8,99 €
Leise rieselt das Glück ... Ina Petersen will dem Trubel der Großstadt entkommen, deshalb zieht sie sich zur Weihnachtszeit in eine kleine Ferienhaussiedlung am See zurück. Plätzchenbacken, Schlittschuhlaufen und durch den verschneiten Wald spazieren – Ina kann sich nichts Schöneres vorstellen. Doch in diesem Jahr kommt alles anders, denn das Winterparadies wurde verkauft. Und zwar an Ben, der von Modernisierung und Luxuswohnungen träumt. Als Ina und Ben zum erstem Mal aufeinander treffen, sind sie einander sympathisch. Doch wenn es um die Siedlung geht, geraten die beiden immer wieder aneinander. Werden sie trotzdem zusammenfinden, oder wird es für Ina das letzte Weihnachten am See?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Weihnachtsträume am See
KERSTIN HOHLFELD, geboren 1965 in Magdeburg, studierte von 1985 bis 1991 Theologie in Naumburg und Berlin. Danach gründete sie eine Familie und verlegte sich aufs Schreiben. Sie hat bereits mehrere Romane veröffentlicht.Von Kerstin Hohlfeld sind in unserem Hause bereits erschienen:Bevor es Weihnachten wird · Bevor die Stadt erwacht · Morgen ist ein neues Leben · Wenn das Glück anklopft
Ina will dem Trubel der Großstadt entkommen, deshalb zieht sie sich zur Weihnachtszeit in eine kleine Ferienhaussiedlung am See zurück. Plätzchenbacken, Schlittschuhlaufen und durch den verschneiten Wald spazieren – Ina kann sich nichts Schöneres vorstellen. Doch in diesem Jahr kommt alles anders, denn das Winterparadies wurde verkauft. Und zwar an Ben, der von Modernisierung und Luxuswohnungen träumt. Als Ina und Ben zum erstem Mal aufeinander treffen, sind sie einander sympathisch. Doch wenn es um die Siedlung geht, geraten die beiden immer wieder aneinander. Werden sie trotzdem zusammenfinden, oder wird es für Ina das letzte Weihnachten am See?
Kerstin Hohlfeld
Roman
Ullstein
Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de
Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Oktober 2021© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, MünchenTitelabbildung: © www.buerosued.de (Kinder, Paar, Landschaft), Getty Images / © Lauzla (Haus)Autorenfoto: © privatE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comISBN 978-3-8437-2428-9
Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.
Auf einigen Lesegeräten erzeugt das Öffnen dieses E-Books in der aktuellen Formatversion EPUB3 einen Warnhinweis, der auf ein nicht unterstütztes Dateiformat hinweist und vor Darstellungs- und Systemfehlern warnt. Das Öffnen dieses E-Books stellt demgegenüber auf sämtlichen Lesegeräten keine Gefahr dar und ist unbedenklich. Bitte ignorieren Sie etwaige Warnhinweise und wenden sich bei Fragen vertrauensvoll an unseren Verlag! Wir wünschen viel Lesevergnügen.
Hinweis zu UrheberrechtenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.
Die Autorin / Das Buch
Titelseite
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
LeseprobeKerstin Hohlfeld
Bevor die Stadt erwacht
Kapitel 1
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Kapitel 1
Sie hatte alle Kisten aus dem Transporter ausgeladen, alle Waren sortiert, gestapelt und sorgsam arrangiert. Wie jeden Morgen, wenn sie ihren Marktstand aufgebaut hatte, hielt Ina einen Moment inne und betrachtete die Auslagen. Sie genoss den Moment der Stille, bevor die ersten Kunden eintrafen – den Anblick der bunt gemischten Obst- und Gemüsesorten und der von ihr selbst designten, mit frischen Waren prall gefüllten Papiertüten. Auch an den restlichen Ständen herrschte emsige Betriebsamkeit. Genau wie sie waren die meisten Händler noch weit vor Sonnenaufgang mit ihren Lieferwagen und Foodtrucks auf dem bei Touristen und Einheimischen gleichermaßen beliebten Marktplatz in Berlins Mitte eingetroffen. Ina winkte den Koreanerinnen von gegenüber zu. Um die Mittagszeit bildete sich vor dem Stand der beiden jungen Frauen stets eine lange Schlange. Ihr frisch zubereitetes Bibimbap aus Reis, Gemüse, Ei und wahlweise Fleisch oder Tofu erfreute sich großer Beliebtheit. Aber Ina wusste, dass auch die Waren der anderen Händler – vom italienischen Kaffee über den hausgebackenen Kuchen bis hin zur klassischen Currywurst mit Pommes – ihre Abnehmer fanden, selbst bei der aktuell herrschenden Wetterlage, einer meist ungemütlichen Mischung aus Nebel und Nieselregen, die eigentlich nicht zu einer Mahlzeit im Freien einlud. Ina liebte den Duft, der sich, von den verschiedenen Ständen aufsteigend, über dem Platz ausbreitete. Nach einem Blick auf die Uhr beschloss sie, dass noch genug Zeit für einen Espresso am Stand von Matteo blieb. Nur sein gleichermaßen üppiges wie köstliches Tiramisu, das er ihr gern zum Naschen anbot, würde sie sich verkneifen, zumindest jetzt, am frühen Morgen.
Neben ihr räusperte sich jemand. »Hübsch, hübsch hier.«
»Guten Morgen, Alex!«, begrüßte Ina ihren Standnachbarn, der genau wie sie in eine dicke Winterjacke gehüllt war und Mütze und Handschuhe trug, um der feuchten Kälte der letzten Novembertage zu trotzen. »Das Kompliment kann ich nur zurückgeben.«
»Der Himmel reißt auf. Jetzt guck dir mal den Sonnenaufgang an!«
Ina hob den Kopf. »Wow!«
»Sieht aus wie eine riesige orange Weihnachtskugel, findest du nicht?«
»Passt doch.«
»Ich habe was Neues«, sagte Alex. »Willst du schnuppern?«
»Unbedingt!« Den Kaffee bei Matteo könnte sie sich genauso gut zum Ende des Markttages gönnen.
Ihr Nachbar griff nach einer der großen silbrigen Metalldosen an seinem Stand und öffnete vorsichtig den Deckel. Alex verkaufte Gewürze – von Klassikern bis hin zu selbst erdachten Mischungen. »Meine neueste Kreation. Die heißt Sunrise.«
Ina lachte. »Passt schon wieder. Und in der Dose sieht es genauso aus wie gerade am Berliner Himmel.« Sie beugte ihren Kopf über das Gefäß und sog den Duft der Gewürzmischung ein. »Mmh, was ist das?«
»Kurkuma, Ringelblumenblätter, Paprika, Koriander und Ingwer.«
»Absolut himmlisch. Und der Name ist auch so schön. Da kauf ich dir ein Tütchen ab.«
Alex zwinkerte ihr zu. »Ich schenk dir eins. Weil bald Weihnachten ist.«
Ina zwinkerte zurück. »Dann revanchier ich mich mit einem Müsli, einverstanden?«
»Deal.«
»Ich bin ab morgen im Urlaub«, sagte Ina.
»Weiß ich«, erwiderte Alex. »Hast du mir letzte Woche schon erzählt.«
»Wahrscheinlich vorletzte und vorvorletzte auch«, scherzte Ina. »Das liegt daran, dass ich eine Pause brauche. Und mich wie verrückt auf meine Hütte freue.«
Bevor Alex etwas erwidern konnte, begannen die Kunden sich an seinem Stand aufzureihen. Er bot zusätzlich zu seinem Standardsortiment verschiedene Sorten heißen gewürzten Tee an und zog damit jeden Morgen ein sichtbar müdes, aber kauffreudiges Stammpublikum an. Alex war leidenschaftlicher Gewürzverkäufer und kannte sich mit Herkunft, Anbau und Wirkweise eines jeden Produkts bestens aus. Jetzt, in der kalten Jahreszeit, ließ sich auch Ina, wenn es die Zeit zwischen zwei Kunden erlaubte, gern ihren mitgebrachten Thermobecher mit duftendem Chai und einem guten Schuss frischer, cremiger Hafermilch füllen. »Ingwer, Nelken und Kardamom, die halten dir jeden Virus vom Leib«, erklärte Alex. »Versprochen.«
Eine Wirkung, die sie als im Winter stets durchgefrorene Markthändlerin durchaus brauchen konnte.
Der Markttag verging wie im Fluge. Die Käufer standen Schlange. Für einen Tee blieb an diesem Vormittag keine Zeit. »Also, diese Sorte ist ja schon ziemlich lecker, aber die Rosinen …«, sagte eine Kundin, nachdem Ina ihr eine kleine Portion ihres selbst kreierten Adventsmüslis zum Kosten angeboten hatte.
»Das sind Cranberrys.«
»Das ist doch alles das Gleiche.«
»Na ja, das kann man so nicht sagen«, erwiderte Ina lächelnd.
Möglichst unauffällig trat sie fröstelnd von einem Bein auf das andere. Nicht nur, weil sie langsam, aber sicher zu frieren begann, sehnte sie das Ende des heutigen Markttages herbei. Auch die Kundschaft schien ihr zu Beginn der Adventszeit besonders anspruchsvoll zu sein. Was sie in gewisser Weise verstand, zum Fest gehörten Gaumenfreuden so unabdingbar dazu wie der geschmückte Tannenbaum. Vielleicht war sie auch einfach nur müde. Und urlaubsreif.
Der Gedanke, dass sie nach diesem Markttag in die langersehnten Ferien aufbrechen würde, hob ihre Stimmung. »Ich kann Ihnen das Schokoladenmüsli empfehlen, da sind weder Cranberrys noch Rosinen drin.«
»Ja, aber das ist wahrscheinlich viel zu süß. Und mein Mann mit seinem Diabetes … wissen Sie?«
Ina blieb geduldig und warf einen beruhigenden, mit einem Lächeln gepaarten Blick zu den hinter der Dame wartenden Leuten. Sie war seit Jahren Markthändlerin, und im Umgang mit ihren Kunden hatte sie schon so ziemlich alles erlebt. Natürlich gab es genug Menschen, die einfach an ihren Stand kamen, eines ihrer selbst gemachten Müslis und eine Tüte Obst dazu kauften, bezahlten und sich mit einem kurzen Dank verabschiedeten. Aber die weitaus meisten verweilten ein wenig, einige von ihnen, um beraten zu werden, andere, um über Gott und die Welt zu plaudern oder sogar ihr Herz auszuschütten.
Ihr Stand, mit dem sie elf Monate im Jahr über die verschiedenen Berliner Marktplätze zog, erfreute sich reger Stammkundschaft. Ihr Verkaufsschlager waren die sorgsam zusammengestellten Smoothietüten – auf verschiedene Geschmäcker und Bedürfnisse abgestimmte Obst- und Gemüsemischungen, vom grünen Smoothie aus Grünkohl, Gurke, Ananas und Apfel bis hin zum sämig süßen Mix aus Bananen, Mango und Papaya mit einem leisen Hauch von scharfem Ingwer.
Die Kundin ging schließlich, ohne etwas mitgenommen zu haben. Dafür waren die nächsten Besucher umso kauffreudiger. Ihr nach Zimt und Marzipan duftendes Adventsmüsli, von dem sie nur eine kleine Menge produziert hatte, war eine Stunde vor Schließung des Marktes ausverkauft, worüber sich Ina freute, wäre sie es doch bei Wiedereröffnung ihres Standes im Januar höchstens noch zum halben Preis, wenn überhaupt, losgeworden. Die letzten Smoothietüten erwarb eine ihrer Stammkundinnen, der Ina einen stattlichen Rabatt gewährte.
Punkt vierzehn Uhr begann sie, die verbliebene Ware – lediglich etwas loses Obst und Gemüse – einzupacken und in ihren Transporter zu laden. Sie und Alex tranken schließlich mit Matteo vom Kaffeestand einen Espresso und teilten sich lachend und fröhlich schwatzend das letzte übrig gebliebene Stück Tiramisu.
Feierabend! Urlaub! Beinahe hätte sie vor Freude gejauchzt. Zu Hause würde sie das Auto ausladen, sich ein Bad einlassen und während langsam die Wärme in ihren ausgekühlten Körper zurückkehrte, realisieren, dass nun knappe fünf Wochen Freizeit vor ihr lagen. Was für ein Fest! Weihnachten begann für sie genau jetzt.
Bin in einer Stunde zu Hause, schrieb sie in einer WhatsApp-Nachricht an ihre Mutter.
Die beiden teilten sich ein Haus mit kleinem Garten im gemütlichen Stadtteil Lichterfelde – Ina wohnte oben, ihre Mutter Margarete unten. Wenn Ina vom Markt kam, half ihre Mutter, den Transporter auszuleeren. Danach aßen sie zusammen ein spätes Mittagessen, das Margarete täglich frisch für sie beide zubereitete.
Heute hatte Ina sich eine heiße Suppe gewünscht. Der Berliner November war bisher nur nasskalt gewesen, keine einzige Schneeflocke hatte sich blicken lassen. Dafür umso mehr Regen. An manchen Tagen hatte Ina das Gefühl, nie mehr warm werden zu können, auch wenn Thermounterwäsche und dick gefütterte Stiefel ihr die schlimmste Kälte vom Leibe hielten.
Sie war gerne Händlerin, die Kunden goutierten ihr sorgsam ausgetüfteltes Konzept, zeitsparende Lebensmittelpakete anzubieten, gesund und vollwertig und immer frisch. Angefangen hatte sie ausschließlich mit Obst und Gemüse. Müsli zu mischen war anfangs mehr ein Versuch gewesen, weil sie Freude daran hatte, kreativ mit verschiedenen Zutaten zu experimentieren. Ihre Mutter probierte, war begeistert und ermutigte Ina, sich mit ihren Kreationen auf den Markt zu trauen. Bis Ina so weit war, den Kunden die ersten Kostproben vorzustellen, dauerte es jedoch eine Weile. Vom prompten Erfolg war sie mehr als überrascht. Die Nachfrage war im Nu von null auf hundert gestiegen, und Ina hatte ihr Hobby zum Beruf gemacht. Auch wenn das bedeutete, nach dem Markttag nicht mehr freizuhaben, sondern in den Keller zu gehen, um Knuspermüsli zu backen und an neuen Mischungen mit einem exotischen Touch zu tüfteln. Und morgens auf den Großmarkt, Gemüse und Obst besorgen. Elf Monate im Jahr, sechs Tage jede Woche.
Dafür einen Monat lang nichts, aber auch gar nichts zu tun. Nun gut … fast nichts. Um Kochen und Backen kam sie auch in der Weihnachtszeit nicht herum. Allerdings machte ihr das nichts aus. Sie stand eigentlich richtig gern in der Küche.
»Ich bin dann mal weg«, sagte sie zu Alex, als sie ihm das versprochene und extra für ihn hübsch verpackte Müsli reichte.
»Danke dir!« Er freute sich sichtlich. »Hab es gut und erhol dich schön in der Pampa.«
Ina lächelte. »Und du erhol dich schön in Tampa.« Alex hatte ihr begeistert erzählt, dass er die Feiertage und den Jahreswechsel in Florida verbringen würde.
Margarete wartete schon in der Auffahrt, als Ina den Lieferwagen auf ihr Grundstück lenkte. Sie trug Mütze, Handschuhe, Jeans und eine dicke Jacke.
Wie immer freute Ina sich über die tatkräftige Unterstützung ihrer agilen Mutter, der ihr Alter von fünfundsechzig Jahren kaum anzusehen war. Erst vor achtzehn Monaten hatte sie ihren eigenen Marktstand aufgegeben. »Das Arbeiten an der frischen Luft hält fit«, behauptete sie immer, und wer sie sah, glaubte ihr das gern. So leidenschaftlich, wie sie gearbeitet hatte, so sehr genoss sie jetzt ihren Ruhestand. Und Ina war froh, sie an ihrer Seite zu haben, schätzte ihren Rat und ihre Erfahrung ebenso wie ihre Fürsorge an Tagen wie heute, an denen Ina bis auf die Knochen durchgefroren nach Hause kam.
»Wie lief es heute, Ina?«
»Bin fast alles losgeworden.«
»Lass uns den Rest schnell ausräumen, du musst doch noch packen. Oder willst du lieber zu Hause etwas ausruhen und erst übermorgen losfahren?«
»Auf keinen Fall!« Ina rieb sich die klammen Hände und schüttelte den Kopf, während Margarete bereits nach der ersten Kiste griff. »Ich fahre spätestens morgen Mittag.« Die Sehnsucht nach ihrem stillen Urlaubsort wuchs beinahe ins Unermessliche.
Eine Viertelstunde später saßen sie in Margaretes gemütlicher Küche und löffelten eine würzig-aromatische Linsensuppe. Ina seufzte wohlig. »Die ist so gut, Mama!«
»Das ganze Geheimnis ist, dass sie fünf Stunden geköchelt hat.«
Margarete hatte sich vor einiger Zeit einen sogenannten Slowcooker zugelegt. »Ich werfe vormittags die Zutaten in den Topf und nachmittags ist ein prächtiger Eintopf draus geworden«, hatte sie Ina erklärt. »Mit wenig Energieverbrauch, sanft in der Zubereitung, sodass sich die Aromen der Zutaten in Ruhe miteinander mischen können. Und ich muss mich um gar nichts kümmern.«
Die Ergebnisse gaben Margarete recht. Dieser Kocher war ein kleines Wunderwerk. Gern tat sich Ina ein zweites Mal auf.
»Das Jahr ist für dich gut gelaufen, wie es aussieht.«
Ina nickte und schnitt sich eine Scheibe von Margaretes Roggenbrot ab. Die beiden Frauen teilten ihre Leidenschaft für selbst zubereitetes Essen aus frischen Zutaten. »Das Adventsmüsli lief großartig.«
»Deine Müslis kommen sehr gut an.«
»Mir macht das Mixen richtig großen Spaß. Und es bringt mir eine Menge neuer Kundschaft.«
Auch Margarete schöpfte sich noch eine weitere Kelle auf ihren Teller. »Das hat sich wirklich verändert«, sagte sie. »Die heutige Marktkundschaft ist viel mehr auf der Suche nach etwas Besonderem als früher. Und auch bereit, etwas mehr Geld auszugeben.«
»Jedenfalls bin ich ausverkauft, und den Rest Obst nehme ich morgen mit, gebe Egon die eine Hälfte, und aus der anderen schnippele ich für Klaras Bande einen Trog Obstsalat.«
»Weißt du, wann sie und die Kinder anreisen?«
Ina zuckte die Schultern. »Ich habe sie gefragt, aber da war sie noch nicht sicher, ab wann sie von ihrer Chefin freibekommt. Eigentlich möchte sie übermorgen da sein. Und wann willst du zu uns stoßen?«
Margarete dachte kurz nach. »Ich werde mir noch etwas Zeit lassen. Möchte noch ein paar Kleinigkeiten besorgen. Aber es wäre lieb, wenn du schon einen Teil meines Gepäcks mitnehmen würdest.«
»Gerne«, erwiderte Ina. »Und ich hole dich vom Bahnhof ab, wenn du mir rechtzeitig Bescheid gibst.«
Nach einer gemeinsamen Tasse Kaffee legte sich Ina in die langersehnte Badewanne, schloss die Augen und gönnte sich eine große Portion Vorfreude.
Vor ihrem inneren Auge spielten sich vertraute Szenen ab wie in einem Film: ein dichter Wald, geduckte Häuschen unter einem Dach aus Laub- und Nadelbäumen, ein paar Schritte entfernt ein See, der mit etwas Glück zugefroren war und eine wunderbare, idyllische Natureisbahn abgab. Im Haus ein über die Jahrzehnte schwarz gewordener, aber tadellos funktionierender Kamin, ein schwerer Ohrensessel, hölzerne Möbel, rustikal und wegen ihres Alters etwas abgewetzt, aber noch gut in Schuss. Sie selbst legte die Füße hoch und las, während Glühweinduft aus der Tasse neben ihr waberte. Das war Urlaub, wie er in Inas Welt nicht besser sein konnte. Einen Monat im Jahr die Freiheit, zu tun und zu lassen, was sie wollte. Und dabei nach Kräften die Gesellschaft lieb gewordener Menschen genießen. Noch dazu vor den Toren Berlins, die Anreise war also ein Klacks und stressfrei.
Ihre Freundin Klara war eine von diesen besonderen Personen.
Die Freundschaft der beiden hatte vor vier Jahren an Inas Marktstand begonnen. Die hübsche, damals hochschwangere Frau war mit einem kleinen, etwa zweijährigen Jungen im Buggy vorbeigekommen, als Ina den Stand gerade abbaute.
»Apf«, sagte der Kleine und zeigte auf die Stiege, die Ina im Begriff war, zum Lieferwagen zu tragen. Unwillkürlich lachte sie, der Kleine versprühte einen schier unwiderstehlichen Charme, stellte die Kiste ab und beugte sich zu ihm hinunter. Der Junge strahlte sie an. »Apf haben.«
»Darf ich?«, fragte Ina an die Mutter gewandt und zeigte auf die Früchte.
»Ich wollte nicht, dass er …« Die junge Frau sah sichtlich verlegen aus.»Ist vollkommen in Ordnung«, sagte Ina und reichte dem Kind einen besonders schönen Apfel. »Und ich gebe der Mama noch einen für später mit, ja?«
»Max päter, ja!
»Ich habe aber gerade kein Geld dabei«, stieß die junge Mutter betreten hervor, als Ina ihr einen Apfel reichte. Ina konnte sich nicht erklären, warum der Anblick der werdenden Mutter sie plötzlich so berührte. Es fühlte sich an, als sei sie von einer gewissen Traurigkeit umgeben. Aber natürlich konnte Ina sich täuschen. Vielleicht war die Frau einfach nur müde. Und mit ziemlicher Sicherheit hatte sie wenig Geld.
»Die sind geschenkt«, sagte Ina also und wandte sich rasch wieder ihrer Arbeit zu, um die Frau nicht in Verlegenheit zu bringen. Über die Jahre als Händlerin hatte sie einen gewissen Blick dafür entwickelt, wer es sich leisten konnte, unbesorgt mit Geld umzugehen, und wer eben nicht. Zum Ende des Marktages erschienen oft die Menschen, die zur zweiten Kategorie gehörten. Viele Händler senkten in der letzten Stunde ihre Preise oder boten satte Mengenrabatte.
Ina hatte kein Problem damit gehabt, dem Kind die zwei Äpfel zu schenken, aber die junge Mutter schon, denn beim nächsten Markttag erschien sie erneut, während Ina aufräumte, und beharrte darauf, die Ware zu bezahlen und gleich noch etwas einzukaufen. Bei ihrem dritten Besuch kamen die beiden miteinander ins Gespräch.
Vielleicht wäre es bei einem lockeren Kontakt geblieben, hätte nicht ein paar Wochen später just mitten im fröhlichsten Geplauder mit einem Blasensprung die Geburt von Klaras zweitem Kind eingesetzt. »Es ist eine Woche zu früh«, stellte Klara überraschend sachlich fest. »Meine Mutter kommt erst morgen aus Thüringen, um auf Maxi aufzupassen, wenn es Zeit für die Entbindung ist.«
»Der Vater … äh … könnte doch jetzt, oder? Ich meine bei der Geburt und so …«, stammelte Ina, die zwar schon eine ganze Menge menschliches Tun und Lassen, jedoch noch keine beginnenden Wehen an ihrem Stand erlebt hatte. »Der Vater muss her.«
»Es ist so«, erwiderte Klara, und plötzlich füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Mein Mann … er ist …«
Ina spürte instinktiv, was sie gleich sagen würde, und es zog ihr das Herz zusammen.
»Er … er hatte einen Unfall und ist … Er ist vor drei Monaten gestorben.«
»Das tut mir unglaublich leid«, sagte Ina, der trotz der einsetzenden Panik klar war, was sie jetzt zu tun hatte und dass sie am heutigen Tag keinem ganz normalen Feierabend entgegensah. Sie konnte die beiden in dieser Situation schließlich nicht auf dem Markt stehen lassen und seelenruhig ihre Obstkisten ins Auto räumen, während Klara ihr Kind bekam. Kurzerhand überwand sie alle ihre Hemmungen und schloss die tapfere junge Frau in die Arme. »Wir kriegen das alles hin«, versprach sie. »Bitte bleib ruhig.«
»Ich bin ganz ruhig«, erwiderte Klara. »Und dich schickt der Himmel zu mir, das wusste ich schon, als du uns die Äpfel geschenkt hast.«
»Okay, dann bring ich dich jetzt ins Krankenhaus. Lass uns schnell machen!«
»Bis es richtig losgeht, dauert es eine Weile, wir müssen vorher noch meine Tasche holen. Und Maxi?«
»Ich rufe meine Mutter an!«
»Und ich meine. Aber von Thüringen hierher dauert es eine Weile.«
»Ich helfe dir, aber jetzt komm«, drängte Ina. »Bitte!«
Klaras Gelassenheit angesichts der nicht ganz einfachen Umstände konnte Ina beim besten Willen nicht nachvollziehen. Sie wusste, dass es zwar Stunden dauern konnte bis zur Geburt, aber nicht musste. Das Baby sollte beim besten Willen nicht in ihrem Auto zur Welt kommen, also warf Ina die restlichen Waren mehr in den Lieferwagen, als dass sie sie stapelte, während sie, ihr Handy unter das Kinn geklemmt, Margarete erklärte, was los war.
Wenig später parkte die wohl seltsamste Fuhre, die sie je gefahren hatte, in der Auffahrt ihres Grundstücks ein. Halb leere Obstkisten, Müslikartons, ein Buggy samt Kleinkind und eine hochschwangere Frau, die zwar in regelmäßigen Abständen ein wenig blasser wurde, dabei jedoch das Kunststück fertigbrachte, so ruhig wie Buddha persönlich zu wirken, und darauf beharrte, vor dem Gang ins Krankenhaus noch ihre Tasche holen zu müssen.
»Es tut mir leid, dass ich solche Umstände mache«, sagte sie, während Margarete ohne viel Federlesens den kleinen Maximilian in Empfang nahm, der, als er sie erblickte, glücklich strahlend mit dem Finger auf sie zeigte, »Oma« sagte und ohne weitere Umstände am Küchentisch Platz nahm und zu malen begann. Offensichtlich übertrug sich die Ruhe der Mutter auf ihr Kind.
»Wollen wir?«, fragte Ina unruhig, nachdem Klara sich von ihrem Sohn verabschiedet und Margarete einen dankbaren Blick zugeworfen hatte.
Klara nickte. »Du bist so wunderbar«, sagte sie. »Aber tu mir einen Gefallen, ja?«
»Unbedingt.«
»Bitte atme zwischendurch hin und wieder.«
»Jetzt reißt du auch noch Witze!« Wohl oder übel musste Ina lachen, denn es stimmte schon, was Klara sagte. Sie war so unendlich nervös, ein tiefer Atemzug könnte wirklich nicht schaden. »Du hast aber absolut recht.«