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Bei dieser Ausgabe handelt es sich um Band 3 der sechsteiligen Serie "Der Weg zum Glück. Roman aus dem Leben Ludwig des Zweiten".Auf dem Titelblatt von "Der Weg zum Glück" bewarb der Verlag den Autor bereits als Verfasser des "Waldröschen", "Verlorner Sohn", "Deutsche Helden" etc. May erzählte auf 2.616 Seiten in 108 Lieferungen von Juli 1886 bis August 1888 "Höchst interessante Begebenheiten aus dem Leben und Wirken des Königs Ludwig II. von Baiern", wie der Untertitel der Buchausgabe versprach. Die Helden dieses Romans sind ein schrulliges bayerisches Original, genannt Wurzelsepp, und der bayerische König Ludwig II. Beide greifen in das Schicksal von mehreren Personen ein und sorgen dafür, dass diese glücklich werden können. So wird die arme Sennerin Magdalena, das Patenkind des Wurzelsepp, die von dem Wilderer Krickelanton sitzengelassen wurde, eine gefeierte Opernsängerin und Gräfin von Senftenberg. Einen Großteil des Romans nimmt aber der Kampf gegen die Machenschaften der beiden Bösewichte "Peitschenmüller" und "Silberbauer" ein, die vor langer Zeit in der Walachei eine Fürstin ermordet und ihr Kind entführt haben. Karl May bemüht sich in diesem Roman mit einem selbstgebastelten und äußerst fehlerhaften bairischen Dialekt um Lokalkolorit. Die Geschichte endet mit Tod des bayerischen Märchenkönigs. Der Wurzelsepp ist sich sicher, dass Ludwig II. ermordet wurde, und stirbt darauf selbst an gebrochenem Herzen.
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Inhaltsverzeichnis
Sechstes Capitel. Fortsetzung
Siebentes Capitel. Seelenstimmen
Achtes Capitel. Zweimal gerettet.
Karl May
Der Weg zum Glück. Dritter Band
Roman aus dem Leben Ludwig des Zweiten
Sechstes Capitel. Fortsetzung
Sie hatten den Wald erreicht, da wo der bereits mehrere Male erwähnte Weg in denselben führte. Der Lehrer blieb stehen und sagte, nach rechts deutend:
»Dort, jenseits der Wiesen liegt hinter den Büschen die Mühle versteckt. Bis zum Essen ist noch über eine Stunde Zeit. Bestimmen Sie, wohin wir unsere Schritte lenken wollen!«
»Ich schließe mich Ihnen an.«
»Dann also grad aus. Ich befinde mich so gern im Walde.«
»Wohl vielleicht, weil sich Ihre Heimath in einer waldigen Gegend befindet?«
»Nein. Es ist mir leider eigentlich nicht erlaubt, von einer Heimath zu sprechen.«
»Wie?« hauchte sie. »Es hat doch ein jeder Mensch eine solche.«
»Wenn Sie den Ort, an welchem man die Jugend verlebt, Heimath nennen, ja. Ich aber verstehe unter Heimath den Ort der Geburt.«
»Und Sie kennen diesen Ort nicht?«
»Nein. Ich bin ein – Findelkind.«
»Sie Aermster! Welch ein Verbrechen ist da an Ihnen begangen worden!«
»Ein Verbrechen keineswegs!«
»So meinen Sie also, daß Sie von Ihren Eltern verloren oder gar geraubt worden sind?«
»Ich meine nichts Bestimmtes; aber ich bin überzeugt, daß von einem Verbrechen keine Rede ist.«
Sie befanden sich jetzt mitten im Walde, durch welchen der Weg führte. Es hatte sie Beide eine ganz ungewöhnliche Stimmung ergriffen. Bei der Bürgermeisterin hatte das seinen guten Grund; bei dem Lehrer aber war es weniger leicht erklärlich.
Bereits als er sie neben dem Sepp an der Kirche zum ersten Male erblickt hatte, war dieser Anblick von einer ganz eigenartigen Wirkung auf ihn gewesen. Nur war es ganz und gar unmöglich, diese Wirkung in Worten zu beschreiben. Wie er es ihr offen gesagt hatte, war es ihm gewesen, als ob er sie bereits gesehen, als ob er schon mit ihr gesprochen habe. Und doch, nun er jetzt neben ihr herging, wußte er ganz genau, daß er ihr noch niemals begegnet sei. Und doch der tiefe, tiefe Eindruck, welchen ihre Gestalt, ihre Stimme, ihr ganzes Wesen auf ihn machte. Besonders wirkten ihre Augen mächtig auf ihn ein. Aber warum? Er konnte sich diese Frage nicht beantworten. Hatte er sie denn bereits einmal gesehen? Nein! Oder hatte er von ihnen geträumt? Hatte ihr Blick im Traume auf ihm geruht, so innig und so warm, mit dem Blicke der Liebe, wie Augen der Geliebten, wie – Mutteraugen?«
Bei diesem letzteren Gedanken war es ihm, als ob ein galvanischer Strom sein Inneres durchzucke. Er blickte schnell auf, in ihr Gesicht, in ihre Augen, so scharf und forschend, daß sie den Blick senkte.
Sie fuhr fort:
»Ist es denn nicht möglich, daß Ihre Mutter Sie mit Absicht verlassen hat?«
»Möglich ist es.«
»Dann ist es aber ein Verbrechen!«
»Nein!«
»Erlauben Sie, daß ich anderer Meinung bin!«
»So werde ich stets eine andre als Sie besitzen. Sie waren heut in der Kirche. Denken Sie an das Wort: Kann auch eine Mutter ihr Kind vergessen?«
»Vergessen wohl nie, nie, nie! Aber macht dies die That weniger verdammlich?«
»Kann ein Mensch über eine That richten, für welche er kein Verständniß hat? Die Mutterliebe ist eine große Macht, eine aus der göttlichen Liebe fließende Macht. Wenn eine Mutter ihr Kind verläßt, so müssen gewaltige Motive vorhanden gewesen sein, und dann ist die That eben kein Verbrechen, sondern sie ist in den andern Verhältnissen begründet, mögen dieselben nun rein äußerliche oder seelische sein.«
»Sie denken sehr mild!«
»Ich habe kein Recht, anders zu denken.«
»Und doch haben Sie unter den Folgen einer solchen That schwer zu leiden gehabt!«
»Nein. Ich habe die Mutterliebe nicht vermißt, weil ich sie niemals kennen gelernt hatte. Andre Liebe habe ich reichlich gefunden.«
»So sind Sie also nicht zu beklagen?«
»Nein.«
»Und folglich kann Ihnen daran, Ihre Eltern zu finden, gar nichts gelegen sein.«
»Hierin irren Sie freilich. Ich möchte viel, sehr viel darum geben, wenn ich nur ein Weniges über meine Eltern erfahren könnte.«
»Sie leben wohl Beide nicht mehr. Sonst hätten sie doch nach Ihnen gesucht.«
»Sie haben gesucht, mich aber nicht gefunden.«
»Sonderbar! Wenn Sie das wissen, so sind Sie es, der sich nicht hat finden lassen.«
»Auch hier irren Sie. Ich habe erst vor ganz Kurzem erfahren, daß ich gesucht worden bin.«
»Das ist ja hoch interessant!«
»Gewiß für mich, weniger für Fremde.«
»Warum? Ich kann mich für einen solchen Fall so interessiren, als ob ich selbst dabei in Mitleidenschaft gezogen sei. Ganz besonders erregt Ihr Fall mein Mitgefühl.«
»Warum der meinige?«
»Weil – weil – –«
Er war stehen geblieben und blickte ihr mit großen, offenen Augen in das Gesicht. Vor diesem Blicke senkte sie den ihrigen. Sie hatte fast im Begriffe gestanden, ihm die Wahrheit zu sagen. Jetzt aber antwortete sie nur:
»Weil der Wurzelsepp davon gesprochen hat.«
»Der! Und ich habe es ihm streng verboten!«
»Sie dürfen es ihm verzeihen. Wir sind so alte und vertraute Bekannte, daß es uns sehr schwer fallen würde, ein Geheimniß vor einander zu haben.«
»Und doch sollte er nichts sagen. Das Geheimniß gehört nicht blos mir und ihm, sondern auch den Personen, welche ihm Auftrag gegeben haben, nach mir zu forschen.«
»So verzeihen Sie mir, daß ich in dasselbe eingedrungen bin! Haben Sie denn Hoffnung, die Ihrigen zu finden.«
»Ja. Nun der Wurzelsepp mich gefunden hat, braucht er ja nur Denen, in deren Auftrag er handelt, meine Adresse zu sagen.«
»Richtig. Daran dachte ich nicht. Sie werden also Ihre Eltern sehr bald kennen lernen.«
»Wohl die Mutter, den Vater nicht.«
»Warum denken Sie das?«
»Meine Mutter hat mich fremden Händen überlassen. Sie muß sich in großer Noth und Bedrängniß befunden haben. Sie hätte das jedenfalls nicht gethan, wenn der Vater ihr zur Seite gestanden hätte. Er hat sie verlassen. Entweder war und ist er todt, oder – es ist noch viel, viel schlimmer.«
»Was meinen Sie?«
»Er ist ein Schurke, der sie verlassen hat.«
»Mein Gott! Welch ein Gedanke!«
»Liegt er nicht nahe?«
»Vielleicht. Aber wenn es so wäre. Würden Sie Ihrem Vater verzeihen?«
»Ich würde ihm verzeihen, denn er ist mein Vater, und ich bin ein Christ und Mensch, der die heilige Pflicht hat, Jedem und Jedes zu verzeihen. Aber ich würde ihn – – verachten.«
Er sagte das so ernst und in festem Tone, daß sie erschrocken einsehen mußte, daß er nicht in leeren Worten gesprochen habe. Sie standen vor einander, er finster vor sich niederblickend, sie blaß und erregt, das Auge angstvoll auf sein Gesicht gerichtet. Sie fragte weiter:
»Und ebenso würden Sie Ihre Mutter verachten?«
Da erhob er den Kopf. Sein Gesicht erhellte sich. Sein Auge begann zu leuchten.
»Ihr zürnen? Sie verachten? Meine Mutter? Wie wäre das möglich! Was sie gethan hat, das that sie gezwungen. Vielleicht hat sie gewußt, daß ich unter Fremden besser aufgehoben sei, als bei ihr. Und wenn das Alles auch gewesen wäre, der Vater ist ein Mann, den kann und muß man verachten. Eine Frau aber, eine Mutter verachten, das liegt ganz außerhalb der menschlichen Natur. Sagt doch der Dichter mit Recht:
Wenn Du noch eine Mutter hast, So danke Gott und sei zufrieden. Nicht Jedem auf dem Erdenrund Ist so ein hohes Glück beschieden!
Wenn Du noch eine Mutter hast, So sollst Du sie mit Liebe pflegen, Daß sie dereinst ihr müdes Haupt, In Frieden kann zur Ruhe legen.
Er sagte das so innig, so herzlich! Sie kämpfte mit sich selbst. Sollte sie sich ihm mittheilen? Jetzt schon? Es zog sie mit jeder Faser ihres Herzens zu ihm hin. Und doch zitterte sie bei dem Gedanken, daß er sein mildes Urtheil zurücknehmen könne. Nein, sie wollte ihn noch weiter ausforschen, ehe sie das entscheidende Wort sagte.
»Und wenn Ihre Mutter aber wirklich schlecht an Ihnen gehandelt hätte.«
»Das hat sie nicht!« antwortete er bestimmt.
»Wenn sie Sie verlassen hätte aus Leichtsinn, ohne Noth und zwingende Gründe?«
Sie hatte die Hände gefaltet. Er ließ seinen Blick über sie schweifen, nicht beobachtend und forschend, sondern blitzschnell, aufleuchtend. Und als er dann antwortete, strahlte ihr förmlich eine seelische Wärme aus seinem Gesichte entgegen.
»Meine Mutter leichtsinnig? Nein, das ist sie nie gewesen, und das ist sie nicht. Ich habe den Charakter meiner Mutter geerbt, und ich bin nicht leichtsinnig. Meine Mutter ist ein gutes, herrliches, einziges Wesen. Ich liebe sie von ganzem Herzen und mit meiner ganzen Seele. Ich könnte mein Leben für sie geben zu jeder Zeit, gleich jetzt! Ich bete sie an! Oder soll ich das nicht? Soll ich Dich nicht lieben, Mutter, Mutter, meine Mutter?«
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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