Die Berichterstatterin - Valerie Springer - E-Book

Die Berichterstatterin E-Book

Valerie Springer

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Beschreibung

Was geschieht, wenn eine Kriegsfotografin, die jahrelang das Grauen anderer dokumentiert hat, plötzlich ihrem eigenen Schmerz nicht mehr entkommt? Mit Die Berichterstatterin entführt Valerie Springer in die konfliktreiche Welt der Kriegsfotografin Amanda Kainsberger. Inmitten des exotischen Flairs des Orient und der allgegenwärtigen Brutalität des Krieges entfaltet sich eine surreale Geschichte, die in die Abgründe einer Frau blicken lässt, die für ihren Beruf alles opfert. Amanda Kainsberger, bekannt für ihre schonungslosen Bilder aus den weltweiten Krisengebieten, wird mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, vor der sie bisher erfolgreich geflohen ist. In Bagdad begegnet sie Viktor Gubensteen, der ihr ein Rätsel aufgibt: Er überlässt ihr die mysteriösen Bücher des Underground-Dichters Thadäus Ladislav Bugelmüller und das Foto seiner jungen Geliebten, die Amandas verstorbener Tochter aufs Haar gleicht. Während Gubensteen einen riskanten Plan zur Rettung seiner Geliebten verfolgt, muss sich Amanda ihrer Vergangenheit stellen. Die Schriften des geheimnisvollen Dichters Bugelmüller erweisen sich als Schlüssel zu ihrer Selbstfindung.

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Seitenzahl: 138

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Gedankensplitter bahnen sich ihren Weg,

stechend, scharf, schmerzhaft,

durch die rätselhaften Verdichtungen meines Unbehagens,

suchen nach einem Ziel, sich festzuhaken.

Stacheldrahtumzäunte Erinnerungen.

Thadäus Ladislav Bugelmüller,

einziges bislang bekanntes Gedicht,

geschrieben wahrscheinlich 1971

Ich denke an Amy Kain.

So nannte sie sich, als ich sie erstmals traf.

Und ich denke an die, die ich nie kennengelernt habe:

an Gubensteen und an das Mädchen.

Ich weiß nicht, ob sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben.

Ich denke an sie in einem mir fremden Hoffen.

Das Hotel Américaine war beschossen worden. Rebellierende Truppen hatten die Kameraobjektive der Journalisten auf den Balkonen für Artilleriegeschütze gehalten. Ich war gerade erst in Bagdad angekommen und hatte mein Zimmer in einer kleinen, einheimisch geführten Pension bezogen, die sich schräg gegenüber des eleganten mehrstöckigen Hotels befand. Von meinem Zimmer aus sah ich zum Américaine hinüber, abgesehen von ein paar Einschusslöchern an der Fassade gab es keine Schäden. Nachdem ich meinen Koffer ausgepackt und mich frisch gemacht hatte, war die Nacht bereits hereingebrochen. Ich blickte wieder aus dem Fenster zum Américaine, beschloss, dort später einen Tee zu trinken, die Bar hatte ich in angenehmer Erinnerung. Ich beugte mich aus dem Fenster und sah hinauf in den Nachthimmel, erblickte eine Lichterkuppel über der Stadt, die aussah wie zu Silvester. Ferne Detonationen erschütterten das Gemäuer leicht, Helikopter, Gewehrschüsse, Sirenen. Nun war ich also hier, in dieser mir magischen Stadt, die ich vor Jahrzehnten besucht hatte, als alles noch vollkommen anders gewesen war.

Als ich keinen Lärm mehr auf der Straße hörte, ging ich ins Américaine in die Bar. Dort lernte ich die Berichterstatterin kennen. Sie stand an die Theke gelehnt, der Kellner hatte ihr gerade ein Glas mit einer kristallklaren Flüssigkeit serviert, das sie in einem Zug leerte und ein weiteres bestellte. Ich stellte mich neben sie und bat den Kellner um einen Tee.

„Viktor Gubensteen hat Bagdad vor einer Woche verlassen“, sagte sie. Dies waren ihre ersten an mich gerichteten Worte, indes sprach sie mehr in ihr leeres Glas hinein als zu mir.

„Viktor Gubensteen?“, fragte ich, denn der Name sagte mir nichts. „Ich heiße übrigens Amy Kain“, antwortete sie. Und dann erzählte sie mir die Vorgeschichte.

„Er ist Literaturprofessor, aus Deutschland. Ich bin im Flugzeug von Beirut nach Bagdad neben ihm gesessen. Wir haben uns vorgestellt und er hat gelacht, als er meinen Namen gehört hat. Damals hieß ich noch Amanda Kainsberger. Ich habe ihn gefragt, warum er lacht. Und er hat gesagt, dass das Buch, in dem er gerade liest, von einer Frau namens Amanda handelt, die auf einem Gut namens Kainsberg lebt. Und dann hat er mir das Buch geschenkt, die 'Apokalytischen Visionen' von Thadäus Ladislav Bugelmüller. Er hat gesagt, dass er es ohnehin so gut wie auswendig kennt. Er kannte alle Werke von Bugelmüller so gut wie auswendig. Weil das sein Spezialgebiet war.“ Als sie das Buch in ihren Händen gehalten hatte, noch warm von seinen Händen, hatte sie sich in ihn verliebt, „mit der sprichwörtlichen Blitzartigkeit, mit der dies unter günstigen Umständen geschieht“, meinte sie. „Aber er hat sich nicht in mich verliebt, weder blitzartig noch verzögert“, und sie fügte hinzu, immer noch mehr in ihr Glas sprechend als zu mir: „Das hatte einen guten Grund.“

Amy Kain war eine gutaussehende Frau. Dass Viktor Gubensteen sich nicht in sie verliebte, lag nicht an ihrer Traurigkeit. Auch nicht an ihrer Gleichgültigkeit. Es gab tatsächlich einen anderen Grund, den Amy Kain erst später erfuhr.

Ich habe übrigens Vorbehalte, die Begriffe „Verliebtheit“ oder gar „Liebe“ zu gebrauchen, ich misstraue ihnen, sie erscheinen mir ihrer Bedeutung beraubt. Und doch … Amy Kain benutzte das Wort „verliebt“ gänzlich unverzagt, als sie mir von ihrer Flugzeug-Begegnung mit Gubensteen erzählte. Darum verwende ich es auch.

Ich schreibe das Geschehene rückblickend auf. Ich bin nicht mehr in Bagdad. So ordne ich meine Gedanken, meine Erinnerungen. Ich möchte es festhalten, für mich: Meine Begegnung mit Amy Kain, wie sie sich nannte, als ich sie kennenlernte. Meine nur in Erzählungen von Amy Kain erfolgte Begegnung mit Viktor Gubensteen und seinem äußerst präzisen Plan. Meine Begegnung mit dem Werk des längst verstorbenen, mir vormals vollkommen unbekannten und von der Öffentlichkeit gänzlich verkannten Underground-Literaten Thadäus Ladislav Bugelmüller.

Angefangen hatte also alles damit, dass Viktor Gubensteen Amanda gesagt hatte, dass ihr Name zu einer Romanfigur gehöre. Diese Romanfigur hatte das Licht der Buchmarkt-Welt aber erst nach Amandas Geburt erblickt. Im weiteren Verlauf des Fluges unterhielten sich Amanda Kainsberger und Viktor Gubensteen über die erstaunliche Zufälligkeit, dass Amandas Eltern – in völligem Desinteresse an der Literatur und in völliger Unkenntnis eines Schriftstellers namens Thadäus Ladislav Bugelmüller – ihrer Tochter einen Namen gegeben hatten, der einige Jahre später in einem Buch aufscheinen sollte, in dem es um eine weise Frau namens Amanda und ein zerstörtes Gut namens Kainsberg ging. Diese erstaunliche Zufälligkeit führte dann letztendlich auch dazu, dass Gubensteen Amanda nach ihrem Geburtstag fragte. Und wie sich herausstellte, war sie an demselben Tag geboren wie der Schriftsteller Thadäus Ladislav Bugelmüller.

Amy Kain meinte über diese erstaunliche Zufälligkeit. „Dass ich am selben Tag Geburtstag habe wie Thadäus Ladislav Bugelmüller! Was für ein Name! Ich habe Gubensteen darauf geantwortet, dass ich am selben Tag Geburtstag haben kann, aber nicht annehme, denselben Todestag wie er zu haben, denn solche Zufälle gibt es nicht.“ Darauf habe Gubensteen nichts geantwortet, vielleicht aus Aberglaube. Aber ich kann mir nach dem, was ich über Gubensteen weiß – ich kenne ihn wie gesagt nicht persönlich, nur aus den Erzählungen der Berichterstatterin –, nicht vorstellen, dass Gubensteen abergläubisch ist. Dazu kommt er mir zu nüchtern vor. Immerhin hatte er seinen Plan zwar ausgesprochen waghalsig, dennoch mit äußerster Präzision und eben Nüchternheit durchgeführt.

Ich habe im Internet nachgesehen, wann dieser Thadäus Ladislav Bugelmüller geboren wurde. Unter www.thadaeus-ladislav-b.comfand ich eine Biografie, ein Werkverzeichnis und den Wortlaut seines Testamentes sowie den Hinweis darauf, dass seine Initialen TLB von seiner Fan-Gemeinde als gängige Abkürzung verwendet werden. Ich werde diese Abkürzung der Einfachheit halber im Folgenden verwenden. Ich fand kaum Hinweise auf sein Privatleben, er schien ein äußerst zurückgezogenes Leben geführt zu haben – und hatte sich ausschließlich mit Apokalyptischem befasst.

Amy Kain zeigte mir ihren Pass, und ich akzeptierte die einfache Tatsache, dass ihr Geburtstag auf denselben Tag fiel wie TLBs. TLB, so stellte ich bei meiner Nachforschung im Internet fest, wäre jetzt, wäre er nicht schon gestorben, wahrscheinlich so alt wie der Großvater der Berichterstatterin, der im Übrigen inzwischen auch schon gestorben ist.

TLBs Todestag kenne ich nicht. Ich habe mit Absicht versucht, ihn auf der Internetseite nicht anzusehen, es ist mir irgendwie gelungen. Ich könnte mir vorstellen, dass ich an diesem speziellen Tag, wüsste ich ihn genau, unruhig wäre, wer weiß.

Bagdad verlockt, so könnte man meinen, zum Erzählen einer Geschichte, ähnlich denen, die in den Sammlungen aus 1001 Nacht geschildert werden. Aber was ich am allerwenigsten bin, ist ein Geschichtenerzähler. Zudem macht die damalige Situation in der Stadt es mir unmöglich, die Begegnung mit Amy Kain rückblickend in eine orientalisch-märchenhafte Atmosphäre zu hüllen, auch wenn dies dem, was die Berichterstatterin mir erzählte, stimmigen Zusammenhalt verleihen könnte. Nein, ein Geschichtenerzähler bin ich keinesfalls.

Nebenbei bemerkt sehe ich es als eine der Grundanforderungen an eine Geschichte, dass in dieser Geschichte etwas geschieht. Dazu ist sie da und das ist ihre Daseinsberechtigung. Wenn nichts geschehen ist, gibt es nichts Geschehenes, nichts Geschichtetes und also keine Geschichte. „Ein Foto will nicht zeigen, was geschehen ist. Auch nicht, was geschehen wird. Ein Foto zeigt, was es zeigt“, hat Amy Kain zu mir gesagt. Ich finde das schlüssig.

Was für eine spezielle Bewandtnis eine spezielle Fotografie für all das hat, was ich hier beschreibe, werde ich in Kürze aufzeigen. „Kann man ein Foto danach beurteilen, ob dieses Foto auf ein Geschehen und eine darin enthaltene Geschichte hindeutet?“, fragte ich Amy. Sie antwortete: „Ein Foto, was auch immer es darstellt, ist eine Trägersubstanz für ein Empfinden. Mehr nicht.“

Wie gesagt, angefangen hatte alles damit, dass Gubensteen aufgrund von Amandas Namen auf TLB zu sprechen kam. Und damit eröffnete er der Berichterstatterin die sogenannte Welt der Bücher. TLBs geschriebene Welt steht nicht zwangsläufig stellvertretend für die Welt des geschriebenen Wortes, dazu ist dieser Underground-Dichter einfach zu wenig bekannt. Seine Anhängerschaft sei riesengroß, so versicherte mir Amy Kain, seine Bücher würden nun in Millionenauflagen erscheinen, allerdings nur im Untergrund. Die Öffentlichkeit oder gar der Mainstream wüssten nichts von TLB. „Der öffentlichkeitsscheue Bugelmüller“, sagte Amy Kain, „hat ein öffentlichkeitsscheues Werk hinterlassen.“ Und sie fügte wieder hinzu: „Bugelmüller, was für ein Name!“

Gleichzeitig mit der Welt des geschriebenen Wortes eröffnete Gubensteen Amy auch die Welt der Liebe, und damit eine, aus der sie sich seit fünf Jahren gänzlich zurückgezogen hatte. Mit gutem Grund.

Folgendes möchte ich klären, denn ich beabsichtige die Auflösung eines Rätsels, und bisher habe ich eher Rätsel aufgeworfen:

Die Gründe, warum Gubensteen sich nicht in die Berichterstatterin verliebte.

Die Gründe für die Traurigkeit der Berichterstatterin.

Die Gründe für die Gleichgültigkeit der Berichterstatterin.

Die Gründe für Amy Kains Zurückgezogenheit aus der Welt der Liebe, wobei dieser Punkt mit den beiden vorherigen Hand in Hand geht.

Die Berichterstatterin lebte seit fünf Jahren im Américaine, unterbrochen nur von kurzen Reisen in ihr Heimatland Österreich. Das Erste, was sie tat, nachdem sie ihr Zimmer im Hotel Américaine nach einwöchiger Abwesenheit wieder betreten und TLBs „Apokalyptische Visionen“ auf ihren Nachttisch gelegt hatte, war, ihren Namen zu ändern.

Indes, es war nicht wirklich das Erste, was sie tat. Zuallererst packte sie ihre Reisetasche aus, entledigte sich ihrer verschwitzten Kleidung, ging duschen, entnahm ihrem kleinen Kühlschrank eine Flasche Hochprozentiges, trank direkt aus der Flasche ein paar Schluck, setzte sich, mit einem großen Handtuch durchaus zweckmäßig bekleidet, auf die Kante des Bettes und begann, in TLBs „Apokalyptischen Visionen“ zu lesen. Daraufhin erst beschloss Amanda, ihren Namen zu ändern. Als ich sie kennenlernte, hieß sie bereits seit einiger Zeit Amy Kain.

Nun fällt mir ein weiteres Rätsel auf, das aufzulösen mir nicht gelingen wird, weil ich mich, abergläubisch oder auch nicht, dieser Auflösung nicht stellen werde:

Die Zufälligkeit der Namensgebung Amandas,

die Zufälligkeit der Geburtstags-Kongruenz

und daraus resultierend TLBs Todestag, den Amy nicht kannte, den ich nicht kenne, weil ich mich weigere, ihn in mein Denken zu lassen, den Gubensteen kannte, jedoch Amy gegenüber nicht äußerte, weder bei ihrem ersten Treffen, noch im weiteren Verlauf ihrer Bekanntschaft.

Welche Rolle spielt nun der Underground-Dichter TLB in dem Bild, das ich zu beschreiben versuche? Die eines Spiegels, einer Deutung, einer Annäherung? Das zumindest denke ich mir, seit Amy Kain, wie sich die Berichterstatterin also nannte, von sich und von der Rolle erzählte, die TLB in ihrem Bild spielte.

Amy sagte mir: „Gubensteen hat mich dazu gebracht, TLB zu lesen. Er hat mir, nachdem ich mit dem ersten Buch der Apokalyptischen Visionen durch war und ihm gestanden habe, dass mein rechter Zeigefinger streikt“, worauf ich noch näher eingehen werde, „einen großen Stapel von TLBs Büchern gegeben. Dem habe ich mich dann sofort gewidmet, weil ich nichts anderes zu tun hatte.“

Inhaltsverzeichnis

Die Metamorphosen der Namen

Wer ist Amanda Kainsberger? Wer ist Amy Kain?

Wer ist er, dieser Viktor Gubensteen?

Frage

Antwort

Wie lange fotografierte Amy Kain nicht mehr? Ein zeitlicher Überblick

Die Zauberkunst der Zufälligkeiten und der Kongruenzen

Die Fahrt im gepanzerten Automobil des Fernsehteams

Der Schlussstrich, den Viktor Gubensteen unter seine Vergangenheit gezogen hatte

Das finanzielle Desaster des Viktor Gubensteen

Ein Überblick, die verschiedenen Lebensalter betreffend

Die Brillanz der Amy Kain

Die Schlussfolgerungen von Tonis Vater

Der Nachlass des Underground-Literaten TLB

Das Schicksalhafte der Verknüpfungen

Die apokalyptischen Reisen der Amy Kain (nachdem sie begonnen hatte, TLB zu lesen)

Die Integrität des intellektuellen Wirrkopfs Viktor Gubensteen

Die kriminelle Tat

Die literarische Welt des Underground-Literaten TLB

Der Fund des Prof. Dr. Hubert Breit-Bodenham

Die Absonderlichkeit der Magensäfte der Amy Kain

Frage

Antwort

Das wechselseitige Schwanken

Die Heimlichkeiten

Nochmals die Frage

Hier die ausführlichere Antwort

Wie hat Viktor Gubensteen das Mädchen kennengelernt?

Der Zufall

Der kleine Schuhputzer

Hier eine Auflistung dessen, wer was weggeworfen hatte

Noch eine Frage

Die Antwort

Das Lächeln der Amy Kain

Der lange Weg der drei Trilogien des TLB

Ein spezieller Brief hat eine spezielle Geschichte

Das fragwürdige Motiv der Gerechtigkeit

Anhang 1

Ein spezieller Brief hat eine spezielle Geschichte, Teil 2

Der unbeschadete Ruf des Viktor Gubensteen

Glücklich bis ans Ende ihrer Tage

Die „Apokalyptischen Visionen“ des TLB

Die erste Trilogie

Die zweite Trilogie

Die dritte Trilogie

Zeittafel

Das Testament des TLB

Anhang 2

Eva Wagner

Die Metamorphosen der Namen:

Amanda Kainsberger hatte ihren Namen geändert.

Viktor Gubensteen hat seinen Namen aller Wahrscheinlichkeit nach geändert, um nach der Durchführung seines waghalsigen Plans für immer unauffindbar zu sein.

Das Américaine hatte kurzfristig, nachdem der frühere Herrscher gestürzt worden war, einen neuen Namen erhalten, der keinen Bezug zu internationalen Machtstrukturen aufwies. Kaum waren die Besatzungssoldaten angekommen, bestanden sie darauf, dem Hotel wieder seinen ursprünglichen Namen zu geben.

Thadäus Ladislav Bugelmüller wollte (vielleicht) seinen Namen trotz dessen Sperrigkeit nie ändern, wer weiß. Seine Fangemeinde tat es, indem sie den Schöpfer von drei Literatur-Trilogien auf eine Buchstaben-Trilogie reduzierte: TLB.

Es steht mir frei zu schreiben, was auch immer ich will. Ich kann mich zum Beispiel in Obszönitäten oder Perversionen ergehen oder ich kann zum Mörder werden, indem ich aufstehe, die Pistole vom Tisch nehme, hinausgehe und den Nächstbesten erschieße.

Ich kann mich zum Kinderschänder oder zum Triebtäter oder zum Terroristen machen, und gerade Letzteres wäre in Bagdad – damals wie heute – gewiss nicht exotisch.

Das Schreiben hat gegenüber dem Fotografieren seine Vorteile, keine Frage. Ich kann lügen, so viel ich will, und keiner kann mich deswegen ahnden. Ich tue es dennoch nicht. Um bei der Wahrheit zu bleiben, muss ich gestehen, dass auf meinem Tisch keine Pistole liegt, mit der ich auf die Straße gehen könnte. Es liegt hier, wenn überhaupt, nur die Idee einer Pistole, und das ist seltsam genug.

Wer ist Amanda Kainsberger? Wer ist Amy Kain?

Sie ist Berichterstatterin. Nein, das ist sie nicht.

Sie ist Fotografin. Nein, das ist sie nicht.

Sie ist eine ganz normale Durchschnittsfrau, was auch immer das ist. Nein, das ist sie nicht.

„Amy, wer sind Sie? Was sind Sie?“, habe ich sie gefragt und sie hat mir, nachdem ich ihr wie in einem Multiple-Choice-Frage-Antwort-Spiel die genannten Möglichkeiten dargelegt hatte, so geantwortet: „Wenn überhaupt, bin ich wahrscheinlich am ehesten das dritte, denn wenn ich in die Augen anderer Menschen blicke – und ich gestehe, ich blicke den Menschen inzwischen nicht mehr allzu oft in die Augen –, wenn ich das aber tue, dann sehe ich in den Augen der ganz normalen Durchschnittsmenschen, was auch immer das ist, eine Leere, die es mit der in mir ohne Weiteres aufnehmen kann. Und daher läge der Schluss nahe, dass ich ein ebensolcher ganz normaler Durchschnittsmensch mit einer ebensolchen Leere nicht nur in den Augen, sondern auch im Inneren bin.“

Und dann, gleich anschließend, sie klärte erst im Nachhinein auf, dass es nicht ihre eigenen Worte, sondern die TLBs waren, zitierte sie: „Es war nicht ihre eigene Hoffnungslosigkeit, die ihren Weg beschwerlich machte, sondern die Hoffnungslosigkeit der anderen, die ihre Hoffnungslosigkeit nicht zugeben wollten, weder vor sich selbst noch voreinander.“

Ich wusste nicht, und auch Amy wusste den Grund nicht zu benennen, warum Gubensteen ihr seine TLB-Bücher gegeben hatte. Er hatte sie gewarnt, was sie nett fand. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt, während meines ersten Gesprächs mit der Berichterstatterin, nie zuvor von Gubensteen gehört und ich wusste auch nach meinem ersten Gespräch mit der Berichterstatterin nicht mehr von ihm, als dass Gubensteen ein international angesehener TLB-Spezialist war und Amy Kain vor der Lektüre gewarnt hat. Ich mutmaße ein wenig über die Beweggründe dieser Warnung. Ich nehme trotz allem an, dass es dafür nur einen Grund gibt: eine abstruse Form des Aberglaubens, die Gubensteen zu eigen sein könnte.

In Bagdad geschah in diesen Tagen nichts, wenn ich davon absehe, dass die Ereignisse, die Zeitungsseiten und Bildschirme füllen, als Geschehen beurteilt werden. Aber mir liegt es näher, alles, was dort geschehen ist, geschieht und geschehen wird, als würdelose Katastrophe zu bezeichnen, eine menschliche Bankrotterklärung. Und selbst das wäre Schmeichelei, weil es das dortige Geschehen in eine mundgerechte Diktion verpacken würde, die durch ihre scheinheilige Ironie schon zum Allgemeingut geworden ist.