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Die neue Abenteuerreihe von Rick Jones, dem Schöpfer der Bestseller-Romane rund um die RITTER DES VATIKAN. Mehr als drei Jahre zuvor verloren John Savage und Alyssa Moore beinahe ihr Leben, als sie den Tempel von Eden entdeckten. Nun tauchen zwei weitere Tempel auf, und wieder müssen John und Alyssa ihr Leben riskieren, um den darin verborgenen uralten Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Aber im dritten der Tempel erweckt ihre Anwesenheit etwas, das dort lange ruhte – etwas, das darauf programmiert wurde, den Untergang der Menschheit einzuleiten … Rick Jones verwebt mit seiner EDEN-Reihe die spannende Suche nach mysteriösen Schätzen und untergegangenen Zivilisationen mit dem von ihm geschaffenen Kosmos der RITTER DES VATIKANS. Für Fans der Bestsellerreihe rund um Kimball Hayden ein absolutes Muss.
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Seitenzahl: 304
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RICK JONES
This Translation is published by arrangement with Rick Jones
Title: THE THRONES OF EDEN. First published 2016.
All rights reserved.
Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.
Deutsche Erstausgabe
Titel der Originalausgabe: THE THRONES OF EDEN
Copyright Gesamtausgabe © 2022 Luzifer Verlag Cyprus Ltd.
www.luzifer-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Umschlaggestaltung: Michael Schubert | Luzifer-Verlag
Übersetzung: Madeleine Seither
Lektorat: Manfred Enderle
ISBN: 978-3-95835-683-2
eISBN: 978-3-95835-684-9
Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2022) lektoriert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
PROLOG
TEIL I: EINE LANGE REISE IN DIE DUNKELHEIT
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
KAPITEL 34
KAPITEL 35
KAPITEL 36
KAPITEL 37
KAPITEL 38
KAPITEL 39
KAPITEL 40
TEIL II: ERBLICKET DEN HERRSCHER ÜBER EDEN
KAPITEL 41
KAPITEL 42
KAPITEL 43
KAPITEL 44
KAPITEL 45
KAPITEL 46
KAPITEL 47
TEIL III: DIE HÜTER DER THRONE
KAPITEL 48
KAPITEL 49
KAPITEL 50
KAPITEL 51
KAPITEL 52
KAPITEL 53
KAPITEL 54
KAPITEL 55
EPILOG
Der alte Mann kniff die Augen gegen die Wüstensonne zusammen. Die Krähenfüße in seinem gleichmäßig wie gegerbtes Leder gebräunten Gesicht vertieften sich und traten deutlicher hervor. Leberflecken bedeckten sein immer kahler werdendes Haupt wie Punkte auf einer Landkarte. Und seine Augen waren jetzt schmale Streifen eines Blaus so klar wie die karibische See.
Da die Mittagssonne hoch am Himmel stand und weiß war, musste sich der alte Mann ständig die Stirn mit einem schweißfleckigen Bandana abwischen. In der Ferne konnte er sehen, wie sich eine Hitzewand vom Wüstenboden erhob. Die Hitzewellen ließen den Hintergrund schimmern.
Heute gibt es wieder eine Affenhitze, dachte er. Doch der alte Mann hatte sich an dieses Milieu gewöhnt, da er den Großteil seines Lebens in Wüsten verbracht hatte.
Er stand am Rand eines Kraters und sah auf die verschiedenen Ebenen der Ausgrabungsstätte hinab. Die Erde war derart präpariert worden, dass die Schichten an Stufen erinnerten, und primitive Leitern gewährten Zugang von einer zur nächsten. Dichter Staub in der Farbe von Wüstensand hing in der Luft, während die Arbeiter der Landschaft mit Schaufeln und Spitzhacken zusetzten.
Der Mann, der Wache stand, als herrsche er über sein Reich, war ein Meister seines Fachs, dem der Archäologie. Während er unter der sengenden Sonne in Observationsstellung blieb, klebte sein nasses Hemd an ihm wie eine zweite Haut und der Schweiß auf seinem Rücken und seinen Unterarmen imitierte Rohrschachflecken.
Er hieß John Hillary und war ein führender Archäologe und bedeutender Genetiker, der seine Arbeit hauptsächlich durch Förderungen und Zuschüsse der US-Regierung und von Wissenschaftsinstituten finanzierte. Wie es schien, kannte er immer eine Geldquelle, die er anzapfen konnte, und diese Gelder brachten ihn in alle Winkel der Erde, zu Ausgrabungen, die oftmals die historischen Berichte neu schrieben (oder doch zumindest berechtigte Fragen aufwarfen).
Mit geübtem Blick wollte er abschätzen, ob diese spezielle Ausgrabungsstätte die Mühe wert war, da sie nach zwei Monaten Grabungszeit noch immer keinen einzigen Beweis preisgegeben hatte. Als Mann der Überzeugung wollte er jedoch etwas finden, das zur Wahrheit über das, was unter der Erde lag, führen konnte.
Auf der untersten Ebene der Ausgrabungsstätte richtete sich ein schlaksiger und hemdloser Junge auf. Er hielt etwas in der Hand: einen Stein. Mit dem Handballen wischte er rasch den Staub von dessen Oberfläche, bis sein natürlicher Schliff im Sonnenlicht funkelte. Dann hob er ihn hoch, um ihn zu präsentieren. »Profesör Hillary, ben bir şey buldum!«
»Gut gemacht. Steh nicht einfach so rum, Junge! Bring ihn her!«
Der Teenager steckte den Stein in eine Umhängetasche an seiner Hüfte und begann, die Leitern hinaufzuklettern. Er bewegte sich mit bemerkenswerter Agilität von einer Ebene zur nächsten. Oben angekommen, griff er in die Tasche und holte den Stein heraus.
Doch es war überhaupt kein Stein.
Es war ein außergewöhnliches Relikt.
Der Professor nahm das Artefakt entgegen und musterte es mit wissenschaftlicher Faszination, während er es auf der Suche nach irgendeinem Makel hin und her drehte.
Ohne den Jungen anzusehen, hob er die Hand und zeigte auf die Grube. »İyi bir çocuk. Şimdi geri dönün ve keşif nokta işareti.« Gut gemacht. Jetzt geh zurück und markiere die Fundstelle.
Der Junge tat wie geheißen und stieg die Leitern zu den unteren Ebenen so schnell hinunter, wie er sie erklommen hatte.
Hillarys Mund verzog sich langsam vor Ehrfurcht. Das Relikt in Händen zu halten, war berauschend.
Das ist ein Fragment eines viel größeren Stücks, überlegte er. Es war von dreieckiger Form und zeigte Zeichen einer antiken Schrift. Außerdem glänzte es wie schwarzer Onyx. An den beiden unbeschädigten Seiten fiel ihm eine schräge Kante auf, die perfekt geschliffen war. Der Rand der zerbrochenen Seite war jedoch rasiermesserscharf, daher ging er vorsichtig damit um.
Er versuchte, die Symbole auf der beschriebenen Seite zu entziffern. Einige wenige waren ihm bekannt, während die anderen gleichzeitig fremd und vertraut wirkten. Er griff nach dem kleinen Notizbuch in seiner Hemdtasche und begann, es mit der freien Hand durchzublättern, bis er einen Bereich mit unbeholfen hingekritzelten Zeichen erreichte. Er hatte die Symbole aus einem Zeitungsartikel über Alyssa Moores angebliche Entdeckung von Eden kopiert, wo sie eigenen Angaben zufolge einmalige Zeichen und Keilschriften auf den Tempelwänden vorgefunden hatte. Er nahm Notiz von der feinen Schreibschrift und den Ähnlichkeiten zwischen den Formen auf seinen Seiten und jenen auf der Oberfläche des Artefakts.
Die Muster waren von einzigartigem Design und, abgesehen von Alyssa Moores Angaben, nirgendwo sonst auf der Welt zu finden. Diese Symbole, jene schlichten Zeichen, untermauerten, zusammen mit den Koordinaten, ihre Aussage.
Er blickte in die Grube voller Staubwolken und -wirbel und auf den schimmernden Schweiß auf den Rücken der Arbeiter, die unermüdlich nach etwas suchten, das es womöglich gar nicht gab.
»Aber es ist da«, flüsterte er vor sich hin. Dann drehte er das Relikt in der Hand um. Sie hat die Wahrheit gesagt, dachte er.
… die ganze Zeit über …
… hat sie die Wahrheit gesagt.
Alyssa Moore füllte Kartons mit Akten, Aufzeichnungen und Texten über archäologische Entdeckungen auf der ganzen Welt. John Moore, ihr Vater, ein renommierter Archäologe und Gründer des AIAA, dem Archaeological Institute of Ancient Antiquities, würde sich im Grabe umdrehen, wenn er erführe, dass das Institut wegen fehlender finanzieller Mittel in einer Krise steckte. Alles, selbst sein Nachlass, wurde eingepackt und auf einem antiken Schreibtisch gestapelt. Dieser würde versteigert werden, zusammen mit allem anderen im Büro dieses Sandsteinhauses, das nur wenige Blocks von der NYU entfernt stand, die einst eine wichtige Geldquelle für die archäologischen Ausgrabungen ihres Vaters gewesen war.
Nach ihrer angeblichen Entdeckung Edens und ihrem Unvermögen, ihre Behauptungen zu beweisen, von einigen wenigen veröffentlichen Artikeln abgesehen, die schlussendlich zum gefundenen Fressen für die Boulevardpresse wurden, hatte sich ihre Glaubwürdigkeit innerhalb weniger Monate gewandelt: Die Erbin war zur Schwindlerin geworden. Die Regierung und die Wissenschaftsinstitute behandelten sie wie eine Ausgestoßene und weigerten sich, zukünftige Expeditionen und Grabungen zu finanzieren. Damit versiegte die Geldquelle des AIAA so sehr, dass die Rechnungen nicht länger bezahlt werden konnten.
Alyssa erschien alles so grau wie ihre Stimmung. Selbst die aufgezogenen, von der Decke bis zum Boden reichenden Vorhänge ließen ein bleiernes Licht herein, das von einem bewölkten Himmel stammte.
Die Bücherregale waren jetzt leer, von einigen wertlosen Karteikarten abgesehen. Und all die antiken Schmuckstücke, die sie aufgestellt hatte, waren nun eingepackt. Obwohl sie ein ganzes Leben voller Arbeit und Entdeckungen fein säuberlich in Kartons geräumt hatte, war sie noch nicht bereit, auszuziehen.
Das Leben, das sie mit ihrem Vater geteilt hatte, hatte sich zwischen diesen Wänden abgespielt. Das Lächeln, das Lachen, das Adrenalin, wenn ein Zuschuss zur Finanzierung eines weiteren archäologischen Abenteuers mit der Aussicht darauf, Entdeckungen zu machen, die die Geschichte womöglich umschrieben, bewilligt wurde. Doch am Ende lief es immer darauf hinaus, in dieses Sandsteinhaus zurückzukehren, wo das Erlebte zum Mittelpunkt angeregter Gespräche und stets mit dem besten Cognac begossen wurden. Sie drehte sich zum Barschrank um, der jetzt bis auf die staubigen Bretter leer war.
Der Cognac war ihnen ausgegangen.
Eine Träne stahl sich aus dem Winkel eines ihrer mandelförmigen Augen. Es tut mir so leid, dass ich dich enttäuscht habe, Daddy. Mit einer langsamen Handbewegung wischte sie sich die Wange trocken.
»Geht es dir gut?« John Savage betrat den Raum. Er trug einen Karton, den er auf einem anderen abstellte. »Schatz?«
Sie winkte abweisend mit der Hand. Lass mich in Ruhe.
»Alyssa, was ist los?« Er umarmte sie sanft von hinten.
Da begann sie zu schluchzen. »Ich habe ihn enttäuscht«, sagte sie. »Ich habe meinen Vater enttäuscht. Ich habe das Institut im Stich gelassen. Und ich habe auch uns enttäuscht.«
»Du hast nichts und niemanden enttäuscht«, sagte er zu ihr. Dann legte er sein Kinn auf ihre Schulter. »Wir beide kennen doch die Wahrheit. Wir wissen, dass Eden existierte. Und wir hatten keine Kontrolle über die anschließenden Vertuschungsaktionen. Das weißt du.«
»Weißt du, was ich sonst noch weiß? Ich weiß, dass wir dabei sind, dieses Haus zu verlieren.« Sie drehte sich mit tränenschwimmenden Augen zu Savage um und zog ihn näher, bis sich ihre Stirnen berührten. »Das ist mein Zuhause. Hier bin ich aufgewachsen. Hier teilten mein Vater und ich irdische Geheimnisse und schrieben die Geschichte um. Hier hat mein Vater seinen Ruf und sein Vermächtnis aufgebaut, etwas, das ich zerstört habe.«
»Tu dir das nicht an«, sagte er zu ihr.
Sie ließ die Arme hängen und trat ans Fenster. Der Himmel drohte, seine Schleusen zu öffnen, und sie sah zu, wie die Wolken umherzogen und seltsame Formen annahmen. Als sie schließlich sprach, war es kaum mehr als ein Flüstern. »Ich hätte die Existenz Edens belegen können, John. Doch stattdessen entschied ich mich dazu, den Beweis dafür in der Türkei zu vergraben. Manche Dinge sollten nicht gefunden werden. Eden ist eines davon.«
»Sieh mal, du hattest deine Gründe, Alyssa. Ich bin auch dort gewesen, weißt du noch? Du hast getan, was du für richtig hieltest.«
»Und sieh nur, was das ›Richtige‹ mir gebracht hat.« Sie hob die Hand, um auf die im Zimmer gestapelten Kartons zu zeigen. »Sieh dich um, John. Das hat mein Bestes über das Vermächtnis meines Vaters gebracht. Ein Räumungsbescheid und jede Menge weggepackter Erinnerungen.«
»Ich wünschte, du würdest dir das nicht antun.«
»John, es kommt ein Punkt, an dem man zugeben muss, dass etwas vorbei ist. Und es ist vorbei. Wir haben keinen roten Heller mehr. Wir können nicht mal die Rechnung fürs Licht bezahlen.« Sie sah zur Deckenlampe, eine Antiquität, die ihr Vater in Ankara erstanden hatte. Sie war aus.
»Wir können etwas Neues aufbauen.«
»Von was denn? Mein Ruf ist hinüber. Niemand wird mir einen Zuschuss bewilligen oder ein Projekt finanzieren, weil ich ein gefundenes Fressen für die Klatschpresse bin. Ich bin eine Lachnummer in der archäologischen Welt.«
»Gemeinsam finden wir einen Weg.«
Sie drehte sich um und zeigte ihm ein gezwungenes Lächeln.
Er fand sie so schön, mit ihrem Gesicht von der Farbe von Kakao. Das war ein Merkmal, das sie von ihrer philippinischen Mutter geerbt hatte, genau wie die einzigartige Farbe ihrer Augen – die von frisch geprägten Pennys.
Sie kam zu ihm und ließ sich in seine Umarmung fallen, die Arme hinter seinem Rücken nach oben gestreckt. »Ich weiß, was du vorhast«, sagte sie zu ihm. »Du versuchst, mir Hoffnung zu machen, wo es keine gibt.«
Er antwortete nicht, weil ihm bewusst war, dass sie die Wahrheit sagte. Sie hatten keine Zukunft auf dem Gebiet der Archäologie. Nicht jetzt und vielleicht niemals mehr. Im Moment trieben sie einfach dahin und suchten nach einem Platz zum Ankern.
Er umfasste ihr Gesicht und zog sie bis auf wenige Zentimeter an sich, sodass sich ihre Nasen beinahe berührten. »Wir haben einander«, sagte er zu ihr. »Und jetzt gerade fühle ich mich wie der reichste Mann der Welt. Und es ist eine ziemlich große Welt. Also werden wir das durchstehen.«
Sie zeigte ein schwaches Lächeln, eines, das sagte: »Schon klar. Wir stehen das durch.« Dann schmiegte sie sich an ihn, eine Gesichtshälfte an seiner Brust, und lauschte dem steten Rhythmus seines Herzschlags.
Und dann klingelte wie aus heiterem Himmel ihr Handy.
»Sie sind schwer zu erreichen«, sagte John Hillary. »Ich habe es direkt beim AIAA versucht, aber wie es scheint, wurde das Festnetz abgeschaltet.«
»Was wollen Sie, Hillary?«
John Hillary war ein langjähriger Widersacher ihres Vaters, der mit jeder sich bietenden Gelegenheit versucht hatte, ihn in Misskredit zu bringen, um seine eigenen Interessen und Ziele voranzubringen. Daher war die Anspannung in ihrer Stimme kaum verhohlen.
»Ich mache Ihnen ein Friedensangebot«, antwortete er. »Natürlich haben Ihr Vater und ich eine Vorgeschichte …«
»Eine Vorgeschichte! Sie haben doch immer nur versucht, alles zu untergraben, was er tat, Hillary.«
»Bitte, Alyssa, lassen Sie mich ausreden. Ich habe etwas Interessantes zu sagen. Etwas, von dem ich denke, dass Sie es hören sollten.«
Sie rang um Beherrschung und zwang sich schließlich dazu. »Was um Himmels willen lässt Sie glauben, dass ich mir jemals irgendwas von Ihnen anhören möchte?«
»Bitte, lassen Sie mich sagen, dass meine kleinlichen Eifersüchteleien Ihrem Vater gegenüber genau das waren: kleinliche Eifersüchteleien. Und jetzt, nach seinem Tod, habe ich seine wahre Größe auf dem Gebiet der Archäologie begriffen.«
»Kommen Sie zur Sache, Hillary. Warum rufen Sie mich an?«
»Die Wahrheit, Alyssa, lautet, dass ich, egal, wie prominent ich als Wissenschaftler auf diesem Gebiet wurde, Ihrem Vater nie das Wasser reichen konnte und immer in seinem Schatten stand. Das ist mir klar geworden. Aber ich fing auch an, Sie zu respektieren … eine Tochter von John Moore ist ein Apfel, der nicht weit vom Stamm fällt.«
»Sie kosten mich wertvolle Zeit an meinem Handy.«
»Ich weiß. Und es tut mir leid. Aber Sie sollten wissen, dass ich es gefunden habe.«
»Was gefunden?«
»Eden … ich fand Eden.«
Alyssa riss überrascht die Augen auf. »Wie bitte?«
»Eden«, wiederholte er. »Es liegt genau dort, wo Sie sagten, an den exakten Koordinaten.«
»Das ist unmöglich«, erwiderte sie. »Der Ort ist eingestürzt. Es ist nur noch ein Krater übrig.«
»Das stimmt. Allerdings richtete ich eine Ausgrabung ein …«
»Versuchen Sie etwa, mir die Schau zu stehlen? Wollen Sie mir das mitteilen? Also, das ist wirklich typisch für Sie, denn das Gleiche haben Sie ja auch bei meinem Vater versucht.«
»Alyssa, bitte. Ich bitte Sie nur um einen Moment Ihrer Zeit.«
»Die Uhr tickt.«
»Eines meiner Teammitglieder fand ein Relikt mit den Symbolen, die Sie in den Zeitungen veröffentlichten, in den Interviews nach Ihrer Rückkehr aus der Türkei. Schriftzeichen, die nirgendwo sonst existieren. Oder zumindest noch entdeckt werden müssen.«
»Welche Art von Relikt?«
»Es ist ein Stück schwarzes Silikat, dreieckig. Ich glaube, es handelt sich um das Material, das Sie als Hauptsubstanz beim Bau Edens bezeichneten.«
»Man hat zahlreiche Stücke aus schwarzem Silikat dort gefunden«, sagte sie zu ihm und fügte dann nach einer kurzen Pause hinzu: »Aber keines mit Gravuren.«
»In diesem Moment halte ich das Relikt in meiner Hand.«
»Wo genau haben Sie es gefunden?«
»Etwa zwölf Meter tief auf der dritten Ebene, auf der Westseite des Einsturzortes. Aber da ist noch etwas.«
»Was denn?«
»Wir entdeckten einen weiteren Tunnel«, erzählte er ihr. »Es scheint sich um einen Gang zu handeln, der nach Westen führt.«
»Noch ein Tunnel?«
»Vielleicht Teil eines größeren Bauwerks. Was immer Sie entdeckten, es erstreckt sich unterhalb der Wüstenebene nach Westen. Wie es scheint, ist Eden mit etwas anderem verbunden.«
»Womit?«
»Wir sind nicht sicher. Wir haben gerade erst damit begonnen, in den von der Explosion verursachten Einsturzbereich vorzudringen, nachdem wir die Trümmer entfernt hatten. Aber bisher scheint der Gang recht lang zu sein. Wer weiß schon, wo er endet? Er könnte dreißig Meter weit führen oder dreihundert. Doch hinsichtlich Ihrer Entdeckung, Alyssa, fanden wir antike Brunnen, die Ihren Ausführungen in den Zeitungen ähneln. Das allein wird Ihre Behauptung untermauern.«
»Dann wollten Sie mich sprechen, um mir das unter die Nase zu reiben? Ich verstehe den Grund für Ihren Anruf immer noch nicht.«
»Der Grund ist, dass ich an der exakten Stelle grabe, von der Sie behaupteten, sie sei der Standort Edens. Der Anspruch wurde bereits geltend gemacht. Ganz gleich, was ich von jetzt an tue, die Entdeckung gehört Ihnen.«
»Meinem Vater«, korrigierte sie. »Die Entdeckung gehörte ihm.«
»Aber Sie waren es, die der Welt davon berichteten.«
»Und diese Welt hat mich aus der Archäologie verstoßen.«
»Nicht mehr«, sagte er. »Ich brauche Sie hier, Alyssa, in der Türkei. Ich brauche Ihre Hilfe.«
»Sie brauchen meine Hilfe?«
»Da unten ist etwas. Und ich glaube aufrichtig, dass der Tunnel an einen bestimmten Ort führt. Warum sollte man ihn sonst bauen?«
»Bieten Sie mir eine Partnerschaft an?«
»Sie sind eine fähige Kryptoanalytikerin. So jemanden brauche ich dringend.«
»Dann geht es immer noch um Sie?«
»Ich würde lügen, wenn ich es abstritte. Tatsache ist aber, Alyssa, dass etwas Wunderbares an den Koordinaten existiert, die Sie genannt haben, und das ist unbestreitbar. Organisationen auf der ganzen Welt werden die Gültigkeit Ihres Anspruchs anerkennen.«
Beinahe konnte sie spüren, wie ihr das Herz vor Aufregung gegen den Brustkorb hämmerte. »Ich frage Sie noch einmal, Hillary: Bieten Sie mir eine Partnerschaft an?«
»Ja«, sagte er. »Von nun an werden wir alle Entdeckungen teilen.«
»Tja, das ist alles schön und gut. Aber ich besitze keinen roten Heller. Im Augenblick wäre es mir also unmöglich, zu Ihnen zu gelangen.« Sie sah nach oben zur Ankara-Lampe und dachte: Ich kann nicht mal die Stromrechnung zahlen.
»Dann werde ich an meine Reserve gehen und Sie herfliegen lassen. Das ist kein Problem.«
»Und John?«
Plötzlich war Savages Aufmerksamkeit geweckt.
»Als Ihr Helfer werde ich die gleichen Bedingungen für ihn akzeptieren. Sie und Mr. Savage werden sich meinem Team anschließen. Mein Assistent wird sich wegen der Reisedetails mit Ihnen in Verbindung setzen. Bitte seien Sie erreichbar.«
Sie konnte kaum an sich halten. »Werde ich. Und Hillary?«
»Ja?«
»Danke.«
Die Verbindung wurde mit einem hörbaren Klicken getrennt.
Savage neigte den Kopf. Sie konnte erkennen, dass seine Neugier riesig war.
»Was ist?«, fragte er sie.
Sie lächelte. »Pack deine Koffer«, sagte sie. Und dann wurde ihr Lächeln breiter. »Wir fahren zurück nach Eden.«
Nachdem ihr Flugzeug gelandet war, nahmen John und Alyssa ein Taxi zum exklusiven JW Marriott Hotel in der Innenstadt Ankaras. Ihr Zimmer war elegant und großzügig, mit Marmorböden und festonierten Vorhängen. Auch die Badewanne bestand aus Marmor und besaß Wellnessdüsen. Und der Verbindungsbalkon bot einen atemberaubenden Ausblick über die Stadt, besonders nachts, wenn sich Ankara in ein Lichtermeer verwandelte. Obwohl sie müde waren, konnten Sie sich eine gute Mahlzeit auf Hillarys Kosten nicht entgehen lassen.
An einem Tisch in einem Bereich mit gedämpftem Licht und an ihren Dochten tanzenden und wogenden Flammen dekorativer Kerzen genossen John und Alyssa einen guten Wein, während sie auf ihr Essen warteten.
John hob sein Glas und stieß es gegen Alyssas. »Auf das AIAA«, sagte er.
»Auf das AIAA.«
Sie nahmen einen Schluck und stellten ihre Gläser ab.
»Wir haben ein neues Leben«, sagte Savage.
»Und das verdanken wir auch noch einer höchst unwahrscheinlichen Quelle. Niemand Geringerem als einem Widersacher meines Vaters. Aber er bleibt John Hillary. Ein Mann, der seine eigene Mutter gegen eine Flasche Bier eintauschen würde, falls er daraus einen Vorteil vermutet.«
»Es steht in allen Zeitungen«, sagte er, hob sein Glas und prostete ihr zu. »So viel ist klar: Du bist wieder glaubwürdig. Und das Vermächtnis deines Vaters auch.«
»Mehr wollte ich nicht«, sagte sie zu ihm. »Am wichtigsten war es mir, dass die Experten keine Witze auf Kosten seines Nachruhms machen.« Sie ergriff seine Hand über den Tisch hinweg. »Ich bin gleichzeitig ängstlich und begeistert.«
Er wusste ganz genau, worauf sie anspielte. »Diese Dinger in Eden sind weg«, sagte er.
»Woher willst du das wissen? Woher weißt du, dass am Ende dieses Tunnels nicht etwas anderes auf uns wartet?«
»Tu ich nicht.«
»Ganz genau. Und deswegen können wir es uns nicht leisten, unvorsichtig zu werden.«
»Alyssa, dieser Tempel war eine zum Schutz der Ersten gebaute Grabkammer. Ich bin sicher, der Tunnel führt an einen harmloseren Ort – vielleicht zu einer antiken Bibliothek oder einem Amphitheater, oder zu etwas anderem weniger Bewachtem.«
»Merkst du das? Jetzt gerade wirst du unvorsichtig.«
Sie hat recht, überlegte er. Die Irrwege in Eden waren voller gefährlicher, giftiger Reptilien gewesen. Vielleicht gab es die Megalania priscas nicht nur dort. Sie könnten sich auch anderswo aufhalten.
Als ahne sie seine Gedanken, sagte sie: »John, vielleicht waren diese Megalania priscas nicht auf den Tempel von Eden beschränkt. Wie jede andere Kreatur auch, folgen sie einem Selbsterhaltungstrieb. Und wer kann sagen, dass dieser Tunnel der einzige ist? Es könnte viele geben. Womöglich führt gerade dieser zu einer unterirdischen Landschaft, wie wir sie uns nur in Eden vorstellen können. Zu einer wirklich prächtigen Stadt unter dem Sand der Türkei.«
»Eine komplette Stadt? Glaubst du das?«
»Irgendwas ist da unten. Das ist eine Tatsache. Aber welches Ausmaß es hat, kann ich nur vermuten.« Sie beugte sich mit ernstem Gesicht vor. »Der Tempel war vierzehntausend Jahre alt. Und es besteht kein Zweifel daran, dass ein Tempel wie dieser – einer, der die großen Pyramiden Ägyptens in den Schatten stellt – nicht allein stehen würde. Ich glaube, der Eingang, den Hillary entdeckt hat, führt in ein Netzwerk aus Tunneln, das wiederum in eine Stadt unter dem Sand führt.«
»All das schließt du aus der Entdeckung des Tunnels?«
»Nein. Das schließe ich aus den Hinweisen im Tempel.« Ihr Ausdruck blieb ernst und entschlossen. Die Falten auf ihrer Stirn wurden tiefer. »Eden bestand vollständig aus schwarzem Silikat, einem Material von der anderen Seite der Welt. Nach dem, was wir in Yucatán entdeckt haben, und nach dem Abgleich der altertümlichen Schrift auf der Halbinsel mit den Schriftzeichen auf den Wänden Edens, besteht kein Zweifel daran, dass Eden mit der gleichen Art verlorener Technologie erbaut wurde. Die Frage lautet: Steht der Tempel von Eden für sich allein? Und ich rechne damit, dass er das nicht tut. Ich halte Eden wirklich für das Herzstück einer prächtigen Stadt. Erinnerst du dich daran, wie sich die Wände durch Gewichte und Gegengewichte bewegten?«
Er nickte.
»Ständig öffneten und schlossen sich Eingänge und offenbarten dauernd neue Passagen.«
»Wenn es stimmt, was du sagst, wenn du Eden für das Herzstück der ersten großen Zivilisation der Menschheit hältst, dann könnte das Ganze unglaublich riesig sein.«
»Der Tempel von Eden hat die Cheopspyramide mit links in den Schatten gestellt, bestand vollständig aus schwarzem Silikat und beherbergte die wertvollsten Idole unserer Zeit: die Körper der Ersten. Vielleicht die Eltern der Menschheit. Historisch gesehen dienten die größten Tempel stets als Mittelpunkt jeder Zivilisation, von Gizeh bis Mesoamerika. Ich glaube nicht, dass Eden anders ist. Es ist der Mittelpunkt von etwas viel Größerem.«
»Und denkst du, Hillary weiß das?«
»Hillary ist ein kluger Mann, also ja. Er denkt genau wie ich. Ganz sicher. Ich wette, er ist beim Gedanken daran, dass irgendwo da unten eine Stadt größer als Troja liegt, ganz aus dem Häuschen.«
»Wenn das zutrifft«, sagte er, »würde es Jahrzehnte dauern, sie auszugraben.«
Sie nickte. »Aber die Mühe ist es doch wert, meinst du nicht? Allerdings stellt sich eine andere Frage.«
»Welche denn?«
»Da unten könnte es Dinge geben, die jahrhundertelang, womöglich sogar seit Jahrtausenden, unberührt blieben. Was, wenn wir dieses Gleichgewicht stören?«
»Dann nehmen wir die Herausforderung an.«
»Zum potenziellen Preis eines Menschenlebens?«
»Diesmal sind wir besser vorbereitet«, sagte er. »Zumindest wissen wir, was da unten sein könnte.«
Sie richtete sich gerade wieder auf, als das Essen kam. Nachdem der Kellner die Teller hingestellt hatte und gegangen war, führten sie ihr Gespräch fort.
»Dort unten wird ein völlig anderes Ökosystem herrschen«, fuhr sie fort. »Nach dem Einsturz wird sich die Umwelt verändert haben, um sich anzupassen.«
John mochte es, sie so reden zu hören, mit Leidenschaft und Liebe für das, was sie tat. Wie eine Archäologin voller Enthusiasmus. »Dann passen wir uns auch an«, sagte er schließlich. Wie immer im Leben. Entweder passt man sich an oder man geht drauf.
Sie nahm ihre Gabel, stach sie in ein Stück Fleisch und hielt den Bissen wenige Zentimeter vor ihrem Mund hoch. »Hoffentlich können wir das«, sagte sie. »Aber wir wissen beide das Gleiche über Eden.«
»Willst du mir auf die Sprünge helfen?«
»Wir wissen beide, dass Eden es manchen Dingen nicht zulässt, sich anzupassen … dass es sich aussucht, wer lebt oder stirbt.«
Vergiss das nicht.
John Hillary saß in seinem Zelt, das etwa dreißig Meter vom Rand des Kraters entfernt stand. Es war Nacht und die Luft war ungewöhnlich kühl, da eine leichte Brise aus Norden heranwehte.
Während er im hellen Schein einer Lampe saß und sich mit der Brille auf der Nasenspitze Notizen machte, lag das Relikt aus schwarzem Silikat mit den uralten Schriftzeichen auf dem Tisch.
Sorgfältig prüfte und verglich er die aus Alyssas Zeitungsartikeln gesammelten Symbole mit jenen auf dem Artefakt. Bisher ohne Erfolg. Der Archäologe verspürte allmählich Frust und zog die Brille ab, um sich die brennenden Augen mit Daumen und Zeigefinger zu reiben.
Nachdem er die Brille auf den Tisch gelegt hatte, richtete er sich in seinem Stuhl auf. Er hatte das Artefakt den Großteil des Tages lang studiert. Und für den Großteil dieser Zeitspanne hatte er versucht, aus dem Geheimnis der Schrift schlau zu werden. Doch ihm fehlten die nötigen Fähigkeiten eines Kryptoanalytikers, um ihre Bedeutung ausreichend interpretieren zu können.
Behutsam, eine Geste der Ehrerbietung etwas derart Altem und Prachtvollem gegenüber, ließ er eine Fingerspitze über Schriftzüge gleiten, die vor tausenden Jahren von einem geschickten Steinschneider erschaffen worden waren.
Hillary nahm seine Lampe, verließ sein Zelt und ging zum Rand des Kraters. Sein Licht drang weniger als sechs Meter weit in die Ausgrabungsstätte.
Die Nacht war still.
Und die Arbeiter schliefen nach einem anstrengenden Tag unter der sengend heißen Sonne.
Wind kam auf.
In den Tiefen des Kraters, jenseits des Lichtrands, glaubte Hillary, einen Blick auf einen sich bewegenden Schatten erhascht zu haben. Er hob seine Lampe, als könne das den Lichtkreis vergrößern.
Das tat es nicht.
»Hallo?«
Eine Antwort erhielt er nur vom sanften Rauschen des Windes.
»Wer ist da unten?«
War das eine Bewegung?
Etwas Schwärzeres als Schwarz regte sich am Rand seines Blickfelds, etwas, das viel schneller war als ein Mensch. »Wer ist da unten?«
Das Flüstern, das ihn umgab, wurde lauter. Der Wind nahm zu.
Dann war der Schatten verschwunden.
Als der Wind erstarb, entfernte sich Hillary vom Kraterrand und kehrte zu seinem Zelt zurück. Ähnlich wie sich einem Hund das Nackenfell sträubt, wenn ihn etwas beunruhigt, hatte er eine drohende Gefahr gespürt.
Doch nichts war hinter ihm. Nichts folgte ihm.
Trotzdem beruhigte es ihn kaum, als er seine Zeltklappen fest zuband.
Am nächsten Tag nahmen John Savage und Alyssa Moore einen von John Hillary finanzierten Charterflug zu einem Inlandsflughafen in der südöstlichen Türkei. Sie landeten drei Stunden später. Kaum ausgestiegen betraten sie einen Helikopter, ihre Anschlussverbindung, in dem sie die letzte Teilstrecke zur Ausgrabungsstätte zurücklegten, was weitere zwei Stunden dauerte.
Aus einer Entfernung von drei Kilometern, in einer Flughöhe von sechzig Metern, konnten John und Alyssa den ausgedehnten Baldachin aus Zeltdächern rings um den Krater erkennen.
Während der Helikopter abdrehte und kreiste, konnten sie förmlich spüren, wie das Adrenalin durch ihre Adern floss wie eine süße Droge. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie. Savage wusste allerdings nicht, ob Aufregung oder Angst, oder womöglich eine Kombination aus beidem, diese Geste provoziert hatte.
Der Helikopter schwebte kurz über einer von Steinen und Geröll befreiten Stelle, die als provisorischer Landeplatz diente. Der Abwärtswind der Rotoren ließ Sand und Staubteufel in die Luft steigen. Nachdem John und Alyssa ausgestiegen waren, erhob sich der Hubschrauber und kehrte nach Westen zurück.
Als sich der Staub zu legen begann und die Luft klarer wurde, stand John Hillary am Eingang seines Zelts und winkte sie heran.
John und Alyssa gingen rasch zu ihm. Sie hatten kaum etwas dabei: nur je einen Rucksack.
»Ich sah, wie sich Ihr Helikopter näherte«, rief er ihnen zu. »Sie liegen gut in der Zeit.« Er trat zurück und hob einladend die Zeltklappe an. »Bitte«, sagte er. »Wir haben viel zu besprechen.«
So groß das Zelt auch war, es war dennoch spartanisch eingerichtet. Es gab einige Klappstühle, einen schwächlich aussehenden Tisch mit einem Laptop inmitten verstreuter Papiere, Behälter mit Schriftrollen und ein kleines Bücherregal voller Texte neben einem Feldbett.
»Bitte«, sagte Hillary. »Nehmen Sie Platz. Wo immer Sie wollen.«
John und Alyssa holten sich Klappstühle und stellten sie neben den Tisch.
»Es ist schön, Sie wiederzusehen, Alyssa. Und das, nehme ich an, ist Mr. Savage?« Er streckte John die Hand entgegen. »Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen.«
Savage ergriff die Hand und schüttelte sie fest. Die Haut des Professors war schwielenlos und recht weich, wie John fand. Seine Hand fühlte sich nach der eines Mannes an, der anderen auftrug, die Arbeit für ihn zu verrichten. »Angenehm«, sagte er.
Nachdem sich Hillary auf den Stuhl an seinem Schreibtisch gesetzt hatte, wandte er sich mit einem Lächeln an Alyssa. »Sie sind gewachsen, seit ich Sie das letzte Mal sah.«
»Das machen Menschen nun mal, Hillary. Sie werden erwachsen.«
Ihr gereizter Tonfall entging ihm nicht, denn sie tat wenig, um ihn zu verbergen. »Alyssa, ich kann Ihre Feindseligkeit mir gegenüber verstehen, da ich alles in meiner Macht Stehende unternahm, um aus dem Schatten Ihres Vaters zu treten. Ich äußerte Dinge, auf die ich nicht stolz bin. Ich ging sogar so weit, unwahre Behauptungen aufzustellen, um ihn in Misskredit zu bringen, damit ich mich über ihn stellen konnte. Und das war falsch. Ihr Vater war ein guter Mann, und ich konnte ihm nie das Wasser reichen. Es war meine eigene Unsicherheit, die mich zum Scheitern verurteilte. Ich hätte darüber stehen sollen.«
»Sie sind nicht gescheitert, Hillary. Wir wissen doch beide, dass Sie ein namhafter Archäologe sind.«
»Ich machte mir einen Namen, weil ich jeder Spur nachjagte, die Ihr Vater mir bot. Ich folgte den Brotkrumen, die er hinterließ. Und dank Ihres Vaters bin ich hier, an diesem Ort, in Eden. Und dank Ihnen.«
Sie seufzte innerlich. Einem Widersacher ihres Vaters zu vergeben, fiel ihr schwer. Diesen wichtigen Moment mit ihm zu teilen, würde also keinesfalls leicht werden.
»Wie ich während unseres Telefonats sagte, möchte ich Ihnen ein Friedensangebot machen. Sie müssen verstehen, dass Ihr Vater als Entdecker Edens anerkannt wird … und dass Ihre Ehre wiederhergestellt ist.«
»Das ist alles sehr nett von Ihnen, Hillary.« Die Anspannung lag noch immer in ihrer Stimme. »Aber warum bieten Sie mir eine Partnerschaft an? Sagen Sie die Wahrheit.«
»Ah.« Er hob einige Papiere von seinem Schreibtisch auf, und darunter kam das Dreieck aus schwarzem Silikat zum Vorschein. Er reichte es Alyssa, als sei es der wertvollste Gegenstand, den er je in Händen gehalten hatte. »Kommt Ihnen das bekannt vor?«, fragte er.
Beim Anblick des glänzenden Glases, der geschickten Gravur und den archaischen Symbolen wurden ihre Augen langsam groß. All das brachte gute und schlechte Gefühle zurück. Doch mehr noch, es brachte ihr eine ungezügelte Aufregung zurück. »Ja«, flüsterte sie und drehte das Relikt um.
»Wissen Sie, was da steht?«, fragte er.
»Nein. Ich kann ein paar Symbole entziffern, aber nicht genug, um einen zusammenhängenden Gedanken zu bilden. Das reicht nicht.« Sie sah ihn an und hielt das Artefakt hoch. »Das ist der Grund, warum Sie eine gemeinsame Expedition wollen?«
»Ich brauche einen Kryptoanalytiker. Aber es muss jemand mit Ihrer scharfsinnigen Übersetzungsfähigkeit sein.« Er nahm das Relikt zurück. »Jemand mit Ihren Fähigkeiten kann die Sache erheblich beschleunigen. Und da ist noch etwas.«
»Und das wäre?«
Er legte das Relikt auf den Tisch. »Wie ich Ihnen bereits erklärte, entdeckten wir das Artefakt am Eingang zu einem Tunnel, dessen Ausgrabung fast einen ganzen Tag dauerte. Wir fanden weitere Fragmente aus schwarzem Silikat, offensichtlich Überreste kunstvoll hergestellter Stücke, aber es war keine Schrift darauf. Als wir auf den Tunnel stießen, war die Sonne bereits untergegangen, daher riegelten wir den Eingang ab und planten, direkt im nächsten Morgengrauen weiterzumachen.«
»Aber?«
»Heute Morgen stellten wir fest, dass die Barriere durchbrochen wurde. Zerstört.«
Alyssa zeigte auf ein unsichtbares Areal jenseits der Zeltwände. »Dort steht eine komplette Zeltstadt«, sagte sie zu ihm. »Was haben Sie denn erwartet? Dass unter den Menschen da draußen kein Einziger auf Schatzsuche aus ist?«
»Ich kann Ihnen versichern, dass das nicht der Fall war.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
Er richtete sich in seinem Stuhl auf. »Weil die Barriere nicht von unserer Seite der Ausgrabung her durchbrochen wurde«, erklärte er ihr, »sondern von etwas, das sich gewaltsam einen Weg aus dem Tunnel heraus bahnte.«
Savage beugte sich vor. »Was haben Sie gerade gesagt?«
»Der Durchbruch«, sagte Hillary, »geschah von innen nach außen.«
Das war das Letzte, was John und Alyssa hören wollten.
»Gestern Nacht«, fuhr Hillary fort, »habe ich womöglich den Schatten von etwas gesehen. Nur ein flüchtiger Blick aus dem Augenwinkel, ein Aufblitzen, dann war er fort. Ich schob es einfach auf vom Wind verursachte Staubformen.«
»Das war es aber nicht.«
»Ich bin mir nicht sicher. Aber als wir heute Morgen den Eingang überprüften, war es offensichtlich, dass sich etwas von drinnen nach draußen gekämpft hat. Die Barriere war solide, das verspreche ich Ihnen.«
»Sind Sie sicher?«, fragte Alyssa.
»Ich weiß nur, dass der Sand vor der Öffnung zu weich ist, als dass die hinterlassenen Spuren erkennbar gewesen wären. Aber die Abdrücke, die wir fanden, hatten die Größe von Tellern.«
Alyssa wirkte wie erstarrt.
»Was immer es war«, fuhr Hillary fort, »es hinterließ Sandspuren im Korridor. Vielleicht sechs Meter weit, dann waren sie verschwunden. Vor allem aber entsprach das Muster auf dem Boden dem eines Vierbeiners. Die Schritte waren lang und entschieden gleichmäßig. Wenn wir unser Vorhaben in die Tat umsetzen, besteht die äußerst reale Möglichkeit, dass wir nicht allein dort drinnen sind. Und angesichts der Geschichten über Ihre Begegnungen beim letzten Mal …« Er ließ die Worte in der Luft hängen. Nach einem Moment schien sich sein Blick jedoch auf etwas unfassbar Wunderbares zu fixieren. »Aber falls da eine Stadt unter unseren Füßen liegt …«, flüsterte er dramatisch. »Können Sie sich das vorstellen?«
»Hillary«, sagte Alyssa.
Der Professor kehrte in die Realität zurück.
»Sie müssen mir den Tunnel zeigen.«
»Natürlich.« Hillary stand auf und wies höflich zum Zelteingang. »Nach Ihnen.«
Die Sonne brannte heiß, allerdings nicht mit der Art von Hitze eines entsetzlich warmen Tages. Es war die Art von Hitze, die der Haut schon nach wenigen Minuten Schaden zufügen konnte, weswegen sich John und Alyssa dazu entschieden, lange Ärmel und Krempenhüte zu tragen.
Sie folgten Hillary zur Ausgrabung und blieben am Rand des Kraters stehen. Das Trio sah nach unten auf die Einsturzstelle, an der einst der Tempel von Eden gestanden hatte. Die Wände waren gestaffelt und zu riesigen Stufen hergerichtet. Arbeiter bearbeiteten den Boden mit Spitzhacken und Schaufeln.
In Alyssa stiegen verschiedene Emotionen auf, und sie lehnte sich an John an. Vor nahezu einem Jahr hatte sie hier beinahe ihr Leben verloren, als sie Eden zum ersten Mal betreten hatte. Doch es war auch der Ort, der ihr Leben geschenkt hatte.
Hillary zeigte auf eine unförmige Öffnung westlich der Anhöhe, vier Ebenen tiefer. Drei Männer mit Sturmgewehren, allesamt türkische Soldaten, suchten Schutz unter eine Plane. »Sehen Sie es, Alyssa? Das Loch am Westende des Kraters?«
Sie nickte. »Ich sehe es.«
»Dann schlage ich vor, wir beginnen mit dem Abstieg, falls Sie sich fit genug fühlen.«
Hillary mochte Mitte sechzig sein und weiche Hände haben, aber seine Kletterfähigkeit fand Savage ziemlich beeindruckend. Tatsächlich bewegte er sich mit Anmut und Schnelligkeit von einer Ebene zur nächsten über die Leitern. Als sie die vierte Stufe erreichten, half er Alyssa auf festen Boden. Savage folgte ihnen.
Die Luft war schwer vom erstickenden Staub der andauernden Grabungsarbeiten, was Hillary dazu veranlasste, seinen Mund mit einem Taschentuch zu bedecken. Als sie sich der Öffnung näherten, tippten sich die türkischen Wachen an die Mützen und machten ihnen Platz.