HEILIGE UND SÜNDER (Die Ritter des Vatikan 11) - Rick Jones - E-Book

HEILIGE UND SÜNDER (Die Ritter des Vatikan 11) E-Book

Rick Jones

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Beschreibung

Sie sind Elitesoldaten der ganz besonderen Art, denn sie stehen allein im Dienste Gottes: DIE RITTER DES VATIKAN In Genf wird aus der Forschungseinrichtung CERN ein wertvolles Gut gestohlen, welches ungeheures Zerstörungspotenzial birgt. Und nur wenige Kilometer entfernt, in den Bergen der Schweiz, versucht eine feindliche Macht, einen Wissenschaftler aus einem Hochgeschwindigkeitszug zu entführen. Was sie jedoch nicht ahnen … an Bord des selben Zuges befindet sich auch Kimball Hayden, Kommandeur der Ritter des Vatikan, mit dem Auftrag, einen mysteriösen Fremden nach Rom und in den Vatikan zu eskortieren. Es dauert nicht lange, bis Kimball und die Entführer in dem Zug aufeinander treffen, und wieder einmal muss Kimball auf dem schmalen Grat balancieren, der Sünder von Heiligen trennt, um seinen Auftrag zu erfüllen … und das Leben der vierhundert Passagiere an Bord zu retten.

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Heilige und Sünder

Die Ritter des Vatikan – Band 11

Rick Jones

 This Translation is published by arrangement with Rick Jones Title: SINNERS AND SAINTS. All rights reserved. First published 2018.

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: SINNERS AND SAINTS Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Peter Mehler Lektorat: Manfred Enderle

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-700-6

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Heilige und Sünder
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Epilog
Über den Autor

Prolog

Washington, D.C.Drei Tage nach den Geschehnissen in Malta

Kimball lief ziellos durch die Straßen. Der Mann schien von seiner Umgebung nichts mitzubekommen und taumelte voran wie eine Figur aus einer Zombieapokalypse. Er besaß nichts weiter als seine Kleidung, einen nutzlosen Pass, eine Kreditkarte, die sich schnell ihrem Limit näherte, und ein Handy mit zersplittertem Display.

Er hatte seine Suche nach dem Licht der Erlösung aufgegeben und die Verdammnis gewählt, weil es die einfachere Wahl war. Die Verdammnis war ihm immer schon näher gewesen. Und nun, da er diese Wahl getroffen hatte, wusste Kimball, dass er keinen Handel mehr mit dem Erlöser würde abschließen können. Dieses Recht hatte er bereits verspielt, als er sein erstes Opfer ohne Reue getötet hatte.

Es regnete nun stärker, durchtränkte sein Hemd und seine Haare, aber davon schien der ziellos umherlaufende Mann nichts mitzubekommen.

Dann dachte er über seine Verdammnis nach, und wie leicht sie ihn gefunden hatte, ganz anders als die Erlösung. Hatte der Herr ihm schon all die Jahre mitteilen wollen, dass seine Reise vergeblich war? Waren seine Botschaften nicht immer schon die gewesen, dass er Kimball in die gleiche Dunkelheit werfen würde, die er auch über andere gebracht hatte? Am Ende gab es nur ein Verbrechen auf der Welt: Raub. Hatte Kimball, als er jemanden umbrachte, nicht dessen Leben geraubt? Hatte er nicht eine Mutter oder einen Vater ihres Kindes beraubt? Hatte er Geschwistern nicht den Bruder oder die Schwester geraubt? Hatte er nicht ganze Familienlinien geraubt, als er Menschen tötete, bevor diese die Chance bekamen, selbst Mutter oder Vater eigener Kinder zu werden? Hatte er diesen Menschen nicht das wunderbare Geschenk geraubt, ein erfülltes Leben zu leben?

Kimball hatte noch nie so viel Kummer gespürt. Es fühlte sich wie eine furchtbare Grube an, die sich jedoch nie mit den Bestrafungen füllte, die wiederholt auf ihn niederprasselten. Als Strafe waren ihm all jene genommen worden, die er je geliebt hatte. Der Erlöser hatte Kimball das Gefühl der Zufriedenheit geraubt. Er hatte ihm jeden genommen, zu dem er sich hingezogen gefühlt hatte. Er hatte die Leben von Schwester Abigail und Bonasero Vessucci gefordert. Er hatte das Leben seines Vaters gefordert, gerade, als sie wieder zueinandergefunden hatte. Er hatte auf die gleiche Art von Kimball genommen, wie dieser von anderen genommen hatte, als seine Form der Strafe.

Der Regen peitschte noch stärker herab. Der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet.

In der Ferne konnte er eine Kirche sehen, eine Kathedrale, ein beeindruckendes Bauwerk mit einem Kirchturm, der weit in den Himmel ragte. Als Kimball sich der Kirche näherte, flackerten grelle Blitze in der Ferne auf, gefolgt von dumpfem Donnergrollen einige Augenblicke später.

Kimball lehnte sich gegen die Wand eines Hauses auf der anderen Straßenseite gegenüber der Kathedrale und blickte zu dem Turm hinauf. Es erinnerte ihn an jenen regnerischen Tag in Malta, als es den Anschein hatte, als würde das Abbild Jesus' von seinem Kreuz auf ihn hinunterweinen. Und er erinnerte sich an seinen Versuch, einen Handel mit Gott abzuschließen. Wenn er Shari Cohen ins Leben zurückbrachte, würde er bis ans Ende seiner Tage ein Vatikanritter bleiben, selbst dann, wenn seine Seele verdammt sein sollte.

Aber sie starb, das wusste er. Gott nahm sie ihm auf die gleiche Weise weg wie all die anderen. Das war seine Bestrafung. Das war seine Verdammnis. Und er wusste, dass Gott keinen Handel mit den Seelenlosen einging.

Das weiß ich jetzt, dachte er bei sich.

Kimball ließ sich an der Wand hinunterrutschen und setzte sich. Der Regen durchnässte seine Kleider, während er zu dem Kreuz hoch oben auf dem Kirchturm hinaufblickte.

Und dann vibrierte sein Handy. Ein Anruf. Er zog das Handy aus seiner Tasche und starrte das zerbrochene Display an, welches die Nummer seltsam verzerrte. Der Anruf stammte von Pater Damelio. Kimball hatte ihn jeden Tag angerufen, um sich nach Sharis Zustand zu erkundigen. Er war nie von ihrer Seite gewichen. Aber er hatte Kimball noch nie angerufen. Das konnte nur bedeuten, dass ihm nun auch Shari endgültig entrissen worden war.

Kimball sah zu dem Kreuz auf dem Kirchturm hinauf, während das Handy weiter vibrierte. Dann nahm er den Anruf an.

»Mr. Hayden?«

»Ja, Pater.«

»Könnten Sie bitte einen Moment dranbleiben?«

Kimball brachte kein Wort hervor. Er spürte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte.

»Kimball?« Die Stimme klang müde und rau. »Ich habe dich gehört«, sagte die Stimme. »Du hast jeden Tag angerufen, jeden Tag mit mir gesprochen, und ich habe dich gehört. Ich habe jedes Wort gehört, das du sagtest. Ich hatte solche Angst, Kimball. Es war immer so dunkel. Aber ich habe dich immer an meiner Seite gespürt in dieser Dunkelheit. Du hast mich beschützt. Und jeden Tag, an dem du mit mir gesprochen hast, hast du mich mehr ins Licht zurückgebracht. Das konnte ich spüren. Ich konnte dich spüren. Aber je näher ich dem Licht kam, umso mehr bist du entschwunden. Du bist in der Dunkelheit geblieben. Aber ich wusste nicht wieso. Und als ich schließlich wieder zu mir kam und das Licht in meinem Zimmer erblickte … warst du nicht da.«

Dann piepte das Telefon. Kimball sah auf die Batterieanzeige. Weniger als zwei Prozent. Er presste sich das Telefon wieder an sein Ohr.

»Ich habe dich gespürt, Kimball. Du hast mich zurückgebracht. Und dafür …«

Das Telefon schaltete sich ab.

Kimball sah zu dem Kreuz auf dem Turm hinauf. Ein Blitz zuckte dahinter hinab. Dann sah er in den Himmel. Regen vermischte sich mit Tränen, als der Mann zu schluchzen begann und die warmen Tropfen ihn beinahe an eine Taufe erinnerten. Er hatte einen Handel mit seinem Gott abgeschlossen und ihm versprochen, auf ewig ein Vatikanritter zu bleiben, wenn er sie zu ihm zurückbringen würde.

Am Ende war seine Antwort ein Ja gewesen.

Sharis Stimme hatte sich nie lieblicher angehört.

Kimball weinte.

***

Der alte Priester zündete gerade die Kerzen auf dem Opferständer an, als sich die Kirchentüren öffneten. In dem gebogenen Eingang stand ein Mann, der sich dunkel vor dem stahlgrauen Hintergrund des bewölkten Himmels abzeichnete.

Der Priester schüttelte das Streichholz aus und legte es auf den Opferständer, während er die Gestalt nicht aus den Augen ließ, um deren Füße das Regenwasser zu einer Pfütze zusammenlief. »Kann ich Ihnen helfen?«, erkundigte sich der Priester.

Die Gestalt aber antwortete nicht, rührte sich nicht.

Wasser rann weiter an ihm herab, wie das langsame und nervtötende Tropfen eines defekten Wasserhahns.

Der Priester trat einen Schritt vor und wiederholte: »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«

Kimball lief in das schwache Licht, welches durch die Buntglasfenster der Kathedrale fiel. Er sah völlig abgekämpft aus.

»Bitte«, empfing ihn der Priester. »Kommen Sie herein.«

Kimball lief zu den brennenden Kerzen und sah auf sie hinunter, während ihre flackernden Flammen sich in seinen Augen spiegelten. In dem schwachen Lichtschein schien seine Haut eine kränkliche, gelbliche Färbung anzunehmen.

»Geht es Ihnen gut, mein Sohn?«, fragte der Priester.

Kimball starrte weiter in die Flammen und verfolgte den Tanz des Feuers mit hypnotischem Blick. Der Regen tropfte noch immer von seiner Kleidung und aus seinem Haar. Kleine Tropfen schienen sich gefährlich lang an seinem kantigen Kinn festzuklammern, bevor sie auf den Boden fielen.

»Sind Sie hungrig?«, erkundigte sich der Priester.

Kimball starrte weiter ungerührt in die Flammen.

»Die Kirche unterhält eine Unterkunft ganz in der Nähe.« Die Stimme des Priesters war tröstlich und sanft wie Honig. »Wir können Ihnen Essen und eine Unterkunft anbieten, wenn Sie das möchten.«

Dann sah Kimball zu dem Altar und den kunstvollen Details der Handwerkskunst, die dieser widerspiegelte. Vor einem verzierten Hintergrund war das Bild des Heilands in gekreuzigter Form zu erkennen. Seine Arme waren ausgestreckt, eine Dornenkrone zierte seinen Kopf, und aus der fürchterlich klaffenden Stichwunde, die ihm Longinus' Speer zugefügt hatte, tropfte etwas Blut.

Hier war ein Mann, der für die Sünden der Menschen gestorben war. Hier war ein Mann, der auf Kimball Hayden mit Augen hinabsah, die wie Spiegel reflektierten und ihn musterten.

»Danke«, flüsterte Kimball schließlich der Figur zu.

Der Priester legte Kimball eine Hand auf die Schulter und spürte dabei die ausgeprägten Muskeln unter dem nassen Stoff. »Geht es Ihnen gut?«

»Danke.«

Der Priester konnte nicht genau sagen, ob Kimball zu ihm gesprochen hatte oder so von seiner Umgebung abgeschottet war, dass für ihn nichts weiter als das Abbild Jesus Christus' existierte und die beiden in eine zutiefst persönliche Unterhaltung vertieft waren.

Dann drehte sich Kimball zu dem Priester um und sagte: »Er hat endlich ja gesagt.«

Der Priester schien verwirrt. »Wozu?«

Kimball schloss die Augen, sog tief die Luft durch die Nase ein und ließ sie ebenso lang wieder entweichen, als würde er einem wunderschönen Gedanken nachhängen. »Er nahm mir jeden, der mir etwas bedeutete. Jeden. Also gab ich das Versprechen ab, dass ich, wenn er sie zu mir zurückbrächte, wieder das Licht der Vergebung und den Segen des Vatikan suchen würde.«

Der Priester hatte keine Ahnung, wovon Kimball da sprach und begann, sich zu fragen, ob der Hüne vielleicht unter psychischen Problemen litt. »Vielleicht sind Sie einfach nur erschöpft«, sagte der Priester und versuchte, Kimball zu einer der Kirchenbänke zu führen. Aber Kimball rührte sich nicht und starrte weiter nur das Abbild des Gottessohns an.

»Ich kann Ihnen helfen«, fügte der Priester hinzu.

»Das ist nicht nötig«, antwortete Kimball. »Aber ich danke Ihnen.«

Dann starrte Kimball wieder zu den Kerzenflammen, sah, wie sie in einem gleichmäßigen Rhythmus tanzten und flackerten. Irgendwo außerhalb grollte ein Donner und ließ die Kathedrale erzittern, gefolgt von einem zweiten Donner, der an den Buntglasfenstern rüttelte und von Allmacht und unverminderter Stärke kündete.

Kimball schloss die Augen und spürte, wie eine ihm unbekannte Wärme die Kälte in ihm vertrieb, die ihn so lange umfangen hatte. Dann ermahnte er sich, dass es noch so viel zu tun gab, so viele Dinge geradezurücken gab.

Nach einer langen Pause sagte er in einem Flüstern und vielmehr zu sich selbst als zu dem Priester. »Ich werde nach Hause gehen.«

Kapitel 1

Krankenhaus St. RoseGenf, SchweizEine Woche später

Als Kardinal Angelo Conti den Raum von Frederik Bass betrat, trug er ein rotes Pileolus, einen schwarzen Simar mit roten Knöpfen und Paspeln und einen Aktenkoffer bei sich.

Für Frederik Becher – einem in die Jahre gekommenen Mann, der dem Ende seines Lebens entgegenblickte – hatte der Anfang dieses Endes vor zehn Wochen begonnen, als er Blut in seine Hand hustete. Lungenkrebs im vierten Stadium, wie ihm sein Arzt mitgeteilt hatte, der bereits Metastasen gebildet hatte. Und mit jedem folgenden Tag schienen seine Zellen verrücktzuspielen und mehr seines bis dahin gesunden Gewebes einzufordern. Aber obwohl ihn der Krebs bei lebendigem Leib zu verzehren schien, spürte er seltsamerweise keine Schmerzen oder Unbehagen, nur Müdigkeit.

Nachdem Kardinal Conti mit ausgestreckter Hand den Zwischenraum überquert hatte, setzte sich Frederik Becher auf. Er nahm Contis Hand in seine, führte die Hand des Geistlichen an seine Lippen und küsste den Handrücken von Kardinal Conti.

»Es ist so schön, dich wiederzusehen«, begrüßte er ihn.

Nachdem er sich einen Stuhl ans Bett herangezogen hatte, beugte sich Kardinal Conti darauf nach vorn und ließ seine Hand warm auf Frederiks Unterarm ruhen. »Und, wie geht es dir heute, mein Freund?«

»Besser, als erwartet«, antwortete dieser. »Aber ich fühle mich schwach.«

»Die Geistlichen, die sich um dich kümmern, sagten, du würdest spüren, dass deine Zeit gekommen sei.«

Becher nickte bejahend.

Der Kardinal schien davon ehrlich betroffen. »Du solltest wissen, Frederik, dass eine solche Reise für einen Mann in deiner Lage hart sein kann. Die Fahrt mit dem Zug nach Rom dauert beinahe acht Stunden.«

»Es wird das letzte Mal sein, dass ich diese wundervolle Landschaft bewundern kann«, sagte Becher. »Von der Schweiz bis nach Rom, wo die Berge schneebedeckt und die Felder grün sind. Ich will all das noch einmal sehen, Angelo. Ich will alles in mich aufsaugen, als würde ich es zum ersten Mal sehen.«

Der Kardinal nickte. »Und das sollst du auch«, sagte er. »Der Vatikan wurde benachrichtigt und hat alle Vorkehrungen getroffen. Deine letzten Tage, Frederik, sollen von Schönheit und Staunen geprägt sein. Das verspreche ich dir. Und du wirst in der Ehrengruft unter dem Petersdom bestattet werden, wo dein Platz ist.«

Becher lächelte ein schwaches, aber von ehrlicher Dankbarkeit gezeichnetes Lächeln. »Danke.«

»Der Vatikan bittet dich außerdem um einen Gefallen, Frederik. Einen Gefallen von größter Wichtigkeit. Etwas, von dem sie glauben, dass du es vor diesem glorreichen Moment noch erfüllen kannst.«

»Ich sterbe, Angelo. Ich habe nicht mehr viel anzubieten.«

Kardinal Conti öffnete den Koffer, griff hinein, holte eine dicke Akte daraus hervor und reichte sie Becher, der sie mit zwei Händen entgegennahm, die so dünn und zerbrechlich wie die Knochen eines Spatzen aussahen. Was er da in der Hand hielt, waren biografische Daten.

Während er in seinem Bett lag, blätterte er mit Händen durch die Seiten, die mit faltiger Haut und Altersflecken bedeckt waren. »Kimball Hayden«, sagte er nur.

Der Kardinal nickte. »Ihn zu kennen ist, wie dich selbst zu kennen, Frederik. Er ist ein Mann, der dringend einer Vision bedarf. Jetzt, wo Bonasero Vessucci von uns gegangen ist … ist Kimball Hayden auf sich allein gestellt. Unglücklicherweise ist er dafür aber noch nicht bereit.«

Frederik Becher sah den Kardinal mit Augen an, die sich über die Jahre von einem leidenschaftlichen Blau in ein Grau verwandelt hatten. »Was hat das mit mir zu tun?«, fragte er.

»Wer könnte besser geeignet sein, als einer verlorenen Seele neue Hoffnung zu geben, Frederik … als jemand, der selbst einmal verloren schien?«

Das verstand Becher. »Von einer moralisch verkommenen Person zur anderen, ist es das?«

»Rette ihn, Frederik. So wie du dich selbst gerettet hast.«

»Mir bleibt nicht mehr viel Zeit.«

»Genauso wenig wie ihm«, erklärte der Kardinal. »Er irrt zwischen der Dunkelheit und dem Licht hin und her, unsicher, welchen Weg er einschlagen soll. Vielleicht, Frederik, liegt in dem Tod des einen Mannes die Rettung eines anderen.«

Frederik Becher sah auf den Stapel Dokumente in seinem Schoß hinunter. »So einfach ist es nicht«, sagte er tonlos. »Ich bewegte mich einst in der Dunkelheit, umarmte sie. Ich war von ihr verschlungen. Und ich weiß, dass die Reise ins Licht sehr schwierig ist. Selbst heute noch frage ich mich, ob die Abscheulichkeiten, die ich in der Vergangenheit beging, jemals von ihm vergeben werden können, und ich frage mich gleichzeitig, ob das Licht oder die Dunkelheit der Verdammnis auf mich warten.«

Der Kardinal streckte die Hand aus, um Bechers Schulter sanft zu drücken. »Gott vergibt all jenen, die ihre Sünden wahrhaftig bereuen«, erklärte er ihm. »Du hast dich als seiner Gnade wert erwiesen. Du, Frederik, bis zu einem leuchtenden Funken geworden, der bis heute erstrahlt.«

Becher musste bei diesen Worten lächeln. »Die Ritter des Vatikan«, sagte er.

Der Kardinal nickte. »Die Ritter des Vatikan.«

Frederik überflog noch einmal die Seiten und machte sich gedanklich ein paar Notizen über diesen Mann. »Ich habe schon von ihm gehört«, sagte er. »Kimball Hayden. Einst ein Auftragsmörder der US-Regierung, der seine oftmals grässlichen verdeckten Operationen völlig ungerührt ausführte. Männer, Frauen und selbst Kinder starben durch seine Hand.«

»Kommt dir das bekannt vor?«

»Ich habe niemals Kinder getötet.«

Ein Moment des Schweigens folgte, ein bedeutungsschwangerer Moment, in dem er über weitere der Informationen brütete. »Und nun hat er sein Gewissen entdeckt«, sagte Becher schließlich.

»Er ist ein guter Mann, der verloren ist. Der Vatikan braucht dich, um ihn ins Licht zurückzuführen.«

»Ich kann ihn nur einen Teil des Weges begleiten«, sagte Becher. »Der Rest liegt an ihm. Ich bin sicher, das Gleiche tat Bonasero all die Jahre, und doch ist Hayden immer noch verloren.« Er sah von den Dokumenten auf und wandte sich dem Kardinal zu. »Wie kommt das?«

»Der gute Bonasero Vessucci verlor sein Leben, bevor er seine Aufgabe zu Ende bringen konnte, Kimball Hayden an den Rand des Lichts zu geleiten.«

»Und da Bonasero nun tot ist … lebt Kimball weiter in der Grauzone und versucht, die Dunkelheit zu umschiffen.«

Der Kardinal schwieg.

Frederik Becher las weiter. Einen Moment später sagte er mit trauriger Stimme: »Kimball Hayden. Der Priester, der kein Priester ist.« Er legte die Akte beiseite, seufzte. »In der wenigen Zeit, die mir noch bleibt, Angelo, werde ich ihn führen, so gut es mir möglich ist.«

»Ich danke dir.«

Becher hob die Akte in die Höhe. »Aber anhand dessen, was ich über ihn las … könnte er ein hoffnungsloser Fall sein.«

»Niemand ist ein hoffnungsloser Fall«, antwortete der Kardinal.

»Das werden wir sehen.« Becher ließ die Akte wieder in seinen Schoß sinken.

»Bitte, Frederik, zeige ihm den Weg ins Licht. Überzeuge ihn davon, dass das Licht nicht einfach nur ein Hirngespinst ist, sondern etwas Reales und Erreichbares.«

Becher wusste nicht, ob das der Wahrheit entsprach, denn er hatte seine Zweifel nie ganz verloren. Der Mann hatte sich stets gefragt, ob Gott ihm wirklich die Morde verzeihen konnte, die er mit seinen Händen verübt hatte, Hände, welche nun kaum noch etwas zu leisten imstande waren. »Ich kann dir nur versprechen, dass ich es versuchen werde, mein Freund. Aber wenn ein Mann zu weit gegangen ist, wenn er glaubt, dass die Erlösung unerreichbar ist, bin ich machtlos. Wie gesagt, am Ende ist es seine Entscheidung. Und das schwerste, was ein Mann tun kann, Angelo, ist, sich selbst zu vergeben. Wenn er dazu nicht imstande ist …« Er ließ die Worte in der Luft hängen, ihre Andeutung war Aussage genug.

»Ich verstehe«, sagte der Kardinal und stand auf. Mit dem Koffer in der Hand stellte er Becher eine letzte Frage. »Gibt es noch irgendwelche persönlichen Dinge, die du auf deine Fahrt mitnehmen möchtest?«

»Nur ein Foto«, antwortete dieser.

Der Kardinal nickte mit einem traurigen Blick, der Becher seine Trauer darüber verriet, dass das Leben dieses Mannes auf eine einzige Fotografie reduziert worden war. Aber für einen Mann wie Frederik Becher war dieses Foto von unbezahlbarem Wert.

»Das medizinische Personal wird dich für deine Reise in den Vatikan vorbereiten«, sagte der Kardinal zu Becher, mit einem falschen Lächeln. »Der Zug fährt übermorgen.«

Becher nickte. »Ich danke dir, mein Freund. Möge Gott mit dir sein.«

Traurigerweise sollte dies das letzte Mal sein, dass die beiden einander sahen, weshalb dieser Moment besonders schwer auf ihnen lastete.

Nachdem der Kardinal den Raum verlassen hatte, beugte sich Frederik Becher zu dem Nachttisch hinüber und öffnete eine Schublade. Darin lag eine Schwarz-Weiß-Fotografie, die über die Jahre vergilbt war. Die Ecken waren eingeknickt und eingerissen, aber das Foto selbst war in relativ gutem Zustand.

Es stammte aus einer der dunkelsten Zeiten der Geschichte. Er war ein Soldat in Auschwitz gewesen, ein überzeugter Nationalsozialist, der den Befehl ausführte, für die Ausrottung der Juden zu sorgen, weil es die Politik so verlangte. Auf dem Foto stand er mit einem Gewehr in der Hand neben einem jüdischen Mädchen. Die gestreifte Kleidung hing wie ein übergroßer Vorhang von den spindeldürren Knochen des Mädchens. Und obwohl sein Lächeln ehrlich wirkte, war ihres von Verachtung und Trotz durchzogen; eine Zurschaustellung unbeirrbarer Stärke, die keine Form der Bestrafung jemals würde brechen können. Nicht einmal der Tod.

Dann fuhr er mit einem knochigen Finger über ihr Bild.

Ein Nazi und eine Jüdin.

Zwei Menschen, die einander liebten.

Eine Liebe, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.

Frederik Becher ließ das Foto in seinen Schoß sinken und widmete sich wieder den biografischen Aufzeichnungen des Mannes namens Kimball Hayden.

Kapitel 2

  

Das Büro des Monsignore Der Vatikan Am darauffolgenden Tag

  

Monsignore Dom Giammacio saß in seinem Ohrensessel aus feinstem Leder und rauchte eine Zigarette. Ihm gegenüber saß Kimball Hayden, der beste der Vatikanritter. Als Bonasero Vessucci noch das Amt des Papstes bekleidete, hatte er Kimball darum gebeten, regelmäßig den Monsignore aufzusuchen, um über seine Zweifel zu sprechen, es nicht wert zu sein, erlöst zu werden. Nun, da Bonasero nicht mehr unter ihnen weilte, hatte Kimball sich noch nie so leer gefühlt. Als er mit diesen psychologischen Sitzungen begann, hatte es Kimball hauptsächlich auf päpstliche Anordnung getan. Nun aber suchte er freiwillig den Rat des Monsignore auf, während er versuchte, seinem Leben ohne Bonasero einen Sinn zu geben.

Kimball saß mit übereinandergeschlagenen Beinen in einem Sessel. Er schien ruhig zu sein, als ob er hier an diesen Ort gehörte, obwohl er alles andere als entspannt war. Nachdem Bonasero Vessucci von fanatischen Extremisten getötet worden war, schien Kimballs Leben außer Kontrolle geraten zu sein. Bonasero war ihm eine Stütze gewesen, ein Hoffnungsschimmer, der Kimball davon überzeugt hatte, dem heiligen Licht würdig zu sein,

Nun aber war er in einer Leere gefangen, einem einsamen Ort, wo es keinen Platz für Hoffnung gab. Hier war es fast dunkel, ein grauer Ort, nur wenig Licht.

Der Monsignore drückte seinen Zigarettenstummel in einem überquellenden Aschenbecher aus, nahm eine weitere aus seiner Packung und zündete sie sich an. Dabei musterte er Kimball mit einem prüfenden Blick – mit nur einem Auge, das andere wegen des Rauchs, der kräuselnd vom Ende seiner Zigarette aufstiegt, zugekniffen. Schließlich fragte er: »Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie schließlich in Ihr rechtmäßiges Amt als Vatikanritter zurückkehrten, wo Sie doch Zweifel hatten, wohin Sie gehören?«

Kimball seufzte, als würde er nach den richtigen Worten suchen. »Ich war eine Gefahr für mein Team«, antwortete er. »Ich wurde das Ziel einer Todesschwadron. Und um zu mir zu gelangen, hätten sie zuerst an den Rittern des Vatikan vorbei gemusst. Und wenn das eingetreten wäre, hätten viele gute Menschen für das bezahlen müssen, was ich getan habe, bevor ich ein Vatikanritter wurde …  und das war inakzeptabel für mich.«

»Und nun?«

»Und nun, wo Bonasero von uns gegangen ist …« Kimball ließ die Worte in der Luft hängen.

Aber der Monsignore hakte nach. »Nun, da Bonasero von uns gegangen ist?«, sagte er, um Kimball zum Weitersprechen zu ermutigen.

Kimball sah den Monsignore mit zusammengekniffenen Augen an, als hätte er mit der bloßen Frage bereits eine Linie überschritten. »Bin ich nicht sicher, was ich tun soll«, sagte er. »Nicht völlig. Ich kam zurück, weil ich ein Versprechen abgab. Wenn einer gewissen Person gestattet würde, weiterzuleben, dann würde ich zurückkehren.«

»Sie sprechen von Shari Cohen.«

Kimball nickte.

»Und wem gaben Sie dieses Versprechen, Kimball? Wen baten Sie, sie zurückzubringen?«

»Das wissen Sie.«

»Ich will es von Ihnen hören, Kimball. Sie müssen die Wahrheit erkennen.«

Kimball seufzte. »Als ich an meinem Tiefpunkt war …  sprach ich zu Gott.«

»Sie sprachen zu Gott? Haben Sie das jemals zuvor getan?«

»Nein.«

»Wieso jetzt?«

»Weil Bonasero nicht mehr hier ist, um mich zu führen.«

»Ist das der einzige Grund?«

Kimball murmelte etwas. Heißer Magensaft stieg in seine Kehle und blieb dort.

»War das der einzige Grund, Kimball?«, wiederholte der Monsignore. »Weil Bonasero nicht mehr da ist, um Sie in Momenten zu führen, in denen Sie glauben, die Kontrolle verloren zu haben?«

Kimball schluckte den Kloß in seinem Hals wieder hinunter. »Ja und nein.«

»Ja und nein« wiederholte der Monsignore leise. »Ja, weil Bonasero nicht mehr da ist, um Ihnen eine helfende Hand zu reichen, wenn Sie ihn brauchen? Oder nein, weil Sie nur aus reiner Verzweiflung zu Gott sprachen, weil Sie das Gefühl hatten, völlig alleingelassen zu sein, und hofften, durch ein Gebet zu ihm von ihm erhört zu werden?«

»Beides«, sagte Kimball. »Ich betete zu ihm, weil ich mir sonst keinen Rat mehr wusste.«

»Weil Sie schließlich ganz unten angekommen waren. Bonasero Vessucci war tot. Ihre Teamkameraden nicht mehr da. Ihr Leben als Vatikanritter war vorbei. Und die Frau, für die Sie Gefühle empfinden, lag im Koma – die einzige Person, die Ihnen ungefähr so viel bedeutete wie Bonasero Vessucci.«

Kimball nickte.

»Also wandten Sie sich in Ihrer Verzweiflung an Gott, baten ihn um einen kurzen Moment der Ruhe. Ein einfaches Zeichen, dass er Ihnen zugehört hat und Ihnen etwas Hoffnung verleiht, ein Zeichen, dass er Sie erhören wird.«

Wieder ein Nicken.

»Und nun ist diese Frau wieder bei Bewusstsein, diese Shari Cohen. Und nun glauben Sie, dass er Ihr Flehen erhörte? Dass er Ihnen Hoffnung gegeben hat, solange Sie sich an Ihren Teil der Abmachung halten?«

Kimball schloss die Augen und zögerte, bevor er etwas antwortete. »Mein ganzes Leben über wurden mir die Menschen genommen, die mir etwas bedeuteten. Jeder, den ich liebte – meine Mutter, mein Vater. Freunde. Menschen, zu denen ich mich hingezogen fühlte, deren Nähe ich suchte. Alle tot. Ich hatte das Gefühl, bestraft zu werden, weil ich mit jemand anderem zusammen sein wollte außer den Rittern des Vatikan. Ich wollte eine Familie. Ich wollte jemand, zu dem ich nach Hause gehen konnte. Ich wollte ein Haus mit einem weißen Gartenzaun. Einen kleinen Garten, in dem meine Kinder spielen können. Aber jedes Mal, wenn ich mich diesem Ziel näherte, wurde es mir genommen, als wäre mein Leben zu nichts anderem vorbestimmt, als dem, was ich bin: ein Soldat. Und dass die Dinge, die ich will, keine Rolle spielen.«

»Und Sie glauben, dass Gott Sie als seinen Diener auserkoren hat?«

Kimball wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Auf der einen Seite glaubte er, dass ihn das Leben immer zwingen würde, nichts weiter als ein Soldat zu sein, ein Ritter des Vatikan. Ob es Gottes Wille war, konnte er nicht sagen, da Gott ihm aufgrund der Dinge, die er in der Vergangenheit getan hatte, den Rücken zugekehrt zu haben schien. Aber als er an jenem Tag, als Shari Cohens Leben an einem dünnen Faden hing, zu ihm gesprochen hatte, hatte sich ihr Zustand gebessert, und ihre Stimme, obschon rau und kehlig, hatte sich für ihn nie süßer angehört. Es war das erste Mal in seinem Leben gewesen, das jemand zu ihm zurückgekehrt war, aber nur in Verbindung mit dem Versprechen, zur Kirche zurückzukehren. Ein Zufall?

Der Monsignore beugte sich in seinem Sessel nach vorn. »Wenn das der Fall ist, Kimball, müssen Sie der Ansicht sein, dass Gott Sie erhört und entsprechend reagiert hat. Und wenn das der Fall ist, dann hat er Sie nicht im Stich gelassen. Stattdessen wünscht er, dass Sie weiter sein Werk verrichten, nicht wahr?«

Auch dessen war sich Kimball nicht so sicher. Es blieb die Frage: War das ein Zufall?

Der Monsignore lehnte sich wieder zurück. »Sie sind immer noch nicht vollends überzeugt«, sagte er.

»Ich halte es eher für einen Zufall als für göttliche Intervention.«

»Und doch sind Sie hier und lösen Ihr Versprechen ein. Wieso sollten Sie das tun, wenn Sie bis zu einem gewissen Grad der Ansicht sind, es handelte sich mehr um eine Art Zufall?«

»Nur für den Fall.«

»Für welchen Fall?«

Kimball war noch nicht bereit, zuzugeben, dass Gott ihm seine Macht gezeigt hatte, genauso wenig, wie er bereit war, dem Monsignore zu antworten: »Nur für den Fall, dass Gott mein Flehen erhörte.« Zumindest noch nicht – nicht, wo Shari Cohens plötzliches Erwachen nicht auch noch medizinisch zu erklären war.

Kimball hatte seine Entscheidung noch nicht getroffen.

Aber er hatte ein Versprechen gegeben.

Und ein Versprechen musste gehalten werden. Das zeichnete ehrenhafte Männer aus.

Dann wechselte der Monsignore das Thema. »Sie glauben immer noch, dass Ihnen der Weg ins Licht aufgrund der Dinge in Ihrer Vergangenheit verwehrt bleibt, und deshalb suchen Sie Ihren Weg in der Kirche, in der Hoffnung, das Vertrauen eines Gottes wiederzuerlangen, von dem Sie aber nicht sicher sind, ob er Ihnen zuhörte«, sagte er. »Aber Sie weigern sich, diesen Umstand zu glauben, denn sonst müssten Sie sich selbst vergeben. Und das, Kimball, ist Ihnen von jeher schwergefallen. Tatsächlich ist es etwas, dass Sie noch erreichen müssen – Ihre eigene Vergebung.« Der Monsignore schwieg für einen Moment, und dann fügte er noch etwas hinzu. »Halten Sie sich für einzigartig?«, fragte er.

»Einzigartig?«

»Ja«, nickte der Geistliche. »Einzigartig.«

»In welcher Hinsicht?«

»Glauben Sie, dass Männer wie Sie, die töteten – oftmals auch mit Freude daran – dem Licht gegenüber immun sind, egal, was sie getan haben?«

»Natürlich nicht.«

»Und glauben Sie, dass es noch andere wie Sie gibt, die ihre Vergangenheit bedauern und ihr Leben mit der Suche nach Vergebung verbringen, so wie Sie?«

»Höchstwahrscheinlich.«

Der Monsignore nickte, als hätten sie eine Art von Durchbruch erzielt. »Glauben Sie, Kimball, wenn ich Ihnen sage: Sie sind nicht einzigartig … aber Sie sind auf geradezu bornierte Art schwierig.«

»Das wären Sie auch, Padre, wenn Sie Männer, Frauen und Kinder getötet hätten, um ihre Mission nicht auffliegen zu lassen. Können Sie sich das Grauen vorstellen, das ich jede Nacht durchlebe, wenn ich mich schlafen lege? Ich sehe die Gesichter der Menschen, die ich tötete. Ich sehe die Gesichter der Kinder, deren Leben ich nahm, einen Augenblick, bevor ich den Abzug drückte. Ich sehe die Gesichter der Frauen und der alten Männer. Jene, die nichts mit alledem zu tun hatten, außer zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.«

»Für einige von uns führt der Weg in den Himmel durch die Hölle, Kimball.«

»So heißt es.«

»Und es ist wahr. Tatsächlich, Kimball, werden Sie einen Mann treffen, der auf der gleichen Suche ist. Sein ganzes Leben über kämpfte er gegen seine Ängste an und fragte sich stets, ob Gott ihn in seine Arme schließen würde, trotz der Dinge, die er in seiner Vergangenheit tat.«

»Ich bin nicht interessiert.«

»Sie haben keine andere Wahl«, sagte der Monsignore. »Der Befehl stammt direkt vom Papst persönlich. Und er hält ein solches Treffen für therapeutisch, wenn nicht sogar kathartisch. Ich stimme ihm da völlig zu.«

Kimball biss die Zähne zusammen, was die Muskeln an seinen Kiefern hervortreten ließ.

»Der Mann ist alt«, erklärte der Monsignore weiter. »Er wird sterben. Und nun packt ihn wieder die Furcht vor dem Tod, aufgrund dessen, wer er war und was er tat.«

»Also soll ich mich mit ihm unterhalten?«

»Mehr noch«, sagte der Monsignore. »Er befindet sich in einem Hospiz in der Schweiz. Sie werden ihn von dort abholen und dafür sorgen, dass es ihm gut geht. Das Wichtigste aber ist …  sie werden ihm zuhören.«

»Wer ist er?«

»Er ist ein ungemein besonderer Mann, Kimball. Wirklich besonders. Sorgen Sie dafür, dass seine letzte Reise zurück in den Vatikan so angenehm wie möglich verläuft.«

»Jetzt bin ich also ein Babysitter?«

»Nein, Kimball. Sie sind ein Schüler. Also hören Sie zu und lernen Sie. Vielleicht gelingt es Ihnen dann, sich zu vergeben und weiterzumachen.«

Kimballs Gedanken wanderten davon. Er glaubte nicht, dass ein Mann etwas tun konnte, um ihm zu helfen. Aber eine Sache entsprach der Wahrheit: Sich selbst zu vergeben, war ein monströses Hindernis, das er überwinden musste, eine Mammutaufgabe, die er noch erfüllen musste. Aber nun sollte er sein Vertrauen und seinen Glauben in einen Fremden legen? Einen Mann, den er noch nie zuvor getroffen hatte?

»Wer ist er?«, wiederholte Kimball seine Frage.

»Eine Legende«, war alles, was der Monsignore antwortete.

Nach einer kurzen Pause fragte Kimball: »Und wann soll ich in die Schweiz aufbrechen?«

»Morgen«, antwortete Monsignore Dom Giammacio. »Sie werden morgen abreisen.«

  

  

Kapitel 3

Genf, Schweiz 08:04 Uhr

Nann Bosshart war eine Hausfrau, die in einer erstklassigen Wohngegend gut betuchter Menschen lebte, eine jener Gegenden voller hochpreisiger Häuser und Garagen, voller hochpreisiger Autos. Sie war hübsch, mit blonden Haaren und attraktiven blauen Augen, etwa Ende dreißig, und hielt sich mit den Hightech-Geräten fit, die vom Gehalt ihres Ehemannes bezahlt worden waren.