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Erstaunt begegnet Ashton auf dem College ihrer gesamten alten Clique wieder: Faith, Jonathan, Geri und sogar Julian, in den sie damals so verliebt war! Zwei Jahre haben sie sich nicht mehr gesehen, und kaum, dass sie jetzt auf dem College sind, passieren schlimme Dinge: So wird das Make-up von Faith, einer angehenden Schauspielerin, mit einer ätzenden Substanz versetzt, und Jonathan wird auf dem Campusgelände angefahren - vorbei ist es mit seiner Karriere als Schauspieler. Schnell keimt ein schrecklicher Verdacht in Ashton auf, warum es jemand auf die Clique abgesehen könnte, und dieser Verdacht führt zwei Jahre zurück in die Vergangenheit. Denn damals waren sie alle dabei, als eine Mutprobe für die Außenseiterin Zoe tödlich endete: Sie stürzte von einer Brücke in den Fluss und brach sich das Genick. Seither haben die Jugendlichen sich nicht mehr gesehen. Jetzt sind sie wieder zusammengekommen - und sollen für das, was damals geschah, bezahlen. Ist Ashton die Nächste?
Neuauflage des Bestsellers "Bitterböses Wiedersehen" von Dana Kilborne – Spannung pur!
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Dana Kilborne
„Kann mir mal jemand helfen? Ich krieg den Reißverschluss von diesem dämlichen Kleid nicht zu!“
In der kleinen, mit allerlei Bühnenrequisiten und Kostümen vollgestellten Garderobe herrschte emsiges Treiben. Eigentlich war der Raum kaum groß genug, um zwei Personen ausreichend Platz zu bieten, doch im Augenblick mussten ihn sich sogar vier Mädchen teilen.
„… hab ich die Ophelia gespielt und …“
„Oh Gott, Shakespeare? Also für meinen Geschmack ist das einfach viel zu verstaubt. Der Typ ist doch schon seit einer Ewigkeit tot!“
Faith Coltrane versuchte, im Kopf noch ein letztes Mal ihren Text durchzugehen, doch bei dem Geplapper ihrer Konkurrentinnen war das beinahe unmöglich.
Dann jedoch, als es plötzlich an der Tür klopfte, wurde es so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
„Miss Coltrane?“ Die Bühnenassistentin steckte ihren Kopf in den Umkleideraum. „Sie sind als Nächste dran. Sind Sie soweit?“
Faith atmete tief durch, dann nickte sie. „Ich brauche noch ungefähr fünf Minuten.“
„Alles klar – viel Erfolg.“
Nur noch fünf Minuten! Faith fühlte sich, als hätte jemand einen Sack Flöhe in ihrem Bauch losgelassen. Sie schloss die Augen und zwang sich zur Ruhe. Jetzt nur nicht durchdrehen! Dieses Vorsprechen war zu wichtig, sie durfte es auf keinen Fall versauen.
Wenn es hier nur ums Aussehen gegangen wäre, hätte Faith die Rolle schon so gut wie in der Tasche gehabt. Sie war bildschön, und sie wusste es genau. Die meisten Jungs auf der Straße drehten sich nach ihr um, wenn sie an ihnen vorüberging, verrenkten sich förmlich die Hälse. Viele Mädchen hätten sich über so viel Aufmerksamkeit gefreut, nicht aber Faith. Für sie war es etwas ganz Normales, stets und ständig im Mittelpunkt zu stehen.
Bedächtig fuhr sie mit der Bürste über ihr langes, wie gesponnenes Gold schimmerndes Haar. Jeden Morgen und Abend bürstete sie es, strich genau hundert Mal auf jeder Seite darüber. Es war ein Ritual, das sie schon als junges Mädchen von ihrer Mutter übernommen hatte. Ebenso wie das Wissen, wie wichtig es für ein Mädchen war, auf sein Äußeres zu achten. Stets gepflegt und hübsch auszusehen, war für sie der Schlüssel zum Erfolg einer Frau.
Sie griff nach dem Schminktöpfchen, das vor ihr auf dem Tisch stand, und öffnete es. Dann tauchte sie ein keilförmiges Schwämmchen in die zartbraune Flüssigkeit und verteilte sie sorgfältig auf ihrem Gesicht.
Doch schon nach ein paar Sekunden spürte sie, dass etwas nicht stimmte. Dort, wo sie das Make-up aufgetragen hatte, begann ihre Haut unangenehm zu prickeln und zu brennen.
„Verdammt, was ist denn das?“, murmelte sie irritiert und betastete ihre Stirn. Dann schnappte sie erschrocken nach Luft – ihre Haut schien praktisch von innen heraus zu glühen!
„Was ist denn los?“, fragte Leelee Houseman, ein naives Blondchen, das im Literaturkurs immer ein paar Reihen vor Faith saß. „Stimmt was nicht?“
Mittlerweile war aus dem leichten Prickeln ein schmerzhaftes Ziehen geworden, und Faith schossen Tränen in die Augen. „Ich weiß auch nicht! Mein Gesicht … Es brennt so furchtbar!“
„Lass mich mal sehen“, sagte Kathy Davis, die dunkelhaarige Medizinstudentin. Sie setzte sich Faith gegenüber und betrachtete ihr Gesicht eindringlich. Dann runzelte sie die Stirn. „Merkwürdig …“
„Was?“ Selbst in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme hysterisch. „Was ist denn mit mir los? Warum tut es so weh?“
Kathy ging nicht auf ihre Frage ein, stattdessen nahm sie Faith das Schminktöpfchen aus der Hand, schraubte den Deckel ab und schnupperte am Inhalt. Angeekelt verzog sie das Gesicht. „Igitt, das stinkt ja fürchterlich! Hast du dir das Zeug etwa ins Gesicht geschmiert?“ Als Faith wie betäubt nickte, fluchte Kathy leise. Sie wies die anderen Mädchen an, ihr feuchte Kosmetiktücher, Wattepads und Wasser zu bringen. Dann packte sie Faith bei den Schultern und zwang sie, ihr in die Augen zu sehen. „Du musst mir jetzt gut zuhören, okay? Wir müssen die Schminke irgendwie von deinem Gesicht runterkriegen. Ich weiß nicht, was es ist – aber irgendwas stimmt damit nicht.“
Für einen Augenblick starrte Faith sie fassungslos an, dann begann sie plötzlich wie am Spieß zu schreien und sich mit bloßen Fingern übers Gesicht zu wischen. „Mein Gesicht!“, kreischte sie immer wieder wie von Sinnen, denn die Schmerzen waren jetzt beinahe unerträglich. Es fühlte sich an, als hätte ihr jemand die Haut mit rauem Schmirgelpapier abgerieben und anschließend mit Essig beträufelt. „Helft mir doch! Bitte! Es dürfen auf keinen Fall Narben zurückbleiben!“
„Hör auf damit!“, fuhr Kathy sie an. Grob packte sie Faith an den Handgelenken. „Du machst es nur noch schlimmer!“
Leelee drängte Kathy zur Seite. „Lass mich doch auch mal sehen“, meckerte sie, doch als sie Faith erblickte, wurde sie plötzlich kalkweiß und wandte sich hastig ab. „Oh Gott, das ist ja schrecklich!“
„Was ist los?“, fragte Faith, der Leelees Reaktion natürlich nicht entgangen war. Ihre dunklen Augen waren riesig vor Angst, und ihre Lippen zitterten. „Sag mir sofort, was los ist, Kathy!“ Abrupt drehte sie sich um, und als ihr Blick in den großen Schminkspiegel fiel, begann sie zu schreien.
So laut und gellend, dass man ihre Schreie wahrscheinlich noch am anderen Ende des Campus hören konnte.
*
„Na? Gut geschlafen?“ Amber Donelly reckte sich wie eine Katze, die gerade genüsslich eine Maus verspeist hatte.
„Geht so“, murmelte Ashton, doch selbst das war gelogen. In Wahrheit hatte sie die ganze Nacht kein Auge zugetan. Sie fühlte sich wie erschlagen, und ein Blick in den Badezimmerspiegel bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen. Mit den dunklen Ringen unter den Augen und dem verquollenen Gesicht hatte sie mehr Ähnlichkeit mit einem Zombie als mit dem hübschen, lebenslustigen Mädchen, das sie eigentlich war.
Ein Wunder war es aber eigentlich nicht, dass ihre erste Nacht im College-Wohnheim so unruhig gewesen war. Immerhin war es für sie ja auch eine ziemliche Umstellung. Zwar war das Wohnheim sehr modern und auch ziemlich komfortabel, doch bisher hatte sie den kleinen Ort Serenety Falls, in dem sie aufgewachsen war, allenfalls in den Sommerferien für längere Zeit verlassen – und selbst dann eigentlich immer in Begleitung. Die Entscheidung, nach Garisson zu gehen, das immerhin zwei Autostunden von ihrem Heimatort entfernt lag, war ein ziemlich großer Schritt für sie gewesen.
Doch Ashton hatte noch einen anderen Grund, aufgeregt und nervös zu sein. Die meisten Erstsemester waren bereits seit zwei Monaten hier am Campus. Man kannte sich untereinander, hatte bereits Freundschaften geschlossen. Für sie jedoch war alles noch völlig neu. Sie hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich mit allem vertraut zu machen, denn sie hatte die letzten neun Wochen zum größten Teil im Krankenhaus verbracht, nachdem sie während einer Radtour mit ein paar Freunden von einem wild gewordenen Raser angefahren worden war.
Für Ashton war es eine mittlere Katastrophe gewesen. Nicht nur, dass sie sich ein Bein gebrochen und eine Gehirnerschütterung eingefangen hatte, nein. Der Unfall hatte auch all ihre Pläne durcheinander gebracht. Sie hatte genug von Serenity Falls, wollte hinaus in die große, weite Welt – und, na ja, Garisson war immerhin ein Anfang. Ashton liebte ihre Eltern, trotzdem war sie froh, dass sie jetzt endlich selbst über ihr Leben bestimmen konnte. Unter einem Dach mit ihrer überfürsorglichen Mutter war es kaum möglich, sich selbst zu entfalten – und sie war weiß Gott alt genug dazu.
Doch als sie gestern Nachmittag mit ihren beiden Koffern vor dem Eingang zu ihrem Wohnheim stand, das die schlichte Bezeichnung ‘Haus C’ trug, hatte sie sich schon ziemlich verlassen gefühlt. Das moderne Gebäude aus Glas und Stahl, in dem sich der düstere, wolkenverhangene Himmel reflektierte, wirkte auf den ersten Blick aber auch alles andere als einladend. Und zudem war es für Ashton als Einzelkind eine völlig neue Erfahrung, sich einen Raum mit einer Kommilitonin teilen zu müssen, die sie bis dahin noch nicht kennengelernt hatte.
Deshalb war ihr auch ein Stein vom Herzen gefallen, das man sie gemeinsam mit Amber in einem Zimmer untergebracht hatte. Ihre neue Mitbewohnerin redete zwar eine Menge und war außerdem furchtbar neugierig, trotzdem war Ashton froh, denn sie wusste, dass es auch viel schlimmer hätte kommen können. Immerhin schien Amber hilfsbereit und nett zu sein.
„Hey, was ist denn mit dir passiert?“, wollte Amber wissen, die inzwischen aufgestanden und zu ihr an den Spiegel getreten war. „Hattest wohl keine besonders erholsame Nacht, was?“
Ashton rang sich ein Lächeln ab. „Sieht man das etwa?“ Seufzend fuhr sie sich durchs Haar, das ihr glanzlos und störrisch in allen Richtungen vom Kopf ab stand. Es gab wirklich Tage, an denen man lieber zu Hause im Bett blieb, und dieser war ganz eindeutig einer davon. „Wow, ich schätze, ich werde an meinem ersten Tag hier am Campus einen unvergesslichen Eindruck hinterlassen.“
„Ach, was.“ Amber winkte ab. „Mit ein bisschen Make-up und Haarspray kriegen wir das schon wieder hin. Sie begann in ihrem kleinen Schminkköfferchen herumzuwühlen, und kurz darauf machte sie sich mit einer Unmenge von Cremes, Pudern und Pasten an Ashton zu schaffen, pinselte mit Lippenstift, Lidschatten und Rouge an ihr herum und nahm sich zuletzt ihre Haare vor. Schließlich beäugte sie ihr „Kunstwerk“ von allen Seiten und nickte zufrieden. „Na, wer sagt’s denn!“
Ashton warf einen Blick in den Spiegel und riss ungläubig die Augen auf. Sie hatte keine Ahnung, wie Amber das so schnell hingekriegt hatte, aber sie sah total verändert aus. „Wow“, stammelte sie. „Sag mal, besitzt du magische Kräfte oder so was?“
„Eine meiner leichtesten Übungen“, erklärte Amber schulterzuckend. „Meine Mom war früher Kosmetikvertreterin, da hab ich mir halt einiges abgeschaut. Und wenn, so wie bei dir, das Material stimmt, geht so was praktisch von selbst.“
Noch immer verblüfft von ihrer plötzlichen Verwandlung, schüttelte Ashton den Kopf. „Danke“, sagte sie lächelnd. „Du musst mir bei Gelegenheit unbedingt mal zeigen, wie das funktioniert, okay?“
Amber grinste. „Klar, kein Thema.“
*
Gemeinsam mit Amber folgte Ashton dem Strom von Studenten zum Vorplatz der Mensa, wo an diesem Morgen vor den Vorlesungen eine Protestveranstaltung des Studentenrats bezüglich der Bildungspolitik gehalten werden sollte. Es herrschte bereits ein ziemliches Gedränge, sodass sie sich mit einem Platz recht weit hinten zufrieden geben mussten. Ashton störte das nicht. Sie interessierte sich ohnehin nicht besonders für die angekündigte Rede und war eigentlich nur mitgekommen, weil Amber gemeint hatte, dass es kaum keine bessere Gelegenheit gab, um am Campus neue Leute kennen zu lernen.
Ziellos ließ sie den Blick über die Menge wandern, als sie plötzlich stutze. Die zierliche Blondine mit dem Tarnfleck-Shirt und den abgeschnittenen Cargo-Hosen … Konnte es wirklich sein? Die Ähnlichkeit war schon fast zu verblüffend. Aber Geri Butler, hier in Garisson am College?
Schwer vorstellbar. Um nicht zu sagen, völlig unmöglich! Doch dann drehte sich das Mädchen um, und Ashton konnte ihr Profil sehen. Kein Zweifel, es war Geri Butler.
Ashton schluckte schwer. Ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Es schien schon eine halbe Ewigkeit her zu sein, seit sie Geri zum letzten Mal gesehen hatte. Und diese Begegnung war ihr nicht gerade in angenehmer Erinnerung geblieben.
Nun sah sie, wie Geri sich suchend in der Menge umschaute. Für einen Sekundenbruchteil begegneten sich ihre Blicke, und für Ashton war es wie ein kurzer, aber heftiger elektrischer Schlag. Bedrückt senkte sie den Blick. Was für ein merkwürdiges Gefühl. Früher waren sie einmal die besten Freundinnen gewesen. Heute konnten sie sich nicht einmal mehr in die Augen schauen, ohne sich dabei unwohl zu fühlen.
Als sie wieder aufblickte, sah sie, dass Geri kalkweiß geworden war. Zuerst fürchtete Ashton, für ihren geschockten Gesichtsausdruck die Verantwortung zu tragen, doch dann merkte sie, dass Geri schon lange nicht mehr sie ansah. Sie schaute praktisch durch sie hindurch, als bestünde sie aus Luft – und fixierte dabei einen Punkt, der sich irgendwo ein paar Meter hinter Ashton befinden musste.
Unwillkürlich wandte Ashton sich um. Es dauerte einen Moment, bis sie sah, was Geri gesehen hatte. Scharf atmete sie ein. Ihre Knie wurden plötzlich weich wie Butter, und die Welt begann sich vor ihren Augen zu drehen. Das war doch nicht möglich! Sie blinzelte heftig, doch das Bild, das sich ihr bot, veränderte sich nicht. Jetzt konnte sie gut nachvollziehen, warum Geri so erschrocken ausgesehen hatte.
Er hatte sich verändert, doch sie erkannte ihn trotzdem auf den ersten Blick wieder. Sein ehemals kurz geschorenes Haar war inzwischen gut schulterlang und zu Dreadlocks verfilzt, und auch sonst erinnerte kaum noch etwas an den Jungen, den sie einmal gekannt hatte.
Sie schauderte. Es fühlte sich fast an, als wäre sie einem Gespenst begegnet. Die Geister der Vergangenheit, die sie längst hinter sich gelassen zu haben glaubte, kamen plötzlich wieder aus ihren Verstecken hervorgekrochen. Zuerst Geri, und jetzt auch noch …
„Ist alles okay mit dir?“
Für einen Moment war Ashton regelrecht weggetreten gewesen. Ambers besorgte Worte rissen sie zurück in die Realität. Sie nickte. „Alles klar, es geht schon wieder.“
„Sicher?“ Amber musterte sie skeptisch.
„Ganz sicher. Mir ist es hier einfach ein bisschen zu voll. Schätze, ich vertrete mir mal ein bisschen die Beine, okay?“
„Soll ich nicht lieber mitkommen?“
„Nicht nötig“, erwiderte Ashton schnell. Sie brauchte jetzt einfach ein paar Minuten für sich allein, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
*
Damals.
Die Party war schon fast zu Ende, als Zoe Hendrikson auftauchte.
„Was will die denn hier?“ Faith runzelte missbilligend die Stirn. „Hat etwa einer von euch sie eingeladen?“
Neugierig drehte Ashton sich um. Sie war mehr als überrascht, Zoe zu erblicken. Das blasse, spindeldürre Mädchen war gerade vor ein paar Wochen mit ihrer Familie nach Serenity Falls gezogen. Sie besuchte dieselbe Schule wie die meisten anderen Jugendlichen im Ort, doch bisher war es ihr nicht gelungen, an der Emerald High Freunde zu finden. Vielleicht lag es daran, dass sie einfach zu still, zu unauffällig war. Und vielleicht auch ein bisschen daran, dass sie immer in Klamotten herumlief, die direkt aus der Altkleidersammlung zu stammen schienen – und das, obwohl ihre Mutter, soweit Ashton wusste, nicht gerade arm war. In einer Stadt, in der das Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung deutlich über dem Standard lag, ein ziemliches Problem für ein junges Mädchen.
„Komm schon“, sagte Ashton. „Julian hat praktisch die ganze Schule eingeladen. Warum sollte Zoe also nicht auch kommen?“
„Weil ich sie nicht leiden kann, darum“, zischte Faith gereizt. „Sie ist so … merkwürdig. Sieh dir doch nur mal ihre Klamotten an. Unmöglich! Außerdem steckt sie mit ihrer Nase ständig nur in irgendwelchen Büchern, hat keine Freunde, geht nie aus …“
„Was hast du eigentlich gegen sie? Du kennst Zoe doch im Grunde gar nicht.“
Faith machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, aber du, was? Jetzt hör mal, man sieht doch auf den ersten Blick, was das für eine ist. Brav, nett, Mamas Liebling – anders ausgedrückt: totlangweilig!“
„Habt ihr die Hendrikson schon gesehen?“ Geri, die die ganze Zeit über draußen auf der Veranda am Grill gestanden hatte, gesellte sich zu ihnen. „Und ich dachte immer, Holts Partys wären loserfreie Zonen!“
„Ich weiß gar nicht, was ihr alle für ein Problem habt“, stöhnte Ashton. „Ich bin sicher, sie ist eigentlich ganz cool. Klamotten sind doch nicht alles, Leute.“
„Ach komm schon, Ash, jetzt tu doch nicht so. Hast du bisher auch nur einmal mehr als ein Wort mit der Tussi gewechselt? Nein? Hab ich’s mir doch gedacht. Aber das kennt man ja von dir, du bist eben die Mutter Teresa der Emerald High.“
„Haha, wirklich witzig. Ich gehe jetzt jedenfalls mal zu ihr rüber und sag hallo.“
„Tu, was du nicht lassen kannst.“
Ashton straffte die Schultern und schlenderte auf Zoe zu, ohne sich noch einmal nach ihren Freundinnen umzublicken.
„Hey, Zoe“, sagte sie schließlich, als sie das andere Mädchen erreichte.
Zoe zuckte so heftig zusammen, dass sie beinahe das Glas fallen gelassen hätte, das sie in der Hand hielt. Ein paar Spritzer Coke landeten auf Ashtons nagelneuem Designershirt.
„Oh Gott, das tut mir leid!“ Aus Zoes ohnehin schon bleichem Gesicht schwand nun auch der letzte Rest Farbe. „Ich wollte nicht … Ich … Ich geh lieber wieder. Es war ein Fehler, überhaupt herzukommen.“
„Hey, aber warum denn? Das ist doch kein Drama.“ Beruhigend legte Ashton ihr eine Hand auf den Unterarm. „Ehrlich, das Teil ist schon uralt, ich wollte es sowieso schon lange ausmustern.“
„Echt?“ Nervös fuhr Zoe sich durchs Haar. „Ich meine, du bist nicht sauer auf mich?“
Ashton lachte. „Blödsinn! So was kann schließlich jedem mal passieren. Und außerdem bin ich ja selbst schuld. Hätte ich mich nicht so angeschlichen …“
„Na, wen haben wir denn da?“ Jonathan, der Zwillingsbruder von Faith, kam von hinten zu ihnen heran und legte Ashton und Zoe jeweils einen Arm über die Schulter. „Ist aber nicht sehr freundlich von dir, uns deine bezaubernde Freundin nicht vorzustellen, Ash …“
Ashton warf ihm einen warnenden Blick zu. „Jonathan, was soll das? Du kennst Zoe doch. Sie ist mit uns im Spanischkurs bei Mr. Garcia.“
Jonathan riss verblüfft die Augen auf, dann verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln, das ungefähr so echt wirkte wie das eines hungrigen Haifisches. „Nein, sag bloß! Wie kann es sein, dass du mir bisher gar nicht aufgefallen bist?“
Am liebsten hätte Ashton ihm für sein Verhalten einen Tritt gegen das Schienenbein verpasst. Er machte sich doch bloß über die arme Zoe lustig! Und das Schlimmste war, dass sie es offensichtlich nicht einmal bemerkte. Ganz im Gegenteil schien sie sich von Jonathans Süßholzraspelei sogar geschmeichelt zu fühlen!
„Sag mal, wo hast du nur dieses bezaubernde Shirt her, Zoe?“ Nun kam auch Geri, mit Faith im Schlepptau, zu ihnen herübergeschlendert. Ihr aufgesetztes Strahlen hatte mindestens hundert Watt. „Das muss ich unbedingt auch haben!“
Zoe zupfte schüchtern am Saum ihres schlichten pinkfarbenen Shirts, das – und da war sich Ashton ziemlich sicher – nicht einmal einen Bruchteil dessen gekostet hatte, was Geri für ihr Glitzertop bezahlt hatte. „Ich … ich weiß nicht genau …“ Verlegen schaute sie zu Boden. „Meine Mom hat’s mir letzte Woche mitgebracht. Ich glaube, es ist aus der Klamottenabteilung von Walmart.“
„Nein!“, kreischte Faith verzückt. „Im Ernst? Also, das hätte ich niemals für möglich gehalten! Ich hätte schwören können, dass es aus der neuen Linie von Dolce & Gabbana ist …“
Errötend schüttelte Zoe den Kopf. „Oh Gott, nein! Meine Mom würde mir den Kopf abreißen, wenn ich so viel Geld für ein einzelnes Shirt ausgeben würde! Sie sagt immer: Man muss sein Geld nicht für jeden Mist aus dem Fenster werfen, bloß weil man es sich leisten kann.“
So ging es immer weiter, den ganzen Abend lang. Zoe blühte regelrecht auf, jetzt, wo sie scheinbar im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stand. Die Arme hatte ja keine Ahnung, dass die anderen lediglich mit ihr spielten. Sie war wie eine Maus, die ahnungslos mitten in ein Rudel hungriger Katzen gestolpert war. Und Ashton wusste nicht, wie sie ihr das beibringen sollte, ohne vor den anderen dumm dazustehen.
Sie wusste, wie Jonathan, Faith und Geri sein konnten, wenn etwas nicht nach ihrem Willen lief. Und verständlicherweise war Ashton alles andere als scharf darauf, ihre Missbilligung auf sich zu ziehen. Es war nicht gerade ein schönes Gefühl, wenn die eigenen Freunde einen schnitten. Einmal hatte sie es am eigenen Leibe erlebt, und diese Erfahrung reichte ihr für den Rest ihres Lebens. Zoe tat ihr leid, ja – aber es hatte sie auch schließlich niemand gezwungen, auf Julians Party zu erscheinen.
Trotzdem war Ashton fast ein bisschen erleichtert, als die meisten der anderen Jugendlichen sich verabschiedeten und schließlich nur noch der harte Kern der Clique zurückblieb. Sie war fest davon überzeugt, dass nun auch Zoe nun bald verschwinden würde.
Doch sie täuschte sich.
„Was geht denn hier ab?“ Sie hatte nicht bemerkt, dass Julian die Bar geschlossen und sich zu ihnen gesellt hatte. Als er jetzt plötzlich so dicht hinter ihr auftauchte und ihr beide Arme um die Hüften legte, begann ihr Herz sofort wie wild zu klopfen. Sie konnte spüren, wie sein Atem ihr Ohr streifte, und ein wohliger Schauer durchrieselte sie.
Aber jetzt war eindeutig der falsche Zeitpunkt für romantische Träumereien! Sanft, aber bestimmt, befreite sie sich aus Julians Umarmung und drehte sich zu ihm um. „Ich weiß es auch nicht, aber es gefällt mir nicht, dass Zoe noch hier ist. Sie und die anderen, das kann einfach nicht gut gehen. Ich hab jedenfalls ein total mieses Gefühl bei dieser Sache.“
Julian fuhr sich mit der rechten Hand über das kurzgeschnittene Haar und neigte den Kopf leicht zur Seite. Das machte er immer, wenn er verlegen oder nachdenklich war – und aus genau diesem, aber auch mindestens einer halben Million anderer Gründe hatte Ashton sich in ihn verknallt.
„Ach komm, was soll denn schon passieren?“, sagte er nach einer Weile und lächelte. „Sie werden Zoe schon nicht auffressen. Und außerdem habe ich nicht die geringste Lust, mich den Rest des Abends mit ihr zu beschäftigen, wenn du verstehst, was ich meine.“
Sein Lächeln ließ Ashton für einen Moment alles um sich herum vergessen. Ihre Augen glänzten. „Was würdest du denn lieber tun, hm?“
„Du kleines Biest!“ Er lachte auf. „Also, um ehrlich zu sein, es gibt eine Menge, was ich im Augenblick gerne tun würde. Und nichts von alldem hat mit auch nur irgendetwas mit Zoe Hendrikson zu tun.“
Ashtons Herz pochte wie verrückt. Ihre Handinnenflächen wurden feucht, und ihre Knie schienen auf einmal aus Gelee zu bestehen. Es war irritierend, welche Wirkung Julian in letzter Zeit auf sie hatte. Manchmal schien es, als hätten sie sich gerade erst kennengelernt. Dabei waren sie schon eine Ewigkeit lang befreundet! Doch gerade das war es, was alles so kompliziert für Ashton machte. Seit Wochen ging das nun schon so. Nacht für Nacht schlich sich Julian in ihre Träume. Ja, sogar tagsüber sah sie sein lächelndes Gesicht vor sich, wenn sie die Augen schloss. Das war doch verrückt, der pure Wahnsinn!
Obwohl sie eigentlich ein eher schüchterner Typ war, hätte sie sich wohl bei jedem anderen Jungen längst ein Herz gefasst und wäre auf ihn zugegangen. Bei Julian jedoch sah die Sache leider ein wenig anders aus. Was sollte sie zu ihm sagen? Etwa: „Hey, du warst immer so was wie ein großer Bruder für mich, aber jetzt habe ich mich in dich verknallt?“ Nein, das konnte sie unmöglich bringen! Sie wusste, es würde ihr das Herz brechen, wenn er sie auslachte – und außerdem wollte sie ihn als ihren besten Freund auf keinen Fall verlieren.
Es fiel ihr nicht leicht, sich ihm gegenüber so zu verhalten wie immer. Ganz und gar nicht. Jedes Mal, wenn er ihr zum Abschied einen Kuss auf die Wange gab, schmolz sie förmlich dahin. Julian schien davon jedoch nicht das Geringste zu bemerken – und falls doch, wusste er es meisterhaft zu verstecken.
Bis heute Abend jedenfalls.