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Sie sind Elitesoldaten der ganz besonderen Art, denn sie stehen allein im Dienste Gottes: DIE RITTER DES VATIKAN Während eines Besuchs in den Vereinigten Staaten werden Papst Pius XIV und der amerikanische Präsident Opfer des Attentats eines Scharfschützen. Erste Ermittlungen lassen nur einen schockierenden Schluss zu: bei der Attentäterin handelt es sich um CIA-Agentin Shari Cohen. Kimball Hayden, der als Leibwache des Papstes in den USA weilt, trifft diese Nachricht wie ein Schlag. Sollte es wirklich möglich sein, dass die Liebe seines Lebens die Seiten gewechselt und diese schrecklichen Taten verübt hat? Zweifel machen sich breit, und eine Spur des vatikanischen Geheimdienstes scheint auf eine totgeglaubte russische Geheimagentin zu verweisen: Barabbas. Doch wie sollte es ihr gelungen sein, selbst Videokameras zu täuschen? Ist Shari Cohen am Ende doch eine Doppelagentin? Und wenn nicht, wird es ihr gelingen, der Großfahndung der CIA lange genug zu entgehen, bis Kimball ihre Unschuld beweisen kann?
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Seitenzahl: 323
Veröffentlichungsjahr: 2025
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übersetzt von Peter Mehler
This Translation is published by arrangement with Rick Jones
Title: THE BARABBAS CONNECTION. All rights reserved. First published 2022.
Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.
Deutsche Erstausgabe Originaltitel: THE BARABBAS CONNECTION Copyright Gesamtausgabe © 2025 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Cover: Michael Schubert Übersetzung: Peter Mehler
Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2025) lektoriert.
ISBN E-Book: 978-3-95835-909-3
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Washington, D.C. Heute
Am Fuße der Treppe, die in das US-Kapitolgebäude führte, sprach Papst Pius XIV. zu tausenden Menschen, die sich an der Westfront des Gebäudes versammelt hatten, das auf die National Mall ausgerichtet war. An jenem Ort, der seit Ronald Reagan in erster Linie für die Amtseinführung neuer Präsidenten genutzt wurde, stand der Pontifex auf der Kanzel wie ein Mann, vor dem sich Könige, Königinnen und Präsidenten verneigten. Er trug seine weiße Soutane, ein langärmeliges, knöchellanges Gewand mit einer daran befestigten Pellegrina und ein weißes Zucchetto.
Hinter dem Papst saß Präsident Burroughs in einer Reihe von Würdenträgern. Neben ihm befanden sich die Sprecherin des Repräsentantenhauses und andere politische und religiöse Führer, die auf die vier Ränge verteilt waren. Agenten des Secret Service standen auf oder neben der Bühne und überwachten die Menge.
Kimball Hayden befand sich ebenfalls ganz in der Nähe des Pontifex' und ließ seinen Blick über die Massen schweifen. Auch Jesaja und Jeremias hielten sich unweit von ihm auf, wobei Jesaja auf der linken Seite der Bühne stand und Jeremias auf der rechten Seite. Die Vatikanritter waren standesgemäß gekleidet: Sie trugen ihre schwarzen geistlichen Hemden, den römisch-katholischen Kragen und die charakteristische Baskenmütze. Von der Taille abwärts waren sie mit Cargohosen und Militärstiefeln bekleidet.
Während der Pontifex die Menschen in seinen Bann zog, bereitete ein Mörder einen Schuss von einem Gebäude in etwa achthundert Metern Entfernung vor.
***
Der Attentäter hielt sich in einem Gebäude versteckt, das einen schrägen Blick auf die Bühne bot. Sich einen solchen Aussichtspunkt zu sichern war nicht schwer gewesen, da der Attentäter als ›einer der CIA-Leute‹ galt. Mit den entsprechenden Ausweisen war es dem Attentäter gelungen, das Gelände mit Unterstützung des Weißen Hauses und als jemand, der als Sicherheitsmaßnahme gegen möglichen Fanatismus agieren sollte, zu sichern. Nachdem die beiden Agenten der Homeland Security die Echtheit der Ausweise bestätigt hatten, hatte der Attentäter eine Glock mit Schalldämpfer gezückt und ihnen jeweils eine Kugel in den Kopf gejagt, woraufhin die beiden sofort zusammengesunken waren. Danach hatte er sich die Waffe in den Hosenbund gesteckt und ein McMillan-TAC-50-Scharfschützengewehr vor einem Fenster aufgebaut, das einen schrägen Blick auf das Podium ermöglichte. Das Gewehr war dafür bekannt, dass sich damit die weitesten Scharfschützenabschüsse der Welt mit einer bestätigten Schussweite von über drei Kilometern Entfernung erzielen ließen.
Nachdem der Scharfschütze das Dreibein aufgebaut hatte, legte er ein Auge an das Zielfernrohr und stellte das Ziel ein, bis der Pontifex im Fadenkreuz war. Dann bewegte der Attentäter das Fadenkreuz von dem Pontifex zum Präsidenten, vom Präsidenten zur Sprecherin des Repräsentantenhauses und dann wieder zurück zu Papst Pius XIV. Er wechselte von einer Person zur anderen, als versuchte er, sich für ein Ziel zu entscheiden. Der Präsident wurde teilweise von Mitgliedern seines Stabs verdeckt. Und der Schuss auf die Parlamentspräsidentin bot nur ein lächerlich kleines Zielfenster, da man aus seinem Blickwinkel nur einen Bruchteil von ihr sehen konnte.
Dann wechselte er zurück zu dem Pontifex, der in dem Fadenkreuz ein offenes Ziel bot.
Der Attentäter nahm ein paar kontrollierte Atemzüge und hielt die Luft an.
Langsam betätigte er den Abzug.
Der Papst befand sich im Fadenkreuz.
Und dann zog er den Abzug ganz zurück.
Das MK-15 machte einen Satz, und der Schalldämpfer dämpfte den Schuss zu einem lauten Spuckgeräusch ab, ohne ihn jedoch völlig zu eliminieren. Einen Augenblick explodierte ein roter Spritzer auf der weißen Soutane des Pontifex'. Der Aufprall hatte den Mann von dem Podium zurückgeworfen, und die Menge sah fassungslos, während die Sicherheitsbeamten des Präsidenten in Aktion traten.
Der Attentäter richtete die Waffe neu aus. Der Präsident war nun nicht mehr verdeckt, sondern taumelte geradewegs in die Schusslinie. Während das Sicherheitsteam versuchte, den Präsidenten in Sicherheit zu bringen, bot sich dem Killer im Handumdrehen eine einmalige Gelegenheit.
Ein weiterer Druck auf den Abzug, ein weiteres Zucken der Waffe. Der Schuss traf ins Ziel, denn Präsident Burroughs' Kopf wurde durch den Aufprall heftig zurückgerissen. Dann brach er mit verdrehten Gliedern zusammen und war tot, bevor er auf der Bühne aufschlug.
Die Menschen stoben in Panik auseinander, eine perfekte Ablenkung, während der Attentäter die Waffe auf die Sprecherin des Repräsentantenhauses richtete. Ein weiterer Schuss. Ein weiterer Treffer. Die Sprecherin flog von der Tribüne, die Arme wie bei einer Kreuzigung ausgestreckt, und in ihrer Brust erschien ein faustgroßes Loch.
Der Attentäter trat von der Waffe zurück, ließ sie am Fenster zurück, und zog eine kleine Fernbedienung aus einer Westentasche, in der normalerweise Munitionsmagazine aufbewahrt wurden. Nun, da er seine Zielpersonen ausgeschaltet hatte, war es an der Zeit, den Bereich von Spuren zu säubern.
Der Attentäter hatte die Sprengung des Gebäudes geplant, indem er einen Sprengsatz im Elektroraum platzierte, und verließ eilig das Gelände, nachdem er den Zeitzünder eingestellt hatte. Da der Sprengstoff Thermit enthielt, würde der Raum bei 3.600 Grad Celsius brennen und die Flammen kurz darauf das gesamte Gebäude verschlingen.
Der Killer bewegte sich problemlos durch die Korridore, da er den gesamten Grundriss des Gebäudes kannte, begab sich zu dem Treppenhaus und begann, dieses hinabzueilen. Als der Attentäter die Lobby erreichte und den Wachmann am Eingang sitzen sah, zog er rasch die schallgedämpfte Glock aus dem Hosenbund, richtete sie auf den Wachmann und drückte kurz hintereinander ab.
… Ffffft …
… Ffffft …
… Ffffft …
Drei Schüsse. Zwei in die Körpermitte und einer in die Stirn.
Der Attentäter durchquerte die Lobby, die Fernbedienung in einer, die Glock in der anderen Hand. Als er die Ausgangstür erreichte, blickte er zu der über der Tür angebrachten Überwachungskamera hinauf, hob die Fernbedienung mit Blick auf das Objektiv der Kamera und drückte den Knopf. In einem Raum unter der Hauptebene erscholl eine dumpfe Explosion. Die Erschütterung der Explosion, die durch das Gebäude fegte, war so gering, dass der Boden unter den Füßen des Attentäters kaum bebte.
Dann verließ der Mörder mit einem Lächeln, das man für bösartiges Amüsement hätte halten können, das Gebäude und verschwand in der Menge. Aber der kurze Moment vor der Kameralinse genügte, dass die Gesichtserkennung wenig später das Gesicht zuordnen konnte.
Mit mehr als neunzigprozentiger Sicherheit handelte es sich bei der Person um Shari Cohen.
***
Alles geschah mit der Langsamkeit eines schlechten Traums, als sich der Pontifex in einer seltsamen Pirouette drehte, von den Füßen gehoben und hinter das Podium geworfen wurde, während sich seine weiße Soutane mit einem Rorschach-Blutfleck färbte.
Kimballs Gesicht war von den Blutspritzern des Pontifex' bedeckt, als er den Körper des Mannes abschirmte. Über Papst Pius XIV. gebeugt, konnte Kimball die Schreie im Hintergrund hören, während sich die Menge in alle Himmelsrichtungen zerstreute und Chaos herrschte. Der Pontifex war noch am Leben, atmete jedoch schwer. Und Kimball konnte sehen, wie sich der Schock in ihm ausbreitete und der Blick des alternden Mannes zu wandern begann.
»Bleiben Sie bei mir«, sagte Kimball.
Als der Vatikanritter die Wunde untersuchte, stellte er fest, dass die Kugel den Papst im Bereich zwischen der linken Schulter und der Brust getroffen hatte. Die Austrittswunde war so groß wie ein Pfirsich, und das Schulterblatt völlig zerstört.
Hinter ihm konnte Kimball sehen, wie das Sicherheitspersonal des Präsidenten den schrecklichen Anblick des verstorbenen Staatschefs in sich aufnehmen musste. Ein großer Teil des Kopfes des Mannes war abgetrennt worden, fast die Hälfte davon, und Blut und Hirnmasse waren über den Bühnenbereich verspritzt. Der Sprecherin war es kaum besser ergangen. Sie starrte, überrascht über ihre eigene Sterblichkeit, zum Himmel hinauf.
Jesaja und Jeremias traten an Kimballs Seite, um den Papst zu beruhigen. Während Sirenen ertönten, die sich rasch näherten, und die Zuschauer in dem Chaos schrien, sah Kimball schwarze Rauchsäulen aus einem Gebäude aufsteigen, das weniger als eineinhalb Kilometer entfernt war.
Dort hat sich der Schütze befunden, dachte er. Und jetzt brennt das Gebäude, um die Beweise zu vernichten. Das Prinzip der Reinigung durch Feuer war weder neu noch einzigartig, außer wenn es um die Reinigung der Seele ging, dachte er. Für ihn bedeutete es jedoch nur eine langsame und qualvolle Verbrennung durch Flammen, die nur verzehrten, aber nicht heilten.
Kimball richtete sich auf und starrte weiter in Richtung des brennenden Gebäudes, während sich Jesaja und Jeremia um den Pontifex kümmerten.
Niemals hätte Kimball in seinen kühnsten Träumen geglaubt, dass er sich eines Tages, nachdem er in Erfahrung gebracht hatte, wer der Mörder war, auf die Jagd begeben würde, um jene Frau zu töten, die er liebte.
Niemals.
Aber das Leben hatte schon immer die seltsame Angewohnheit besessen, Haken zu schlagen.
Der Kreml Moskau, Russland Drei Wochen zuvor
Da Moskau an den Ufern eines Flusses erbaut worden war und sich zu einer Stadt wandelte, die schließlich zum höchsten politischen Sitz des Landes werden sollte, hatten frühere Führer und Zaren unterirdische Depots anlegen lassen. Nachdem in den späten 1700er Jahren gemauerte Tunnel und Kanäle errichtet worden waren, wurden diese Gänge später erweitert und entwickelten sich zu Abwassersystemen, U-Bahnen und Gas- und Stromleitungen, einem umfassenden Netz der Innovationen. In jüngerer Zeit – seit der Ära des Kalten Krieges – hatten die Sowjets geheime Tunnel, U-Bahn-Linien und Geheimlabors angelegt, in denen die geheimsten russischen Militärdaten gelagert wurden. Am bemerkenswertesten war das interkontinentale Raketensystem »Goldener Schild«, das nach den bestehenden Standards von keinem Satelliten oder Radar erfasst werden konnte, auch nicht von den Hightech-Anlagen der Vereinigten Staaten, Israels und Deutschlands. Bei dem »Goldenen Schild« handelte es sich um eine Langstreckenrakete, die mehr als die Hälfte des Erdballs ungesehen überqueren und dabei eine Reihe von nuklearen Sprengköpfen mit hoher Sprengkraft tragen konnte. Sie konnte von U-Booten, Abschussrampen und den Silobuchten großer Kriegsschiffe aus gestartet werden. Das Einzigartige an diesen Raketen waren ihre Stör- und Tarnfähigkeiten, die mit Hilfe des Iran entwickelt und hergestellt worden waren. Sobald die Rakete gestartet wurde, konnte sie praktisch unentdeckt bleiben, bis sie ein bestimmtes Ziel wie Washington D.C. erreichte. Bis die politischen Entscheidungsträger merkten, was vor sich ging, wären die Sprengköpfe gezündet und das Zielgebiet in ein nukleares Ödland verwandelt worden. Und nicht nur die scharf gemachten Sprengköpfe mussten als Waffen betrachtet werden, sondern auch die Trägerraketen selbst.
Tief in einem dieser unterirdischen Stockwerke, in dem die russischen Geheimdienstanalysten ihre Operationen durchführten, saß eine Frau namens Natasha Kaminski an einer Computerkonsole. Auf dem Boden lagen zwei Leichen, deren Laborkittel von Schüssen zweier bewaffneter Agenten durchlöchert waren, die Natasha schützend bewachten, während sie Informationen aus den Datenbanken herunterlud. Die Männer trugen die Uniformen des Kreml-Regiments, sie hingegen war mit einem Laborkittel bekleidet.
Während sie Befehle in die Tastatur eintippte, erschienen die Blaupause und der geometrische Aufbau der Rakete auf einer großen Plexiglasscheibe an der gegenüberliegenden Wand, anstatt auf dem Computermonitor. Die Blaupause enthielten präzise Abmessungen und spezifische Daten über die Verwendung der internen Hardware, wie die hochmodernen Stör- und Tarnsysteme, die Hauptplatine und ihre Anordnung innerhalb der Einheit. Die sich drehende Darstellung, das Scrollen von Zahlen und Formeln, die zentimetergenauen Maße – all das wurde von einem Flash-Laufwerk heruntergeladen.
Als die Sirene des unterirdischen Labors wie ein Horn ertönte, wirkten die beiden Soldaten ängstlich. Sie hielten ihre Positionen mit erhobenen Waffen, die auf die Eingänge gerichtet waren.
»Verschwinden wir«, sagte der größere der beiden Agenten in perfektem Englisch, obwohl es eher wie ein Befehl als ein Vorschlag klang.
Natasha reagierte darauf gereizt. »Ich kann die Informationen nur mit Hilfe des Computers herunterladen«, erklärte sie. »Ich kann es nicht beschleunigen.«
Weitere Ansichten der Rakete, einem wahren Wunderwerk der Technik, tauchten auf dem Plexiglasschirm auf.
Aus Natashas Ohrhörer hörte sie: »Aus den Flügeln drei, sechs und neun nähern sich drei Gruppen Ihrer Position. Voraussichtliche Ankunft in etwa drei Minuten.«
»Verstanden«, antwortete sie. Sie rückte die Brille auf ihrem Nasenrücken zurecht – die nur ein Requisit war, um ihr ein gelehrteres Aussehen zu verleihen – und begann, Echtzeitbilder der Verbindungsgänge zum Labor auf ihren Monitor zu laden. Sie hatte den Computerbildschirm in ein Gitterwerk aus sechs Gittern unterteilt. In drei Abschnitten dieser Gitter konnte sie die Annäherung des Kreml-Regiments sehen, das sich von verschiedenen Punkten aus auf ihre Position zubewegte.
Sie blickte auf die Plexiglasscheibe.
Am unteren Rand des Bildschirms zeigte der Download-Balken an, wie viele Daten sich bereits auf dem Flash-Laufwerk befanden. 89 %.
Das Horn der Sirene schrillte weiter, ein altertümliches Geräusch aus der Zeit des Kalten Krieges.
Ihre Wächter in der Verkleidung als Kreml-Regiment wurden immer unruhiger, da sie wussten, dass ihnen Zeit davonlief. Aber Natasha war das A und O dieser Mission und die absolute Speerspitze, wenn es um die Beschaffung von Daten ging. Sie hat nicht nur die gesamte Mission geplant, sondern auch den Einbruch in den Kreml inszeniert und perfektioniert. Doch im letzten Moment, bevor sie sich in ihrem Ruhm hätten sonnen können, hatte sie einen unbekannten Sicherheitssensor ausgelöst.
93%.
Sie betrachtete weiter die Monitore und zählte die Anzahl der gegnerischen Wachen in jedem Regiment. Sechs in einem, zehn in einem anderen und ein Dutzend in dem Dritten – alle schwer bewaffnet.
94%.
Natasha begann mit der Geschicklichkeit einer Pianistin Befehle in die Tastatur zu tippen. Während sich die Teams ihrer Position näherten, beendete sie die Eingabe ihrer Befehle und legte einen Zeigefinger auf die ENTER-Taste. Sie hatte für alle Eventualitäten vorgesorgt und wartete auf den richtigen Moment.
96%.
Da ertönte eine männliche Stimme aus ihrem Ohrhörer. »Voraussichtliche Ankunft in weniger als einer Minute.«
»Verstanden«, sagte sie. »Ich bin bereit.«
Sie hielt den Finger auf der ENTER-Taste, den Blick auf den Bildschirm gerichtet.
98%.
Als die Schwadronen einen bestimmten Punkt in den angrenzenden Korridoren des Labors erreicht hatten, drückte sie mit Nachdruck die ENTER-Taste. Innerhalb einer Sekunde nach der Übermittlung der Befehle explodierten gut platzierte Semtex-Sprengladungen in rascher Folge, wobei die Explosionen die Truppen außer Gefecht setzten, während die Korridore unter dem Kreml zusammenbrachen.
99%.
Aber es gab noch weitere Tunnel und weitere Soldaten, die von verschiedenen Stellen aus auf ihre Position zuhielten.
Natasha hat ihnen nur etwas mehr Zeit verschafft.
100%.
Nachdem sie den USB-Stick herausgenommen und eingesteckt hatte, meldete sie in das Mikrofon ihres Ohrhörers: »Der Download ist komplett. Begebe mich jetzt auf den Weg zum Extraktionspunkt. Die Conquistador wird in fünf Minuten landen. Ich wiederhole, die Conquistador wird in fünf Minuten landen.«
»Die Conquistador wird in fünf Minuten landen. Verstanden.«
Natasha stand auf, zog ihren Laborkittel aus und warf ihn über den PC-Monitor. Dann zog sie ihre schallgedämpfte Waffe, eine Glock, aus ihrem Seitenholster und lief zur Rückseite des Labors, wo sich eine U-Boot-Luke mit einem Drehrad befand. Nachdem sie die Baupläne der versteckten Tunnelsysteme aus den Datenbanken des Kremls an sich gebracht hatten, konnte sich Nataschas Team nun der Flucht widmen.
Sie und ihr zweiköpfiges Team betraten den röhrenförmigen Tunnel und eilten den Korridor entlang, der sie zu einem Bahnsteig führte. Ein zylinderförmiger Wagen, der wie eine auf der Seite liegende Pringles-Dose aussah, war in Wirklichkeit ein Hochgeschwindigkeitszug, der nach dem Prinzip der Magnetschwebebahn funktionierte, einem in Japan sehr beliebten System.
Natasha und ihr Team wussten genau, dass sie von den Überwachungskameras erfasst wurden, und schalteten die Kameras mit ihren Waffen aus.
***
Das Videoüberwachungsteam des Kremls hatte jeden von Nataschas Schritten auf dem Weg zu dem Bahngleis beobachtet. Doch dann fielen die Kameras aus. Die Überwachungsmonitore waren durch Schüsse ausgeschaltet worden, kurz bevor das Team den Zug besteigen wollte.
Sergej Ostrovsky stand vor den Monitoren und beobachtete sie mit wachem Blick. Natasha Kaminski verriet ihren Eid, dachte er. Und wenn sie gefasst wurde, würde sie den Tod eines Verräters sterben und langsam und qualvoll gefoltert werden. Die beiden anderen waren nur Spielfiguren, die langsame Verstümmelungen erleiden würden, zuerst ein Finger, dann die Hand. Dann würde Ostrovsky ihnen Stücke bis hinauf zu den Schultern abnehmen. Die Informationsbeschaffung war, zumindest in Sergej Ostrovskys Augen, der beste Teil seiner Arbeit. Darin war er auch ziemlich gut, denn Informationen zu sammeln, war seine Stärke. Vor allem, wenn er dies hinter verschlossenen Türen tat, wo die Schreie seiner Opfer oft zu hören waren und dann abrupt verstummten. Als Zeichen seines Erfolges verließ er dann seine exklusive Kammer mit einer Lederschürze, die mit dem Blut der anderen beschmiert war, wenn sein Gemetzel beendet war.
Um dieses Spiel spielen zu können, musste er jedoch zunächst seine Beute fangen.
Mit gemessener Stimme gab er Befehle in sein Lippenmikrofon und beobachtete, wie seine vorrückenden Teams durch die vorher festgelegten Platzierungen von Sprengstoff aus dem Spiel genommen wurden. Das mochte ein gut gespielter Zug von Natasha Kaminski gewesen sein, dachte er, aber ein Sieg in der Schlacht, vor allem innerhalb des Kremls, war noch lange kein Sieg im Krieg.
Der Kremlchef erteilte weitere Befehle, diesmal zum Abfangen des Zuges, der laut den Monitoren mit hoher Geschwindigkeit nach Westen fuhr. Er wollte, dass die Verschwörer, wenn möglich, lebend gefasst und zu ihm gebracht wurden, insbesondere die Frau. Für Ostrovsky bestand kein Zweifel daran, dass hinter dem Diebstahl der Raketenentwürfe entweder der Mossad oder die CIA steckten.
Dennoch würde er mit Freude seine Fähigkeiten an ihr trainieren, um genau das herauszufinden.
***
Sobald der Mann, der vor dem Steuersystem des Zuges stand, die Schalttafel aktiviert hatte und die Magnetkräfte wirkten, hob das Konstrukt vom Boden ab, und der Zug beschleunigte.
Dem Mann standen Schweißperlen auf der Stirn, die er mit dem Ärmel seiner Kosaken-Uniform, in der er sich schmutzig fühlte, abwischte.
Dann begannen Kugeln die Wände der Straßenbahn zu durchschlagen. Die Löcher tauchten plötzlich wie von Geisterhand auf, und der Fahrer duckte sich instinktiv. Funken stoben aus von der beschädigten Schalttafel, aber der Zug fuhr mit hoher Geschwindigkeit weiter.
Weitere Schüsse.
Weitere Löcher.
Wieder duckte sich der Mann.
Der Mann schob die Schaffnertür zu seiner Linken beiseite, denn er wusste, dass ein Zug auf dem Nachbargleis ihr Tempo hielt – etwas, das er und Natascha erwartet hatten und worauf sie vorbereitet waren.
Während die Kugeln weiterhin Löcher in die Hülle des zylinderförmigen Wagens schlugen, hob der Agent seine Waffe, die jetzt im Granatwerfermodus war, und feuerte eine Granate ab, die korkenzieherartig den Zwischenraum überbrückte und dann das Führerhaus des gegnerischen Zuges traf. Die Fahrerkabine explodierte in einem Feuerball. Und dann überschlug sich das Gefährt mit einer Geschwindigkeit von mehr als hundert Meilen pro Stunde ein Dutzend Male, bevor es als verbogenes Wrack mit toten Menschen an Bord liegenblieb.
Natashas Zugführer fuhr weiter, aber das Fahrzeug wurde langsamer. Die Beschädigungen waren zu groß. Der digitale Tachometer fiel nach unten: 90, 85, 80, 75 …
Er hatte gehofft, dass der Zug es bis zum Extraktionspunkt im Westen schaffen würde.
… 55 … 50 … 45 …
Auf angrenzenden Magnetbahnfeldern konnte er zwei weitere Züge sehen, die sich ihm näherten. Seinem Handgelenksmonitor zufolge hatte er noch zwei Kilometer vor sich.
Er lächelte grimmig und dachte: Du hast es fast geschafft … fast.
… 25 … 20 … 15 …
Die beiden anderen Züge holten auf, wurden langsamer, und als der Zug des Agenten zum Stehen kam, öffneten sich die Türen der flankierenden Züge, aus denen vollbewaffnete Soldaten des Kreml-Regiments mit erhobenen Waffen ausstiegen.
Der Agent, der immer noch sein grimmiges Lächeln aufgesetzt hatte, hob seine Hände und ging auf die Knie, aber erst, nachdem er die »Gefahren«-Taste auf seiner Uhr gedrückt hatte, um seinem Kontaktmann ein Signal zu geben.
Bei der späteren Inspektion des Zuges konnten weder Natascha noch der andere Soldat gefunden werden.
Der Zug war als Ablenkungsmanöver benutzt worden.
***
Sergej Ostrovsky kochte innerlich. Der Mann war ein brodelnder Kessel der Wut, während die Muskeln in seinem Kiefer arbeiteten. Er war von Natasha besiegt worden, einer Person, der er in den letzten Monaten vertraut hatte, die ihn offensichtlich wie eine Marionette bearbeitet und manipuliert hatte. Und nun stand er vor dem Monitor, während das Regiment den Zugführer umstellte und ihm Handschellen anlegte.
Dann befahl Ostrovsky und mit sehr viel weniger Zurückhaltung in sein Lippenmikrofon: »Finden Sie sie.« Aber er wusste, dass es zu spät war. Man hatte ihm vorgegaukelt, das Team bewege sich nach Westen und zu einem Extraktionspunkt, während es in Wirklichkeit in eine andere Richtung geflohen war.
Ob Natascha für den Mossad oder die CIA arbeitete, spielte keine Rolle, die Geheimdienste tauschten ihre Erkenntnisse ohnehin untereinander aus. Das Geheimnis des begehrtesten Waffensystems Russlands lag nun in den Händen ihrer Gegner. Und Putin, das wusste er, würde darüber nicht glücklich sein.
Dennoch würde er seine Wut an dem gefangenen Agenten auslassen.
Ohne jede Gefühlsregung befahl Ostrovsky einer seiner Wachen: »Holen Sie meine Lederschürze.«
Der Soldat folgte dem Befehl.
Natasha und ihr persönlicher Wachmann, ein Mann namens David Simmons, manövrierten sich durch den Tunnel in Richtung Osten und passierten Sicherheitstüren, die entschlüsselt und entriegelt werden mussten, bis sie einen Tunnel nach draußen erreichten, die einige Meter östlich des Kremls lag.
In ihr Lippenmikrofon meldete Natasha: »Der Conquistador ist gelandet. Ich wiederhole, der Conquistador ist gelandet.«
Über ihnen wurde ein Gullydeckel angehoben und zur Seite geschoben, wodurch Natasha und ihr Teamkollege einen Blick in das Innere eines Lieferwagens werfen konnten, der mit hochwertiger Überwachungsausrüstung ausgestattet war.
Nachdem sie die Sprossen der Leiter erklommen hatte, streckte ein Mann mit einem Headset seine Hand nach ihr aus. Im Hintergrund näherte sich das Heulen von Sirenen. »Wir müssen uns beeilen«, erklärte er mit Nachdruck. »Als Sie die Schutztüren durchbrochen haben, um durch das Tunnelsystem zu entkommen, haben Sie dabei die Sicherheitswarnungen ausgelöst.«
»Sie hätten sie ausschalten sollen«, erinnerte Natascha ihn.
»Das haben wir. Offenbar haben sie ein Backup-System, das unabhängig vom Hauptsystem operierte. Wir dachten, wir hätten es geschafft.« Nachdem Natasha seine Hand ergriffen hatte, zog er sie in den Laderaum des Transporters hinauf. Dann griff er nach Simmons' Hand und half ihm, wie zuvor Natasha, in den hinteren Teil des Transporters. Als sie beide ins Innere gelangt waren, schob der Fahrer den Gullideckel zurück und schloss die Luke im Boden des Transporters. Dann rief er dem Fahrer zu: »Los!«
Während der Lieferwagen in östlicher Richtung davonfuhr, streckte der Mann mit dem Headset Natasha die offene Hand entgegen. »Das Flash-Drive.«
Sie reichte es ihm, und der Techniker steckte es sofort in einen Port und begann mit dem Hochladen der Daten. Das tat er von einem BGAN-Ismarsat-Terminal aus, einer mobilen Arbeitsstation, das mit einer Verbindung zu drei geostationären Satelliten über eine gesicherte Leitung und eine weltweite Abdeckung verfügte. In diesem Moment sendete ein Satellit die Daten nach Langley.
Natasha lehnte sich an die Kabinenwand und wusste, dass die Sache noch lange nicht vorbei war. Russland hatte seine Eindämmungsprotokolle, während die CIA über ihre eigenen Methoden verfügte, diese Protokolle zu umgehen. Missionspläne sahen auf dem Papier immer gut aus, aber ihr war klar, dass sie nur selten so funktionierten wie geplant.
Nachdem sie ihren zusammengebundenen Dutt gelöst hatte, sodass ihr Haar wieder frei über ihre Schultern fallen konnte, und dann die Brille in ihre Tasche gesteckt hatte, um ihre zweite Identität als Natasha Kaminski abzulegen, seufzte Shari Cohen schwer. Sie spürte, wie ihr Inneres zitterte, ihre Nerven lagen blank. Vor Monaten hatte sie sich über operative Kanäle ihren Weg in den Kreml gebahnt – wobei diese Kanäle aus langjährigen Mitarbeitern des Mossad und des MI6 bestanden, die die Risse im russischen System vergrößert hatten, um einen Maulwurf durch diese hindurchzulassen. Sie war dieser Maulwurf gewesen, der Sergej Ostrovsky wie ein Werkzeug benutzte, indem sie Sicherheitsmaßnahmen einführte, die von den russischen Auftraggebern nie in Betracht gezogen worden waren und die sie schließlich einsetzten, von ihr aber durchbrochen werden konnten. Ostrovsky kaufte ihr alles ab – von Anfang bis Ende – nachdem sie ihn und andere in seinem Stab dazu gebracht hatte, dass sie ihr uneingeschränktes Vertrauen entgegenbrachten. Das war keine leichte Aufgabe gewesen, und ein Unterfangen, für das sie Kompromisse aufbringen musste. Sie musste amerikanische Geheimnisse aufdecken, wenn auch gefälschte, die die Vereinigten Staaten den Russen untergejubelt hatten, um sie für sich zu gewinnen. Es hatte Jahre der Planung, aber nur Monate der Durchführung gedauert. Jetzt waren sie an die Pläne für das russische Raketensystem »Goldener Schild« gelangt.
»Was ist mit Manning?«, fragte sie den Fahrer des Transporters. Neben ihr lehnte ihr Begleiter, Simmons, seinen Kopf an die Wand des Wagens und schloss die Augen.
Der Fahrer des Transporters fuhr sich mit der Hand über die Kehle. Das Signal war eindeutig: Manning hatte über seine Digitaluhr, wie sie jeder von ihnen besaß, die Information gesendet, dass er kompromittiert worden war. Er war das einzelne Opfer zum Wohle vieler geworden.
Shari nickte, lehnte wie Simmons ihren Kopf gegen den Wagen und schloss die Augen.
In der Ferne, wenn auch näher kommend, waren die Geräusche mehrerer Sirenen zu hören.
Während Shari versuchte, ihre Nervosität durch Meditation zu lindern, arbeitete ihr Verstand wie wild weiter. Sie hatte an vorderster Front der Spionage gearbeitet und war oft nur eine Kugel von der Ermordung entfernt gewesen. Sie hatte ihre Fähigkeiten, ihre Intelligenz und ihre Erfahrung als Professorin, die sich in der Terrorismusbekämpfung auskannte, einsetzen müssen. Wenn ihr Gegner also einen Zug machte, war es ihre Aufgabe gewesen, diese Züge zu kontern. Auf diese Weise war sie in den Kreml eingedrungen, hatte einschlägige Daten heruntergeladen und war mit den Bauplänen für ein Elite-Raketensystem entkommen. Der Preis dafür war Trevor Manning, ein erfahrener Agent, der die US-Verteidigung an vorderster Front verstärkt hatte.
Als sie die Augen öffnete, weil die Meditation nicht funktionierte, wusste sie, dass der Auftrag noch lange nicht beendet war. Auch wenn sie gerade dabei waren, die Informationen von Satellit zu Satellit weiterzuleiten, bis sie Langley erreichten, befanden sie sich immer noch in Russland, und die Behörden waren ihnen auf den Fersen. Brücken, Bahnhöfe und Busbahnhöfe, Flughäfen und alle Ausreisehäfen würden schwer bewacht sein. Sie wusste, dass Hubschrauber aufsteigen würden, um aus der Luft nach ihnen zu suchen, während Moskau systematisch abgeriegelt wurde. Aber diese Maßnahmen brauchten Zeit.
Mit einem Blick auf ihre Uhr wusste Shari, dass ihnen noch acht Minuten blieben, um ihren Treffpunkt zu erreichen. »Acht Minuten«, ließ sie den Agenten an der Konsole wissen.
Der Agent, der sein Headset auf merkwürdige Weise trug, indem einer der Kopfhörer auf einem Ohr saß, der andere aber herabhing, antwortete: »Kein Problem. Wir haben noch genügend Zeit.«
Die Sirenen im Hintergrund wurden immer lauter, die Fahrzeuge kamen näher.
Eine Minute später bog der Fahrer des Lieferwagens von der Durchgangsstraße auf eine Zufahrtsstraße ab, die zu einer Baumgruppe führte. Sobald sie das Kiefernwäldchen erreicht hatten, verschwand der Lieferwagen unter den Ästen und war nicht mehr zu sehen. In der Nähe parkte ein schwarzer Lada Granta, ein Kleinwagen mit russischem Kennzeichen, der einem Würdenträger gehörte und nun als Ablenkung diente, um nicht angehalten zu werden.
Der Agent an der Konsole stieg aus dem Wagen, nahm sein Headset vollständig ab und warf es ins Innere des Wagens. Die Übertragung der Daten war abgeschlossen, der Bildschirm zeigte einen hundertprozentigen Upload an.
Der Fahrer, ein großer, schlaksiger Mann, der beinahe wie Lincoln aussah, öffnete den Kofferraum des Lada Granta. Darin befanden sich sechs Neoprenanzüge, wie man sie im Kampf gegen die Kälte und das eisige Wetter trug. Diese Kleidungsstücke waren jedoch für den Einsatz im Wasser gedacht.
Das Team wechselte kein Wort, während sie sich entkleideten und die Neoprenanzüge anzogen, die sich so fest wie eine Membran an sie schmiegten. Der Anzug, der für Manning bestimmt war, blieb im Kofferraum zurück, eine traurige Erinnerung daran, dass selbst die besten Pläne der Welt nicht narrensicher waren.
Jenseits der Baumgrenze zogen Sirenen und Blinklichter vorbei. Die Fahrzeugkolonne verfolgte nun einen Phantom-Transporter. Aber sobald die Hubschrauber in die Luft stiegen, würde die Autokarawane darüber informiert werden und umkehren.
Sie hatten nun noch drei Minuten Zeit, um den Treffpunkt zu erreichen.
Der Agent, der die Konsole bedient hatte, bestieg nun wieder den Transporter und programmierte einen Brandsatz im Inneren des Wagens, der in drei Minuten explodieren sollte. Es handelte sich um eine Thermit-Einheit, die den Transporter vollständig reinigen und alle Spuren vernichten sollte.
Der Lada Granta sprang an, und der Fahrer, der bislang noch kein Wort gesprochen hatte, lenkte das Fahrzeug von den Bäumen weg auf die Straße. Er überquerte die Hauptstraße, die parallel zur Moskwa verlief, und schließlich stand das Team am Ufer des Flusses.
Genau zum Zeitpunkt der Abholung stiegen Blasen an der Wasseroberfläche auf, und dann begann ein Tauchboot aufzutauchen, das mit sechs Personen besetzt war. Als die Luke angehoben wurde, nahm der Pilot eine Zählung vor. Ein Mann fehlte: Manning.
Nachdem dem Piloten mitgeteilt worden war, dass ein Mann fehlen würde, tauchte das Team in das eiskalte Wasser der Moskwa und bestieg das U-Boot. Die Unterkünfte waren eng und kalt, und die Temperatur unterschied sich kaum von der eisigen Außentemperatur. Ihre Reise nach Westen, so erklärte der Pilot, würde sie nach Kiew in der Ukraine führen, wo sie ihre Kontaktpersonen treffen würden, die sie in die Vereinigten Staaten begleiten würden. Aber die Fahrt nach Kiew würde lang sein.
Gerade als das Tauchfahrzeug untertauchen wollte, gab es eine Explosion, ein dumpfes Grollen, als der Lieferwagen Feuer fing und explodierte. Wie erwartet, hatten die Hubschrauber die Sicherheitsfahrzeuge zum Brandherd in den Bäumen jenseits der Zufahrtsstraße umgeleitet.
Während sich das enge Tauchboot nach Westen bewegte, schloss Shari Cohen die Augen und versuchte zu meditieren, wobei ihre Gedanken zu Kimball Hayden abschweiften, was ihr ein leichtes Lächeln entlockte. Vor ihrem geistigen Auge sah sie seine breiten Schultern, sein glühendes Lächeln mit den geraden Zähnen und die kristallklaren blauen Augen, die stets so klar wie jamaikanisches Meerwasser waren. Aber das war das Ying zum Yang seiner Körpernarben, dachte sie, das Schöne im Gegensatz zu dem Hässlichen, was ihm die Traumata seines Lebens beschert hatten. Die verheilten Stichwunden, die sich verfärbenden Verbrennungen und das geschmolzene Fleisch, das abgekühlt und verheilt war wie der Talg von Wachs, und die Pockennarben seiner Schusswunden waren alles Spuren eines Mannes, der viel erlitten hatte. Sie hoffte, dass der Schmerz des Lebens nicht mit ihm in den Tod übergehen würde. Er hatte tausendfach für die Sünden seiner Vergangenheit gebüßt. Der Mann hatte seine Buße getan.
Nun soll er in Frieden ruhen.
Und er soll bei mir sein.
Stundenlang setzte das U-Boot seinen Kurs fort, und die Neoprenanzüge taten das, was sie tun sollten, indem sie sie warm hielten. Und obwohl sie oft an Kimball dachte, machte sie sich auch Gedanken über Manning. War er tot? Lebte er noch? War er vom russischen FSB gefangen genommen worden? Sie würde darauf nie eine Antwort bekommen, aber sie vermutete, dass er entweder den Tod oder ein Leben in einem Gulag erleiden würde, wobei der Tod in diesem Fall vielleicht die bessere Option war.
Während die Minuten zu Stunden wurden, fuhr das Tauchboot langsam den Fluss hinunter in Richtung Kiew.
Erzdiözese Peking, China
Kardinal Giuseppe Angullo war ein Mörder.
Der Kardinal war einst ein Mitglied der Preferiti gewesen, einer Gruppe der bevorzugten Anwärter auf den päpstlichen Thron, und sein Ehrgeiz, die Kirche zu führen, war so groß, dass er eine Abstimmung über einen neuen Pontifex erzwungen hatte, nachdem er Papst Gregor XVII. vergiftet und danach von dem päpstlichen Balkon auf das Kopfsteinpflaster darunter gestürzt hatte.
In jener Nacht versteckte er sich im Schatten der Gemächer des Pontifex, da der Papst, aufgrund seiner fortschreitenden Vergiftung immer kränker werdend, so stark fieberte, dass er sich auf den kühlen Balkon mit Blick auf den Petersplatz zurückgezogen hatte.
Sich mit den Händen am Geländer festhaltend, während seine Beine ihren Dienst zu versagen drohten, rief der Mann, dass er wisse, dass sich der Kardinal als lauerndes Monster in den Schatten versteckt habe. Obwohl Kardinal Angullo dies nur für die Erklärung eines Mannes hielt, der in einem Fiebertraum gefangen war, durchquerte er rasch mit ausgestrecktem Arm den Raum und erleichterte den Pontifex von seinen Todesqualen, indem er ihn über das Geländer stieß.
Vom Geländer aus beobachtete Kardinal Angullo, wie das Leben aus Papst Gregor XVII. wich, der ihm vom Bürgersteig aus flehentlich die Hand entgegenstreckte. Dann sank sein Arm langsam auf das Kopfsteinpflaster, als Zeichen seines langsamen Sterbens, und Kardinal Angullo wartete auf den letzten Moment. Als sich unter seiner Heiligkeit eine Blutlache in Form eines Heiligenscheins ausbreitete und seine Hand schließlich in seiner eigenen klebrigen Flüssigkeit versank, war der Papst schließlich an den Folgen seiner Verletzungen gestorben, und seine Augen starrten ausdruckslos zum Himmel.
Kardinal Angullo löste sich vom Geländer und verließ eilig das Gemach des Pontifex.
Aber das war Jahre her.
Nach dem Tod des Papstes war eine Untersuchung eingeleitet worden, die zu dem Ergebnis kam, dass Papst Gregor XVII. an den Folgen eines Sturzes gestorben war. Ein Mann innerhalb der Kardinalskongregation, Bonasero Vessucci, hegte jedoch Zweifel daran und vertraute sich Kardinal Angullo mit seinem Verdacht an, dass hinter dem Tod des Pontifex eine ruchlose Tat steckte, was zu einer internen Verschwörung führte, die Kardinal Angullo in den Mittelpunkt von Bonaseros Verdächtigungen rückte. Da der Papst jedoch nie eine Autopsie erhält, gab es keinen toxikologischen Bericht, der Bonasero Vessuccis Vermutungen hätte bestätigen können. Daher verliefen diese Anschuldigungen gegen Angullo ins Leere. Tatsächlich war es Kardinal Angullo gewesen, der daraufhin versuchte, Bonaseros Behauptungen gegen ihn zu verwenden, indem er erklärte, diese Anschuldigungen seien nichts weiter als eine Verleumdungskampagne und ein Trick gewesen, um ihn vor dem Konklave herabzusetzen.
Letztendlich waren es jedoch die Kardinäle innerhalb der Kurie, die über die Zukunft des Vatikan entschieden, und Bonasero Vessucci zu seinem neuen Oberhaupt wählten. Nach seiner Krönung und ohne endgültige Beweise gegen Kardinal Angullo verbannte Bonasero Vessucci Kardinal Angullo nach Peking, eine Maßnahme, die für Angullo auf eine Bestrafung rein auf Indizien hinauslief. Und Bonaseros Botschaft war damit eindeutig gewesen: Ich möchte, dass Sie sich so weit wie möglich von der Kirche entfernen. Und wir beide wissen, dass Sie für Ihre Taten Schlimmeres verdient haben.
Verdiene ich wirklich Schlimmeres? Ich wollte ein Hindernis aus dem Weg räumen, das den Fortschritt bremste, anstatt ihn zu fördern. Ich wollte ein Erneuerer sein und kein untätiger Nachahmer.
Was Sie nicht erkennen, konnte Angullo in Gedanken hören, während er an seinem Schreibtisch in Peking saß, ist, dass kein Gott der Welt jemals die Tötung eines anderen Menschen billigen würde.
Natürlich fand dieser verbale Austausch nur in seinem Kopf statt und nicht von Angesicht zu Angesicht mit Bonasero Vessucci persönlich. Aber er kannte den Kardinal gut genug, um seine Gedanken zu erahnen.
»Und jetzt sind Sie tot«, sagte Kardinal Angullo zu sich selbst.
Vor zwei Jahren hatte ein Selbstmordattentäter die Reihen der Schweizergarde im Apostolischen Palast durchbrochen, war in die päpstlichen Gemächer gelangt, wo sich Bonasero ihm entgegenstellte, und hatte ihn in dem Moment getötet, als er seine Selbstmordweste zündete.
»Gott wirkt auf geheimnisvolle Weise«, sagte Kardinal Angullo laut in seinem Selbstgespräch. Dann nahm er ein Fax auf, das er gerade vom Heiligen Stuhl erhalten hatte. Es war ein Brief, der ihn zurück in die Vatikanstadt berief. Er wurde aus einem Exil entlassen, in welches er von Bonasero Vessucci verbannt worden war. Kardinal Angullo, der gegen seine Versetzung nach Peking mit einer Reihe von Briefen Beschwerde eingelegt hatte, hatte dies in dem Glauben getan, dass seine göttliche Bestimmung woanders lag. Vielleicht, so dachte er, als er das Fax studierte, war dies der Wille Gottes. Vielleicht, so dachte er, ist meine Berufung jetzt gekommen. Vielleicht, so dachte er, ist es an der Zeit, dass ich nun auf dem päpstlichen Thron sitzen werde.
Doch das höchste geistliche Amt der Welt wurde von Papst Pius XIV. besetzt.
Es gibt keinen Gott, der jemals die Tötung eines anderen Menschen billigen würde.
Kardinal Angullo lächelte schief. Es sei denn, man ist ein bewährtes Werkzeug Gottes, das Veränderungen herbeiführen will, dachte er. Und ich bin dieses Werkzeug. Der Thron wird mir gehören, so wie es sein sollte.
Einmal mehr hörte er Bonaseros Stimme in seinem Kopf, die ihn in den letzten zwei Jahren geplagt hatte, obwohl sein Erzfeind längst in einer Gruft unter dem Petersdom begraben lag. Nichts fällt einem Menschen leichter, als seine Taten zu rechtfertigen, hörte er den ehemaligen Pontifex sagen, egal wie abscheulich diese Taten auch sein mögen.
Das Lächeln von Kardinal Angullo verblasste. Er glaubte aufrichtig, dass ihm der Thron des Vatikan zustand. Jetzt war sein Moment gekommen, das Licht seines Gottes zu genießen und sich darin zu sonnen. Das Fax, das er vor der Kulisse Pekings vor sein Bürofenster hielt, war der Beweis dafür. Papst Pius XIV. war lediglich ein Hindernis, das in Gottes Augen beseitigt werden musste, um den Weg für Angullo zu ebnen; dessen war er sich sicher.
Wenn Kardinal Angullo seine Augen schloss, stellte er sich den päpstlichen Thron vor, der aus Elfenbein und Gold bestand und mit einem göttlichen Heiligenschein glänzte. Natürlich war dies eine Ausschmückung seines Geistes, ein Traum. Aber es bedeutete, dass ein solch erhabenes Amt nicht weniger verdiente.
Er öffnete seine Augen und lächelte wieder. Der Thron gehört jetzt mir. Er legte das Fax beiseite und blickte auf die smogverhangene Stadt Peking hinaus: