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Im Zweifelsfall hilft immer Kuchen! Der bewegende Freundschaftsroman »Die Apfelkuchen-Freundinnen« von Kerstin Hohlfeld als eBook bei dotbooks. Eigentlich ist Sport für Milena wie ein wie Apfelkuchen ohne Streusel: völlig sinnfrei! Aber ihr neuer Gymnastikkurs für den Rücken gestaltet sich ganz nach dem Motto »Gesunde Balance« – der anschließende Plausch mit den anderen Teilnehmerinnen ist Wellness für die Seele. Und die ist dringend nötig, schließlich droht die Eröffnung von Milenas kleinem Restaurant »Cook & Love« in pures Chaos auszuarten. Nicht zuletzt wegen ihres verflixt attraktiven Nachbarn, der Milena ein ums andere Mal aus dem Konzept bringt! Aber auch die schüchterne Bibliothekarin Ann-Kathrin, die gewitzte Karrierefrau Vivien und die dauermüde Zwillingsmutter Carolin haben in diesem Sommer so einige Herausforderungen zu meistern. Allein scheint das alles unmöglich ... aber gemeinsam – so könnte es doch gehen? Vier Frauen, die unsere besten Freundinnen sein könnten: Manchmal möchte man sie umarmen, manchmal kräftig schütteln – und niemals wieder möchte man sie loslassen! Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der turbulente Frauenroman »Die Apfelkuchen-Freundinnen« von Kerstin Hohlfeld. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 388
Über dieses Buch:
Eigentlich ist Sport für Milena wie ein wie Apfelkuchen ohne Streusel: völlig sinnfrei! Aber ihr neuer Gymnastikkurs für den Rücken gestaltet sich ganz nach dem Motto »Gesunde Balance« – der anschließende Plausch mit den anderen Teilnehmerinnen ist Wellness für die Seele. Und die ist dringend nötig, schließlich droht die Eröffnung von Milenas kleinem Restaurant »Cook & Love« in pures Chaos auszuarten. Nicht zuletzt wegen ihres verflixt attraktiven Nachbarn, der Milena ein ums andere Mal aus dem Konzept bringt! Aber auch die schüchterne Bibliothekarin Ann-Kathrin, die gewitzte Karrierefrau Vivien und die dauermüde Zwillingsmutter Carolin haben in diesem Sommer so einige Herausforderungen zu meistern. Allein scheint das alles unmöglich … aber gemeinsam – so könnte es doch gehen?
Vier Frauen, die unsere besten Freundinnen sein könnten: Manchmal möchte man sie umarmen, manchmal kräftig schütteln – und niemals wieder möchte man sie loslassen!
Über die Autorin:
Kerstin Hohlfeld wurde in Magdeburg geboren, studierte Theologie in Naumburg und Berlin und verließ die Hauptstadt kurz vor dem Mauerfall, um später zurückzukehren und in verschiedenen Berufen, u.a. als Autorin, zu arbeiten. Sie radelt, wandert und reist leidenschaftlich gern und verbringt mit Vergnügen einen Teil ihrer Freizeit hinter dem Herd und im Garten. Sie ist Mutter von drei erwachsenen Kindern.
Bei dotbooks veröffentliche Kerstin Hohlfeld bereits ihren Roman »Tage der Kirschblüte«.
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eBook-Neuausgabe Oktober 2021
Dieses Buch erschien bereits 2014 unter dem Titel »Wenn das Glück anklopft« bei Ullstein.
Copyright © der Originalausgabe 2014 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / VICUSCHKA / Africa Studio / virtu studio
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-96655-725-2
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Kerstin Hohlfeld
Die Apfelkuchen-Freundinnen
Roman
dotbooks.
Für meine Freundinnen –
Was wär ich ohne euch!
»Maaaama!«
Milena, die auf der Terrasse eingenickt war, schreckte hoch.
»Was ist los?«
»Maaaama!«
Die Mittagshitze war heute besonders quälend gewesen. Milena hatte ihre Gartenarbeit nach zwei Stunden erschöpft aufgegeben und war unter den Sonnenschirm geflüchtet, um sich ein wenig auszuruhen und ein paar Ideen in ihr kleines Notizbüchlein zu kritzeln. Leise stöhnte sie auf.
»Was gibt’s denn?«, rief sie.
Seit sie laufen konnten, versuchte Milena, ihren Kindern beizubringen, dass sie aufstehen und zu ihr kommen sollten, wenn sie etwas brauchten. Mit zweifelhaftem Erfolg, wie sie gerade feststellte. Noch immer zogen die beiden, die unterdessen zu schlaksigen Teenagern herangewachsen waren, es vor, ihre Mutter durch schrilles Geschrei in Bewegung zu setzen. Das war schließlich bequemer so.
»Ich hab Hunger!«, grölte die 14-jährige Lilli mit der Lautstärke eines startenden Düsenjets zurück. Wahrscheinlich hatte sie sich die Ohren mit diesen kleinen Kopfhörern zugestöpselt und deshalb keinerlei Gefühl für die Dezibel ihrer Stimme.
»Im Ofen ist eine Pizza«, rief Milena und wartete darauf, dass jeden Moment einer ihrer Nachbarn den Kopf über den Gartenzaun strecken würde.
»Mmh, Pizza gibt’s bei Ihnen. Da würde ich gerne mitessen.«
Sie musste wegen ihrer kleinen Übertreibung lächeln. Ganz unrecht hatte sie trotzdem nicht, denn spätestens heute Abend würde wieder jemand aus der Siedlung vor ihrer Tür stehen und sich etwas ausborgen. Milena war bekannt für ihren stets gut gefüllten Kühlschrank. Zwei Häuser weiter wohnte eine Familie mit drei ganz kleinen Kindern. Da fehlte immer irgendetwas. Allerdings verstand Milena nur zu gut, dass es einer Herkulesaufgabe gleichkam, einen Haushalt mit lauter Windelkindern perfekt zu organisieren. Sie half gern aus. Bei dem Rentnerehepaar aus dem Haus gegenüber konnte sie erst recht nicht nein sagen. Manchmal brachte sie ihnen einen Topf Suppe, denn Milena kochte immer reichlich und gab gern ab. Und die beiden freuten sich.
Das Haus zu ihrer Linken stand seit Monaten leer. Vorher hatte ein alleinstehender Unternehmer dort gewohnt, der so manches Mal mit Milena und ihren Kindern am Abendbrottisch gesessen hatte. Der Mann konnte außer Spiegelei in der Küche nichts zustande bringen und sah nach der Arbeit immer so geschafft aus, dass Milena ihn zuweilen am Gartenzaun abpasste und an ihren reich gedeckten Tisch bat.
Einzig ihre Nachbarn rechter Hand konnten eigentlich selbst für ihr Essen sorgen. Die waren weder alt, einsam noch überlastet, und ihre einzige Tochter war bereits sechzehn und in der Lage, sich auf ihr Fahrrad zu setzen und in den Supermarkt zu fahren. Aber wenn sie oder ihre Eltern vor der Tür standen, die Kochschürze umgebunden, aber »… leider sind uns gerade die Eier/Milch/Äpfel/Rosinen ausgegangen«, dann konnte Milena einfach nicht nein sagen.
»Nein« war nämlich ein Wort, das sie nur äußerst selten benutzte.
Sie war die Älteste von vier Geschwistern. Wenn die Kleinen etwas von ihr wollten, so hatte sie nie ablehnen können. Sie war die große Stütze ihrer stets überfordert wirkenden Mutter gewesen, und es hatte ihr gefallen, gebraucht zu werden.
Die meisten Menschen liebten sie für ihre aufopferungsvolle Art. Nur Alex, ihr Exmann, hatte irgendwann genug von ihr gehabt. Milena schüttelte leicht den Kopf und schob jeden weiteren Gedanken an das betrübliche Ende ihrer Ehe beiseite. Sie hatte das alles schon tausendmal und von allen Seiten betrachtet.
»Isst du mit mir?«
Lilli war aus ihrem Zimmer gekommen, stand jetzt neben ihr und grinste. Die Kopfhörer hingen ihr um den Hals. Die Musik dröhnte so laut daraus hervor, dass sie die Stöpsel eigentlich gar nicht in die Ohren stecken musste.
»Du sollst doch nicht so laut Musik hören. Du machst dir dein Gehör kaputt!«, tadelte Milena sie halbherzig. Zu ihrer rehäugigen, zierlichen Tochter mit den wilden braunen Locken streng zu sein war ihr schon immer schwergefallen.
»Was?«, schrie Lilli zurück. »Was hast du gesagt?«
»Sehr witzig«, gab Milena zurück und erhob sich von ihrer Sonnenliege. Besser gesagt: Sie versuchte, sich zu erheben. Aber es gelang ihr nicht. Sobald sie sich in sitzende Position brachte, fuhr ihr ein unglaublich starker stechender Schmerz in den Rücken. Stöhnend ließ Milena sich wieder auf die Liege sinken.
»Was ist denn los?«, fragte Lilli und schaute plötzlich besorgt drein. Sie stellte ihren MP3-Player aus und beugte sich zu ihrer Mutter herunter.
»Nichts ist«, wiegelte Milena ab und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich habe mich wohl ein bisschen komisch hingelegt. Deck bitte den Tisch und hol die Pizza aus dem Ofen. Im Kühlschrank ist Salat. Ich komme gleich zu dir.«
Sobald Lilli in die Küche verschwunden war, versuchte Milena erneut aufzustehen. Tränen schossen ihr in die Augen. Ihr Rücken war ein einziger schneidender Schmerz. Sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was plötzlich mit ihr los war. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch keine größeren Probleme mit dem Kreuz gehabt. Manchmal, wenn sie viel im Garten arbeitete, zwickte es ein bisschen. Aber das gab sich schnell wieder.
Heute hatte sie nur eine Stunde Erdbeeren gepflückt und dabei viel mehr die Hitze als ihre gebückte Haltung beschwerlich gefunden.
Milena mobilisierte all ihre Willenskraft und riss sich mit einem Ruck von der Liege hoch. Einen Schmerzensschrei unterdrückte sie.
»Mama, du siehst ja schrecklich aus«, rief Lilli erschrocken, als sie ihre Mutter mehr in die Küche kriechen als laufen sah.
»Irgendetwas stimmt mit meinem Rücken nicht«, stöhnte Milena und ließ sich vorsichtig auf einem Stuhl nieder. »Er tut unglaublich weh.«
»Du musst sofort zum Arzt gehen«, beschloss das Mädchen. »Soll ich Papa anrufen, damit er dich fährt?«
»Ich kann alleine Auto fahren«, erwiderte Milena ärgerlich. »Und außerdem brauche ich keinen Arzt. Es geht schon wieder.«
Sie überlegte kurz. Es musste beinahe zehn Jahre her sein, dass sie das letzte Mal eine Arztpraxis betreten hatte. Sie war eine kerngesunde Frau. Was also sollte sie dort? Außerdem standen vier Körbe Erdbeeren in ihrer Küche, die sie noch am Nachmittag verarbeiten wollte.
Lilli reichte Milena ein Taschentuch.
»Und warum heulst du die ganze Zeit?«
Milena wollte nicht zugeben, dass der Schmerz in ihrem Rücken sich, selbst mit ganz viel gutem Willen, nicht ignorieren ließ.
»Keine Ahnung«, log sie verzweifelt und wischte sich die Tränen vom Gesicht. »Du rufst auf keinen Fall deinen Vater an!«
»Schon gut«, versprach Lilli widerwillig. Sie stellte die Pizza auf den Tisch und begann, sie in große Stücke zu zerteilen. »Mmh, Spinat und Gorgonzola«, schwärmte sie und leckte den geschmolzenen Käse von den Fingern ab.
»Leg noch die gelbe Tischdecke auf«, bat Milena. »Und hol den Strauß Glockenblumen, die ich vorhin abgeschnitten habe.«
Widerspruchslos folgte Lilli. Während ihre Tochter den Tisch deckte, atmete Milena auf. Immerhin: In puncto Esskultur waren ihre Kinder ihr unkompliziert nachgeraten. Sie liebten ausgedehnte Mahlzeiten an einer hübsch dekorierten Tafel. Nur wenn es ganz schnell gehen musste, aßen sie ein Brot im Stehen.
Der Duft der frischen Pizza half Milena, die Schmerzen tatsächlich für eine Weile zu vergessen. Sie genoss das würzige Aroma des italienischen Blauschimmelkäses in Kombination mit dem frischen Spinat, den sie nur ganz kurz gedünstet und kaum zerkleinert hatte. Die feinen grünen Blätter waren in Milenas Augen ein völlig zu Unrecht geschmähtes Lebensmittel. Allerdings verstand sie alle Kinder, die bei aromalosem grünem Brei auf dem Teller misstrauisch wurden und anschließend für immer einen großen Bogen um Rahmspinat machten.
Sie langte mit Appetit zu. Ein paar Minuten später fand sich Jonas, ihr 16-jähriger Sohn, ein. Er schmiss seine Schultasche in eine Ecke und setzte sich zu ihnen. Nach einem lässigen »Hi, allerseits« begann er ebenfalls zu essen.
Glücklich schaute Milena ihren Kindern beim Kauen zu. Das waren ihre schönsten Momente. Wenn sie mit den beiden zusammen am Tisch saß, ein bisschen plauderte und sie sich hungrig über ihr Essen hermachten.
Milena kochte und backte alles selbst. Jede Woche verwendete sie viel Zeit und Mühe darauf, sich einen abwechslungsreichen Speiseplan auszudenken. Drei gute, frische Mahlzeiten am Tag, dazu leckere Pausenbrote und Snacks für die Schule. Im Supermarkt brauchte sie mindestens eine Stunde. Sie genoss das Einkaufen und das sorgfältige Auswählen der Zutaten. Dosenessen und Fertiggerichte mit all den Zusatzstoffen von El bis 3000 bekamen in ihrer Vorratskammer keine Chance. Am Wochenende, wenn die Kinder bei Freunden oder ihrem Vater übernachteten, setzte sie sich in ihr Auto und fuhr ins Berliner Umland. Hier gab es Obst-und Gemüsehöfe mit einer üppigen Auswahl an Sorten, die sie sogar selbst ernten konnte, wenn sie wollte. Milena wusste, dass all das ein riesiger Aufwand war. Doch sie nahm sich die Zeit, denn alles, was mit Essenszubereitung zu tun hatte, machte sie einfach froh. Ein ganzer Schrank voller unterschiedlicher Tischwäsche, Besteck, Teller, Gläser – von knallig bunt bis edel – ergänzte ihr Vergnügen, jedes Essen zu einem kleinen Erlebnis werden zu lassen.
Der Erfolg gab ihr recht. Jonas und Lilli aßen, ohne zu klagen, jedes Grünzeug, das sie ihnen auftischte. Gegrilltes Gemüse frisch vom Wochenmarkt mit selbstgemachter Knoblauchmayonnaise – wer konnte dazu schon nein sagen?
Noch vor ein paar Jahren war Alex, der Vater ihrer Kinder, ebenfalls Teil der gemütlichen Tischrunden gewesen. Manchmal war er sogar in der Mittagspause hereingeschneit, um mit ihnen zusammen zu essen. Doch das war lange her und eine ganz andere Geschichte.
Milena seufzte leise bei der Erinnerung. Sosehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, Alex aus ihren Gedanken zu verbannen.
Jonas und Lilli hatten aufgegessen. Das Blech Pizza war wie leergefegt und die Schüssel Kopfsalat mit Gurkenscheiben und Joghurt-Dill-Dressing bis auf den Boden ausgeputzt. Die Kinder räumten das Geschirr in die Spülmaschine und verzogen sich danach auf ihre Zimmer.
Milena rührte sich nicht vom Fleck, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatten. Erst dann erhob sie sich vorsichtig vom Stuhl. Sie atmete hörbar aus. Na also, es ging doch schon wieder. Wenn sie nicht versuchte, sich ganz gerade aufzurichten, sondern beim Laufen den Po herausschob und sich watschelnd vorwärtsbewegte, dann tat es fast nicht mehr weh.
Sie würde am Abend ein warmes Bad nehmen, und spätestens dann wären ihre Beschwerden ganz schnell wieder vergessen.
Leider erfüllte sich diese Hoffnung nicht.
Nachdem Milena den ganzen Nachmittag ihre Erdbeerernte zu Marmelade, Kaltschale und fruchtigem Sahnebiskuit verarbeitet hatte, hielt sie es vor Schmerzen kaum noch aus. Lilli und Jonas waren verabredet und verzogen sich noch vor dem Abendessen mit gepackten Taschen zu ihren Freunden. Sie würden bis zum nächsten Nachmittag weg sein.
Milena schleppte sich zum Telefon und rief ihre Kosmetikerin an.
»Frau Lenzen, ich brauche heute eine Rückenmassage«, sagte sie und versuchte, ihre Stimme nicht allzu schmerzverzerrt klingen zu lassen. »Tut mir leid, dass mein Terminwunsch so plötzlich kommt. Haben Sie gleich etwas frei?«
Frau Lenzen hatte. Obwohl es bereits Freitagabend war. Schließlich war Milena eine sehr gute Kundin.
Der Entengang fühlte sich bereits normal an, als sie zu ihrem Auto watschelte.
Ihr Nachbar Jan runzelte allerdings die Stirn, als er sie sah. Er stand an ihrer Gartenpforte und hob lächelnd die Hand zum Gruß. Wahrscheinlich war er eben auf dem Weg zu ihr gewesen, um sich irgendeine Zutat für das Abendessen zu borgen.
Nun, da hatte er Pech gehabt. Milena frohlockte ein wenig, als sie in ihrem Auto an ihm vorbeifuhr. Ausnahmsweise müssten er, seine Frau oder ihre Tochter einmal selbst in den Supermarkt fahren.
Im Rückspiegel sah sie, dass er eine Flasche Sekt in der Hand hielt. Hatte er ausnahmsweise einmal vorgehabt zu tauschen?
Milena lag bis zur Hüfte nackt auf der Massageliege im Kosmetikinstitut und stöhnte bei jedem Handgriff, den ihre Masseurin anwendete.
»Frau Mielke, Sie gehören zum Arzt, und zwar so schnell wie möglich«, hörte sie Frau Lenzen sagen. »Ich massiere Sie immer gerne, und ich weiß inzwischen, wo Ihre verspannten Stellen liegen, aber dieses Mal sind Sie bei mir an der falschen Adresse.«
Milena liebte es, wenn ihre Masseurin bei ihr kräftig zupackte. Allerdings hatte sie heute schon einen Schmerzenslaut unterdrücken müssen, als diese das warme Sesamöl auf ihrem Rücken verteilt hatte.
So langsam sah sie ein, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte.
»Vielleicht ist ein Nerv eingeklemmt«, mutmaßte Frau Lenzen, während sie Milena stützte, die sich vorsichtig von der Liege wälzte.
»Ich fahre ins Klinikum«, beschloss Milena. Sie wollte morgen zum Himbeerpflücken auf ihren Lieblingsfruchthof. Aber mit diesen Schmerzen konnte sie den Plan vergessen. Es war Freitagabend. Jede Arztpraxis hatte geschlossen, also musste sie wohl oder übel den Weg ins Krankenhaus antreten.
Stöhnend zog sie ihre Tunika über den Kopf. Sie fragte sich, ob sie überhaupt ihre Krankenkassenkarte dabeihatte. Seit Jahren führte die in irgendeinem Winkel ein Schattendasein. Milena schaute im Portemonnaie nach und fand sie.
»Auf zum Medizinmann«, sprach sie sich selbst Mut zu. »Wird schon nicht so schlimm werden.«
In der Notaufnahme des Krankenhauses musste sie zwei Stunden warten. Da sich beim Sitzen ihre Schmerzen verstärkten, stand sie die meiste Zeit. Ihr war ganz schummerig, als sie endlich ins Sprechzimmer gerufen wurde. Sie schilderte dem freundlich lächelnden jungen Doktor ihre Beschwerden. Er hörte aufmerksam zu und nickte ab und zu. Sein entspanntes Gesicht gab Milena Anlass zu der Hoffnung, es wäre nur eine Kleinigkeit und mit ein paar Spritzen würde die Sache erledigt sein. Doch dann ließ er sie auf Zehenspitzen gehen, was normalerweise ein Leichtes, aber heute eine Riesenherausforderung für sie war. Selbst auf Fersen gehen und die Zehen in die Luft strecken ließ Milena die Tränen in die Augen treten, als würde sie Zwiebeln schneiden. Sie riss sich zusammen und tat alles, was der Arzt von ihr wollte, so gut sie es vermochte. Kein Wehlaut kam ihr über die Lippen. Schließlich wollte sie in ein paar Minuten hier wieder heraus. Nachdem er sich Notizen gemacht, ihren Rücken sorgfältig abgetastet und sie zum Röntgen geschickt hatte, erfuhr Milena endlich, was sie so quälte.
»Prolaps, Frau Mielke, Bandscheibenvorfall.«
Milena konnte sich beim besten Willen nicht erklären, warum er das mit derartig erfreutem Tonfall diagnostizierte. Er war noch jung. Vielleicht war er einfach glücklich darüber, dass er eine, offensichtlich in Reinkultur einem Medizinlehrbuch entsprungene, Diagnose stellen konnte. Milena verstand ihn, doch sie runzelte ärgerlich die Stirn. Soweit sie wusste, stellte das keine Bagatellerkrankung dar.
»Als Ursachen kommen altersbedingte Abnutzung und Belastung durch Übergewicht infrage.«
Also, das war doch … Hatte Milena dieses Bürschchen vorhin wirklich sympathisch gefunden?
Altersbedingt? Übergewicht?
Zwei Wörter, die ihr einmal mehr klarmachten, warum sie Arztpraxen seit Jahren mied und es auch in Zukunft tun würde.
Altersbedingt? Sie war neununddreißig und nicht dreiundneunzig.
Aber sehr viel mehr noch traf sie das nüchterne Wort Übergewicht. Natürlich! Wenn sie in den Spiegel schaute, sah sie selbst, dass sie zu viel wog. Verglichen mit Heidi Klum und Konsorten sogar viel zu viel.
»Ich weise Sie vorerst auf unsere orthopädische Station ein«, holte der junge Arzt sie aus ihren Gedanken zurück. »Für eine intensive Schmerztherapie und etwas Ruhe. Keine Bange, in ein paar Tagen wird es Ihnen bereits wieder bessergehen.«
»Ich will nicht hierbleiben«, brachte Milena verzweifelt hervor. »Sie können mir ein paar Spritzen …«
»Das genügt in Ihrem Fall nicht«, unterbrach der Arzt sie ungerührt und ignorierte sowohl ihren nörgelnden Tonfall als auch ihre finsteren Blicke. »Warten Sie kurz. Ich lasse Sie sofort auf die Station bringen.«
Eine halbe Stunde später lag Milena auf dem Rücken in einem Krankenhausbett, platt wie eine Flunder, die Beine mit einem eckigen Kissen hochgelagert.
»Verdammter Mist!« Ganz gegen ihre Gewohnheit schien ihr in diesem Moment ein kleiner Fluch durchaus angebracht.
***
»Viv? Bist du schon wach?«
Vivien spürte eine Hand an ihrer Schulter und ein sanftes Rütteln.
»Was … was ist los?«
Sie gähnte, drehte sich um und blickte geradewegs in Cornelius’ Augen. Er saß auf der Bettkante, frisch geduscht, fertig angezogen, lächelnd. Er duftete nach dem Rasierwasser, das sie so an ihm liebte.
»Ich bin weg! Ich muss in zwei Stunden in Hamburg sein.«
Er beugte sich über sie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
Vivien widerstand dem Impuls, ihm die Arme um den Hals zu legen und ihn noch einen Augenblick festzuhalten. Sie wusste, dass er das nicht mochte. Wenn sie sich trafen – irgendwo in einem Hotel oder, wenn er in Berlin dienstlich zu tun hatte, in ihrer Wohnung –, dann gehörte Cornelius für ein paar Stunden ihr.
Diese Zeit war jetzt um. Er musste gehen, zurück in die Welt, in der sie sich mit »Frau Lorenz« und »Herr Winter« ansprachen, er ein verheirateter Mann und ihr Vorgesetzter war.
»Wann sehe ich dich wieder?«
Sie biss sich auf die Zunge. Die Frage war ihr herausgerutscht, bevor sie es verhindern konnte. Cornelius runzelte fast unmerklich die Stirn, legte ihr flüchtig seine warme Hand auf den Arm und verschwand.
»Ich rufe dich an«, warf er ihr beim Hinausgehen über die Schulter zu.
»Ja, na klar«, sagte sie laut. »Mal sehen, wann«, fügte sie leise hinzu.
Er würde anrufen. (»Ich bin in zehn Minuten bei dir!«) Sie würde Zeit für ihn haben. So lief es zwischen ihnen seit fast drei Jahren.
Vivien dachte kurz nach, doch ihr fiel nur eine einzige Gelegenheit ein, bei der sie Cornelius abgesagt hatte. Das war vor etwa einem Jahr gewesen. Sie hatte mit Unterleibskrämpfen und starken Blutungen im Bett gelegen, unfähig aufzustehen und durch starke Schmerzmittel wie ausgeknipst.
»Ich habe Angina«, log sie, als er anrief. Ein unterdrücktes Schluchzen brannte wie Säure in ihrer Kehle. Sie hoffte so sehr, Cornelius würde besorgt sein und trotzdem kommen. Einfach, um an ihrem Bett zu sitzen und zu fragen, ob sie irgendetwas brauchte. Sie ahnte bereits, wie er reagieren würde. Und sie behielt recht.
»Das tut mir leid«, sagte er. »Ich melde mich wieder. Bessere dich, hörst du?«
Nach diesem Telefonat hatte sie für einen Moment darüber nachgedacht, ihr Verhältnis zu ihm zu beenden. Cornelius machte keinen Hehl daraus, dass er nicht in Erwägung zog, sich ihretwegen scheiden zu lassen. Bisher hatte ihr das nicht viel ausgemacht, aber sein offensichtliches Desinteresse an ihrem aktuellen Befinden traf sie mehr, als sie erwartet hatte.
Hätte sie ihm die Wahrheit sagen sollen? Wäre dann alles anders geworden?
Vivien lachte leise. Was wäre wenn? Welch ein sinnloses Spiel: Das Leben war voller verpasster Gelegenheiten. Sinnlos, ihnen nachzutrauern.
Cornelius spielte mit offenen Karten. Das musste man ihm lassen. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass er seit fünfzehn Jahren verheiratet war, dass zu Hause in Hamburg im schicken Stadtteil Blankenese eine Frau und vier halbwüchsige Kinder auf ihn warteten. Ihr war klar, dass sie im Verlag über ihr Verhältnis tuschelten und dass böse Stimmen behaupteten, sie würde ihren Posten als Chefredakteurin der »Amelie« weniger ihrer Kompetenz als ihrem Status als langjährige Geliebte des Verlagsgeschäftsführers verdanken.
Sie zog sich die Decke über den Kopf.
»Verdammt, verdammt, verdammt«; fluchte sie leise vor sich hin.
Die Auflage der »Amelie« befand sich, seit sie die Chefredaktion vor zwei Jahren übernommen hatte, im freien Fall. Sie hatten sich in den letzten Monaten ein paar Falschmeldungen zu viel geleistet. Stella, ihre Promi-Ressortleiterin, war schlicht und ergreifend eine absolute Fehlbesetzung und produzierte eine Ente nach der anderen. Mit dem Erfolg, dass die »richtigen« Prominenten, die, mit denen sie auf dem Titelblatt punkten und für Auflage sorgen konnten, anfingen, einen großen Bogen um die »Amelie« zu machen.
Vivien seufzte.
Oder war sie selbst die eigentliche Fehlbesetzung? War die Chefredaktion einfach eine Nummer zu groß für sie?
Sie war mit Cornelius in einem Hotel in München gewesen, als er im Nebensatz fallen ließ, dass in ein paar Monaten der Chefredaktionsposten zu besetzen wäre. Ihr Verhältnis bestand zu diesem Zeitpunkt seit einem Jahr. Sie arbeitete als Ressortleiterin bei einem großen deutschen Frauenmagazin und wollte mehr.
»War das ein Jobangebot?« Sie fragte es lächelnd, fast beiläufig, doch ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie auf Cornelius’ Antwort wartete.
»Möglicherweise.« Er zog sie begierig an sich und blieb ihr vorerst eine Antwort schuldig.
»Ich will dieses Blatt«, hatte sie Stunden später geflüstert, als er, den Kopf zwischen ihren Brüsten, langsam einschlief.
»Du bekommst es«, hatte er geantwortet.
Vivien schob die Zweifel beiseite und schlug entschlossen die Decke zurück. Jammern, fluchen, den Kopf in den Sand stecken … es nützte nichts. Sie würde jetzt aufstehen und arbeiten gehen. Sie glaubte an die »Amelie«, an die Qualität ihrer Arbeit und – abgesehen von Stella – an die Stärke ihres Teams. In ein paar Monaten würde sie über die Krise lachen. Helena Graziano, der neue Superstar am deutschen Schlagerhimmel, hatte ihr vor einer Woche ein Exklusivinterview zugesagt. Sie würden heute Mittag zusammen essen gehen und die Einzelheiten der Titelstory besprechen.
»Du bist eine Kämpfernatur, Vivien Lorenz!«, machte sie sich selbst Mut.
Ihre Eltern, beide Eiskunstläufer und seinerzeit im Paarlauf zur Olympiateilnahme aufgestiegen, hatten ihr beigebracht, was es erforderte, ganz nach oben zu kommen.
»Du wirst fallen, doch du wirst wieder aufstehen! Du wirst Schmerzen haben, doch du wirst lernen, die Zähne zusammenzubeißen. Du wirst einsam sein, doch wenn du rausgehst, wirst du lachen und dein strahlendes Siegergesicht zeigen. Jede Träne, die du weinst, ist ein Tropfen mehr in dem Strudel, in dem du untergehen wirst. Also weine nicht!«
Als sie die Beine über den Bettrand schwang, spürte sie einen leisen Schmerz im Kreuzbein. Ihre Matratze taugte nichts mehr. Sie plante seit längerem, ein luxuriöses Boxspringbett zu kaufen. Die waren einfach unschlagbar bequem. In den nächsten Tagen würde sie sich darum kümmern.
Vivien duschte lange. Der Spiegel im Bad war vom Wasserdampf beschlagen, als sie aus der Kabine stieg und sich trockenrubbelte. Sie bestand darauf, dass ihre Putzfrau Dorota keinen Weichspüler für ihre Wäsche benutzte, denn sie mochte es, wenn die Handtücher fest und ein bisschen rau waren. Achtlos ließ sie das Handtuch auf den Boden fallen und lief, nachdem sie sich von Kopf bis Fuß sorgfältig eingecremt hatte, nackt in ihr Schlafzimmer.
Im Flurspiegel musterte sie sich kurz. Groß, gertenschlank, makellose, blasse Haut. Sie hatte die Statur und Haltung ihrer drahtigen Eltern geerbt, obwohl sie selbst, bis auf ein paar Kilometer Laufen in der Woche, sich kaum sportlich betätigte. Ihre 42 Lebensjahre sah man ihr nicht an.
»Du bist ein Hammer, Viv!« Wenn Cornelius bei ihren seltenen Treffen ihren Körper stürmisch in Besitz nahm, dann konnte sie durch das brennende Verlangen seiner Hände und Lippen spüren, wie schön und begehrenswert sie für ihn war.
Vivien lächelte sich im Spiegel zu und wählte dann sorgsam ihre Garderobe – einen schmalen beigefarbenen Hosenanzug und eine weiße Hemdbluse – aus. Sie steckte ihr schweres dunkelbraunes Haar mit ein paar Klemmen zu einem Knoten auf. Ein Paar Perlenohrstecker, schwarze Pumps und ein dezentes Make-up komplettierten ihren Look.
Eine halbe Stunde später betrat Vivien die Redaktion.
Sophie, ihre Assistentin, sprang von ihrem Stuhl auf und öffnete ihr die Tür zu ihrem Büro.
»Guten Morgen, Frau Lorenz!«
»Guten Morgen, Sophie!«
»Soll ich Kaffee bringen?«
Vivien aß bis zum Mittag lediglich etwas Obst. Wenn sie Hunger verspürte, trank sie Kaffee und stilles Wasser. Sie nickte ihrer Assistentin aufmunternd zu, stellte ihre Tasche ab und nahm sich die Konkurrenzblätter vor.
»Jill Andersen in Trennung«, titelte die Gala.
So ein Mist! Warum hatte ihre Truppe diese Neuigkeit komplett verschlafen? Vivien ärgerte sich. Sophie brachte den Kaffee und blieb einen Moment unschlüssig vor dem Schreibtisch ihrer Chefin stehen.
»Ich …«
Vivien unterbrach ihre Lektüre und hob den Kopf.
»Was gibt’s?«
»Ich … wollte …«
Vivien hob eine Augenbraue. Normalerweise stand ihre Assistentin nicht vor ihr und stotterte. Die 23-Jährige war eine pfiffige, umsichtige und absolut stresserprobte Frau. »Sophie? Gibt es etwas, was Sie mir sagen wollen?«
»Das Mittagessen mit Helena Graziano heute …«
»Was ist damit?«
»Sie hat abgesagt!«
»Wie bitte?«
Sophie zuckte mit den Schultern. »Vor ein paar Minuten.«
Vivien schluckte schwer. Ihre Titelstory für die nächste Ausgabe hatte sich soeben in Luft aufgelöst. Verdammter Mist! Es war nicht ihr erster Fluch an diesem Tag, und Vivien ahnte, es würde auch nicht der letzte sein.
In diesem Moment klingelte das Telefon.
***
»Frau Mielke, Sie müssen mehr auf Ihr Gewicht achten«, sagte der Oberarzt bei der Visite und runzelte sorgenvoll die Stirn, als er Milenas Krankenblatt betrachtete.
»Wenn Sie nicht abspecken, kriegen Sie als Nächstes Probleme mit den Gelenken«, orakelte der Physiotherapeut. Dabei drückte er seinen Daumen so heftig in die schmerzende Stelle an Milenas Rücken, dass sie nur mit Mühe ein Aufjaulen unterdrücken konnte.
»Kein Wunder, dass du im Krankenhaus endest«, jammerte ihre Mutter, als sie Milena besuchte. »Du sitzt den ganzen Tag alleine zu Hause und isst. Du musst mehr unter Leute, Kind. Männer treffen, dich wieder verlieben …«
»Mama …«, setzte Milena zum Widerspruch an.
Erstens: Sie hatte nicht vor, hier zu enden. Und zweitens saß sie keineswegs nur alleine herum. Sie hatte Kinder, was ihre Mutter eigentlich wissen sollte, da es schließlich ihre Enkel waren. Aber vielleicht hatte die vielbeschäftigte Brigitta angesichts Vollzeitjob, Ehemann, vier erwachsenen Kindern und insgesamt zwölf Enkeln allmählich den Überblick verloren.
Milena schluckte ihren Protest herunter. Ihre Mutter war nicht sehr gut im Zuhören, und außerdem dramatisierte sie gern. Das musste sie allerdings – von Berufs wegen. Unter dem Pseudonym Marilene Jacobi schrieb sie jeden Monat quasi in Fließbandarbeit einen neunzigseitigen Heftroman (»Als Prinz Christian sein großes Glück mit einer Bürgerlichen fand«, »Die Lügnerin im Fürstenhaus« und so weiter). Selbst seit vierzig Jahren glücklich verheiratet, vergaß sie manchmal, dass das wahre Leben kein schmalziger Liebesroman mit unausweichlichem Happy End war.
Seit ihrer Scheidung erhielt Milena mindestens einmal wöchentlich eine Mail oder einen Anruf von Brigitta, die sich wahlweise nach ihren Fortschritten bei der Partnersuche erkundigte oder ihr alternativ den Bekannten einer Bekannten präsentieren wollte, der gerade auf Brautschau war. Das Argument, man könnte als alleinerziehende Mutter von zwei Halbwüchsigen durchaus ein ausgefülltes und zufriedenes Leben führen, ließ sie nicht gelten. »Du brauchst wieder einen Mann, und fertig!«
Milena berührte kurz die Hand ihrer 60-jährigen Mutter, die im Chanelkostüm und mit knallrot geschminkten Lippen neben ihr saß und sorgenvoll guckte. Sie könnte die Heldin ihrer eigenen Romane sein, dachte sie liebevoll. Die herzensgute, aber etwas anstrengende Gräfin, die dem jungen Paar zum Glück verhilft.
»Lass mal, Mama«, sagte sie leise. »Mir geht es wirklich gut.«
»Das sehe ich«, erwiderte ihre Mutter spöttisch. »Das ist alles mein Fehler!«, fuhr sie fort und verfiel zurück in einen dramatischen Tonfall. »Ich habe dir früher einfach zu viel Arbeit aufgebrummt. Du warst meine Große, mein Rückhalt in dem ganzen Chaos aus Kindern und Küche. Ich habe dir Kochen und Waschen beigebracht, aber nicht, wie man sich nach Kräften amüsiert.«
Als sie gegangen war (nicht ohne Milena das Versprechen abzunehmen, die Ärzteschaft des Krankenhauses nach einem geeigneten Heiratskandidaten abzuchecken), betrat Jonas das Krankenzimmer.
»Mein Großer«, rief Milena erfreut und schnupperte an dem Rosenstrauß, den er ihr mitgebracht hatte. »Kommt ihr klar?«
»Papa ist da und hat alles im Griff.«
»Papa? Ihr solltet doch bei Oma …«
Jonas winkte ab. »Kein Thema, Oma hat Manuskriptabgabe und ist im Stress.«
»Das ist sie doch immer, aber sie sollte … Wieso euer Vater?«
»Weil er unser Erzeuger ist?«
Milena fand die Vorstellung befremdlich, dass Alex in ihrem Haus wohnte. Jetzt, wo sie nicht anwesend war. Ob er in ihrem ehemals gemeinsamen Bett …
Sie spürte, dass sie rot wurde.
»Es ist übrigens nicht schlimm, dass du uns morgen nicht zum Wandertag begleitest«, erklärte Jonas und riss sie aus ihren verwirrten Gedanken.
»Ach herrje«, sagte Milena erschrocken. »Das hatte ich völlig vergessen.«
»Wie gesagt, kein Thema! Ich hab Bescheid gegeben, dass du krank bist.«
Sie meinte, Erleichterung in seiner Stimme zu hören. Kein Wunder! Beim letzten Ausflug, zu dem sie mitgekommen war, hatte die Klasse auf dem Rückweg ihretwegen den Zug verpasst. Sie waren spät dran gewesen nach der Kahnfahrt im Spreewald und mussten die letzten fünfhundert Meter zum Bahnhof rennen. Milena war nach der Hälfte des Weges schweißüberströmt und mit quälenden Seitenstichen zurückgeblieben. Ihr selbst war das furchtbar peinlich gewesen, aber mehr noch hatte ihr Sohn unter den spöttischen Blicken seiner Klassenkameraden gelitten.
Milena schluckte. Seit sie im Krankenhaus lag, ging das schon so: Du bist zu dick, du bist zu langsam, du bist zu viel allein. Blablabla!
Eigentlich hatte sie gehofft, dass sich ihre Mitmenschen besorgt und liebevoll um sie kümmern würden. So wie sie selbst es tat, wenn jemand Sorgen oder Schmerzen hatte.
Aber Fehlanzeige! Ihre Krankheit lockte, statt Mitleid und Fürsorge, einzig und allein spitze Bemerkungen und Kritik hervor.
Nachdem Jonas gegangen war, kämpfte Milena mit den Tränen. Sie führte ein ruhiges, zufriedenes Leben, störte niemanden, drängte sich nicht auf, war weder gehässig noch geizig noch bösartig. Was störte die anderen plötzlich an ihr?
Sie fragte sich, ob sie insgeheim schon lange mit ihr unzufrieden waren, aber nichts gesagt hatten. Oder hatten sie etwas gesagt und sie hatte es nicht gehört? Warum auch immer, jetzt waren sie jedenfalls zum Großangriff übergegangen. (»Komm, sie kann nicht abhauen. Wir sagen ihr jetzt mal richtig die Meinung!«)
Milena putzte sich die Nase und griff dann nach einer Praline auf ihrem Nachttisch. Lilli hatte sie von ihrem Taschengeld gekauft und ihr mitgebracht – aus Milenas Lieblingsschokoladenmanufaktur. Ihre Tochter war die Einzige, die bisher nicht auf ihr herumgehackt hatte.
Milena glaubte daran, dass es dem sozialen Frieden diente, in kritischen Situationen den Mund zu halten, selbst wenn man sich im Recht fühlte. Jetzt stellte sie fest, dass die einzige Person, die sich um ein harmonisches Miteinander sorgte und deshalb den Mund hielt, sie selbst war.
Gerade als sie nach der zweiten Praline griff, rief ihr Exmann an.
»Alex?« Milena legte die Süßigkeit zurück in die Schachtel.
»Wie geht’s dir?« Seine dunkle Stimme kroch ihr so zart den Rücken entlang, wie es einst seine streichelnden Hände getan hatten.
»Es … es geht mir gut. Ich habe gehört, du wohnst …«
»Sorry, ich bin ein bisschen in Eile. Ich muss wissen, ob du in einer Woche wieder fit bist, um uns das versprochene Büfett für die Sommerparty auszurichten!« Die hochwichtige Kanzlei. Wie hatte sie nur einen Moment glauben können, er riefe ihretwegen an. »Sonst suche ich Ersatz.«
»Ganz sicher«, beruhigte Milena ihn. »Ich richte euer Büfett aus, und es wird richtig gut.«
»Ich verlasse mich auf dich.«
Alex und seine Kollegen waren große Fans ihrer Kochkünste. Ihr machte es unglaublichen Spaß, ihnen für ihre geselligen Abende Themenbüfetts zusammenzustellen und zuzubereiten.
Als sie auflegte, traf sie die Erkenntnis mit Wucht. Ich suche Ersatz, hatte Alex gerade gesagt.
Ersatz! Das Wort träufelte vom Telefonhörer langsam in ihr Bewusstsein. Wie die Medikamente aus dem Tropf in ihre Vene. Er hatte es locker dahingesagt. Milena spürte es plötzlich regelrecht körperlich. Es wäre nicht das erste Mal, dass Alex sie einfach ersetzt hätte.
Plötzlich begriff Milena, dass ihre melodramatisch veranlagte Mutter im Grunde recht hatte: Sie war verdammt viel allein, und sie hatte die leise Ahnung, mit ihrer kleinen, heilen Welt mitten auf einem Vulkan zu leben, seit Jahren sorgsam verdrängt.
»Als die Kinder klein waren und Alex und ich glücklich verheiratet, da war es schön, so zu leben. Ich war immer ausgefüllt mit den Hausarbeiten, meinem Garten, Treffen mit anderen Kleinkind-Müttern. Als Jonas und Lilli in die Schule kamen, wurde es stiller um mich. Die meisten Mütter aus meinem Bekanntenkreis gingen wieder arbeiten und hatten keine Zeit mehr. Ich blieb zu Hause, weil es keine Arbeit gab, zu der ich zurückkehren konnte. Ich hatte, als ich mit Jonas schwanger wurde, mein Germanistik-Studium abgebrochen. Dafür war ich eine perfekte Hausfrau und Mutter geworden. Ich beobachtete die berufstätigen Mütter und ihr stressiges Leben mit Kopfschütteln. So abgehetzt wie sie wollte ich nicht sein. Ich erwartete lieber meine Kinder nach der Schule mit frischem Essen. Wir schauten täglich ihre Hausarbeiten durch. Ich übte mit ihnen Vokabeln oder löste knifflige Matheaufgaben. Danach spielten wir Brettspiele. Ich baute mit Jonas Vogelhäuser und nähte mit Lilli Klamotten für ihre Barbiepuppen. Meine Kinder waren gut in der Schule, fast nie krank, und bei uns zu Hause gab es kaum einen Streit. Alex arbeitete viel, genau genommen von Jahr zu Jahr mehr. Wir kauften ein großes Haus und zwei Autos, und Alex wurde es nicht leid, immer wieder zu betonen, wie viel lieber er bei uns als im Büro wäre. Es war ein schönes Leben. Bis heute begreife ich nicht, warum er eines Tages nach Hause kam und mir sagte, dass er ausziehen würde. Ich ahnte, dass eine andere Frau dahintersteckte. Aber er meinte, es sei meine Schuld. Denn ich hätte mich in eine andere Frau verwandelt, eine, die er nicht geheiratet hätte und die ihm fremd sei. Dann ging er. Und ich sah zum ersten Mal in den Spiegel. Ich meine so wirklich, nicht nur, um die Frisur zu überprüfen, sondern um zu begreifen, was Alex meinte. Ich verstand ihn. Nichts mehr erinnerte an das junge Mädchen, das ich einmal gewesen war. Ich hasste mich. An diesem Abend verhängte ich meinen Spiegel mit einem Bettlaken. Es hängt immer noch da. Alex hat einen Tag nach unserer Scheidung wieder geheiratet.«
Milenas Essen war kalt geworden. Elli, ihre Bettnachbarin im Krankenhaus – ein schmales Frauchen von geschätzten fünfzig Kilo, die, während Milena redete, einen Teller gedünstetes Gemüse mit nix dabei zum Mittag verspeiste, musterte sie mitleidig.
»Das erklärt vieles«, sagte sie trocken und trank einen tiefen Zug aus ihrer Wasserflasche. »Scheinbar hast du dir lange Zeit etwas vorgemacht.«
Milena erschrak plötzlich. »Entschuldige!«
»Wofür denn?«, fragte Elli und schob die Schale mit dem Schokoladenpudding auf ihrem Tablett mit verächtlicher Miene zur Seite.
»Oh, mein Gott«, stöhnte Milena. »Ich habe dich eine geschlagene Stunde vollgequatscht. Das … das tut mir leid.«
Sie schämte sich. Elli war eine wildfremde Frau. Was war nur in sie gefahren?
»Magst du reden?«, hatte Elli gefragt. Gerade in dem Moment, als Milena das Gefühl hatte, nicht Schmerzmittel, sondern Gift würde durch den Tropf in ihre Venen rinnen. Toxische Substanzen, die nach und nach ihr Leben zerstören würden und deren zersetzende Wirkung sie schon zu spüren meinte. Sie widerstand dem Impuls, sich die Kanüle aus dem Arm zu reißen, stattdessen hatte sie begonnen zu reden. Und nicht mehr aufgehört.
Jetzt war es ihr peinlich.
»Und wenn du keine Büfetts mehr ausrichtest?«
»Wie bitte?«
»Sorry, ich habe dein Telefonat mitbekommen. Nachdem du versprochen hattest, das Essen für irgendwelche Leute zu machen, bist du regelrecht zusammengeklappt.«
»Nicht wegen des Essens«, widersprach Milena. »Das … das hatte einen anderen Grund.«
Ersatz suchen … Ersatz suchen … Ersatz …
»Das mit den Büfetts ist so eine Art Hobby von mir. Mein Exmann hat eine Kanzlei, und seine Mitarbeiter lieben mein Essen.« Milena gab sich Mühe, ihrer Stimme einen heiteren Klang zu geben.
»Kannst du denn davon leben?« Milena schaute Elli begriffsstutzig an. »Na, wenn du geschieden bist«, fuhr die unbeirrt fort, »musst du doch von irgendetwas leben, und wenn du nicht gerade täglich irgendwelche Partys bekochst, dann dürfte der Job nicht sehr einträglich sein, oder?«
»Ich nehme kein Geld dafür«, erwiderte Milena verständnislos.
Elli verschluckte sich an ihrem Wasser.
»Du arbeitest umsonst?«, fragte sie fassungslos.
Milena zuckte mit den Schultern. »Warum nicht? Und außerdem mache ich das für Alex. Ich lebe von seinem Geld, in dem Haus, das er gekauft hat. Er sorgt dafür, dass es mir und den Kindern gutgeht. Und da soll ich Geld dafür verlangen, dass ich für ihn koche? Das ist absurd!«
»Na ja, das ist deine Sache«, brachte Elli hervor und klopfte sich selbst auf den Rücken, bis der Hustenreiz nachließ. Aber Milena merkte, dass Elli im Laufe des Nachmittags immer wieder zu ihr herüberschaute und den Kopf schüttelte. Mit ihrer nächsten Frage hielt sie nicht lange hinter dem Berg. »Was schreibst du da?«
Dieses Mal achtete Milena darauf, sich bedeckt zu halten.
»Ich mache mir ein paar Notizen.«
»Was für Notizen?«
Elli war wirklich schrecklich neugierig. Aber Milena wollte keine erneute verständnislose Bemerkung riskieren. Elli würde bestimmt nicht verstehen, wie sorgfältig und genau sie sich die Speisen für das Sommerbüfett von Alex überlegen musste. Beim letzten Fest hatte sie beobachtet, dass es Spannungen in der Belegschaft gab.
Alex’ Assistentin und die Frau seines Partners konnten sich nicht ausstehen. Ihr Exmann liebte üppige Fleischgerichte, seine neue Frau aß nichts – außer Salatblätter mit etwas leichtem Dressing, was wiederum die fraulich üppige Referendarin zum Augenverdrehen reizte. Alex’ Partner wollte mit exotischen Speisen verwöhnt werden, während die Damen eher regionale Küche mit vegetarischem Einschlag bevorzugten.
Wenn das Fest gelingen sollte, musste Milena Speisen und Menschen gut aufeinander abstimmen. Sie wollte jeden mit seinem persönlichen Geschmack zum Essen einladen und ihm das Gefühl geben, das Büfett wäre für ihn höchstpersönlich hergerichtet worden. Die Stimmung und das Gelingen des ganzen Abends hingen davon ab.
Und wenn man es richtig anstellte, konnte man mit einem Essen Frieden stiften, sogar Liebe. Davon war Milena überzeugt. Und deshalb hatte sie stets ihr Notizbuch dabei. Wenn ihr eine kulinarische Idee kam, dann hielt sie die fest. Ebenso sammelten sich in dem Büchlein Adressen guter Wochenmärkte, kleiner Spezialitätenläden und natürlich Rezepte.
Elli, die ein Margarinebrot und ungesalzene Gemüsebrühe für ein gutes Essen hielt, würde keinerlei Verständnis für Milenas Philosophie haben.
»Das ist privat«, gab Milena also zurück und ignorierte beherzt Ellis Schmollmund.
Von da an schwiegen sie fast ausschließlich oder redeten über Belanglosigkeiten, aber als Elli einen Tag vor Milena entlassen wurde, drückte sie ihr zwei ordentlich ausgeschnittene Zeitungsartikel in die Hand. Der eine erzählte die Geschichte einer Frau, die allein durch ein paar Veränderungen in ihrem Leben dreißig Kilo abgenommen hatte. In dem anderen wurde ein junges Berliner Cateringunternehmen vorgestellt, das schon einen Monat nach seiner Gründung drei Köche anstellen musste, um die Aufträge zu bewältigen.
Milena las interessiert die beiden Artikel. Der Wink mit dem Zaunpfahl war natürlich deutlich. Doch wie sollte sie ihr Leben ändern? Und wollte sie das überhaupt?
Bevor sie entlassen wurde, setzte sich der Oberarzt zu ihr ans Bett.
»Frau Mielke, ich muss Ihnen noch einmal kurz ins Gewissen reden«, sagte er. Milena ahnte, was kommen würde. Leise seufzend ergab sie sich in ihr Schicksal. »Waren Sie schon immer übergewichtig?«
Ging ihn das etwas an?
»Nein«, antwortete sie mit gequältem Lächeln. Sie konnte machen, was sie wollte. Ihre Figur war einfach ein Thema. Für die anderen. »Nein, war ich nicht.«
Aber sie war auch noch nie ganz schlank gewesen. Bisher hatte ihr Äußeres sie eigentlich nicht gestört. Es nervte sie eigentlich nur, dass jeder glaubte, Dicke würden den ganzen Tag nichts weiter tun, als Essen in sich hineinzustopfen.
Ob man schlank blieb oder nicht, lag hauptsächlich in den Erbanlagen. Das hatten Genforscher herausgefunden. Aber leider hatte es sich in der Welt noch nicht herumgesprochen. Und hier in der Ärzteschaft scheinbar auch nicht.
So wie in kleinwüchsigen Familien keine Riesen aufwuchsen, gab es in ihrer Familie weit und breit keine schmalen Hüften und Waschbrettbäuche. Milena beneidete die Kurzen, denn denen erging es besser. Niemand käme nämlich auf die Idee, eine 39-Jährige, etwas klein geratene Frau aufzufordern, gefälligst mal ein bisschen zu wachsen.
Die Mielkes jedenfalls waren alle »ein bisschen mehr«. Ihre Eltern, ihre Schwestern und ihr Bruder, Onkel und Tanten. Alle waren wie Eichen – groß, kräftig, langlebig, gesund. Milena gab gerne zu, dass sie in diesem Eichenwald der stärkste Baum war. Leider schlossen jedoch alle daraus, dass man auf ihr am meisten herumhacken dürfte.
Dick! Verfressen! Faul! Unbeherrscht! Sie konnte es nicht mehr hören.
»Ich mache eine Diät«, sagte sie leise und sah dem Oberarzt in die Augen.
»Darauf wollte ich eben zu sprechen kommen«, erwiderte er und nickte zufrieden. »Das ist in Ihrem Fall dringend angeraten. Verbunden mit Krankengymnastik und medikamentöser Schmerztherapie sollten wir damit langfristig gute Erfolge erzielen und Sie beschwerdefrei halten können.«
Den letzten Nachmittag ihres Krankenhausaufenthaltes verbrachte Milena mit der Lektüre der unzähligen Frauenzeitschriften, mit denen ihre Mutter sie stets versorgte. In jeder Ausgabe fand sie mindestens einen Artikel über Low Fat, Trennkost, Metabolic Balance oder Fasten. Sie schüttelte sich innerlich, doch eine Änderung ihrer Essgewohnheiten könnte mit Hilfe der vielfach erprobten Methoden zu schaffen sein.
Beim letzten Frühstück im Krankenhaus ließ sie sich, statt knuspriger Brötchen mit Butter, eine Portion leicht gesalzene in Wasser gekochte Haferflocken bringen, die so scheußlich schmeckten, dass sie sich mit Mühe die Hälfte davon hineinquälte.
Wieder zu Hause, kaufte sie eine Waage und stellte sich regelmäßig darauf.
Sie probierte ein Low-Fat-Gericht, das allerdings sowohl von ihr als auch ihren Kindern von Herzen verabscheut wurde. (»Mama, kannst du morgen wieder was Richtiges kochen?«) Sie kaufte ein paar Light-Gerichte aus dem Supermarkt, die bereits der Geruchsprobe nicht standhielten. (»Boah, das stinkt voll!«) Ihr letzter, verzweifelter Versuch bestand darin, das Abendessen wegzulassen. Dinnercancelling war angeblich eine todsichere Methode. (»Kein Abendbrot? Mama, bist du wahnsinnig geworden?«)
Ja! Es gab viele Möglichkeiten, den unliebsamen Pfunden zu Leibe zu rücken, wusste Milena. Aber keine einzige davon machte auch nur ein winziges bisschen Spaß!
Nach vier Wochen, in denen die Digitalanzeige hartnäckig das immer gleiche Gewicht anzeigte, brachte sie die Waage ins Kaufhaus zurück (»Die Anzeige ist total kaputt.«) und ließ es sein.
***
»Du siehst toll aus, Mama!«
Die 10-jährige Maria lief einmal im Kreis um ihre Mutter herum und begutachtete deren Outfit.
Ann-Kathrin stand vor dem Spiegel im Flur ihrer kleinen Wohnung, betrachtete sich kritisch und versuchte, der Tatsache, dass ihr die ganze Zeit die Knie zitterten, keine allzu große Aufmerksamkeit zu schenken.
Ich bin vierzig, und ich habe zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit ein Date. Das ist toll, und ich freue mich darauf!, versuchte sie sich selbst Mut zu machen, während sie den Sitz ihres Kleides überprüfte und die hauchfeine schwarze Strumpfhose auf Laufmaschen überprüfte. Betonte das schmal geschnittene Kleid nicht zu sehr ihre breiten Hüften und den allzu üppigen Po?
»Aber du bist ein bisschen zu schwarz«, fügte ihre Tochter kritisch hinzu. »Warte mal!«
Sie sauste ins Kinderzimmer und kam ein paar Sekunden später mit ihrer Schatzkiste, einem bunt beklebten Schuhkarton, wieder zurück. Ann-Kathrin fand ihr Outfit in Ordnung. Mit dunkler Kleidung konnte man nichts falsch machen. Kleid, Strumpfhose, Pumps, oben drüber ein leichter Trench – und fertig. Vielleicht würde sie sich zur Auflockerung des zurückgenommenen Looks ein buntes Seidentuch um den Hals binden.
Du siehst aus, als würdest du zur Beerdigung gehen. Sie konnte die spöttische Stimme ihrer Kollegin Janine hören, als würde sie neben ihr stehen.
Offensichtlich hatte die kleine Maria einen ähnlichen Gedanken gehabt, denn sie förderte jetzt ein paar lange Ohrhänger zutage, die von je einer leuchtend roten Feder geschmückt wurden.
»Die sehen toll zu deinem Kleid aus, Mama«, erklärte die Kleine begeistert, streckte sich und hielt ihrer Mutter den Schmuck an die Ohrläppchen.
»Du hast absolut recht«, sagte Ann-Kathrin lachend und nahm ihre Tochter in die Arme. »Ich werde sie tragen und dabei ganz fest an dich denken. Und du bist sicher, dass du alleine klarkommst?«
»Maaaama«, antwortete Maria gedehnt. »Ich bin zehn und nicht drei. Und wenn ich ein Problem habe, rufe ich dich an oder gehe rüber zu Caro und sage dir vorher Bescheid, damit du weißt, wo ich bin.«
Die Kleine reckte sich jetzt, stemmte ihre Hände in die Hüften und sagte mit verstellter Stimme: »Ich verbiete dir, den ganzen Abend an mich zu denken!« Es klang streng, ein wenig spöttisch und sehr, sehr überheblich. Maria war eine richtige kleine Schauspielerin.
Ann-Kathrin lief es kalt den Rücken herunter. Ihr Herz tat einen ängstlichen Satz. Sie brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass diese schneidende Stimme aus dem Mund ihrer Tochter gekommen war. Und die Kleine hatte nur einen Scherz gemacht, nichts weiter.
Sollte sie nicht besser zu Hause bleiben? Es war sowieso eine Schnapsidee gewesen, sich vor ein paar Monaten bei einer Online-Partnerbörse anzumelden.
Janine hatte ihr vorgeschwärmt, wie genial es wäre, im Internet Männer kennenzulernen. Man konnte mit ihnen wochenlang Mails austauschen, miteinander über Gott und die Welt und die eigene Lebensgeschichte erzählen, ohne dass man sich überhaupt zu Gesicht bekam.
»Das ist genau das Richtige für dich. Erst mal vorsichtig abchecken«, erklärte sie. »Wenn du ihm schließlich begegnest, fühlt es sich an, als würdest du einen guten Freund zum Kaffee einladen.«