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Ein Eid, geleistet für immer. Ein Schwur, verankert im Innern. Mit seiner neu gegründeten Gilde Allianz der Sonne hat Anführer Lichtfels die zweitgrößte Stadt Brayken befreit und damit den Widerstand im Land Dekar geweckt. Der tyrannische König schmiedet allerdings heimtückische Pläne, um nicht nur Brayken zu vernichten, sondern auch Lichtfels und seine Gefährten zu unterwerfen. Wieder einmal müssen sich die dekarischen Kämpfer trennen, um im ganzen Land weitere Verbündete auf ihre Seite zu ziehen. Aber die Furcht vor dem übermächtigen Tyrannen ist groß und die Aussicht auf Unterstützung entsprechend gering. Daher trifft Lichtfels eine folgenschwere Entscheidung, die nicht nur das Ende der Gilde, sondern auch seines Lebens bedeuten könnte. Wird er damit tatsächlich einen blutigen Krieg verhindern und seinen Eid halten, das Volk zu beschützen?
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Seitenzahl: 536
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Informationen zum Buch
Impressum
Widmung
Landkarte
Zitat Aliya
Was bisher geschah …
Prolog
Kapitel 1 - Wie in alten Zeiten
Kapitel 2 - Das blaue Gewölbe
Kapitel 3 - Wiedersehen in der Nacht
Kapitel 4 - Lichtfels’ Erinnerung: Auf der Suche nach Namen
Kapitel 5 - Der Feind naht
Kapitel 6 - Hilfe aus dem Norden
Kapitel 7 - Lichtfels’ Erinnerung: Bei der Eröffnung
Kapitel 8 - Im Roteichenwald
Kapitel 9 - Der Bund der Geheimen Soldaten
Kapitel 10 - Gegen die Zeit
Kapitel 11 - Vor den Toren
Kapitel 12 - Die Zeit läuft
Kapitel 13 - Eid der Kämpfer
Kapitel 14 - Lichtfels’ Erinnerung: In der Menge
Kapitel 15 - Versprechen
Kapitel 16 - Der gefangene Lichtelf
Kapitel 17 - Hoffnung und Schmerz
Kapitel 18 - Lichtfels’ Erinnerung: Auf der Suche nach einer Lösung
Kapitel 19 - Schwere Bürde
Kapitel 20 - Die Ehrwürdigen Alten
Kapitel 21 - Lichtfels’ Erinnerung: Vor der Abreise
Kapitel 22 - In Gefangenschaft
Kapitel 23 - Der einäugige Schütze
Kapitel 24 - Mit der Kraft der Faust
Kapitel 25 - Lichtfels’ Erinnerung: In der Erde-Arena
Kapitel 26 - Flüsternde Bäume
Kapitel 27 - Dunkle Vorahnung
Kapitel 28 - Geladene Stimmung
Kapitel 29 - Unter dem Banner Relikts
Kapitel 30 - Ein unerwarteter Gast
Kapitel 31 - Duell der Heiler
Kapitel 32 - Eisiges Gespräch
Kapitel 33 - Lichtfels’ Erinnerung: Im Bergwerk
Kapitel 34 - Der Mittelsmann
Kapitel 35 - Eine Entscheidung fällt
Kapitel 36 - Die Schülerin und ihr Meister
Kapitel 37 - Lichtfels’ Erinnerung: Auf der Suche nach Worten
Kapitel 38 - Zwischen den Hundertschaften
Kapitel 39 - Die Grenze im Osten
Kapitel 40 - Syderia
Kapitel 41 - Lichtfels’ Erinnerung: In der Wettkampfarena
Kapitel 42 - Elfenfreundschaft
Kapitel 43 - Die Magie der Lichtelfen
Kapitel 44 - Lichtfels’ Erinnerung: Auf der Suche nach Mut
Kapitel 45 - Im Verlies
Kapitel 46 - Schlucht von Baergasei
Kapitel 47 - Fremde Augen
Kapitel 48 - Lichtfels’ Erinnerung: Auf der Suche nach dem Freund
Kapitel 49 - Der Willensbrecher
Kapitel 50 - Bruder und Schwester
Kapitel 51 - Über den Dächern
Kapitel 52 - Feuer und Eis
Kapitel 53 - Duell der Beschwörer
Kapitel 54 - Auf dem Weg nach Lonikka
Kapitel 55 - Lichtfels’ Erinnerung: Auf dem Übungsplatz
Kapitel 56 - Bote der Nacht
Kapitel 57 - Feror
Kapitel 58 - Schatten über Brayken
Kapitel 59 - Gift in der Luft
Kapitel 60 - Diamantenseele
Epilog
Dank
Glossar
Namensverzeichnis
Stefanie Karau
Die Allianz der Sonne
Band 1
Fantasy
Die Allianz der Sonne (Band 2)
Ein Eid, geleistet für immer.
Ein Schwur, verankert im Innern.
Mit seiner neu gegründeten Gilde Allianz der Sonne hat Anführer Lichtfels die zweitgrößte Stadt Brayken befreit und damit den Widerstand im Land Dekar geweckt.
Der tyrannische König schmiedet allerdings heimtückische Pläne, um nicht nur Brayken zu vernichten, sondern auch Lichtfels und seine Gefährten zu unterwerfen.
Wieder einmal müssen sich die dekarischen Kämpfer trennen, um im ganzen Land weitere Verbündete auf ihre Seite zu ziehen. Aber die Furcht vor dem übermächtigen Tyrannen ist groß und die Aussicht auf Unterstützung entsprechend gering. Daher trifft Lichtfels eine folgenschwere Entscheidung, die nicht nur das Ende der Gilde, sondern auch seines Lebens bedeuten könnte. Wird er damit tatsächlich einen blutigen Krieg verhindern und seinen Eid halten, das Volk zu beschützen?
Die Autorin
Stefanie Karau, geboren im April 1990 in Torgau, lebt mit ihrem Mann und zwei Katzen in der Literatur- und Buchstadt Leipzig.
Während sie sich hauptberuflich mit Zahlen beschäftigt, ist sie in ihrer Freizeit von Büchern und fantastischen Geschichten umgeben. So betreibt sie einen Bücherblog, besucht gerne Buchmessen oder trifft sich mit anderen Autoren.
Schreiben ist ihre Leidenschaft, ihre Fantasie kennt keine Grenzen, daher möchte sie jeden einladen, auch in ihre magischen Welten einzutauchen. Wenn sie nicht gerade schreibt, ist sie häufig im Kino anzutreffen, verwandelt sich in Online-Rollenspielen in eine Heldin oder unternimmt etwas mit Familie und Freunden.
www.sternensand-verlag.ch
1. Auflage, Mai 2023
© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2023
Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski
Lektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig
Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH
Satz: Sternensand Verlag GmbH
ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-268-7
ISBN (epub): 978-3-03896-269-4
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Für alle,
die an ihre Träume glauben
und die Hoffnung nicht aufgeben.
Jene, die für dich kämpften,
schworen dir die Treue.
Jene, die nie vergaßen,
träumten von der Rückkehr.
Jene, die dein Licht sahen,
schöpften neue Hoffnung.
Jene, die an dich glaubten,
nannten sich Allianz.
Jene, die dem Schatten trotzen,
folgen dir bis zum Schluss.
(Aliya)
Lichtfels, der ehemalige Anführer der Gilde Schwarze Allianz, kehrt nach fünf Jahren von einer geheimen Mission in sein Heimatland Dekar zurück.
Das einst prachtvolle ›Land der Kämpfer‹ ist kaum wiederzuerkennen. Es herrscht ein König über das Land, der die Menschen unterjocht und der jeglichen Widerstand gegen sein Regime mit brutaler Gewalt niederschlägt.
Deshalb entscheidet Lichtfels, seine Gildengefährten wieder zu vereinen, und sucht das Geheimversteck der Schwarzen Allianz auf, um auf dem Plateau des Nordens eine Lichtsäule heraufzubeschwören, die in einigen Teilen des Landes gesehen wird. Er ist nicht allein dort, denn sein Freund, der Dunkelelf Blaeck, hat sich jahrelang im Tal aufgehalten.
Die Halbelfe und Heilerin Aliya sieht dieses Zeichen und bricht sofort auf, um dem Licht auf die Spur zu gehen, da sie daran zweifelt, ob es sich um Lichtfels handelt. Auf dem Weg dorthin trifft sie auf alte Freunde, unter ihnen auch Wibatem, ein Drachenbeschwörer, für den sie Gefühle hegt.
Nicht allzu weit entfernt ist die schwangere Heilerin Lara mit dem Magier Angelo unterwegs zum Geheimen Tal, als sie auf eine Patrouille der verfeindeten Gilde Relikt trifft. Sie erfährt, dass die Schwarze Allianz vor fünf Jahren beim Turnier ›Kampf des Stärkeren‹ hintergangen wurde. Nach einer Auseinandersetzung müssen Lara und ihr Kamerad flüchten. Es gelingt ihnen, das Tal zu erreichen und auf Lichtfels sowie die anderen Gefährten zu treffen.
Wiedervereint mit einem Großteil seiner Anhänger, schmiedet Lichtfels Pläne über den bevorstehenden Weg und entscheidet, zur Stadt Brayken zu ziehen, wo sich der Sitz der Kämpferakademie befindet. Sie bereiten sich auf die Weiterreise vor und nennen sich von nun an Allianz der Sonne. Allerdings werden sie in der Nacht von Relikt unter dem Kommando von Lichtfels’ ehemaligem Gildenmitglied Avalanze überrascht. Es bricht ein Feuer im Tal aus, was die Allianz zur Flucht veranlasst. Sie schaffen es mit weiteren befreundeten Kämpfern, die ihnen zu Hilfe eilen.
Über einen Bergpass gelangt die Allianz in den nahe gelegenen Wald und von dort aus zu einem See, bei dem sich der Eingang zu einer Höhle befindet, die zu den Katakomben von Brayken führt.
Der lange Weg durch die Dunkelheit und das Überqueren der ›Brücke der Täuschung‹ hat Verluste und Konflikte unter den Gefährten zur Folge. Ein Teil der Allianz trennt sich von Lichtfels, als dieser seine Beweggründe preisgibt, warum er vor fünf Jahren das Land verlassen hat.
Denn Lichtfels sucht ein Königsblut, eine Person mit königlicher Abstammung, die auf dem Thron von Dekar anstelle des aktuellen Tyrannen Platz nehmen darf. Er ist der festen Überzeugung, dass der derzeitige König, Diamantenseele, ein Betrüger ist, denn es handelt sich dabei um einen ehemaligen Jugendfreund von Lichtfels.
Die Mehrheit der Gilde bleibt bei ihm, um ihn bei dieser Aufgabe zu unterstützen, damit das Land einer besseren Zukunft unter einem neuen Herrscher entgegensieht.
Über das unterirdische Labyrinth dringen Lichtfels und seine Freunde in die Stadt Brayken ein, die von den befeindeten Gilden Schattenjäger und Primeas besetzt ist. Die Zeit drängt, da eine Hinrichtung stattfindet, bei der ein Kamerad gehängt werden soll.
Es bricht ein Kampf mitten in der Stadt aus, den die Allianz knapp mit Hilfe der Einwohner von Brayken und der Schüler der Akademie gewinnt. Die Verluste und Verletzungen sind groß, aber die Allianz der Sonne ist nicht mehr aufzuhalten.
In den Verliesen von Brayken stoßen Lichtfels und seine Freunde auf den letzten Widerstand, den sie niederringen. Sie befreien die Gefangenen, auch Lichtfels’ besten Freund und Laras Gemahl Jacki, der jedoch niemanden erkennt. Der Willensbrecher, ein Dunkelelf, der dem König dient, hat seine Erinnerungen verfälscht.
Kaum ist die Schlacht geschlagen, setzen Laras Wehen ein, und mit der Unterstützung von Aliya gebärt sie einen gesunden Jungen. Der Dunkelelf Blaeck schafft es derweil, Jackis Erinnerungen wiederherzustellen, sodass die kleine Familie endlich glücklich zusammenleben kann.
Der Sieg in Brayken hat die Zuversicht der Gilde gestärkt und der Bevölkerung Hoffnung gegeben, die Tyrannei des Königs nicht mehr lange erdulden zu müssen.
Das Stadtzentrum wird wiederaufgebaut, Wibatem schmiedet neue Waffen für Lichtfels und bei einer Zeremonie in der Halle des Ruhmes wird die Allianz der Sonne vereidigt und Lichtfels offiziell zu deren Anführer ernannt.
Lichtfels’ Erinnerung: in den Wäldern
25 Jahre zuvor …
Der Wind pfiff an meinen Ohren, als ich über die Lichtung rannte. Meine Füße und Beine schmerzten, die Fingerspitzen bohrten sich in die Handflächen, und mein Herz klopfte einen Trommelwirbel.
Immer wieder sah ich zurück, durfte jedoch nicht stehen bleiben.
Die dumpf auf den Boden schlagenden Tatzen näherten sich mir unweigerlich und ich konnte nichts dagegen ausrichten.
Weiterrennen, einfach weiterrennen!
Mein Hals brannte, und ich schluckte trocken. Mir war heiß, unendlich heiß.
Schweiß lief mir über Rücken und Gesicht, während ich so schnell rannte, dass ich dachte, ich flöge. Das Gras spürte ich schon längst nicht mehr unter meinen Füßen.
Oft genug hatte meine Mutter mir gesagt, ich solle nicht zu tief in den Wald gehen, aber meine Neugierde war nicht zu bändigen.
Das hatte ich nun davon.
»Verdammt!«, rief ich und etwas Spitzes auf dem Boden schnitt in mein Fleisch.
Ich schrie auf, stürzte und rollte den Erdboden entlang. Die Baumkronen drehten sich über mir im Kreis, und Schmutz brannte in meinen Augen.
Mein Fuß.
Ein Stechen jagte mir das Bein hinauf. Ich setzte mich auf und schaute auf den großen Zeh, der bereits anschwoll und blutete, aber das war es nicht, was mich erschreckte. Nur zwei Armlängen entfernt stand mein Verfolger vor mir.
Der Schwarzbär hatte sich auf seine Beine gestellt und knurrte.
Ich zog mich den Boden entlang, bis ich mit dem Rücken an einen Baumstamm stieß. Oben, links und rechts – kein Ausweg in Sicht. Weglaufen konnte ich nicht mehr und Klettern war mit dem Fuß unmöglich.
Ich krallte die Hände in die feuchte Erde und fluchte.
Mutter hatte recht gehabt. Die Gefahren lauerten überall. Wäre ich bei Vater im Bergwerk geblieben …
Während der Bär seine Pranke hob, fiel mein Blick auf die Krallen. Ich schluckte. Als ein erneutes Grollen mein Herz zum Zittern brachte, kniff ich die Augen zusammen.
Jeden Moment würde er mich treffen.
Meine Finger verkrampften sich.
Hätte ich nur auf sie gehört …
Das Blut rauschte in meinen Ohren.
Hätte ich nur …
Ich hielt den Atem an, doch es geschah nichts. Warum traf mich die Pranke nicht?
Vorsichtig öffnete ich die Lider einen Spalt breit und sog zischend Luft ein.
Der Bär stand mit gehobener Tatze vor mir, aber er bewegte sich nicht. Er schien zu Stein erstarrt zu sein.
Was zum …?
Die Luft flirrte, ehe sich eine Peitschenschnur um seine Pranke wickelte und ihn zurückriss. Er brüllte auf und ließ von mir ab.
Währenddessen fiel mein Blick auf die Person, die hinter ihm aufgetaucht war. Ein Kämpfer in silberner Rüstung.
Ich erkannte das Gesicht nicht, da er einen Helm trug, der bis auf die Augen alles bedeckte. Das Einzige, was herausstach, waren seine blau schimmernden Hände, die eine Peitsche umklammert hielten.
Mit ganzer Kraft zog der Silberne an dem Bären, wich flink dem drohenden Prankenhieb aus.
Wer war der Fremde? Trug er Handschuhe?
Der Bär holte immer wieder aus, aber seine Tatzen trafen nicht. Lahm bewegte er sich im Vergleich zum Kämpfer, der das Tier wiederholt mit der Peitsche schlug, sodass das Brüllen noch lauter durch den Wald echote. Er fiel auf seine Vorderpfoten und setzte zu einem Sprung an, um den Kämpfer zu erwischen.
Mir stockte der Atem.
Gekonnt wich der Silberne aus, indem er über das Gras an ihm vorbeirutschte.
Bevor er erneut mit der Peitsche ausholte, drehte er sie dreimal schwungvoll über dem Kopf und ließ die Peitschenschnur zum Hals des Tieres sausen, wo sie sich um sein Genick wickelte.
Der Bär brüllte auf, Speichel lief aus seinem Maul. Er versuchte, die Schnur zu lösen, und stemmte sich mit aller Kraft dagegen.
Der Silberne hielt ihn weiterhin fest, um nicht die Kontrolle zu verlieren, doch das Tier blieb nicht still. Es zerrte immer wieder an der Schnur, um meinen Beschützer aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Schlagartig änderte der Bär die Richtung und rannte zu dem silbernen Kämpfer, der stolperte und stürzte.
»Neeeiiin«, schrie ich und schlug mit den Fäusten auf den Boden.
Die Erde unter mir bebte, riss vor meinen Füßen auf und bildete einen breiten Graben, der sich einen Weg zum Bären bahnte, bevor dieser den silbernen Kämpfer erreichte.
Was? Bin ich das gewesen?
Der Bär stürzte in den Graben, rappelte sich aber knurrend auf. Immer wieder geriet er ins Schwanken, da er auf der nassen Erde abrutschte oder sich in den Wurzeln verfing. Nachdem er Kopf und Körper ausgeschüttelt hatte, suchte er einen anderen Weg. Dabei wurden seine Bewegungen schwerfälliger und die Peitschenschnur fiel von ihm ab.
Das Tier kletterte schnaubend heraus. Ein letztes Grollen verließ sein Maul und er preschte in den Wald, bis ich nichts mehr von ihm hörte.
Wir hatten ihn in die Flucht geschlagen.
Ich starrte auf meine zitternden Hände, den Graben und dann zu dem Kämpfer, der langsam aufstand und die Rüstung zurechtrückte. Mein Mund war so trocken, dass ich husten musste, als ich versuchte, zu schlucken.
Während der Fremde sich näherte, dachte ich an all die Fragen, die ich schon immer einem Kämpfer stellen wollte, doch ich bekam kein Wort heraus.
Er zog den Helm vom Kopf und zum Vorschein kam ein Dunkelelf mit raspelkurzem schwarzem Haar, dunklen Augen, violetten Lippen und tiefblauer Haut.
Der Anblick raubte mir den Atem. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen gesehen.
»Bist du wohlauf?«, fragte er freundlich.
Ich nickte wie mechanisch, ehe ich meine blutige Zehe betrachtete.
Auch seine Aufmerksamkeit wanderte dorthin. »Das haben wir gleich.«
Er ging in die Hocke und berührte vorsichtig meinen Fuß. Sanftes blaues Licht strömte aus seinen Fingerspitzen und ließ mich den Schmerz vergessen. Die Wunde verschwand, bis ich den Zeh wieder bewegen konnte. Als er die Hand wegnahm, deutete nichts mehr auf eine Verletzung hin. Nur das Blut war zu sehen, das bereits trocknete.
Ich berührte die verheilte Stelle und sofort klopfte mein Herz schneller, als ich begriff, was er war. »Ihr seid ein dekarischer Kämpfer!«
Der Dunkelelf schmunzelte und nickte. »Und du bist …?«
»Nur ein kleiner Junge«, sagte ich enttäuscht. Was würde ich dafür geben, auch so ein Kämpfer zu sein und nicht mehr unter den Fittichen meiner Eltern stehen zu müssen.
»Ich war auch einer vor vielen, vielen Jahren.« Er reichte mir seine Hand und zog mich auf die Beine.
Kurz schwankte ich, bis ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte.
»Vielleicht wirst du eines Tages auch ein dekarischer Kämpfer«, sagte er.
»Nein.« Resigniert schüttelte ich den Kopf. »Meine Mutter verbietet es. Sie meint, das Leben als dekarischer Kämpfer ist gefährlich und das wünscht sie mir nicht.«
»Da hat sie nicht unrecht.« Die Mundwinkel des Dunkelelfen zuckten. »Aber wenn sich niemand um die Gefahren kümmert, ist dann nicht auch das Leben eines kleinen Jungen gefährlich?« Seine Worte ließen mich grinsen. »Du bist mutig und hast Kraft in den Fäusten. Warum nicht den Weg eines dekarischen Kämpfers wählen?« Der Dunkelelf schaute auf, als würde er etwas hören. Ich bemerkte nichts zwischen den Bäumen und dem Gestrüpp.
Ich wollte so viel von ihm erfahren, aber in meinem Kopf herrschte Stille.
»Ich muss weiter, kleiner Junge.« Er zog seinen Helm über, sodass sein Gesicht abermals im Verborgenen lag. Die Peitsche steckte er in eine Schlaufe am Gürtel der Rüstung. »Wir sehen uns wieder«, flüsterte er und verneigte sich zum Abschied. Als sein Kopf auf meiner Höhe war, erkannte ich ein Lächeln in seinen Augen. »In Brayken.«
Ich nickte und verbeugte mich.
Noch ehe ich wieder aufblickte, war er verschwunden und nur der Graben im Boden wies darauf hin, was geschehen war.
Lichtfels
Gegenwart
Als Lichtfels das ›Wirtshaus zur eisernen Schmiede‹ betrat, war der Gastraum zur Hälfte mit Allianz-Mitgliedern gefüllt.
»Da ist er!« Gerri stand auf und hob seinen Krug schwankend in die Höhe, sodass Bier nach vorne schwappte. Es lief über seine Hände und die muskulösen Arme, die sonst meist eine Armbrust trugen.
Der Rest hielt die Trinkgefäße hoch und die Rufe überschlugen sich: »Lichtfels! Lichtfels!«
Er lächelte und setzte sich an die lange Tafel. Der Magier Jacki saß zu seiner Linken, der Dunkelelf Blaeck zu seiner Rechten. Die Halbelfe Aliya und der Beschwörer Wibatem hatten die Plätze gegenüber eingenommen, die anderen verteilten sich entlang des Tisches.
»Wie fühlst du dich, nun ganz offiziell als Anführer?«, erkundigte sich Wibatem, ehe Gerri ihn anstupste.
»Wie soll er sich schon fühlen, Junge?« Der Schütze setzte sich auf den freien Stuhl neben seinem Kameraden und zerzauste dessen kurzes braunes Haar.
»Ey.« Wibatem boxte Gerri in die Seite. »Du riechst, als hättest du in Bier gebadet.«
»Ja, das ist gut für die Haut. Es schmälert die Falten«, sagte Gerri halb singend und zog die Fältchen um seine Augen glatt.
»Hm, das sollte ich wohl auch mal ausprobieren.« Lichtfels rieb sich über die Stirn, schob das kinnlange braune Haar zurück und verkniff sich ein Lachen.
»Also?« Wibatem schaute ihn neugierig aus den zweifarbigen Augen an.
»Ich fühle mich großartig.« Schmunzelnd nahm Lichtfels einen Krug in die Hand. Er stieß mit seinen Gefährten an und trank das Bier in einem Zug leer.
Was für ein Genuss!
Das hatte er sich verdient nach der langen Reise vom Geheimen Tal durch die Katakomben und der Befreiung der Stadt Brayken. Seine neue Gilde Allianz der Sonne war gewachsen und er hatte sich als Anführer bewiesen.
Während Lichtfels sich mit dem Handrücken den Mund abwischte, rülpste Jacki laut und klopfte sich mit der Faust auf die Brust. Er erholte sich zwar von seiner Gefangenschaft, aber noch immer stach sein Schlüsselbein am Kragen der Tunika deutlich hervor und sein blondes Haar musste noch wachsen.
»Wo ist Lara?«, fragte Lichtfels seinen Magierfreund.
Jacki lehnte sich entspannt zurück und sah ihn mit seinen stahlgrauen Iriden an. »Sie hat sich mit Larson zurückgezogen.«
»Verstehe.« Er machte es ihm nach. »Es ist schön, euch wieder vereint zu sehen.«
Erleichtert betrachtete Jacki die Walnüsse und den Humpen vor sich. »Ich bin dir und der Allianz zu unendlichem Dank verpflichtet.«
Lichtfels schüttelte den Kopf. »Nicht dafür, mein Freund.«
»Oh doch. Ohne euch säße ich nicht hier.«
»Wirst du etwa sentimental?«, rief Gerri dazwischen und grinste wie ein Luchs.
Jacki schnippte mit dem Finger, sodass eine Flamme, kaum größer als die eines Zündholzes, um seine Hand züngelte. »Niemals. Gib mir nur etwas Zeit und dann erfährst du, wie sentimental du werden kannst.«
»Das möchte ich sehen.« Lichtfels schmunzelte.
»Bei dem Duell wären wir alle gern dabei«, warf Paco neben Blaeck ein. Ein Lächeln breitete sich auf seinem bubenhaften Gesicht aus. »Wie wäre es mit einem Turnier, nur in unseren Reihen?«
»Dia!« Angelo, der makhenische Magier, klatschte. »Gute Idee.«
»Ich möchte kein Spielverderber sein«, Lichtfels verschränkte die Hände auf dem Tisch, »aber spart euch eure Kräfte, noch ist kein Ende in Sicht.«
Die Allianz hatte zwar Brayken befreit, dennoch herrschte Diamantenseele über das Land. Erst wenn Lichtfels und seine Gefährten den Thron von dem Tyrannen befreien und einen rechtmäßigen Erben finden würden, könnte wieder Frieden einkehren.
Paco stöhnte. »Schade.«
»Du hast ja recht«, brummte Angelo. Er versuchte, ernst zu bleiben, bis sich ein Schmunzeln auf seine vollen Lippen stahl. »Spielverderber.«
Lichtfels’ Mundwinkel zuckten, doch sein Lächeln verschwand so schnell, wie es gekommen war. Auch er sehnte sich nach Normalität. In den Wochen, in denen er und seine Gilde nur an Turnieren teilgenommen hatten, mussten sie sich auf nichts anderes konzentrieren. Sie konnten sich vollends ihrer Leidenschaft, dem Kämpfen, hingeben.
»Wir haben noch einen weiten Weg vor uns«, sagte er, leiser als zuvor. »Und meine größte Prüfung steht mir noch bevor.«
Er dachte an Lonikka, die Hauptstadt des Landes, den Ort, an dem sein Feind sich aufhielt. Dort musste er eines Tages hin und ihn bekämpfen.
»Du sprichst von Diamantenseele.« Jacki zerknackte eine Nuss zwischen den Handflächen.
Lichtfels nickte. Er ließ seinen Krug wieder auffüllen und nahm einen Schluck Bier.
»Ich konnte ihn noch nie leiden«, grummelte der Magier.
Lichtfels’ Gedanken schweiften zurück in seine Kindheit. Fünfundzwanzig lange Jahre waren seitdem vergangen.
Diamantenseele war im selben Dorf aufgewachsen wie er. Sie hatten sich oft nach der Schule und dem Bergwerk getroffen, nutzten jede freie Zeit, um den Wald nach Geheimnissen und Schätzen zu durchsuchen, bis Diamantenseeles Familie weggezogen war und ihn zur Kämpferakademie in Brayken geschickt hatte.
Als Lichtfels zwei Jahre später entschied, seine Heimat zu verlassen, trafen sie sich in der Akademie wieder. Dort stellte er schnell fest, dass Diamantenseele sich verändert hatte. Sein alter Freund existierte nicht mehr.
»Überheblich, machtgierig und arrogant ist er«, fuhr Jacki fort.
»Er war nicht immer so«, murmelte Lichtfels und schluckte den bitteren Beigeschmack herunter. Sein Blick fiel auf die furchige Schale einer Walnuss, die schwarz angelaufen war.
Blaeck räusperte sich. »Hast du etwas über die Boten in Erfahrung gebracht?«
Sofort schüttelte Lichtfels den Kopf. Vor wenigen Stunden hatte ihn jemand vom Rat der Stadt um Hilfe gebeten, weil Boten aus Syderia und Feror vermisst wurden. »Nein. Ich vermute, dass Diamantenseele uns von der Außenwelt abschneiden möchte. Auch Händler gelangen aktuell nicht nach Brayken, aber Späher sind schon unterwegs.«
»Es war absehbar, dass das passiert.« Blaeck wandte sich ihm zu. »Die Sorgen der Einwohner nehmen von Tag zu Tag zu. Ich spüre es.«
»Ich weiß. Wir müssen handeln.« Nachdenklich fuhr sich Lichtfels über das stoppelige Kinn.
Seit einigen Wochen hielt sich die Allianz in Brayken auf, hatte sich langsam von dem Befreiungsschlag erholt und um den Wiederaufbau der Stadt gekümmert. Bald mussten sie aber aufbrechen, um nach einem Königsblut, einem Erben des Thrones, zu suchen.
Der Dunkelelf nickte. Bevor er etwas ergänzen konnte, rief Angelo erfreut: »Seht euch das an!«
Zwei Mägde betraten den Gastraum und trugen ein Spanferkel zur Tafel.
»Endlich!«, rief Hurik durch den ganzen Raum. Seine Fäuste knallten auf die Tischplatte, was sämtliche Teller zum Scheppern brachte.
»Hurik«, ermahnte ihn seine Gemahlin Bianka und berührte ihn an den breiten Oberarmen.
»Verzeih.« Der Faustkämpfer beugte sich zu der zierlichen Magierin hinunter und gab ihr einen Kuss.
Paco und Keni zückten ihre Jagdmesser, die die Schützen immer bei sich trugen.
Lichtfels’ Magen knurrte bei dem köstlichen Duft. Er überlegte, wann er das letzte Mal ein Spanferkel gesehen und gegessen hatte, aber es fiel ihm nicht ein.
Die jüngere Magd zog ein langes geriffeltes Fleischmesser hervor und wollte den Braten anschneiden, als Gerri ihr das Messer aus der Hand zog. »Eine Frau sollte nicht mit Waffen spielen.«
Aliya sah ihn mit zusammengezogenen Brauen und schmalen Augen an. »Das habe ich gehört, Gerri.«
Der Armbrustschütze lachte schelmisch und schenkte der Magd ein breites Lächeln, sodass sie rot wurde und sich zurück hinter die Theke begab, an der sie frisches Bier zapfte. Ihr Blick ruhte aber weiterhin auf ihm.
Nachdem Gerri das Spanferkel zerschnitten hatte, griff die Allianz zu und aß, bis nur Knochen übrig blieben. Dazu gab es Brot, Kartoffeln und Käse, noch mehr Bier und Wein.
Lichtfels lachte viel während des Essens und lauschte bis tief in die Nacht den Geschichten. Jene über die Jagd nach den Drachenechsen, die er zusammen mit Jacki und Blaeck bestritten hatte, hörte er dabei am liebsten. Es handelte sich um die Nacht, in der sie auf Wibatem und Gerri getroffen waren.
Der Armbrustschütze erzählte seiner Magd jedes kleinste Detail und imponierte ihr von Stunde zu Stunde mehr. Sie hing an seinen Lippen und er an ihren Brüsten.
Bianka und Hurik sangen alte Volkslieder, der Schwertkämpfer Tics und der Faustkämpfer Splin würfelten um die Wette, andere tranken oder aßen an der Tafel. Paco war der Erste, der schlaftrunken zu Boden stürzte, was zu lautem Gelächter führte. Fahrig strich er sich durch das aschblonde Haar, um wach zu werden.
»Nehmt euch ein Zimmer!«, rief jemand Wibatem und Aliya zu, die sich vom Tisch entfernt hatten und ineinander verschlungen am Fenstersims standen.
Wärme erfüllte Lichtfels beim Anblick der beiden, die sich nach den fünf Jahren der Trennung wiedergefunden hatten. Er gönnte Aliya das Glück und die Liebe.
Jacki taumelte derweil von Theke zu Tisch und wieder zurück, bis er sich dem Ausgang näherte und schwankend am Türrahmen festhielt.
Lichtfels wollte sich erheben, als Wibatem ihm die Hand auf die Schulter legte.
»Wir begleiten ihn zum Anwesen«, schlug der Beschwörer vor. »Genieß du ruhig noch den Abend.«
»Ich danke euch«, sagte er und Aliya lächelte ihn an.
Er beobachtete die drei beim Verlassen des Gastraumes. Dann bemerkte er, dass Blaeck wie versteinert neben ihm saß, die Fäuste so fest zusammengeballt, dass die Knöchel hervortraten.
Wie in Trance schaute der Dunkelelf zur Theke, aber Lichtfels wusste, dass er sie nicht sah. Sein Blick glitt in die Ferne, Lichtfels erkannte es an seinen grauen Augen, die nicht mehr klar, sondern trüb glänzten.
Die anderen schienen davon nichts mitzubekommen, so sehr waren sie in die Gespräche und Gesänge vertieft.
»Blaeck?« Vorsichtig sprach Lichtfels den Heiler an, doch er reagierte nicht. Stattdessen hob und senkte sich sein Brustkorb immer schneller.
Was war mit ihm?
»Blaeck«, wiederholte Lichtfels deutlicher. Er rüttelte ihn an der Schulter.
Der Dunkelelf zeigte immer noch keine Regung, und Lichtfels’ Hals schnürte sich zu.
Irgendetwas stimmte nicht.
Die Augen des Elfen verengten sich. Er öffnete seine Fäuste und stellte die Finger auf, die sich innerhalb weniger Herzschläge veränderten. Seine dunklen Nägel formten sich zu Krallen, die sich langsam in das Holz bohrten.
Lichtfels überlegte krampfhaft, wie er ihn erreichen könnte. Wenn Elfen so in Trance verfallen waren, befand sich ihr Geist weit weg. Aber vielleicht hörte er ihn, wenn er in Gedanken zu ihm sprach?
Blaeck.
Lichtfels’ Mund war staubtrocken. Er konzentrierte sich noch mehr auf seinen Elfenfreund.
Blaigarhayma.
Es war nur ein Augenblick, in dem Blaeck die Luft anhielt. Dann blinzelte er und ließ die Krallen an seinen Händen verschwinden. Seine Arme und Schultern entspannten sich und er wirkte wieder wie der besonnene Elf.
»Was hast du gesehen?«, fragte Lichtfels.
»Ich dachte«, Blaeck suchte nach Worten, »ich hätte etwas Fremdes gespürt.«
Lichtfels sah ihn schief an. »Du dachtest?«
Blaeck räusperte sich und winkte ab. »Ja. Vielleicht sollte ich mich für heute zurückziehen. Der Gildenschwur und deine Ernennung zum Anführer waren nicht nur für dich sehr aufregend.«
Nachdenklich betrachtete Lichtfels ihn. Er konnte sich vorstellen, dass dem Tag viel Planung vorausgegangen war. Trotzdem ließ ihn die Sorge um den Heiler nicht los.
Was hat dich so aus der Ruhe gebracht?
»Soll ich dich begleiten?«, schlug er vorsichtig vor.
»Nein«, antwortete Blaeck schnell. Er ließ den Blick über die restlichen Gefährten schweifen, bevor er sich wieder an ihn wandte. »Bleib ruhig hier bei den anderen.«
Lichtfels nickte widerwillig. »Versuch du, etwas … Schlaf zu finden.«
Langsam stand der Dunkelelf auf. »Natürlich.«
Aliya
Nachdem Aliya und Wibatem ihren Freund Jacki zum Anwesen der Heiler gebracht hatten, standen die beiden unter dem Nachthimmel und bewunderten die Sterne, die zwischen den Wolken hervorblitzten.
»Bist du müde?«, fragte der Beschwörer nach einer Weile.
»Nein.« Aliya musterte sein schmales Gesicht, das von einer Laterne erhellt wurde.
»Lust auf ein kleines Abenteuer?« Wibatem grinste verschmitzt.
Überrascht starrte sie ihn an. »Jetzt?«
Er nickte und hielt ihr die Hand hin. »Ich möchte dir etwas zeigen.« Er zwinkerte ihr zu. »In den Katakomben.«
Aliya zögerte, bevor sie zugriff. »Begebe ich mich in Gefahr?«
Wibatem lachte, sodass ihr Herz schneller klopfte. Ihn so zu sehen, gab ihr Hoffnung auf bessere Zeiten. »Nur, wenn du von meiner Seite weichst.«
»Dann …«, sie legte ihre Hand auf seine, »sollte ich wohl bei dir bleiben.«
Schon zog er sie mit sich und die Nachtluft kühlte ihre erhitzten Wangen. Wibatem stand die Vorfreude ins Gesicht geschrieben, sie erinnerte Aliya an die eines Kindes, das sich auf das Winterfest freute.
Was er ihr wohl zeigen wollte? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es etwas in den Katakomben gab, was sie unbedingt sehen sollte. Der Ort, der bekannt für Kämpfe und Tod war.
Nach mehreren Straßenzügen erreichten sie die Luft-Arena mit ihren übereinander aufgebauten Arkadenreihen. Während die unteren Reihen massiv und mit Fensternischen ausgestattet waren, bestanden die oberen aus offenen Rundbögen und ermöglichten einen Blick auf das Innere der Arena. Tagsüber erkannte jeder die Plateaus und Hängebrücken, nachts blieben sie durch die Dunkelheit verborgen.
Aliya hatte nur ein einziges Mal an diesem Ort gekämpft, da dieser unter allen Kampfplätzen am gefährlichsten war. Trotz der Netze, die zwischen den Plattformen aufgespannt waren, um herunterfallende Kämpfer aufzufangen, gab es hier die meisten Toten und Verletzten.
Die Rundbogenpforte, an der einst bis zum Boden reichende Bänder und Banner gehangen hatten, wies nur noch abgerissene Stoffenden und Kratzer im Gestein auf. Obwohl die Einwohner von Brayken versuchten, so viel wie möglich aufzuräumen und wiederherzustellen, waren hier die Spuren der Verwüstung deutlich erkennbar.
Tief Luft holend betrachtete sie die zerbrochenen Bänke, kaputten Holzbalken und zerstörten Windspiele, die einst den Mittelgang geschmückt hatten. Glasperlen knackten unter ihren Schuhsohlen.
Aliya erschauderte und Wibatem drückte ihre Hand fester.
Er zog sie den Gang weiter und zu einem der beiden Aussichtstürme, die sich an den schmalen Seiten der ovalen Arena befanden. Dort stiegen sie hinauf.
Obwohl die Türme höher als die Stadtmauern waren, warf Aliya einen Blick über die Arena und die angrenzenden Häuser. Dunkel lag die Stadt vor ihr, bis auf wenige Laternen, die Gassen oder Fassaden beleuchteten. Sie genoss die Aussicht, ehe Wibatem sich zur Balustrade begab und diese hinaufkletterte.
»Halt, was hast du vor?« Panik schwang in ihrer Stimme mit.
Wibatem zuckte mit den Schultern. »Nur die Katakomben betreten.«
»Hier oben?« Aliya legte eine Hand auf ihre Brust, um ihren Herzschlag zu beruhigen.
Nachdem Wibatem seinen Umhang von den Schultern genommen und diesen wie eine Fahne durch die Luft gewirbelt hatte, setzte er sich an den Rand und winkte sie zu sich.
»Was hast du gemacht?«, fragte sie.
»Nun ja«, Wibatem räusperte sich, »in der Feuer-Arena lässt Feuer den Eingang zu den Katakomben sichtbar werden. In der Luft-Arena ist es Luft.«
Schritt für Schritt bewegte sich Aliya auf die Balustrade zu, um dahinter ein schwarzes Loch mit flimmerndem Rand auf dem Dachvorsprung zu entdecken.
Sie hielt inne, da sie nicht wusste, was ihr mehr Sorge bereitete. Das schwarze Loch, in das sie springen sollte, oder der Vorsprung, auf dem geradeso eine Person laufen konnte und neben dem sich nichts weiter befand als die dunkle Tiefe. Kurz dachte sie an die Brücke der Täuschung und ihre Prüfung, bei der sie ihre beste Freundin Laolin zuletzt gesehen hatte, verwarf die Erinnerung aber so schnell, wie sie gekommen war.
»Du spielst mir einen Streich, oder?«
»Nein.« Grinsend stand Wibatem auf. »Wir müssen uns beeilen, sonst schließt sich der Eingang, wenn wir hineinspringen.«
Fahrig schüttelte Aliya den Kopf. »Du bist lebensmüde.«
»Du hast gegen die schlimmsten Bestien gekämpft und traust dich jetzt nicht durch ein magisches Portal?«
»Du vergisst, dass es sich mehrere Stockwerke über dem Erdboden befindet. Die Katakomben sind im Untergrund, nicht hier oben«, korrigierte sie ihren Gefährten.
»Vertrau der Magie, Ali. Es passiert uns nichts.« Erneut bot Wibatem ihr seine Hand an. »Was du danach siehst, wirst du nie wieder vergessen.«
Aliya presste die Kiefer zusammen. Sie war sich sicher, dass er sie keinem Risiko aussetzen würde, denn er kannte die Katakomben lange genug. Im Gegenteil, es schien ihm sogar wichtig zu sein.
»Wehe, es lohnt sich nicht«, murmelte sie mehr zu sich selbst als zu Wibatem, was ihn auflachen ließ.
Sie legte ihre Hand auf seine, ehe er sie zu sich hochzog, so nah, dass sich ihre Gesichter fast berührten. Aliyas Wangen brannten erneut auf und sie wollte schon einen Schritt zurückgehen, aber der Beschwörer drückte sie eng an sich.
»Nicht, die Balustrade ist schmaler als gedacht.« Nun verging ihm das Grinsen.
Aliya stutzte. »Sehe ich da etwa Angst in deinem Gesicht?«
Er schnaubte, bevor er sie an sich vorbeischob und auf den Dachvorsprung lenkte. »Schön die Balance halten.«
»Das liegt mir zum Glück zur Hälfte im Blut.« Aliya wusste es zu schätzen, dass sie genauso wendig und geschickt wie eine Lichtelfe war.
Sie kletterte auf den Vorsprung, dicht hinter ihr Wibatem, der sie kaum losließ. Er schien besorgt zu sein, dass sie abstürzen könnten, trotz seiner anfänglich lockeren Art.
Der Wind streifte ihre Haut und ihr langes schwarzes Haar, doch bevor sie fröstelte, drang Wibatems Wärme an ihren Körper.
Dies ist wirklich ein Abenteuer.
Vor dem Loch hielt sie inne, denn erst da erblickte sie die Treppenstufen aus dunkelroten Ziegelsteinen, die nach unten führten. Eine Laterne erleuchtete die schmalen Absätze und die hellbraun geziegelten Wände.
»Wir müssen nicht hineinspringen?«, fragte sie halb zu ihm umgewandt.
»Nein«, flüsterte er in ihr Ohr und schob sie in den Gang.
Schon befand sich Aliya wieder in den Katakomben, dem Ort, den sie so schnell nicht ein zweites Mal betreten wollte. Das Portal, das sie innerhalb eines Wimpernschlages in den Untergrund von Brayken brachte, verblüffte sie trotzdem.
Wibatem ergriff die Laterne und lief an ihr vorbei.
Ein lauwarmer Luftzug schlug Aliya entgegen, der nach feuchtem Stein roch. Sehnsüchtig schaute sie zurück in den dunklen Nachthimmel, ehe sie ihrem Gefährten in die Tiefe folgte. Sie blendete das bedrückende Gefühl aus, dass die Mauern immer näher kamen, und fokussierte Wibatems Rücken.
Stufe für Stufe stiegen sie hinab, bis sie endlich einen Gang erreichten. Schweigend folgten sie ihm, ohne eine Abzweigung zu nehmen. Die Wände wurden immer feuchter. Nach einer Weile bogen sie nach rechts ab.
Aliya meinte, ein Plätschern zu hören, nicht weit entfernt von ihnen.
Daraufhin vernahm sie Wibatems Stimme: »Hast du deine Peitsche dabei?«
Mit erhobenen Augenbrauen schaute sie auf seinen Rücken. »Ja, aber warum fragst du das?«
»Sicher ist sicher.« Er zog seinen Dolch, bevor er sich grinsend zu ihr umdrehte.
Sie verpasste ihm einen leichten Stoß nach vorn. »Wibatem, ich schwöre dir, ich verfluche dich, wenn …«
Dann stockte sie, denn der Gang weitete sich vor ihnen. Das Muster aus klaren und gleichmäßigen Linien der Ziegelsteine brach auf, und zum Vorschein kam wellenförmiges blaues Gestein, das Aliya an Wasser und Wellen erinnerte. Die Laterne erleuchtete die feinen Rillen, in denen Edelsteine glänzten, die zu schimmern begannen.
Ihr huschte ein Lächeln über das Gesicht, als sie mit den Fingern darüberglitt.
Je länger sie dem Gang folgten, desto wärmer wurde die Luft, und das Plätschern drang immer lauter an ihre Ohren.
»Wohin führt dieser Weg?«, fragte sie.
Wibatem antwortete nicht und machte sie damit neugierig. Obwohl Aliya mehrfach versuchte, einen Blick nach vorn zu erhaschen, entdeckte sie nichts anderes als den Gang, der in einen Bogen überging.
Erst einige Schritte später drehte sich der Beschwörer zu ihr um und ließ ihr den Vortritt. »Willkommen im blauen Gewölbe.«
Aliya eilte vorwärts. Ihre Neugierde war nicht mehr zu bremsen, und irgendetwas, sie wusste nicht was, zog sie dorthin.
Das Licht der Laterne wurde von den Wänden bläulich zurückgeworfen. Der gebogene Gang wuchs in die Höhe, bis er in einer Höhle mündete.
Aliya verschlug es die Sprache.
Das ist unmöglich.
Das meerblaue Gewölbe sah aus wie ein Unterwassergarten. Steinerne Bäume und Pflanzen rankten sich am Gemäuer entlang, überall entsprangen Quellen und tropften in Becken und Brunnen. Farbige Edelsteine in den Wänden formten Blüten und Muscheln, schillerten im Schein der Laterne.
Eine Gänsehaut breitete sich auf Aliyas Armen aus. Langsam betrat sie den Ort und entdeckte Nischen mit geschwungenen Steinbänken, auf denen sie sich hätte hinlegen können.
Der felsige Boden stellte das blaue Meer mit Gischt und Wellen dar.
»Wibatem.« Sie drehte sich zu ihrem Gefährten um, der an einer Säule lehnte und sie lächelnd beobachtete. »Das ist wunderschön.«
Er trat an ihre Seite. »Also bereust du es nicht?«
»Nein.« Sie ließ den Blick schweifen und blieb an einer größeren Wand hängen.
Weder Edelsteine noch Muscheln erkannte sie. Stattdessen war darauf das dekarische Königreich abgebildet.
»Was hat es mit diesem Ort auf sich?« Voller Ehrfurcht sah sie sich im Gewölbe um.
»Es heißt, dass die Gebrüder Braykion sich hier in Ruhe beratschlagen konnten«, erklärte Wibatem. »Da sie das Meer liebten, aber die Stadt so weit entfernt davon ist, wollten sie einen Ort erschaffen, an den sie sich zurückziehen und gleichzeitig ihre Sehnsucht stillen konnten.«
Ein Versteck der Brüder, der Urväter der Kampfkünste – unserer Vorbilder.
Aliya näherte sich der in Stein gemeißelten Landkarte und betrachtete die Wälder, Flüsse und Orte von Dekar. Vor allem Brayken, früher als Braykonia bekannt, stach daraus hervor, weil fünf Symbole es schmückten.
Ein Kribbeln breitete sich in Aliyas Händen aus.
Ihr Blick wanderte zum Rand der Karte, wo eine Inschrift eingraviert war.
Wir, die Gebrüder Braykion,
beschützen das Volk vor allen Gefahren.
Wir, die Kämpfer von Dekar,
wachen über das Land und den Thron.
Wir, die Freunde der Natur,
bewahren die Magie mit ihren Grenzen.
Wir, die Gefährten aller Wesen,
hüten den Frieden für alle Zeiten.
Nachdem sie die Worte verinnerlicht hatte, wagte sie kaum, laut zu sprechen. »Ist das der Schwur, den die Brüder einst sprachen?«
»Ja.« Wibatem stellte die Laterne auf einem Podest ab. »Faszinierend, oder?«
Aliya stimmte ihm zu und bewegte sich näher an die Wand heran, um Brayken zu berühren. Die Symbole zu deuten, fiel ihr nicht leicht, da sie nicht jedes kannte.
Die Lichtelfen mit der Sonne, die Dunkelelfen mit dem Mond, die Menschen mit einer Burg und zwei weitere Symbole, die Aliya fremd waren. Das eine sah aus wie ein Tierkopf und Krallenspuren, bei dem anderen handelte es sich um ein Blatt mit Dornen.
Sie zeigte auf das erste Symbol. »Die Valseghonier?«
Wibatem nickte. »Die halben Gestaltwandler.«
»Und was ist das andere?«
»Mein Lehrmeister berichtete mir davon, dass es in Makhena menschenähnliche Wesen gab, die sich Tocsikas nannten.« Er fuhr über den Rand des geriffelten Blattes. »Die Giftmischer.«
Aliya sah ihn an. »Warum wird das nicht so gelehrt?«
»Weil es sie angeblich nicht mehr gibt.«
»Ein Mythos wie die Valseghonier …« Sie trat zurück und betrachtete ein weiteres Mal die Landkarte, ihr Heimatland, Lonikka und Brayken, bis sie an der Schlucht von Baergasei hängen blieb.
Einen Moment schloss sie die Augen vor der Felsformation, an der ihre Mutter gestorben war. Aliana hatte sich für das eingesetzt, wofür die dekarischen Kämpfer gestanden hatten. Für den Frieden des Landes, für den sie ihr Leben gelassen hatte. Seit jeher war keine Einigung zwischen Dekar und Makhena erzielt worden.
Der Schwur der Brüder stellte nur noch ein Vermächtnis aus leeren Worten dar.
»Wir dürfen nicht aufgeben, Wibatem«, flüsterte sie und strich sich über die Arme, auf denen sich eine Gänsehaut gebildet hatte.
»Das werden wir nicht.« Er zog sie an sich und hielt sie fest, woraufhin sie ihm wieder in die zweifarbigen Augen schaute. Das Licht spiegelte sich darin, sodass sie mehr denn je leuchteten. »Gemeinsam schaffen wir alles.«
Aliya lächelte. Während sie ihren Gefährten musterte, verschwand jegliche Trauer, und der Schmerz der letzten Wochen und Monate machte Platz für etwas Stärkeres, das ihr Kraft schenkte. Sie küsste ihn, und er erwiderte es, ohne sie loszulassen.
Mit Wibatem an ihrer Seite, mit Lichtfels als ihrem Anführer und mit der Allianz der Sonne im Rücken würde sie den Schwur der Gebrüder Braykion wieder aufleben lassen. Nicht nur für sich und die Menschen von Dekar, sondern auch für ihre Mutter.
Eine Weile vergaß sie die Zeit, bis etwas Fremdes sie berührte, ähnlich einem Windhauch, der sie frösteln ließ. Sie versteifte sich in Wibatems Armen, was er sofort bemerkte.
»Was hast du?«
Schnell schüttelte sie den Kopf. »Nichts. Ich dachte nur, dass …«
Sie entdeckte am Ende der Höhle einen weiteren Zugang. Hatte sich dort etwas bewegt?
»Wohin führt der Weg?«, erkundigte sie sich.
»Zurück in die Katakomben.« Wibatem sah sich um. »Wir sollten lieber gehen.«
»Warum?«, fragte sie neugierig.
»Weil wir sicher nicht mehr lange allein sind.«
Aliya holte tief Luft. »Möchte ich wissen, was uns hier heimsuchen könnte?«
»Nein, sonst verfluchst du mich.« Während er sie angrinste, zog er wieder seinen Dolch hervor und ergriff die Laterne.
Sicherheitshalber legte Aliya zwei Schutzschilde um ihre Körper. »Dann schnell hier weg.«
Ein letztes Mal genoss sie den Anblick des blauen Gewölbes und spürte eine vertraute Nähe, die sie sich nicht erklären konnte.
Blaeck
Der Dunkelelf eilte aus dem stickigen Wirtshaus durch die kühle Nacht. Er war so schnell, dass er eins mit den Schatten wurde, die in den Gassen lauerten, darauf wartend, das Licht zu verdrängen. Nicht einmal ein Nachtwächter, der seine Runde durch das Viertel drehte, bemerkte ihn.
Blaeck interessierte sich nicht für den Mann. Er folgte den Spuren der Aura, die ihn bis eben berührt hatte.
Wer bist du?
Viel zu schnell lösten sie sich auf wie die ersten Schneeflocken, die der Herbstsonne noch nicht trotzten.
Wer bist du?, fragte er erneut, in der Hoffnung, das andere Wesen würde ihm antworten.
Doch bis auf das Rauschen an seinen Ohren vernahm er nichts.
Die fremde Aura stellte eine Bedrohung dar und er konnte kaum etwas dagegen unternehmen.
Ob es sich um einen Späher der Gilde Relikt handelte? Das würde bedeuten, dass Diamantenseele weitere Elfen auf seine Seite gezogen hatte. Könnte es der Willensbrecher versucht haben? Aber dann käme ihm die Aura bekannt vor.
An der Erde-Arena hielt Blaeck inne. Die Aura führte ihn zum Eingang in die Katakomben, wo die Spur verblasste.
Kurz überlegte er, ob er zurück zu Lichtfels laufen und mit ihm die Katakomben absuchen sollte. Er entschied sich dagegen.
Nur Blaeck konnte eine Schutzmaßnahme ergreifen, um Feinde im Untergrund aufzuspüren. Seit die Allianz der Sonne in Brayken war, hatte er nichts von Relikt gehört. Daher schloss er nicht aus, dass die Kämpfergilde probierte, über die Katakomben in die Stadt zu gelangen.
Erneut tarnte sich Blaeck wie ein Schatten der Nacht und betrat die Katakomben durch den magischen Eingang, den er durch eine Handvoll Erde sichtbar werden ließ.
Während er die geziegelten Gänge entlangfegte, überlegte er, wo er den Schutzschild errichten könnte. Es musste ein Ort sein, an dem kaum jemand unterwegs war. Ihm fiel nur einer ein und genau dort trugen ihn seine Füße hin.
Das blaue Gewölbe.
Seinem Instinkt folgend lief Blaeck, bis er das Plätschern von Wasser hörte. Erst dann verlangsamte er seinen Schritt. Obwohl die Gänge in Dunkelheit lagen, erkannte er ohne Probleme die Umrisse des Gemäuers. Feuchtigkeit tränkte die Luft und sickerte in seine Kleidung, die dadurch klamm und schwer wurde. Er erwartete nach all den Jahren einen modrigen Gestank, aber stattdessen erinnerte ihn der Geruch an eine dampfende Salzgrotte.
Noch ehe Blaeck Licht entdeckte, vernahm er Stimmen, die er Aliya und Wibatem zuordnete. Er spähte um die Ecke.
Was treibt euch hier herunter? Und woher kennt ihr diesen Ort?
Entspannt klangen die beiden nicht, im Gegenteil, sie wollten den Raum verlassen.
Aliya warf einen letzten Blick über das blaue Gewölbe, bis sie Wibatem hinausfolgte und nur noch das Plätschern zu vernehmen war.
Zeit für Blaeck, die Höhle zu betreten.
Schwach leuchteten die Edelsteine und Muscheln an den Wänden, die zuvor vom Licht angestrahlt worden waren.
Blaeck krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch, damit das wenige Licht über seine vernarbten und mit Furchen übersäten Unterarme fiel. Einen Wimpernschlag später waren sie verschwunden und mit ihnen blendete er das blaue Gewölbe aus.
Er stellte sich den Nachtschattenwald vor, hörte das Rascheln der Blätter im Wind und das Plätschern der Bäche, roch Erde und Zedernholz. Dann spürte er das weiche Moos unter seinen Füßen und die Regentropfen, die auf sein Haar fielen.
Er leckte sich über die Lippen. Die feuchte Luft schmeckte süß und salzig zugleich.
Tief atmete er durch, bevor er die Augen öffnete und sich in den Katakomben wiederfand. Sehnsucht nach der Ferne ergriff ihn, aber diese verdrängte er schnell.
Das blaue Gewölbe lag unversehrt vor ihm. Wenigstens ein Ort, den die Feinde nicht zerstört und geplündert hatten.
Er gestattete sich einen Moment, die Grotte zu bewundern, ehe er sich nach einem geeigneten Platz für den Schutzzauber umsah. Nahe der steinernen Sitzbänke ragten verschieden hohe Podeste aus dem Boden, auf denen Speisen und Getränke abgestellt werden konnten. Eines davon stand geschützt zwischen zwei Säulen und genau vor diesem positionierte er sich. Er beruhigte seinen Herzschlag, indem er kurz die Augen schloss und verweilte, und lockerte seine Schultern sowie die Arme.
Nachdem Blaeck die Hände vor sich geöffnet hatte, sprach er in Gedanken die Worte aus, mit denen er den Schutzschild errichtete, und durchlief die vier Stufen des Zaubers.
Phase der Berührung.
Die Kugel, anfangs so groß wie eine Murmel, wuchs rasch zwischen seinen Fingern heran. Grüne Schlieren durchzogen sie wie Algen einen Teich. Anfangs gemächlich, bis sie immer schneller herumwirbelten, fast schon verknoteten.
Als die Kugel den Durchmesser einer Seerose erreichte, zog er seine Hände ein Stück auseinander und legte sie vorsichtig auf dem Podest ab, auf dem sie zu schweben begann. Seine Finger ruhten weiterhin an der Hülle, sanft haltend, als ob sie aus zerbrechlichem Glas bestünde.
Phase der Trance.
Die grünen Schlieren wurden immer feiner, wie dünne Fäden in einem Spinnennetz.
Blaeck spürte den Schutzschild, durch den er unsichtbar wurde, als wäre er seine zweite Haut. Noch schimmerte er grün, aber gleich würde er den Schutz vergrößern und spätestens dann die fremde Aura wiederfinden.
Während er die Kugel weiterhin festhielt, konzentrierte er sich auf den Schild.
Einst hatte er nur die dekarischen Kämpfer tarnen sollen. Durch den Einfluss der Elfen konnte der Zauber ausgeweitet werden, damit er auch Zugänge verschwinden ließ.
Genau daran dachte Blaeck jetzt. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Umgebung. Zuerst das blaue Gewölbe, als Nächstes die verwinkelten Gänge der Katakomben und schließlich die Ein- und Ausgänge. Es gab vier unterirdische Portale, die in die Stadt führten, und diese tarnte er für alle, die böse Absichten gegen die Allianz und die Einwohner Braykens hegten.
Die Kugel vibrierte zwischen seinen Fingern, pulsierte wie ein Herzschlag.
Phase des Wachstums.
Das Plätschern und Tropfen verstummte, und das blaue Gewölbe, das wie eine Unterwasserwelt schimmerte, verlor jeglichen Glanz. Dafür gewann die Kugel an Licht und Stärke.
Blaecks Brust hob und senkte sich schnell. Er hielt die Magie in seinen Händen, die ihn streichelte und wärmte.
Immer mehr Macht gab er an sie ab, bis sich eine Sphäre von ihr löste, die erst ihn berührte und später alles um ihn herum. Sie durchzog die Luft, den Boden, die Wände, alles, was um Blaeck existierte. Derweil verschwand sie aus seinem Sichtfeld, aber er spürte sie weiterhin.
Ein Kribbeln breitete sich auf seinen Fingern aus. Ohne sich ablenken zu lassen, konzentrierte er sich auf den Schild und die Katakomben, tastete jeden noch so kleinen Winkel ab. Das Licht blieb grün und die Sphäre umschloss die Portale.
»Sei mein Schild«, flüsterte er.
Erneut pulsierte die Kugel hell und kräftig, bis sich die Schlieren darin beruhigten und sanft hin und her schwammen.
Zeit, aufzuwachen.
Obwohl die Magie ihn liebkoste und der Drang, sich ihr hinzugeben und weiter durch dieses dunkle Meer zu tauchen, groß war, löste er sich von ihr. Augenblicklich floss und rauschte das Wasser um ihn herum. Tropfen perlten auf seiner Haut, die Umgebung kühlte sich ab.
Das Gewölbe leuchtete nicht mehr blau, sondern türkis und schimmerte prächtiger denn je.
Blaeck trat einen Schritt zurück und merkte, wie Müdigkeit von ihm Besitz ergriff. Er sah auf seine Unterarme und atmete erleichtert auf, da keine weitere Wunde aufgerissen war.
Schmunzelnd lehnte er sich an eine Säule. Die Schilde des geheimen Tals hatten ihn gut trainiert.
Ihm fiel eine Last von den Schultern, weil sich keine Feinde in den Katakomben befanden. Dagegen wog der Gedanke schwer, dass die fremde Aura verschwunden blieb.
Wer hatte die Allianz aufgesucht?
Blaeck richtete sich auf und durchschritt das Gewölbe. Er hatte das Gefühl, nicht nur müde, sondern auch gealtert zu sein.
Tief holte er Luft, um zur Ruhe zu kommen, als die Aura ihn erneut traf und er in unbekannte Augen blickte.
Lichtfels
Lichtfels wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit Blaeck das Wirtshaus verlassen hatte, aber als ihm das Gesäß schmerzte, schwankte er hinaus in die Nacht, um sich die Beine zu vertreten.
Die kühle Luft gab ihm neuen Schwung und er straffte den Rücken, doch die Umgebung schien sich immer schneller um ihn zu drehen. Seine Hand suchte Halt an der Wand, bis er sich krümmte und erbrach. Zuletzt spuckte er die bittere Magensäure aus und stellte sich erneut aufrecht hin, was besser klappte.
Mit langsamen Schritten bewegte er sich die Straße entlang. Das Schleifen seiner Schuhe auf dem Kopfsteinpflaster war das einzige Geräusch, das ihn begleitete. Ein kalter Schauer wanderte über seinen Rücken und ließ ihn frösteln. Er rieb sich die Arme und zog den Umhang enger um seinen Oberkörper, ehe er stehen blieb und ein Duft nach Vanille ihn einnahm.
Vor ihm stand Eyrin, genau so, wie er sie das letzte Mal gesehen hatte.
Das kupferrote Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten, der ihr über die Schulter fiel und bis zu ihrer Brust reichte. Ihr langes weißes Kleid wehte im Wind, und ihre smaragdgrünen Augen glänzten. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen.
Lichtfels schluckte, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Keinen Schritt konnte er mehr gehen. Er hatte den Eindruck, dass seine Füße zu Stein geworden waren.
»Eyrin«, flüsterte er.
Ihr Lächeln verschwand und sie warf einen Blick gen Norden, ehe sie sich wieder Lichtfels zuwandte. »Sie kommen, Lichtfels. Sie kommen.« Obwohl ihre Stimme leise klang, war die Warnung deutlich. Sie löste ihn aus der Starre, sodass er kurz schwankte und die Lichtelfe aus den Augen verlor.
»Woher weißt du …?«
Nur einen Herzschlag später war sie verschwunden.
Er schaute sich suchend um, doch er blieb allein auf der Straße in Brayken.
25 Jahre zuvor …
Wir sehen uns wieder. In Brayken.
Ich saß eine ganze Weile an dem Ort im Wald, an dem ich den Graben in den Boden geschlagen und mit dem Dunkelelfen geredet hatte. Weder von ihm noch vom Bären, der mich verfolgt hatte, war noch etwas zu sehen.
Meine Gedanken wirbelten durcheinander. Woher stammte diese Stärke?
Obwohl ich Vater im Bergwerk aushalf, konnte ich nicht so gut trainiert sein. Dennoch fragte ich mich, ob ich genug Kraft in den Fäusten besaß, um eines Tages ein dekarischer Kämpfer zu werden.
Ich nahm etwas aufgewühlte Erde in die Hand und zerrieb sie zwischen den Fingern.
Wie sollte ich meine Eltern überzeugen? Was würden sie über diese Begegnung mit dem Dunkelelfen denken?
Nachdenklich warf ich die Erde wieder weg und beobachtete, wie sie sich verteilte und weiter flog als erwartet.
Eine spitze Ecke, die aus dem Boden ragte, erregte meine Aufmerksamkeit. Sie lag versteckt zwischen ein paar Zweigen und grünem Moos. Anhand der Spuren registrierte ich, dass es die Stelle gewesen sein musste, an der ich gestolpert war.
Ich erhob mich, näherte mich ihr und erkannte einen schwarzen, matt glänzenden Stein. Sofort wollte ich ihn aufheben, doch er steckte fest im Boden.
Was war das für ein Stein und woraus bestand er?
Sorgfältig wühlte ich die Erde auf, um ihn auszugraben, als es nicht weit weg von mir knackte. Erschrocken hielt ich die Luft an.
Was, wenn der Bär zurückkehrte?
Nachdem weitere Zweige zerbrochen waren, raschelten Blätter, und ein paar Sträucher bewegten sich.
»Wer ist da?«, rief ich.
Ein schlaksiger Junge mit blasser Haut und schwarzem Haarschopf lugte hinter einem Baum hervor. »Da bist du ja! Ich habe dich überall gesucht!«
»Ach, du bist es«, stieß ich erleichtert hervor und grub weiter den Stein aus.
»Schau, was ich heute im Bergwerk gefunden habe!« Mein Kamerad kam freudestrahlend angerannt und hockte sich zu mir auf den Boden, sodass ich den ungeschliffenen weißen Diamanten in seinen Händen erblickte.
Ich sah in seine dunkelblauen Augen. »Du durftest den Diamanten behalten?«
»Ja, weil es der erste ist, den ich gefunden habe!« Er sah mir dabei nicht ins Gesicht, sondern wechselte schnell das Thema. »Was tust du hier?«
»Soso«, sagte ich misstrauisch, hakte aber nicht weiter nach. »Ich versuche, den Stein auszugraben.«
»Was ist das für einer?« Neugierde schwang in seiner Stimme mit.
»Das möchte ich auch gerne wissen.«
»Hier!« Er schnallte seine Spitzhacke vom Rücken und drückte sie mir in die Hand. »Versuch es damit.«
»Großartig!«, rief ich.
Ich fasste das Werkzeug mit beiden Händen am Ende des Griffs und holte aus. Ein, zwei, drei Schläge waren notwendig, dann brach die Steinspitze ab. Das Stück flog zur Seite, ehe es wenige Schritte entfernt neben mir auf dem Boden landete.
»Haha!« Ich ließ die Spitzhacke los, eilte zu dem Stein und hob ihn auf, doch ein blitzartiger Schmerz schoss mir durch den Arm.
Licht brach aus meiner Hand, blendete mich und ich musste die Augen zusammenkneifen. Ich wollte den Stein loslassen, aber es ging nicht.
»Ah! Was passiert hier?«, vernahm ich meinen Kameraden.
Mein Arm verkrampfte sich und ich verlor jedes Gefühl in den Fingerspitzen. Vor Erschöpfung fiel ich rücklings auf den Boden, als das Licht endlich verschwand. Meine Haut fühlte sich an, als würde sie in Flammen stehen.
Ich rang nach Luft. »Was …?!«
»Wahnsinn!«, schrie mein Kamerad. »Was war das? Das war so hell wie die Sonne!«
»Ich … weiß … es … nicht«, stammelte ich.
Das Gefühl in meinem Arm kehrte zurück, in der Hand hielt ich immer noch den Stein. Er war unverändert schwarz und matt glänzend.
Langsam setzte ich mich auf, denn mein Körper fühlte sich bleischwer an. Das letzte Mal erging es mir so, als ich einen Tag lang ohne Pause im Bergwerk ausgeholfen hatte.
Ich nahm den Stein in die linke Hand, da meine rechte immer noch kribbelte, und untersuchte ihn von allen Seiten, jede Kante, Vertiefung und Rille.
»Kannst du dich daran erinnern, wie die Bergarbeiter von einem sehr seltenen Gestein erzählt haben, das angeblich leuchtet? Wie hieß es gleich?« Mein Kamerad rieb sich die Nase.
»Keine Ahnung«, antwortete ich. »Ich weiß nur noch die Übersetzung, die so etwas bedeutete wie ›Licht im Felsen‹.«
Konnte es möglich sein, dass ich auf solch einen Stein gestoßen war?
»Den anderen Namen kann sich ja auch keiner merken.« Mein Kamerad näherte sich mir und zum ersten Mal, seit er mich hier gefunden hatte, fiel ihm der Graben auf. »Was ist hier eigentlich passiert?«
Ich fuhr mir durch das zerzauste Haar und wischte die Erde aus dem Gesicht. So wie ich aussah, war ich mir sicher, dass Vater nachher fragen würde, wo ich mich herumgetrieben hatte.
»Ein dekarischer Kämpfer hat mich vor einem Bären beschützt«, erzählte ich ihm.
Sein Mund blieb offen stehen. Er lief den Graben hoch und runter, begutachtete die Spuren im Boden, um den Kampf genau zu erforschen. »Wahnsinn!«, wiederholte er.
»Er meinte, ich könne den Weg eines dekarischen Kämpfers einschlagen«, murmelte ich.
»Das erzähle ich dir, seit wir uns kennen. Glaubst du mir endlich?«, rief er freudestrahlend.
»Ja, schon, aber du weißt doch, dass meine Eltern dagegen sind.« Ich presste die Lippen zusammen.
»Ach, die überzeugen wir noch.« Er setzte sich zu mir auf den Boden. »Wir müssen uns noch Namen ausdenken. Ich habe gehört, dass man sich in Brayken einen neuen geben darf.«
Ich schaute ihn schief an. Davon hatte ich nichts mitbekommen.
Er überlegte eine Weile. »Was hältst du von Schwarz und Weiß?«
»Nein, keine Farben«, entgegnete ich.
»Bray und Ken?«
Ich prustete los und er stimmte in mein Lachen ein, ehe er mich in den Arm boxte.
»Schlag du was vor«, meinte er augenverdrehend.
Ich betrachtete den Diamanten in seiner Hand. Er war ungeschliffen, aber an einer Stelle schimmerte er gläsern.
»Diamantenseele«, flüsterte ich.
Sogleich neigte er den Kopf. »Wie?«
»Diamantenseele!«, wiederholte ich.
Er starrte mich an und verneinte, doch als er seinen Talisman genauer begutachtete, änderte er seine Meinung.
»Diamantenseele«, sagte er zuerst leise, dann laut. »Diamantenseele! Ich bin Diamantenseele! Dich nennen wir …« Er überlegte kurz. »Lichtstein?«
Ich verzog den Mund. »Das klingt nicht gut.«
»Lichtberg?«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf.
Mein Kamerad sprang auf und lief ein paar Schritte im Kreis. Er blickte hinauf in die Baumkronen, zu den Stämmen, dem Graben im Boden, dem Stein in meiner Hand und zuletzt zu mir.
»Lichtfels«, rief er verheißungsvoll.
»Lichtfels.« Ich ließ den Namen wirken und grinste.
Das klingt großartig.
»Diamantenseele und Lichtfels«, brüllte er in den Wald hinein.
Ich lachte laut und stimmte in seine Rufe ein.
Für uns stand fest: Wir wollten dekarische Kämpfer werden.
Lichtfels
Gegenwart
Als Lichtfels erwachte, fiel sein trüber Blick auf die graue Steinmauer, an der sein Kopf lehnte. Ein dumpfer Schmerz pochte hinter der Schläfe. Seine Wange war kalt, der Umhang und die Kleidung von Regen durchnässt. Er atmete durch, bemerkte den bitteren Geschmack im Mund und stellte fest, dass er nach vergorenem Bier stank.
Was für eine Nacht.
Ein Lachen entwich ihm und er ließ den Kopf langsam zurückfallen, um in den Himmel zu schauen. Regen lief über sein Gesicht. Erst da begriff er, dass er sich auf der Mauerkrone des Stadtwalls befand.
Nach einer Weile raffte er sich auf und zog sich an der Brüstung hoch. Seine Muskeln in Armen und Beinen fühlten sich an wie eingerostet, als wäre er um dreißig Jahre gealtert.
Wie lange hatte er an der Stadtmauer geschlafen? Wie spät war es?
Beim Hochziehen erblickte er seine Lederstiefel, die vollkommen verschmutzt waren, und der Umhang wies Flecken auf, die an einen Marsch durchs Moor erinnerten.
Wo hatte er sich nur herumgetrieben?
Lichtfels sah über die Mauer auf das Flachland, auf dem das Gras verdorrt war und braune Erde Wiesen und Felder bedeckte. Weiße Nebelschwaden hingen zwischen den Hügeln und weit entfernt stach ihm die Waldgrenze ins Auge, die sich rot und orange vom Rest der Umgebung absetzte. Am Horizont erkannte er die Gebirgskette des Bairappa-Kalyani, gesäumt von weißen Gipfeln, die Dekars Grenze darstellte.
Lichtfels genoss die Aussicht, bis er die Rauchsäule erblickte, die hinter dem Wald in den Himmel stieg und sich mit den Wolken vermischte. Er verengte die Augen, um ein zweites Mal genauer hinzusehen. Sie war keine Einbildung.
Wie ein Blitz traf ihn die Erinnerung und er hörte Eyrins Stimme in seinem Kopf: Sie kommen.
Lichtfels riss sich von der Brüstung los und stürmte die nächste Treppe hinunter zurück ins Stadtinnere. Er durfte keine Zeit verlieren, denn was auch immer die Rauchsäule zu bedeuten hatte, sie verhieß nichts Gutes.
Er war so aufgeregt, dass er jegliche Schmerzen vergaß.
Ehe er sich’s versah, lief er durch den Eingang des Anwesens der Heiler, um dort mit seinen Kämpfern zu sprechen.
Gerri war der Erste, den er vorfand. Er lag im Innenhof auf einer der Steinbänke, zog an seiner Meerschaumpfeife, auf deren Pfeifenkopf eine nackte Frau eingeschnitzt war, und summte ein Lied, das er mit den Fingern dirigierte.
Verschlafen drehte er den Kopf in Lichtfels’ Richtung und begrüßte ihn mit einer schwungvollen Handbewegung. »Guten Morgen, alter Freund. So früh schon wach? Wo hast du dich herumgetrieben?«
»Das wüsste ich selbst gerne.« Lichtfels räusperte sich. »Ich möchte dich nicht bei deinem Konzert stören, aber wir bekommen Gesellschaft.«
Gerri setzte sich auf und nahm die Pfeife aus dem Mund. »Wovon sprichst du?«
»Im Norden ist eine Rauchsäule zu sehen.«
In diesem Moment hörten sie ein lang gezogenes Zischen, das mit einem lauten Knall endete. Es handelte sich um einen Signalpfeil, der von den Wachtürmen der Mauer nach oben geschossen wurde.
Reichlich spät.
Rote Funken leuchteten am Himmel, bevor sie hinter dem Dach verschwanden. Weitere Pfeile zischten auf, die in der Ferne knallten. Die Geschosse reichten aus, um die Stadt aufzuwecken.
Paco stolperte heran, Hemd und Hose schludrig übergezogen. Aliya flocht sich im Laufen das Haar zu einem engen Zopf, und Wibatem knöpfte sich die Tunika zu. Auch die übrigen Kämpfer sammelten sich im Innenhof.
»Ich weiß nicht, was auf uns zukommt, aber haltet euch bereit. Wir treffen uns am Nordtor«, befahl Lichtfels.