aus und gebe Dir eine Waatschen, daß Du von hier ins Thal hinunterfliegst und drüben den Berg wieder hinauf! Wann nur alle Leuteln so brav wären wie der Sepp; dann wäre es gut in der Welt. Braver ist er, als Du es bist. Merke Dir es!«

»Ja, er ist brav, und Du passest sehr schön zu ihm. Denn wenn der Krikelanton mit Dir getanzt hat, so wird er Dich wohl auch heimgeführt haben, und das Herzen und Bußeln wird eine Lust gewesen sein.«

»Er ist eher gangen als ich. Ueberhaupt brauche ich nie keinen Heimführer. Und mit dem Herzen und Busseln ists auch nix. Ich würde mich da schon zu wehren wissen.«

»Auch gegen mich?«

Er hatte das Gewehr gegen die Wand gelehnt.

»Gegen Dich erst recht!«

»Wollen einmal schauen!«

Er trat auf sie zu. Sie blieb stehen, selbst als er die Arme öffnete.

»Was willst?«

»Einen Bussel.«

»Geh da hinauf und bussel die Rothscheckene! Sie steht ganz so mundgerecht da für Dich.«

Sie zeigte hinauf nach den Kühen und schnippste dabei so laut mit den Fingern, daß der Ziegenbock es hörte. Das war ein Zeichen für ihn. Er spitzte die Ohren und blickte scharf her.

Die rothscheckige Kuh stand bergan, mit den Vorderfüßen oben, mit dem Hintertheile abwärts.

Daß dies mundgerecht für den Jäger sein solle, ärgerte ihn ungeheuer. Er wollte nun erst recht auf seinem Willen bestehen und sagte:

»Nein, Dich will ich küssen! Und wenn Du nicht willst, so mußt Du!«

Er sah gar nicht, daß der Wurzelsepp nahe hinter ihm den Laden des Heustadel geöffnet hatte und seinen Bergstock heraussteckte, um dem Zudringlichen eine Lehre zu geben. Er ergriff die Leni am Arme.

»Peter!« rief sie.

Der Ziegenbock war wie ein Hund. Er duldete nicht, daß seiner Herrin Gewalt angethan werde. Er kam herbei gesaust, wie aus einer Kanone geschossen.

Leni riß sich vom Jäger los. Schon dadurch verlor dieser einen Theil seines Gleichgewichtes. In demselben Augenblicke senkte der Bock die Hörner und sprang mit solcher Macht gegen ihn ein, daß er niedergeschmettert wurde und sich mehrere Male überkugelte. Freilich wollte er sich schnell wieder erheben, aber er kam gar nicht dazu, denn das zornige Thier stieß immerfort auf ihn ein und bearbeitete ihn so mit den Hörnern, daß ihm alle Rippen krachten.

»Hilfe, Hilfe!« brüllte er. »Ruft die Bestie fort, sonst massakrire ich sie!«

»Massakrire sie doch!« sagte Leni ruhig.

Der alte Wurzelsepp aber hatte sich in den Laden des Heubodens geschwungen, schlug sich vor Entzücken mit der Faust den Schenkel und brüllte förmlich vor Lachen:

»Herrlich, herrlich! Nein, so ein Gaudium! Nein, so eine Passion! Da möchte man vor Freud gleich die Beine über den Kopf zusammenschlagen. Peter, immer fest, drauf wie Blücher! Hoppsa, hurrah, zur Attacke geblasen, träterätätäh tschinkterumbumbum!«

Der Alte war nämlich früher Soldat und zwar Cavallerist gewesen, das Einzige, worauf er sich Etwas einbildete. Er hatte eine Wunde aufzuweisen und war stolz darauf, sein Blut für das Vaterland vergossen zu haben. Darum trug er an Sonn- und Feiertagen das Bändchen im Knopfloche, welches sein Kriegsherr ihm als Ehren- und Erinnerungszeichen geschenkt hatte.

Leni war zufrieden gestellt, von dem Zudringlichen befreit zu sein. Sie glaubte, die Lehre, welche er erhalten hatte, sei hinreichend genug, und darum rief sie den Bock zurück. Das Thier gehorchte sogleich, stellte sich aber in Positur, bereit, sofort wieder auf den besiegten Gegner einzuspringen.

Dieser stand auf, kupferroth vor Wuth. Er sprang nach seinem Gewehr und erhob es zum Schusse.

Da aber sprang der alte Sepp vom Laden herab, faßte ihn am Arme und rief:

»Was thust! Willst Du Dich an fremdem Eigenthum vergreifen, Jäger! Weißt nicht, was Das zu bedeuten hat!«

»Laß mich aus!« rief der Zornige. »Ich erschieße ihn!«

»Das wirst bleiben lassen! Verstanden!«

»Er hat mich gestoßen. Er muß sterben!«

»Er hat nur seine Herrin beschützt. Was werden Deine Vorgesetzten sagen, wenn sie erfahren, daß Du auf die Alm steigst, um Mädchen Gewalt anzuthun und Ziegenböcke zu erschießen! Nimm Dich überhaupt in Acht. Der Bock ist tapfer; er kommt wie Ziethen aus dem Busch. Er steht schon wieder parat und wird Dich gern und gut den Berg hinabkugeln.«

Der Jäger sah ein, daß es gefährlich für ihn sei, seinem Grimm zu gehorchen. Er senkte den Lauf des Gewehres und fuhr den Alten an:

»Was thust hier auf der Alm?«

»Was ich thue? Schau, Jäger, ich habe halt kein Geld, um in den Circus zu gehen; darum steig ich den Berg herauf und hab halt mein Vergnügen daran, zuzuschaun, wenn Ziegenböck sich stoßen. Das ist billiger und aber auch so hübsch.«

»Kerl, willst mich beleidigen!«

»Dich? Das fallt mir gar nicht ein!«

»Bist etwa schon längst hier?«

»Bereits schon ehe Du kamst.«

»Und hast mich belauscht!«

»Ja. Es war sehr amüsemangerant.«

»Das will ich mir verbitten!«

»Schön! Erst will ich die Bürsten holen, um Dich abzukehren, und dann kannst weiter reisen, mit Extrazug, vierter Klasse, auf der falschen Weiche mit Eisenbahnzusammenstoß, bums, Alles vom Bahndamm hinunter!«

Er trat in die Hütte. Der Jäger aber hielt es für das Beste, auf das Abbürsten zu verzichten. Er zischte der Sennerin zu:

»Das sollst bezahlen, theuer bezahlen! Ich weiß schon, wie. Denk an den Krikelanton!«

Und ganz nahe zu ihr herantretend, fügte er hinzu:

»Daß Du es weißt: Er ist über die Grenze herüber, gestern bereits, und hat bei uns reviert. Die Wege sind alle besetzt; er kann nicht mehr hinüber. Wir halten eine Hetzjagd, und wenn wir ihn fangen, so spaziert er in's Zuchthaus. Dann, wenn Du mit ihm tanzen willst, kannst hinein zu ihm gehen. Musik werden sie Euch da schon machen. Jetzt steig ich hinauf nach dem Joch, um es zu besetzen. Kommt er etwa da hinauf, so gebe ich ihm gleich die Kugel vor den Kopf. Leb wohl, Sennerin!«

Er ging. Hinter der Sennhütte blieb er stehen, um sich den Schmutz von den Kleidern zu wischen; dann stieg er bergan.

Jetzt kam der Sepp wieder zur Thür heraus. Er hatte die Kuhstriegel in der Hand.

»Ist er bereits fort, Leni?«

»Ja.«

»Das ist jammerschad. Ich wollte ihm doch das Fell glatt machen. Wie hat er mich genannt? Einen Spitzbuben und Betrüger. Herrgottsakra! Ich will es ihm aber nicht nachtragen, denn er hat es halt im Zorn gesagt, und er ist jung. Wenn sein Haar einmal die Farbe verloren hat, wie das meinige, so wird er ruhiger geworden sein. Aber schön von Dir war es, Leni, daß Du mich so gut vertheidigt hast. Du bist ein wahrer Advocat und Rechtsgelehrter. Dein einziger Paragraph lautet, die Leute zum Berge hinunterwerfen, daß sie wieder hinauffliegen. Nun bist Du den Kerl los und ich kann endlich abi steigen.«

»Willst wirklich fort, Sepp?«

»Ja, ich muß. Du weißt ja.«

Er warf den Rucksack um, stülpte den Staatshut auf den Kopf, hing die Zither an das Band, ergriff den Bergstock und verabschiedete sich:

»Behüt Dich Gott und die heilige Jungfrau, meine liebe Leni! Bald kraxle ich wieder einmal herauf zu Dir, wann ich wieder in diese Gegend komme. Denk an den Sepp, Lenerl, denk an ihn; Du bist seine einzige Freud in der Welt, Du und die Zither und - das Bandel im Knopfloch. Und das sag ich Dir: Wann Du meinen Juchezer hörst, so antwortest mir fein hübsch!«

Er reichte ihr die Hand und küßte sie auf die Stirn. Seine Augen waren feucht. Auch in den ihrigen standen Thränen.

»Behüt Dich Gott, Sepp! Nun hab ich schon gar keine Freud mehr, daß Du fortgehst. Aber ich will Dich nicht bitten, denn ich weiß, daß es doch nix nützen würde. Ich werd sehr oft an Dich denken, Pathe. Bleib gesund. Ich bitte die heilige Mutter Gottes, daß sie Dich beschützen und behüten möge allwegs, wo Du gehst und stehst!«

Sie stellte sich an den Rand des Felsens, um ihn so lange wie möglich zu sehen und seine Jodler deutlich zu hören. Er stieg langsam bergab, tiefer, immer tiefer. Als er den Abhang erreichte, da, wo der steile Pfad um die Felsenecke bog, blieb er stehen, hielt die Hand an den Mund und sang mit heller Stimme:

»Holderoijooooh!«

»Holderoijooooh!« antwortete es von oben herab.

Und nun begann er, Worte und Melodie gleich aus dem Stegreife bildend:

»Und die Leni ist eine Brave, Und die Leni ist eine Feine, Und wie die Leni, wie die Leni Ist gar nirgends noch Eine! uch, juch, juch!«

Der Juchzer erschallte als Echo von dem Felsen zurück, und dann ertönte die Stimme der Sennerin:

»Und der Sepp mit dem Rucksack Und der Sepp ist mein Path, Und der Sepp ist mir lieber Als ein Offizier und Soldat. Juch, juch, juch!«

Die Muhrenleni war bekannt und sogar berühmt als die beste Jodlerin weit und breit. Ihre Stimme hatte einen »ungeheuren Umfang und außerordentliches Metall«, wie der Cantor unten im Dorfe sehr oft gesagt hatte. Das war jetzt zu hören. Es war, als ob die Berge bebten, so mächtig drang es aus der Brust des schönen Mädchens hervor.

Wenn ein Kenner diese Stimme gehört hätte, er hätte die arme Sennerin ganz sicher aus der Hütte und von der Alm hinweg genommen, um eine gefeierte Künstlerin aus ihr zu bilden. Dem Sepp lachte das Herz im Leibe, zumal er durch die Worte des Jodlers so hoch geehrt wurde. Darum gab er auch seiner Stimme größere Stärke, als er zum zweiten Male begann:

»Und da drüben und da droben, Wo der Ziegenbock springt Und da steht halt die Leni, Die den Wurzelsepp ansingt. Juch, juch, juch!«

Sofort antwortete sie:

»Der König hat eine Krone, Und der Sepp hat einen Hut Und der König wird mein Mann nicht, Doch dem Sepp, dem bin ich gut, Juch, juch, juch!«

Dabei schwenkte sie ihr weißes Taschentuch. Der Alte hatte keins, viel weniger ein weißes. Er behandelte seine Nase nicht so vornehm. Hatte er ja einmal den Schnupfen, was aber so selten vorkam, daß er sich auf den letzten gar nicht mehr besinnen konnte, so behandelte er die Patientin mit den Fingern. Das war billiger und auch viel bequemer. Darum konnte er nicht auch mit einem »Nastuche« winken, sondern er nahm den Rucksack vom Rücken und schwenkte ihn über den Kopf, daß die Wurzeln heraus- und umherflogen. Er sah es und rief erschrocken:

»Herrgottsakra! Da fliegen meine Gulden und Kreuzer umher! Das hat man davon, wenn man mit einem schönen Mädchen Gestanzeln macht! Nun kann ich das Zeug nur gleich wieder zusammensuchen!«

Er blickte umher und erschrak noch tiefer als vorher. Während des Wechselgesanges war ein Mann hinter der Felsenecke hervorgetreten und hatte mit Erstaunen zugehört. Er trug die Tracht des Gebirges, Bergschuhe, Halbstrümpfe, Joppe, Weste, breiten Gürtel, einen kleinen Hut mit Edelweiß und Spielhahnfeder, einen Rucksack auf dem Rücken und ein Gewehr von der Achsel herab. In der mit kostbaren Ringen geschmückten Hand hielt er den Bergstock, welcher oben mit einem Gemskrikel (Gemshorn) versehen war. Auch die schwere, goldene Uhrkette ließ vermuthen, daß dieser Herr sich in besseren Umständen befinde als der Wurzelsepp.

Er war von sehr hoher, kräftiger, imposanter Figur. Sein Gesicht hatte einen edlen, vornehmen, durchgeistigten Ausdruck. Die Züge waren bedeutend. Das Auge zeigte bei aller Schärfe etwas Weiches, Unbestimmbares, fast möchte man sagen, Mystisches. Der Eindruck der ganzen Persönlichkeit und des von einem wohlgepflegten Barte gezierten Gesichtes war ein Ehrerbietung erweckender.

Als Sepp ihn erblickte, reckte er sich staunend empor und rief:

»Millionenschockteuf - - - ah, oh! Da hätt ich fast beinahe geflucht! Ists denn möglich?«

»Was?« fragte der Fremde.

»Daß Du der Ludwig - nein, daß Sie der Ludwig bist! O nein, daß Du - daß Sie - Herrgottsakra! Jetzt geht mir halt gar noch der Verstand in die Luft, grad wie die Wurzeln!«

»Welchen Ludwig meinst Du denn?«

»Na, den Zweiten!«

»Ich verstehe Dich noch nicht.«

»Das glaube ich. Ich bin ja vor Freude, nein, vor Verlegenheit - nein, auch nicht, Jesses, Jesses - vor lauter Dummheit so außer Rand und Band gerathen, daß ich mich halt selbst schon gar nicht mehr kenne. Aber warten Sie! Jetzt werde ich es wohl richtig fertig bringen!«

Er schlug die Fersen militärisch zusammen, richtete sich stramm empor, präsentirte den Bergstock wie ein Gewehr und meldete:

»Sie sind Königliche Majestät Ludwig der Zweite von Bayern, mein allergnädigster Gebieter und Herr! Ich aber bin halt nur der Wurzelsepp! Na, ist's nun so richtig?«

»Ja, mein Guter,« lächelte der König. »Woher kennst Du mich?«

»Ich habe Sie drin in München gesehen und sodann auch in Hohenschwangau, auf Linderhof, Schloß Berg und auch am Chiemsee.«

»So weit kommst Du herum!«

»Alleweile ja, und auch noch viel weiter. Um meinen lieben König zu sehen, würde ich auch nach Lappland rennen und zu den Negern. Freilich, man muß sich schon eine Mühe geben, um dieses hohe Glück zu haben; aber ich meine halt, ein König braucht sich auch nicht von einem Jeden gleich so angaffen zu lassen.«

»Da hast Du Recht. Wer ist denn eigentlich die Sängerin, welche da so schön sang:

›Doch der König wird mein Mann nicht, Doch dem Sepp, dem bin ich gut!‹

Sie heirathet also Dich lieber als mich.«

»Jess', Maria, Jossepp! Ich glaube gar! Ich meine vielmehr, daß sie Euer Majestät tausendmal lieber nehmen würde als mich, ihren Pathen. Es ist die Leni, die Muhrenleni, Königliche Hoheit, ein Mädchen wie eine Bachstelze, so sauber und wie Gold so rein und so treu.«

»So bin ich also auf dem richtigen Wege. Ich will zu ihr.«

»Was! Wie! Wo! Majestät wollen zur Leni? Hurrah! Da muß ich sogleich vorauf springen und es ihr sagen, damit sie schnell einen Schmarren oder einen Gugelhopf oder eine tüchtige Dampfnudel backen mag!«

Er wollte fort.

»Halt! Front!« commandirte der König, und der Sepp gehorchte. »Sie darf nicht wissen, wer ich bin. Ich habe gehört, daß da oben herum ein Bär sein Wesen treibt; den will ich haben, und damit ich morgen früh gleich wohlauf bin, will ich bereits heut zur Halbscheidt emporsteigen und in der Sennhütte bleiben. Man hat mir gesagt, daß es bei dieser Sennerin sauber sei?«

»Wie in einem Schatzkästerl, Majestät. Die Leni ist ja selbst ein schmuckes, bildsauberes Leutle. Na, Majestät werden das ja bald selbst gleich weghaben. Aber den Bären giebt es da oben nicht. Der hält sich jenseits der Alpe auf, wo er erst vorgestern wieder in einen Stall gebrochen ist.«

»Ich weiß es und will dort hinüber. Ich verbiete Dir, irgendwo davon zu erzählen, daß Du mich getroffen hast. Aber zum Oberförster magst Du gehen und ihm sagen, daß ich bei der Leni bin, wo er sich morgen mit dem Frühesten einzufinden hat. Hier hast Du Etwas!«

Er zog die Börse und reichte dem Sepp ein Goldstück entgegen. Der Alte fuhr zurück, als ob er eine giftige Otter angreifen solle.

»Heiliger Johannes! Nein, Majestät. Soll ich mir einen Weg bezahlen lassen, den ich für meinen guten König und Herrn thun soll? Nein und tausendmal nein! Eher lasse ich mir die Finger abhacken. Welch eine Freude, für unsern Herrscher laufen zu können! Herrgottsakra, ich würde für ihn zum Mond empor klettern, wenn ein Strick von da oben herunterhing! Und für die paar Schritte soll ich mich bezahlen lassen! O, da kennen Majestät den Wurzelsepp doch noch nicht richtig!«

»Es soll ja keine Bezahlung sein. Mein Bild ist darauf; das schenke ich Dir zum Andenken.«

»Ach, ist es so! Nun, da mag es geschehen. Also her damit, Herr König! Das soll mir ein Andenken sein, bis sie mich in's Grab legen!«

Während er die Doppelkrone einsteckte, fragte der König:

»Ist die Leni arm?«

»Wie eine Kirchenmaus, Majestät. Sie ist ein Waisenmädel und hat weder Kind noch Keg- - Donnerstag, da hätte ich fast eine Dummheit gesagt! Woher soll denn bei so einem braven Dirndl das Kind kommen, und nun erst gar der Kegel! Nein, sie hat keinen Anverwandten.«

»Und sie singt gern?«

»Den ganzen, geschlagenen Tag, besonders aber in der Früh und Abends, grad wie eine Amsel. Es ist, als ob sie mit Mehlwürmern und Ameiseneiern gefüttert würde. Lassen Sie sich halt Etwas vorsingen; aber richten Sie ja ein Compliment von mir aus, und sie soll Sie gut aufnehmen. Sie hat nicht gern mit den Stadtherren zu thun, die alle nix taugen. Meine Empfehlung aber gilt sehr viel bei ihr, denn ich bin der Pathe.«

»Schön! Erst aber wollen wir Deine Wurzeln wieder auflesen.«

Er bückte sich. Da rief der Alte:

»Nein, nein! Kreuzschockschwerebrett! Jetzt werde ich mir auch noch von meinem König die Wurzeln aufklauben lassen! Das kann ich schon selbst thun.«

Aber seine Einrede wurde nicht beachtet. Der König hatte an dem Alten Wohlgefallen gefunden und weidete sich an der glückstrahlenden Verlegenheit desselben. Dann schieden sie, wobei Sepp eine so tiefe Verbeugung machte, daß ihm der Rucksack vom Rücken über den Kopf herabfiel.

Der Monarch hatte nicht weit zu steigen. Leni stand, als er oben ankam, an der andern Seite des Hauses; er sah sie also nicht und stieß nach der dortigen Sitte einen Juchzer aus. Sofort kam sie um die Ecke geeilt.

»Grüß Gott, Muhrenleni!«

»Grüß Gott auch! Ja, kennst mich denn?« fragte sie, ihn betrachtend.

»Ja; ich hab von Dir gehört. Gefall ich Dir?«

»So halb und halb! Wannst nicht ein Stadtherr wärst, so könntst mir halt besser gefallen.«

»Ich will diese Nacht bei Dir bleiben.«

»Da in der Hütten drin?«

»Ja.«

»Jesses! Da kommst falsch an. Geh weiter!«

»Ich kann nicht weiter.«

»Wer bist denn?«

»Ich hab mein Amt und Geschäft drin in München und heiße Ludwig. Der Wurzelsepp, Dein Pathe, kennt mich sehr gut und läßt Dir sagen, daß Du mich gut aufnehmen sollst.«

Sie blickte ungläubig zu ihm auf.

»Obs auch wahr ist!«

»Es ist wahr. Ich habe da unten an der Felsenecke mit ihm gesprochen. Sehe ich denn wie ein Lügner aus?«

»Na, sauber und accurat bist schon, und ein guts Gesicht hast auch, so ein braves und vornehmes. Ich werde Dich also behalten. Setz Dich einstweilen daher auf die Bank, bis ich wiederkomme. Ich muß die Rinder und Ziegen in den Stall heimsen.«

»Bleiben die heut nicht im Freien?«

»Sie könnten wohl; aber da jenseits giebt es einen Bären, eine große Rarität und Seltenheit, der sich von drüben herüber verlaufen hat. Wenn der dahergekraxelt käme und mir eine Kuh erwürgte, so könnte ich in meinem ganzen Leben schon gar keine Freud nicht mehr haben.«

Sie ging. Er setzte sich und blickte ihr wohlgefällig nach. Als sie dann die Thiere getrieben brachte, beobachtete er ihre Bewegungen, nickte befriedigt vor sich hin und sagte im Stillen:

»Große Stimme, schöne Gestalt, gewandte Bewegungen, Umsicht und Gewissenhaftigkeit! Sie soll mir in die Schule. Das giebt eine Sängerin, einen Stern am Kunsthimmel. Ich glaube, ich habe da eine Brunhild, eine Walküre, eine Isolde gefunden.«

Als sie dann die Heerde getränkt und in den Stall geschlossen hatte, meinte sie:

»Ein Bett werde ich Dir im Heu machen, ein schönes, weiches. Jetzt nun wirst aber auch Hunger haben?«

»Ja. Hier im Rucksack befindet sich Allerlei. Mach, was Du daraus bringst. Du sollst mit mir essen und mir dann von Dir erzählen.«

Sie gewann Vertrauen zu ihm und gab sich ganz so, wie sie war. Sie aßen zusammen, grad als das Ave Maria-Glöckchen aus dem Thale emporschallte. Da er nicht so schnell das Messer weglegte wie sie, sagte sie:

»Mach, daß Du Dein Ave hersagst! So ist das hier oben bei mir Mode!«

Dann saßen sie vor der Sennhütte auf der Bank. Leni hatte ganz zutraulich neben ihm Platz genommen. Sie erzählte von ihrem Leben; es war still, einfach und ärmlich verflossen; aber das kleinste Ereigniß gab ihr Gelegenheit, ganz unbewußt ein reiches, tiefes, gemüthvolles Seelenleben zu entwickeln und eine Urtheilsschärfe zu entfalten, über welche sich der König höchlichst wunderte.

»Hast auch einen Schatz?« fragte er.

»Nein. Ich kenn Einen, dem bin ich halt seelensgut; aber er weiß nix davon und ist ein Wilderer. Da mag ich ihn nicht. So bleib ich also ledig, so lange ich lebe. Glaubst's wohl nicht? Das Herz hat nur eine Lieb, und thut man die begraben, so steht sie nimmer wieder auf.«

Das klang so selbstbewußt und so rührend, daß er ihre Hand ergriff und theilnehmend sagte:

»Du bist ein braves Mädchen. Schau, die Alpen glühen.«

Die Firnen leuchteten goldig- und dann purpurroth, bis sie dunkelten. Dann ging der Mond auf; er war voll und goß sein magisches Licht über die träumende Alpenwelt.

»Jetzt solltest Du ein Lied singen!« bat der König.

»Ich bin nicht lustig dazu. Wannst mich ansingst, so will ich schon antworten. Oder kannsts nicht?«

»Es wird schwer gehen,« lächelte er.

»Hast etwa keinen guten Schulmeister gehabt im Singen? Das ist schade!«

»Na, er war schon klug, aber ich hatte kein Geschick.«

»Versuchs halt nur einmal!«

Es überkam ihn eine eigenthümliche Stimmung. Er stand auf, trat einige Schritte vor und sang:

»Gen Berg bin ich gelaufen, Gens Thal bin ich gerennt, Da hat mich mein Schatzerl Am Juchzen erkennt.«

»Schau, es klingt halt gar nicht so übel. Horch!

Ein Pferderl, hott hott Und ein Schlitten, tschin, tschin Und ein Büberl, ein Dirndel Die sitzen darin.«

Jetzt hatte sie einmal angefangen und sang nun fort. Er hörte ihre herrliche Stimme, aber er folgte dem Texte wohl kaum. Sie sang Lustiges und Trauriges. Er hörte zu, bis sie müd wurde und endlich sagte:

»Jetzt ists genug. Geh in Dein Bett; ich werde Dir leuchten.«

Er war es zufrieden. Er fühlte sich als Mensch, nicht als Majestät, ganz unter dem Banne ihrer Stimme und ihrer reinen, thaufrischen Mädchenhaftigkeit. Sie hatte ihm auf dem Heu mit reinem Linnen, welches eigentlich für sie selbst bestimmt war, ein sauberes Lager bereitet, sagte ihm gute Nacht und kehrte dann in den vorderen Raum zurück.

Er wollte schlafen und konnte doch nicht. Daran war nicht allein der ungewohnte starke Duft des Heues schuld. Er mußte an Leni denken. Er war überzeugt, ein Wesen gefunden zu haben, aus welchem eine gottbegnadete Künstlerin heranzubilden sei, und dachte über die Wege nach, auf denen dies zu geschehen habe.

Da hörte er draußen schleichende Schritte. Es schien Jemand an den Brettern des Stadels zu probiren. Wer war das? Es tappte und tappte und stieß gegen die Holzwand. Sollte es ein Dieb sein? Oder hatte die Sennerin doch einen Geliebten?

Er stand auf, stieg vom Heu herab und trat zu Leni ein. Sie saß auf dem Schemel, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, und schlief. Das Licht hatte sie nicht ausgelöscht. Er zögerte, sie zu wecken, sie, die jedenfalls den Schlaf nothwendig brauchte. Er nahm sein Gewehr, schob leise den Riegel von der Thür und trat hinaus.

Der Mond war höher gestiegen. Die Alm war fast tageshell erleuchtet. Wie unter mattem, flüssigem Glase lag das Thal. Die Spitzen der Berge schienen den Sternenhimmel zu berühren. Herr, wie viele sind Deiner Werke. Du hast sie alle weislich geordnet, und die Erde ist voll Deiner Güte!

Ludwig horchte. Er konnte nichts hören. Das Schleichen war auf der anderen Seite gewesen. Er wollte dorthin und ging auf den Fußspitzen um die Ecke, das Gewehr schußfertig in der Hand. Hier gab es Schatten. Er mußte noch um die nächste Ecke, um auf die Seite zu gelangen, auf welcher er das Geräusch gehört hatte. Er bog also auch um diese Ecke und - - rannte mit einem Wesen zusammen, welches in demselben Augenblicke von jenseits um die Ecke biegen wollte. Die Büchse entfiel ihm; er hatte keine Zeit, das Gewehr aufzuheben, denn das betreffende Wesen war ein Thier, ein - - Bär.

Der König sprang blitzschnell zur Seite. Mit eben solcher Schnelligkeit aber folgte ihm das Thier. Auch hier waren an der Mauer Scheite von Brennholz aufgeschichtet. Der König riß eins an sich, holte aus und schmetterte es dem Bären auf den Kopf - ganz erfolglos. Es war, als habe er mit einem kleinen Hammer auf ein Ambos geschlagen. Er holte zum zweiten Hiebe aus. Der Bär richtete sich empor und streckte die Pranken nach ihm aus. Der Streich fiel, und das Holzscheit prellte dem Könige aus der Hand. Ein brüllendes Brummen war die Antwort des Bären. Er öffnete den Rachen - da blitzte es hart hinter dem Könige auf. Ein Schuß krachte, und zu gleicher Zeit wurde er von einem mächtigen Rucke zur Seite gerissen, so daß er auf ein Knie niederstürzte.

Als er sich schnell wieder erhob, erblickte er einen Menschen, welcher dem zu Boden kollernden Bären die Klinge in das Herz stieß und dann gedankenrasch wieder zurücksprang. Ein Zucken, ein Röcheln - das Thier war todt.

»Herr, mein Gott! Das war Hilfe in der Noth!« seufzte der König tief auf.

»Bist wohl kein Jäger?« fragte der Andere.

»Warum?«

»Sonst hättest müssen wissen, daß man, wenn man einen Bären schießen will, nicht so unvorsichtig um die Ecke biegt. Da steckt man erst vorsichtig nur derweilen die Nasen herum. Ist die Luft rein, so kann sich der Körper dann nachschieben. Und den Stutzen hast halt auch weggeworfen!«

»Ich ahnte nicht, daß es ein Bär sei.«

»Nicht? Was hast denn gemeint?«

»Ein Mensch.«

»Schau, das ist schön, sehr schön! Hast den Bären für den Menschen genommen. Jetzt kannst mir die Freud machen, mich für den Bären zu halten!«

»Wer bist Du?«

»Nein, wer bist Du?«

»Ich bin aus der Stadt.«

»Das merkt man schon bereits sehr gut. Heb Deine Büchsen auf, und lege Dich mit ihr in's Bett. Sie ist Dir heut zu Nix mehr nütze.«

Da hörte man Schritte. Die Sennerin kam herbei. Sie erblickte zuerst die hohe Gestalt des Königs.

»Bist Du es, der geschossen hat?« fragte sie. »Was ists? Ich wachte von dem Schusse auf. Dein Stutzen war fort und Du auch, als ich nach Dir schaute.«

»Dieser Bär wollte in den Stall,« antwortete er.

Jetzt erst erblickte sie das riesige Thier und zugleich den anderen Mann. Sie schlug vor Schreck die Hände zusammen.

»Ein Bär! Wohl derjenige von drüben? Ist er auch todt?«

»Ja.«

»Der heiligen Jungfrau sei Dank! Welch ein Unglück hätte er angerichtet, wenn Du ihn nicht erschossen hättest, Du, ein Stadtherr!«

»Nicht ich habe ihn erlegt. Dieser Mann ist es gewesen.«

»Der? Ja, wer ist denn der?«

Der Andere stand still und bewegungslos da. Sie konnte, da sie sich im Schatten befanden, sein Gesicht nicht deutlich erkennen. Darum trat sie näher zu ihm heran und sah ihn sich an.

»Jesses Maria! Der Anton, der Anton! Wie kommst denn Du denn auf meine Almerei, mitten in der Nacht? Weißt nicht, daß - - -«

Sie hielt inne, denn sie erkannte, daß sie ihn beinahe verrathen hätte. Es war der Krikelanton, der Wilderer, den sie suchten.

Krikel werden die Hörner der Gemsen genannt. Den Namen Krikelanton hatte er erhalten, weil er am schnellsten Einem, der ein Gemshorn mit aus den Bergen heimnehmen wollte, es ihm verschaffen konnte, ein so gewandter Jäger war er.

Er wollte ihr eine Antwort geben, deutete aber statt dessen vorwärts nach der hohen, bereits erwähnten Felswand und sagte:

»Heilige Maria! Wer ist das dort?«

Auf dieser Wand, in schwindelnder Höhe, kam nämlich eine weiße Gestalt langsam herüber geschritten, so sicher, als ob sie sich auf ebener Straße befinde.

»Ists möglich! Ein Weib da oben!« sagte der König erschrocken.

»Es ist die Mondsüchtige,« erklärte Leni. »Herrgott! Der Felsengrat ist da oben kaum einen Fuß breit! Betet, daß sie nicht herunterstürzt.«

Sie eilte vor nach der vorderen, vom Monde beleuchteten Seite des Hauses, von wo aus man die Nachtwandlerin besser beobachten konnte. Dort kniete sie nieder, um zu beten.

Die beiden Männer folgten ihr. Das Auge des Königs hing mit Grauen an der Gestalt, welche über einer Tiefe von wohl sechshundert Fuß schwebte und doch langsamen, gemessenen Schrittes, wie ein Gespenst, herüber schritt. Es lief ihm eiskalt über den Rücken. Er wagte kaum, zu athmen.

Unten die dämmernde Tiefe, ringsum die im Monde glänzenden Firnen, helles Licht neben dunklen Schatten, und dort die hell beschienene Wand mit der geisterhaften, weißen Gestalt - es war wie ein Traum, aber ein entsetzlicher Traum.

Endlich hatte die Geheimnißvolle den Grat hinter sich und schritt auf grasiger Weide langsam grad auf die Sennhütte herzu.

»Wer ist sie?« fragte der König.

»Eine Fremde,« antwortete Leni.

»Woher? Wie heißt sie?«

»Ich weiß es nicht. Nur der Bürgermeister weiß es. Sie soll eine sehr vornehme Dame sein. Wir nennen sie nur die Nachtwandlerin. Sprecht kein Wort zu ihr, kein einziges, sie mag thun und reden, was sie will! Sie kommt, sie kommt herbei!«

Es graute den Dreien ganz so, als ob sie eine übernatürliche Erscheinung vor sich hätten. Sie blieben wie festgebannt stehen.

Die Mondsüchtige kam immer näher; sie mußte an den Dreien vorüber. Schon konnte man ihr Gesicht erkennen. Sie trug ein langes, weißes Nachthemde und das Haar unter eine eben solche Haube geordnet. Ihre Gestalt war hoch, voll, ihr Gesicht bleich und schön. Man sah, daß sie die Augen geschlossen hatte. Dennoch schritt sie ganz sicher daher, nicht etwa probirend und zaudernd.

Jetzt war sie da. Sie konnte nichts sehen, aber als ob sie fühle, daß sich Menschen hier befänden, blieb sie stehen, wie überlegend, wendete sich zu Leni um, trat auf sie zu und betastete sie mit den Spitzen der Finger langsam, sehr langsam und prüfend. Der Sennerin stockte der Athem. Sie war nicht furchtsam und befand sich ja auch nicht allein hier, aber die nächtliche Erscheinung und die Berührung derselben wirkte auf eine unbeschreibliche Weise auf die Nerven und Sinne.

Da zog die Nachtwandlerin die Finger zurück, erhob warnend die Rechte und sagte deutlich und in tiefem Tone, ohne die Augen zu öffnen:

»Ein König nimmt Dich an die Hand, Führt Dich in goldne Pforten ein. O traue nicht dem eitlen Tand, Und trau der Liebe nur allein!«

Es war eine Art Schüttelfrost, welcher die Drei überlief. Die Gestalt trat zu dem Wilderer und betastete ihn ebenso. Dann sagte sie, die Hand ebenso warnend erhebend:

»Du steigst empor und stehst, vom Licht Umflossen und bewundert da. Verstoß, verstoß die Seele nicht, Der durch Dich schweres Leid geschah!«

Er regte sich nicht. Er hätte jetzt kein Wort hervorbringen können. Die Mondsüchtige wendete sich jetzt zu Ludwig. Es kam ihm der Gedanke, zurückzutreten; aber mit magischer Gewalt hielt es seine Füße fest. Als sie jetzt mit den zarten, eiskalten Fingerspitzen über sein Gesicht und seine Brust, dann auch über seine Hände strich, war es ihm, als ob ein bewegliches Etwas in seinem Körper diesem Striche folge, von der Stirn bis in die Spitzen seiner Finger herab. Er vermochte nicht, den Blick von den mystisch schönen, marmornen Zügen der Nachtwandlerin zu wenden.

Diese legte, ganz entgegengesetzt als bei den beiden Anderen, die Arme über der Brust zusammen, verbeugte sich tief und erhob nun erst die warnende Hand, mit deutlicher Stimme sagend:

»Du bist geboren in dem Himmelszeichen, Dess' Strahl den Edelsten verführt, Laß Deinen Geist ja nicht in Höhen steigen, In denen er sich selbst verliert!«

Sie blieb noch einige Sekunden lang mit erhobener Hand vor ihm stehen, dann trat sie zurück, wendete sich von ihnen ab, deutete empor nach dem Firmamente und sagte laut und volltönend:

»Der Seher schöpft aus ewgem Quell, Um den des Himmels Sel'ge wandeln. Die Gaben fluthen in Euch hell, Und dunkel nur ist Euer Handeln!«

Dann entfernte sie sich wieder, in genau derselben Richtung, aus welcher sie gekommen war.

Der König stand bewegungslos, mit fast übernatürlich geöffneten Augen. Von welchem Himmelszeichen hatte dieses Weib gesprochen? Welche gefährliche Höhen hatte sie gemeint? War sie allwissend? Hatte sie wirklich aus einem himmlischen Quell geschöpft? Konnte er daran zweifeln, nachdem sie zu der Sennerin gesagt hatte: »Ein König nimmt Dich an die Hand« -? War er nicht fest entschlossen gewesen und nun erst recht entschlossen, Leni die Hand zu bieten, um sie aus dem Dunkel in die lichte Welt der Kunst und des Ruhmes einzuführen?

Er wurde aus diesem Sinnen durch die Stimme der Sennerin erweckt:

»Herrgottl! Sie steigt wieder auf den Felsengrat!«

»Wollen wir sie rufen?« fragte Anton. »Dann erwacht sie und bleibt zurück.«

»Nein, nein! Sie ist bereits oben, wo die fürchterliche Gefahr beginnt. Rufen wir sie, so stürzt sie hinab und zerschmettert in der Tiefe.«

Sie blickten ihr schaudernd nach. Ihre helle Gestalt schwebte zwischen Leben und Tod, denn der Schlaf war Leben, das Erwachen aber sicherer Tod für sie. Kein noch so leises Wanken verrieth die geringste Unsicherheit ihrer Schritte, ihrer Bewegungen. Nicht ein einziges Mal verwickelte sich ihr Fuß in dem Saume des langen Gewandes. Und diese angsterregende, nervenspannende Scene beleuchtete der Vollmond mit friedlichem, freundlichem Lichte, bis die Geheimnißvolle langsam drüben im Schatten verschwand, welchen die schräg gegenüberliegende Höhe auf den Hintergrund der Felsenwand warf.

Jetzt erst holten die Drei laut und tief Athem. Es war ihnen, als ob sie aus einer Verdammniß erlöst seien, und dennoch lauschten sie noch minutenlang, ob nicht ein Schrei ertöne, als Beweis, daß die magnetisch Schlafende doch noch zuletzt in die jähe Tiefe gestürzt sei. Es blieb Alles still.

»Gott sei Lob und Dank!« sagte Leni. »Das mag ich im ganzen Leben halt nicht wieder sehen und hören. Erst war ich starr vor Entsetzen. Jetzt nun zittern mir alle Glieder.«

»Dir hat sie das Beste gesagt,« bemerkte Anton. »Ein König wird Dich an die Hand nehmen.«

»Das Deinige war auch schön. Du wirst bewundert sein und von Licht umflossen.«

»Möcht wissen, wer mich bewundern sollte! Das ist Schnickschnack.«

»Warte es ab,« sagte der König. »Was für ein Geschäft hast Du?«

»Was werde ich sein! Ein armer Wildheuer. Ich hab eine alte Mutter und einen noch älteren Vater, die Beide nix mehr arbeiten können. Eine Gais haben wir auch und eine kleine, magere Kuh, ein Häusle dazu, wo man gleich durch die Wand hinein in die Stuben laufen kann und wo die Diele schwimmt, wenn es ein Bisle regnet. Die Kuh und die Gais wollen fressen. Da wir aber weder Wiese noch Feld haben, so steige ich hinauf an die Abgründe, wo kein Anderer sich hintraut und wo nur noch der Adler wohnt, und hole das Gras und Heu herab, was dort noch zu finden ist und was keinem Herrn gehört als nur Dem, der sein Leben an jeden Halm hängt und mit dem Tode um die Wette lacht. Das ist ein Wildheuer, Herr. Und für diese Müh und Gefahr hab ich all' Tag ein Stückle trocken Brod, weiter nix.«

»Das ist freilich schlimm!«

»Und wann ich nun da aufi steig und Hunger hab und weiß, daß die Eltern ebenso hungern wie ich, und der Herrgott schickt mir einen Gamsbock zu, damit ich ein bischen Fleisch nach Hause bring, und ich schieße ihn weg, so kommt das Gesetz und steckt mich in's Zuchthaus, und die Eltern mögen nur gleich in das Wasser gehen oder sich mit einand in den Abgrund stürzen, daß es halt aus ist mit der Noth.«

»So bist Du ein Wilderer?«

»Hast Du noch nicht von dem Krikelanton gehört?«

»Ja. Bist Du der etwa?«

»Ja, der bin ich, Herr.«

»Ich habe gehört, daß man Dich heut hier sucht.«

»Ja, ich weiß es. Ich hab einen Gamsbock geschossen, um dem Vater Fleisch zu bringen; dabei hat man mich ertappt, ich aber bin entwischt. Seht meine Hände an, wie blutrünstig sie sind, und meine Kniee und die Füße halt ebenso. Ich habe mich an Felsenkanten festgehalten und an Wänden fortgegriffen, wo nie ein Mensch hinkommen wird, um nicht gefangen zu werden. Sie haben auf mich geschossen. Dann kam ich hier hinüber und sah den Bären durch die Felsen laufen. Ich folgte ihm nach im Mondlicht. Ich hatte Hunger und wollte mir ein Stück von seinem Fleische holen und auch die Senner von dem Spitzbuben befreien. Er lief hierher. Ich kam grad noch zu rechter Zeit, um ihm den Appetit zu verderben. Er hätte Dich ein Wenig aufgefressen.«

»Ja, Du hast mir das Leben gerettet. Ich hoffe, daß ich Dir dankbar sein kann.«

»Sprich davon nicht. Ich habe meine Pflicht halt nicht des Dankes wegen gethan. Willst Du gut sein mit einem Verfolgten, so gieb mir nur ein Stückle Brod und einen Schluck Wasser; dann will ich weiter gehn und schaun, ob ich meine Eltern wiederseh oder in irgend einem Abgrunde die Bewunderung finde, von welcher die Mondsüchtige zu mir gesprochen hat.«

»Dein Wunsch soll erfüllt werden, doch sage auch, ob Du irgend eine vorzügliche Gabe besitzest.«

»Eine Gabe? Hm! Ich bin halt ein Bergsteiger und ein Schütz, mit dem es kein Zweiter aufzunehmen vermag. Weiter nix.«

»Hast Du nicht eine besondere Lust zu irgend einer Kunst oder Wissenschaft?«

»Nein. Ich kann halt ein Wenig lesen und meinen Namen schreiben. Eine andere Wissenschaft kenne ich nicht. Und eine Kunst? Ja, zeige mir eine Gams, und ich hole sie Dir, sie mag hingehen, wohin sie will. Von anderen Künsten kann ich nicht reden.«

»So hilf mir, den Bären in die Hütte schaffen; dann kannst Du essen, so viel Du willst, und nachher mit im Heustadel schlafen.«

»Danke sehr! Werde mich hüten! Am Besten ist es, ich habe den freien Himmel über mir. In einer Hütte würden sie mich gleich ergreifen.«

»Würdest Du Dich nicht wehren?«

»Gott behüte, nein. So ein Hallunk bin ich schon nicht, daß ich Einen niederschieße, um der verdienten Strafe zu entgehen. Aus Noth schieße ich mir eine Gams, aber ein Menschenmörder bin ich nicht.«

»Das ist brav gedacht. Du hast gefrevelt, aber es kann Dir wohl vergeben werden. Nur mußt Du von dem Bösen lassen und bessere Wege gehen.«

»Das wollte ich gern. Gieb mir aber Arbeit, irgend welche, mit der ich mich und meine Eltern redlich ernähren kann, und ich werde weder meinem Kaiser noch dem König von Bayern eine Gams mehr wegschießen. Ich hab das Leben satt. Schau, was für ein tüchtiger Jägersmann könnte ich werden, wann ich so eine Anstellung bekommen thäte. Aber an Unsereinen kommt so Etwas nicht.«

»Mach eine Supplik an Deinen Kaiser!«

»Wo denkst halt hin! Bei dem bayrischen König ging das wohl eher; aber ich bin halt ein Oesterreicher und kein Bayer.«

»So, warum ginge es bei ihm eher?«

»Das will ich Dir sagen. Er ist ein feiner Herr, der in Allem etwas Appartes haben will. Ein Wilderer, der ein Jäger wird, schau, das ist so etwas Appartes. Ihm thäte ich es zutrauen, daß er zu mir spräche: »Anton, Du hast mir bis jetzt die Gamsen ohne meine Erlaubniß weggeschossen, von heut an sollst Du es mit meiner Erlaubniß thun, und ich gebe Dir sogar noch ein Salair dazu. Ja, der Ludwig, der thäte das, wenn ich so richtig von der Leber weg mit ihm reden könnt. Aber er ist ein Wenig menschenscheu; da kann man nicht hinan. Und wie so dankbar wollte ich ihm sein! Herrjesses! Mein Leben thät ich für ihn lassen!«

Er hob beide Arme hoch empor und schnipste zur Bekräftigung seiner Worte mit den Fingern. Seine dunklen Augen glänzten; das sah man trotz der Nacht. Er war ganz begeistert von dem Gedanken, von der Wilderei ablassen und ein anderes Leben führen zu können, bei dem es nicht mehr nothwendig war, mit den Gesetzen und der Polizei in Conflict zu kommen.

Leni war ganz gerührt davon. Sie sagte:

»Ja, der Anton ist ein Braver. Er hat noch Keinem ein Leid angethan. Und wann er hätt', was er und seine Eltern für den Schnabel brauchen, dann wär er ein Bub, vor dem man schon bereits immer einen Respect haben müßt'. Das kannst halt glauben, Herr.«

Da ergriff der Wilderer schnell ihre Hand und rief im Tone des Glückes:

»Leni, das, was Du da sagst, ist so wahr wie das heilige Sakrament. Du hast mich nur zweimal gesehen, heut zum dritten Male, und während alle Anderen Angst vor mir haben und mich meiden, hast Du mit mir getanzt und mich nicht verachtet. Heut sprichst wieder für mich. Das werde ich Dir nie vergessen.«

»Plausch kein dummes Zeug nicht, Anton! Ich hab' mit Dir getanzt, weil ich Dich selbiges Mal nicht gekannt hab'. Du hast ein gutes Aug' und ein aufrichtig Gesicht. Darum hab' ich Dir nicht zuwider handeln können. Denn weißt, das Gesicht ist halt das Aushängeschild, was der Herrgott dem Menschen 'geben hat. Auf Deinem steht ein gut Gemüth und ein fröhlich Herz, und einem Menschen, der dieses Beids hat, dem darf man wohl Vertrauen schenken.«

Da fragte der König lächelnd:

»Was habe denn ich für ein Aushängeschild?«

»Du hast ein gar besonderes, sauberes und vornehmes. Gut bist auch, wohl seelensgut, und können thust auch Etwas. Das, was in Dir steckt, das sieht man Dir gleich an der Nasenspitzen an. Vielleicht bist ein Stadtschulmeister oder gar ein Stadtverordneter, denn die schauen Alle so vornehm und appart aus, als wenn sie halt von Zucker gebacken wären, und man darf ihnen nicht zu nahe kommen. Aber das Herz hast doch auch auf dem richtigen Flecke, wenn Du meinswegen auch ausschaust, als ob Du Einen mit einem einzigen Worte oder Blicke zur Maulsperre bringen könntst. Ists so oder nicht?«

»Hast nicht ganz schlecht gerathen.«

»Nicht wahr! Ja, wir auf den Bergen sind auch nicht von gestern oder gar von ehegestern. Nun aber macht, daß der Bär herein kommt in die Hütten. Dann wollen wir schlafen. Wer früh aufwachen will, der muß sich doch zuvor erst niedergelegt haben.«

Sie ging nach der Ecke, wo das erlegte Raubthier lag. Dasselbe war ausgewachsen und schwer; aber den drei urkräftigen Personen gelang es doch, es in die Hütte zu schaffen. Dann sagte Leni:

»So ists gethan. Und nun will ich Dir auch ein Lager machen, Anton, wo sie Dich nicht finden, wann sie ja kommen und nach Dir fragen sollten. Der Herr wird wohl ein Einsehen haben und Dich nicht verrathen.«

»Nein,« antwortete Ludwig. »Ich verrathe Dich gewiß nicht.«

»Meinst wirklich?« fragte Anton, ihn mißtrauisch forschend anblickend.

»Ja. Ich gebe Dir mein Wort darauf.«

»Das gilt nix. Ihr Stadtherren seid nicht allemal Diejenigen, welche gern Etwas auf ihr Wort geben.«

»Ich will da nicht mit Dir rechten. Aber sage selbst, ob ich hier stände, wenn Du nicht im rechten Augenblicke gekommen wärst?«

»Nein, Du ständst halt nicht da, sondern Du lägst draußen beim Bär, und er hätte Dich allbereits halb und halb verspeist.«

»Du hast mir also das Leben gerettet. Könnte ich da so schlecht sein, Dich an die Polizei zu verrathen?«

»Ja, schlecht wäre es wohl von Dir; aber wer sagt mir, daß Du es auch wirklich nicht thust?«

»Ich sage es, und wenn Du es nicht glaubst, so soll es mir sehr leid thun. Uebrigens mache, was Du willst! Gehe, oder bleibe. Mir soll Beides recht sein. Für alle Fälle aber will ich Dir zeigen, daß ich nicht undankbar bin.«

Er griff in die Tasche und zog seine Börse.

»Willst mir halt wohl ein Geldl geben?« fragte Anton.

»Ja.«

»Das laß nur schön bleiben, wenn Du mich nicht beleidigen willst. Um Bezahlung stehe ich keinem Menschen gegen ein Wildthier bei. Da kennst den Krikelanton schlecht!«

»Und Du verstehst mich falsch. Ich will Dir doch nicht etwa Deine muthige That bezahlen. Du hast Dein Leben gewagt, das läßt sich nicht mit Geld abmachen. Und das meinige, nämlich mein Leben - nun, es giebt Leute, welche sagen würden, daß es sich auch nicht so genau auf den Pfennig berechnen läßt, wie viel es werth sein könnte. Also kann ich Dir weder für Dein noch für mein Leben ein Geld bezahlen. Aber Du hast mir gesagt, daß Du arm bist und oft mit Deinen Eltern hungern mußt.«

»Ja, Herr, das ist freilich rechtschaffen wahr.«

»Nun, so will ich Dir etwas für Deinen Vater geben. Es soll ein Geschenk für ihn sein, damit er sich etwas Kräftiges für sein Mahl anschaffen kann.«

»Wenn es so ist, dann nehme ich es, Herr. Ich hab halt kein Recht, ein Geschenk zurückzuweisen, welches für den meinigen Vater bestimmt ist.«

»Gut, hier hast Du.«

Er legte ihm eine Anzahl Goldstücke in die ausgestreckte Hand. Anton machte ein höchst erstauntes Gesicht, zählte sie und sagte dann:

»Hast Dich wohl verrechnet. Das sind halt grad an die fünfzehn Doppelkronen, also nach der neuen Münz dreihundert Mark. Das ist ja grad ein Vermögen!«

»Ich irre mich nicht. Ich gebe es Dir. Nimm es Deinen Eltern mit!«

»Ja, bist denn bei Trost, Herr! Bist so gewaltig reich, daß Du ein solch Summa summarum verschenken kannst, he?«

»Ich habe Vermögen. Diese dreihundert Mark verspüre ich gar nicht, wenn sie mir fehlen.«

»Heilige Wassersuppen! So möcht ich alleweil mit Dir tauschen! Ich verspür es allbereits, wenn mir ein Pfennig aus dem Sack gerutscht ist. Also, machst Ernst? Wirklich?«

»Wirklich! Behalte es!«