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Die Reihe Die achtzigbändige Reihe "Die Götter der Germanen" stellt die Gottheiten und jeden Aspekt der Religion der Germanen anhand der schriftlichen Überlieferung und der archäologischen Funde detailliert dar. Dabei werden zu jeder Gottheit und zu jedem Thema außer den germanischen Quellen auch die Zusammenhänge zu den anderen indogermanischen Religionen dargestellt und, wenn möglich, deren Wurzeln in der Jungsteinzeit und Altsteinzeit. Daneben werden auch jeweils Möglichkeiten gezeigt, was eine solche alte Religion für die heutige Zeit bedeuten kann - schließlich ist eine Religion zu einem großen Teil stets der Versuch, die Welt und die Möglichkeiten der Menschen in ihr zu beschreiben. Das Buch Der Weltenbaum ist ein zentrales Element der germanischen Mythologie. Er spielt eine wichtige Rolle u.a. in den Mythen des Tyr, des Odin, des Baldur, des Hödur, des Loki und der Idun. Er steht am Nordpol und hat in den Mythen weder eine Entstehung noch ein Ende - er ist das Halt-gebende Element in der Mitte der vielen turbulenten Ereignisse. Er verbindet das Diesseits und das Jenseits und ist daher auch für die Schamanen und Priester von großer Bedeutung.
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Seitenzahl: 420
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Astrologie (496 S.)
Photo-Astrologie (428 S.)
Horoskop und Seele (120 S.)
Tarot (104 S.)
Handbuch für Zauberlehrlinge (408 S.)
Physik und Magie (184 S.)
Der Lebenskraftkörper (230 S.)
Die Chakren (100 S.)
Meditation (140 S.)
Reinkarnation (156 S.)
Drachenfeuer (124 S.)
Krafttiere – Tiergöttinnen – Tiertänze (112 S.)
Schwitzhütten (524 S.)
Totempfähle (440 S.)
Muttergöttin und Schamanen (168 S.)
Göbekli Tepe (472 S.)
Hathor und Re 1: Götter und Mythen im Alten Ägypten (432 S.)
Hathor und Re 2: Die altägyptische Religion – Ursprünge, Kult und Magie (396 S.)
Isis (508 S.)
Die Entwicklung der indogermanischen Religionen (700 S.)
Wurzeln und Zweige der indogermanischen Religion (224 S.)
Der Kessel von Gundestrup (220 S.)
Der Chiemsee-Kessel (76)
Cernunnos (690 S.)
Christus (60 S.)
Odin (300 S.)
Die Götter der Germanen (Band 1 – 80)
Dakini (80 S.)
Kursus der praktischen Kabbala (150 S.)
Eltern der Erde (450 S.)
Blüten des Lebensbaumes 1: Die Struktur des kabbalistischen Lebensbaumes (370 S.)
Blüten des Lebensbaumes 2: Der kabbalistische Lebensbaum als Forschungshilfsmittel (580 S.)
Blüten des Lebensbaumes 3: Der kabbalistische Lebensbaum als spirituelle Landkarte (520 S.)
Über die Freude (100 S.)
Das Geheimnis des inneren Friedens (252 S.)
Von innerer Fülle zu äußerem Gedeihen (52 S.)
Das Beziehungsmandala (52 S.)
Die Symbolik der Krankheiten (76 S.)
König Athelstan (104 S.)
Die Entwicklung der germanischen Religion
Lexikon der germanischen Religion
Der ursprüngliche Göttervater Tyr
Tyr in der Unterwelt: der Schmied Wieland
Tyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 1
Tyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 2
Tyr in der Unterwelt: der Zwergenkönig
Der Himmelswächter Heimdall
Der Sommergott Baldur
Der Meeresgott: Ägir, Hler und Njörd
Der Eibengott Ullr
Die Zwillingsgötter Alcis
Der neue Göttervater Odin Teil 1
Der neue Göttervater Odin Teil 2
Der Fruchtbarkeitsgott Freyr
Der Chaos-Gott Loki
Der Donnergott Thor
Der Priestergott Hönir
Die Göttersöhne
Die unbekannteren Götter
Die Göttermutter Frigg
Die Liebesgöttin: Freya und Menglöd
Die Erdgöttinnen
Die Korngöttin Sif
Die Apfel-Göttin Idun
Die Hügelgrab-Jenseitsgöttin Hel
Die Meeres-Jenseitsgöttin Ran
Die unbekannteren Jenseitsgöttinnen
Die unbekannteren Göttinnen
Die Nornen
Die Walküren
Die Zwerge
Der Urriese Ymir
Die Riesen
Die Riesinnen
Mythologische Wesen
Mythologische Priester und Priesterinnen
Sigurd/Siegfried
Helden und Göttersöhne
Die Symbolik der Vögel und Insekten
Die Symbolik der Schlangen, Drachen und Ungeheuer
Die Symbolik der Herdentiere
Die Symbolik der Raubtiere
Die Symbolik der Wassertiere und sonstigen Tiere
Die Symbolik der Pflanzen
Die Symbolik der Farben
Die Symbolik der Zahlen
Die Symbolik von Sonne, Mond und Sternen
Das Jenseits
Seelenvogel, Utiseta und Einweihung
Wiederzeugung und Wiedergeburt
Elemente der Kosmologie
Der Weltenbaum
Die Symbolik der Himmelsrichtungen und der Jahreszeiten
Mythologische Motive
Der Tempel
Die Einrichtung des Tempels
Priesterin – Seherin – Zauberin – Hexe
Priester – Seher – Zauberer
Rituelle Kleidung und Schmuck
Skalden und Skaldinnen
62 Kriegerinnen und Ekstase-Krieger
Die Symbolik der Körperteile
Magie und Ritual
Gestaltwandlungen
Magische Waffen
Magische Werkzeuge und Gegenstände
Zaubersprüche
Göttermet
Zaubertränke
Träume, Omen und Orakel
Runen
Sozial-religiöse Rituale
Weisheiten und Sprichworte
Kenningar
Rätsel
Die vollständige Edda des Snorri Sturluson
Frühe Skaldenlieder
Mythologische Sagas
Hymnen an die germanischen Götter
Der Weltenbaum in der germanischen Überlieferung
Wortschatz
Germanische Begriffe für den Weltenbaum
Zusammenfassung
Die Esche Yggdrasil
Der Name „Yggdrasil“
Die Esche
Gylfis Vision
Grimnir-Lied
Gylfis Vision
Gylfis Vision
Grimnir-Lied
Gylfis Vision
Grimnir-Lied
Gylfis Vision
Die Vision der Seherin
Gylfis Vision
Die Vision der Seherin
Die Vision der Seherin
Fiölswin-Lied
Odins Rabenzauber
Odins Rabenzauber
Grimnir-Lied
Das andere Lied über Helgi Hunding-Töter
Gautrek-Saga
Die Vision der Seherin
Runen-Namen
Die Saga über Eirek den Weitfahrenden
Zusammenfassung
Mimameid
Der Name „Mimameid“
Fiölswin-Lied
Zusammenfassung
Hoddmimirs Holz
Gylfis Vision
Zusammenfassung
Lärad
Der Name „Lärad“
Gylfis Vision
Grimnir-Lied
Zusammenfassung
Irminsul
Der Name „Irminsul“
Adam von Bremen
Rudolf von Fulda
Hildebert von Tours
Externsteine
Zusammenfassung
Glasir
Der Name „Glasir“
Skaldskaparmal
Skaldskaparmal
Skaldskaparmal
Fiölswin-Lied
Godmund von Glasisvellir
Das Lied über Helgi Hiörvard-Sohn
Das erste Lied über Helgi Hunding-Töter
Die jüngere Version der Huldar-Saga
Zusammenfassung
Sigurds Baum
Fafnir-Lied
Brünhilds Hel-Fahrt
Faröische Heldenlieder: Brünhild-Lied
Zusammenfassung
Donar-Eiche
Die Donar-Eiche von Goslar
Skaldskaparmal
Gylfis Vision
Die Geschichte über Norna-Gest
Brünhilds Hel-Fahrt
De Administrando Imperio
Zusammenfassung
Die Linde
Das Ortnit-Lied
Wolfdietrich-Lied
Wolfdietrich-Lied
Zusammenfassung
Der Apfelbaum und der Haselstrauch der Idun
Skaldskaparmal
Völsungen-Saga
Skaldskaparmal
Kenningar
Frau Holle
Zusammenfassung
Der heilige Baum von Uppsala
Hamburgische Kirchengeschichte
Zusammenfassung
Hönirs Baum
Haustlöng
Gylfis Vision
Zusammenfassung
Der Schutzbaum
Brauchtum
Aschenputtel
Zusammenfassung
Der uralte, mächtige Baum
Landnahme-Buch
Gylfis Vision
Zusammenfassung
Myrkvid
Bifröst
Die Erdachse
Gylfis Vision
Gylfis Vision
Fiölswin-Lied
Gylfis Vision
Zusammenfassung
Die Flüsse am Weltenbaum
Gylfis Vision
Gylfis Vision
Grimnir-Lied
Skaldskaparmal
Thorsdrapa
Das andere Lied über Sigurd Fafnir-Töter
Gylfis Vision
Die Geschichte über Norna-Gest
Zusammenfassung
Der Thing-Platz unter dem Weltenbaum
Gylfis Vision
Loddfafnir-Lied
Gerichtsbäume
Zusammenfassung
Der Weltenbaum im Ritual
Skaldskaparmal
Das Lied über Helgi Hörvatd-Sohn
Havamal
Thidrek-Saga
Völsungen-Saga
Harbard-Lied
Reisebericht des Ibn Fadlan
Die Saga über Fridthjof den Kühnen
Die Geschichte der Gotländer
Angelsächsisches Canon-Gesetz
De Administrando Imperio
Englischer Brakteat
Zusammenfassung
Das Gjallar-Horn unter dem Weltenbaum
Die Vision der Seherin
Odins Rabenzauber
Die Vision der Seherin
Das andere Gudrun-Lied
Sigdrifa-Lied
Zusammenfassung
Baum-Riesen
Viddgreipir
Vidblindi
Viddi
Widfinnr
Zusammenfassung
Die Baum-Geburt der Menschen
Gylfis Vision
Die Vision der Seherin
Gylfis Vision
Wafthrudnir-Lied
Skaldskaparmal
Fiölswin-Lied
Procopius
Ragnar-Saga
Völsungen-Saga
Zusammenfassung
Weltenbaum und Jenseits-Wald
Tacitus
Tacitus
Völund-Lied
Indiculus superstitionum et paganiarum
Die Saga über Hervor und König Heidrek den Weisen
Skaldskaparmal
Gylfis Vision
Lokasenna
Der Seherin Ausspruch
Die Saga über Hervor und König Heidrek den Weisen
Zusammenfassung
Jacob Grimm: Deutsche Mythologie
Über den Wald
Zusammenfassung
Bildsteine
Runenstein von Sanda
Zusammenfassung
Schatztruhen
Das Runenkästchen von Auzon
Zusammenfassung
Wandteppiche
Die fünf Wandteppiche von Överhogdal
Wandteppich aus dem Oseberg-Schiff
Zusammenfassung
Der Weltenbaum auf den Brakteaten
Brakteat aus Inderöy
Zusammenfassung
Die Hochsitz-Pfosten
Pfosten mit Gesicht
Stuhl mit geschnitztem Baum
Zusammenfassung
Personennamen
mit „Baum“ gebildete Personennamen
Zusammenfassung
Zusammenfassung
Der Weltenbaum bei den Indogermanen
West-Indogermanen
Kelten
Römer
Germanen
Slawen
Balten
Zusammenfassung: West-Indogermanen
Süd-Indogermanen
Hethiter
Zusammenfassung: Süd-Indogermanen
Ost-Indogermanen
Inder
Perser
Skythen
Griechen
Zusammenfassung: Ost-Indogermanen
Die Nachbarn der Indogermanen
Finnen
Zusammenfassung: Finnen
Zusammenfassung: Indogermanen
Der Weltenbaum in der Jungsteinzeit
Mesopotamien
Sumer
Elamiter
Drawiden
Semiten
Kreta
Nordostafrika
Ägypter
frühe Jungsteinzeit
Göbekli Tepe, Nevali Cori, Jericho und Çatal Höyük
Zusammenfassung: Jungsteinzeit
Der Weltenbaum in späten Altsteinzeit
Asien
Amerika
Nordamerika
Mittelamerika
Zusammenfassung: Altsteinzeit
Die Biographie des Weltenbaumes
Das Aussehen des Weltenbaumes
Hymne an den Weltenbaum
Yggdrasil
Traumreise zum Weltenbaum
Der Weltenbaum heute
Themenverzeichnis
Neben der bekannten Bezeichnung „Yggdrasil“ gibt es noch fünf weitere Begriffe, mit denen der Weltenbaum umschrieben werden konnte. In den noch folgenden Kapiteln werden noch einige weitere, eher speziellere Namen besprochen.
Der Wortschatz zum „heiligen Baum“ zeigt diesen als Opferbaum, als Jenseitsreise-Weg und als Baum der Nornen.
Der häufigste Name für den Weltenbaum ist in den germanischen Mythen „Askr Yggdrasil“. Unter diesem Namen finden sich die ausführlichsten Beschreibungen dieser Mitte der Welt.
Das Wort „drasil“ bedeutet „Pferd“. Das Wort „yggr“ hat die Bedeutung „Furcht“ und ist ein häufiger Beiname des Gottes Odin. Ein „Yggdrasil“ ist folglich entweder ein „Schreckenspferd“ oder „Odins Pferd“, d.h. Odins achtbeiniges „Doppelpferd“ Sleipnir.
Sleipnir hat deshalb acht Beine, weil er aus den beiden Pferdezwillingen vor dem Streitwagen des indogermanischen Sonnengott-Göttervaters Dhyaus (germanisch: Tyr) entstanden ist. Diese Pferdezwillinge heißen z.B. bei den Griechen Dioskuren und bei den Römern Kastor und Pollux. Bei den Germanen wurden sie „Alcis“, d.h. „Elche, Hirsche“ genannt, da der Wagen des Göttervaters bei den Germanen und auch bei den ihnen nah verwandten Kelten auch von zwei Hirschen statt von zwei Pferden gezogen werden konnte.
Ein spätes Überbleibsel dieses Motivs sind die beiden Rentiere vor dem Schlitten des Weihnachtsmannes.
Sleipnir ist das Pferd, mit dessen Hilfe Odin in das Jenseits und wieder aus ihm heraus reiten kann. Es ist somit eng mit dem Weltenbaum als der Verbindung zwischen den Welten verbunden. Der Weltenbaum ist sozusagen der Weg der Schamanen, der Priester, der Sonne und des Odin, die alle regelmäßig in die Unterwelt und wieder aus ihr zurück reisen.
Mit dieser Jenseitsreise ist die Szene des Augenopfers des Odin sowie der Tod vieler Asen beim Ragnarök verbunden – Odin kann anschließend mit seinem „toten Auge“ die „Welt der Toten“ sehen.
Mit der Rückkehr aus der Unterwelt ist die Wiedergeburt des Baldur nach dem Ragnarök verknüpft.
Die Weltesche wird in den nordischen Texten so gut wie immer „Askr Yggdrasil“ also „Esche des Sleipnir“ genannt. Diese Bezeichnung des Weltenbaumes besagt, daß es sich um eine Esche handelt, die zu Sleipnir gehört, d.h. der entweder dem Sleipnir gehört (was keinen Sinn ergibt) oder der eine Funktion hat, die der Funktion des Sleipnir entspricht (die Jenseitsreise), oder für den Sleipnir von Bedeutung ist.
Es gibt zwei Assoziationen, die von dem Namen „Askr Yggdrasil“ ausgehen:
1. „Schreckensbaum“ ist eine Kenning für „Galgen“ gewesen und der Galgen konnte auch „Pferd der Gehängten“ genannt werden. Da Odin bei seinem rituellen Opfertod an der Weltesche hing, ist auch der Weltenbaum in gewisser Weise ein „ritueller Galgen“.
Durch diese Assoziation gelangt man wieder zu dem Weltenbaum als Jenseitsreise-Weg.
2. Eine „Esche des Sleipnir“ kann man auch als „Pferdepflock des Sleipnir“ auffassen, also als einen Baum, an den Odin sein Roß anbindet, wenn er zu den Asen, den Nornen oder zu Mimir geht.
Auch diese Deutung führt wieder zu dem Weltenbaum als Jenseitsreise-Weg.
Die Esche ist der höchste europäische Laubbaum, der über 40m hoch werden kann. Daher ist er als Symbol für den Weltenbaum besonders gut geeignet – schließlich ragt er symbolisch gesehen bis zum Himmel hinauf.
Die Nadelbäume werden zwar deutlich höher (Kiefer bis 60m, Fichte bis 80m, Tanne bis 90m), aber man scheint sie als Symbol für die Verbindung zwischen Himmel und Erde als nicht geeignet angesehen zu haben, da die Nadelbäume nirgendwo in dieser Funktion erscheinen.
Erst in neuerer Zeit hat auch die Tanne die Weltenbaum-Symbolik übernommen – an Weihnachten.
Da antwortete Jafnhar: „Diese Esche ist der größte und beste von allen Bäumen: seine Zweige breiten sich über die ganze Welt und reichen hinauf über den Himmel. Drei Wurzeln halten den Baum aufrecht, die sich weit ausdehnen: die eine zu den Asen, die andere zu den Hrimthursen, wo vormals Ginnungagap war; die dritte steht über Niflheim, und unter dieser Wurzel ist Hwergelmir und Nidhögg nagt von unten an ihr. Bei der andern Wurzel hingegen, welche sich zu den Hrimthursen erstreckt, ist Mimirs Brunnen, worin Weisheit und Verstand verborgen sind.“
Die drei Wurzeln der Esche sollten aus statischen Gründen symmetrisch angeordnet sein.
Da Niflheim im Norden liegt, sollte diese Wurzel nach Norden weisen.
Die Eisriesen sollte man im Osten erwarten, da Thor stets dorthin reist, um die Riesen zu erschlagen. Allerdings ist zu bedenken, daß diese Symbolik erst um 500 n.Chr. bei der Absetzung des ehemaligen Sonnengott-Göttervaters Tyr entstanden ist, bei der der am Morgen aus der Unterwelt zurückkehrende Tyr als Riese von Thor getötet worden ist. Die Eisriesen-Wurzel weist somit ungefähr nach Ost-Südost.
Die dritte Wurzel, die zu den Asen führt, sollte daher ungefähr nach West-Südwest weisen.
Ob diese Rekonstruktion tatsächlich der Ansicht der Germanen vor 1000 Jahren entspricht, ist fraglich. Es ist nicht einmal sicher, daß die Zuordnung der drei Wurzeln zu drei mythologischen Bereichen weit verbreitet gewesen ist.
Die drei Wurzeln der Weltesche
Richtung
Bereich
Wesen
Norden
Niflheim
der Drache Nidhöggr in der Quelle Hvergelmir
Südost
Hrimthursen
der Riese Mimir
Südwest
Asen
die Asen
„Der Eigner des Brunnens heißt Mimir, und er ist voller Weisheit, weil er täglich von dem Brunnen aus dem Giallarhorn trinkt. Einst kam Allvater dahin und verlangte einen Trunk aus dem Brunnen, erhielt ihn aber nicht eher, bis er sein Auge zum Pfand setzte.
So heißt es in der Wöluspa:
Alles weiß ich, Odin, wo Dein Auge blieb:
In der vielbekannten Quelle Mimirs.
Met trinkt Mimir jeden Morgen
Aus Walvaters Pfand: wißt ihr was das bedeutet?“
Mimirs Quelle ist der Eingang zur Unterwelt. Daher kann Odin, indem er eines seiner Augen opfert und es in den Brunnen legt, mit diesem „toten Auge im Totenreich“ nun auch im Jenseits sehen.
Der Name „Mimir“ des Tyr-Riesen, der Odins Vorgänger als Göttervater gewesen ist, bedeutet „Erinnerung“. Dieser Name könnte sich auch auf Tyr-Mimirs Wissen um die vergangenen Dinge, die nun im Jenseits sind, beziehen.
Mimir ist eine der vielen Gestalten, in die der ehemalige Sonnengott-Göttervater Tyr nach seiner Absetzung um 500 n.Chr. zerfallen ist. Tyr-Mimirs tägliches Trinken aus der Quelle ist eine Umdeutung der Rückkehr der Sonne (Tyr) am Morgen aus der Wasserunterwelt.
Das Opfern des Auges des Odin an Mimirs Quelle ist eine der vielen Szenen, in denen Odin einen Teil der Macht des Tyr übernimmt – hier ist es die Weisheit, die vor allem aus der Kenntnis des Jenseits besteht.
Eine leicht abweichende Zuordnung von Wesen zu den drei Wurzeln des Weltenbaumes findet sich im Grimnir-Lied:
Gladr und Gyllir, Gler und Skeidbrimir,
Silfrintopp und Sinir,
Gisl und Falhofnir, Gulltopp und Lettfeti:
Diese Rosse reiten die Asen
Täglich, wenn sie reiten Gericht zu halten
Bei der Esche Yggdrasil.
Drei Wurzeln strecken sich nach drei Seiten
Unter der Esche Yggdrasil:
Hel wohnt unter einer, unter der andern Hrimthursen,
Aber unter der dritten Menschen.
Wer wohnt unter welcher Wurzel?
Gylfis Vision
Grimnir-Lied
wo?
wer?
wo?
wer?
Norden
Niflheim: Tote
?
Hel
Südost
Hrimthursen
?
Hrimthursen
Südwest
Asgard: Asen
?
Menschen
„Unter der dritten Wurzel der Esche, die zum Himmel geht, ist ein Brunnen, der sehr heilig ist, Urds Brunnen genannt: da haben die Götter ihre Gerichtsstätte; jeden Tag reiten die Asen dahin über Bifröst, welche auch Asenbrücke heißt.“
Interessanterweise führt eine der drei Wurzeln zum Himmel, also nach oben … Das läßt sich am ehesten dadurch erklären, daß hier versucht worden ist, die verschiedenen Bereiche der Welt den drei Wurzeln zuzuordnen.
Aus den bisher betrachteten Texten ergibt sich, daß sich unter jeder der drei Wurzeln der Weltesche ein Brunnen befindet, der mit einem bestimmten Wesen oder einer Gruppe von Wesen sowie mit einer bestimmten Qualität verbunden ist:
Die Qualitäten der drei Quellen zeigen deutlich, daß es sich letztlich um ein- und dieselbe Quelle handelt, die das Tor zum Jenseits ist.
Daraus wird man schließen können, daß das Motiv „Brunnen am Weltenbaum“ älter ist als die Zuordnung der verschiedenen Welten zu den drei Wurzeln des Weltenbaumes.
„Da frug Gangleri: „Was ist weiter Merkwürdiges von der Esche zu sagen?“ Har antwortete: „Gar viel ist davon zu sagen. Ein Adler sitzt in den Zweigen der Esche, der viele Dinge weiß, und zwischen seinen Augen sitzt ein Habicht, Wedfölnir genannt. Ein Eichhörnchen, das Ratatösk heißt, springt auf und nieder an der Esche und trägt Zankworte hin und her zwischen dem Adler und Nidhögg.“
Der Adler ist der Seelenvogel des Göttervaters – bei den Germanen bis 500 n.Chr. also Tyr und danach dann Odin.
Der Name „Wedfölnir“ des Falken, der zwischen den Augen des Adlers sitzt, bedeutet „der vom Wetter Gebleichte“. Der Falke ist der Seelenvogel des Loki. Der ehemalige Wintergott Loki tanzt hier offenbar dem ehemaligen Sommergott Tyr auf der Nase herum …
Der Name „Nidhögg“ hat die Bedeutung „Schlange in der Unterwelt“, womit ein Totengeist gemeint ist – wahrscheinlich Tyr als Unterwelt-Drache in seinem nächtlichen bzw. winterlichen Hügelgrab. Die übliche Übersetzung „Neidnatter“ ist zwar klanglich sehr nah an dem germanischen Original, aber nicht sonderlich präzise …
In dieser Schilderung des Weltenbaumes erscheinen Adler und Schlange als Gegner und erinnern dadurch an Thor und die Midgartschlange. Vor 500 n.Chr. wird der Adler jedoch Tyr als die Tag-Sonne im Diesseits und die Schlange Tyr als die Nacht-Sonne im Jenseits gewesen sein.
„Ratatosk“ bedeutet „Nagezahn“. Das Verb „rata“ für „nagen“ ist der Ursprung des Wortes „Ratte“.
Dieselben Tiere werden auch im Grimnir-Lied beschrieben:
Ratatösk heißt das Eichhorn, das auf und ab rennt
An der Esche Yggdrasil:
Des Adlers Worte oben vernimmt es
Und bringt sie Nidhöggr nieder.
„Und vier Hirsche laufen umher an den Zweigen der Esche, und beißen die Knospen ab. Sie heißen: Dain, Dwalin, Dunneir, Durathror.“
Die Namen der vier Hirsche zeigen, daß es sich um Ahnen handelt, die bei der Bestattung mit dem für sie geopferten Hirsch identifiziert wurden: „Dain“ bedeutet „Gestorbener“, „Dwalin“ „Schlafender“; „Dunneir“ „Feuergänger“ und „Durathror“ „Schlummer-Zwerg“. Die Hirsche sind also Zwerge, d.h. Totengeister, die durch das Jenseitstorfeuer der Waberlohe gegangen sind und nun im Jenseits „schlafen“, d.h. tot sind.
Dieses Motiv stammt noch aus den Jenseitsvorstellungen der Jungsteinzeit, die sich auch bei allen Indogermanen findet: Der Wiedergeburt der Toten und der morgendlichen Sonne im Jenseits durch die Muttergöttin geht eine Wiederzeugung voraus. Um die Zeugungskraft der (männlichen) Toten sicherzustellen, wurde für sie ein männliches Herdentier geopfert und der Tote in das Fell dieses Tieres gehüllt, sodaß seine Zeugungskraft (die es als Herdentier haben mußte, da es schließlich Herden bildete) auf den Toten übertragen wurde.
Da die meisten Herdentiere Hörner oder ein Geweih haben (Hirsch, Stier, Ziegenbock u.a.), entstand das Motiv der gehörnten Ahnen im Jenseits, aus denen dann im Christentum der gehörnte Teufel wurde.
Die vier Hirsche erinnern an die vier Himmelsträger-Zwerge, bei denen sich auch die Wiederzeugungs-Symbolik findet, da sie sich mit Freya vereinen, die dafür ihr Brisingamen erhält – auch diese Mythe ist schon umgedeutet worden (siehe „Himmelsträger“ in Band 32).
Vermutlich geht diese Hirsch-Symbolik auf Tyr zurück, da sie am deutlichsten mit dem ehemaligen Göttervater verbunden gewesen ist.
Diese Stelle aus dem „Grimnir-Lied“ stimmt mit der bereits zitierten Stelle aus „Gylfis Vision“ überein:
Der Hirsche sind vier, die mit krummem Halse
An der Esche Ausschüssen weiden:
Dain und Dwalin, Duneyr und Durathror.
„Und so viel Schlangen sind in Hwergelmir bei Nidhögg, daß es keine Zunge zu zählen vermag.
So heißt es hier:
Die Esche Yggdrasil duldet Unbill
Mehr als Menschen wissen:
Der Hirsch weidet oben, hohl wird die Seite,
Unten nagt Nidhögg.
Ferner heißt es:
Mehr Gewürm liegt unter der Esche Wurzel
Als ein unkluger Affe meint:
Goin und Moin, Grafwitnirs Söhne,
Grabak und Grafwöllud;
Ofnir und Swafnir sollen ewig
Von der Wurzel Zweigen zehren.“
Diese beiden Strophen sind Zitate des Snorri Sturluson aus dem Grimnir-Lied, die er in die Edda eingefügt hat.
Nidhöggr ist somit nicht alleine, sondern lediglich der bekannteste, größte o.ä. der Schlangen. Er ist daher vermutlich so etwas wie ein „Drachenkönig“ – eben Tyr als Jenseitsdrache.
„Auch wird erzählt, daß die Nornen, welche an Urds Brunnen wohnen, täglich Wasser aus dem Brunnen nehmen und es zugleich mit dem Lehm, der um den Brunnen liegt, auf die Esche sprengen, damit ihre Zweige nicht dorren oder faulen. Dieses Wasser ist so heilig, daß alles, was in den Brunnen kommt, so weiß wird wie die Haut, die inwendig in der Eierschale liegt.
So heißt es:
Begossen wird die Esche, die Yggdrasil heißt,
Der geweihte Baum, mit weißem Nebel.
Davon kommt der Tau, der in die Täler fällt.
Immergrün steht er über Urds Brunnen.
Den Tau, der von ihr auf die Erde fällt, nennt man Honigtau: davon ernähren sich die Bienen. Auch nähren sich zwei Vögel in Urds Brunnen, die heißen Schwäne und von ihnen kommt das Vogelgeschlecht.“
Die Farbe „weiß“ war bei den Germanen ein Symbol für „rein“ und „leuchtend“. Der Gott Heimdall wird als der „Weiße Ase“ bezeichnet und Tyr wird der „Weiße Schwert-Ase“ genannt. Tyr ist ursprünglich der Sonnengott-Göttervater der Germanen gewesen, bevor er durch Odin in dieser Funktion abgelöst worden ist. Heimdall ist aus einem Beinamen des Tyr entstanden, der sich im Laufe der Zeit zu einer eigenständigen Gottheit entwickelt hat.
Ein wesentliches Motiv der Mythe des (indo-)germanischen Göttervaters war seine nächtliche bzw. winterliche Reise durch das Jenseits. Da der Weltenbaum auch die Verbindung zwischen den beiden Welten ist und der Brunnen zwischen seinen Wurzeln das Tor zwischen den beiden Welten ist, kommt der weiße Sonnengott-Göttervater jeden Morgen beim Sonnenaufgang und jeden Abend beim Sonnenuntergang zu dem weißen Weltenbaum.
Es ist zunächst natürlich auch denkbar, daß die Farbe „weiß“ des Weltenbaumes einfach in seiner Heiligkeit begründet liegt, aber in den späteren Betrachtungen wird die Deutung der weißen Farbe als Assoziation zur Sonne noch bestätigt werden.
Durch den Nebel, der von Yggdrasil ausgeht und der sich auf alle Dinge als Tau legt, segnet der Weltenbaum jeden Morgen alle Dinge in der Welt.
Der Schwan und die Gans waren bei den Indogermanen das beliebteste Symbol für die Seelen. Die Symbolik des Seelenvogels ist weltweit verbreitet und liegt in den Nahtod-Erlebnissen begründet, die u.a. auch das zentrale Erlebnis der Schamanen sind, die auf der ganzen Welt bis ins frühe Königtum hinein die „religiösen Spezialisten“ waren.
Da man bei einem Nahtod-Erlebnis sich selber als über dem eigenen materiellen Körper schwebend wahrnimmt, konnte man dieses Erlebnis in den früheren Zeiten am ehesten durch das Bild eines fliegenden Vogels beschreiben. Dieses Erlebnis wird auch der Ursprung der Vorstellung, daß es eine Seele gibt, gewesen sein.
In inneren Visionen und beim Hellsehen werden diese Seelen als milchigweiß leuchtende Schemen („Bettlaken-Gespenster“) wahrgenommen, weshalb weiße Vögel am geeignetsten für die Darstellung der Seelenvögel waren.
Bei den Germanen haben sich diese Schwanen-Seelenvögel zu den Walküren weiterentwickelt. Da die Große Mutter im Jenseits die Toten wiedergebar, lag es nahe, ihr als der Mutter der Seelenvögel auch selber eine Vogelgestalt zu geben. Da die Jenseitsgöttin nicht gleichzeitig mit allen Toten schwanger sein konnte, wurde sie zu den Walküren vervielfältigt.
Der Weltenbaum als Verbindung zwischen den Welten ist schließlich ein Ort, an dem man mit den Seelenvögeln der Ahnen Kontakt aufnehmen kann und an dem man sie am ehesten anzutreffen erwarten kann. Da Schwäne Wasservögel sind, sitzen sie nicht auf den Zweigen des Weltenbaumes, sondern schwimmen in der Quelle zwischen den Wurzeln der Weltesche.
Der Göttervater hat natürlich den stärksten und größten aller Seelenvögel, was bei den Indogermanen der Adler ist. Dieser Göttervater-Adler sitzt natürlich auch ganz oben auf dem Weltenbaum – so wie es Snorri Sturluson in „Gylfis Vision“ beschrieben hat.
In dem ersten Lied in der Lieder-Edda finden sich viele weitere Details zu dem Weltenbaum.
Für Riesen halt' ich die Urgebornen,
Die mich vor Zeiten erzogen haben.
Neun Welten kenn ich, neun Äste weiß ich
An dem starken Stamm im Staub der Erde.
Über das Wesen dieser neun Äste und dieser neun Welten ist schon viel nachgehedacht worden.
Zunächst einmal sind drei Welten offensichtlich: das Midgard der Menschen rings um den Stamm des Weltenbaumes, das Asgard der Asen über der Krone des Stammes und das Hel der Toten unter den Wurzeln des Weltenbaumes.
Da die „9“ in den Mythen der Germanen und auch allgemein in den Mythen der Indogermanen wie ein Adjektiv mit der Bedeutung „zum Jenseits gehörig“ benutzt wird, sind die „9 Welten“ hier nicht wörtlich zu nehmen, sondern einfach als „Unterwelt“ aufzufassen.
Die „9 Äste“ werden analog dazu das „Asgard-Jenseits“ oder den Weg dorthin bezeichnen – dort leben die gefallenen Krieger in Walhall.
In „Gylfis Vision“ finden sich noch einige Hinweise mehr auf den Charakter und die Beschaffenheit der Weltesche:
Da sprach Gangleri: „Große Dinge weißt Du vom Himmel zu berichten; aber was für andere Hauptgebäude gibt es noch außerdem an Urds Brunnen?“
Har antwortete: „Da sind noch manche merkwürdige Stätten. So ist eine Wohnung, die Alfheim heißt. Da haust das Volk, das man Lichtalfen nennt: aber die Schwarzalfen wohnen unten in der Erde, und sind jenen ungleich von Angesicht, und noch viel ungleicher in ihren Verrichtungen. Die Lichtalfen sind schöner als die Sonne von Angesicht; aber die Schwarzalfen schwärzer als Pech.
Das Wort „Alf“ bedeutet „Leuchtender“ und wird daher wohl aus der hellsichtigen Wahrnehmung von Geistern heraus entstanden sein. Ähnliche Bezeichnungen von Totengeistern gibt es weltweit. Da es bezüglich der Toten widersprüchliche Gefühle gibt, sind auch die Bilder für die Toten widersprüchlich: Zum einen werden die Toten vermißt (Lichtalfen) und zum anderen werden sie wegen dem Tod gefürchtet (Schwarzalfen).
Bei der Entstehung dieses Gegensatzes werden sicherlich auch die beiden unterschiedlichen Jenseitsvorstellungen der (Indo-)Germanen und vieler anderer Völker mitgewirkt haben: zum einen das dunkle Jenseits unter der Erde (Hel) und zum anderen das helle Jenseits im Himmel (Gimli).
Diese beiden Jenseitsvorstellungen wurden von den Germanen zudem noch mit dem Süden (Himmel, Muspelheim, Tyr/Odin) und mit dem Norden (Unterwelt, Niflheim, Hel) assoziiert, sodaß sich eine große Vielfalt an Jenseits-Bilder ergibt.
Da ist auch eine Wohnung, die Breidablick heißt, und das ist die schönste von allen.
Ein anderes Gebäude heißt Glitnir: dessen Wände, Säulen und Balken sind von rotem Gold und das Dach von Silber.
„Breidablick“ („Weitblick“) ist die Halle des Baldur. Da dieser Ase der Gott des Sterbens und der Wiedergeburt ist, verwundert es nicht, daß sich diese Halle hier in einer Aufzählung von Jenseits-Orten wiederfindet.
„Glitnir“ („Strahlende“) ist die Halle von Baldurs Sohn Forseti, dem Richter-Asen.
Man wird davon ausgehen können, daß diese Götter-Hallen in dem Asen-Dorf „Asgard“ stehen, zu dem der Weltenbaum der Weg ist.
Da ist auch ein Bau, der Himinbiörg heißt, der steht an des Himmels Ende, da wo die Brücke Bifröst an den Himmel reicht.
Der „Himmelsberg“ oder die „Himmelsburg“ ist der Wohnort des Gottes Heimdall, der zur Zeit der Niederschrift der Edda der Wächter auf der Regenbogenbrücke gewesen ist und früher einmal ein Aspekt des Göttervaters gewesen ist. Daher ist auch sein Palast in einer Beschreibung des Jenseits von Bedeutung.
Da ist ferner ein großer Saal, der Walaskialf heißt: das ist Odins Saal. Ihn schufen die Götter und deckten ihn mit schierem Silber. In diesem Saal ist der Hochsitz, der Hlidskialf heißt, und wenn Allvater auf diesem Hochsitz sitzt, so übersieht er die ganze Welt.“
Odins Saal erscheint hier, da er zur Zeit der Edda zusammen mit Freya eine der beiden Haupt-Totengottheiten gewesen ist. Sein Saal Walhalla („Totenhalle“) entspricht vermutlich dem Saal Gimle.
„Walaskialf“ bedeutet „Toteninsel“ und ist ein Motiv aus den Mythen des ehemaligen Sonnengott-Göttervaters Tyr. Diese Insel liegt dort, wo die Sonne untergeht. Sie entspricht dem keltischen „Tir-nan-og“ bzw. „Avalon“ und auch dem griechischen „Atlantis“.
Da frug Gangleri: „Wie leitet er den Lauf der Sonne und des Mondes?“
Har antwortete: „Ein Mann hieß Mundilfari, er hatte zwei Kinder. Sie waren hold und schön: da nannte er den Sohn Mani (Mond) und die Tochter Sol (Sonne).“
„Mundilfari“ bedeutet „Weltbeweger“, „Monats-Beweger“ oder „Mond-Beweger“. Dieser Riese dreht möglicherweise am Nordpol die Achse des Himmels mit den Gestirnen an ihm. Diese Achse wird mit dem Weltenbaum identisch sein, da dieser in einigen Beschreibungen ebenfalls am Nordpol steht.
Da frug Gangleri: „Woher kommt der Wind, der so stark ist, daß er das Weltmeer aufrührt und Feuer anfacht? Aber so stark er ist, kann ihn doch niemand sehen: wie ist das wunderlich beschaffen!“
Da antwortete Har: „Das kann ich Dir wohl sagen. Am nördlichen Ende des Himmels sitzt ein Riese, der Hräswelg heißt. Er hat Adlergestalt und wenn er zu fliegen versucht, so entsteht der Wind unter seinen Fittichen.
Davon heißt es so:
Hräswelg heißt, der an Himmels Ende sitzt,
Im Adlerkleid ein Jote.
Mit seinen Fittichen facht er den Wind
Über alle Völker.“
Der Riese Hraesvelgr („Leichenreißer“) hat die Gestalt eines Adlers und sitzt am Nordende des Himmels. Seine Adlergestalt läßt vermuten, daß er der Seelenvogel des ehemaligen Sonnengott-Göttervaters Tyr ist, der im Jenseits zu einem Riesen wurde. Hraesvelgr wird daher mit dem Adler, der auf dem Wipfel des Weltenbaumes sitzt, identisch sein. Auch der Tyr-Riese Hymir wohnt wie Hraesvelgr „an des Himmels Ende“ – und zudem am nördlichen Horizont, wo sich das Niflheim-Jenseits befindet.
Die Deutung des Adlers auf dem Weltenbaum als Tyrs Seelenvogel ist somit recht sicher.
Eine Esche weiß ich, sie heißt Yggdrasil,
Den hohen Baum netzt weißer Nebel;
Davon kommt der Tau, der in die Täler fällt.
Immergrün steht er über Urds Brunnen.
Davon kommen Frauen, vielwissende,
Drei aus dem See dort unterm Wipfel.
Urd heißt die eine, die andre Werdandi:
Sie schnitten Stäbe; Skuld hieß die dritte.
Sie legten Lose, das Leben bestimmten sie
Den Geschlechtern der Menschen, das Schicksal verkündend.
Die ersten vier Verse wurden bereits in „Gylfis Vision“ zitiert. Die drei Nornen Urd, Skuld und Verdandi kommen aus dem See, d.h. aus der Quelle unter dem Weltenbaum heraus. Sie leben folglich in der Wasserunterwelt unter den Wurzeln von Yggdrasil. Ihre „Stäbe“ könnten Zweige des Weltenbaumes sein, auf die sie Runen geritzt haben, um sie dann für Orakel zu benutzen, die das Schicksal der Menschen bestimmen – bzw. den Menschen mithilfe dieses Orakels ihr Schicksal erfaßbar machen.
Ich sah dem Baldur, dem blühenden Opfer,
Odins Sohne, Unheil drohen.
Gewachsen war über die Wiesen hoch
Der zarte, zierliche Zweig der Mistel.
Von der Mistel kam, so dauchte mich
Häßlicher Harm, da Hödur schoß.
(Baldurs Bruder war kaum geboren,
Als einnächtig Odins Erbe zum Kampfe ging.
Die Hände nicht wusch er, das Haar nicht kämmt er,
Eh' er zum Bühle trug Baldurs Töter.)
Doch Frigg beklagte in Fensal dort
Walhalls Verlust: wißt ihr, was das bedeutet?
Ein „Bühl“ ist ein Hügel – in diesem Vers ist Baldurs Hügelgrab gemeint.
Baldurs Bruder ist Wali, der Baldur im Alter von nur einer Nacht gerächt hat – es ist nicht zu übersehen, daß der Ursprung dieses Motivs die Sonne ist, die nach der Nacht am Morgen aus dem Jenseits zurückkehrt. Baldur ist ursprünglich der am Abend sterbende Sonnengott-Göttervater Tyr gewesen – Wali ist der am Morgen wiedergeborene Tyr.
Die Mistel ist der Zweig, mit dem Hödur durch eine List des Loki den Baldur erschoß.
Im Fiölswin-Lied wird berichtet, daß die Mistel, aus der Loki den Pfeil fertigte, am Tor zur Unterwelt wuchs:
Windkald (Tyr-Svipdag):
„Sage mir, Fiölswin, was ich Dich fragen will
Und zu wissen wünsche:
Gibt es keine Waffe, die Windofnir
Zu Hels Behausung senden kann?“
Fiölswin (Odin):
„Häwatein heißt der Zweig, Lopt hat ihn gebrochen
Vor dem Totentor.
In eisernem Schrein birgt ihn Sinmara
Unter neun schweren Schlössern.“
„Windofnir“ ist ein Hahn, den Tyr-Svipdag töten will, um zu Freya-Menglöd zu gelangen, um sich mit ihr zu vereinen, damit er dann von ihr wiedergeboren wird. Ursprünglich wird dieser Hahn der Seelenvogel gewesen sein.
„Häwatein“ bedeutet „treffender Zweig“ – damit ist die Mistel gemeint, die Baldur tötete.
Da dieser Zweig auch den Hahn töten kann, sollte der Hahn in irgendeiner Weise mit Baldur verwandt sein – vermutlich besteht der Zusammenhang darin, daß der Hahn auf dem Weltenbaum auf den Adler auf dem Weltenbaum zurückgeht, der der Seelenvogel des Sonnengott-Göttervaters Tyr ist, der jeden Abend starb und jeden Morgen wiedergeboren wurde.
„Lopt“ ist Loki.
„Sinmara“ ist die Riesin Hel – wie man schon an dem „Totentor“ und an den „9“ Schlössern erkennen kann.
Da eines der Bilder für den Eingang in die Unterwelt die Quelle zwischen den Wurzeln des Weltenbaumes ist, könnte es gut sein, daß diese Mistel auf Yggdrasil wuchs.
In diesem Lied wird geschildert, daß die Göttin Idun an der Weltesche herabsinkt, weil sie Baldurs Tod voraussieht, der zu dem Beginn des Ragnarök führt.
Im Tale weilt die vorwissende Göttin
Hinab von Yggdrasils Esche gesunken,
Von Alfengeschlechtern Idun genannt,
Die Jüngste von Iwalts älteren Kindern.
Schwer erträgt sie dies Niedersinken
Unter des Laubbaums Stamm gebannt.
Nicht behagt es ihr bei Nörwis Tochter,
An heitere Wohnung gewöhnt so lange.
„Iwalt“ bedeutet „Allherrscher“. Er ist ein Tyr-Riese und Iduns Vater. Ursprünglich ist Idun die Mutter des Tyr gewesen.
„Nörwis Tochter“ ist die Nacht. Zu ihr, d.h. in die Unterwelt, sinkt Idun nieder. Eigentlich ist es der Sonnengott-Göttervater Tyr, der am Abend in die Nacht, d.h. in die Wasserunterwelt niedersinkt. Nörwi („Nacht“) ist hier mit Hel identisch.
Es hat den Anschein, als ob hier der Weltenbaum als Iduns Apfelbaum aufgefaßt werden würde, von dem sie die Äpfel pflückt, die den Göttern ihre ewige Jugend geben.
Der Weltenbaum wird hier ausdrücklich als „Laubbaum“ bezeichnet.
In diesen Strophen wird die Weltesche „Urbaum“ oder „edelster Baum“ genannt.
Da trieb aus dem Tore wieder der Tag
Sein schön mit Gestein geschmücktes Roß;
Weit über Mannheim glänzte die Mähne:
Des Zwergs Überlisterin zog es im Wagen.
Am nördlichen Rand der nährenden Erde
Unter des Urbaums äußerste Wurzel
Gingen zur Ruhe Gygien und Thursen,
Gespenster, Zwerge und Schwarzalfen.
Die „äußerste Wurzel“ der Weltesche ist vermutlich die Nord-Wurzel, da sich dort der Eingang zu Niflheim (Hel) befindet, in die die genannten Jenseitswesen, die in der Nacht aktiv waren, am Morgen zurückkehren.
Der Weltenbaum steht hier nicht in der Mitte der Welt, sondern wie bei vielen indogermanischen Völkern am Nordpol, da er u.a. ein Bild für die Erdachse gewesen ist. Sein Wipfel berührt folglich den Polarstern.
Nur wenn der Weltenbaum am Nordpol (oder am Südpol) steht, schleift sein Wipfel nicht ständig an dem Himmelsgewölbe, d.h. an dem Schädel des Ymir, entlang …
Zusammen mit den vorher angeführten Strophen dieses Liedes ergibt sich, daß Idun zu der „Tagseite der Weltesche“ gehört, d.h. zum Süden. Diese Zuordnung der Idun zum Süden findet sich mehrfach in ihren Mythen.
In diesem Lied sagt Odin, daß die Esche Yggdrasil der beste und edelste („erste“) aller Bäume ist:
Die Esche Yggdrasil ist der Bäume erster,
Skidbladnir das erste der Schiffe,
Odin der Asen, aller Rosse Sleipnir,
Bifröst der Brücken, Bragi der Skalden,
Habrok der Habichte, der Hunde Garm.
In diesem Lied findet sich das Motiv „Adler auf Esche“. Es ist zwar ungewiß, ob dieses Bild hier eine mythologische Bedeutung hat, aber angesichts der häufigen Szenen der Weltesche, auf der ein Adler sitzt, kann man zumindestens davon ausgehen, daß die Germanen, die diese Strophe von einem Skalden vorgetragen bekamen, sie in der Regel mit dem Weltesche assoziiert haben werden.
Da Helgi eine Saga-Variante des ehemaligen Sonnengott-Göttervaters Tyr ist, wird man recht sicher davon ausgehen können, daß der Adler auf der Esche der Seelenvogel des Tyr ist.
So hob sich Helgi über die Helden all
Wie die edle Esche über die Dornen
Oder wie taubeträuft das Tierkalb springt:
Weit überholt es anderes Wild
Und gegen den Himmel glühn seine Hörner.
Gekommen wäre nun, gedächte zu kommen
Sigmunds Sohn aus den Sälen Odins.
Die Hoffnung ist hin auf des Helden Rückkehr,
Da auf Eschenzweigen die Aare sitzen
Und alles Volk zur Traumstätte fährt.
„Zur Traumstätte fahren“ bedeutet einzuschlafen.
2. t) Gautrek-Saga
So sprach Starkad: „Verräterisch verhielt sich Herthjof gegenüber seinem Herrn, gegenüber König Harald selbst: Er stahl das Leben des Herrn von Agder und legte seine Söhne in harte Fesseln. Grani Pferdehaar entführte mich nach Hordaland, als ich drei Jahre alt war. Daher wuchs ich auf der Escheninsel auf, neun Jahre lang, ohne meine Familie zu sehen.“
Möglicherweise ist die Escheninsel die Jenseitsinsel, auf der Tyr-Starkad wiedergeboren wird und von der aus er zurückkehrt – dann wäre die Eschen vermutlich die Weltesche.
Hier wird noch einmal bestätigt, daß der Weltenbaum eine Esche ist:
Yggdrasil zittert, die Esche, doch steht sie,
Es rauscht der alte Baum, da der Riese frei wird.
Neun Runen, also ein Viertel der Runen, haben einen deutlichen Bezug zu der Mythologie der Germanen. Einer dieser Runennamen bezieht sich auf die Weltesche.
die Rune Ansus (Ase),
die Rune Man (der Götter-Urahn Mannus),
die Rune Ingwaz (Yngvi, einer der drei Söhne des Mannus),
die Rune Tyr (der ehemaliger Göttervater),
die Rune Thorn (das Schwert des Tyr),
die Rune Sowilo (der Sonnengott-Göttervater Tyr bzw. sein Sonnenschild),
die Rune Algiz (die beiden Pferde-Söhne des Tyr, die auch „Alcis“ (Elch) hießen),
die Rune Ear (Erde), und
die Rune Aesc (Esche, Weltesche).
Man sieht an diesen Runen, daß sie sich auf eine alte Schicht der germanischen Mythologie beziehen – eben die aus der Zeit zwischen 100 v.Chr. und 100 n.Chr., als die Runen von den Germanen aus Norditalen „importiert“ und benannt worden sind.
Vier dieser Runen beziehen sich auf den damaligen Göttervater Tyr, sein Schwert, seinen Schild und seine beiden Söhne; zwei auf den Götter-Urahn Mannus und auf Yngvi, einen seiner drei Söhne; sowie je einer auf die Erde, die Sonne und die Weltesche.
In dieser Saga wird der Weltenbaum im Jenseits sehr bilderreich geschildert:
Thrand ist der Name des ersten Königs, der je über Throndheim herrschte. Er hatte einen Sohn, der wurde Eirek genannt wurde, ein Mann, der schon in seiner Jugend sehr beliebt gewesen ist. Er hatte einen starken Körper, war mutig und in allen Dingen hervorragend und er wuchs zu einer stattlichen Größe auf.
Es wird erzählt, daß Eirek an einem Julabend den Eid ablegte, durch die ganze Welt zu reisen, um den Ort zu finden, den die Heiden 'das Todlose Feld' und die Christen 'das Land der Lebenden' oder 'Paradies' nennen. Dieser Schwur wurde in ganz Norwegen berühmt.
Es war bei den Germanen die Sitte, am Julabend Schwüre für das abzulegen, was sie zu tun vorhatten. Die heutigen guten Vorsätze in der Sylvesternacht sind ein Überbleibsel von diesem Brauch.
… … …
Eirek frug den König der Griechen: „Wo ist der Ort, der 'das todlose Feld' genannt wird?“
Er antwortete: „Wir nennen es das 'Paradies' oder das 'Land der Lebenden'.“
Eirek frug: „Wo liegt es?“
Der König sprach: „Dieses Land liegt östlich des fernsten Indiens.“
Eirek frug: „Kann ich dort hingelangen?“
„Darüber weiß ich nichts,“ sprach da der König, „eine Wand aus Feuer steht davor, die bis zum Himmel hinaufreicht.“
Diese Waberlohe gehörte offensichtlich fest zu den Vorstellungen der Germanen über den Weg, der ins Jenseits führte.
… … …
Und nachdem sie vierundvierzig Meilen durch die Landschaften Indiens gereist waren, kamen sie schließlich zu dunklen Gegenden, in denen sie am Tag die Sterne des Himmels so klar sehen konnten als ob es tiefe Nacht wäre. Überall in diesem Land lagen große Klumpen aus Gold. Sie sahen noch viele weitere Wunder in diesem Land.
Und nachdem sie eine lange Zeit durch dichte Wälder gewandert waren, deren Bäume unvorstellbar hoch waren, kamen sie schließlich wieder aus dem Wald heraus. Da wurde es wieder strahlend hell und sie sahen vor sich einen großen Fluß. Über ihn führte eine steinerne Brücke hinüber. Am anderen Ufer sahen sie ein wunderschönes Land mit hohen Blumen und Honig im Überfluß, und von dort drüben wehte ein süßer Duft zu ihnen herüber. Diese Landschaft war angenehm zu betrachten. Sie sahen weder Hügel noch Anhöhen noch Berge in diesem Land.
Nach der Waberlohe erscheinen in dieser Saga drei weitere germanische Jenseitsweg-Bilder: 1. der dichte Wald, der in anderen Texten „Myrkwiduz“ oder „Myrkvid“ („Mirkwood, Düsterwald“) genannt wird, 2. die Dunkelheit und 3. die Brücke, die aus der Edda „Gjallarbru“, also „Brücke über den tosenden Fluß“ genannt wird.
Eirek erkannte, daß dies das Land sein mußte, von dem der König der Griechen gesprochen hatte. Es wurde ihm langsam deutlich, daß dies der Fluß Phison sein mußte, der aus dem Paradies herausfloß. Aber als sie sich der Brücke näherten, sahen sie dort einen schrecklichen Drachen mit weit aufgerissenem Maul liegen, der ein fürchterliches Gebrüll ausstieß.
In dieser Geschichte liegt der Drache genau auf der Grenze zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, die er als Schlange miteinander verbindet. Ursprünglich sind die Schlangen und Drachen die Toten in der Erd-Unterwelt, d.h. im Hügelgrab gewesen.
Da ging Eirek auf den Drachen zu, denn er war entschlossen, irgendwie über den Fluß hinüber zu gelangen. Als aber Eirek der Däne dies sah, rief er seinem Namensvetter zu, daß er hierbleiben solle, denn sonst würde der Drache ihn im Nu verschlingen.
Aber Eirek der Norweger sagte, daß er sich nicht vor dem Drachen fürchten wolle und daß er sich von dem Drache nicht von seiner Suche abhalten lasse. Eirek der Däne sprach: „Ich bitte Dich, bester Freund, wirf Dein Leben nicht fort; komm stattdessen lieber mit uns zurück, denn Du wirst mit Sicherheit sterben, wenn Du weitergehst!“
Eirek antwortete, daß er nicht umkehren werde, und sie beiden wünschten sich gegenseitig viel Glück. Eirek der Norweger zog nun sein Schwert und nahm es fest in seine rechte Hand, während er mit seiner linken Hand einen seiner Begleiter ergriff. Sie liefen los und sprangen in das Maul des Drachen und es sah für Eirek den Dänen so aus, als ob der Drache beide verschluckt hätte.
Er ging mit seinen Begleitern fort und nahm den Weg, den sie gekommen waren und nach vielen Jahren kam er zurück in sein Heimatland. Dort berichtete er, was das Letzte gewesen war, was er von Eirek dem Norweger gesehen hatte und was ihm geschehen war – so wie er es wahrgenommen hatte. Dieser Mann wurde wegen seiner fernen Fahrten berühmt und er galt als großartiger Mann – und das ist das Ende seiner Geschichte.
Als aber Eirek der Norweger und sein Begleiter in das Maul des Drachen gesprungen waren, schien es ihnen, als ob sie durch Rauch waten würden. Als sie schließlich aus dem Rauch herauskamen, sahen sie ein Land, das satt und glänzend wie Satin aussah, voller süßer Düfte und hoher Blumen; Flüsse von Honig flossen in jeder Richtung durch das Land.
Dieses Land war weit und flach. Dort schien ohne Unterbrechung die Sonne, sodaß es niemals dunkel wurde und nichts warf dort einen Schatten. Die Luft war kühl, aber nur ein leiser Hauch wehte über das Land und sie rochen den süßen Duft noch mehr als zuvor.
In diesem Teil der Saga erscheinen drei weitere germanische Jenseitsweg-Bilder: 1. der Drache, 2. das Feuer (Rauch) und 3. der Met (Honig). Das Rauch und somit auch das Feuer befinden sich in dem Drachen – hier beginnt sich das Motiv des Drachen als Jenseitsweg mit dem Motiv des Feuers als Jenseitstor zu dem feuerspeienden Drachen zu verbinden.
Das Motiv des Rauches, Dampfes oder Nebels findet sich auch in der Schilderung einer Jenseitsreise in der Saga über Thorstein Hausmacht.
Das Land mit den Honigflüssen ist offenbar das „Land, in dem Milch und Honig fließen“.
Vermutlich war auch die ewig scheinende Sonne und die fehlenden Schatten ein damals bekanntes Merkmal des Jenseits – vielleicht war es eine Erinnerung daran, daß früher einmal der Sonnengott-Göttervater Tyr auch der Gott des Jenseits gewesen ist.
Sie gingen eine lange Zeit und frugen sich, ob sie wohl irgendwelche Behausungen oder bewohnte Gegenden sehen würden oder wie weit sich das Land wohl erstrecken würde.
Da sahen sie etwas, das zu ihrer größten Verwunderung so aussah wie eine Säule, die mitten in der Luft schwebte, obwohl sie von nichts gestützt wurde. Als sie näherkamen, sahen sie, daß es ein Turm war, der ganz ohne Stützen im Himmel hing. An der Südseite des Turmes stand eine Leiter. Sie waren tief erstaunt über die große Macht, die dies möglich gemacht hatte. Dies erschien ihnen alles sehr seltsam.
Sie stiegen die Leiter in den Turm hinauf. Sie sahen, daß er mit dem schönste Samt und dem wertvollsten Satin aufs üppigste ausgekleidet war. In dem Turm stand ein Tisch, der aufs Schönste gedeckt war, und auf ihm stand eine silberne Schale. Auf ihm lagen die erlesensten Leckereien und es war mit süßem Brot beladen. Auf ihm stand auch ein Krug, der mit Gold und Edelsteinen verziert war. Daneben stand ein mit Wein gefüllter Kelch. In dem Turm standen auch Betten, gut zugerichtet und mit Decken aus goldenem Stoff und feinem Samt bedeckt.
Die Saga klingt hier ein wenig wie eine Geschichte aus „Tausendundeine Nacht“, aber sie enthält doch wieder eins der germanischen Jenseitsreisesymbole. Die Säule ist offensichtlich keine normale Säule, sondern eine „Himmelsleiter“. Solch eine Säule ist auch die Irminsul, die eins der zentralen Heiligtümer der Sachsen gewesen ist. Sie war eine hölzerne Säule, die symbolisch am Nordpol stand.
Sie ist mit dem Weltenbaum Yggdrasil identisch, an dem entlang Odin ins Jenseits reiste, als er an diesem Baum hing, wodurch er die Geheimnisse der Runen erkannte.
Die Säule in der Saga, die sich als Turm entpuppt, wurde 600 Jahre später zu dem Turm der weisen Frau in „Rapunzel“ und zu dem Turm der alten Spinnerin in „Dornröschen“. Die weise Frau ist die Jenseitsgöttin Freya/Hel und die alte Spinnerin ist eine der Nornen, die eine weitere Gestalt der Jenseitsgöttin ist.
Auch einige der germanischen Seherinnen lebten auf Türmen.
Auch die Leiter auf der Südseite des schwebenden Turmes stammt aus der germanischen Mythologie: die Eingänge zu den Hallen, Tempeln und Hügelgräbern befinden sich in der Regel auf der Südseite.
Da sprach Eirek: „Schau, hier ist das Todlose Feld, für das wir auf so vielen Wegen gewandert sind und für das wir uns so vielen Prüfungen und Gefahren gestellt haben.“
Sie priesen Gott und sagten: „Groß und gut ist Gott, daß er uns das hat sehen lassen.“
Und nachdem sie die Speisen genossen hatten, legten sie sich schlafen.
Als Eirek schlief, erschien ihm ein junger Mann, strahlend und schön von Angesicht, der sprach zu ihm: „Groß ist Deine Standfestigkeit, Eirek. Sag mir, wie gefällt Dir dieses Land?“
„Ausgezeichnet – es ist alles, was ich es mir nur wünschen könnte. Von allen Ländern, die ich je gesehen habe, gefällt mir dieses am besten. Aber wer bist Du? Und mir scheint, daß es einen großen Unterschied zwischen Deinem Wissen und meinem zu geben scheint, denn Du kennst mich und nennst mich bei meinen Namen, aber ich weiß nicht, wer Du bist.“
Da lächelte der junge Mann und sprach: „Ich bin Gottes Engel und einer von denen, die die Pforte zum Paradies bewachen. Ich stand in der Nähe, als Du Deinen Eid, das Todlose Feld zu suchen, abgelegt hast. Und ich habe Dir eingegeben, nach Miklagard zu segeln. Und durch Gottes Vorhersicht und meinen Willen hast Du Dich taufen lassen. Und ich heiße Dich gesegnet, denn Du hast den guten Rat und die Warnungen des Königs der Griechen beherzigt und hast sein Siegel genommen und im Heiligen Jordan gebadet.
Mich selber hat Gott zu Dir gesandt. Ich bin Dein Schutzengel und ich habe Dich auf Land und auf See vor allen Gefahren auf Deiner Reise und vor allen üblen Dingen beschützt.“
Der Jordan ist in dieser Saga eine Mischung aus Taufbecken und aus dem Jenseitsfluß, der von den Germanen Gjallar genannt wurde.
Der Engel entspricht als Bote des obersten Gottes, der das Paradies bewacht, den Walküren, die die Boten des Odin sind und diejenigen auswählen, die nach Walhalla dürfen.
Als Schutzengel entspricht der Engel den germanischen Fylgjas, die die Seele eines Menschen ist. Diese Seele wird, solange man sie nicht bewußt als die eigene Mitte und Quelle erkannt hat, als etwas im Außen erlebt, von dem man beschützt wird. Die germanische Vorstellung über die Fylgja enthält auch das Krafttier, das die eigenen Instinkte sowie die körperlichen und magischen Fähigkeiten verkörpert.
Der Engel sprach weiter: „Wir sind keine Menschen, sondern eher Geister, die in unserer himmlischen Heimat wohnen. Aber der Ort, den Du hier siehst, ist wie eine Wildnis im Vergleich zum Paradies, das nicht weit von hier liegt. Von dort kommt der Fluß, den Du gesehen hast. Niemand gelangt lebend dorthin. Dort leben nur die Seelen der Rechtschaffenden. Dieser Ort hier, den Du gefunden hast, wird das Land der Lebenden genannt. Bevor Du eintrafst, sandte uns Gott, auf diesen Ort zu achten und Dir das Land der Lebenden zu zeigen und für Dich ein Fest auszurichten und Dich für Deine Mühen zu belohnen.“
Da frug Eirek den Engel: „Wo lebst Du?“
Der Engel sprach: „Wir leben im Himmel, wo wir auf das Angesicht Gottes blicken, aber aus Notwendigkeit werden wir auf die Erde gesandt, um den Menschen zu helfen, wie Du sicher leicht glauben kannst.“
Eirek sprach: „Was hält diesen Turm, der in der Luft zu hängen scheint?“
Der Engel antwortete: „Es ist alleine Gottes Macht, die ihn oben hält. Durch Zeichen wie diese solltest Du keine Zweifel daran haben, daß Gott die Welt aus dem Nichts erschaffen hat.“
Eirek sagte: „Daran habe ich keinen Zweifel.“
Dieses Gespräch zwischen Eirek und dem Engel gleicht von seinem Stil her ganz dem Gespräch zwischen Gylfi und den Göttern in der Prosa-Edda: Der Mensch fragt und die Götter antworten. Diese Form könnte von ihrem Stil her aus der Verschmelzung von Visions-Berichten und Wissens-Merkliedern entstanden sein.
Der Engel frug Eirek: „Was möchtest Du lieber: Hier bleiben oder zurück in Dein eigenes Land gehen?“
Eirek antwortete: „Ich möchte zurückgehen.“
Der Engel sprach: „Warum?“
Eirek sagte: „Weil ich den Menschen berichten möchte, daß ich dieses ruhmvolle Zeugnis von Gottes Macht gesehen habe, und weil sie, wenn ich nicht zurückkomme, sicher sein werden, daß ich einen schrecklichen Tod gestorben bin.“