Deutsche Bundespolitiker und Twitter. Authentische politische Kommunikation oder reiner Wahlkampf? - Frederik Ihl - E-Book

Deutsche Bundespolitiker und Twitter. Authentische politische Kommunikation oder reiner Wahlkampf? E-Book

Frederik Ihl

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Beschreibung

Soziale Online-Medien wie Twitter, Facebook oder YouTube haben völlig neue Kommunikationsmöglichkeiten geschaffen, die auch die politische Kommunikation verändern. Die Vernetzung der Nutzer und Konsumenten eröffnet völlig neue Möglichkeiten der Interaktion zwischen Sender und Empfänger beziehungsweise zwischen unterschiedlichen politischen Akteuren und Interessen. Twitter ist ein interessanter Kanal für die Übermittlung von politischen Botschaften. Es ermöglicht eine direkte Kommunikation zwischen politischen Organisationen, Medien und Bürgern beziehungsweise potentiellen Wählern – fast ohne den traditionellen Einfluss von selektierenden Massenmedien. Während des Wahlkampfs versuchen politische Akteure, möglichst viel Einfluss auf das Abstimmungsverhalten von Wählern zu nehmen. Auch vor der Bundestagswahl 2016 wurden eigene politische Inhalte verbreitet und politische Statements von konkurrierenden Parteien kritisiert. In diesem Buch untersucht der Autor, wie der soziale Kurznachrichtendienst Twitter von den bundesdeutschen Spitzenpolitikern der aussichtsreichsten Parteien in den drei Bundesländern im Wahlkampf genutzt wird und beantwortet folgende Fragen: Wie wird die Online-Plattform Twitter von deutschen Bundespolitikern während des Landtagswahlkampfes genutzt? Handelt es sich um authentische politische Kommunikation oder wird lediglich purer Wahlkampf betrieben? Welche Strategien und welche Typen von Politikern lassen sich anhand ihrer Nutzungsweise unterscheiden? Aus dem Inhalt: - Twitter im Wahlkampf; - Retweets; - politische Online-Kommunikation; - Bundespolitik; - Wahlkampf

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Seitenzahl: 136

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Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einführung

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Soziale Netzwerke

2.1.1 Grundbegriffe & Einführung

2.1.2 Nutzung sozialer Netzwerke

2.2 Politische Online-Kommunikation

2.2.1 Grundbegriffe & Einführung

2.2.2 Disintermediation

2.2.3 Politische Online-Kommunikation in Wahlkämpfen

2.2.4 Nutzung politischer Online-Kommunikation

2.3 Twitter als politisches Diskursmedium

2.3.1 Grundbegriffe & Einführung

2.3.2 Nutzung von Twitter

3 Forschungsstand

3.1 Twitter im politischen Alltag

3.2 Twitter im Wahlkampf

3.3 Obama als Pionier politischer Online-Kommunikation

4 Methodik und Datenerhebung

4.1 Untersuchungsmodell und Ziel

4.2 Datenerhebung

4.2.1 Auswahlverfahren

4.2.2 Drei-Schritt-Verifizierung

4.2.3 Datengenerierung

4.3 Inhaltsanalyse

4.3.1 Thematische Indizierung und Fallkontrastierung

4.3.2 Konstruktion empirisch begründeter Typen

4.3.3 Definition Wahlkampf- und Alltagskommunikation

4.3.4 Gütekriterien qualitativer Sozialforschung

5 Ergebnisdarstellung

5.1 Das Verhältnis von Wahlkampf- und Alltagskommunikation

5.2 Das Verhältnis von Tweets und Retweets

5.3 Tweets pro Politiker

5.4 Soziodemographische und politische Verteilung

5.5 Generierung der Subkategorien

5.5.1 Alltagskommunikation

5.5.2 Wahlkampfkommunikation

5.6 Häufigkeit der Subkategorien

5.7 Modifizierung der Subkategorien

5.8 Cluster im Überblick

5.8.1 Typ 1: Der universal twitternde Generalist

5.8.2 Typ 2: Der wahlkampfengagierte Liveberichterstatter

5.8.3 Typ 3: Der aktive Wahlkämpfer

5.8.4 Typ 4: Der wahlkampfignorierende Multiplikator

5.8.5 Typ 5: Der wahlwerbende Multiplikator

5.9 Profilierung der Twittertypen

5.10 Typologie im Überblick

6 Zusammenfassung und Ausblick

7 Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland 1997 bis 2015 (Frees/Koch 2015: 367)

Abbildung 2: Nutzung von Social-Media-Anwendungen 2007 bis 2015 (Tippelt/Kupferschmitt 2015: 443)

Abbildung 3: Nutzung von Social-Media-Anwendungen 2015 (Tippelt/Kupferschmitt 2015: 443)

Abbildung 4: Mediennutzung zur politischen Information (Bernhard et al. 2014: 161)

Abbildung 5: Anzahl der monatlich aktiven Nutzer von Twitter weltweit in Millionen (Statista 2016)

Abbildung 6: Die nach der bewussten Auswahl selektierten Untersuchungseinheiten (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 7: Forschungsdesign (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 8: Stufenmodell empirisch begründeter Typenbildung (Kelle/Kluge 2010: 92)

Abbildung 9: Verwendete Kategorien und Subkategorien (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 10: Prototypische Tweets in der Alltagskommunikation (Quelle: Twitter)

Abbildung 11: Prototypische Tweets in der Wahlkampfkommunikation (Quelle: Twitter)

Abbildung 12: Verteilung von Wahlkampf- und Alltagstweets (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 13: Wahlkampftweets im Durchschnitt und Spitzenwerte (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 14: Alltagstweets im Durchschnitt und Spitzenwerte (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 15: Verteilung von Tweets und Retweets (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 16: Anzahl von Tweets im Durchschnitt und Extremwerte (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 17: Beispiele für Prozesstransparenz (Quelle: Twitter)

Abbildung 18: Beispiele für Medienpräsenz (Quelle: Twitter)

Abbildung 19: Beispiele für Informationsverbreitung (Quelle: Twitter)

Abbildung 20: Beispiele für interner Kanal (Quelle: Twitter)

Abbildung 21: Beispiele für Aktivitätsaufforderungen (Quelle: Twitter)

Abbildung 22: Beispiele für Meinungsäußerung (Quelle: Twitter)

Abbildung 23: Beispiele für Privatleben (Quelle: Twitter)

Abbildung 24: Beispiele für Prozesstransparenz im Wahlkampf (Quelle: Twitter)

Abbildung 25: Beispiele für thematische Wahlwerbung (Quelle: Twitter)

Abbildung 26: Beispiele für unthematische Wahlwerbung (Quelle: Twitter)

Abbildung 27: Beispiele für interner Kanal (Quelle: Twitter)

Abbildung 28: Beispiele für Negativbewertungen (Quelle: Twitter)

Abbildung 29: Beispiele für Veranstaltungswerbung (Quelle: Twitter)

Abbildung 30: Verteilung der Alltagstweets (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 31: Verteilung der Wahlkampftweets (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 32: Von 15 Subkategorien zu vier relevanten Subkategorien (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 33: Anteile der vier relevanten Subkategorien am gesamten Textmaterial (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 34: Verteilung der Fälle auf die Cluster (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 35: Anteil von Prozesstransparenz im Wahlkampf (rot), Wahlwerbung (gelb), Prozesstransparenz im Alltag (blau) und Verbreitung von politischen Inhalten (türkis) pro Typ (von links nach rechts) (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 36: Prototyp Thorsten Schäfer-Gümbel (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 37: Prototyp Sigmar Gabriel (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 38: Prototyp Marie-Agnes Strack-Zimmermann (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 39: Prototyp Heiko Maas (Quelle: eigene Darstellung)

Abbildung 40: Prototyp Beatrix von Storch (Quelle: eigene Darstellung)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Parteizugehörigkeit der Bundespolitiker (Quelle: eigene Darstellung)

Tabelle 2: Geschlechterverteilung der Bundespolitiker (Quelle: eigene Darstellung)

Tabelle 3: Verteilung von Regierungs- und Oppositionsverantwortung (Quelle: eigene Darstellung)

Tabelle 4: Altersverteilung der Bundespolitiker (Quelle: eigene Darstellung)

Tabelle 5: Führungsebenenverteilung der Bundespolitiker (Quelle: eigene Darstellung)

Tabelle 6: Die 13 Subkategorien (Quelle: eigene Darstellung)

1 Einführung

Soziale Online-Medien wie Twitter, Facebook oder YouTube haben mit ihrer weltweiten Verbreitung und der damit verbundenen Nutzung des Internets völlig neue Kommunikationsmöglichkeiten geschaffen, die seit Beginn des Web 2.0 zu einem tiefgreifenden und auch weiterhin andauernden Medienwandel geführt haben. Indem Nutzer[1] digital miteinander verbunden sind – ob auf dem Smartphone unterwegs, dem Computer zuhause oder dem Tablet im Berufsleben – bieten sich auch der politischen Kommunikation völlig neue Möglichkeiten der Interaktion zwischen Sender und Empfänger beziehungsweise zwischen unterschiedlichen politischen Akteuren und Interessen.

Durch die Einführung und Etablierung neuer Kommunikationskanäle verändern die sozialen Online-Medien die politische Kommunikation nicht nur grundlegend – sie transformieren die traditionellen Muster weg von einem durch Gatekeeper gesteuerten Informationsangebot. Eindeutig wird dies insbesondere bei der Betrachtung der Unterschiede zu den klassischen Massenmedien wie dem Fernsehen, dem Radio oder der Zeitung: Lange Zeit hatten diese als „Sprachrohr der Regierenden an das Volk“ (Hinz 2013a: 169) als Sender von Botschaften ein differenziertes Verhältnis zum Empfänger als das heutige Phänomen der sozialen Medien, welche sich mit der Etablierung des Internets neben den klassischen Medien endgültig durchsetzen konnten und somit zu einem radikalen Medienwandel geführt haben. Dialogorientierung anstatt Einbahnstraße – so lässt sich der grundlegendste Unterschied zwischen den beiden Arten kurz und prägnant zusammenfassen – auch wenn der Dialog dabei mehr Wunschdenken als Realität ist.

Insbesondere Twitter spielt neben der weltweit verbreitetsten Online-Plattform Facebook in der modernen politischen Kommunikation eine zentrale Rolle: Mit fast 330 Millionen monatlich aktiven Nutzern (vgl. Statista 2016) ist Twitter eines der größten sozialen Netzwerke der Welt. Die direkte Kommunikation zwischen politischen Organisationen, Medien und Bürgern beziehungsweise potentiellen Wählern sowie zur Verfügung stehende Rückkopplungsmöglichkeiten macht Twitter zu einem für die politische Kommunikationsforschung überaus interessanten Kanal für die Übermittlung von Botschaften in der Politik – beinahe ganz ohne den traditionellen Einfluss von selektierenden Massenmedien. Die verschiedenen Tools der Kommunikation innerhalb der Plattform unterscheiden sich sehr stark voneinander, weisen jedoch auch Eigenschaften auf, die sie verbindet. Tweets, Likes, Hashtags, Retweets oder Replies geben Twitter als Medium mit Blick auf unterschiedlichste Funktionen und einer Textgrößenbegrenzung von 140 Zeichen einen individuellen Charakter, welcher in dieser Masterarbeit im Mittelpunkt des Interesses stehen soll.

Nicht zuletzt die enorm ausgeprägte Partei- und Politikerpräsenz macht das soziale Medium Twitter zu einem von Politikern, Medien wie Bürgern etablierten Kanal der modernen politischen Kommunikation im 21. Jahrhundert. Ob Spitzenkandidat oder Lokalpolitiker, Journalist oder PR-Manager, Parteimitglied oder Bürgeraktivist – Twitter wird aktiv von den unterschiedlichsten politischen Akteuren im Bundesgebiet genutzt. Das Aufgreifen von via Twitter vermittelter Botschaften in den traditionellen Massenmedien stellt die Anerkennung des Online-Dienstes als wichtige und etablierte Quelle politischer Information besonders deutlich dar – vor allem, wenn sogar die in der Bevölkerung überaus etablierten deutschen Nachrichtensendungen wie die Tagesschau oder Qualitätsprintmedien wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung die Online-Plattform als Quelle für politische Nachrichten nutzen.

Insbesondere der Wahlkampf ist als eine intensive Periode bekannt, in der die politischen Strategien politischer Akteure versuchen, möglichst viel Einfluss auf das Abstimmungsverhalten von Wählern zu nehmen. Auch zu Beginn des Jahres 2016 befanden sich deutsche Landes- wie Bundespolitiker wieder einmal im Wahlkampf – erneut auch über soziale Netzwerke wurde versucht, eigene Inhalte zu verbreiten oder politische Statements von konkurrierenden Parteien zu kritisieren. Aufgrund der Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt am 13. März stand Deutschland im Frühjahr dieses Jahres ein wichtiger Wahltermin bevor. Zu Zeiten breiter und oftmals auch hitziger politischer Debatten zu polarisierenden Themen wie der Flüchtlingskrise fanden diese drei Landtagswahlen eindeutig im Fokus der gesamtdeutschen Öffentlichkeit statt. Die vorliegende Masterarbeit untersucht daher, wie der soziale Kurznachrichtendienst Twitter im Wahlkampf von den bundesdeutschen Spitzenpolitikern der aussichtsreichsten Parteien in den drei Bundesländern genutzt wird:

Wie wird die Online-Plattform Twitter von deutschen Bundespolitikern während des Landtagswahlkampfes genutzt? Handelt es sich um authentische politische Kommunikation oder wird lediglich purer Wahlkampf betrieben? Welche Strategien und welche Typen von Politikern lassen sich anhand ihrer Nutzungsweise unterscheiden?

Ziel der Erhebung beziehungsweise inhaltlichen Analyse der Tweets ist zu erklären, wie die Auswahl der Bundespolitiker das soziale Netzwerk für ihre Zwecke nutzt, um ihre eigenen Inhalte und Positionen zu veröffentlichen und zu vertreten. Dazu werden auf Basis einer qualitativen Inhaltsanalyse Kategorien von Tweets erstellt, anschließend soll eine Typologie der Tweets unterschiedliche Arten der Kommunikation differenzieren.

Bundespolitiker, die nicht selbst unmittelbar zur Wahl stehen, werden als Untersuchungsobjekte ausgewählt, um den Einfluss von Wahlkämpfen auf das tägliche Kommunikationsverhalten zu untersuchen. Von Landespolitikern, die direkt für Mandate und Ämter in ihren jeweiligen Bundesländern kämpfen, ist eine ausschließliche Konzentration ihres Kommunikationsverhaltens auf die Persuasion von potentiellen Wählern zu erwarten, was jedoch in dieser Masterarbeit nicht analysiert werden soll. Vielmehr interessiert die Nutzung Twitters als Diskursmedium in einer Periode, in der die Bundespolitiker zwei unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen müssen: Wie können Wähler in den Bundesländern, in denen der Landtagswahlkampf stattfindet, aktiv angesprochen werden, um diese vom eigenen politischen Inhalt zu überzeugen? Gleichzeitig kann der Bundespolitiker die alltägliche politische und gegebenenfalls nicht-politische Kommunikation mit dem Rest der Bevölkerung fortsetzen, um auch diese Rezipienten politischer und nicht-politischer Kommunikation in den übrigen 13 Bundesländern weiterhin zu erreichen. Im Zuge der qualitativen Inhaltsanalyse werden sich in den ausgewählten Tweets immer wiederkehrende inhaltliche Schwerpunkte erkennen lassen. Gewonnen wird somit ein Überblick über die Strategien führender Bundespolitiker in Bezug auf das theoretische Problem der zwei Zielgruppen und den entsprechenden Umgang mit dem Kommunikationstool Twitter unmittelbar vor einem wichtigen Wahltermin.

Der erste Abschnitt dieser Arbeit beleuchtet zunächst essentielle theoretische Vorüberlegungen und die Grundbegriffe „soziales Netzwerk“ sowie „politische Online-Kommunikation“ und stellt die zentralen Eigenschaften Twitters sowie die Häufigkeit der Nutzung dar. Außerdem stehen der Wahlkampf als Phase besonders intensiver politischer Auseinandersetzungen und die Ansätze von Christoph Neuberger zur Disintermediation im Mittelpunkt. Der zweite Abschnitt befasst sich mit dem bisherigen Forschungsstand bezüglich Twitter als Instrument politischer Online-Kommunikation. Das dritte Kapitel beschreibt das Untersuchungsmodell und Ziel der Forschungsarbeit, das Auswahlverfahren und die Datengenerierung sowie die Teilschritte der thematischen Indizierung und Fallkontrastierung, um am Ende eine Typologie der Twitter-Nutzung zu generieren. Der vierte Abschnitt stellt die Ergebnisse dar. Aus diesem Grund werden die im Verlauf der qualitativen Analyse gebildeten Subkategorien und die daraus entstandenen Typen der Twitternutzung vorgestellt. Abschließend wird eine Zusammenfassung das Forschungsprojekt resümieren sowie in einem Ausblick auf mögliche Anknüpfungspunkte auf weitere Forschungsfragen hinweisen.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Soziale Netzwerke

2.1.1 Grundbegriffe & Einführung

Ob Informationsbeschaffung über den Twitter-Auftritt der ZEIT, das Ansehen und Weiterleiten von viralen Videos über Facebook oder die Konversation mit Freunden oder der Familie über WhatsApp – es gibt viele unterschiedliche Motive für die gegenwärtige Nutzung sozialer Medien[2] in einem nie vorher dagewesenen Umfang. Aber welchen Mehrwert schafft diese (nicht mehr allzu) neue Generation der Kommunikation für die Gesellschaft, sodass sich viele Menschen ein Leben ohne das tagtägliche Liken, Sharen und Verbinden gar nicht mehr vorstellen können? Wie kam es zu einer derartigen Etablierung einer neuen Kommunikationsform im Zeitalter des World Wide Webs? Welche Menschen nutzen die sozialen Medien besonders oft? Die Antworten auf diese Fragen werden in diesem Kapitel ausführlich erläutert.[3]

Die Evolution der sozialen Medien ist auch immer unweigerlich mit der Entwicklung des World Wide Webs verbunden. Bis zu den Anfängen der Nutzung von vernetzten Computern könnte man für die (zu detaillierte) Darstellung der Thematik zurückgehen. Aber erst mit der Etablierung des Webs 2.0 als partizipatives und dynamisches Medium, welches das bis dahin traditionelle Bild des Internets 1.0 als „eher restriktives statisches Netz“ (Thimm 2011: 21) abgelöst hat, wandelte sich die Nutzung in den letzten 15 Jahren maßgeblich: Während das Internet zuvor als eindimensionales Medium hauptsächlich zur privaten oder beruflichen Informationsbeschaffung genutzt wurde, führte die Konvergenz unterschiedlichster Elemente zu einer neuen interaktiven Kommunikationsform, die eines der ursprünglichen Bedürfnisse der Menschheit – die Vernetzung untereinander – ermöglicht (vgl. McLuhan 1989: 3ff.). Lediglich die technischen Möglichkeiten blieben noch hinter den Bedürfnissen der Nutzer zurück, heutzutage sind vielfältige Möglichkeiten vorhanden, wodurch „die globalen sozialen Netzwerke ein Bestandteil der neuen Öffentlichkeit“ (Zeitelhack 2013: 176) wurden.

Dieses neue Kapitel in der Internet-Historie wird geprägt durch die Erweiterung der Internetnutzerrolle: Nicht mehr allein das Empfangen von Informationen ist die zentrale Funktion des Internets für Nutzer, auch das Senden und die Publizierung von Inhalten für unterschiedliche Arten von Rezipienten ist nun möglich und eröffnet völlig neue Varianten der Internetnutzung. Vom passiven Rezipienten zum aktiven Akteur im Kommunikationsprozess, der gleichzeitig sendet und empfängt – so lässt sich die neue Rolle des Internetnutzers im 21. Jahrhundert wohl am besten beschreiben. „Kommunikation auf Webseiten ist nicht länger eine Einbahnstraße. Sie wird zu einem reziproken Prozess“ (Pannen 2010: 56), kann nun zutreffend resümiert werden. Ohne spezielle Technikkenntnisse kann das Web 2.0 nun in all seinen Ausprägungen genutzt werden – die breite Masse der Nutzer kann nun aktiv interagieren und lässt die Rolle des passiven Rezipienten endgültig hinter sich. Für diese Interaktivität bleibt die Grundvoraussetzung die „Möglichkeit des Wechsels zwischen der Rolle des Kommunikators und jener des Rezipienten“ (Neuberger 2007: 44).

Dass das moderne Internet nicht ausschließlich auf neuen Geschäftsmodellen basiert, beweist die Beobachtung, dass das Web 2.0 von einem enormen gesellschaftlich-kulturellen Wandel begleitet wird. Mit dem „User Generated Content“ können selbstproduzierte Inhalte wie beispielswiese Texte, Bilder oder Videos viel leichter als zuvor einer bestimmten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Darüber hinaus bieten die sozialen Medien die Möglichkeit, diese Inhalte auch selbst zu publizieren – die Rolle von Gatekeeper wie im traditionellen System der Massenmedien ist relativ obsolet geworden und nur noch zum Teil erwünscht. (vgl. Rottbeck 2013: 80, Stanoeveska-Slabeva 2008: 15ff. Schmidt et al. 2009: 50ff., Jungherr/Schoen 2013:18ff.)

Als direktes Ergebnis der Genese des Webs 2.0 können die sozialen Medien, wie wir sie heute kennen, somit bezeichnet werden: „Denn wo beständig mehr Nutzer mehr Zeit in einem Netz verbringen, das neben Informationsmöglichkeiten auch Raum zur Kommunikation bietet, verlagert sich auch ein Teil der sozialen Aktivitäten in die digitale Welt“ (Albers 2009: 48). Viele Menschen nutzen daher dieses „Mitmachinternet“ (Pannen 2010: 56) für ihre Bedürfnisse bezüglich einer Individual-, Massen- oder Gruppenkommunikation und ersetzen durch die sozialen Online-Medien traditionelle Muster der Mediennutzung (vgl. Kunert / Schmidt 2009: 226).

Die dauerhafte Etablierung der sozialen Medien im Wettbewerb mit konkurrierenden Kommunikationsformen ist im Einzelnen auf verschiedene technische, gesellschaftliche und zum Teil politische Entwicklungen zurückzuführen, die allesamt unterschiedliche Elemente zusammenführen und sich in den sozialen Medien beziehungsweise dem Web 2.0 vereinen:

Zum einen fasst die Konvergenz von Kommunikationstechniken die zuvor unabhängig agierenden Medienarten wie die Zeitung, das Fernsehen, das Radio und den Computer in einem Medium zentriert zusammen. Facebook-Seiten beispielsweise können Zeitungsartikel beinhalten oder auf diese verlinken und Fernsehinhalte als hochgeladene Videos verbreiten. Konvergenz kann in diesem speziellen Zusammenhang somit als „Zusammenwachsen von Kommunikationstechniken und den jeweiligen Geräten“ (Vowe 2014: 30) definiert werden, indem diverse „Kommunikationselemente verknüpft werden, also Zeichentypen wie Text, Bild, Sprache, Bewegtbild, Ton oder Grafik“ (ebd.).

Die Konvergenz von Kommunikationsfunktionen ist ebenfalls in sozialen Medien integriert, indem Nutzer – ohne das Medium wechseln zu müssen – über Sachverhalte informiert oder von bestimmten Argumenten überzeugt werden können. Darüber hinaus kann man Interaktionen mit weiteren Kommunikatoren eingehen, all das ohne auch nur ein einziges Mal die Plattform zu wechseln oder auf ein anderes Medium zurückgreifen zu müssen. Via Twitter kann sich jedes Mitglied zum Beispiel über die Entwicklung des Arabischen Frühlings in den Tweets von führenden Leitmedien informieren, vom Twitter-Account einer Bundestagspartei überzeugt werden bei der nächsten Wahl für genau diese Partei zu stimmen oder sich interaktiv an Diskussionen über die Flüchtlingspolitik beteiligen.

Auch die Formen der Kommunikation konvergieren in den sozialen Medien. Während zu Zeiten der Vorherrschaft des traditionellen Mediensystems mit leitenden Massenmedien die Individualkommunikation, Massenkommunikation, Gruppenkommunikation oder Computerkommunikation und Organisationskommunikation strikt unabhängig und getrennt waren, sind sie durch Online-Plattformen integriert worden. Es besteht nun die Möglichkeit, verschiedene Kommunikationsformen über ein soziales Medium zu nutzen – die Empfänger können mittels Mausklick aktiv selektiert werden.

Dies berührt zugleich auch die Konvergenz von Kommunikationsrollen: Die exakten Rollen des Senders und des Empfängers einer Nachricht sowie der Status als Beobachter oder Manager sind im World Wide Web nicht mehr strikt getrennt. Jeder Nutzer kann gleichzeitig beispielsweise eine Diskussion passiv beobachten, durch das Kommentieren eines Posts Empfänger und auch Sender einer Nachricht sein, indem er eigene Inhalte, den sogenannten „User Generated Content“ produziert und diesen in sozialen Online-Medien für ein bestimmtes Publikum veröffentlicht. Diese Konvergenz in mehreren die Kommunikation tangierenden Dimensionen führte zu neuen Kommunikationsräumen, wie wir sie heutzutage wahrnehmen – nicht zuletzt durch die dauerhafte Etablierung des Handys beziehungsweise Smartphones als mobiles Endgerät für den Nutzer (vgl. ebd.).