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Die Azteken oder Mexica, wie sich selbst nannten, gehören zu den bekanntesten vorspanischen Kulturen Amerikas. Meist denkt man dabei zuerst an Menschenopfer und Kriege. Weniger bekannt ist, dass diese Hochkultur sich zum Beispiel durch Schrift und Kalender sowie Philosophie, Theologie und Dichtung auszeichnete. Als kleine, unbedeutende Gruppe von Einwanderern im Hochtal von Mexiko passten sich die Azteken schnell ihren Nachbarvölkern an und stiegen ab 1430 zur mächtigsten Herrschaftsmacht in Mittelamerika auf. Die spanische Eroberung der aztekischen Hauptstadt Tenochtitlán unter Hernan Cortés 1521 beendete diese kurze Herrschaftszeit. Die Azteken überlebten Unterdrückung und Ausbeutung während der Kolonialzeit und bilden heute als Nahua die größte indianische Ethnie in Mexiko. Der vorliegende Band befasst sich mit der Geschichte der Azteken, der ihrer Vorgänger- und Nachbarkulturen, schildert die Eroberung durch die Spanier sowie die sich anschließende Kolonialzeit bis in die Gegenwart. Den Leser erwartet eine spannende Begegnung mit einer der faszinierendsten Hochkulturen der Geschichte.
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Seitenzahl: 384
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Ulrike Peters
Mythos und Wirklichkeit
Aussprache:
Abkürzungen:
EINLEITUNG
DAS TAL VON ANÁHUAC – GEOGRAFISCHER UND KULTURELLER KONTEXT
Der geografische Schauplatz der aztekischen Geschichte
Die Pflanzen- und Tierwelt und ihre Bedeutung in der aztekischen Kultur
Vorläufer- und Nachbarkulturen der Azteken
Tolteken – die weisen Vorfahren der Azteken
DIE ZEIT DER FÜNFTEN SONNE: DIE GESCHICHTE DER AZTEKEN
Die schriftlichen Quellen
Die Codices
Aztekische Codices aus vorspanischer Zeit: Die Codex Borgia-Gruppe
Codices aus spanischer Zeit
Die indianischen und spanischen Chronisten
Azteken, Mexica, Tenochca – ein Volk, viele Namen
Das Hochtal von Mexiko vor der Einwanderung der Mexica
Von Huitzilopochtli auserwählt – Ursprung und Wanderung der Mexica
Der Anfang einer Weltstadt: Die Gründung von Tenochtitlán
Acamapichtli: Die Anfänge der Dynastie der Mexica
Huitzilihuitl: Erste Schritte auf dem Weg zur Macht
Ixtlilxóchitl I. von Texcoco und Chimalpopoca von Tenochtitlán: Verfolgung und Mord
Itzcoatl von Tenochtitlán und Nezahualcóyotl von Texcoco: Die Befreiung von der Tepanekenherrschaft
Moctezuma I.: Naturkatastrophen und Eroberungen vom Atlantik bis zum Pazifik
Axayácatl: Die größte Niederlage der Azteken
Tizoc: Ein Herrscher ohne Erfolg
Ahuitzotl: Die Grenzen des Reiches und eine Flutkatastrophe
Nezahualpilli: Texcoco als kulturelles Zentrum
Moctezuma II.: Das Ende des Aztekenreiches
Cacama und Ixtlilxóchitl II.: Ein Bruderzwist in Texcoco
Pilli und Macehualli: Die aztekische Gesellschaft
Der Tlatoani – Macht und Pracht des Herrschers
Pochteca – Kaufleute als Spione
Vom Calpulli zum Dreibund der Azteken: Regierung und Verwaltung
Handel und Tribut: Die Wirtschaft
Von der Geburt bis zum Tod – der Alltag der Azteken
Die Azteken – ein kriegsbesessenes Volk?
Eine Weltstadt – Tenochtitlán
Der Templo Mayor von Tenochtitlán
Zeremonialzentren der Nachbarstädte von Tenochtitlán
VON HUITZILOPOCHTLI AUSERWÄHLT: WELTBILD UND RELIGION
Welt und Kosmos aus aztekischer Sicht
Hunderte Götter mit vielen Gesichtern
»Er schneidet ihm die Brust auf, reißt ihm das Herz heraus« – Menschenopfer der Azteken
Ballspiel – ein Spiel auf Leben und Tod
Das Jenseits
Die Priester
BLUME UND GESANG: KUNST UND WISSENSCHAFT
Tonalpohualli: Schrift und Kalender
»Diese Sachen sind alle so kostbar gewesen« – Kunst und Handwerk
»Wohin soll ich gehen?« – Philosophie der Azteken
»Lebt man wirklich hier auf Erden?« – Aztekische Dichtung
DIE ZEIT DER WEISSEN GÖTTER: VON DER EROBERUNG BIS ZUR GEGENWART
Erste Erkundungs- und Entdeckungsfahrten
Der Aufbruch des Cortés nach Mexiko und der Marsch nach Tenochtitlán
Die Spanier in Tenochtitlán
Die »Traurige Nacht«
Die Eroberung von Tenochtitlán
Weitere Eroberungen in Mexiko
Warum die Spanier siegten
Die Azteken unter spanischer Herrschaft: Die Kolonialzeit
Die Erben des Moctezuma: Die Indianische Oberschicht in der Kolonialzeit
»Sind doch die Götter auch gestorben.« – Die christliche Missionierung
»Es lebe die Jungfrau von Guadalupe!« – Der heilige Azteke
Die Wiederentdeckung der aztekischen Kultur
Aztekisches Erbe und indianische Gegenwart
ZEITTAFEL
LITERATUR
So werde ich also gehen müssen,wie die Blumen verwelken?Nichts wird übrigbleiben von meinem Namen?Bleibt keine Erinnerung an mich auf dieser Erde?Wenigstens Blumen, wenigstens Gesang!1
Diese Frage eines anonym verfassten Gedichtes aus den Cantares Mexicanos, den »Altaztekischen Gesängen«, kann man nur dahingehend beantworten, dass die Azteken bzw. die Nahuas noch heute mit circa zwei Millionen die größte indianische Volksgruppe in Mexiko bilden und die aztekische Kultur bis in die Gegenwart das Land prägt.
Die Kultur der Azteken ist die bekannteste unter den altmexikanischen Kulturen. Meistens verbindet man mit den Azteken Krieg und Menschenopfer. Weniger bekannt ist jedoch, dass die Azteken sich durch eine hochentwickelte Kultur mit Schrift und Kalender sowie Philosophie, Theologie und Dichtung auszeichneten. So gab es unter den aztekischen Herrschern Universalgenies, die nicht nur durch ihre Eroberungen, sondern auch als Philosophen und Dichter berühmt wurden. Ein Hauptthema aztekischer Philosophie und Dichtung ist die Vergänglichkeit und der Sinn des Lebens. Von den Azteken besitzen wir nicht nur archäologische Zeugnisse wie z. B. Tempel sowie Kunstwerke wie z. B. monumentale Steinplastiken oder hervorragende Federarbeiten, sondern im Unterschied zu anderen indianischen Hochkulturen auch eigene schriftliche Quellen aus vorspanischer Zeit in Form von Bilderhandschriften bzw. Codices. Darüber hinaus sind die entsprechenden Berichte und Geschichtswerke sowohl spanischer wie auch indianischer Autoren aus der spanischen Zeit zu nennen.
Von sehr bescheidenen Anfängen als kleine Gruppe von Einwanderern im Hochtal von Mexiko gelang den Azteken ein rasanter Aufstieg zur mächtigsten Herrschaftsmacht in Mittelamerika. Von ihrer Hauptstadt Tenochtitlán (heute Mexiko-Stadt) herrschten sie über ein Gebiet von über 200 000 km2 vom heutigen Bundesstaat San Luis Potosí bis zur heutigen Grenze Guatemalas und über ca. 5–6 Millionen Menschen. Dabei übernahmen sie viele kulturelle Leistungen der vorangegangenen Kulturen wie z. B. von den Olmeken, von Teotihuacán und den Tolteken oder von den Nachbarvölkern wie z. B. den Chichimeken, Mixteken oder Zapoteken. Eine Truppe von 600 Spaniern unter Führung von Hernán Cortés beendete diese Herrschaft mit der Eroberung von Tenochtitlán 1521. Für die Indianer begann mit der Kolonialzeit nach der Eroberung eine Zeit der Unterdrückung und Ausbeutung.
Aztekische Tradition ist nach wie vor in Gesellschaft und Alltagsleben Mexikos präsent. So sind z. B. die Werke der auch bei uns bekannten mexikanischen Künstler wie Diego Rivera, Frida Kahlo oder Carlos Fuentes von der indianischen Tradition geprägt. Die Kenntnis der indianischen Vergangenheit ist dementsprechend eine Voraussetzung für das Verständnis der Kultur und Gesellschaft des heutigen Mexikos. Denn die aztekische Vergangenheit ist für die mexikanische Identität heute ein wichtiges Kriterium. So ist das Nationalmuseum für Anthropologie in Mexico City, das die weltweit bedeutendste Sammlung aztekischer und altmexikanischer Geschichte bietet, gleichzeitig eines der prägnantesten Symbole mexikanischer Selbstdarstellung. Und die heilige Jungfrau von Guadalupe ist seit der Mexikanischen Revolution nicht nur Symbol indianischer, sondern auch mexikanischer Identität. Ihr Heiligtum steht an dem Ort der aztekischen Erdgöttin und ihr Kult stellt somit eine Form indianisch-christlichen Synkretismus dar. Allerdings ist auch die Ambivalenz nicht zu übersehen, die zwischen der stolzen Präsentation der mexikanischen Vergangenheit, der Verehrung aztekischer »Helden« wie Cuauhtémoc, dem letzten Aztekenherrscher, oder Nezahualcóyotl, dem berühmten Herrscher von Texcoco, auf der einen Seite besteht und der sozialen Realität andererseits, in der dem Indio nur ein Platz in der untersten Gesellschaftsschicht zukommt.
»Die blutige Herrschaft der Azteken«2 – so ein Buchtitel – ist nur ein Beispiel dafür, dass die Azteken nicht selten als Paradigma für Barbarei angeführt werden. Dabei wird meist auf die Menschenopfer, auf die Kriege und den Polytheismus verwiesen. Waren die Azteken also grausamer als andere Kulturen dieser Welt, waren ihre Menschenopfer »blutiger« als in anderen Religionen? Was davon ist Mythos, was ist Geschichte? Die vorliegende Darstellung versucht, diesen Fragen nachzugehen und die aztekische Kultur und Geschichte in ihrer Vielschichtigkeit aufzuzeigen. Im Vordergrund stehen daher nicht nur die Geschichte der Azteken von den Anfängen bis zur Gegenwart, sondern auch die vielfältigen und faszinierenden Aspekte ihrer Kultur wie Gesellschaft, Wirtschaft, Religion, Kunst, Philosophie und Wissenschaft. Der vorliegende Überblick über die Vielfalt und Besonderheiten der aztekischen Kultur versteht sich als erste Einführung, nicht als wissenschaftliche Arbeit. Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang auch Herrn Stefan Gücklhorn, dem zuständigen Lektor des Verlags.
Anzumerken ist, dass Nahuatl keine Schriftsprache war und die Sprache in spanischer Zeit in den diversen Quellen unterschiedlich transkribiert wurde. In deutschen Übersetzungen kommen zudem nochmals unterschiedliche Versionen ein und desselben Namens vor. So wird z. B. der Name des Aztekenherrschers Moctezuma auch als Moteuczoma, Motecuhzoma, Moteuczuma, Moctecuzuma oder Montezuma wiedergegeben. Ein Ziel dieser Publikation war die Lesbarkeit, sodass die Namen insgesamt, auch in den Übersetzungen der zitierten Quellen, vereinheitlicht wurden. Ebenso wurde die freie Übersetzung der Quellentexte zwecks besserer Lesbarkeit und Verständlichkeit bevorzugt.
Am Erbe der Azteken haben auch wir in der Alten Welt teil: von Mais, Bohnen, Kürbis, Tomate, Avocado, Kakao bzw. Schokolade bis hin zum Truthahn. Und auch aztekische Bezeichnungen haben Eingang ins Deutsche gefunden, wie z. B. Tomate (tomatl), Schokolade (chocolatl) oder Kojote (coyotl). Der Leser sei nun eingeladen, das faszinierend Andere der aztekischen Kultur kennenzulernen, aber auch Gemeinsamkeiten zu entdecken wie die philosophische Erkenntnis: »Wir leben nur einmal, wir sind nur einmal hier auf Erden.«3
1Cantares Mexicanos 9v., in: Miguel León-Portilla 1986, 154 (dt. Übersetzung U. P.).
2Von Dale M. Brown, Time Life 1999.
3Romances de los Señores de Nueva España, fol. 21r–22v, zit. in Miguel León-Portilla 1986, 164 f. (dt. Übersetzung U. P.).
Von dort aus sahen wir alle zum erstenmal diegroße Zahl der Städte und Dörfer, die mittenin den See gebaut waren, und die noch weitausgrößere Zahl der Ortschaften an den Ufern,und schließlich die sehr gepflegte, kerzengeradeStraße, die in die Stadt Mexiko führte.4
Anáhuac (= »Land nahe dem Wasser«) wird die Heimat der Azteken, das Hochtal von Mexiko, auch genannt und ihre Hauptstadt lag, wie es Bernal Díaz del Castillo (1490–1584) in dem angeführten Zitat als erster europäischer Augenzeuge beschreibt, in einem See. Dieses Hochtal liegt 2240 m über dem Meeresspiegel, im Westen, Osten und Süden umgeben von den höchsten, schneebedeckten Vulkanbergen des heutigen Staates Mexikos, dem Pico de Orizaba bzw. Citlaltépetl (5636 m), dem Popocatépetl (= »rauchender Berg«, 5462 m) und dem Itzaccíhuatl (= »liegende Jungfrau«, 5230 m). Die Länge des Hochtals von Norden nach Süden beträgt ca. 100 km, von Osten nach Westen ca. 60 km. Insgesamt bedeckt es eine Fläche von ca. 650 km2. Das Zentrum des Hochtales war von fünf miteinander verbundenen Seen geprägt und zwar dem See von Zumpango, von Xaltocan, Xochimilco, Chalco und von Texcoco. Heute sind davon nur noch minimale Reste übrig. Die aztekische Hauptstadt Tenochtitlán lag auf einer Insel im See von Texcoco, der sein Wasser durch Quellen im Süden erhielt, aber abflusslos war. Entsprechend bestand der südliche Teil des Sees aus Süßwasser, der nördliche aus Salzwasser. Die Spanier führten das Wasser des Seengebietes durch einen Kanal in den Pánuco-Fluss ab, der in Veracruz in den Atlantik mündet. Schon Anfang des 17. Jh.s waren die Seen infolgedessen mehr oder weniger trockengelegt. Im 20. Jh. wurde dem Texcoco-See nochmals Wasser abgeführt, um noch mehr Landfläche zu gewinnen.
Das Hochtal von Mexiko ist in Vegetation und Klima den Alpen ähnlich. Die Jahreszeiten von Sommer und Winter sind nicht so entscheidend wie die Trocken- und Regenzeit. Die Trockenzeit dauert von Oktober bis Mai, die Regenzeit von Juni bis September. Auch die Temperaturunterschiede zwischen den Jahreszeiten sind nicht so stark wie die zwischen Tag und Nacht, die vor allem im Winter durchaus 16–20 °C betragen können. Die Tageshöchsttemperaturen liegen im Sommer bei 25–30 °C, im Winter bei 20–25 °C. Im Winter können die Nachttemperaturen unter 10 °C absinken, und manchmal kann es sogar Frost oder Schnee geben.
Geografisch gehört Mexiko-Stadt wie auch der größte Teil des Staates Mexiko zu Nordamerika. Nur der südliche Teil des heutigen Staates gehört ab der Höhe des Isthmus’ von Tehuantepec zu Zentralamerika, der Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika, die bis Panama bzw. Kolumbien reicht. Zählt man die Westindischen Inseln dazu, so spricht man statt von Zentralamerika auch von Mittelamerika. Die Gesamtfläche des Staates Mexiko beträgt mit 31 Bundesstaaten und der Hauptstadt Mexiko-Stadt, dem Distrito Federal, 1 972 550 km2 – Mexiko ist somit sechsmal größer als Deutschland (357 340 km2).
Die aztekische Kultur war nicht die einzige, sondern eine von vielen mesoamerikanischen Kulturen: Unter dem Begriff Mesoamerika werden in der Altamerikanistik die Vorläufer- sowie Nachbarkulturen der Azteken zusammengefasst. Dazu gehören vor allem die Kulturen der Olmeken, die von Teotihuacán, die der Zapoteken, Mixteken, Totonaken, Tolteken und der Maya. Der Altamerikanist Paul Kirchhoff führte diesen Begriff 1943 ein, um damit unabhängig von den modernen Staatsgrenzen das Ausbreitungsgebiet bzw. Kulturareal der vorspanischen Hochkulturen zu bezeichnen. Die Grenze Mesoamerikas in Nordmexiko entspricht ungefähr dem Verlauf der Flüsse Rió Pánuco und Rió Lerma. Im Süden gehörten neben Mexiko die heutigen Staaten Guatemala, Belize, El Salvador und Honduras, zu gewissen Zeiten auch Nicaragua und Costa Rica zu Mesoamerika. Mesoamerika bezeichnet also kein geografisches Gebiet mit festen Grenzen, sondern eines, das von den jeweiligen Kulturen der verschiedenen Zeiten abhängig ist.
Das aztekische Reich reichte vom Atlantik bzw. der Golfküste im Osten bis zum Pazifik zwischen Acapulco und Tehuantepec im Westen. Es umfasste Gebiete der heutigen Bundesstaaten Veracruz, Morelos, Puebla, Hidalgo, Guerrero und Oaxaca.
Mexiko und die mittelamerikanischen Nachbarstaaten sind geografisch ein Gebiet voller Gegensätze – vor allem im Hinblick auf Landschaft, Klima und Vegetation. Während der Norden durch Wüsten und Steppen mit entsprechend trockenem, heißem Klima geprägt ist, herrscht an der Atlantik- und Pazifikküste sowie in den Regenwäldern im Süden feuchtheißes, tropisches Klima. Diese Vielfalt ist vor allem auf die ungleichmäßigen Niederschläge zurückzuführen. Man teilt die verschiedenen Klimazonen ähnlich wie in Südamerika ein in eine Tierra Caliente (heiße Zone) bis 800 m über dem Meeresspiegel mit Regenwaldvegetation und Kakaoanbau, eine Tierra Templada (gemäßigte Zone) von 800–1800 m mit Mischwäldern aus Laub- und Nadelbäumen, Kaffee-, Baumwoll-, Zuckerrohr- und Agavenanbau und eine Tierra Fría (kühle Zone) über 1800 m Höhe mit einer den Alpen ähnlichen Vegetation mit Mischwäldern aus Nadel- und Laubbäumen sowie Graslandschaft.
Geografisch prägend für Mexiko sind zum einen die Küstenebenen des Atlantiks und Pazifiks, zum anderen die Gebirgszüge im Landesinneren. Das Landesinnere wird in der Landesmitte der Länge nach von Norden nach Süden von den Gebirgszügen der Sierra Madre Occidental und der Sierra Madre Oriental durchzogen. Im Hochtal von Mexiko wird die Sierra Madre von einer zu ihr quer von Westen nach Osten verlaufenden Vulkankette, der Cordillera Neovolcánica, gekreuzt, zu der alle gegenwärtig noch aktiven und wie erwähnt die höchsten Vulkane Mexikos gehören. In diesen Gebirgen befinden sich eine Reihe von Ebenen bzw. Hochtälern: Neben dem Hochtal von Mexiko sind das westlich von diesem das Hochtal von Toluca und östlich davon das Hochtal von Puebla.
Aufgrund der geografischen Vielfalt ist auch die mexikanische Tier- und Pflanzenwelt sehr vielfältig. Mexiko gehört mit insgesamt 200 000 Tier- und Pflanzenarten zu den artenreichsten Ländern. Es ist unter anderem das Land mit den meisten Reptilienarten (707) und den meisten Schlangenarten (750). Im Folgenden soll auf einige für die aztekische Kultur wichtige Pflanzen- und Tierarten näher eingegangen werden:
Als Pflanzenarten, die wir als Erbe der Azteken übernommen haben sind Mais, Bohnen, Kürbis, Tomate, Kakao oder Avocado zu nennen. Auch die Bezeichnungen mancher dieser Pflanzen haben wir aus dem Nahuatl, der Sprache der Azteken übernommen, wie z. B. Tomate (tomatl), Avocado (ahuacatl) oder Schokolade (chocolatl) sowie ferner auch die Tierbezeichnungen Kojote (coyotl) und Ozelot (ozelotl). Für die Azteken waren folgende Pflanzen von besonderer Bedeutung:
Mais (Zea mays), das tägliche Brot in Mexiko bis heute, gehört zur Familie der Süßgräser. Schon Kolumbus brachte erstmals Mais nach Europa und bereits 1525 gab es in Spanien die ersten Maisfelder. Ursprünglich auf wärmeres Klima angewiesen, wird der Mais heute in entsprechend klimatisch resistenten Sorten weltweit angebaut, 60 % davon als Futtermittel für Tiere. In Mexiko dagegen ist der Mais bis heute die wichtigste menschliche Nahrungsgrundlage. Der kultivierte Mais stammt von dem Wildgras Teosinte aus dem Becken des Río Balsas in Zentralmexiko ab. Die Ähre der Teosinte mit zwei Reihen von Körnern ist dem Aussehen nach eher den Ähren von Weizen oder Gerste vergleichbar als den großen Kolben mit mehreren Körnerreihen heutiger Maispflanzen, die ohne menschliche Hilfe nicht mehr fortpflanzungsfähig sind. Der Beginn der Kultivierung des Maises um 5000 v. Chr. war eine der frühesten und bedeutendsten Domestikationen in der Menschheitsgeschichte und kam einer kulturellen Revolution gleich, weil damit die sesshafte Lebensweise verbunden ist.5
Die Agave, die bis zu einer Höhe knapp über 2000 m vorkommt, ist seit der vorspanischen Zeit eine wichtige Nutzpflanze: Aus den Blättern stellte man früher Kleidung her, die Dornen benutzte man als Nadeln sowie für das Blutopfer und aus dem Saft der Agave wird nach wie vor Pulque, Alkohol in gegorener Form (vergleichbar unserem Federweißen) gewonnen. Heute stellt man aus Agaven auch Tequila, gebrannten Schnaps, der im vorspanischen Mexiko unbekannt war, her.
Über den Kakao bzw. die Schokolade schrieb der Italiener Girolamo Benzoni Ende des 16. Jh.s: »Sie schien eher ein Getränk für Schweine zu sein als für die Menschheit«. Die Wörter »Schokolade« und »Kakao« stammen aus der Maya-Sprache: cacau haa und chocol haa (heißes Wasser). Die Spanier machten aus chocol haa das Nahuatl-Wort chocolatl und dementsprechend wurde es in die europäischen Sprachen übernommen.
Die Kakaopflanze gehört zur Gattung Theobroma und zur Familie der Malvengewächse. Die Früchte, die direkt am Baumstamm oder den unteren dicken Ästen wachsen, sehen wie Honigmelonen oder übergroße Zitronen aus. Eine Frucht enthält 20 bis 60 Bohnen. Die Herkunft der Kakaopflanze ist nicht eindeutig geklärt, wahrscheinlich stammt sie aus Südamerika. Der Anbau des Kakaos begann jedoch in Mittelamerika. Einen Hinweis für den Beginn des Anbaus liefern auf die Zeit um 1150 v. Chr. datierte Keramikreste in Honduras (Ulúa-Tal), in denen der in Mittelamerika nur in Kakao vorkommende Stoff Theobromin nachgewiesen wurde. Heute gibt es 22 Arten des Kakaobaumes, nur sechs davon werden wirtschaftlich genutzt.
Die Kakao-Bohnen dienten nicht nur bei den Azteken als Zahlungsmittel, sondern auch bei den Maya und Schokolade war ein Getränk der High Society – allerdings in einer anderen als der uns heute bekannten Form. Erst nach Änderung der Zutaten konnten sich auch die Spanier mit der Schokolade als Getränk anfreunden, und damit begann der Siegeszug der Schokolade in Europa. Für das Jahr 1544 ist erstmals belegt, dass das Schokoladengetränk neben anderen Geschenken und Handelsgütern an den Spanischen Königshof gelangte. 1585 wurde dann zum ersten Mal eine Schiffsladung Kakao von Veracruz nach Sevilla geliefert. Als Getränk fand die Schokolade von Spanien aus ihre Verbreitung in ganz Europa. Sowohl bei der spanischen Bevölkerung Neuspaniens als auch in den europäischen Ländern fand dabei eine Geschmacksanpassung statt: Die Europäer tranken die Schokolade kalt oder lauwarm und nicht mehr heiß wie die Indianer und mit Zutaten der Alten Welt wie Zucker, Zimt, Anis und teilweise schwarzem Pfeffer statt dem indianischen Chilipfeffer.
Die Tomate (Solanum lycopersicum), als Nachtschattengewächs mit Kartoffel und Paprika verwandt, wurde in Mittelamerika in der Zeit zwischen 200 v. Chr. bis 700 n. Chr. domestiziert. Auch die Tomate wurde wie der Kakao schon relativ früh nach Europa gebracht, war aber zunächst nur als Zierpflanze und teilweise als Heilkraut bekannt. Erst im 18. Jh., in Deutschland dann zu Beginn des 20. Jh.s, fand die Tomate als Lebensmittel Verwendung.
Paprika (Capsicum) ist wie die Tomate ein Nachtschattengewächs, deren verschiedene Arten sich in Größe, Farbe und der Schärfe unterscheiden und die zum einen als Gewürz, zum anderen als Gemüse Verwendung finden. Die Schärfe wird durch den Stoff Capsaicin erzeugt. Im Tehuacán-Tal bei Mexiko-Stadt konnte man anhand von Funden nachweisen, dass die Wildform der Paprika schon um 7000 v. Chr. zum Speiseplan der damaligen Jäger und Sammlerinnen gehörte, domestiziert wurde die Pflanze wohl zwischen 5200 und 3400 v. Chr.
Auch die Tabakpflanze (Nicotiana) ist ein indianisches Erbe. Das Rauchen des aus den getrockneten Blättern der Tabakpflanze hergestellten Tabaks diente, ähnlich wie das Trinken von Alkohol, religiösen Zwecken: Geraucht wurde nur bei rituellen Anlässen. Die Spanier übernahmen schnell die Sitte des Rauchens, wobei der Tabak zum Konsummittel wurde. Das erste bekannte Rauchverbot wurde übrigens 1575 in Neuspanien erlassen, nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern in Kirchen mit der Begründung, dass das Rauchen als heidnische Sitte die Kirchen entweihe.
Aus den tropischen Gebieten sind folgende Pflanzen zu nennen: neben Tomate, Kakao und Tabak Vanille, Avocado und Papaya. Im tropischen Regenwaldgebiet der Maya ist der Panama-Gummibaum (Castilla elastica) heimisch, aus dessen Milchsaft Chicle für die Vollgummi-Bälle des rituellen Ballspiels hergestellt wurde. Schließlich ist auch der Kopalbaum (Protium Kopal) zu nennen, aus dem man Kopal, das Räucherharz für die Opfer, gewann.
Kaffee, Banane, Kokosnuss, Zuckerrohr und Zitrusfrüchte sind Pflanzen, die ursprünglich nicht in der Neuen Welt beheimatet sind, sondern aus der Alten Welt stammen.
Für Mexiko typische Tierarten sind: Jaguar, Puma, Ozelot, Kojote, Fuchs, Pekari (eine Wildschweinart), Rehwild, Kaninchen, Gürteltier, Nasenbär, Affen, Fledermäuse, Geier, Adler, Kolibris, Wachteln, Rebhuhn, Truthahn, Eulen, Sittiche, Fische, Spinnen (u. a. Vogelspinne, Schwarze Witwe), Skorpione, Schmetterlinge, Leguane und vor allem Schlangen, von denen die bekanntesten die Boa Constrictor (Würgeschlange), Klapperschlange und Korallennatter sind. Entsprechend spielte die Schlange auch in der aztekischen Religion eine bedeutende Rolle. Als Seevögel sind Pelikane, Fregattvögel und Kormorane hervorzuheben. Aus der Fauna der tropischen Gebiete sind zu nennen der Kleine Ameisenbär (Tamandua), das Paka, Schildkröten, Alligatoren, die Rote Ameise, Aras, der Tukan, der Montezuma-Stirnvogel und vor allem – der für die aztekische Religion bedeutungsvolle, aber seltene – Quetzal-Vogel. In Nordmexiko ähnelt die Fauna der von Nordamerika: An der Pazifikküste von Nordmexiko gibt es Grauwal, Seelöwe, Seeotter, Biber, Nutria, Gänse und Enten und im Landesinneren von Nordmexiko Schwarzbär, Rotluchs, Wolf, Waschbär, Dachs, Katzenfrett und Opossum.
Der Schmetterling (papálotl) galt den Azteken als Seele der gefallenen oder geopferten Krieger, die nach einem vierjährigen Aufenthalt im Reich des Sonnengottes als Schmetterlinge wieder auf die Erde zurückkehrten. Ein touristisches Highlight und besonderes Naturphänomen ist noch heute im Hochland von Michoacán die Präsenz von tausenden Monarch-Schmetterlingen, die, aus den USA kommend, hier den Winter verbringen und die Bäume weithin in oranger Farbe erscheinen lassen.
Von den 750 in Mexiko vorkommenden Schlangenarten sind ca. 20 % giftig, vor allem die Klapper- und Korallenschlangen. Die Colima-Klapperschlange ist mit einer Länge von zwei Metern die größte Giftschlange. Neben der Gefährlichkeit des Giftbisses der Schlangen ist ihre Häutung ein Merkmal, dass weltweit in den Kulturen besondere Beachtung fand. Nicht giftig, aber nicht weniger gefährlich sind die teilweise bis zu drei Meter großen Abgottschlangen (Boa constrictor), die ihre Beute, vorwiegend Säugetiere, Vögel, Reptilien und Amphibien, d. h. alle Tiere, die sie körpermäßig bewältigen können, mit ihren mächtigen Körperschlingen so lange würgen, bis diese an Herzkreislaufversagen sterben. Die Schlange, wie andere Reptilien auch, wächst ständig und häutet sich dabei, indem sie ihre alte Haut abstreift und mit der neuen Haut verjüngt erscheint. Dies führte dazu, dass die Schlange weltweit in vielen Kulturen und Religionen eine bedeutende Rolle spielt. Auch in der aztekischen Religion war die Schlange (coatl) vor allem mit den Bereichen Fruchtbarkeit, Unterwelt und Regeneration verbunden. Quetzalcoatl, die Gefiederte Schlange, war eine der wichtigsten aztekischen Gottheiten.6 Die Schlange kann auch in Drachengestalt wie in China dargestellt werden, woraus man entsprechende kulturelle Verbindungen vermutet hat.
Die Familie der Kolibris (Trochilidae, Nahuatl: huitzitzilin) umfasst 100 Gattungen mit über 300 Arten und kommt nur auf dem amerikanischen Doppelkontinent vor. Der kleinste Kolibri ist gleichzeitig der kleinste Vogel der Welt und hat mit Schnabel und Schwanz eine Körperlänge von 6 cm, der größte Kolibri misst 25 cm. Auffallend ist das vor allem an Kopf und Brust bunte Gefieder, das durch den Lichteinfall zudem schillernd erscheint. Mit der außerordentlich langen Zunge saugen die Kolibris den Nektar aus den Blüten. Um den Nektar aufzunehmen, können sie auf der Stelle »stehend« fliegen, ebenso können sie rückwärts oder zur Seite fliegen. Und sie besitzen noch eine weitere besondere Eigenschaft: Sie können in der Trockenzeit in eine körperliche Starre, Torpor genannt, verfallen, indem sie die Stoffwechselprozesse auf ein Minimum reduzieren, um so die Zeit des Nahrungs- und Wassermangels zu überstehen.
Der Kolibri gab dem aztekischen Stammesgott Huitzilopochtli (= »Kolibri des Südens«) den Namen. Die Azteken deuteten die erwähnte körperliche Starre als Tod des Kolibris und seine erneute Aktivität in der Regenzeit als Wiedererwachen zu neuem Leben. Eben diese Fähigkeit wurde auch dem Gott Huitzilopochtli zugeschrieben, daher der Name und auch seine Darstellung mit einem Kolibri-Kopfschmuck. Die kleinen Federn des Kolibris verarbeiteten die Azteken kunstvoll zu Schmuck von Umhängen, Decken oder Schutzschilden. Diese Arbeiten wurden von darauf spezialisierten Kunsthandwerkern ausgeführt.7
Der Quetzal (Pharomachrus mocinno, Nahuatl: quetzalli) ist ein weiterer für die aztekische Kultur bedeutsamer Vogel. Der zur Familie der Trogone gehörende, fast 40 cm große und bis 200 g schwere und im Regenwald lebende Vogel zeichnet sich durch ein farbig-schillerndes, vor allem rotes und grünes Gefieder aus. Der Schwanz kann bis zu einem Meter lang werden. Nur während der Brutzeit haben die Männchen bis zu 80 cm lange Oberschwanzdecken, d. h. den Schwanz verdeckende Federn, die danach wieder ausfallen. Der Quetzal gab einer der wichtigsten Gottheiten des aztekischen Pantheons den Namen: Quetzalcoatl (»Federschlange«). Die Federn des Quetzal, vor allem die während der Brutzeit gebildeten Oberschwanzdecken, galten bei den Azteken als besondere Luxusartikel und waren dementsprechend wertvolle Handels- und Tributobjekte.
Das Truthuhn (Meleagris gallopavo) war neben dem Hund das einzige domestizierte Tier der Azteken. Die Wildform dieses größten Hühnervogels ist von Kanada bis Nordmexiko verbreitet. Das Truthuhn war einerseits einer der wichtigsten Fleischlieferanten der Azteken, andererseits wurden die Federn als Schmuck verwertet. Angeblich soll der Eroberer Cortés schon Truthühner nach Spanien gebracht haben, jedenfalls sind sie nach der Eroberung relativ schnell nach Europa gelangt.
Der weltweit vorkommende Fischadler (Pandion haliaetus) ist ein Greifvogel, der eine Körperlänge bis zu 60 cm, eine Flügelspannweite bis 1,70 m und ein Gewicht bis 2 kg erreichen kann. Wie der Name sagt, besteht die Hauptnahrung dieses Adlers aus Fischen, sodass er vor allem an Gewässern präsent ist. Der auf dem Kaktus die Schlange fressende Adler – heute als Wappen von Mexiko nach wie vor überall präsent – stellt die Grundpfeiler des aztekischen Weltbildes dar: Adler und Schlange symbolisierten den Gegensatz von Himmel und Erde. Der Adler versinnbildlichte gleichzeitig den Sonnengott und insgesamt den für die aztekische Ideologie wichtigen Komplex von Sonne und Krieg.
Der Jaguar (Panthera onca, Nahuatl: ozelotl) zählt zu den Großkatzen und ist nach Tiger und Löwe die drittgrößte Katzenart der Welt und die größte auf dem amerikanischen Kontinent, allerdings variieren Größe und Gewicht des Jaguars erheblich je nach Region von 60 bis 100 kg. Die Körperlänge des Jaguars (ohne Schwanz) variiert zwischen einem Meter und 1,80 m. Seine Beutetiere sind sehr vielfältig, sie reichen von größeren Säugetieren wie Hirsche, Affen oder Nagetiere über Vögel, Reptilien bis hin zu Fischen.
Schon in der ersten Hochkultur Mesoamerikas, bei den Olmeken, wurde dem Jaguar eine ganz besondere Verehrung zuteil. Dies erklärt man damit, dass der Jaguar als größte Raubkatze Amerikas für den Menschen ein gefährliches und furchteinflößendes Tier war. Indem man den Jaguar kultisch verehrte, hoffte man, die vom Jaguar ausgehende Gefahr zu bannen und seine Macht für sich nutzbar machen zu können. Dies war vor allem die Macht, Regen und somit Fruchtbarkeit zu bringen, aber auch die Verbindung zur Unterwelt – Eigenschaften, die dem Jaguar wohl deshalb zugeschrieben wurden, weil er nicht nur auf der Erde und auf Bäumen, sondern auch oft an Flüssen und Gewässern seine Beutetiere jagt und ein guter Schwimmer ist. Als »Herr der Tiere«, der Tiere jagt und erbeutet, selbst aber keine Feinde hat außer den Menschen, gilt der Jaguar in ganz Mesoamerika als Symbol der Macht, mit dem sich auch die Herrscher und Krieger gerne darstellten.
Eine Reihe stilistischer Merkmale in der ikonographischen Darstellung weisen daraufhin, dass die Jaguargottheit der Olmeken der »Vorläufer« der späteren, für die Fruchtbarkeit der Felder sehr wichtigen, Regengottheiten von Teotihuacán über Tula bis hin zu den Azteken ist. In Tula, der Hauptstadt der Tolteken sowie in Chichén Itzá (Yucatán) finden sich Reliefdarstellungen von Jaguaren, die Menschenherzen verschlingen und sich mit Kriegerdarstellungen abwechseln, ebenso Steinaltäre in Jaguarform. Diese Darstellungen können als Belege für die Verbindung des Jaguars mit Menschenopfern und mit dem Krieg gelten. Fast identische Darstellungen des Jaguars gibt es auch in der aztekischen Kunst. Bei den Azteken gab es einen Kriegerorden der Jaguare sowie einen der Adler. Und auch die Azteken brachten Jaguare als Opfer dar, wie z. B. Skelettfunde im Templo Mayor belegen. Schließlich ist der Jaguar im rituellen Kalender der Azteken der Patron des zweiten Tages. Als Tepeyollotli ist der Jaguar eine Erscheinungsform des Gottes Tezcatlipoca, dem die Bereiche Nacht, Zerstörung und das Böse zugeordnet werden. Und so spielt er auch eine Rolle im aztekischen Schöpfungsmythos: Tezcatlipoca herrschte im ersten Weltzeitalter Vier Jaguar, das sein Ende dadurch fand, dass Jaguare die in diesem Zeitalter lebenden Giganten fraßen. Als die fünfte Sonne, das jetzige, fünfte Zeitalter erschaffen wurde, fielen, als Sonne und Mond erstmals am Himmel erschienen, jeweils ein Adler und ein Jaguar vom Himmel.
Noch heute kann man in ländlichen Gebieten von Mexiko bei bestimmten Festen Spuren dieser ursprünglichen Verehrung des Jaguars beobachten. Beispiele dafür sind die Tänze, bei denen die Tänzer Jaguarkostüme tragen, wie z. B. der Tanz der Tlacololeros.
Der Kojote (Canis latrans, Nahuatl coyotl) gehört zur Familie der Hunde (Canidae). Im Aussehen ähnelt er einem Wolf, ist aber mit einer Körperlänge von ca. einem Meter, einer Körperhöhe von einem halben Meter und einem Durchschnittsgewicht von 14 kg kleiner als dieser. Das Verbreitungsgebiet des sehr anpassungsfähigen Kojoten reicht von Nordkanada bis Costa Rica. Der Kojote galt den Azteken als Symbol des Scharfsinns und der Stärke. Er war Patron der Federmacher und wurde daher oft mit Federn dargestellt. Es gab auch einen Kojote-Kriegerorden.
Die Affen, die in Amerika von Südmexiko bis Nordargentinien vorkommen, bezeichnet man als Neuweltaffen (Platyrrhini) – im Unterschied zu den Altweltaffen (Catarrhini). Am häufigsten ist in Südmexiko die Gattung der Klammeraffen (Atelidae), die sich durch sehr lange Gliedmaßen und einen langen Schwanz auszeichnen und sich hauptsächlich von Früchten ernähren. In der aztekischen Religion symbolisiert der Affe (ozomatli) zum einen Unzucht, zum anderen stellt er eine Erscheinungsform des Windgottes Ehecatl-Quetzalcoatl dar.
Das Kaninchen (tochtli) war nicht nur ein Kalenderzeichen, sondern spielte auch im aztekischen Schöpfungsmythos eine Rolle: Als Sonne und Mond erschaffen worden waren, schienen sie mit gleicher Lichtstärke. Erst als ein Kaninchen in den Mond geschleudert wurde, wurde der Mondschein schwächer. Wie wir vom »Mann im Mond« sprechen, so sahen die Azteken ein Kaninchen im Mond.
Mesoamerikanische Kulturen
Der Hund wurde als Haustier gehalten, aber es ist bislang nicht ganz sicher, ob der Hund in Amerika gezüchtet wurde oder schon den ersten Einwanderern aus Asien folgte. Zumindest hat man den Hund in Mexiko weitergezüchtet, denn die Azteken und ihre Vorgängerkulturen kannten eine kleine, kurzhaarige Rasse, die gemästet und entsprechend dick wurde – wie Hundefiguren aus Ton zeigen. Diese Rasse wird gern mit dem heutigen Chihuahua gleichgesetzt, mit dem eine gewisse Ähnlichkeit besteht, aber mehr auch nicht. Zum anderen gab es im Alten Mexiko eine haarlose Hunderasse in kleinerer und größerer Form, Xoloitzcuintli oder Tepeizeuintli genannt, auf die man die heutige Rasse des Mexikanischen Nackthundes zurückführt. In der Religion galt der Hund als Begleiter und Führer der Toten ins Jenseits.
Pferd, Esel, Schwein und Haushuhn brachten die Spanier aus Europa mit, waren den Azteken also bis zur Eroberung unbekannt.
Die Kulturen und die Geschichte des Alten Mexikos werden in mehrere Phasen eingeteilt: Das Archaikum (30 000–1500 v. Chr.), die Zeit der Vorklassik (Präklassik, 1500 v. Chr.–300 n. Chr.), geprägt durch die erste Hochkultur der Olmeken, die Zeit der Klassik (300–900 n. Chr.), geprägt durch die Kulturen von Teotihuacán im Hochtal von Mexiko und Monte Albán in Oaxca sowie die Zeit der Nachklassik, geprägt durch die Tolteken und Azteken (900–1521).
Die ersten Migranten in der Neuen Welt waren eine Reihe von Jägergruppen aus Asien, die Großwild wie z. B. Mammuts verfolgten und zwischen 30 000 und 6000 v. Chr. in mehreren Schüben die Grenze zum amerikanischen Kontinent über eine Landbrücke überschritten, die damals Sibirien und Alaska verband. Die ersten Nachweise menschlicher Existenz in Mexiko sind bereits um 30 000 v. Chr. anzusetzen. Die ersten Spuren menschlicher Siedlung in Mexiko stammen aus Tlapacoya im Hochtal von Mexiko: Obsidianfunde aus der Zeit um 22 000 v. Chr. und eine Feuerstelle aus der Zeit um 20 000 v. Chr. Die ältesten menschlichen Knochenfunde sind die des »Menschen von Tepexpan« (bei Mexiko-Stadt) aus der Zeit um 8000 v. Chr. Mit der Domestizierung und dem Anbau des Maises um 5000 v. Chr. waren die Menschen sesshaft geworden und vollzogen den ersten und entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Hochkultur.
Die Zeit der Vorklassik (Präklassik, 1500 v. Chr.–300 n. Chr.) ist die Zeit der Kultur der Olmeken9, der ersten Hochkultur des Alten Mexikos. Bei ihnen sind erstmals die bereits erwähnten Kennzeichen einer Hochkultur nachweisbar: eine hierarchisch gegliederte Gesellschaft, Kultzentren und Stadtanlagen mit Tempelpyramiden und Palästen, hochentwickelte Kunstwerke sowie Schrift-, Zahlen- und Kalendersystem. Damit stellt die olmekische Kultur die Grundlage für die Entwicklung aller nachfolgenden Kulturen Mesoamerikas, nicht zuletzt auch der der Azteken dar. Der Einfluss der Olmeken reichte sehr weit: im Nordwesten bis Puebla, dem Hochtal von Mexiko, Guerrero, Morelos und Oaxaca und im Süden bis Guatemala und El Salvador.
Die Zeit der Klassik (300–900 n. Chr.) ist im Hochtal von Mexiko durch die Kulturen von Teotihuacán (ca. 50 km von Mexiko-Stadt entfernt) und Monte Albán in Oaxaca geprägt. Teotihuacán war während seiner Blütezeit 250–550 n. Chr. eine Megastadt, religiöses Wallfahrtszentrum und Handelsmetropole in einem. Für die Azteken war Teotihuacán ein heiliger Ort, an dem die Schöpfung der jetzigen Welt stattgefunden hatte, »der Ort, wo man zum Gott wird«, wie der Nahuatl-Name übersetzt heißt. Schauplatz dieses aztekischen Schöpfungsmythos’ sind die das gesamte Kultzentrum dominierenden beiden großen Pyramiden, die sogenannten Sonnen- und Mondpyramiden, die allerdings schon zur Zeit der Azteken Ruinen bzw. nur noch große Hügel waren. Heute ist Teotihuacán wieder ein Wallfahrtsort der Azteken, die sich wieder auf ihre Tradition und Religion besinnen.
Die Nachbarvölker im Westen, mit denen die Azteken Handel trieben oder sich kriegerisch auseinandersetzten, waren die Zapoteken, die Mixteken und die Tarasken. Sowohl Zapoteken als auch Mixteken hatten eine lange kulturelle Vergangenheit. Das Siedlungsgebiet der Zapoteken entsprach dem heutigen Bundesstaat Oaxaca, der durch viele Gebirgszüge und Täler geprägt ist. Zum Gebiet der Mixteken gehörten neben Oaxaca auch Teile der Bundesstaaten Puebla und Guerrero. Die bekannteste archäologische Stätte der Zapoteken und später auch der Mixteken ist das Zeremonialzentrum auf dem das Tal von Oaxaca überragenden Tafelberg Monte Albán. Dieser Ort erlebte seine Blütezeit in der Klassik von 500 bis 800 n. Chr. Über die Kultur der Tarasken in Michoacán ist wenig bekannt. Von ihrer Hauptstadt Tzintzuntzan am Pátzcuaro-See ist – bis auf die rekonstruierten, rechteckigen Pyramiden mit runden Anbauten – so gut wie nichts erhalten. Den Azteken gelang es nie, die Tarasken vollkommen zu unterwerfen.
Die Nachbarvölker der Azteken an der Golfküste waren die Totonaken und die Huasteken. Das bedeutendste Kultzentrum der Totonaken war El Tajín und später Cempoala im heutigen Bundesstaat Veracruz. Die Totonaken von Cempoala machten noch vor den Azteken die Bekanntschaft mit den spanischen Eroberern. Das Zeremonialzentrum von El Tajín ist in der Zeit der Klassik von 200–950 n. Chr. anzusetzen und wurde um 1200 n. Chr. von Cempoala als Zeremonialzentrum abgelöst, welches Hauptstadt der Totonaken wurde und 1460 unter aztekische Herrschaft geriet. Bei Ankunft der Spanier 1519 zählte es an die 30 000 Einwohner.
Das nördliche Gebiet der Golfküste war das Siedlungsgebiet der Huasteken, ein Maya-Stamm, der sich allerdings früh von den anderen Maya-Stämmen getrennt hatte. Die Azteken stellten die Huasteken als wilde Krieger, Zauberer und Trunkenbolde dar, allerdings waren ihre Webarbeiten aus Baumwolle berühmt und begehrt bei den Azteken.
Als Handelspartner der Azteken im Süden sind die Maya zu erwähnen, deren vorspanisches und heutiges Gebiet den südlichen/südöstlichen Teil von Mexiko umfasst (die heutigen Bundesstaaten Tabasco, Campeche, Yucatán, Quintana Roo und Chiapas), die ganzen Gebiete der heutigen Staaten Guatemala und Belize und die westlichen Teile der Staaten Honduras und El Salvador. Hinsichtlich der Maya-Bevölkerung unterscheidet man eine Hochland- und Tieflandregion. Wenn man von der Maya-Kultur spricht, suggeriert das eine einheitliche Kultur, was aber unzutreffend ist, da es sich um unterschiedliche Kulturen zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten handelt. So unterscheidet man in Hinblick auf die vorspanischen Maya eine Südregion (Hochland), eine Zentralregion (südliches Tiefland) und eine Nordregion (nördliches Tiefland). Begann die Kultur in der Südregion, so spielte sich ihre Blütezeit in der Klassik im Tiefland ab: zunächst in der Zentralregion und später in der Nordregion (Yucatán). Städte wie Tikal, Calakmul, Copan, Caracol, Uaxactun, Piedras Negras, Yaxchilán, Bonampak und Palenque (Zentralregion) sowie später die Städte des sogenannten Puuc-Baustils Uxmal, Kabah, Labná, Sayil und Edzná (Nordregion) bestimmen den Lauf der Geschichte dieser Zeit. Das Ende der Maya in der Zeit der Nachklassik repräsentieren Städte in der Nordregion (Yucatán), hierbei vor allem Chichén Itzá und Mayapan.
Die Periode der frühen Nachklassik ist durch die Hochkulturen der Tolteken (900–1150 n. Chr.) und die Zeit der späten Nachklassik durch die der Azteken (1325–1521) gekennzeichnet. Die Azteken und ihre Nachbarvölker im Hochtal von Mexiko stellten die Tolteken als die Weisen schlechthin dar und man berief sich gerne auf die direkte Abstammung von ihnen. Die Tolteken sind die erste mesoamerikanische Kultur, über die wir nicht nur durch archäologische, sondern auch durch schriftliche Zeugnisse informiert sind. Diese schriftlichen Zeugnisse stammen von den Azteken, die die Geschichte der Tolteken überlieferten, da sie diese als Teil ihrer eigenen Geschichte ansahen. Deshalb sollen die Tolteken etwas ausführlicher behandelt werden.
Die toltekische Hauptstadt war Tollan Xicotitlan, abgekürzt Tollan (= »Ort des Schilfrohrs«) bzw. Tula im heutigen Bundesstaat Hidalgo, ca. 90 km nördlich von Mexiko-Stadt. Die Bevölkerung scheint aus zwei verschiedenen Gruppen bestanden zu haben: den Nahuatl sprechenden Tolteca-Chichmeca bzw. Tolteken, die aus dem Nordwesten, vielleicht dem heutigen Bundesstaat Zacatecas eingewandert waren, und den Nonoalca, die wohl von der Golfküste stammten. Das Zusammenleben beider Gruppen war scheinbar nicht ganz problemlos, denn im 10. Jh. kam es zu einem Konflikt, der sich im Mythos vom Fall und von der Vertreibung des Priesterkönigs Quetzalcoatl durch seine Widersacher widerspiegelt. Die Tolteken übernahmen wohl die Alleinherrschaft und die Nonoalca verließen Tula. Zu dieser Zeit wurde eines der Zeremonialzentren, Tula Chico, zerstört.
Die Stadt Tula selbst bestand aus zwei Siedlungskomplexen. Nachdem Tula Chico gegründet und besiedelt wurde (600–800 n. Chr.), erlebte Tula Grande, die zur »neuen« Stadt wurde, ihre Blütezeit in der Mazapan-Phase 900–1150 n. Chr. Damals dehnte sich Tula auf ca. 15 km2 aus und hatte schätzungsweise 60 000 Einwohner, die in verschiedenen Stadtvierteln mit jeweils eigenem Zentrum, Tempel und eigener Verwaltung lebten. Das Zeremonialzentrum von Tula Grande bestand aus einer Plaza, um die sich der Tempel des Quetzalcoatl, die sogenannte Große Pyramide, zwei Säulenhallen (unter anderem der sogenannte Palacio Quemado, der »verbrannte Palast«) und ein großer Ballspielplatz gruppierten. Das bekannteste Gebäude von Tula Grande ist der fünfstufige Tempel des Quetzalcoatl, auch Tempel des Tlahuizcalpantecuhtli (= »Morgenstern« bzw. »Venus«, eine Erscheinungsform des Quetzalcoatl) oder Tempel B genannt. Er ist schon von Weitem durch die vier auf der Pyramidenplattform stehenden Kriegerskulpturen und einige Stelen erkennbar. Die Skulpturen stellen wahrscheinlich Quetzalcoatl als Krieger in seiner Erscheinung als Tlahuizcalpantecuhtli, dem Morgenstern, dar. Sie tragen jeweils einen Panzer aus Baumwolle, einen Helm aus Quetzalfedern, einen Schild auf dem Rücken und ein Schmetterlingswappen oder -schild auf der Brust sowie Waffen (Pfeile und Atlatl, die Speerschleuder der Azteken). Man nennt die Kriegerfiguren auch Atlanten, da man davon ausgeht, dass sie als eine Art Säulen das Dach des Tempels getragen haben. An den ersten zwei Stufen der Pyramiden sind zwei Reihen von Reliefplatten erhalten, die unten Adler zeigen, die wahrscheinlich Menschenherzen verschlingen. Die obere Reihe präsentiert wie in einer Prozession abwechselnd Jaguare mit Halsband und erhobenem Schwanz und Koyoten. Sowohl diese Motive als auch die sogenannten Chacmool-Figuren wurden von den Azteken übernommen. Bei den Letzteren handelt es sich um auf dem Rücken liegende Kriegerfiguren mit angewinkelten Beinen, die den Kopf zur Seite drehen und mit den Händen auf dem Bauch eine Schale halten. Wahrscheinlich hatten sie die Funktion von Altären und in die Schale wurde das Opfer gelegt. Schließlich sind in Tula Grande auch die zwei Ballspielplätze zu erwähnen.
Die Kultur der Tolteken ist durch einen kriegerischen Aspekt gekennzeichnet: die Städte sind befestigt oder auf Bergen angelegt und Darstellungen von Kriegern, die scheinbar – ähnlich wie bei den Azteken – eine hohe gesellschaftliche Position einnahmen, sind sehr häufig. Notwendige Nahrungsmittel und Luxusartikel, die man nicht selbst produzierte, bezog man durch – wohl mit Waffengewalt erzwungene – Tribute von auswärts oder durch Handel. Die Tolteken exportierten Obsidian und importierten Keramik (eine eigene Keramikproduktion scheint zu fehlen) – weit nach Westen und Norden und bis ins Maya-Gebiet hinein.
Eine enge Beziehung bestand zwischen Tula und der Stadt Chichén Itzá, einer Metropole »mexikanischer Art« in Yucatán, also im Gebiet der Maya. Während man früher davon ausging, dass eine fremde Gruppe aus Zentralmexiko Chichén Itzá eroberte und sich mit der einheimischen Maya-Bevölkerung vermischte, ist man heute der Ansicht, dass Chichén Itzá durchgehend von einer einheitlichen, allerdings sehr stark mexikanisch beeinflussten Maya-Bevölkerung besiedelt war. Tula und Chichén Itzá sind in gleicher Art und Weise geplant und gebaut. Vor allem der sogenannte Tolteken-Komplex in Chichén Itzá erinnert stark an die Gebäude in Tula. Beide Städte weisen Chacmool-Figuren, Säulen in Form von Schlangen mit ihren Köpfen an der Basis und Krieger- und Jaguarfiguren, die als »Bannerträger« für Papierfahnen und Trägerfiguren (»Karyatiden«) von Altären dienten, auf.
Wir besitzen zwar eine Liste von Herrschern in Tula aus aztekischen Quellen, welche allerdings mehr mythisch als historisch einzustufen ist. Durch den Mythos bekannt und sehr wahrscheinlich auch eine historische Person ist der Herrscher Ce acatl topiltzin (= »unser verehrter Herr Eins Rohr«), der gleichzeitig Priester des Gottes Quetzalcoatl war und als solcher auch den Namen Quetzalcoatl trug.10 Im Codex Chimalpopoca heißt es: »Er ward geboren im (Jahre) 1 Rohr (843 A. D.) und er starb ebenfalls im (J.) 1 Rohr (895 A. D.)«11 Hierbei wurden die Daten so angegeben, dass sowohl das Geburts- als auch das Todesjahr dem gleichen Kalendernamen und das Lebensalter von 52 Jahren genau dem »Jahrhundert« des aztekischen Kalenders entsprachen.12 Der Mythos erzählt vom Ende der Herrschaft dieses Quetzalcoatl, das gleichzeitig auch das Ende der Tolteken bedeutete, das sich durch unheilvolle Vorzeichen ankündigte. Eine von Sahagún überlieferte Version des Mythos, berichtet, dass die Herrschaft von Quetzalcoatl eine Art Goldenes Zeitalter für die Tolteken war und er eine vorbildlich fromme Lebensweise führte: »Mit Quetzalcoatl begann, von ihm ging aus das gesamte Kunsthandwerk. […] Und man hatte Überfluss an allen Dingen. […] Und die Tolteken waren sehr reich, es ging ihnen gut. […] Und Quetzalcoatl, gab sich auch Kultusübungen hin, er durchstach sich das Schienbein und bestrich mit dem Blute die Agave-Blattspitzen. […] Ihn ahmten die Räucherpriester (die Hauptpriester) und die (andern) Priester nach, das Leben dieses Quetzalcoatl, das nahmen die Priester als ihre Lebensweise an, das Gesetz von Tula, das allgemein hier in Mexiko befolgt wurde.«13 Aber Quetzalcoatl wurde von drei Gegenspielern, Dämonen wie es im Mythos heißt, zu Fall gebracht. So erschien einer von ihnen als alter Mann dem schwer kranken Quetzalcoatl und gab vor, ihm Medizin zu reichen, die in Wirklichkeit Pulque (Alkohol) war, von dem er mehr trank als er vertrug. Bei Sahagún heißt es weiter: »Und noch viele andere unheimliche und schreckliche Ereignisse kamen über die Tolteken, womit das Land Tula ganz und gar zugrunde ging. Und danach, als Quetzalcoatl verwirrt und bekümmert war, denkt er daran, dass er gehn, dass er seine Stadt Tula verlassen soll. Darauf macht er sich bereit.«14 Auf seiner Reise nach dem mythischen Tlapalan hinterließ Quetzalcoatl Spuren, »überall berührte er die Ortschaften, und man sagt, dass er viele Zeichen von sich niederlegte, womit er ein Andenken an sich hinterließ. […] Und viele Dinge tat er überall in den Ortschaften. Und man sagt, dass er allen Bergen Namen gab, und dass er überall (hier auf der Erde) Namen gab. Und nachdem er dann an dem Ufer des Meeres angekommen war, macht er die Schlangenbahre. Nachdem man sie fertiggestellt hat, setzt er sich darauf, und das galt nun gleichsam als sein Schiff. Darauf ging er, wurde auf dem Wasser fortgeführt, und niemand weiß mehr, wie er nach Tlapalan gelangte.«15 In der Tat ist im Hochtal von Mexiko an einigen Orten der nachklassischen Zeit der Quetzalcoatl-Kult nachweisbar, so in Cholula und in Xochicalco. Nach einem anderen Bericht zog Ce Acatl Topiltzin mit seinen Gefolgsleuten nach Culhuacan im Hochtal von Mexiko und regierte dort bis zu seinem Tod. Entsprechend begründete damit die Stadt Culhuacan zur Zeit der Azteken ihren Herrschaftsanspruch als Erben der Tolteken.
Eine andere Version berichtet, dass Ce Acatl Topiltzin durch seinen Konkurrenten Huemac gezwungen wurde, aus Tula zu fliehen. Huemac übernahm die Herrschaft in Tula, wurde aber selbst von Dämonen heimgesucht und verschwand oder tötete sich selbst. Und schließlich berichtet wiederum eine andere Quelle, der Codex Chimalpopoca, dass zunächst Quetzalcoatl und dann auch seine Schwester von seinem Gegenspieler verführt wurden, sich betranken und die Nacht zusammen verbrachten. Quetzalcoatl – nun als Herrscher und Priester von Tula untragbar geworden – verbrannte sich daraufhin selbst. Seine Asche und sein Herz stiegen zum Himmel, wo sein Herz sich in den Morgenstern verwandelte, und Quetzalcoatl auf diese Weise zum Gott geworden sei. In der spanischen Zeit kursierte eine weitere, bekannte Variante des Mythos, in der der als weißer, bärtiger Mann dargestellte Quetzalcoatl versprochen haben soll, wiederzukehren. Deshalb soll der letzte aztekische Herrscher Moctezuma angenommen haben, Cortés sei der zurückgekehrte Quetzalcoatl und empfing darum die Spanier als Gäste. Diese Geschichte ist aber nachweislich nicht in vorspanischer Zeit, sondern erst in spanischer Zeit entstanden.
4Bernal Díaz del Castillo 2017, 199.
5s. S. 22.
6s. S. 147 f.
7s. S. 184 ff.
8An dieser Stelle kann nur eine sehr kurze Übersicht gegeben werden, als ausführliche Darstellung sei auf Ulrike Peters 2015 verwiesen.
9Die Bezeichnungen Olmeken, Teotihuacán, Zapoteken, Mixteken, Totonaken oder Huasteken sind aztekische Namensgebungen.
10s. dazu S. 147 f.
11Walter Lehmann 21974, 93.
12Vgl. dazu S. 173 ff.
13Bernardino de Sahagún 1927, 269–271.
14Ebd. 286.
15Ebd. 290 ff.
Der Arzt kann dem Kranken keine Medikamente verordnen,ohne zunächst zu wissen, aufgrund welcherKörpersäfte und Ursachen die Krankheit entstanden ist.Daher ist es wünschenswert, dass der gute Arzt in denKenntnissen der Medikamente bewandert sei, um auf dieseWeise für jede Krankheit das ihr entsprechende Gegenmittelanzuwenden. Die Prediger und Beichtväter sindÄrzte der Seelen, um seelische Krankheiten zu heilen.16