Die Bestie im Nebel - Dana Kilborne - E-Book
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Die Bestie im Nebel E-Book

DANA KILBORNE

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Beschreibung

Die Schulzeit ist vorbei, und für Paula, Vicky, Stephen und Nigel beginnt der langersehnte Ausflug in die raue Schönheit der schottischen Highlands. Doch ihre Reise wird schnell zu einem Albtraum: Ein heftiger Streit entzweit die Freunde, das Wetter schlägt um, und Vicky wird in einer stürmischen Nacht von wilden Wölfen angegriffen und schwer verletzt. Auf der Flucht vor dem Unwetter finden sie Zuflucht in dem düsteren Dorf Olderfeldy. Doch die Dorfbewohner reagieren merkwürdig erfreut auf die Nachricht vom Wolfsangriff. Warum? Und welche Verbindung haben Paulas verstörende Träume zu den mysteriösen Geschehnissen? Als rote Augen sie aus dem dichten Nebel anstarren und ein markerschütterndes Heulen die Stille durchbricht, ahnen die Freunde, dass etwas Dunkles und Gefährliches in den Highlands lauert...

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

Epilog

Impressum

Dana Kilborne

Die Bestie im Nebel

Prolog

Sie war gerade sechzehn Jahre alt, und sie wusste, dass sie heute Nacht sterben würde.

Voll stand der Mond am sternklaren Himmel. Sein bleiches Antlitz spiegelte sich auf der Oberfläche des Sees.

Sie konnte das Geräusch der Trommeln hören.

Tamm … Tamm … Tamm …

Ihr Herz raste. Sie verspürte tödliche Angst. Eine Angst, die sie bis tief in ihr Innerstes lähmte.

Sie konnte nicht einmal schreien.

Wie gebannt starrte sie auf den Nebel, der wie von Geisterhand erschienen war. Zuerst waren es nur ein paar dünne Schwaden, die wie bleiche Finger über das Wasser tasteten. Doch sie verdichteten sich, ballten sich zu einer Form zusammen, die an die eines Tieres erinnerte.

Die Form eines Wolfes …

Im nächsten Moment erklang ein langgezogenes Heulen.

Sie schloss die Augen.

Er kam.

1. Kapitel

»Und ihr meint wirklich, dass wir hier übernachten sollen?« Skeptisch sah Paula die anderen an und strich sich eine feuchte Strähne ihres schulterlangen schwarzen Haares aus dem Gesicht. Seit etwas mehr als sieben Stunden waren sie nun schon unterwegs, und die ganze Zeit über fiel ein feiner Nieselregen, der inzwischen sogar die ihre Regenjacken durchnässte.

Die Sonne war durch die weißgraue Wolkendecke nur als verwaschener Fleck zu sehen, und die Gipfel der Berge verschwanden in einer Glocke aus Nebel. Der Boden war inzwischen so aufgeweicht, dass jeder Schritt zur Qual wurde.

Stephen, Paulas Zwillingsbruder, hob die Schultern. »Warum nicht? Ob wir nun hier oder woanders unsere Zelte aufschlagen, ist doch wohl egal, oder nicht? Der Boden ist überall gleich morastig.«

Paula seufzte. »Schon, aber … Na ja, ich dachte halt, dass es vielleicht doch besser wäre, bis zum nächsten Ort weiterzugehen und uns da ein Motel oder eine Pension oder so was zu suchen.«

»Wie jetzt?«, fragte Vicky, ihre beste Freundin. Eigentlich hieß sie Victoria, aber so hatten sie bloß die Lehrer in der Schule genannt. Sie galt immer als das »Püppchen«, weil sie zierlich war und langes, blondes Haar hatte und damit eben einer gewissen weltweit bekannten Spielzeugpuppe ähnelte. »Ich dachte, wir waren uns einig, dass wir zelten. Wozu sonst schleppen wir die ganzen Sachen mit uns rum? Wir wollten Geld sparen. So dicke haben wir es als Ex-Schüler schließlich auch nicht.« Sie kicherte. »Aber das wird sich ja nach den Ferien ändern.«

»Ich weiß, dass wir nicht viel Geld haben«, erwiderte Paula. »Aber trotzdem … Es wäre doch sicher bequemer. Und so teuer kann es ja wohl auch nicht sein, wenn wir …«

»Du hast Schiss, nicht wahr?« Das war Nigel Gallagher, Stephens bester Freund. Paula mochte ihn nicht, was vor allem daran lag, dass er sich immer über alles und jeden lustig machte. Manchmal fragte sie sich, ob er überhaupt jemals erwachsen werden würde.

»Ach, halt doch die Klappe!«, fauchte sie. »Deine blöden Kommentare gehen mir langsam echt auf die Nerven. Und zu deiner Info: Nein, ich habe keine Angst. Also vergesst einfach, was ich gesagt habe. Wir schlafen hier, alles klar?«

Damit war das Thema erledigt, doch Paula musste zugeben, dass sie gelogen hatte. Es stimmte nicht, dass sie keine Angst hatte. Im Grunde verspürte sie sogar ein mehr als ungutes Gefühl bei der ganzen Sache. Warum, wusste sie jedoch selbst nicht.

Es war schon ein paar Wochen her, als die vier jungen Leute nach einer spontanen Idee von Stephen beschlossen hatten, in den Ferien eine Tour durch die schottischen Highlands zu machen. Sozusagen als Abschluss, denn alle hatten jetzt die Schule hinter sich, und nach den Ferien würden sich ihre Wege erst einmal trennen.

Nigel wollte zu seinem Vater nach Inverness ziehen und bei ihm in der Autowerkstatt anfangen. Seine Eltern hatten sich getrennt, als er vierzehn Jahre alt gewesen war. Damals war er mit seiner Mutter nach Edinburgh gekommen, doch wirklich wohl hatte er sich hier nie gefühlt. Vor allem hatte er wohl seinen Dad immer sehr vermisst.

Stephen und Vicky würden zwar in Edinburgh bleiben und studieren, aber das spielte keine Rolle, denn die beiden konnten sich nicht ausstehen. Paula fragte sich schon länger, warum das so war, denn früher, als Kinder, waren sie eigentlich ganz gut miteinander ausgekommen.

Paula selbst würde nach London gehen, um dort die Uni zu besuchen. Sie seufzte. Bei dem Gedanken daran wurde ihr ganz anders. Zwar war es schon immer ihr Traum gewesen, mal in dieser Metropole zu leben und zu arbeiten, aber jetzt, wo es bald so weit war, bekam sie doch weiche Knie. Was würde sie in London, wo sie ganz auf sich allein gestellt war, erwarten? War es ein Fehler, aus Schottland und damit auch von ihren Eltern, wo sie stets behütet aufgewachsen war, wegzugehen?

Sie schüttelte den Kopf. Bis dahin waren es noch ein paar Wochen, jetzt wollte sie erst einmal mit den anderen Spaß haben. Aber ob hier in den Highlands wirklich alles so lustig werden würde, wie sie gedacht hatte? Anfangs war es für sie keine Frage gewesen, draußen zu übernachten. Warum auch nicht? Das war ein Abenteuer, und normalerweise stand sie auf Abenteuer. Als kleines Mädchen hatte sie gern gezeltet, wenn auch nur im elterlichen Garten. Aber damals hatte sie noch so etwas wie Abenteuersinn besessen, und sie fragte sich, wo der jetzt hin war.

Sie hatte keine Ahnung. Wahrscheinlich war er mit dem Erwachsenwerden einfach verschwunden, wie so viele andere Dinge auch. Wenn sie daran dachte, dass sie sich früher immer geschworen hatte, nie so werden wie die all die langweiligen Erwachsenen, die sie kannte … Und was war jetzt? War sie nicht drauf und dran, genauso zu werden? Und war das nicht vielleicht auch ganz normal und gar nicht mal so schlecht?

Während die Jungs begannen, die Zelte aufzubauen, merkte Paula, wie das seltsam unbehagliche Gefühl, das sie schon die ganze Zeit über verspürte, sich immer mehr verstärkte. Laut ihrer Karte befand sich in der näheren Umgebung nur ein kleines Dorf, dann kam erst einmal eine ganze Weile lang nichts mehr. Sie befanden sich hier also wirklich in absoluter Abgeschiedenheit, und aus irgendeinem Grund erfüllte der Gedanke daran sie mit Schrecken. Was, wenn es hier draußen wilde Tiere gab? Oder wenn sich irgendein Psychopath hier herumtrieb?

Abermals schüttelte sie den Kopf. Jetzt mach dich nicht verrückt, sagte sie zu sich selbst. Du bist schließlich kein kleines Kind mehr!

Außerdem war Letzteres ohnehin unrealistisch, denn ein Psychokiller würde wohl kaum in einer solchen Einöde nach Opfern suchen. Die Gefahr, in London einem Verrückten in die Hände zu fallen, war da doch beträchtlich größer.

Wahrscheinlich war sie einfach nur erschöpft. Was auch kein Wunder war: Als sie am frühen Vormittag in Gairlochy mit ihren vollgepackten Rucksäcken losmarschiert waren, hatte sie sich noch beschwingt und voller Tatendrang gefühlt. Inzwischen schnitten die Träger ihres Backpacks ihr schmerzhaft in die Schultern, und sie spürte ihre Beine kaum noch. Hinzu kam die Kälte, die ihr langsam, aber sicher in die Glieder gekrochen war. Und mittlerweile hatte sie solchen Hunger, dass ihrer Meinung nach das Knurren ihres Magens leicht mit dem Brüllen eines ausgewachsenen Bären zu verwechseln war.

Also – wahrscheinlich war alles halb so wild, und sie machte sich völlig unnötig Sorgen. Am besten, sie betrachtete das Ganze einfach als das, was es im Endeffekt war. Als ein großes Abenteuer, das eine Menge Spaß mit sich brachte und mit dem sie gewissermaßen das Ende ihrer Kindheit und Jugend besiegelte. Und sie wollte sich ja auch amüsieren. Der Ausflug sollte eine einzige große Party werden, wenn es nach ihr ging. Und sie würde sich den Spaß nicht von ein bisschen Reden und schwerem Gepäck vermiesen lassen. Das war sie schon allein ihren Freunden schuldig, die sich alle total auf den Urlaub gefreut hatten.

Doch als sie jetzt bemerkte, wie sich langsam die Dämmerung über die Highlands legte, lief ihr ein eisiger Schauer über den Rücken. Bei Tageslicht war diese Landschaft, abgesehen vom beständig fallenden Regen, einfach wunderbar. Unendlich weite Wiesen, dazwischen klare Seen, im Hintergrund die mächtigen Berge – ein absoluter Traum. Aber wie würde es in der Nacht sein? Unheimlich, schoss es ihr sofort in den Kopf. Düster und unheimlich.

Und mit einem Mal kam sie sich hier draußen ganz verloren vor, und sie hatte das beängstigende Gefühl, dass sie beobachtet wurden.

»Also, ich find’s richtig cool hier, ihr nicht?«, fragte Stephen und schaute in die Runde.

Die vier Freunde hatten, nachdem die Zelte fertig aufgebaut waren, ein kleines Feuer gemacht, an dem sie nun saßen und sich aufwärmten. Gegessen hatten sie auch schon etwas. Mit Schrecken dachte Paula an die Dosenravioli zurück, die regelrecht ekelig schmeckten. Aber so war das bei so einer Tour nun mal: Man musste versuchen, so viel wie nötig mitzunehmen, das jedoch so wenig wie möglich Platz in den Rucksäcken einnahm.

Wenigstens satt gemacht hat es, sagte Paula sich jetzt. Wenn sie jedoch daran dachte, dass sie die nächsten Wochen nichts anderes als dieses Dosenfutter und vielleicht mal einen Schokoriegel zu essen bekam, verspürte sie doch einen leichten Anflug von Panik in sich aufsteigen. Aber so schlimm würde es schon nicht werden. Immerhin kamen sie auf ihrem Weg ja auch an ein paar kleineren Ortschaften vorbei. Dort gab es sicher auch so was wie einen Supermarkt oder ein Restaurant, wo man etwas Anständiges zwischen die Zähne bekam. Und davon abgesehen tat es ihrer Figur auch mal ganz gut, wenn sie nicht dazu kam, so viel zu futtern.

»Ja, für uns Jungs ist das genau das Richtige«, antwortete Nigel. »Unsere zwei Püppchen hier scheinen sich aber schon wieder in ihre hübsch warmen Kinderzimmer zurückzuwünschen, hab ich recht?« Grinsend sah er erst Vicky, dann Paula an.

Die winkte ab. »Ach, verschon uns doch endlich mal mit deinen saudummen Sprüchen, Gallagher!« Sie war selbst ein bisschen überrascht über ihre barsche Reaktion. Nigel hatte es nur witzig gemeint, aber mit seinen dämlichen Kommentaren brachte er sie immer wieder im Nullkommanichts auf die Palme.

»Hey«, wechselte Vicky rasch das Thema, wahrscheinlich, um die Stimmung wieder aufzulockern, »erinnert ihr euch noch an den kleinen Terrier, der unsere Paula in die Flucht geschlagen hat?«

Sie lachte, und Stephen und Nigel stimmten augenblicklich mit ein. Nicht so Paula. Die verzog die Miene und warf ihrer Freundin einen vielsagenden Blick zu.

»Musste das jetzt sein?«, fragte sie leise. Vicky war wirklich lieb und nett, aber sie besaß das manchmal recht nervige Talent, eine ohnehin schon recht unangenehme Situation durch gewisse Äußerungen noch unangenehmer zu machen.

Und genau das war auch jetzt der Fall.

Nigel kriegte sich kaum wieder ein. »Das war auch so eine Sache, die nur ein Mädchen bringen kann«, sagte er und klopfte sich auf die Schenkel. »Ich meine – nennt mir einen Jungen, der vor einem winzigen Hund wegläuft! Das war echt der Hammer!« Er schüttete sich aus vor Lachen.

»Zu deiner Info, Gallagher«, fuhr sie ihn an. »Ich fand das damals keineswegs lustig. Der Hund war zwar klein, hat aber ununterbrochen gekläfft und ist dann auch noch halb an mir hochgesprungen. Da hab ich’s halt mir der Angst gekriegt, und? Jeder hat vor irgendwas Angst.« Sie hob die Hände. »Ich weiß, ich weiß, ihr Jungs natürlich nicht. Dafür heult so mancher von euch jahrelang rum, nur weil seine Eltern sich getrennt haben.«

Ihre Worte waren noch nicht ganz verklungen, da bereute sie auch schon, so etwas ungeheuer Dämliches gesagt zu haben. Sie wusste selbst, dass es nicht fair war, jemandem so etwas an den Kopf zu werfen. Nigel war nie wirklich mit der Scheidung seiner Eltern zurechtgekommen. Aber das war nur menschlich und kein Grund, ihm gegenüber so fies zu werden. Sicher, er selbst verhielt sich auch mies. Doch was brachte es, mit den gleichen Mitteln zurückzuschlagen? Damit stellte sie sich nur auf eine Stufe mit ihm.

Bedrücktes Schweigen lag in der Luft. Selbst Nigel hatte es die Sprache verschlagen, was ein absolutes Wunder war und ein deutliches Zeichen dafür, dass Paula ihn sehr getroffen hatte.

»Hör zu, Nigel«, sagte sie, und es kostete sie einige Überwindung, die nächsten Worte auszusprechen: »Es tut mir leid. Ich hab das nicht so gemeint.«

Er winkte ab. »Vergiss es, ich hab ein dickes Fell.«

»Nein, ich meine das wirklich ernst. Ich war gerade ziemlich aufgebracht, und da ist mir das so herausgerutscht. Das mit deinen Eltern tut mir leid, und es tut mir auch leid, dass du daran noch immer zu knacken hast. Also: Nimmst du meine Entschuldigung an?«

»Wie schon gesagt: Vergiss es einfach, okay?« Er blickte in die Runde. »Na, Leute, was meint ihr? Lust auf ein bisschen Spaß?«

»Klar«, sagte Stephen sofort, der sichtlich erleichtert war, dass die Stimmung jetzt wieder besser wurde. »Was schlägst du vor?«

»Ich hab Karten dabei. Wir könnten Poker spielen.« Er grinste. »Na, Mädels, was haltet ihr von einer Partie Strip-Poker? Das wäre doch echt mal was anderes, oder?«

Vicky winkte ab. »Mit dir? Nie im Leben! Und überhaupt, ich bin todmüde. Ich will jetzt erst mal ins Zelt und mich ein bisschen häuslich einrichten, und danach nur noch eines: schlafen.«

»Da bin ich dabei«, stimmte Paula ihrer Freundin zu.

»Pah, ihr seid solche Langweiler, aber dann halt nicht! Wir können uns auch prima ohne euch amüsieren.«

»Genau«, rief auch Stephen ihnen hinterher, als die beiden Mädchen aufstanden und ins Zelt krabbelten. »Wir brauchen euch überhaupt nicht!«

Eine halbe Stunde später. Vicky krabbelte als Erste aus dem Zelt, und als Paula ihrer Freundin schließlich folgte und ins Freie trat, schob sich gerade eine Wolke vor den Mond, sodass es plötzlich stockfinster war.

Im selben Moment erklang ein Heulen, und Paula lief es eiskalt den Rücken hinunter.

»Was – was war das?«, fragte sie stockend.

»Na, das Geräusch. Hast du es nicht auch gehört?«

»Nein, ich …«

»Da! Schon wieder! Ein Heulen.«

»Ja, jetzt hab ich es auch gehört. Wahrscheinlich der Wind.«

In diesem Moment zog die Wolke vorüber, und der Mond konnte seinen schwachen Schein wieder ungehindert auf das Gelände werfen. Sofort fühlte Paula sich etwas besser. »Meinst du wirklich?«, fragte sie

»Klar, was denn sonst. Und jetzt komm.«

»Na, da sind ja unsere zwei Schlaftabletten wieder«, erklang Nigels Stimme, kaum dass die zwei Mädchen sich dem Lagerfeuer näherten. »Stephen ist mal für kleine Jungs. Übrigens, Vicky, noch mal wegen dem Pokern: Es ist nicht so, als wäre ich scharf darauf, dich nackt zu sehen oder so …«

»Ach, leck mich doch mit deinem dämlichen Pokerkram!«, fuhr Vicky ihn an. »Lass mich einfach in Ruhe, okay?«

»Hey, hey, deshalb musst du doch nicht gleich so ausrasten. Dann spielen wir halt nichts, was soll’s?« Er hob die Schultern. »Wie es aussieht, werden wir sowieso Spannenderes erleben.«

Paula zog die Brauen zusammen. »Was meinst du?«

»Na, deine ganz speziellen Freunde.«

»Was für Freunde? Jetzt sag schon, was du meinst, oder halt einfach die Klappe.«

Doch Nigel sagte nichts. Stattdessen machte er nur: »Wuff.«

»Hunde?« Jetzt verstand Paula gar nichts mehr. »Was soll das Ganze, Gallagher?«

»Na, habt ihr es denn eben nicht gehört? Das Heulen?«

»Doch, klar«, sagte Vicky. »Wir dachten, es ist der Wind.«

Nigel lachte. »Nee, das war nicht der Wind.«

»Aber auch bestimmt keine Hunde!« Paula schüttelte den Kopf.

»Tja, vielleicht nicht direkt Hunde, sondern eher …«

»Nigel meint, dass hier Wölfe ihr Unwesen treiben könnten«, meldete Stephen sich zu Wort, der von hinten aus der Dunkelheit ans Feuer trat. »Ich halte das für Schwachsinn. Hier gibt es schon lange keine Wölfe mehr.«

»Stimmt genau.« Paula nickte. Das war auch ihr Wissensstand.

Doch Nigel war anderer Meinung. »Tja, wenn ihr euch da mal nicht täuscht. Erst vor ein paar Wochen war zu lesen, dass es offenbar wieder Wölfe in den Highlands gibt. Stand in allen Zeitungen.«

»Stimmt, so was hab ich auch gelesen«, bestätigte Vicky.

Paula sah sie an. »Du hast das gewusst und nichts gesagt?«

»Sorry, ich dachte, es wäre nicht so wichtig.«

»Nicht so wichtig? Ich fasse es nicht!« Sie sah Nigel an. »Und du? Warum hast du das uns gegenüber mit keinem Wort erwähnt?«

Er hob die Schultern. »Warum sollte ich? So ist der Spaß doch noch viel größer!«

»Du bist echt ein Schwein, Nigel.« Paula wandte sich ab und atmete tief durch. Sie war stocksauer auf Nigel. Was dachte er sich eigentlich dabei?

»Hey«, sagte Vicky und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich hoffe, du bist jetzt nicht sauer auf mich. Ich hatte das nur flüchtig gelesen und mir nichts weiter dabei gedacht.«

»Schon okay.« Paula lächelte. »Aber Nigel hätte was sagen müssen, wenn du mich fragst.«

»Du kennst ihn doch. Er ist halt so, wie er ist, und wird sich auch nicht mehr ändern. Und ich glaube nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen. Die Highlands sind schließlich groß, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet wir auf ein paar Wölfe stoßen werden, die sich angeblich hier herumtreiben sollen.«

»Und das Heulen vorhin? Meinst du echt, das war bloß der Wind?«

»Aber klar. Und jetzt komm, lass uns schlafen gehen. Die Jungs wollen sicherheitshalber das Feuer brennen lassen. Das würde eventuelle wilde Tiere, die sich hier aber ganz bestimmt nicht herumtreiben, im Fall der Fälle abschrecken.«

Paula nickte. Vickys Worte hatten sie ein wenig beruhigt, was jedoch nichts daran änderte, dass sie in dieser Nacht lange keinen Schlaf fand.

Wie ein schwarzes Tuch lag die Finsternis über den Highlands, als sie kamen. Einer von ihnen war vorhin schon hier gewesen, um nach Opfern Ausschau zu halten. Jetzt kehrten sie gleich im Rudel zurück, und mit ihnen kam das Verderben.

Obwohl die Uhr bald Mitternacht schlug, war die Finsternis eher ungewöhnlich für die Jahreszeit. Denn in warmen Sommernächten wurde es hier oben, im hohen Norden Schottlands, kaum dunkler als zur Abenddämmerung.

Aber die Dunkelheit kam ihnen gelegen. So blieben sie länger unentdeckt, und das konnte ihnen nur recht sein. Dadurch hatten sie das Überraschungsmoment auf ihrer Seite, wenn sie angriffen.

Und das würden sie schon bald tun.

Sehr bald.

2. Kapitel

Paula zuckte zusammen, als draußen vor dem Zelt ein scharrendes Geräusch erklang. Sie wusste nicht, wie lange sie bereits in ihrem Schlafsack lag und in die Dunkelheit starrte, ohne auch nur einmal eingenickt zu sein, aber es musste schon eine ganze Weile vergangen sein, seit sie und Vicky ins Zelt gekrochen waren.

Vicky hatte scheinbar keine Probleme damit, Schlaf zu finden; bereits kurz nachdem sie in ihren Schlafsack gestiegen war, hatte ein leises Schnarchen die Luft im Innern des Zeltes erfüllt.

Paula verstand das nicht. Normalerweise war eher Vicky die Ängstliche unter ihnen, doch jetzt hatte sie scheinbar die Ruhe weg.

Aber wahrscheinlich lag das nur an ihrer Erschöpfung. Zwar war Paula auch ziemlich fertig, aber Vicky glaubte im Gegensatz zu ihr nicht daran, dass sich hier tatsächlich Wölfe herumtreiben könnten.

Ausgerechnet Wölfe! Paula schauderte. Hunde bereiteten ihr schon Probleme, und im Zoo hatte sie um das Wolfsgehege immer einen großen Bogen gemacht. Und das, obwohl die Tiere dort eingesperrt waren und von ihnen daher im Grunde keinerlei Gefahr ausging.

Wenn sie aber hier auf Wölfe trafen, dann …

Paula wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu denken. Schon sah sie riesige weiße Zähne vor ihrem geistigen Auge aufblitzen, die drauf und dran waren, sich in ihr Fleisch zu schlagen.

Rasch schloss sie die Augen, um den Spuk zu vertreiben. Als sie sie wieder öffnete, hörte sie erneut das Geräusch. Es klang wie ein Rascheln. Oder hatte sie sich das doch nur eingebildet? Doch da! Jetzt war da wieder dieses schaurige Heulen, das sie vorhin schon mal gehört hatte.

Ein eisiger Schauer rieselte ihr über den Rücken. »Vicky?«, raunte sie leise und krabbelte aus ihrem Schlafsack. »Vicky, wach doch auf!«

Sie kroch zu ihrer Freundin herüber und rüttelte sie wach.

»Was ist denn los?«, erklang gleich darauf deren verschlafene Stimme.

»Hast du das auch gehört?«

»Gehört?«, maulte Vicky. »Ich habe geschlafen, falls du das nicht mitgekriegt haben solltest. Ich …«

Wieder das Heulen, dieses Mal lauter als zuvor. Vicky verstummte.

»Glaubst du immer noch, das ist der Wind?«, flüsterte Paula atemlos.

»Keine Ahnung, ich … Also, um ehrlich zu sein, klingt das nicht gerade so. Eher wie das Heulen von …«

»Wölfen«, vollendete Paula den Satz. »Meintest du das?«

»Ach, ich weiß nicht. Das kann ich mir auch nicht vorstellen.«

Paula hörte, wie ihre Freundin aus dem Schlafsack krabbelte. Sehen konnte sie ja nichts. »Was machst du?«, fragte sie.

»Na, mal rausgehen und nachschauen, was denn sonst?«

»Was?« Paula riss die Augen auf. »Sag mal, spinnst du? Das ist doch viel zu gefährlich!«

»Gefährlich?« Jetzt lachte Vicky. »Na, nun übertreib mal nicht gleich. Ich will jetzt jedenfalls endlich wissen, was da draußen los ist. Wahrscheinlich sind es eh nur die Jungs, die versuchen wollen, uns einen Schrecken einzujagen. Also, kommst du mit oder muss ich allein gehen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, kroch Vicky aus dem Zelt.

Paula stöhnte auf. Jetzt blieb ihr ja wohl kaum eine Wahl. Schließlich konnte sie ihre Freundin schlecht allein da draußen herumirren lassen.

---ENDE DER LESEPROBE---