Der Zweite Weltkrieg - Antony Beevor - E-Book
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Der Zweite Weltkrieg E-Book

Antony Beevor

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Beschreibung

Vor 75 Jahren, am 1. September 1939, begann der Zweite Weltkrieg

Der Zweite Weltkrieg war der brutalste und folgenschwerste kriegerische Konflikt der Geschichte – mit einem bis dahin ungekannten Maß an Waffengewalt und millionenfachem Sterben bis hin zum Völkermord. Antony Beevor, angesehener britischer Historiker, entwirft ein globales Panorama, das die großen Zusammenhänge dieses Krieges ebenso transparent macht wie die herrschenden politisch-ideologischen Kräfte, das Ursachen und Folgen umfassend und in bisher einmaliger Prägnanz verdeutlicht. Er folgt von Norden nach Süden und von Osten nach Westen jenen Männern, die die Welt in die größte Schlacht der Menschheitsgeschichte getrieben haben. Und er verliert dabei nie jene aus den Augen, für die dieser monströse Krieg unermessliches Leid bedeutete. Auf der Basis aktueller Forschung, bestens recherchiert, empathisch erzählt, hat Beevor das Buch zum prägendsten Ereignis des 20. Jahrhunderts geschrieben.

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Seitenzahl: 1899

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Antony Beevor

DER ZWEITE WELTKRIEG

Aus dem Englischen von Helmut Ettinger

C. Bertelsmann

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen. Die Originalausgabe ist 2012 unter dem Titel »The Second World War« bei Weidenfeld & Nicolson, London, erschienen.

© 2012 by Antony Beevor

© 2014 für die deutsche Ausgabe by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München.

Covergestaltung: buxdesign München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-10790-1V005 www.cbertelsmann.de

Für Michael Howard

Inhalt

Einführung

1. Kapitel Der Kriegsausbruch

2. Kapitel »Die restlose Zerstörung Polens«

3. Kapitel Vom seltsamen Krieg zum Blitzkrieg

4. Kapitel Der Drache und die aufgehende Sonne

5. Kapitel Norwegen und Dänemark

6. Kapitel Sturmlauf im Westen

7. Kapitel Die Kapitulation Frankreichs

8. Kapitel »Unternehmen Seelöwe« und die Luftschlacht um England

9. Kapitel Nachwirkungen

10. Kapitel Hitlers Balkankrieg

11. Kapitel Afrika und der Atlantik

12. Kapitel »Unternehmen Barbarossa«

13. Kapitel Rassenkrieg

14. Kapitel Die Große Allianz

15. Kapitel Die Schlacht um Moskau

16. Kapitel Pearl Harbor

17. Kapitel China und die Philippinen

18. Kapitel Krieg auf der ganzen Welt

19. Kapitel Die Wannseekonferenz und der Archipel SS

20. Kapitel Die japanische Okkupation und die Schlacht um Midway

21. Kapitel Niederlage in der Wüste

22. Kapitel Der »Fall Blau«: Neustart des »Unternehmens Barbarossa«

23. Kapitel Im Pazifik wird zurückgeschlagen

24. Kapitel Stalingrad

25. Kapitel El-Alamein und »Operation Torch«

26. Kapitel Südrussland und Tunesien

27. Kapitel Casablanca, Charkow und Tunis

28. Kapitel Europa hinter Stacheldraht

29. Kapitel Atlantikschlacht und strategischer Bombenkrieg

30. Kapitel Der Pazifik, China und Burma (1943)

31. Kapitel Die Kursker Schlacht

32. Kapitel Von Sizilien nach Italien

33. Kapitel Die Ukraine und die Konferenz von Teheran

34. Kapitel Die Shoah durch Gas

35. Kapitel Italien – der harte Bauch

36. Kapitel Die sowjetische Frühjahrsoffensive

37. Kapitel Der Pazifik, China und Burma (1944)

38. Kapitel Der Frühling der Erwartungen

39. Kapitel »Operation Bagration« und die Normandie

40. Kapitel Berlin, Warschau, Paris

41. Kapitel Die Ichi-gō-Offensive und Leyte

42. Kapitel Unerfüllte Hoffnungen

43. Kapitel Die Ardennen und Athen

44. Kapitel Von der Weichsel zur Oder

45. Kapitel Die Philippinen, Iwo Jima, Okinawa, Luftangriffe auf Tokio

46. Kapitel Jalta, Dresden, Königsberg

47. Kapitel Die Amerikaner an der Elbe

48. Kapitel Die Schlacht um Berlin

49. Kapitel Städte der Toten

50. Kapitel Die Atombomben und die Unterwerfung Japans

ANHANG

Dank

Kartenverzeichnis

Abkürzungen / Transliteration

Literatur (Auswahl)

Personenregister

Orts- und Sachregister

BILDTEIL

Bildnachweis

Der Koreaner Yang Kyungjong, den man gegen seinen Willen zur japanischen Kaiserlichen Armee, zur Roten Armee und zur Wehrmacht eingezogen hatte, wird im Juni 1944 in der Normandie von Amerikanern gefangen genommen.

Einführung

Im Juni 1944 ergab sich ein junger Soldat aus Asien während der Invasion der Alliierten in der Normandie amerikanischen Fallschirmjägern. Die glaubten zuerst, er sei Japaner, tatsächlich aber stammte er aus Korea. Sein Name war Yang Kyungjong.

1938 hatten die Japaner ihn mit achtzehn Jahren zu ihrer Kwantung-Armee eingezogen, die in der Mandschurei stationiert war. Ein Jahr später nahm ihn die Rote Armee nach der Schlacht am Chalchin Gol gefangen und schickte ihn in ein Arbeitslager. Im kritischen Jahr 1942 reihten ihn die sowjetischen Militärbehörden wie Tausende andere Gefangene in ihre Streitkräfte ein. Anfang 1943 wurde er in der Schlacht bei Charkow in der Ukraine von der deutschen Wehrmacht gefangen genommen. Die steckte ihn in eine deutsche Uniform und schickte ihn 1944 mit einem Ostbataillon nach Frankreich, wo er offenbar auf der Halbinsel Cotentin an einem Ort, den die Alliierten »Utah Beach« nannten, den Atlantikwall verstärken helfen sollte. Nach einiger Zeit, die er in einem Gefangenenlager in Großbritannien zubrachte, gelangte er in die USA, wo er seine Vergangenheit für sich behielt. Er ließ sich in Illinois nieder, wo er 1992 verstarb.

In einem Krieg, der über 60 Millionen Menschen das Leben kostete und den ganzen Erdball erfasste, hatte dieser unfreiwillige Veteran der Armeen Japans, der Sowjetunion und Deutschlands ziemlich viel Glück. Und doch ist Yang Kyungjong geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie hilflos die meisten gewöhnlichen Sterblichen den übermächtigen Gewalten der Geschichte ausgeliefert waren.

Europa stolperte nicht in diesen Krieg am 1. September 1939. Gewisse Historiker sehen die »Urkatastrophe« im Ersten Weltkrieg und sprechen von einem »Dreißigjährigen Krieg« von 1914 bis 1945.1 Andere meinen, der »lange Krieg«, der mit dem Putsch der Bolschewiki 1917 begann, habe sich als »Europäischer Bürgerkrieg« bis 1945 fortgesetzt oder gar bis zum Untergang des Kommunismus im Jahre 1989 angehalten.2

Die Geschichte lässt sich jedoch nicht in solche Schemata pressen. Sir Michael Howard argumentiert überzeugend, Hitlers Angriffe gegen Frankreich und Großbritannien im Jahr 1940 seien in vieler Hinsicht eine Fortsetzung des Ersten Weltkriegs gewesen. Auch Gerhard Weinberg erklärt kategorisch, der Krieg, der 1939 mit Hitlers Einmarsch in Polen begann, sei als der Beginn seines Kampfes um das Hauptziel »Lebensraum« im Osten anzusehen. Das mag zutreffen, aber die Revolutionen und Bürgerkriege zwischen 1917 und 1939 haben das Bild kompliziert. So hat zum Beispiel die Linke stets leidenschaftlich die Auffassung vertreten, der Zweite Weltkrieg habe mit dem Spanischen Bürgerkrieg begonnen, während die Rechte behauptet, er sei der Auftakt zu einem Dritten Weltkrieg zwischen dem Kommunismus und der »westlichen Zivilisation« gewesen. Zugleich neigen westliche Historiker dazu, den Japanisch-Chinesischen Krieg von 1937 bis 1945 und dessen Verschmelzung mit dem Weltkrieg zu ignorieren. So mancher Geschichtswissenschaftler aus Asien meint hingegen, der Zweite Weltkrieg habe bereits mit der japanischen Besetzung der Mandschurei im Jahr 1931 begonnen.3

Über all das lässt sich trefflich streiten, denn der Zweite Weltkrieg stellt eindeutig ein ganzes Knäuel von Konflikten dar. Zumeist handelte es sich um solche zwischen einzelnen Staaten, die jedoch von der internationalen Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts durchdrungen und in vielen Fällen sogar dominiert wurden. Daher müssen einige der Umstände näher beleuchtet werden, die zu diesem grausamsten und verheerendsten Gemetzel seit Menschengedenken geführt haben.

Nach den schrecklichen Ereignissen des Ersten Weltkriegs waren Frankreich und Großbritannien, die Hauptsieger in Europa, erschöpft und fest entschlossen, etwas Ähnliches dürfe sich nicht wiederholen. Amerika suchte nach seinem wesentlichen Beitrag zum Sieg über das deutsche Kaiserreich einen möglichst großen Abstand zu der in seinen Augen korrupten, sündhaften Alten Welt zu gewinnen. Mitteleuropa, zerstückelt durch die neuen Grenzen von Versailles, hatte mit der Demütigung und dem Elend der Niederlage fertig zu werden. Die stolzen Offiziere der k.u.k. Armee Österreich-Ungarns, denen man den Schneid abgekauft hatte, mussten ihre Operettenuniformen gegen die abgetragene Kluft der Arbeitslosen eintauschen und fühlten sich als die Prügelknaben der Nation. Die Verbitterung der meisten deutschen Offiziere und Soldaten über die Niederlage verstärkte sich dadurch, dass ihre Armeen bis Juli 1918 nie geschlagen worden waren, was den plötzlichen Zusammenbruch im Land umso unerklärlicher und unheimlicher machte. Nach ihrer Auffassung gingen die Meutereien und Revolten in Deutschland vom Herbst 1918, die schließlich zur Abdankung des Kaisers führten, allein auf das Konto jüdischer Bolschewiken. In der Tat hatten linke Agitatoren dabei eine Rolle gespielt, und die bekanntesten Führer der deutschen Revolution von 1918/19 waren Juden. Aber die Hauptursachen der Unruhen waren Kriegsmüdigkeit und Hunger gewesen. Die böswillige Verschwörungstheorie der deutschen Rechten, die Dolchstoßlegende, war typisch für deren zwanghaften Drang, Ursache und Wirkung zu vertauschen.

Die Hyperinflation von 1922/23 untergrub die Selbstgewissheit und Rechtschaffenheit der deutschen Bourgeoisie. Die Verbitterung über die erlittene nationale und persönliche Schmach schürte dumpfe Wut. Deutsche Nationalisten träumten von dem Tag, da man die Schande des Versailler Diktats tilgen werde. In den 20er-Jahren wurde das Leben in Deutschland – vor allem aufgrund massiver amerikanischer Kredite – allmählich besser. Aber die Weltwirtschaftskrise, die mit dem Börsenkrach an der Wall Street von 1929 ausbrach, traf Deutschland noch härter, als Großbritannien und andere Staaten im September 1931 den Goldstandard aufgaben. Die Furcht vor einer weiteren Welle der Hyperinflation veranlasste die Regierung Brüning, die Bindung der Reichsmark an den Goldpreis aufrechtzuerhalten, was zu deren Überbewertung führte. Da die amerikanischen Kredite inzwischen ausgelaufen waren und der Protektionismus Deutschland von seinen Exportmärkten abschnitt, kam Massenarbeitslosigkeit auf. Damit stiegen die Chancen für Demagogen, die radikale Lösungen anboten.

Die Krise des Kapitalismus hatte den Niedergang der liberalen Demokratie beschleunigt, die in vielen Ländern Europas durch die Aufsplitterung der Wählerstimmen aufgrund des Verhältniswahlrechts an Wirkung verlor. Die meisten parlamentarischen Systeme, die nach dem Zusammenbruch der drei kontinentalen Großreiche im Jahr 1918 entstanden waren, wurden hinweggefegt, weil sie sich als unfähig erwiesen, mit den Konflikten in der Gesellschaft fertig zu werden. Ethnische Minderheiten, die im Rahmen der alten Imperien relativ friedlich zusammengelebt hatten, wurden nun durch Doktrinen von nationaler Reinheit bedroht.

Die noch frische Erinnerung an die Russische Revolution und die gewaltsamen Zerstörungen der Bürgerkriege in Ungarn, Finnland, den baltischen Ländern und auch in Deutschland selbst trieben den Prozess der politischen Polarisierung voran. Der Teufelskreis von Furcht und Hass drohte aufrührerische Rhetorik in selbsterfüllende Prophezeiungen münden zu lassen, wie die Entwicklung in Spanien bald zeigen sollte. Manichäische Alternativen können den auf Kompromissen beruhenden demokratischen Zusammenhalt einer Gesellschaft zerstören. In diesem neuen, von kollektivistischen Ideen geprägten Zeitalter hielten die Intellektuellen der Linken und der Rechten, aber auch verbitterte ehemalige Soldaten des Ersten Weltkriegs gewaltsame Lösungen für eine höchst heroische Alternative. Angesichts des finanziellen Desasters erschien der autoritäre Staat nun im größten Teil Europas als natürliche, zeitgemäße Ordnung, als eine Antwort auf das Chaos des politischen Lagerkampfes.

Im September 1930 sprang der Stimmenanteil der Nationalsozialistischen Partei in Deutschland von 2,5 auf 18,3 Prozent. Die konservative Rechte, die wenig von Demokratie hielt, zerstörte im Grunde genommen die Weimarer Republik und öffnete damit Hitler die Tür. In verhängnisvoller Unterschätzung von dessen Skrupellosigkeit glaubte sie, sie könne ihn als populistische Marionette nutzen, um ihre Vorstellung von Deutschland durchzusetzen. Aber im Unterschied zu ihr wusste Hitler genau, was er wollte. Als er am 30. Januar 1933 deutscher Reichskanzler wurde, ging er unverzüglich daran, jegliche potenzielle Opposition zu eliminieren.

Für die späteren Opfer war es tragisch, dass eine kritische Masse der deutschen Bevölkerung in ihrem Streben nach Ordnung und Respekt nur allzu bereit war, dem gewissenlosesten Verbrecher der Geschichte Gefolgschaft zu leisten. Hitler gelang es, deren niederste Instinkte – Feindseligkeit, Intoleranz und Arroganz – anzusprechen, vor allem aber das gefährliche Gefühl rassischer Überlegenheit. Jeder Rest rechtsstaatlichen Denkens wurde von Hitlers Auffassung hinweggefegt, das Rechtswesen habe der neuen Ordnung zu dienen. Öffentliche Institutionen wie Gerichte, Universitäten, Streitkräfte und die Presse katzbuckelten vor dem neuen Regime. Dessen Gegner jeglicher Couleur sahen sich hoffnungslos isoliert und als Verräter an der neuen Idee des Vaterlands gebrandmarkt – nicht nur durch das Regime selbst, sondern auch durch alle seine Gefolgsleute. Anders als Stalins NKWD blieb die Gestapo überraschend inaktiv. Die meisten Verhaftungen, die sie vornahm, erfolgten aufgrund von Denunziationen durch deutsche Mitbürger.4

Das Offizierskorps, das bisher so viel Wert auf seine Politikferne gelegt hatte, ließ sich durch das Versprechen personeller Aufstockung und massiver Aufrüstung verlocken, obwohl es einen so vulgären, schlecht gekleideten Marktschreier wie Hitler eigentlich verachtete. Angesichts dieser Staatsmacht paarte sich Feigheit mit Opportunismus. Otto von Bismarck hatte einmal bemerkt, Zivilcourage, ohnehin eine seltene Tugend, verlasse einen Deutschen komplett, sobald er eine Uniform anziehe.5 Nicht umsonst suchten die Nazis jeden, selbst die Kinder, in eine Uniform zu stecken.

Hitler verstand es bestens, die Schwächen seiner Gegner zu erkennen und auszunutzen. Die deutsche Linke, tief gespalten in KPD und SPD, stellte keine wirkliche Gefahr für ihn dar. Mit Leichtigkeit übertölpelte er die Konservativen, die in ihrer naiven Arroganz glaubten, ihn kontrollieren zu können. Kaum hatte Hitler durch radikale Erlasse und Massenverhaftungen seine Macht im Lande gefestigt, schickte er sich an, den Versailler Vertrag in Stücke zu reißen. 1935 führte er die Wehrpflicht wieder ein, mit Zustimmung Großbritanniens baute er die Kriegsmarine aus und stellte ganz offen Luftstreitkräfte, die Luftwaffe, auf. Großbritannien und Frankreich brachten keine ernsten Einwände gegen Hitlers Programm einer beschleunigten Aufrüstung vor.

Im März 1936 besetzten deutsche Truppen das Rheinland und brachen damit zum ersten Mal offen die Verträge von Versailles und Locarno. Dieser Schlag ins Gesicht der Franzosen, die über zehn Jahre zuvor in dieses Gebiet eingerückt waren, brachte dem »Führer« in Deutschland Bewunderung ein, selbst bei vielen, die ihn nicht gewählt hatten. Diese Unterstützung sowie die lethargische Reaktion Großbritanniens und Frankreichs ermunterten Hitler, an seinem Kurs festzuhalten. Im Alleingang hatte er den Deutschen ihren Stolz zurückgegeben, und die Aufrüstung – viel mehr als seine oft gepriesenen öffentlichen Bauvorhaben – stoppte die galoppierende Arbeitslosigkeit. Das brutale Vorgehen der Nazis und die Verluste an Freiheit schienen den meisten Deutschen dafür ein geringer Preis zu sein.

Hitlers wirkungsvolle Verführung des deutschen Volkes verdrängte humanistische Werte mehr und mehr. Nirgends zeigte sich das deutlicher als bei der Judenverfolgung, die zunächst holprig in Gang kam. Entgegen der allgemeinen Auffassung wurde sie jedoch eher aus der NSDAP heraus als auf Befehl von oben vorangetrieben. Hitlers apokalyptische Tiraden gegen die Juden bedeuteten nicht unbedingt, dass er von vornherein eine »Endlösung« ins Auge fasste. Zunächst begnügte er sich damit, SA-Trupps jüdische Geschäfte überfallen und plündern zu lassen und dabei eine dumpfe Mischung aus Gier, Neid und eingebildeter Feindschaft zu befriedigen. In dieser Phase lief die Politik der Nazis darauf hinaus, den Juden Bürgerrechte und Vermögen zu nehmen, sie durch Demütigung und Schikane aus dem Lande zu treiben. »Die Juden müssen aus Deutschland, ja aus ganz Europa heraus«, sagte Hitler am 30. November 1937 zu Goebbels. »Das dauert noch eine Zeit, aber geschehen wird und muss das.«6

Hitler hatte in Mein Kampf sein Programm, Deutschland zur dominierenden Macht in Europa aufzubauen, unmissverständlich dargelegt. Zunächst wollte er Deutschland und Österreich vereinigen, danach die Deutschen außerhalb der deutschen Grenzen »heim ins Reich« holen und unter seine Kontrolle bringen. »Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich«, erklärte er. Erst wenn dies erreicht sei, habe das deutsche Volk das »moralische Recht zur Erwerbung fremden Grund und Bodens. Der Pflug ist dann das Schwert, und aus den Tränen des Krieges erwächst für die Nachwelt das tägliche Brot.«7

Bereits auf der ersten Seite war eindeutig von seiner Aggressionspolitik die Rede. Und obwohl jedes deutsche Brautpaar bei der Heirat ein Exemplar geschenkt bekam, scheinen nur wenige Hitlers kriegslüsterne Ankündigungen ernst genommen zu haben. Lieber glaubten die Deutschen seinen jüngsten, unermüdlich wiederholten Versicherungen, er wolle keinen Krieg. Hitlers tollkühne Aktionen angesichts britischer und französischer Schwäche bestärkten sie in der Hoffnung, er werde alle seine Ziele ohne einen großen Konflikt erreichen. Die Menschen erkannten nicht, dass die überhitzte deutsche Wirtschaft und Hitlers Entschlossenheit, Deutschlands Vorsprung bei der Rüstung zu nutzen, eine deutsche Invasion der Nachbarstaaten in hohem Maße wahrscheinlich machten.

Hitler genügte es nicht, lediglich die Gebiete zurückzuholen, die der Versailler Vertrag Deutschland genommen hatte. Derartige Halbheiten waren ihm zuwider. Hitler brannte vor Ungeduld, denn er glaubte, er werde nicht lange genug leben, um seinen Traum von der Vorherrschaft Deutschlands Wahrheit werden zu lassen. Er wollte ganz Mitteleuropa und Russland bis zur Wolga als »Lebensraum«, um Deutschland Autarkie und den Status einer Großmacht zu sichern. In seinen Träumen, den Osten Europas zu erobern, sah er sich bestärkt durch die kurze deutsche Besetzung der baltischen Staaten, von Teilen Weißrusslands, der Ukraine und Südrusslands bis nach Rostow am Don im Jahr 1918. Dieser war der Friedensvertrag von Brest-Litowsk gefolgt, den Deutschland dem gerade entstehenden Sowjetregime diktierte. Nachdem die britische Blockade im Ersten Weltkrieg beinahe eine Hungersnot ausgelöst hätte, weckte die Kornkammer Ukraine Hitlers besonderes Interesse. Er war gewillt, eine Demoralisierung der Deutschen wie im Jahr 1918, die zu Revolution und Zusammenbruch geführt hatte, nie wieder zuzulassen. Dieses Mal sollten andere Hunger leiden. Eines der Hauptziele seiner Pläne vom »Lebensraum« war es allerdings, die Ölfelder des Ostens in seine Hand zu bekommen. Selbst in Friedenszeiten musste das Reich 85 Prozent seines Erdölbedarfs importieren. In einem Krieg konnte das für Deutschland zur Achillesferse werden.

Kolonien in Osteuropa erschienen Hitler als das beste Mittel, um Selbstversorgung zu gewährleisten. Seine Ambitionen gingen jedoch weit über die anderer Nationalisten hinaus. Nach seinen sozialdarwinistischen Überzeugungen war das Leben der Nationen ein Kampf um die rassische Vorherrschaft. Daher plante er, die slawischen Völker durch organisierten Hunger drastisch zu dezimieren und die Überlebenden als Leibeigene auszubeuten.

Sein Entschluss, im Sommer 1936 in den Spanischen Bürgerkrieg einzugreifen, ist kein so opportunistischer Schritt gewesen, als den man ihn häufig darstellt. Hitler war überzeugt, dass ein bolschewistisches Spanien zusammen mit einer Linksregierung in Frankreich eine strategische Gefahr für Deutschland im Westen Europas darstellen würde, wenn er im Osten des Kontinents den Kampf gegen Stalins Sowjetunion aufnehmen wollte. Wieder konnte er den Abscheu der Demokratien vor dem Krieg für sich nutzen. Die Briten fürchteten, der Konflikt in Spanien könnte in einen neuen europäischen Konflikt münden, und die Volksfrontregierung Frankreichs wagte nicht allein zu handeln. So konnte Deutschland mit seiner unverhüllten Unterstützung für Francos Nationalisten deren Sieg absichern. Zugleich erhielt Görings Luftwaffe die Möglichkeit, neue Flugzeuge und Taktiken zu erproben. Da die faschistische Regierung Italiens ein »Freiwilligenkorps« schickte, das an der Seite der Nationalisten kämpfte, brachte dieser Krieg Hitler und Mussolini einander näher. Bei all seinen hochfliegenden Plänen im Mittelmeerraum bereitete dem »Duce« aber Sorge, dass Hitler entschlossen schien, den Status quo umzustürzen. Auf einen Krieg in Europa war das italienische Volk weder militärisch noch psychologisch vorbereitet.

Da Hitler in dem kommenden Krieg gegen die Sowjetunion dringend Verbündete brauchte, schloss er im November 1936 den Antikominternpakt mit Japan. Dieses hatte seine koloniale Expansion im Fernen Osten bereits im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts begonnen. Den Niedergang der Monarchie in China nutzend, setzte sich Japan in der Mandschurei fest, eroberte Taiwan und okkupierte Korea. Als es im Krieg von 1904/05 auch noch einen Sieg über das zaristische Russland errang, wurde es zur stärksten Militärmacht in der Region. Der Börsenkrach an der Wall Street und die Weltwirtschaftskrise heizten in Japan antiwestliche Stimmungen an. Eine zunehmend nationalistisch eingestellte Offizierskaste betrachtete Korea, die Mandschurei und China – ähnlich wie die Nazis die Sowjetunion – als eine Landmasse und eine riesige Bevölkerung, die unterworfen werden mussten, um das eigene Volk zu ernähren.

Der chinesisch-japanische Konflikt war lange Zeit ein fehlendes Teil im Puzzle des Zweiten Weltkriegs. Die militärische Auseinandersetzung in China, die lange vor dem Ausbruch der Kämpfe in Europa begann, wurde bisher meist als völlig separate Angelegenheit behandelt, obwohl dort die stärksten Bodentruppen Japans im ganzen Fernen Osten zum Einsatz kamen und bald auch die USA und die Sowjetunion einbezogen wurden.

Im September 1931 inszenierten japanische Offiziere den Mukden-Zwischenfall. Sie verübten einen Sprengstoffanschlag auf eine Eisenbahnlinie, um damit die Besetzung der gesamten Mandschurei zu rechtfertigen. Da die eigene Landwirtschaft verheerende Rückschläge hatte hinnehmen müssen, hofften sie, hier ein riesiges Anbaugebiet schaffen zu können. Sie nannten das Gebilde Mandschuguo und installierten dort ein Marionettenregime mit dem abgesetzten chinesischen Kaiser Pu Yi als Galionsfigur. Die Zivilregierung in Tokio fühlte sich verpflichtet, die Armee zu unterstützen, obwohl die Offiziere sie verachteten. Der Völkerbund in Genf wies die Anträge Chinas ab, Sanktionen gegen Japan zu verhängen. Von der japanischen Regierung unterstützt, strömten nun Kolonisten, meist japanische Bauern, in großer Zahl herbei, um Land zu besetzen. Binnen zwanzig Jahren sollten sie eine Million Höfe aufbauen. Dieses Vorgehen führte Japan zwar in die diplomatische Isolation, aber das Land genoss seinen Triumph. Damit nahm ein verhängnisvoller Prozess zunehmender Expansion und wachsenden militärischen Einflusses auf die Regierung in Tokio seinen Anfang.

Ein militanteres Kabinett wurde eingesetzt, und die Kwantung-Armee in der Mandschurei dehnte ihre Kontrolle fast bis vor die Tore von Beijing (Peking) aus. Chiang Kai-sheks Guomindang-Regierung in Nanjing (Nanking) wurde gezwungen, ihre Truppen zurückzuziehen. Chiang behauptete, der Erbe Sun Jatsens zu sein, der eine Demokratie westlichen Stils hatte einführen wollen. In Wirklichkeit war er aber nur der oberste Warlord des Landes.

Nun nahm das japanische Militär im Norden den sowjetischen Nachbarn und im Süden den Pazifik ins Visier. Seine Ziele waren die Kolonien Großbritanniens, Frankreichs und der Niederlande im Fernen Osten, vor allem die Ölfelder Niederländisch-Ostindiens. Das fragile Patt in China wurde unerwartet gebrochen, als die Japaner am 7. Juli 1937 an der Marco-Polo-Brücke bei Beijing eine Provokation inszenierten. Die Kaiserliche Armee in Tokio versicherte Kaiser Hirohito, China könne in wenigen Monaten überwältigt werden. Verstärkung wurde auf das chinesische Festland geschickt, und ein grausiger Feldzug begann, teilweise angeheizt durch ein Massaker von Chinesen an japanischen Zivilisten. Die Kaiserliche Armee wütete hemmungslos. Jedoch endete der Japanisch-Chinesische Krieg nicht mit dem raschen Sieg, den die Generale in Tokio vorausgesagt hatten. Die abstoßende Gewalt der Angreifer löste erbitterten Widerstand aus. Daraus zog Hitler jedoch keine Lehren für seinen Überfall auf die Sowjetunion vier Jahre später.

Mancher im Westen wollte im Japanisch-Chinesischen Krieg ein Gegenstück zum Spanischen Bürgerkrieg sehen. Robert Capa, Ernest Hemingway, W. H. Auden, Christopher Isherwood, der Filmemacher Joris Ivens und viele Journalisten reisten ins Land, brachten ihre Sympathie und Unterstützung für das chinesische Volk zum Ausdruck. Linke, die in geringer Zahl das kommunistische Hauptquartier in Yan’an besuchten, stärkten Mao Zedong den Rücken, obwohl Stalins Unterstützung Chiang Kai-shek und der Guomindang galt. Aber weder die britische noch die amerikanische Regierung waren bereit, aktiv einzugreifen.

Die Regierung von Neville Chamberlain und der größte Teil der Bevölkerung Großbritanniens waren nach wie vor bereit, mit einem wiederauferstandenen und hochgerüsteten Deutschland zu leben. Viele Konservative sahen Nazideutschland als ein Bollwerk gegen den Bolschewismus. Chamberlain, der ehemalige Oberbürgermeister von Birmingham und ein altmodischer Biedermann, beging seinen größten Fehler, als er davon ausging, andere Politiker teilten seine Werte und seinen Abscheu gegen den Krieg. Er war ein hoch kompetenter und effizienter Finanzminister gewesen, aber von Außenpolitik oder Verteidigung verstand er nichts. Angesichts der völligen Skrupellosigkeit des Naziregimes war der Gentleman mit Stehkragen, gezwirbeltem Schnurrbart und Regenschirm völlig überfordert.

Andere, auch solche, die der Linken zuneigten, scheuten sich, Hitlers Regime entgegenzutreten, weil sie immer noch der Meinung waren, Deutschland sei auf der Versailler Konferenz sehr unfair behandelt worden. Sie hatten auch gegen Hitlers erklärten Wunsch, deutsche Minderheiten aus Nachbarländern, zum Beispiel aus dem tschechischen Sudetenland, ins Reich »heimzuholen«, kaum etwas einzuwenden. Vor allem aber war die Vorstellung von einem neuen Krieg in Europa für Briten und Franzosen ein Graus. Dass man es Nazideutschland im März 1938 gestattete, sich Österreich einzuverleiben, schien ein geringer Preis für den Weltfrieden zu sein. Immerhin hatte eine Mehrheit der Österreicher 1918 für den »Anschluss« an Deutschland gestimmt und hieß die Nazis zwanzig Jahre später willkommen. Österreichs Behauptung bei Kriegsende, Hitlers erstes Opfer gewesen zu sein, war reine Heuchelei.

Dann entschied Hitler, im Oktober 1938 in die Tschechoslowakei einzumarschieren. Dies sollte erst nach Abschluss der Ernte in Deutschland stattfinden, da seine Minister andernfalls eine Krise in der Lebensmittelversorgung befürchteten.8 Aber zu Hitlers Ärger überließen ihm Chamberlain und Daladier im September 1938 im Münchner Abkommen das Sudetenland, um den Frieden zu wahren. Das hinderte Hitler an diesem Krieg, gab ihm aber später die Möglichkeit, die ganze Tschechoslowakei kampflos zu übernehmen. Einen weiteren schwerwiegenden Fehler beging Chamberlain, als er sich weigerte, Stalin zu konsultieren. Das bewog den sowjetischen Diktator unter anderem zu dem Entschluss, im August 1939 dem Molotow-Ribbentrop-Pakt zuzustimmen. Wie später Franklin D. Roosevelt im Hinblick auf Stalin glaubte auch Chamberlain in falscher Selbstgefälligkeit, er allein könne Hitler davon überzeugen, gute Beziehungen zu den westlichen Alliierten lägen in dessen eigenem Interesse.

Manche Historiker sind der Meinung, dass die Dinge einen ganz anderen Verlauf genommen hätten, wären Großbritannien und Frankreich im Herbst 1938 bereit gewesen, militärisch zu handeln. Das ist, was die Deutschen betrifft, durchaus möglich. Jedoch bleibt es eine Tatsache, dass weder das britische noch das französische Volk psychologisch zu einem Krieg bereit waren, vor allem weil Politiker, Diplomaten und die Presse sie falsch informiert hatten. Jeder, der damals vor Hitlers Plänen warnte, darunter Winston Churchill, wurde kurzerhand als Kriegstreiber abgestempelt.

Erst im November 1938 gingen vielen die Augen auf, was Hitlers Regime tatsächlich darstellte. Nach der Ermordung eines deutschen Diplomaten in Paris durch einen jungen polnischen Juden wüteten Sturmtrupps der Nazis in der »Reichskristallnacht«, einem Pogrom, dessen Name auf die eingeschlagenen Schaufensterscheiben jüdischer Geschäfte zurückgeht. Die dunklen Wolken des Krieges, die in diesem Herbst über der Tschechoslowakei heraufzogen, ließen in der Nazipartei die Gewaltbereitschaft steigen. SA-Schläger brannten Synagogen nieder, prügelten und erschlugen Juden, verwüsteten deren Geschäfte. Selbst Göring klagte, welch große Menge an ausländischen Devisen es kosten werde, um die unzähligen Glasscheiben zu ersetzen, die aus Belgien bezogen wurden.9

Viele einfache Deutsche waren schockiert, aber die Politik der Nazis zur Isolierung der Juden hatte bewirkt, dass deren Schicksal der Mehrheit ihrer deutschen Mitbürger gleichgültig wurde. Allzu viele ließen sich bald davon verführen, wie leicht man sich an geplündertem jüdischen Vermögen, enteigneten Wohnungen und »arisierten« Geschäften bereichern konnte. Die Nazis waren sehr findig bei den Methoden, mit denen sie immer mehr Menschen in ihre Verbrechen hineinzogen.

Hitlers Besetzung der gesamten Tschechoslowakei im März 1939, eine flagrante Verletzung des Münchner Abkommens, lieferte den endgültigen Beweis, dass sein Anspruch, Deutsche ins Reich »heimzuholen«, ein kaum verhüllter Vorwand war, um weitere Territorien an sich zu reißen. Jetzt sah sich Chamberlain gezwungen, als Warnung an Hitler vor weiterer Expansion Polen Garantien anzubieten.

Der beklagte sich später, er sei 1938 an einem Krieg gehindert worden, »da die Engländer und Franzosen in München alle meine Forderungen akzeptierten«.10 Im Frühjahr 1939 erklärte er dem rumänischen Außenminister die Gründe für seine Ungeduld: »Ich bin jetzt fünfzig, ich will den Krieg lieber jetzt haben, als wenn ich fünfundfünfzig bin oder sechzig.«11

Damit enthüllte Hitler, dass er das Ziel der Herrschaft über Europa noch zu seinen Lebzeiten, also in relativ kurzer Zeit, zu erreichen gedachte. Bei seiner manischen Eitelkeit traute er die Erfüllung dieser Mission keinem anderen zu. Er hielt sich für absolut unersetzbar und erklärte seinen Generalen, das Schicksal des Reiches hänge allein von seiner Person ab. Die Nazipartei und Hitlers chaotische Amtsführung waren niemals dazu bestimmt, Stabilität und Kontinuität hervorzubringen. Hitlers Gerede von einem »Tausendjährigen Reich« verriet den bedeutsamen psychologischen Widerspruch eines überzeugten Junggesellen, der einen perversen Stolz empfand, eine genetische Sackgasse darzustellen und der zugleich eine ungesunde Faszination für den Selbstmord hegte.

Am 30. Januar 1939, dem sechsten Jahrestag seiner »Machtergreifung«, hielt Hitler im Reichstag eine wichtige Rede. Sie enthielt die fatale »Prophezeiung«, auf die er und seine Mittäter bei der »Endlösung« sich immer wieder berufen sollten. Er behauptete, Juden hätten seine Erklärung, er werde einmal Deutschland führen und »auch die Judenfrage zur Lösung bringen«, mit Gelächter aufgenommen. Dann erklärte er feierlich: »Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.«12 Diese haarsträubende Umkehrung von Ursache und Wirkung bildete den Kern von Hitlers obsessivem Gespinst aus Lügen und Selbsttäuschung.

Zwar war Hitler auf Krieg vorbereitet und wollte diesen gegen die Tschechoslowakei führen, aber er konnte nicht verstehen, weshalb die Haltung der Briten nun so plötzlich von Beschwichtigung zu Widerstand wechselte. Er hatte durchaus vor, Frankreich und Großbritannien anzugreifen, aber zu einem Zeitpunkt, den er für richtig hielt. Als bittere Lehre aus dem Ersten Weltkrieg hoffte er die Konflikte einzeln austragen zu können, um niemals an mehr als einer Front kämpfen zu müssen.

Dass die britische Reaktion Hitler so überraschte, zeigt, wie wenig dieser Autodidakt von der Weltgeschichte verstand. Denn der neue Kurs der Regierung Chamberlain folgte einem Muster, an das sich Großbritannien seit dem 18. Jahrhundert in nahezu allen europäischen Krisen gehalten hatte. Der Kurswechsel hatte nichts mit Ideologie oder Idealismus zu tun. Großbritannien hegte nicht die Absicht, Faschismus oder Antisemitismus zu bekämpfen, wenn auch der moralische Aspekt sich später für die nationale Propaganda sehr gut nutzen ließ. Die Motive lagen in seiner traditionellen Strategie. Deutschlands feindliche Übernahme der Tschechoslowakei enthüllte klar, dass Hitler die Vorherrschaft über Europa anstrebte. Damit bedrohte er den Status quo, was selbst ein geschwächtes und wenig kriegsbereites Großbritannien niemals hinnehmen konnte. Zudem unterschätzte Hitler Chamberlains Verärgerung darüber, dass man ihn in München so frech hintergangen hatte. Duff Cooper, der wegen des Verrats an den Tschechen als Marineminister zurückgetreten war, schrieb später, dass Chamberlain »in Birmingham niemals irgendjemanden getroffen hatte, der auch nur annähernd an Adolf Hitler erinnerte. […] Niemand in Birmingham hätte ein dem Bürgermeister gegebenes Versprechen gebrochen.«13

Hitlers Absichten lagen nun offen zutage. Und der Schock über seinen Pakt mit Stalin vom August 1939 bestätigte, dass Polen sein nächstes Opfer sein würde. »Staatsgrenzen werden durch Menschen geschaffen«, hatte Hitler in Mein Kampf geschrieben, »und durch Menschen geändert.«14 Im Rückblick könnte die Verbitterung über den Versailler Vertrag den Ausbruch eines neuen Weltkriegs als unvermeidlich erscheinen lassen, aber in der Geschichte ist nichts vorherbestimmt. Sicherlich waren im Gefolge des Ersten Weltkriegs überall in Europa instabile Grenzen und Spannungen entstanden. Aber es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Adolf Hitler der Architekt dieses neuen und viel schlimmeren Weltenbrandes war, der Millionen Menschen und schließlich auch ihn selbst verschlingen sollte. Und es ist ein weiteres Paradox, dass sich die erste Runde des Zweiten Weltkriegs, in der Yang Kyungjong zum ersten Mal in Gefangenschaft geriet, im Fernen Osten abspielte.

1Stephan Burgdorff und Klaus Wiegrefe (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg. Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, München 2004, S. 23–35.

2Ernst Nolte, Der europäische Bürgerkrieg 1917–1945, Frankfurt/Main, 1988.

3Siehe Michael Howard, »A Thirty Years War? The Two World Wars in Historical Perspective«, in: Liberation or Catastrophe? Reflections on the History of the Twentieth Century, London 2007, S. 35 und 67; Gerhard L. Weinberg, Eine Welt in Waffen: Die globale Geschichte des Zweiten Weltkriegs, Stuttgart 1995, S. 12.

4Zum Niedergang des Rechtsstaates in Deutschland siehe Michael Burleigh, Die Zeit des Nationalsozialismus: eine Gesamtdarstellung, Frankfurt/Main 2000, S. 179–256; Richard Evans, The Coming of the Third Reich, London 2005; Ian Kershaw, Hitler 1889–1936, Stuttgart 1998.

5Siehe Sebastian Haffner, Defying Hitler, London 2002, zit. n. Bernard Weiner, http://www.informationclearinghouse.info/article5775.htm

6Joseph Goebbels, Die Tagebücher von Joseph Goebbels, sämtliche Fragmente (TBJG), hrsg. von Elke Fröhlich, München 1987, Teil I, Bd. 4, S. 429. Die beste Analyse der Ursprünge des Holocaust und der damit verbundenen Dispute unter den Historikern findet sich bei Ian Kershaw, Der NS-Staat, Hamburg 2009, S. 165–208; ders., Hitler, the Germans and the Final Solution, New Haven 2008.

7Adolf Hitler, Mein Kampf, München 1933, S. 1.

8Siehe dazu Adam Tooze, Ökonomie der Zerstörung: Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, Bonn 2007, S. 293.

9Siehe ebenda, S. 327.

10Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler, München 1994, S. 29.

11Ebenda.

12Zit. n. Max Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1932–1945, München 1965, 3 Bde., Bd. 2, S. 1058.

13CCA, Duff Cooper Papers, DUFC 8/1/14, zit. n. Richard Overy, Die letzten zehn Tage: Europa am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, München 2009, S. 34.

14Hitler, Mein Kampf, S. 740.

1. KapitelDer Kriegsausbruch

JUNI – AUGUST 1939

Am 1. Juni 1939 wurde Georgi Schukow, ein untersetzter Kavalleriekommandeur, dringend nach Moskau gerufen.15 Stalins Säuberung der Roten Armee, die 1937 begonnen hatte, war immer noch im Gange. Daher vermutete Schukow, der bereits einmal davon betroffen war, man habe ihn zum »Volksfeind« erklärt. Nun erwartete ihn wohl Lawrenti Berijas »Fleischwolf«, wie das Verhörsystem des NKWD allgemein genannt wurde.

Im paranoiden Klima des »Großen Terrors« waren hohe Offiziere unter den Ersten gewesen, die man als trotzkistisch-faschistische Spione erschossen hatte. Etwa 30000 saßen in Haft. Viele der höchsten Ränge hatte man bereits hingerichtet und den meisten anderen unter Folter groteske Geständnisse abgepresst. Schukow, der einigen der Opfer nahestand, hielt seit Beginn der Säuberungen zwei Jahre zuvor stets einen gepackten Koffer bereit für den Fall, dass er verhaftet würde. Da er diesen Augenblick schon lange erwartete, schrieb er an seine Frau einen Abschiedsbrief. »An Dich habe ich folgende Bitte«, waren seine ersten Worte. »Jammere nicht, bleibe aufrecht, und versuche die unangenehme Trennung mit Würde zu ertragen.«16

Als Schukow aber am nächsten Tag mit der Eisenbahn in Moskau eintraf, wurde er weder verhaftet noch zur Lubjanka, dem Sitz des NKWD, gebracht. Er erhielt den Befehl, sich im Kreml bei Marschall Kliment Woroschilow zu melden, Stalins altem Kampfgefährten von der 1. Kavalleriearmee im Bürgerkrieg, jetzt Volkskommissar für Verteidigung. Im Verlauf der Säuberung hatte dieser »mittelmäßige, blasse, mit geringer Intelligenz gesegnete« Soldat seine Stellung dadurch gefestigt, dass er sich eifrig an der Beseitigung talentierter Kommandeure beteiligte.17 Nikita Chruschtschow nannte ihn später in seiner unverblümten Art den »größten Dreckskerl der Armee«.18

Schukow wurde mitgeteilt, er habe unverzüglich in die Mongolei, den sowjetischen Satellitenstaat, zu fliegen. Dort sollte er den Befehl über das 57. Spezialkorps aus sowjetischen und mongolischen Truppen übernehmen und der japanischen Kaiserlichen Armee eine Abfuhr erteilen. Stalin war erbost darüber, dass der bisherige Kommandeur offenbar wenig erreicht hatte. Da Hitler im Westen mit Krieg drohte, wollte er den Provokationen der Japaner durch deren Marionettenstaat Mandschuguo ein Ende setzen. Die Rivalität zwischen Russland und Japan bestand seit der Zarenzeit, und Russlands demütigende Niederlage von 1905 hatte das Sowjetregime natürlich nicht vergessen. Unter Stalin wurden die Truppen im Fernen Osten wesentlich aufgestockt.

Für das japanische Militär war die bolschewistische Gefahr geradezu eine fixe Idee. Und seit der Unterzeichnung des Antikominternpaktes mit Deutschland im November 1936 hatten sich die Spannungen zwischen den Einheiten der Roten Armee und der japanischen Kwantung-Armee an der mongolischen Grenze verschärft. Eine Reihe von Grenzzwischenfällen im Jahr 1937, vor allem der größere Zwischenfall am Berg Zhanggufeng nahe des Chasansees, 110 Kilometer südwestlich von Wladiwostok, im Jahr 1938 heizten die Lage beträchtlich an.

Japan war darüber verärgert, dass die Sowjetunion seine chinesischen Gegner nicht nur wirtschaftlich, sondern auch mit T-26-Panzern, einer großen Gruppe Militärberater und von »Freiwilligen« gesteuerten Flugzeugen unterstützte. Die Befehlshaber der Kwantung-Armee waren frustriert über Kaiser Hirohitos Zögern, ihnen im August 1938 einen massiven Schlag gegen die Sowjetunion zu gestatten. In ihrer Arroganz nahmen sie fälschlicherweise an, die werde nicht zurückschlagen. Nun forderten sie freie Hand, bei künftigen Grenzzwischenfällen nach ihrem Gutdünken handeln zu dürfen. Dabei ließen sie sich von eigennützigen Motiven leiten. Ein Konflikt mit der Sowjetunion unterhalb der Schwelle eines Krieges sollte Tokio zwingen, die Kwantung-Armee aufzustocken, statt sie weiter zu reduzieren. Andernfalls befürchteten sie, einige ihrer Einheiten könnten nach Süden verlegt und in den Krieg gegen die Armeen Chiang Kai-sheks geworfen werden.19

Die aggressive Haltung der Führung der Kwantung-Armee hatte im Kaiserlichen Generalstab in Tokio einen gewissen Rückhalt. Die Marine und die Politiker, die keine Militärs waren, sahen sie allerdings mit tiefer Sorge. Vor allem beunruhigte sie der Druck Nazideutschlands auf Japan, die Sowjetunion als den Hauptfeind zu betrachten. Sie wollten nicht in einen Krieg im Norden, an den Grenzen zur Mongolei und zu Sibirien, verwickelt werden. Dieser Dissens brachte die Regierung von Prinz Fumimaro Konoe zu Fall. Die Debatte zwischen hohen Regierungs- und Militärkreisen flaute aber nicht ab, da es keinen Zweifel mehr geben konnte, dass der Krieg in Europa unmittelbar bevorstand. Die Armee und rechtsextreme Gruppierungen berichteten ausführlich und häufig in übertriebener Form von den zunehmenden Zwischenfällen an den Grenzen im Norden. Ohne Tokio zu informieren, befahl die Kwantung-Armee ihren Truppenkommandeuren, in solchen Fällen auf eigene Faust Vergeltung zu üben. Das geschah nach dem Vorrecht der sogenannten Feldinitiative, die es Armeen gestattete, Truppen im eigenen Operationsraum zu bewegen, ohne zuvor den Generalstab zu konsultieren, wenn es um ihre Sicherheit ging.20

Der Nomonhan-Zwischenfall, den die sowjetische Seite später nach dem dort verlaufenden Fluss die »Schlacht am Chalchin Gol« nannte, begann am 12. Mai 1939. Ein mongolisches Kavallerieregiment hatte den Chalchin Gol überschritten, um seine zottigen Pferdchen in der weiten, hügeligen Steppe grasen zu lassen. Die entfernten sich dabei etwa 20 Kilometer von dem Fluss, den die Japaner als Grenze ansahen, in Richtung des großen Dorfes Nomonhan, wo nach Ansicht der Mongolen die Grenze zur Mongolischen Volksrepublik verlief. Einheiten der Kwantung-Armee trieben sie bis zum Chalchin Gol zurück, woraufhin die Mongolen eine Konterattacke starteten. Die Scharmützel hielten etwa zwei Wochen an. Die Rote Armee führte Verstärkung heran. Am 28. Mai zerschlugen sowjetische und mongolische Truppen eine japanische Einheit, die aus 200 Mann und einigen veralteten Panzerwagen bestand. Mitte Juni griffen Bomber der Roten Armee mehrere Ziele an, und ihre Bodentruppen stießen bis nach Nomonhan vor.

Eine rasche Eskalation der Kämpfe war die Folge. Die in der Gegend stationierten Einheiten der Roten Armee wurden durch Truppen des Militärbezirks Transbaikalien verstärkt, die Schukow nach seinem Eintreffen am 5. Juni angefordert hatte. Das Hauptproblem der sowjetischen Kräfte bestand darin, dass sie über 650 Kilometer von der nächsten Eisenbahnstation entfernt operierten. Das erforderte riesige logistische Anstrengungen. Alles Notwendige musste per Lkw über unbefestigte Pisten herangeführt werden, die so schlecht waren, dass man für eine Hin- und Rückfahrt fünf Tage benötigte. Dieses gewaltige Problem verleitete die Japaner dazu, die Kampfstärke der Truppen zu unterschätzen, die Schukow zusammenzog.

Die Japaner schickten die 23. Division von Generalleutnant Michitaro Komatsubara und Einheiten der 7. Division in Richtung Nomonhan vor. Die Kwantung-Armee forderte eine wesentliche stärkere Luftunterstützung für ihre Truppen an. Das löste in Tokio Besorgnis aus. Der Kaiserliche Generalstab verbot per Befehl Vergeltungsschläge und kündigte die Entsendung eines Offiziers an, der über die Lage berichten sollte. Das veranlasste die Führung der Kwantung-Armee, die Operation abzuschließen, bevor die Restriktionen griffen. Am Morgen des 27. Juni schickte sie Flugzeugstaffeln aus, die Luftschläge gegen sowjetische Stützpunkte in der Mongolei führten. Der Generalstab in Tokio war empört und erließ mehrere Befehle, die jegliche weitere Handlungen von Luftstreitkräften verboten.

In der Nacht zum 2. Juli überschritten die Japaner im Schutze der Dunkelheit den Chalchin Gol und besetzten eine strategische Anhöhe, die die sowjetische Flanke bedrohte. Mit einem Gegenangriff seiner Panzer drängte Schukow sie nach dreitägigen schweren Kämpfen über den Fluss zurück. Er setzte sich am Ostufer fest und leitete ein groß angelegtes Ablenkungsmanöver ein.21 Während er insgeheim eine Großoffensive vorbereitete, taten seine Truppen so, als bauten sie lediglich eine statische Verteidigungslinie auf. Mit schlecht verschlüsselten Funksprüchen wurde immer mehr Material zum Bau von Bunkern angefordert, Lautsprecher verbreiteten den Lärm von Dampframmen, in verschwenderischer Menge wurden Flugblätter zum Thema »Was der Sowjetsoldat über die Verteidigung wissen muss«verbreitet, sodass einige dem Feind in die Hände fielen. Indessen führte Schukow im Schutz der Nacht Panzer zur Verstärkung heran und ließ sie sorgfältig tarnen. Seine Lkw-Fahrer schafften bis zur Erschöpfung von der Bahnstation über die unsäglichen Pisten Munitionsreserven für die Offensive herbei.

Am 23. Juli rannten die Japaner erneut gegen die sowjetische Verteidigungslinie an, konnten sie aber nicht durchbrechen. Eigene Versorgungsprobleme hatten zur Folge, dass sie eine gewisse Zeit abwarten mussten, bevor sie einen dritten Angriff starten konnten. Aber ihnen entging vollkommen, dass Schukow seine Truppen inzwischen auf 58000 Mann, etwa 500 Panzer und 250 Flugzeuge aufgestockt hatte. Am Sonntag, dem 20. August 1939, um 5.45 Uhr startete Schukow nach dreistündigem Artilleriebeschuss seinen Überraschungsangriff mit Panzern, Flugzeugen, Infanterie und Kavallerie. Es herrschte eine unerträgliche Hitze. Bei Temperaturen von über 40 Grad Celsius sollen Maschinengewehre und Kanonen blockiert haben. Rauch und Staub der Explosionen nahmen den Kämpfern auf dem Schlachtfeld nahezu jede Sicht.22

Während die sowjetische Infanterie, die aus drei Schützendivisionen und einer Brigade Fallschirmjäger bestand, im mittleren Teil der Frontlinie nur mit großer Mühe die Hauptkräfte der Japaner band, schickte Schukow drei Panzerbrigaden und eine mongolische Kavalleriedivision zu einem Umgehungsmanöver aus. Die Panzer, die einen Nebenfluss des Chalchin Gol mit Höchstgeschwindigkeit durchfuhren, waren in der Hauptsache T-26, die im Spanischen Bürgerkrieg zur Unterstützung der Republikaner eingesetzt waren, dazu der wesentlich schnellere Prototyp jenes Panzers, aus dem später der T-34 entstehen sollte, der wirksamste Panzer mittlerer Größe im Zweiten Weltkrieg. Dem hatten die Japaner mit ihren veralteten Fahrzeugen nichts entgegenzusetzen. Und ihre Artillerie besaß keine panzerbrechenden Granaten.

Trotzdem kämpfte die japanische Infanterie verbissen. Von Leutnant Sadakaji wird berichtet, er sei mit einem Samuraischwert auf einen Panzer losgegangen, bis dieser ihn niederschoss. Japanische Soldaten verteidigten sich in Erdbunkern und fügten den Angreifern, die in einigen Fällen Panzer mit Flammenwerfern einsetzten, schwere Verluste zu. Diese fochten Schukow nicht an. Als der Oberbefehlshaber der Transbaikalienfront, der die Schlacht beobachtete, vorschlug, eine Pause bei der Offensive einzulegen, fertigte ihn Schukow kurz ab. Wenn er den Angriff jetzt unterbreche und später neu starten müsste, so argumentierte er, würden die Opfer auf sowjetischer Seite »wegen unserer Unentschlossenheit« auf das Zehnfache ansteigen.23

Zwar galt bei den Japanern die Regel, sich niemals zu ergeben, aber ihre veraltete Taktik und Ausrüstung hatten eine eklatante Niederlage zur Folge. Komatsubaras Truppen wurden eingekreist und fast vollständig vernichtet. Bei dem Massaker, das sich endlos hinzog, wurden 61000 Mann getötet. Die Rote Armee hatte 7974 Tote und 15251 Verwundete zu beklagen.24 Am Morgen des 31. August war die Schlacht vorbei. Während sie noch tobte, hatte die Sowjetunion in Moskau den Nichtangriffspakt mit Nazideutschland unterzeichnet. Als sie endete, standen deutsche Truppen an den Grenzen Polens bereit, um den Krieg in Europa zu beginnen. Am Chalchin Gol kam es bis Mitte September zu weiteren Scharmützeln, bis Stalin entschied, dass es angesichts der Weltlage klug sei, auf die japanische Forderung nach einem Waffenstillstand einzugehen.

Schukow, der in der Erwartung nach Moskau gefahren war, verhaftet zu werden, kehrte nun dorthin zurück, um aus der Hand Stalins den Goldenen Stern des Helden der Sowjetunion entgegenzunehmen. Sein erster Sieg, ein lichter Moment in einer für die Rote Armee düsteren Zeit, hatte weitreichende Folgen. Die unerwartete Niederlage traf die Japaner ins Mark, während ihre chinesischen Gegner, sowohl die Nationalisten als auch die Kommunisten, neuen Mut schöpften. In Tokio musste die Fraktion, die den Hauptstoß nach Norden führen wollte, also für Krieg gegen die Sowjetunion eintrat, einen schweren Rückschlag hinnehmen. Die Vertreter der Fraktion, für die der Hauptstoß nach Süden gehen sollte, allen voran die Marine, waren von nun an im Vorteil. Im April 1941, nur wenige Wochen vor dem Start des »Unternehmens Barbarossa«, wurde zur Entrüstung der Deutschen zwischen der Sowjetunion und Japan ein Nichtangriffspakt unterzeichnet. Die Schlacht am Chalchin Gol hatte also wesentlichen Einfluss auf die spätere Entscheidung Japans, gegen die Kolonien Frankreichs, der Niederlande und Großbritanniens in Südostasien ins Feld zu ziehen und sich im Pazifik sogar mit der U. S. Navy anzulegen. Schließlich spielte die konsequente Weigerung Tokios, im Winter 1941 die Sowjetunion anzugreifen, eine entscheidende Rolle am geopolitischen Wendepunkt des Krieges im Fernen Osten und in Hitlers Kampf auf Leben und Tod gegen die Sowjetunion.

Hitler war in der Vorkriegszeit keiner geradlinigen Strategie gefolgt. Zeitweilig hatte er gehofft, vor dem Hauptschlag, den er gegen die Sowjetunion zu führen gedachte, Großbritannien als Verbündeten zu gewinnen. Dann wieder plante er, dieses durch einen Präventivschlag gegen Frankreich vom Kontinent fernzuhalten. Um für einen solchen Fall seine östliche Flanke zu sichern, hatte Hitler seinen Außenminister Joachim von Ribbentrop gedrängt, gegenüber Polen Avancen zu machen und ein Bündnis anzubieten. In Polen war man sich der Gefahr, damit Stalin zu provozieren, durchaus bewusst. Da man argwöhnte, Hitler brauche das Land lediglich als Satelliten, reagierte man mit äußerster Vorsicht. Die polnische Regierung hatte jedoch aus reinem Opportunismus einen ernsten Fehler begangen: Als Deutschland 1938 ins Sudentenland eingerückt war, hatten polnische Truppen die tschechoslowakische Provinz Tešin (Teschen) besetzt, die Polen seit 1920 wegen deren überwiegend polnischer Bevölkerung für sich beanspruchte. Außerdem hatte Polen seine Grenze in den Karpaten weiter vorgeschoben. Damit brachte es die Sowjetunion gegen sich auf und löste auch bei der britischen und französischen Regierung Betroffenheit aus. Polens zur Schau getragene Selbstsicherheit spielte Hitler in die Hände. Der polnische Plan, in Mitteleuropa einen Block gegen die deutsche Expansion, ein »Drittes Europa«, zu schaffen, erwies sich als Selbstbetrug.

Am 8. März 1939, kurz bevor deutsche Truppen Prag und die übrige Tschechoslowakei besetzten, erklärte Hitler seinen Generalen, er werde Polen zerschlagen. Damit könne Deutschland die Ressourcen Polens nutzen und den südlichen Teil Mitteleuropas dominieren, argumentierte er. Er sei entschlossen, vor seinem Angriff Richtung Westen Ruhe in Polen durch Eroberung, nicht durch Diplomatie zu sichern. Außerdem erklärte er, er habe die Absicht, die »jüdische Demokratie« der USA zu beseitigen.25

Am 23. März 1939 entriss Hitler Litauen das Memelland und gliederte es Ostpreußen an. Er trieb die Ausführung seiner Kriegspläne nun rascher voran, weil er befürchtete, dass Großbritannien und Frankreich bei der Rüstung bald aufholen könnten. Chamberlains Garantien für Polen, die dieser am 31. März vor dem Unterhaus verkündete, nahm er nicht ernst. Am 3. April befahl er seinen Generalen, mit der Ausarbeitung der Pläne für den »Fall Weiß«, die Invasion in Polen, zu beginnen und diese bis Ende August abzuschließen.

Chamberlain, dem es wegen seines tief sitzenden Antikommunismus zuwider war, sich mit Stalin zu einigen, und der die Stärke der Polen überschätzte, zeigte keine Eile, in Mitteleuropa und auf dem Balkan einen Verteidigungsblock gegen Hitler aufzubauen. Im Gegenteil, die britischen Garantien für Polen schlossen die Sowjetunion aus. Erst als Meldungen über deutsch-sowjetische Handelsgespräche eingingen, begann Chamberlains Regierung sich mit dieser klaffenden Lücke zu befassen. Stalin, dem die Polen verhasst waren, zeigte sich tief besorgt darüber, dass die britische und französische Regierung Hitler keinen Widerstand leisteten. Dass sie ihn im Jahr zuvor aus den Gesprächen über das Schicksal der Tschechoslowakei herausgehalten hatten, verstärkte seine Vorbehalte noch. Er argwöhnte, Großbritannien und Frankreich wollten ihn in einen Konflikt mit Deutschland treiben, um selbst nicht kämpfen zu müssen. Für ihn dagegen war es natürlich vorteilhaft, wenn die kapitalistischen Staaten sich in einem Zermürbungskrieg gegenseitig schwächten.

Am 18. April stellte Stalin die britische und französische Regierung auf die Probe, indem er ihnen einen Bündnispakt anbot, der jedem Land Mitteleuropas, das sich von einem Aggressor bedroht sah, Unterstützung versprach. Die Briten waren unsicher, wie sie darauf reagieren sollten. Außenminister Lord Halifax und sein Staatssekretär Sir Alexander Cadogan neigten instinktiv zu der Auffassung, die sowjetische Demarche verfolge »hinterhältige« Absichten.26 Chamberlain fürchtete, mit dem Eingehen auf diese Initiative Hitler zu provozieren. Tatsächlich aber bestärkte er diesen nur darin, selbst eine Übereinkunft mit dem sowjetischen Diktator zu suchen. Polen und Rumänen waren misstrauisch. Zu Recht erwarteten sie, die Sowjetunion werde Durchmarschrechte für die Rote Armee durch ihr Staatsgebiet fordern. Die Franzosen hingegen, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg Russland als natürlichen Verbündeten gegen Deutschland gesehen hatten, waren an einem Bündnis mit der Sowjetunion wesentlich stärker interessiert. Allerdings glaubten sie, dieses nicht ohne Großbritannien eingehen zu können. Daher drängten sie London, Militärgesprächen mit dem Sowjetregime zuzustimmen. Stalin zeigte sich vom Zögern Großbritanniens unbeeindruckt und verfolgte weiter seinen eigenen Geheimplan, die Grenzen der Sowjetunion weiter nach Westen vorzuschieben. Dabei hatte er das rumänische Bessarabien, Finnland, die baltischen Staaten und Ostpolen im Visier, besonders die Teile Weißrusslands und der Ukraine, die Russland nach der Niederlage im Polnisch-Sowjetischen Krieg 1921 an Polen hatte abtreten müssen. Die Briten, die schließlich einsahen, dass ein Pakt mit der Sowjetunion notwendig war, gingen erst Ende Mai auf Verhandlungen ein. Aber Stalin argwöhnte – im Wesentlichen zu Recht –, dass die britische Regierung nur Zeit gewinnen wollte.

Noch weniger beeindruckte ihn die französisch-britische Militärdelegation, die am 5. August mit einem langsamen Dampfer in Richtung Leningrad in See stach. General Aimé Doumenc und Admiral Sir Reginald Plunkett-Ernle-Erle-Drax hatten keinerlei Entscheidungsbefugnisse. Sie konnten lediglich nach Paris und London berichten. Auch aus anderen Gründen war ihre Mission zum Scheitern verurteilt. Ein unüberwindliches Hindernis stellte für sie Stalins Beharren auf den Durchmarschrechten für die Rote Armee durch polnisches und rumänisches Staatsgebiet dar. Dieser Forderung würden beide betroffenen Staaten niemals zustimmen. Ihre Regierungen misstrauten Kommunisten im Allgemeinen und Stalin im Besonderen. Über fruchtlosen Gesprächen bis in die zweite Augusthälfte hinein verging die Zeit. Aber selbst die Franzosen, die eine Vereinbarung unbedingt wollten, konnten die Regierung in Warschau nicht überzeugen, in dem genannten Punkt nachzugeben. Der polnische Oberbefehlshaber, Marschall Śmigły-Rydz, erklärte: »Mit den Deutschen riskieren wir unsere Freiheit, aber mit den Russen verlieren wir unsere Seele.«27

Angesichts der britischen und französischen Versuche, Rumänien in einen Verteidigungspakt gegen eine künftige deutsche Aggression einzubinden, entschied Hitler, dass es an der Zeit sei, über den ideologisch undenkbaren Schritt eines Paktes zwischen Nazideutschland und der Sowjetunion nachzudenken. Am 2. August sprach Ribbentrop die Idee eines neuen Verhältnisses zur Sowjetunion erstmals gegenüber dem sowjetischen Geschäftsträger in Berlin an. Er erklärte »dass von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer kein Problem vorliegt, das nicht zur beiderseitigen Zufriedenheit gelöst werden kann«.28

Ribbentrop verhehlte Deutschlands aggressive Absichten gegenüber Polen nicht und deutete eine Teilung der Beute an. Zwei Tage später wies der deutsche Botschafter in Moskau darauf hin, dass Deutschland die baltischen Staaten als Teil der sowjetischen Einflusssphäre betrachten könnte. Am 14. August schlug Ribbentrop vor, zu Gesprächen nach Moskau zu kommen. Der neue sowjetische Außenminister Molotow brachte seine Besorgnis über die deutsche Unterstützung für Japan zum Ausdruck, dessen Truppen nach wie vor am Chalchin Gol gegen die Rote Armee kämpften, deutete aber die sowjetische Bereitschaft an, die Gespräche fortzusetzen, insbesondere über die baltischen Staaten.

Für Stalin zeigte sich immer deutlicher, dass er aus dieser Entwicklung Vorteile ziehen konnte. Im Grunde hatte er bereits seit dem Münchner Abkommen ein Arrangement mit Hitler ins Auge gefasst. Im Frühjahr 1939 waren die Vorbereitungen einen Schritt vorangekommen. Am 3. Mai hatten Truppen des NKWD das Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten umstellt. »Befreien Sie das Ministerium von Juden«, hatte Stalin befohlen. »Säubern Sie die Synagoge.«29 Der langjährige Volkskommissar für Auswärtiges [wie die sowjetischen Außenminister bis 1946 genannt wurden – d.Ü.], Maxim Litwinow, war durch Wjatscheslaw Molotow ersetzt und eine Reihe weiterer Juden verhaftet worden.

Eine Vereinbarung mit Hitler würde es Stalin ermöglichen, die baltischen Staaten und Bessarabien an sich zu reißen, von Ostpolen im Falle einer deutschen Invasion ganz zu schweigen. Und da Stalin wusste, dass Hitlers nächster Schritt sich gegen Frankreich und Großbritannien richten werde, hoffte er auf eine Schwächung der Machtstellung Deutschlands durch einen möglichst blutigen Krieg im kapitalistischen Westen. Damit konnte er Zeit gewinnen, um die von seinen Säuberungen zermürbte und demoralisierte Rote Armee wieder aufzubauen.

Hitler gab eine Übereinkunft mit Stalin die Möglichkeit, seinen Krieg zuerst gegen Polen und danach gegen Frankreich und Großbritannien ohne eigene Verbündete zu beginnen. Der am 22. Mai unterzeichnete sogenannte Stahlpakt mit Italien bedeutete wenig, denn Mussolini sah sein Land erst 1943 kriegsbereit. Hitler war sich jedoch sicher, dass Großbritannien und Frankreich ungeachtet ihrer Garantien vor Krieg zurückschrecken würden, wenn er in Polen einmarschierte.

Nazideutschland heizte seinen Propagandakrieg gegen Polen an. Die Schuld für die Invasion, die bereits intensiv vorbereitet wurde, sollte diesem zugeschoben werden. Hitler vermied sorgfältig jegliche Verhandlungen, denn er wollte nicht noch einmal durch Kompromissangebote in letzter Minute am Losschlagen gehindert werden.

Um das deutsche Volk hinter sich zu bringen, nutzte er den tief sitzenden Groll darüber, dass der Versailler Vertrag Polen Westpreußen und Teile Schlesiens zugesprochen hatte. Die Freistadt Danzig und der polnische Korridor, die geschaffen wurden, um Polen einen Zugang zur Ostsee zu gewähren, aber nun Ostpreußen vom Reich trennten, wurden als eine der größten Ungerechtigkeiten von Versailles gebrandmarkt. Bereits am 23. Mai hatte Hitler jedoch erklärt, ein kommender Krieg werde nicht um die Freistadt Danzig, sondern um »Lebensraum« im Osten geführt. Berichte über die Unterdrückung der rund 800000 ethnischen Deutschen, die in Polen lebten, wurden bedenkenlos manipuliert. Es konnte nicht überraschen, dass Hitlers Drohungen gegen Polen in der Tat diskriminierende Maßnahmen gegen die deutschen Polen zur Folge hatten, worauf 70000 Ende August ins Reichsgebiet flüchteten. Polnische Behauptungen, Deutsche seien vor Beginn des Konflikts in Subversionsakte verwickelt gewesen, trafen ziemlich sicher nicht zu. Jedenfalls schlugen die Berichte der nationalsozialistischen Presse über angebliche Verfolgungen Deutscher in Polen von Tag zu Tag einen dramatischeren Ton an.

Als die deutsche Wehrmacht am 17. August an der Elbe Manöver durchführte, stellten zwei britische Hauptleute von der Botschaft, die als Beobachter eingeladen waren, fest, die jüngeren deutschen Offiziere seien »sehr selbstbewusst und ganz sicher, dass ihre Armee es mit jedem Gegner aufnehmen kann«.30 Ihre Generale und hohe Beamte des Auswärtigen Amtes waren jedoch besorgt, dass der Einmarsch in Polen einen europaweiten Krieg auslösen könnte. Hitler blieb überzeugt, dass die Briten nicht zu den Waffen greifen würden. Auf jeden Fall, so meinte er, werde der bevorstehende Pakt mit der Sowjetunion jenen Generalen Sicherheit geben, die einen Zweifrontenkrieg befürchteten. Doch am 19. August befahl Großadmiral Erich Raeder vorsorglich für den Fall einer Kriegserklärung von Großbritannien und Frankreich an Deutschland, dass die Panzerschiffe »Deutschland« und »Graf Spee« sowie sechzehn U-Boote mit Kurs Atlantik in See stachen.31

Am 21. August 1939 um 11.30 Uhr kündigte das Auswärtige Amt in der Wilhelmstraße an, man habe einen deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vorgeschlagen. Als die Nachricht von Stalins Einverständnis Hitler auf dem Berghof erreichte, soll er von der Tafel aufgesprungen sein und freudig erregt geschrien haben: »Ich hab’s! … Ich hab’s!«32 »Die Deutschen in den Cafés waren begeistert, denn sie glaubten, das bedeute Frieden«, beobachtete eine Mitarbeiterin der britischen Botschaft in Berlin.33 Und Botschafter Sir Nevile Henderson berichtete bald darauf nach London, dass »der erste Einruck in Berlin einer von enormer Erleichterung war. […] Der Glaube des deutschen Volkes an die Fähigkeit Herrn Hitlers, seine Ziele ohne Krieg zu erreichen, fand neue Bestätigung.«34

Die Briten waren über die Nachricht erschüttert, aber in Frankreich, wo man viel mehr auf einen Pakt mit dem traditionellen Verbündeten Russland gesetzt hatte, schlug sie wie eine Bombe ein. Ironie der Geschichte: Am meisten entsetzte die Meldung Generalissimus Franco in Spanien und die Führung Japans. Beide fühlten sich hintergangen, denn keiner von ihnen hatte eine Vorwarnung erhalten, dass der Initiator des Antikominternpaktes nun ein Bündnis mit Moskau anstrebte. Dieser Schritt brachte die japanische Regierung zu Fall, wurde aber auch von Chiang Kai-shek und den chinesischen Nationalisten als schwerer Schlag empfunden.

Am 23. August brach Ribbentrop zu seinem historischen Flug in die sowjetische Hauptstadt auf. Während der Verhandlungen waren nur noch wenige schwierige Punkte zu überwinden. Dann hatten die beiden totalitären Regimes in einem Geheimprotokoll vereinbart, Mitteleuropa unter sich aufzuteilen. Stalin verlangte ganz Lettland, was Ribbentrop nach Hitlers prompter Genehmigung per Telefon zusagte. Als sowohl der zu veröffentlichende Nichtangriffspakt als auch die Geheimprotokolle unterzeichnet waren, brachte Stalin einen Toast auf Hitler aus. Er erklärte Ribbentrop, er wisse, »wie sehr das deutsche Volk seinen Führer liebt«.

Am selben Tag war Sir Nevile Henderson mit einem Brief Chamberlains zu einem letzten Versuch, doch noch einen Krieg zu verhindern, nach Berchtesgaden geflogen. Hitler warf den Briten kurzerhand vor, die Polen zu einer antideutschen Haltung ermuntert zu haben. Henderson, bis dahin einer der prominentesten Vertreter der Beschwichtigungspolitik, war schließlich überzeugt, dass »der Gefreite des letzten Krieges mit aller Macht beweisen will, wozu er als Generalissimus im nächsten imstande ist«.35 Noch am selben Abend erging Hitlers Befehl an die Wehrmacht, binnen drei Tagen zum Einmarsch in Polen bereitzustehen.

Am 24. August um 3.00 Uhr morgens erhielt die britische Botschaft in Berlin aus London ein Telegramm mit dem Codewort »Rajah«. Die Diplomaten machten sich – zum Teil noch im Pyjama – daran, Geheimakten zu verbrennen. Um die Mittagszeit erging die Aufforderung an alle britischen Staatsbürger, Deutschland zu verlassen. Der Botschafter hatte zwar wegen des Fluges nach Berchtesgaden wenig geschlafen, aber mit einigen Mitarbeitern noch beim Bridge gesessen.

Am Tag darauf traf Henderson erneut mit Hitler zusammen, der inzwischen nach Berlin zurückgekehrt war. Der »Führer« bot Großbritannien einen Vertrag an, sobald er Polen besetzt habe. Henderson erklärte jedoch, als Voraussetzung dafür müsse er auf jeglichen aggressiven Akt verzichten und zudem aus der Tschechoslowakei abziehen. Erneut verkündete Hitler, wenn es Krieg geben sollte, dann möge er jetzt kommen und nicht erst, wenn er fünfundfünfzig oder sechzig Jahre alt sei. An diesem Abend wurde der britisch-polnische Vertrag offiziell unterzeichnet, was Hitler ernstlich überraschte und schockierte.

Die britischen Diplomaten in Berlin machten sich auf das Schlimmste gefasst. »Wir brachten alle unsere persönliche Habe in den Ballsaal der Vertretung«, schrieb einer von ihnen, »der bald aussah wie Victoria Station nach der Ankunft eines Fährenzubringers.«36 Die deutschen Botschaften und Konsulate in Großbritannien, Frankreich und Polen wurden angewiesen, den deutschen Staatsangehörigen die Rückkehr ins Reich oder die Ausreise in ein neutrales Land nahezulegen.

Am Samstag, dem 26. August, sagte die deutsche Regierung die Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der Schlacht bei Tannenberg ab. Diese hatten dazu dienen sollen, die massive Truppenkonzentration in Ostpreußen zu verschleiern. Das betagte Schlachtschiff »Schleswig-Holstein« war einen Tag früher vor der Küste von Danzig aufgetaucht, angeblich zu einem Freundschaftsbesuch, von dem die polnische Regierung nichts wusste. Es war bis unters Deck mit Granaten zum Beschuss der polnischen Stellungen auf der Westerplatte nahe der Weichselmündung gefüllt.

Die Einwohner von Berlin genossen an diesem Wochenende das prächtige Hochsommerwetter. An den Ufern des Wannsees wimmelte es von Badelustigen. Von einem drohenden Krieg schienen sie nichts zu ahnen, außer dass eine Rationierung angekündigt war. In der britischen Botschaft machten sich die Angestellten über die Champagnervorräte im Weinkeller her. Ihnen war die wachsende Zahl von Soldaten auf den Straßen aufgefallen, viele in nagelneuen Knobelbechern, die noch nicht vom Lederfett geschwärzt waren.

Die Invasion war ursprünglich für diesen Tag geplant, aber Hitler, durch Großbritanniens und Frankreichs Entschlossenheit zur Unterstützung Polens aus dem Tritt gebracht, hatte sie am Abend zuvor verschoben. Er wartete noch immer auf ein Zeichen für britische Unentschlossenheit. Peinlicherweise war eine Kommandoeinheit, die der Annullierungsbefehl nicht rechtzeitig erreichte, bereits auf polnisches Gebiet vorgedrungen, um eine wichtige Brücke zu besetzen.

Hitler, der immer noch hoffte, die Schuld für die Invasion Polen zuschieben zu können, täuschte seine Einwilligung in Verhandlungen mit Großbritannien, Frankreich und selbst Polen vor. Aber das Ganze war eine reine Farce. Er weigerte sich, Bedingungen zu stellen, über die mit der polnischen Regierung debattiert werden sollte, lud keinen Emissär aus Warschau nach Berlin ein und setzte den 30. August um Mitternacht als letzte Frist. Auch ein Vermittlungsangebot der Regierung Mussolini lehnte er ab. Am 28. August erging ein neuer Befehl an die Truppen, am Morgen des 1. September zum Einmarsch bereit zu sein.

In der Zwischenzeit war Ribbentrop für den polnischen und den britischen Botschafter nicht zu erreichen. Das passte zu seiner Gewohnheit, in Anwesenheit von Partnern an diesen vorbei ins Leere zu starren, als wären sie es nicht wert, seine Gedanken zu teilen. Schließlich willigte er ein, Henderson am 30. August um Mitternacht zu empfangen, dem Zeitpunkt, da das nicht übermittelte Ultimatum für Friedensbedingungen auslief. Henderson wollte wissen, worin diese Bedingungen bestünden. Ribbentrop »holte ein umfangreiches Papier hervor«, berichtete der Botschafter, »das er mir auf Deutsch vorlas oder, besser gesagt, so schnell er konnte und mit finsterer Miene herunterrasselte. […] Als er damit fertig war, bat ich ihn, einen Blick darauf werfen zu dürfen. Herr von Ribbentrop lehnte das kategorisch ab, knallte das Papier voller Verachtung auf den Tisch und erklärte, es sei jetzt ohnehin überholt, da bis Mitternacht kein polnischer Emissär in Berlin aufgetaucht sei.«37 Am nächsten Tag erließ Hitler Befehl Nr. 1 für den Fall »Weiß«, die Invasion Polens, die er seit fünf Monaten hatte vorbereiten lassen.

In Paris herrschte grimmige Resignation. Die Erinnerung an die über eine Million Toten des vorangegangenen Krieges war noch nicht verblasst. In Großbritannien hatte man für den 1. September die Evakuierung aller Kinder aus London angekündigt, aber die Bevölkerung war mehrheitlich der Meinung, dass der Naziführer nur bluffte. Derartige Illusionen hegten die Polen nicht, aber in Warschau war von Panik nichts zu spüren. Man gab sich finster entschlossen.

Der letzte Versuch der Nazis, einen casus belli zu inszenieren, passte so recht zu deren Methoden. Diesen schwarzen Propagandacoup hatte Heinrich Himmlers Stellvertreter Reinhard Heydrich geplant und organisiert. Eine Gruppe seiner treuesten SS-Männer war dafür ausgewählt worden. Sie sollten einen Überfall auf eine deutsche Zollstation und den Rundfunksender nahe der Grenzstadt Gleiwitz vortäuschen und von dort eine Nachricht auf Polnisch senden. Die SS sollte daraufhin ein paar Häftlinge des KZ Sachsenhausen erschießen, die sie vorher in polnische Uniformen gesteckt hatte, und die Leichen als Beweis zurücklassen. Am Nachmittag des 31. August rief Heydrich den verantwortlichen Offizier an und gab das Codewort zum Start der Operation durch: »Großmutter ist tot!«38 Es war von grausiger Symbolik, dass die ersten Opfer des Zweiten Weltkriegs in Europa Gefangene eines Konzentrationslagers sein sollten, die für die Inszenierung einer Lüge ermordet wurden.

15Siehe Otto Preston Chaney, Zhukov, Norman, Oklahoma, 1971, S. 62–65.

16Zit. n. Ella Žukova, »Interesy otca« [Die Interessen desVaters], in: I. G. Aleksandrov (Hrsg.), Maršal Žukov: Polkovodec i čelovek [Marschall Schukow: Heerführer und Mensch], 2 Bde., Moskau 1988, Bd. 1, S. 38.

17Dmitri Volkogonov, zit. n. Harold Shukman (Hrsg.), Stalin’s Generals, London 1993, S. 313.

18Zit. n. Robert Edwards, White Death: Russia’s War on Finland, 1939–1940, London 2006, S. 96.

19Zu Entwicklung und Verlauf des Konflikts siehe Alvin D. Coox, Nomonhan: Japan against Russia, 1939, 2 Bde., Stanford, CA, 1985; Katsu H. Young, »The Nomonhan Incident: Imperial Japan and the Soviet Union«, in: Monumenta Nipponica