Deutschland schafft sich ab - Thilo Sarrazin - E-Book

Deutschland schafft sich ab E-Book

Thilo Sarrazin

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Beschreibung

Thilo Sarrazins Thesen haben 2010 eine wichtige und richtige Debatte zu den drängenden, gesellschaftlichen und politischen Fragen unserer Zeit in Gang gesetzt. In einem ausführlichen Vorwort zu dieser Neuausgabe analysiert er die Entwicklung der letzten 10 Jahre und zeigt auf, wie umfassend die Wirklichkeit seine Analysen bestätigt hat. Immer sichtbarer werden die Folgen, die sich aus einer problematischen Zuwanderung, kombiniert mit Geburtenrückgang und verfehlter Bildungspolitik ergeben: Wohlstand, sozialer Friede und die Stabilität der Gesellschaft stehen auf dem Spiel. Nur wenn wir gegensteuern, gibt es Hoffnung: Konkrete Vorschläge zu einer neuen, sinnvolleren Einwanderungspolitik hat Thilo Sarrazin in seinem neuesten Buch Der Staat an seinen Grenzen im September 2020 vorgelegt.

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Seitenzahl: 670

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Thilo Sarrazin

Deutschland

schafft sich ab

Wie wir unser Land aufs Spiel setzen

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© Originalausgabe 2010 Deutsche Verlagsanstalt, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Satz: Ditta Ahmadi

Grafiken: Peter Palm

©2021 LMV, ein Imprint der Langen Müller Verlag GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

E-Book Produktion und Satz (Vorwort neu): Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-7844-8403-7

Inhalt

Vorwort: Ein Rückblick auf das vergangene Jahrzehnt

Einleitung

1 Staat und Gesellschaft

Ein historischer Abriss

2 Ein Blick in die Zukunft

Realitäten und Wunschvorstellungen

3 Zeichen des Verfalls

Eine Bestandsaufnahme

4 Armut und Ungleichheit

Viele gute Absichten, wenig Mut zur Wahrheit

5 Arbeit und Politik

Über Leistungsbereitschaft und Arbeitsanreize

6 Bildung und Gerechtigkeit

Über den Unterschied von gut und gut gemeint

7 Zuwanderung und Integration

Mehr erwarten, weniger bieten

8 Demografie und Bevölkerungspolitik

Mehr Kinder von den Klugen, bevor es zu spät ist

9 Ein Traum und ein Alptraum

Deutschland in 100 Jahren

Dank

Anhang

Anmerkungen

Personenregister

Sachregister

Tabelle Demografie, Produktivität und Altenlast

Vorwort: Ein Rückblick auf das vergangene Jahrzehnt

Zehn Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen wird Deutschland schafft sich ab immer noch in nennenswerten Stückzahlen verkauft. Das ist der Anlass für die vorliegende Neuausgabe mit neuem Vorwort. Dieses Vorwort gibt einen aktuellen Rückblick auf die Thesen des Buches und äußert sich zu ihrer Einschätzung aus heutiger Sicht anhand der seitdem eingetretenen tatsächlichen Entwicklung. Der 2010 veröffentlichte Buchtext blieb unverändert. In seinen Zahlen und Statistiken ist er unvermeidlich zeitbezogen, in seinen grundlegenden Aussagen und Analysen aber unverändert gültig und wirkt auf mich gerade vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen frischer als je.

Als Deutschland schafft sich ab im August 2010 erschien, war ich 65 Jahre alt und blickte auf vierzig Jahre Berufstätigkeit in Bundes- und Landesministerien sowie in staatlichen Unternehmen zurück. Mein Fünf-Jahresvertrag als Bundesbank-Vorstand war im zweiten Jahr. Er schloss eine berufliche Laufbahn ab, die sich über weite Strecken im politiknahen Bereich vollzog und sehr erfolgreich war. In meinen sieben Jahren als Berliner Finanzsenator war ich bundesweit bekannt geworden. Dies führte zu Anfragen einiger Verlage, ob ich nicht ein Buch schreiben wolle. Ich sagte zu, ein Buch über meine Sicht auf den deutschen Sozialstaat zu schreiben, und schloss dazu im Herbst 2008 mit meinem früheren Verlag, der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA) einen entsprechenden Vertrag. Ich plante eine sozialpolitische »Summa Historica«, an der ich in Ruhe neben meiner Tätigkeit im Vorstand der Deutschen Bundesbank arbeiten konnte. Daraus wurde dann Deutschland schafft sich ab.

Mein Verlag fand das Buch zu dick und hatte offenbar Zweifel am Verkaufserfolg. Er ließ eine Startauflage von 25 000 Exemplaren drucken, das entsprach den Vorbestellungen aus dem Buchhandel. Diese Startauflage verdampfte sozusagen auf den Büchertischen, trotz schnellen Nachdrucks gab es wochenlang regelrechte Versorgungsengpässe.

Skandalisierung

Die Vorabdrucke in der Bild-Zeitung und im Spiegel – beide aus den Abschnitten über Zuwanderung und Integration – sowie eine extrem negative Rezension des damaligen FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher1 hatten beim Erscheinen des Buches in wenigen Stunden einen beispiellosen Skandal verursacht, der sich zum Medienorkan steigerte, als Bundeskanzlerin Angela Merkel durch ihren Regierungssprecher Steffen Seibert erklären ließ, sie halte das Buch für »nicht hilfreich«. Einige Wochen später bekannte Angela Merkel in der FAZ, sie habe das Buch nicht gelesen und habe auch künftig nicht vor, das zu tun.

Insbesondere zu Islam und Migration hatte ich 2010 als damaliges Mitglied des politischen Establishments die aus Sicht meiner »Peer-Group« unverzeihliche Sünde begangen, gegen die herrschende Orthodoxie zu verstoßen, die lautete, der Islam gehöre zu Deutschland und Migration sei immer gut. Und »indem man die Orthodoxie kritisiert«, so der englische Philosoph und Psychologe Roger Scruton, »stellt man nicht einfach einen Glauben infrage, man bedroht die gesellschaftliche Ordnung, die darauf aufgebaut wurde. Darüber hinaus ist es auch so, dass Orthodoxien umso grimmiger verteidigt werden, je verwundbarer sie sind.«2

Im Verlauf nur weniger Tage beschloss der SPD-Bundesvorstand meinen Ausschluss aus der Partei, und Axel Weber, der damalige Präsident der Deutschen Bundesbank, beantragte beim Bundespräsidenten Christian Wulff meine Entlassung aus dem Vorstand der Deutschen Bundesbank. Zu beidem kam es nicht:

Der Präsident der Bundesbank zog seine Vorwürfe gegen mich offiziell zurück, und ich schied zum 1. Oktober 2010 freiwillig mit vollem Pensionsanspruch aus dem Bundesbank-Vorstand aus.Im Parteiausschlussverfahren übernahm der ehemalige Bürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnanyi, nobel meine Verteidigung, und im April 2011 zog der Parteivorstand der SPD seinen Ausschlussantrag zurück.

Seit den Ereignissen rund um die Veröffentlichung von Deutschland schafft sich ab bin ich öffentlich eine kontroverse Person und werde dies wohl lebenslang bleiben. Darunter hat auch meine Familie gelitten. Meine seitdem veröffentlichten Bücher wurden von meinen damaligen Kritikern jeweils mit Ablehnung aufgenommen. In den Medien musste man sich aber in den vergangenen zehn Jahren wohl oder übel damit abfinden, dass sich in meinen publizierten Texten weder sachliche Fehler noch beleidigende oder herabsetzende Äußerungen finden lassen. Speziell für Deutschland schafft sich ab ist bemerkenswert, dass bis heute – trotz der gewaltigen Kontroverse, die das Buch auslöste – keine einzige dort enthaltene Tatsachenfeststellung und keine einzige Zahl jemals widerlegt oder auch nur bestritten wurde.3

Mit der Debatte um meine Thesen hatte ich mich detailliert 2012 auf 40 Druckseiten im Vorwort zur damaligen Paperback-Ausgabe von Deutschland schafft sich ab4und 2014 auf 70 Druckseiten in Der neue Tugendterror5 auseinandergesetzt. Die Resonanz darauf in Politik und Medien war gleich null. Insgesamt hat sich über die Jahre seit der Veröffentlichung von Deutschland schafft sich ab bei vielen Gegnern in Politik und Medien offenbar die Gewohnheit verfestigt, die Auseinandersetzung mit meinen Texten durch Verzicht auf Kenntnisnahme zu vermeiden.

Gegen besonders üble persönliche Beleidigungen ging ich konsequent juristisch vor: Die Berliner Zeitung musste mir 10 000 Euro und die taz 20 000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Dies hat den Ton in den Medien merklich gemäßigt. Von Deutschland schafft sich ab wurden bis heute 1,6 Millionen, von den nachfolgenden fünf Büchern zusammen 650 000 Exemplare verkauft.

In meinem 2018 erschienenen vorletzten Buch Feindliche Übernahme setzte ich mich erneut kritisch mit der Religion und Kultur des Islam sowie der Einwanderung von Muslimen nach Europa auseinander. Damit nahm ich ein zentrales Thema von Deutschland schafft sich ab vertiefend wieder auf. Dieses Buch war Anlass für den SPD-Parteivorstand, meinen Ausschluss aus der SPD erneut zu betreiben. Am 31. Juli 2020 bestätigte die Bundesschiedskommission der SPD meinen Ausschluss. Damit endete meine Mitgliedschaft nach 47 Jahren Parteizugehörigkeit.

Man wird sehen, ob mein Ausschluss der SPD hilft, wieder jene Volkspartei zu werden, die sie so gerne sein möchte. Bislang sieht es nicht so aus. Trotz des Kanzlerkandidaten Olaf Scholz liegt sie in der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl aktuell (November 2020) bei 15 Prozent. Als Deutschland schafft sich ab im August 2010 erschien, hatte die SPD noch bei 30 Prozent gelegen. Man hätte meine Warnungen und Vorschläge damals ernst nehmen können, dann stünde die SPD heute womöglich deutlich besser da, und die AfD hätte niemals die Fünf-Prozent-Hürde überwunden, falls sie überhaupt gegründet worden wäre.

Zum Vorwurf des Rassismus

Bei der unmittelbar mit der Veröffentlichung von Deutschland schafft sich ab in Politik und Medien einsetzenden Kampagne gegen das Buch und seinen Autor spielte der sofort erhobene, absurde Vorwurf des Rassismus eine zentrale Rolle. Er sollte mich als Mensch und Autor delegitimieren, meinen Äußerungen die sachliche Substanz und Glaubwürdigkeit nehmen und mich zudem in ein moralisch fragwürdiges Licht rücken. Diese Bemühungen halten in bestimmten Kreisen und in einem Teil der Medien nach wie vor an.

Bis heute lese ich immer wieder, ich hätte in Deutschland schafft sich ab behauptet, Muslime seien genetisch dümmer. Das ist grober Unfug, der von Medien und politischen Gegnern in diffamierender Absicht verbreitet wurde. Nirgendwo in dem Buch habe ich so etwas behauptet, sondern immer wieder die Wirkung kultureller Faktoren für kognitive Kompetenzen und Bildungsleistung betont.

Meine differenzierten Aussagen zur Erblichkeit von Intelligenz wurden schon wenige Tage nach Erscheinen des Buches in einem langen Artikel in der FAZ von den beiden renommierten Intelligenzforschern Detlev Rost und Heiner Rindermann im Detail untersucht und vollumfänglich bestätigt.6 2012 widmete der renommierte Wissenschaftsjournalist Dieter Zimmer der Erblichkeit von Intelligenz ein ganzes Buch, in dem er den Stand der Wissenschaft referierte und seiner Verwunderung darüber Ausdruck gab, dass ich aus der damaligen Führung der SPD wegen meiner Aussagen dazu angegriffen worden war. Offenbar kannten die Damen und Herren wie Andrea Nahles und Sigmar Gabriel – so Dieter Zimmer – den seit Jahrzehnten gefestigten Stand der Forschung nicht und hatten anscheinend auch niemanden, den sie danach fragen konnten oder wollten.7Seit der Veröffentlichung von Deutschland schafft sich ab hat die DNA-Forschung große Fortschritte gemacht. Heute kann man sicher sagen, dass ungefähr die Hälfte der psychologischen Unterschiede zwischen Menschen, auch bei der allgemeinen Intelligenz, auf Unterschiede in der DNA zurückzuführen ist.8

Der Rassismus-Vorwurf hatte und hat eine politische Funktion: Er sollte und soll der Empörung meiner Kritiker darüber Ausdruck geben, dass ich genetische, kulturelle und religiöse Prägungen des Menschen überhaupt ins Feld führte, ihre Wirkungen systematisch untersuchte und nicht der vorherrschenden Ideologie frönte, dass der Mensch mit seiner Geburt durch Erziehung und Gesellschaft beliebig formbar sei, vergleichbar einem unbeschriebenen Blatt Papier oder einem gestaltlosen Klumpen Ton.9

Nur in diesem Fall würden nämlich die biologische Herkunft des Individuums, der Einfluss seiner genetisch ererbten Eigenschaften und die Prägungen durch Herkunftskultur und Religion keine Rolle für Faktoren wie Bildungsleistung, beruflichen Erfolg, gesellschaftliche Integration und Kriminalität spielen. Nach der Ideologie des unbeschriebenen Blattes wäre alles in der Gesellschaft grundsätzlich beliebig formbar. Jeder könnte ein tüchtiger Arzt, ein Ingenieur oder ein ordentlicher Jurist werden, wenn die Gesellschaft ihn nur entsprechend unterstützte. Und auch negative Faktoren wie Neigung zur Gewalt oder Kriminalität hätten mit der Biologie des Menschen, seiner Kultur, Religion oder Herkunft nichts zu tun.

Diese Idee vom Menschen als unbeschriebenem Blatt, der letztlich nur durch die Gesellschaft codiert wird, sodass seine Herkunft und Abstammung gleichgültig sind, liegt als innerweltliche Utopie auch den meisten Reden von Willkommenskultur, von Diversität, vom sozialen Geschlecht etc. zugrunde. Und diese innerweltliche Utopie kann unsere Gesellschaft zerstören, wenn man sie zur vorherrschenden Grundlage der Wirklichkeitsbetrachtung macht.

Das war das Kernthema von Deutschland schafft sich ab. Nur – als ich das Buch schrieb, war ich noch nicht so weit, es derart prägnant zu formulieren. Meine Gegner aber erkannten, worauf ich zielte. Beim Ausdruck ihres Hasses und bei ihren unablässigen Versuchen zur Diffamierung spielt der Schlachtruf »Rassist« nach wie vor eine zentrale Rolle. Er soll die Uninformierten, die Ängstlichen, die Schwankenden, die Unentschlossenen und die Opportunisten davon abhalten, sich mit meinen Gedanken zu befassen und so quasi einen Cordon Sanitaire um mich und meine Bücher legen. Der ungebrochene Verkaufserfolg, dem auch dieses neue Vorwort zu verdanken ist, zeigt, dass dies zum Glück nur begrenzt gelungen ist.

Die Herkunft des Menschen, der Einfluss seiner ererbten Eigenschaften sowie seine kulturelle und religiöse Sozialisation sind für die Zusammensetzung und die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft alles andere als gleichgültig. Dass ich mich damit befasste und solche Einflussfaktoren wichtig fand, machte für meine Kritiker den eigentlichen Skandal des Buches aus. Auch meine späteren Bücher wurden unter diesem Aspekt deshalb häufig pauschal verdammt.

Was ist eigentlich Rassismus? Reinhard Müller schreibt dazu in der FAZ: »Wer Menschen wegen ihrer Herkunft oder Hautfarbe als minderwertig oder verbrecherisch einstuft, ist ein Rassist und für kein öffentliches Amt, in ganz weitem Sinne, tauglich.«10 Dem kann man nur zustimmen.

Forschungsergebnisse in der Genetik, Evolutionspsychologie, Bildungsforschung, der Archäologie, Soziologie oder den Kultur- und Religionswissenschaften sollten wissenschaftlich belastbar sein und so formuliert werden, dass sie an der Wirklichkeit getestet werden können und damit grundsätzlich empirisch falsifizierbar sind. So entsteht menschlicher Wissensfortschritt. Soweit sich daraus ergibt, dass Menschen durch ihre Herkunft unterschiedlich geprägt werden und dass z.B. unterschiedliche Populationen je nach ihren Vorfahren unterschiedliche Krankheitsrisiken haben und auf Medikamente unterschiedlich regieren, ist dies nützliches Wissen. In meinen Büchern stelle ich dazu keine eigenen Forschungen an, sondern referiere den Stand des Wissens.

Der Rassismus beginnt dort, wo festgestellte Unterschiede mit Wertungen versehen und bestimmten Gruppen je nach ethnischer Herkunft pauschal zugeschrieben werden. Das ist eine klare Trennlinie, die ich aus tiefer Überzeugung in allen meinen Publikationen und öffentlichen Äußerungen stets beachtet und auch betont habe.

Nehmen wir ein emotionales Thema wie die Kriminalität: Es ist leider richtig, dass die altersbereinigte ausgeübte Gewaltkriminalität unter den Fluchtmigranten, die seit 2015 nach Deutschland kamen, dreimal so hoch ist wie in der entsprechenden Altersgruppe der übrigen Bevölkerung in Deutschland. Es ist richtig, dass es auch sonst große Unterschiede in der Gewaltkriminalität je nach Migrationshintergrund gibt. Ebenso bleibt aber richtig, dass solche statistischen Zusammenhänge niemals eine Prognose für den Einzelnen zulassen. Das Gleiche gilt für die Bildungsleistung, die Arbeitslosigkeit, die berufliche Stellung und die Transferabhängigkeit.

Die auf das Individuum gerichtete Politik muss immer den Einzelnen sehen. Für die Steuerung der Gesellschaft insgesamt, etwa für die Einwanderungs-, Bildungs- oder Gesundheitspolitik, ist es aber auch sehr wichtig, gruppenbezogene Unterschiede zu beachten und an ihnen die staatliche Politik vorausschauend auszurichten.

Wer das für Rassismus hält und eine darauf basierende Politik ablehnt, nimmt als Ergebnis den Verzicht auf gestaltende Politik zugunsten einer allgemeinen Gleichheitsideologie in Kauf. Solch ein ideologischer Ansatz kann langfristig die Gesellschaft zerstören und die Grundlagen von Frieden und Wohlstand vernichten.

Die wichtigsten Thesen aus Deutschland schafft sich ab

Das sachliche Argumentationsgerüst von Deutschland schafft sich ab lässt sich in sieben Thesen zusammenfassen:

Die seit über vierzig Jahren stabile Geburtenrate von rund 1,3 Kindern pro Frau bedeutet, dass jede Generation um ein Drittel kleiner ist als die vorhergehende. Das deutsche Volk altert nicht nur. Ein Anhalten dieses Trends bedeutet vielmehr, dass es sich quasi aus der Geschichte wegschrumpft.In Deutschland ist die Zahl der pro Frau oder Familie durchschnittlich geborenen Kinder umso höher, je niedriger der sozioökonomische Status und der Bildungsgrad der Eltern sind. Die klügsten Eltern bekommen die wenigsten Kinder. Damit sinken das intellektuelle Potenzial in Deutschland und die potenzielle Bildungsleistung noch schneller als die Zahl der Geburten. Für diese schiefe Geburtenstruktur ist die spezifische Konstruktion des deutschen Sozialstaats einschließlich des Familienlastenausgleichs wesentlich mitverantwortlich.Die demografische Alterung und das Absinken der kognitiven Kompetenz in Deutschland bedrohen langfristig die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und damit die Aufrechterhaltung des Lebensstandards in Deutschland.Einwanderung wäre nur dann eine Hilfe, wenn Bildungsleistung und Qualifikationen der Einwanderer durchschnittlich über dem deutschen Durchschnitt lägen. Wegen der spezifischen Struktur der Einwanderung in Deutschland – vorwiegend aus dem westlichen Asien und Afrika – ist dies aber nicht der Fall. Vielmehr senkt diese Struktur der Einwanderung das durchschnittliche Niveau der Bildungsleistung in Deutschland.Weltweit gibt es zwischen unterschiedlichen Gruppen von Einwanderern signifikante gruppenbezogene Unterschiede, die sich auch in den nachfolgenden Generationen nur langsam abbauen, wenn überhaupt. Generell gilt: Einwanderung aus Fernost erhöht die durchschnittliche Bildungsleistung und das Qualifikationsniveau der aufnehmenden Gesellschaft. Einwanderung aus der Türkei, Afrika, Nah- und Mittelost senkt die durchschnittliche Bildungsleistung und das Qualifikationsniveau der aufnehmenden Gesellschaft.Maßgeblich für Qualifikationsniveau und Bildungsleistung von Einwanderern ist ihre Herkunftskultur. Muslimische Prägung von Kulturen wirkt sich negativ auf das durchschnittliche Qualifikationsniveau und die durchschnittliche Bildungsleistung von Einwanderern und ihren Nachkommen aus. Dies ist umso wichtiger, als der Anteil dieser Gruppen an den Geburten in Deutschland stark anwächst.Die Geburtenraten der Einwanderer aus dem westlichen Asien und Afrika sinken zwar mit der Zeit, bleiben aber tendenziell höher als jene der aufnehmenden Gesellschaft.11 Die dadurch bewirkte Dynamik in der ethnischen Zusammensetzung und kulturellen Ausrichtung der Bevölkerung in Deutschland wird weit unterschätzt. Diese Art von Einwanderung hält die Schrumpfung der Bevölkerung in Deutschland nur um den Preis einer tiefgreifenden und unwiderruflichen kulturellen Veränderung auf.

Überprüfung aus heutiger Sicht

Das umfangreiche statistische und empirische Material, das ich in Deutschland schafft sich ab zur Formulierung und Überprüfung meiner Thesen ausgebreitet hatte, blieb in der Debatte über das Buch weitgehend unbeachtet.

In meinen nachfolgenden Büchern Der neue Tugendterror (2014), Wunschdenken (2016), Feindliche Übernahme (2018) und Der Staat an seinen Grenzen (2020) habe ich jeweils unter wechselnden Fragestellungen die Überprüfung meiner Thesen aus Deutschland schafft sich ab erneut vorgenommen, die Datenbasis aktualisiert sowie neue Untersuchungen und Erkenntnisse einbezogen. Dabei wurden meine Grundthesen von 2010 bestätigt.

Eine zentrale Überlegung war in Deutschland schafft sich ab, dass die niedrige Geburtenrate in Deutschland, die vor allem die Gebildeten und die Deutschstämmigen betrifft, zusammen mit der künftigen Einwanderung die demografischen Gewichte in Deutschland radikal verschiebt. Auf längere Sicht werden so die Bürger mit deutscher Herkunft und Kultur zur Minderheit im eigenen Land. Die daraus erwachsenden Spannungen und Probleme sind umso ausgeprägter, je größer die kulturelle, religiöse und ethnische Distanz der Zuwanderer zur aufnehmenden Bevölkerung ist und je weniger Assimilation und Vermischung funktionieren. Besonders groß sind diese Probleme bei der Integration von Zuwanderern muslimischen Glaubens.

Bei meinen Berechnungen zur künftigen Bevölkerungsstruktur im Kapitel 8 dieses Buches hatte ich die damaligen Erkenntnisse zu den Unterschieden in der Geburtenrate je nach Bildungsstatus und Migrationshintergrund zugrunde gelegt und eine jahresdurchschnittliche Zuwanderung von 100 000 Migranten aus Afrika und dem westlichen Asien angenommen. Ich kam zu dem Ergebnis, dass in Deutschland die Neugeborenen innerhalb von drei Generationen, also bis zum Jahr 2100, mehrheitlich aus Familien mit der Herkunft westliches Asien und Afrika kommen würden (vgl. S. 357 ff.)

In Feindliche Übernahme habe ich 2018 meine Überlegungen anhand neuerer Daten zu Einwanderung und Geburtenraten aktualisiert und kam zu dem Ergebnis, dass sich »der demografische Strukturwandel und die Verwandlung der Deutschen zur Minderheit im eigenen Land noch weitaus schneller vollziehen wird als von mir 2010 in Deutschland schafft sich ab unterstellt«.12

Ein Blick in die Bevölkerungsstatistik

In diesem Vorwort verzichte ich auf eine aktualisierte Prognose, sondern zeige, wie erheblich sich das Bild in den amtlichen Statistiken bereits in den nur zehn Jahren seit dem Erscheinen von Deutschland schafft sich ab verschoben hat.

Zur richtigen Interpretation der amtlichen Statistik ist es wichtig, sich kurz einige Begrifflichkeiten vor Augen zu führen:

Deutsche sind Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft. Auch Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit, z.B. deutsch und türkisch, werden als Deutsche ausgewiesen.Ausländer sind Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, unabhängig von der Frage, wie lange sie schon in Deutschland leben und ob sie in Deutschland geboren wurden.Einen Migrationshintergrund haben jene Menschen, die in Deutschland leben, bei denen aber entweder sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurden. Der Migrationshintergrund ist also nicht identisch mit der Staatsangehörigkeit oder der Nationalität. Deutschstämmige, deren Eltern als Aussiedler nach Deutschland kamen, haben im Sinne der amtlichen Definition einen Migrationshintergrund. Auch ich habe einen Migrationshintergrund, weil meine Mutter als Volksdeutsche in Polen geboren wurde. Umgekehrt hat ein junger Deutschtürke beispielweise in Berlin-Neukölln, dessen Eltern bereits als deutsche Staatangehörige geboren wurden, im Sinne der amtlichen Statistik keinen Migrationshintergrund.

Um die demografischen Veränderungen in Deutschland seit dem Erscheinen von Deutschland schafft sich ab zu beleuchten, werfe ich je einen Blick in die amtliche Geburtenstatistik und das Ausländerzentralregister und verweile dann etwas ausführlicher bei den Daten des Mikrozensus zum Migrationshintergrund der Bevölkerung in Deutschland.

Tabelle 1 Geburten13

2009

2019

Lebendgeborene insgesamt in 1000

665,1

778,1

darunter mütterliche Staatsangehörigkeit

Deutsch

553,5

588,4

Ausländisch

111,6

189,7

Afrika und Asien

26,8

66,5

Durchschnittliche Kinderzahl je Frau

Deutsche

1,331

1,428

Ausländer

1,570

2,062

Auch die »Deutschen« in der Geburtenstatistik sind nach der Staatsangehörigkeit abgegrenzt. Das Neugeborene einer türkischstämmigen Neuköllner Mutter mit deutscher oder deutsch/türkischer Staatsangehörigkeit wird also in der amtlichen Geburtenstatistik als »deutsche« Geburt geführt. Darum wäre es eigentlich der natürliche Gang der Dinge, dass die als »ausländisch« erfasste Zahl der Neugeborenen in Deutschland sinkt, weil immer mehr Ausländer die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Anhaltend hohe Einwanderung hat aber in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Zahl der von ausländischen Müttern geborenen Kinder in Deutschland stark angestiegen ist, besonders deutlich bei Müttern aus Afrika und Asien. Die Zahl der »deutschen« Geburten stieg in den letzten zehn Jahren um 6,3 Prozent, die Zahl der »ausländischen« Geburten um 70,0 Prozent und die Zahl der Geburten von Müttern aus Afrika und Asien um 148,1 Prozent. Hier machen sich insbesondere die Auswirkungen der großen Zuwanderungswelle seit 2015 bemerkbar.

Für die Bestandserhaltung einer Bevölkerung sind langfristig 2,1 Kinder je Frau notwendig. Die »deutschen« Geburten bleiben nach wie vor um ein Drittel unter dieser Bestandserhaltungsnorm, wie schon seit einem halben Jahrhundert – und das trotz der kontinuierlich wachsenden Beimischung von deutschen Müttern mit Migrationshintergrund. Unter den ausländischen Geburten haben die sehr jungen und geburtenfreudigen Zuwanderer der letzten Jahre aus Afrika und Asien nicht nur für einen deutlichen Anstieg der absoluten Geburtenzahlen, sondern auch der durchschnittlichen Kinderzahl je Frau gesorgt.

Tabelle 2 Ausländerzentralregister14

2009

2019

Zunahme

In 1000

In %

Zahl der Ausländer in 1000

6695

11228

4533

67,7

darunter EU-Bürger

2589

4882

2293

88,6

darunter Drittstaaten

4106

6346

2240

54,6

darunter Afrika

268

601

315

124,3

darunter Schutzsuchende

478

1839

1361

285,7

Darunter

Syrien

12

587

575

Afghanistan

27

218

191

Irak

52

193

141

Iran

18

73

55

Russland

39

65

26

Eritrea

4

62

58

Kosovo

22

46

24

Nigeria

3

39

36

Somalia

3

36

33

Pakistan

6

29

23

Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt setzte sich in seinen Büchern wiederholt mit der deutschen Zuwanderungspolitik auseinander. 2008 warnte er davor, »unser Geburtendefizit durch Einwanderung aus Afrika und Asien aufzufüllen. (…) Denn schon bisher (…) haben wir eine kulturelle Einbürgerung nur sehr unzureichend zustande gebracht. Wer die Zahlen der Muslime in Deutschland erhöhen will, nimmt eine zunehmende Gefährdung unseres inneren Friedens in Kauf.«15

In den letzten zehn Jahren ist laut Ausländerzentralregister die Zahl der Ausländer in Deutschland um viereinhalb Millionen gestiegen (vgl. Tabelle 2). Soweit dies durch Zuwanderung von außerhalb der EU geschah, handelte es sich dabei überwiegend um Muslime. Die Zuwanderung seit 2010 war im Jahresdurchschnitt rund viermal so hoch, wie ich seinerzeit bei meinen demografischen Berechnungen in Deutschland schafft sich ab zugrunde gelegt hatte. Bei meinen Berechnungen zur Verschiebung der Bevölkerungsanteile hatte ich in Deutschland schafft sich ab eine jährliche Zuwanderung von 100 000 Migranten aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie Afrika zugrunde gelegt. Zusammen mit der jüngeren Altersstruktur und der höheren Kinderzahl bewirkte dies die von mir berechnete grundlegende Verschiebung der Bevölkerungsanteile innerhalb weniger Jahrzehnte.16 Die tatsächlich höheren Zuwanderungszahlen bedeuten, dass sich dieser Prozess weitaus schneller vollzieht, als damals von mir beschrieben. Speziell die Zahl der im Ausländerzentralregister erfassten Schutzsuchenden (Asylbewerber bzw. Kriegsflüchtlinge) hat sich in den letzten zehn Jahren um rund 1,4 Mio. erhöht (vgl. Tabelle 2)

Mikrozensus17

Wie der Vergleich der Jahre 2009 und 2019 in Tabelle 3 zeigt, blieb die Gesamtbevölkerung in Deutschland während der vergangenen zehn Jahre mit knapp 82 Mio. Einwohnern in etwa konstant. Während die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund um rund fünf Mio. auf 60,6 Mio. sank, nahm die Bevölkerung mit Migrationshintergrund um gut sechs Mio. auf 21,2 Mio. zu. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung wuchs von 18,7 auf 26,0 Prozent.

Unter den Einwohnern mit Migrationshintergrund hat sich die Zahl der Menschen mit Herkunft aus Asien und Afrika in den letzten zehn Jahren knapp verdreifacht und liegt jetzt bei rund 5,6 Mio.

Bei den Kindern unter fünf Jahren nahm der Anteil der Einwohner mit Migrationshintergrund von 34,2 auf 41,4 Prozent zu. In allen Altersgruppen bis 45 Jahren liegt er mittlerweile bei 30 bis 40 Prozent. Im Durchschnitt sind die Bürger mit Migrationshintergrund um zwölf Jahre jünger als jene ohne Migrationshintergrund.

Tabelle 3 Bevölkerung nach Migrationsstatus und Altersgruppen

Alter

2009

2019

Insgesamt

Ohne

Mit

Insgesamt

Ohne

Mit

Migrationshintergrund

Migrationshintergrund

In 1000

In %

In 1000

In %

Insgesamt

80483

65440

15043

18,7

81848

60603

21246

26,0

Nach Herkunftsregion

EU

4487

5,6

7487

9,1

Sonstiges Europa (inkl. Türkei)

5815

7,2

6302

7,7

Asien

1671

1,6

4600

5,6

Afrika

497

0,6

988

1,2

Nach Altersgruppen

unter 5

3370

2217

1153

34,2

3702

2260

1532

41,4

5 bis 10

3608

2464

1144

31,7

3665

2215

1450

39,6

10 bis 15

3948

2849

1099

27,8

3725

2283

1442

38,7

15 bis 20

4153

3112

1041

25,1

4601

2616

1386

30,1

20 bis 25

4783

3762

1020

21,3

4408

2963

1445

32,8

25 bis 35

9446

7182

2264

24,0

10330

6906

3423

33,1

35 bis 45

11606

9320

2286

19,7

10294

6790

3504

34,0

45 bis 55

12683

10741

1941

15,3

12231

9365

2866

23,4

55 bis 65

9798

8392

1407

14,4

12257

10129

2128

17,4

65 bis 75

9585

8716

871

9,1

8382

7124

1259

15,0

75 bis 85

5539

5132

408

7,4

6909

6261

648

9,4

85 bis 95

1654

1563

90

5,4

1760

1605

106

6,0

95 und mehr

111

108

3

2,7

94

87

7

7,4

Altersdurchschnitt

43,7

45,7

34,5

44,3

47,3

35,6

Wenn der Trend der letzten zehn Jahre noch weitere zwanzig Jahre anhält, sind die ethnischen Deutschen, bis auf die Rentner, im Jahr 2040 unwiderruflich zur Minderheit im eigenen Land geworden. Diese Entwicklung vollzieht sich also deutlich schneller als in Deutschland schafft sich ab unterstellt. Besonders intensiv wirkt sich die Verschiebung der Bevölkerungsstruktur bei den Kindern und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter aus.

Nettoeinwanderung und demografischer Wandel

Die Umschichtung durch Geburten, Todesfälle und Zuwanderung findet kontinuierlich von Jahr zu Jahr statt und gewinnt ihre Wucht durch die Kumulation der Jahre: 2018 hatte Deutschland eine Nettozuwanderung von rund 400 000 Menschen.18 Sie teilte sich nach Herkunftsgebieten wie folgt auf:19

Deutschland

-60 000

Europäische Union

202 000

Herkunftsgebiete der Fluchtmigration

210 500

darunter:

Westbalkan

53 000

Türkei

16 500

Nahost, Zentral- und Südasien

103 000

Afrika

38 000

Übrige Welt

47 500

Nettozuwanderung

400 000

Der negative Wanderungssaldo der Deutschen ist ein bereits seit Jahren anhaltender Trend. Nach den vorliegenden Erkenntnissen sind die deutschen Abwanderer überdurchschnittlich qualifiziert. Diesem kontinuierlichen Brain Drain steht in der Struktur der Zuwanderer kein entsprechender Brain Gain gegenüber.

2018 starben in Deutschland 955 000 Menschen, davon hatten ca. 8 Prozent Migrationshintergrund. Es wurden 788 000 Menschen geboren, von ihnen hatten über 40 Prozent Migrationshintergrund.20 Zählt man die Zugewanderten und die Neugeborenen mit Migrationshintergrund zusammen, so ergeben sich für 2018 783 000 Menschen mit Migrationshintergrund, die 2018 nach Deutschland kamen. Ihnen steht der Saldo von 404 000 aus Neugeborenen ohne Migrationshintergrund und aus abgewanderten Deutschen gegenüber. Diese Bevölkerungsbewegung nur eines Jahres zeigt die große Dynamik, mit der sich die ethnische Transformation der Wohnbevölkerung in Deutschland vollzieht.

Bildungsleistung und kognitive Kompetenzen

Vergleichende Tests der Bildungsleistung

Seit zwanzig Jahren untersucht die OECD mit dem sog. PISA-Test regelmäßig die kognitiven Kompetenzen von fünfzehn Jahre alten Schülern und normiert die Ergebnisse nach einem international vergleichbaren Standard. Im Mittelpunkt stehen dabei die Kompetenzen im Lesen, in Mathematik und in den Naturwissenschaften. Die dabei angewandte Methodik führt immer wieder zu Diskussionen, zumal PISA-Ergebnisse eine hohe Korrelation zu den Ergebnissen von Intelligenztests ausweisen. Das ist nicht weiter verwunderlich, da Intelligenz eine maßgebliche Bestimmungsgröße des Lernerfolgs ist. In die tatsächliche Schulleistung fließen aber auch andere Faktoren, wie die Qualität des Unterrichts, das soziale Umfeld, der Familienhintergrund, der Migrationshintergrund und persönliche Eigenschaften wie Fleiß und Ausdauer ein.

Bei aller Fragwürdigkeit haben normierte Tests, wie sie bei PISA, bei TIMMS (einer anderen international vergleichenden Studie der Bildungsleistung) oder bei dem amerikanischen SAT-Test verwendet werden, eine große Aussagekraft. Die kognitiven Kompetenzen, wie sie in solchen Tests gemessen werden, erklären zu einem großen Teil das Wohlstandsniveau von Gesellschaften und Nationen. Bis auf einige wenige Länder, die von Rohstoffvorkommen besonders begünstigt sind, besteht weltweit ein unmittelbarer und stabiler Zusammenhang zwischen dem Wohlstandsniveau bzw. dem wirtschaftlichen Wachstum einerseits und den kognitiven Kompetenzen in einer Gesellschaft, wie sie durch Schulleistungstests gemessen werden, andererseits.21

Mit der Veröffentlichung der ersten PISA-Studien erfuhr Deutschland den sog. PISA-Schock, weil es sich entgegen der Selbsteinschätzung seiner Eliten nicht im oberen Bereich der getesteten Länder, sondern nur im Mittelfeld der OECD befand. Insgesamt ist seit dem ersten PISA-Test im Jahr 2000 die durchschnittliche Bildungsleistung der getesteten Schüler leicht gesunken. Diese sinkende Tendenz ist in Deutschland seit dem Jahr 2012 besonders ausgeprägt (vgl. Tabelle 4).

Tabelle 4 PISA-Studien22

Entwicklung der durchschnittlichen Punktwerte

2000

2003

2006

2009

2012

2015

2018

Deutschland

Lesen

484

491

495

497

508

509

498

Mathematik

503

504

513

514

506

500

Naturwissenschaften

516

520

524

509

503

OECD

Lesen

500

497

495

499

501

497

493

Mathematik

499

497

499

496

491

494

Naturwissenschaften

494

498

498

491

489

Bei den Erstellern der Studie in der OECD ist man über diese OECD-weit erkennbare negative Tendenz offenbar beunruhigt. Der OECD-Generalsekretär Angel Gurria wies in seinem Vorwort zu PISA 2018 darauf hin, dass in den vier getesteten chinesischen Provinzen – Beijing, Shanghai, Jiangsu and Zhejiang – mit zusammen 180 Mio. Einwohnern die 10 Prozent schlechtesten Schüler besser lasen als der durchschnittliche Schüler in den OECD-Ländern. Im Durchschnitt waren die getesteten Schüler der untersuchten vier chinesischen Provinzen so gut wie die besten 10 Prozent in den OECD-Ländern.23 Was kognitive Kompetenzen angeht, wird die westliche Welt im Vergleich mit Ostasien zunehmend deklassiert. Das sind keine guten Perspektiven für den künftigen Wettbewerb mit dem aufsteigenden China in Wirtschaft und Wissenschaft.

Tabelle 5 enthält die durchschnittlichen Punktwerte für einige ausgewählte Länder aus PISA 2018. Die Länder mit besonders guten Ergebnissen sind entweder ethnisch und kulturell sehr homogen (z.B. Finnland, Estland, Polen) oder sie haben, falls sie Einwanderungsländer sind, eine extrem selektive Einwanderungspolitik (z.B. Singapur, Kanada). Bei allen Tests der kognitiven Kompetenzen zeigt sich weltweit ein Leistungsgefälle von Norden nach Süden, das bereits in Europa deutlich wird und z.B. auch innerhalb von Italien oder Spanien sichtbar ist. Es gilt auch im Verhältnis von Nord- und Südamerika und im Verhältnis von Ostasien und Südasien. Besonders niedrige Werte der kognitiven Kompetenz werden in Teilen

Tabelle 5 Durchschnittlicher Punktwert der Bildungsleistung24

Lesefähigkeit

Mathematik

Naturwissenschaften

Singapur

549

569

551

Estland

523

523

530

Kanada

520

512

518

Finnland

520

507

522

Polen

512

516

522

Schweden

506

502

499

USA

505

478

502

Großbritannien

504

502

505

Deutschland

498

500

503

Frankreich

493

495

493

OECD

487

489

489

Russland

479

488

478

Italien

476

487

468

Griechenland

457

451

452

Türkei

466

454

468

VAE

432

435

434

Südamerikas, des Nahen und Mittleren Ostens und Südasiens und in Subsahara Afrika gemessen.25

In jedem Bildungssystem sind zwei Gruppen von Schülern von besonderem Interesse:

Die Spitzengruppe, die jene umfasst, die zu anspruchsvollen akademischen Leistungen z.B. in Mathematik und Ingenieurwissenschaften befähigt sind – das sind Schüler mit einem Punktwert ab ca. 625.Die besonders leistungsschwachen Schüler, deren Lese- und Rechenfähigkeiten für einen qualifizierten Ausbildungsberuf, z.B. im Handwerk, nicht ausreichen – das sind Schüler mit einem Punktwert unter ca. 400.

Die erste Gruppe liefert das Gerüst für eine moderne Gesellschaft, deren Wohlstand im Wesentlichen auf Wissen beruht. Die zweite Gruppe ist ein Indikator für künftige soziale Probleme in der Gesellschaft und für den voraussichtlichen Bedarf an gesellschaftlicher Unterstützung.

Für ausgewählte Länder habe ich die Prozentsätze für Schüler mit besonders hoher und besonders niedriger kognitiver Kompetenz in Tabelle 6 zusammengestellt. Bezogen auf die Kompetenzen in Mathematik befinden sich

in der besonders leistungsstarken Gruppe 36,9 Prozent der Schüler in Singapur, 13.3 Prozent der Schüler in Deutschland, und 4,8 Prozent der Schüler in der Türkei,in der besonders leistungsschwachen Gruppe 7,1 Prozent der Schüler in Singapur, 21,1 Prozent der Schüler in Deutschland und 36,7 Prozent der Schüler in der Türkei.

Fraglos ist also das heutige Deutschland für die Wissensgesellschaft von morgen deutlich besser gerüstet als die heutige Türkei, aber es wird deklassiert vom chinesisch geprägten Stadtstaat Singapur und wohl auch von großen Teilen des heutigen China.

Tabelle 6 Prozentsatz von Schülern mit besonders niedriger und hoher Leistung (weniger als 407,47 Punkte bzw. 625,61 Punkte oder mehr)26

Lesen

Mathematik

Naturwissenschaften

Niedrig

Hoch

Niedrig

Hoch

Niedrig

Hoch

Singapur

11,2

25,8

7,1

36,9

9,0

20,7

Estland

11,3

13,9

45,5

15,4

8,8

12,2

Kanada

13,8

15,9

16,3

15,8

13.4

11,3

Finnland

13,5

14,2

15,0

11,1

12,9

12,3

Polen

14,7

12,2

14,7

15,8

13,8

9,3

Schweden

18,4

13,3

18,8

12,6

19,0

8,3

USA

19,3

13,5

27,1

8,3

18,6

9,1

Großbritannien

17,3

11,5

19,2

12,9

17,4

9,7

Deutschland

20,7

11,3

21,1

13,3

19,6

10,0

Frankreich

20,9

9,2

21,3

11,0

20,5

6,6

OECD

22,6

8.8

22,2

11,4

22,0

6,8

Russland

22,1

5,4

21,6

8,1

21,2

3,1

Italien

23,3

5,3

23,8

9,5

25,9

2,7

Griechenland

30,5

3,7

35,8

3,7

31,7

1,3

Türkei

26,1

3,3

36,7

4,8

25,2

2,5

VAE

42,9

4,8

45.5

5,4

42,8

2,9

Die Resultate der PISA-Tests zeigen ebenso wie andere vergleichende Untersuchungen der kognitiven Kompetenz große Unterschiede je nach Land und Herkunftsregion, die sich auch über Jahrzehnte nur langsam ändern. Migranten bringen ihre kognitiven Kompetenzen in ihre neue Heimat mit, und ihre Bildungsleistung wird über Generationen hinweg, wenn auch mit abnehmender Intensität, von ihrer Herkunftskultur geprägt.

Einwanderer unterscheiden sich je nach Herkunft nicht nur systematisch im Niveau ihrer kognitiven Kompetenzen, sondern offenbar auch systematisch im Willen bzw. der Fähigkeit, die Kompetenzlücken zum durchschnittlichen Niveau des Einwanderungslandes im Laufe einiger Jahrzehnte oder Generationen zu überwinden. So hat sich in den USA in wenigen Jahrzehnten als stabiles Muster ergeben, dass die Einwanderer aus Ostasien – sei es aus China, Vietnam, Japan, Korea – im Bildungsniveau, im Einkommen, in der Lebenserwartung und beruflichen Stellung den Durchschnitt der weißen Bevölkerung klar hinter sich lassen. Umgekehrt ist der Rückstand der Schwarzen in den USA gegenüber dem Bevölkerungsdurchschnitt anhaltend groß. Das gilt auch für die in Schulleistungstests gemessene kognitive Kompetenz.

Der in den PISA-Tests beobachtete Leistungsunterschied zwischen Schülern mit und ohne Migrationshintergrund ist je nach Herkunftsregion sehr unterschiedlich:

Schüler mit Migrationshintergrund Ostasien weisen allenfalls geringe Rückstände auf, die sich bereits in der zweiten Generation zumeist in Vorsprünge verwandeln.Auch Schüler mit Migrationshintergrund Russland, Ukraine Weißrussland holen Rückstände schnell auf.Hartnäckiger sind die Leistungsunterschiede bei Schülern mit Migrationshintergrund Südosteuropa und Türkei.Noch größer sind die Leistungsabstände bei Schülern mit Migrationshintergrund Afrika und westliches Asien.

Die OECD führt in der Kommentierung der PISA-Testergebnisse die beobachteten Rückstände von Migranten überwiegend auf soziale Benachteiligung zurück. Diese gibt es auch. Aber die Herkunft und die Auswahl der Einwanderer spielen auch eine wichtige Rolle.

Die Zahlen der OECD zu den nationalen PISA-Ergebnissen zeigen in großer Klarheit, dass Länder mit selektiver Einwanderungspolitik – wie Singapur, Kanada, Australien, Neuseeland, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Katar – durch ihre Einwanderer einen Gewinn an kognitiver Kompetenz, zumindest aber keine Kompetenzverluste erfahren. Das Gegenteil ist bei all jenen Ländern in Westeuropa der Fall, die in größerem Umfang Einwanderer aus dem westlichen Asien und aus Afrika ins Land gelassen haben.27 Unter dem Aspekt der kognitiven Kompetenz und der künftigen Entwicklung in einem Land ist es also keineswegs gleichgültig, welche Herkunftsgruppen in welchen Zahlen zuwandern.

Für Deutschland führt das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), das an der Berliner Humboldt-Universität angesiedelt ist, seit 2004 im Auftrag der Kultusministerkonferenz bundesweite Tests der Bildungsleistung durch.28 Diese Tests sind methodisch vergleichbar mit PISA- oder TIMMS-Tests aufgebaut und werden auch vergleichbar normiert. Sie ermöglichen einen Vergleich von Bundesländern und von Schularten und beziehen auch die Grundschulen mit ein. In der Summe ergibt sich aus diesen sehr tiefgehend und differenziert durchgeführten Studien für Deutsch und Mathematik (4. Jahrgangsstufe) sowie für Mathematik und Naturwissenschaften (9. Jahrgangsstufe) der stabile Trend eines leicht absinkenden Leistungsniveaus, der nahezu alle Kompetenzbereiche umfasst. Gleichzeitig zeigen sich große Unterschiede zwischen den Bundesländern, wobei Bayern und Sachsen durchweg an der Spitze, Nordrhein-Westfalen, Berlin und Bremen durchweg am Ende der Rangskala stehen. Vom generell negativen Trend bleibt aber kein Bundesland verschont.

Dabei spielt auch das Kompetenzgefälle zwischen Schülern mit und ohne Migrationshintergrund eine wesentliche Rolle. Das beobachtete Kompetenzgefälle der Schüler mit Migrationshintergrund ist sehr unterschiedlich. Bei Schülern mit Migrationshintergrund Osteuropa ist sowohl der Kompetenzunterschied niedriger als auch der Aufholeffekt der 2. Zuwanderergeneration deutlich ausgeprägter als bei Schülern vom Balkan, aus der Türkei oder aus arabischen Ländern.29

In den deutschen Schulen hat sich der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund von 2011 bis 2016 in der 4. Jahrgangsstufe signifikant um 9 Prozentpunkte erhöht und belief sich 2016 bundesweit auf durchschnittlich 42 Prozent. In fünf Bundesländern wurden Anteile von über 50 Prozent erreicht.30

Als Nebenwirkung der durch Einwanderung bewirkten demografischen Verschiebungen errechnet der Bildungsforscher Heiner Rindermann für die langfristige Zukunft eine fühlbare Abnahme der kognitiven Fähigkeiten in Europa und belegt dies mit umfangreichem empirischem Material.31 Damit wird das Schließen der bereits heute bestehenden Kompetenzlücken gegenüber Ostasien zu einem unerreichbaren Ziel.

Für Deutschland habe ich die schleichenden Trends, die dahin führen, in Deutschland schafft sich ab ausführlich analysiert. Die Fehler, die die deutsche Politik diesbezüglich seit vielen Jahrzehnten gemacht hat, sind durch die Entwicklung seit 2015 noch einmal verschärft worden und werden jetzt beschleunigt wirksam.

Zur Bildungsleistung und den Integrationsperspektiven der Schutzsuchenden

Der große Zustrom an sogenannten Fluchtmigranten bzw. Schutzsuchenden insbesondere in den Jahren 2015 bis 2017 brachte nicht die erhoffte Einwanderung von qualifizierten Ärzten, Ingenieuren und Facharbeitern, ganz im Gegenteil.

Zum Stichtag 31.12.2018 weist das Ausländerzentralregister für Deutschland 1,78 Millionen Schutzsuchende aus. Rechnet man die Asylbewerber und illegalen Einwanderer 2019 und in der ersten Hälfte 2020 hinzu, so kommt man für Mitte 2020 auf rund 2,2 Millionen Schutzsuchende in Deutschland:

Unter den Schutzsuchenden hatten Ende 2018 knapp 15 Prozent einen unbefristeten Schutzstatus. Bei 72 Prozent war der Schutzstatus befristet. Rund 11 Prozent oder 192 000 waren ausreisepflichtig, weil ihr Schutzstatus abgelehnt wurde.32 Tatsächlich abgeschoben wurden in Deutschland im Jahr 2018 23 600 Asylbewerber.33Die Schutzsuchenden waren 2018 zu 63 Prozent männlich, zu 25 Prozent minderjährig und zu 74 Prozent erwerbsfähig. Nur knapp 4 Prozent waren älter als 64 Jahre. Knapp 8 Prozent wurden im Inland geboren, sind also die Kinder von Schutzsuchenden. Im Durchschnitt sind die Schutzsuchenden weitaus jünger und weitaus kinderreicher als die in Deutschland lebende Bevölkerung. Sie waren 2018 durchschnittlich 29 Jahre alt und hielten sich seit knapp sieben Jahren in Deutschland auf.3430 Prozent der Schutzsuchenden stammten 2018 aus Syrien, 11 Prozent aus Afghanistan, 9 Prozent aus dem Irak und 9 Prozent aus den drei afrikanischen Ländern Eritrea, Nigeria und Somalia.35

Von den Schutzsuchenden stammen rund 1,43 Millionen aus den acht nicht europäischen Asylherkunftsländern Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien.36 25 Prozent von ihnen haben keine Schule oder nur die Grundschule besucht, 76 Prozent haben keine Ausbildung.37 Ein sehr geringer Teil absolviert eine Ausbildung.38 Im März 2019 lebte rund eine Million Leistungsberechtigte in 414 000 Bedarfsgemeinschaften mit Schutzsuchenden. Davon waren 600 000 erwerbsfähige und 304 000 nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte.39

Von den Schutzsuchenden gingen im Oktober 2019 363 000 einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach.40 962 000 bezogen im Oktober 2019 Grundsicherung nach Hartz IV.41 Außerdem bezogen im September 2019 411 000 Asylbewerber Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.42 Nur 21 Prozent der Asylbewerber waren also im Herbst 2019 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. 79 Prozent lebten von staatlichen Transfers.

Einige Zeitungsberichte machten den Versuch, solche Zahlen als relativen Erfolg darzustellen.43 Selbstverständlich kann man ein Glas je nach Betrachtungsweise alternativ als ein Viertel voll oder als drei Viertel leer bezeichnen. Bedenkt man, dass die Schutzsuchenden durchschnittlich 29 Jahre alt sind und seit knapp sieben Jahren in Deutschland leben, so ist ein Anteil an Transferempfängern von 80 Prozent objektiv gesehen äußerst alarmierend.

Die Bundesanstalt für Arbeit weist nach Bevölkerungsgruppen getrennt die sogenannte SGB II-Quote aus, das ist der Anteil jener Menschen, die in der betreffenden Gruppe Transferleistungen nach Hartz IV erhalten.44 Dieser Prozentsatz beträgt für

Deutsche

6,0

Nigeria

22,4

Afghanistan

50,3

EU-Staaten

9,2

Pakistan

22,8

Eritrea

52,1

Westbalkan

15,3

Iran

33,4

Irak

55,6

Türkei

18,4

Somalia

44,8

Syrien

76,2

Für die Migranten aller Herkunftsgebiete außerhalb Europas liegt die Transferquote weit über dem Durchschnitt. Das gilt unabhängig von der Frage, ob es sich um Schutzsuchende handelt. Die Ausgaben zur Unterbringung und Unterstützung der Schutzsuchenden schlagen sich in den Haushalten von Bund, Ländern, Gemeinden und der verschiedenen Träger der Sozialversicherung nieder. Ein konsistenter Überblick über die Gesamtausgaben wird in den amtlichen Statistiken nicht vorgehalten. Inklusive Hilfe zum Lebensunterhalt, Kosten der Unterkunft, Krankenversorgung etc. ist eine Kostenschätzung von 1000 Euro pro Monat und Person sicherlich eine Untergrenze, sodass ich die laufenden jährlichen Ausgaben für den Unterhalt dieser Gruppe gegenwärtig auf 25 Mrd. Euro schätze. Die Ausgaben steigen durch den weiteren Zuzug, durch Familiennachzug und die wachsende Zahl eigener Kinder, die in Deutschland gezeugt und geboren werden. Die damit verbundenen künftigen Ausgaberisiken erklären für 2018 und 2019 – weit vor der Corona-Pandemie und ihren finanziellen Folgen – den heftigen Widerstand der Bundesregierung gegen Steuersenkungen.

Wegen der fehlenden Bildungsvoraussetzungen und unterdurchschnittlicher kognitiver Kompetenzen45 ist für einen großen Teil dieser Gruppe die Perspektive für die Integration in den Arbeitsmarkt ungünstig.46 Ein großer, wahrscheinlich überwiegender Teil wird wohl lebenslang – angesichts des niedrigen Alters der Zugezogenen also weitere 40 bis 60 Jahre – auf staatliche Transferleistungen angewiesen sein. Für den Staat bedeutet dies auf lange Sicht erhebliche fiskalische Belastungen. Für die Gesellschaft als Ganzes bedeutet dies, ebenfalls auf lange Sicht, einen erheblichen materiellen Wohlstandsverlust.47 Hinsichtlich des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der kulturellen Zukunft verschärfen sich damit für Deutschland und Europa all jene Probleme, die sich aus dem Bestand und dem Wachstum muslimischer Einwanderer in Deutschland und Europa ergeben.48

Welche Einwanderungspolitik wollen wir?

Darf man sich begründete Hoffnung machen, dass Bildungsleistung und kognitive Kompetenzen von Zuwanderern sich zügig an das Niveau der aufnehmenden Gesellschaften anpassen? Hier ist leider Vorsicht geboten. Ein solcher Prozess vollzieht sich – soweit er überhaupt stattfindet – nur langsam und je nach ethnischer Herkunft und kulturellem Hintergrund unterschiedlich erfolgreich. Oft bleibt eine Angleichung aus. So sind z.B. Geduld und Risikobereitschaft in Kulturen unterschiedlich ausgeprägt. Große Geduld in einer Kultur ist der Bildungsleistung zuträglich, ausgeprägte Risikobereitschaft eher abträglich.49

Das amerikanische Volk bildete sich vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert aus einer Reihe von massiven Einwanderungswellen, deren Höhepunkt zwischen 1860 und 1920 lag. Gemünzt auf diese Zeit entstand der Begriff des »Melting Pot«. Selbst für diese Zeit zeigt sich jedoch, dass ethnische Unterschiede, die hinsichtlich des Berufserfolgs bei der ersten Einwanderergeneration bestanden, auch den Berufserfolg in der dritten Einwandergeneration noch maßgeblich mitbestimmten. Über die Ursachen solcher Unterschiede gibt es zahlreiche Forschungen, hier spielen viele Ursachen eine Rolle.50Entscheidend ist die Erkenntnis, dass sich solche Unterschiede nicht ohne Weiteres automatisch abbauen und dass sie unterschiedliche Herkunftsgruppen je nach Ethnie, Religion und Kultur ganz unterschiedlich betreffen.

Für ein aufnehmendes Land ist es im eigenen Interesse wichtig, allen Migranten und ihren Nachkommen, die dauerhaft bleiben, ein möglichst günstiges Umfeld für ihre Bildung und die Integration in den Arbeitsmarkt zu geben. Soweit es um die Formulierung von Einwanderungspolitik geht, ist es aber auch wichtig, durch selektive Einwanderungspolitik die Einwanderung auf jene Gruppen zu fokussieren, die in Bezug auf ihre Bildungsleistung besonders vielversprechend sind. Dabei spielt die Prägung durch die ethnische Herkunft und die Herkunftskultur, zu der auch der religiöse Hintergrund gehört, eine komplexe Rolle. Für die Formulierung einer richtigen Politik sind dabei Feinheiten kausaler Zurechnungen, die man so oder anders sehen kann und die mit ungewissen Möglichkeiten zur Einflussnahme versehen sind, weniger entscheidend. Entscheidend ist vielmehr die Stabilität beobachteter Zusammenhänge.

Für Deutschland und Europa gilt, dass wir humanitäre Ziele und unsere eigenen Interessen als Einwanderungsland klar voneinander trennen müssen. Letzteres erfordert eine selektive Einwanderungspolitik nach dem Vorbild Kanadas, Australien oder Singapurs. Diese ist möglich und kann erfolgreich sein, wenn man die Zuwanderung wirksam kontrolliert. Die Instrumente und Maßnahmen dazu habe ich in Der Staat an seinen Grenzen beschrieben.51 Humanitäre Ziele müssen wir sichern durch die Gewährung politischen Asyls für tatsächlich politisch Verfolgte und durch Unterstützung von Kriegsflüchtlingen auf ihren Heimatkontinenten in der Nähe ihrer Herkunftsländer, außerdem durch eine entsprechende Ausrichtung der Entwicklungshilfe. Auch dazu habe ich in Der Staat an seinen Grenzen konkrete Vorschläge gemacht.

Gerald Knaus, der Gründer und Direktor der Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative (ESI), hat sich seit 25 Jahren intensiv mit Flucht, Migration und Asyl auseinandergesetzt.52 Er gilt als der geistige Vater des Abkommens zwischen der EU und der Türkei vom März 2016. Dieses Abkommen gewährte der Türkei Geldleistungen von 6 Mrd. Euro für den Unterhalt der syrischen Flüchtlinge in ihrem Land. Als Gegenleistung unterband die Türkei weitgehend den Übertritt von Flüchtlingen nach Griechenland. Die gleichfalls geplante Beschleunigung der Asylverfahren in Griechenland und die darauf aufbauende Rückführung abgelehnter Asylbewerber in die Türkei gelang allerdings nicht, und es wurde auch nichts aus der eigentlich geplanten Aufnahme von Kontingentflüchtlingen aus der Türkei in der EU. Zuletzt ließ die Türkei auch wieder mehr Flüchtlinge nach Griechenland einreisen. Insbesondere der stark gewachsene Stau in den Lagern auf den griechischen Inseln zeigt, dass die Erfolgsbilanz des Abkommens sehr fraglich ist.

Knaus erkennt zu Recht, dass sich aus dem heutigen Ist-Zustand in den Ländern der EU

Gewährung von uneingeschränkter Einreise für alle Asylbewerber einerseits,weitgehende Unmöglichkeit der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber andererseits

unhaltbare Zustände mit anhaltendem Einwanderungsdruck ergeben. Er will die Blockade auflösen, indem die Herkunftsländer der Migration zur freiwilligen Rücknahme der abgelehnten Einwanderungswilligen bewegt werden. Er verbindet in seinen Konzepten für eine bessere Flüchtlings- und Asylpolitik drei Elemente miteinander:

Es wird in den Ländern Europas ein schnelles und faires Asylverfahren gewährleistet.Für die Herkunftsländer der Asylbewerber und Wirtschaftsmigranten werden mehr legale Wege der Migration eröffnet.Als Gegenleistung nehmen die Herkunftsländer abgelehnte Asylbewerber und andere Bürger des eigenen Landes, denen das Aufenthaltsrecht verweigert wurde, freiwillig zurück.

Solange es ein Recht auf Asyl gibt, kann man Knaus im ersten Punkt nur zustimmen. Bei der Abwägung von Leistung und Gegenleistung in den Punkten 2 und 3 kommt es auf die konkrete Ausgestaltung an. Für mich ist klar, dass das heutige Asylrecht nur dann haltbar ist, wenn die abgelehnten Asylbewerber grundsätzlich in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. In meiner Konzeption zur Begrenzung und Steuerung von Einwanderung, die ich in Der Staat an seinen Grenzen näher beschrieben habe, schlage ich vor, für den Fall, dass Verhandlungslösungen scheitern, die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern notfalls auch gegen den Willen der Herkunftsländer unter militärischem Schutz vorzunehmen.53

Kriminalitätshäufigkeit nach Migrationshintergrund und Fluchtmigration

Hinsichtlich der Risiken von Zuwanderung steht die Kriminalität von Zuwanderern oft im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Das ist verständlich, weil Menschen generell in Bezug auf die Sicherheit ihrer Person, ihrer Familien und ihres Eigentums besonders empfindlich sind.

Allgemein ist die gruppenspezifische Kriminalität, insbesondere bei Gewalttaten, umso höher, je männlicher, je jünger und je schlechter am Arbeitsmarkt integriert eine Gruppe ist. So haben Ausländer in Deutschland generell eine weit überdurchschnittliche Kriminalitätsbelastung. Das trifft besonders für Einwanderer aus dem islamischen Kulturkreis und deren Nachkommen zu.54

So ist es auch nicht verwunderlich, dass es unmittelbar nach der großen Zuwanderungswelle der Schutzsuchenden in den Jahren 2016 und 2017 einen deutlichen Anstieg der Kriminalität insbesondere bei Mord und Totschlag, anderen Gewaltdelikten und Sexualdelikten gab.

Bereits 2016 war der Anteil der Fluchtmigranten an der Gewaltkriminalität in Deutschland dreimal so hoch wie ihr altersbereinigter Anteil an der männlichen Bevölkerung.55 Dieser Trend hat sich fortgesetzt, das zeigt die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 2019 für Berlin: Mord- und Totschlag sowie Sexualdelikte nahmen weiter zu. Bei den Tatverdächtigen für Mord- und Totschlag lag der Anteil der Ausländer in Berlin bei 46 Prozent, bei der gesamten Kriminalitätsbelastung lag er bei 40 Prozent.56 Bundesweit lag der Anteil der Ausländer an der Gesamtkriminalität 2019 bei 30,4 Prozent, bei den Tatverdächtigen für Mord- und Totschlag betrug er 39,7 Prozent. Die Zuwanderer (bzw. Fluchtmigranten) hatten 2019 bei Mord- und Totschlag einen Anteil von 14,3 Prozent, bei gewalttätigen Sexualstraftaten betrug ihr Anteil 15,2 Prozent.57

Der Terrorismusexperte des Bayerischen Rundfunks, Stefan Meining, hat 2019 in einer eindrucksvollen Recherche gezeigt, dass die deutsche Politik von 2014 bis 2017 in ihrer Asyl- und Einwanderungspolitik Risiken für die innere Sicherheit und terroristische Gefahren sehenden Auges in Kauf nahm, um den großen Zuzug der Flüchtlinge und Asylbewerber bürokratisch möglichst friktionsfrei zu bewältigen. Sein vernichtendes Fazit lautet: »Rückwirkend standen unter der Führung von Angela Merkel mit Thomas de Maizière, Peter Altmaier als Flüchtlingskoordinator und Frank-Jürgen Weise als Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge drei Männer in der Verantwortung, die vor allem eines wollten: saubere, bürokratische Abläufe. Fragen der Sicherheit spielten zunächst keine Rolle. Die Kanzlerin interessierte sich ebenfalls nicht dafür. Ihre Paladine folgten ihr. Dann gab es kein Zurück mehr.«58

Einwanderungsbedingte Kriminalität darf also nicht verharmlost werden. Wo die Integration grundsätzlich funktioniert, kann man sie aber gleichwohl als ein Übergangsphänomen betrachten. Für viel gefährlicher in Bezug auf die künftige Entwicklung der Gesellschaft halte ich aber die Rückstände bestimmter Einwanderungsgruppen bei der Bildungsleistung, bei der Integration in den Arbeitsmarkt und ihre weit überdurchschnittliche Inanspruchnahme des Sozialstaats. Am allergefährlichsten ist jedoch aus meiner Sicht der kulturelle Einfluss der islamischen Religion bei einem großen Teil der Zuwanderer nach Deutschland und Europa.

Die Rolle der Religion

Im Kapitel »Zuwanderung und Integration« von Deutschland schafft sich ab hatte ich mich 2010 intensiver mit der Rolle des Islam und der Einwanderung von Muslimen nach Deutschland und Europa auseinandergesetzt. Dieses Kapitel erfuhr seinerzeit positiv und negativ die bei Weitem größte Resonanz.

2018 widmete ich mit Feindliche Übernahme dem Islam und der Einwanderung von Muslimen nach Deutschland und Europa ein ganzes Buch. Ich kam dort zu dem Schluss, dass es kein Land der Welt gibt, »in dem die Muslime in der Mehrheit sind und die Nichtmuslime volle Gleichberechtigung genießen. Mehrheitsislam und eine freiheitliche Gesellschaft schließen sich offenbar aus.«Um eine muslimische Mehrheit in Deutschland und Europa zu verhindern, schlug ich vor, die Einwanderung von Muslimen grundsätzlich zu unterbinden und falsche Anreize im Sozialsystem zu beseitigen.59 Auch die aus Somalia stammende Politikwissenschaftlerin Ayaan Hirsi Ali fordert in ihrem neuen Buch zu Islam, Einwanderung und Frauenrechten, dass die künftige Einwanderung so lange bei null liegen solle, bis das Assimilationsproblem für die bei uns lebenden Muslime gelöst ist. Der Umgang mit dem Coronavirus habe gezeigt, dass Abriegelung gegen unerwünschte Wanderungsbewegungen sehr wohl möglich sei, wenn der politische Wille dazu bestehe.60

Die Möglichkeit einer künftigen geistigen Reform des Islam schließe ich nicht aus, aber diese Aufgabe kann nur von den Muslimen selbst geleistet werden und ist bislang in der islamischen Welt nur ein Projekt kleiner Minderheiten. »Außer den Büchern einiger islamischer Intellektuelle in Europa gibt es dazu wenig.«61

In meiner Analyse wurde deutlich, dass der politische Islamismus bis hin zum Terror– das zeige ich, ausgehend von den Texten des Korans – eine logische Konsequenz der Lehren Mohammeds, wenn man die Texte des Korans für die offenbarte Wahrheit nimmt, wie das die Mehrheit der islamischen Religionsgelehrten und die Mehrheit der Muslime seit jeher tut.

Feindliche Übernahme bot den endgültigen Anlass für meinen Ausschluss aus der SPD. Damit, dass ich Demokratiefeindlichkeit, Frauenunterdrückung und Terror unmittelbar auf den Islam selbst zurückführte, war ich offenbar für die Meinungstoleranz meiner ehemaligen Parteigenossen zu weit gegangen.

Ein demokratischer und pluralistischer Islam ist wünschbar, und eine künftige Entwicklung dahin will ich nicht grundsätzlich ausschließen. An diese Hoffnung halten sich auch andere scharfe Kritiker des politischen Islamismus und der von ihm ausgehenden Gefahren wie die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter62 oder der Migrationsforscher Ruud Koopmans.63 Beide vermeiden es, die Religion des Islam für die Tendenzen zu ihrer Pervertierung verantwortlich zu machen. Aber beide kritisieren auch, dass es der deutschen Islampolitik an einer klaren Abgrenzung zu islamistischen Institutionen fehlt. Mit dem Vorwurf der Islamophobie werden regelmäßig Kritiker von islamistischer Gewalt und Repression zum Schweigen gebracht.64

Angesichts der Millionen von Muslimen, die bereits in Deutschland und in anderen Ländern Europas leben, scheut die herrschende Politik offenbar die politischen Konsequenzen einer grundsätzlichen Analyse. Mit der Position, nicht der Islam, sondern allein der politische Islamismus sei das Problem, verschanzen sich die Eliten in Deutschland und Europa hinter einer bequemen Lebenslüge. Es fehlt eine Antwort auf die Frage, was denn passiert, wenn die Mehrheit der Muslime in Deutschland und Europa, die bei unveränderter Einwanderungspolitik in wenigen Jahrzehnten zur Bevölkerungsmehrheit wird, einem fundamentalistischen Islam anhängt und entsprechend auch ihre demokratischen Rechte wahrnimmt.

Die deutsche Politik verschließt vor diesen Problemen mehrheitlich die Augen: Der aus Ägypten stammende Politologe Hamed Abdel-Samad war zehn Jahre lang Mitglied der vom Bundesinnenministerium initiierten Islamkonferenz. Im November 2020 trat er unter Protest aus und bezeichnete sie als »Trümmerhaufen, der sich auf drei Themen reduziert: Imam-Ausbildung, muslimische Seelsorge und Islamunterricht«. Was dort betrieben werde, sei »Selbstaufgabe, keine Integrationspolitik«. Abdel-Samad kritisiert den Einfluss der Islamverbände, die nur eine Minderheit der deutschen Muslime vertreten und unter islamistischem Einfluss stehen: »Die meisten dieser Verbände sind verlängerte Arme ausländischer Regierungen wie der Türkei oder von Bewegungen wie den Muslimbrüdern oder den Salafisten in den Golfstaaten.« Anlass für seinen Austritt aus der Islamkonferenz war, dass diese Verbände künftig für die Ausbildung von Imamen in Deutschland zuständig sein sollen. Aus seiner Sicht haben die Verbände »kein Interesse daran, dass Muslime sich den Deutschen annähern. Denn ihre Existenzberechtigung ist die Kluft, die zwischen den Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft steht. Leider finanziert der Staat die Einflussnahme dieser Gruppierungen auf die hier lebenden Muslime auch noch. Ich habe da jetzt ehrenamtlich zehn Jahre den Zaungast gespielt, doch unsere Regierung ist in Sachen Islam nicht beratbar.«65

Für den in Deutschland praktizierten Umgang mit dem Islam drängt sich mir der Vergleich mit dem Marxismus auf: Viele Jahrzehnte lang, bis heute, unterschieden Intellektuelle und Politiker gern zwischen der »eigentlichen« marxistischen Lehre und den »Pervertierungen«, die diese in den kommunistischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts erfuhr. Diese Unterscheidung war niemals tragfähig. Ohne definierte Eigentumsrechte und wirtschaftliche Freiheiten muss jede Zentralverwaltungswirtschaft zwangsläufig in Diktatur und Gewaltherrschaft enden. Ähnlich ist es mit dem Islam: Wo allein der Glaube an Allah und die Unterwerfung unter seine Gebote die Quelle legitimer Herrschaft ist, können Demokratie und Freiheit nicht gedeihen.

Im Oktober 2020 wurde Frankreich erneut durch zwei besonders spektakuläre islamistische Attentate erschüttert:

Am 16. Oktober enthauptete ein aus Tschetschenien stammender Attentäter in einem Pariser Vorort den Lehrer Samuel Paty, weil er anhand von Mohammed-Karikaturen das Thema Meinungsfreiheit im Unterricht besprochen hatte.Am 29. Oktober tötete ein Attentäter aus Tunesien in der Kathedrale von Nizza drei Kirchenbesucher. Der Attentäter war wenige Tage zuvor über die Insel Lampedusa illegal nach Europa eingereist.

Als Reaktion übte der französische Präsident Emmanuel Macron in offiziösen Stellungnahmen grundsätzliche Kritik am politischen Islam und verteidigte den westlichen Begriff von Meinungsfreiheit. Der türkische Präsident Erdoğan bezweifelte daraufhin Macrons geistige Zurechnungsfähigkeit und rief die islamische Welt zu einem Boykott französischer Waren auf. In zahlreichen islamischen Ländern kam es zu antifranzösischen Demonstrationen.

Die politische Unterstützung aus Deutschland für die klare Positionierung Macrons und für den Kampf der französischen Gesellschaft gegen den Islamismus fiel lau aus. Bundeskanzlerin und Bundespräsident schwiegen zunächst, ebenso linke Intellektuelle und linksliberale Medienvertreter. Auch als in Berlin nach den Ereignissen in Frankreich Morddrohungen muslimischer Schüler gegen ihre Lehrer bekannt wurden, erhob sich nur wenig Protest.66 Es ist zwar in jeder Hinsicht ganz falsch, islamistische, linksextreme und rechtsextreme Gewalt gegeneinander aufzurechnen. Gleichwohl wird man den Eindruck nicht los, dass hier unter den Meinungsführern Deutschlands mit unterschiedlichem Maß gemessen wird. Erst das islamistische Attentat in Wien am 2. November 2020 mit fünf Toten und 22 Verletzten führte dazu, dass der islamistische Terror auch bei Medien und Politik in Deutschland wieder stärker in den Fokus geriet. Ob sich hieraus dauerhafte Einsichten ergeben, bleibt abzuwarten.

In der deutschen und europäischen Wirklichkeit können die kombinierten Wirkungen von Asylpraxis und offenen Grenzen zu ganz absurden Folgen führen:

Am 4. Oktober 2020 ermordete der abgelehnte Asylbewerber Abdullah A. in Dresden einen Touristen und verletzte einen anderen schwer. Er war islamistischer Gefährder und hatte in Deutschland bereits eine lange Serie von Straftaten hinter sich gebracht. In sein Heimatland Syrien konnte er bislang nicht abgeschoben werden, weil dort noch Krieg herrscht. Um ihn und die 600 weiteren islamistische Gefährder, die es nach offiziellen Angaben in Deutschland gibt, zuverlässig zu bewachen, müsste Deutschland allein für diesen Zweck 12 000 Polizisten einsetzen. Das geben die Ressourcen nicht her, und so bleiben die meisten Gefährder zwangsläufig unbewacht. Lösungen gibt es keine, und wirklich diskutiert wird die Frage in Deutschland auch nicht.67Der tunesische Attentäter, der am 29. Oktober 2020 in der Kathedrale von Nizza drei Menschen ermordete, war an einem sonnigen Herbsttag so wie Hunderte andere am selben Tag in einem kleinen Boot über das Mittelmeer von Tunesien nach Lampedusa gekommen. Von dort brachte ihn der italienische Staat nach Bari. In Bari wurde er mit der schriftlichen Auflage, das Land innerhalb von sieben Tagen zu verlassen, in die Freiheit entlassen. Er machte sich auf den Weg nach Frankreich, wo er unverzüglich das Attentat in Nizza beging.68

Beide Geschehnisse geben eine bestürzende Momentaufnahme der deutschen und europäischen Migrations- und Asylpolitik wieder. Offene Grenzen und fehlende Rückführungsmöglichkeiten vereinen sich in der Absurdität ihrer Gesamtwirkung. Man muss weiter hoffen, dass hier eine Umkehr, die möglich wäre, politisch durchgesetzt wird. Konkrete Vorschläge dazu habe ich in Der Staat an seinen Grenzen im September 2020 vorgelegt.

Solange man jeden illegalen Einwanderer ins Land lässt – auch dann, wenn er erkennbar keinen Asylanspruch hat –, und solange man leugnet, dass die Problematik des politischen Islamismus im Islam selbst liegt und von dieser Religion nicht zu trennen ist, wird es weder eine richtige Ursachenanalyse noch adäquate Gegenmaßnahmen geben

Die Exiliranerin Monireh Kazemi schrieb im November 2020 anlässlich der Mordtaten in Frankreich und Österreich: »Es ist eine Tatsache, dass ein nicht zu unterschätzender Anteil junger Männer mit islamistischer Prägung unsere säkulare, aufgeklärte Gesellschaft verachtet und aus dieser Verachtung keinen Hehl macht. Und als Exiliranerin, die diese Entwicklungen nur zu gut kennt aus meiner eigenen Jugend in Iran, warne ich eindringlich davor, das zu ignorieren. Denn die Erfahrung, die wir iranischen Frauen 1979 machen mussten, darf sich in Deutschland auf keinen Fall wiederholen.«69

Jenseits der Fakten: Worum es bei der Aufregung um Deutschland schafft sich ab eigentlich ging und bis heute geht

Mit der Perspektive, die ich in Deutschland schafft sich ab einnehme, habe ich einer zentralen axiomatischen Grundannahme unserer Gegenwartskultur widersprochen: Diese lautet, dass Biologie, Herkunft, geistige Gaben, Kultur, Religion und Geschlecht für Individuum und Gesellschaft keine Rolle spielen dürfen und dass in der Leugnung dieser Unterschiede die Zukunft der Menschheit liegt. Ich meine dagegen, dass wir in der Gesellschaft Fairness und Chancengleichheit brauchen und von beiden gar nicht genug haben können. Auf dieser Grundlage soll dann jeder seine Anlagen und Talente bestmöglich entfalten können und sie einsetzen, wie er es möchte. Für die Ergebnisse und die dadurch bewirkten Unterschiede sind Staat und Gesellschaft jedoch nicht zuständig.

Die langfristige trendmäßige Kombination von

sinkender Bildungsleistungsinkendem Einfluss deutscher und abendländischer Kulturabsehbarer Entwicklung zu einer muslimischen Bevölkerungsmehrheitund anhaltender Rolle eines demokratiefeindlichen politischen Islam,

die ich 2010 in Deutschland schafft sich ab beschrieben habe, hat sich durch die seitdem eingetretene Entwicklung nicht nur bestätigt, sondern auch beschleunigt. Das finde ich sehr besorgniserregend.

Es betrübt mich, dass der größte Teil unserer medialen und politischen Eliten für die darin liegenden Gefahren überhaupt kein Sensorium zu haben scheint. Stattdessen werden jene abgewiesen und verteufelt, die auf diese Gefahren hinweisen.

In jeder Generation und in wechselnden gesellschaftlichen Situationen muss jeweils neu ausgehandelt werden, welche Perspektiven und Sichtweisen in der Gesellschaft vorherrschen sollen. Die dominierenden Sichtweisen ändern sich sowieso kontinuierlich mit der Entwicklung der Gesellschaft. Ich halte es für überwiegend wahrscheinlich, dass sich die Gesellschaft in Deutschland und Europa in eine Richtung entwickelt, die ich sehr kritisch sehe. Ich habe meine Argumente vorgetragen, so gut ich es vermochte, und mit meinen Einschätzungen nicht hinter dem Berg gehalten. Im Deutschland und Europa, das es in 50 oder 80 Jahren geben wird, müssen jene leben, die heute jung oder noch nicht geboren sind. Ihnen wünsche ich Einsicht und Fortune. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass man, indem man die Wirklichkeit genau in den Blick nimmt, vielleicht doch das eine oder andere in eine positive Richtung wenden kann. Deshalb habe ich Deutschland schafft sich ab geschrieben, und das ist seine dauerhafte Botschaft.

Thilo Sarrazin

Berlin, im Januar 2021