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Beverly ist genervt: Sie muss sich von ihrem Freund verabschieden, weil ihre Mutter auf die dämliche Idee kommt, mit ihr aus der Stadt in ein kleines Kaff zu ziehen. Doch was zunächst langweilig klingt, entpuppt sich schon bald als mörderisch gefährlich! Mehrmals wird bei ihnen zu Hause eingebrochen, und dann werden sogar zwei Mädchen, die Beverly gerade erst kennengelernt hat, tot aufgefunden! Beverly ist geschockt. Steckt etwa der entflohene Sträfling dahinter, vor dem ständig in den Nachrichten gewarnt wird? Bevor sie das Rätsel lösen kann, schwebt sie bereits selbst in tödlicher Gefahr ...
Neuauflage des Bestsellers "Wie du mir, so ich dir" von Dana Kilborne - Spannung pur!
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Dana Kilborne
Jennifer Darcy hätte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass ausgerechnet ER ein Tagebuch führte. Das passte doch gar nicht zu ihm. Entsprechend groß war die Überraschung gewesen, als sie es vorhin in seiner Schreibtischschublade entdeckt hatte.
Unschlüssig blickte sie das kleine Büchlein an. Sollte oder sollte sie nicht? Einerseits war ihr klar, dass man so was nicht machte, andererseits war sie schon immer ziemlich neugierig gewesen. Bereits als Vierjährige hatte sie ihr gesamtes Elternhaus auf der Suche nach den Weihnachtsgeschenken abgesucht, weil sie die Bescherung nicht abwarten konnte.
Ach, was soll's! Sie warf die letzten Zweifel über Bord und schlug das Büchlein auf. Er wird mich schon nicht gleich lynchen, wenn ich mal einen Blick hineinwerfe.
Sie hatte noch nicht einmal das erste Wort gelesen, als sie plötzlich innehielt. War da nicht etwas gewesen? Ein Geräusch?
Im nächsten Moment flog die Tür auf. Vor Schreck ließ Jennifer das Tagebuch fallen.
„Du?“, fragte sie verwirrt. „Was machst du denn schon wieder hier? Ich dachte, du wolltest …“
„Das hättest du nicht tun sollen.“ Er deutete auf das Tagebuch, und plötzlich wurde Jennifer schlecht. Sie spürte, dass er sauer war. Richtig sauer. So hatte sie ihn noch nie erlebt. „Du hättest wirklich nicht in meinen Sachen schnüffeln sollen, Kleines.“
„Ich … ähm … Ich hab nur nach einer Tablette gesucht“, stammelte sie. „Du weißt doch, meine Kopfschmerzen. Und da wollte ich …“
Erschrocken riss sie die Augen auf, als er nun ins Zimmer kam und die Tür hinter sich schloss. „Was … was hast du denn jetzt?“, fragte sie. Ihr Atem ging gepresst.
Doch er sagte nichts mehr. Kein Sterbenswörtchen. Dafür kam er langsam, ganz langsam auf sie zu. Immer weiter und weiter.
Jennifer wich zurück, doch sie kam nicht weit. Schon nach wenigen Schritten spürte sie die Wand im Rücken. „Hör mal, ich hab auch noch kein Wort gelesen“, versicherte sie hastig. „Und so schlimm ist es ja wohl auch nicht, wenn ich mal einen Blick …“
Blitzartig legten sich seine Hände um ihren Hals.
Jennifer schrie auf. „Was …?“
Doch sie kam nicht mehr dazu, die Frage zu Ende zu stellen, denn da begann er auch schon, fester zuzudrücken.
Angsterfüllt starrte sie ihn an. Seine Augen waren kalt und gefühllos, der Blick starr.
Jennifer wollte schreien, um Hilfe rufen, doch nur ein leises Krächzen verließ ihre raue Kehle. Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, hatte aber keine Chance.
Verzweifelt rang sie nach Luft. Sie spürte, wie ihre Kräfte erlahmten. Alle Energie schien aus ihrem Körper zu weichen. Das Letzte, was sie sah, war das Gesicht ihres Mörders. Und das Lächeln, das auf seinen Lippen lag.
Dann wurde es schwarz um sie herum.
***
Und hier sollen wir wohnen? In diesem Kaff?“ Skeptisch blickte Beverly ihre Mutter an. „Komm schon, Mom, du machst Witze.“
Lächelnd schüttelte Mrs. High den Kopf. „Nicht doch, Honey. Über so etwas würde ich niemals Witze machen.“ Sie setzte den Blinker und bog rechts ab. „Und glaub mir, du wirst dich schon an Middlesbury gewöhnen. Es ist gar nicht so schlimm, wie du denkst. Immerhin bin ich hier aufgewachsen.“
„Ja, du. Aber das ist auch ein paar Jahrzehnte her.“ Beverly wischte mit dem Handrücken über die beschlagene Seitenscheibe des alten Fords und blickte ins Freie. Schnee, so weit das Auge reichte. Sie stöhnte. Ihre Mutter hatte ihr ja in der letzten Zeit schon eine Menge über Middlesbury erzählt, und Beverly war darauf gefasst gewesen, dass sie nicht viel von ihrem neuen zu Hause zu erwarten hatte – aber dass dieses Städtchen so klein war, damit hatte sie nicht gerechnet. Erst vor zwei Minuten hatten sie den Ort erreicht, und schon hatten sie die Mainstreet komplett hinter sich gelassen. Das musste einfach ein schlechter Witz sein – oder ein ganz gruseliger Albtraum.
Was sollte sie denn hier? Sie war sechzehn. Sechzehn! Da gehörte ein Mädchen wie sie in die Stadt, aber nicht in ein Kaff, das für Kids vermutlich so gut wie nichts zu bieten hatte. Beverly konnte es nicht glauben. Sie war mit Sicherheit kein verwöhntes Girlie. Die letzten sechzehn Jahre hatte sie auch nicht in einer Großstadt verbracht, aber es war immerhin eine Stadt mit mehr als zehn Einwohnern gewesen, es gab dort ein paar nette Bistros, einen McDonalds und sogar eine Disco. Und ausgerechnet jetzt, wo sie hätte anfangen können, all das so richtig zu genießen, zog ihre Mom mit ihr nach Middlesbury. Zwar nur drei Autostunden von ihrer bisherigen Heimatstadt entfernt, gefühlsmäßig aber am Ende der Welt. Was für ein Tausch!
Klar, verstehen konnte sie ihre Mutter schon irgendwie. Nach der Trennung von Beverlys Dad brauchte Samantha High einfach dringend einen Tapetenwechsel, und da war das Angebot, den kleinen Schneiderladen in dem Ort, in dem sie aufgewachsen war, zu übernehmen, mehr als gelegen gekommen. Mrs. Brooks, die ehemalige Besitzerin des Geschäfts, war vor ein paar Monaten gestorben, und ihre Tochter hatte gleich an Beverlys Mom gedacht, die vor vielen Jahren in dem Laden ihre Lehre gemacht hatte. Mrs. High hatte gleich zugesagt, sie glaubte einfach, hier am besten den nötigen Abstand zu allem finden zu können. Das Dumme war bloß, dass Beverly eben nicht unbedingt scharf auf Abstand zu ihrem bisherigen Leben war.
Sie blickte kurz über ihre Schulter zu Sam, ihrem Hund, der friedlich auf der Rückbank schlief. Grübelnd spielte sie mit dem kleinen Taschenmesser in ihrer rechten Hosentasche herum. Sie hatte es von ihrem Grandpa gekommen, als sie acht Jahre alt gewesen war. Sie hatte ihn gefragt, wo sie es am besten aufbewahren sollte, und er hatte ihr geraten, es immer in der rechten Hosentasche zu tragen. Warum, wusste sie selbst nicht. Zwei Wochen später war ihr Grandpa gestorben, und seitdem steckte das Taschenmesser immer in ihrer rechten Hosentasche.
„So, da wären wir. Na, was sagst du?“ Mrs. High hielt vor einem kleinen Häuschen, das ganz in Weiß gestrichen war. Es sah wirklich total hübsch aus, aber auch unheimlich langweilig. Und wenn Beverly sich die Nachbarshäuser so ansah, glaubte sich nicht, dass dort irgendwelche aufregenden Leute wohnten.
Wenn ich hier meine Anlage voll aufdrehe, kriegt die halbe Straße 'nen Herzanfall, dachte sie seufzend. Auf was habe ich mich da bloß eingelassen?
***
„Hey, kannst du nicht aufpassen, wo du hinläufst?“
Beverly erstarrte, stammelte eine Entschuldigung und blickte dem Jungen hinterher, der jetzt weiterging. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie ihn mit voller Wucht angerempelt hatte, als sie um die Ecke gebogen war. Hinzu kam noch diese verdammte Nervosität, da war es ja kein Wunder, wenn so etwas passierte.
Sie atmete tief durch und ermahnte sich, ruhig zu bleiben. Heute war ihr erster Tag an der neuen Schule, na und? Was war denn schon dabei? Es gab bestimmt Schlimmeres, als an eine neue Schule zu kommen, auch wenn ihr im Moment nicht einfallen wollte, was. Aber irgendwie würde sie das schon packen, immerhin hatte sie ja auch bereits zwei Wochen in Middlesbury hinter sich gebracht, was konnte da also noch schiefgehen?
Seufzend dachte sie an die letzten vierzehn Tage zurück. Die meisten Kids waren verreist, da noch Ferien waren, und so hatte Beverly keine Chance gehabt, irgendwelche Kontakte zu knüpfen. Ihre Mutter hatte nur Zeit für die Schneiderei gehabt, und so war Beverly nichts anderes übrig geblieben, als sich mit Bücherlesen und Fernsehgucken zu beschäftigen. Als sie sich einmal ihrer Mutter gegenüber beklagt hatte, hatte die fröhlich verkündet, dass es mit der Langeweile ohnehin bald für Beverly vorbei war.
„Erstens dauert es nicht mehr lange, bis die Schule wieder anfängt, und zweitens habe ich einen Nebenjob für dich gefunden.“
Beverly hatte sie angeguckt wie einen Alien. „Einen Nebenjob? Für mich? Was soll das denn jetzt?“
Daraufhin hatte ihre Mutter ihr erklärt, dass Beverly, sollte sie wirklich unbedingt ihren Führerschein machen wollen, erst mal eigenes Geld verdienen musste. Aha, daher weht also der Wind, dachte Beverly. Das Thema Führerschein war nämlich seit sie denken konnte ein Streitthema zwischen ihr und ihrer Mutter. Eigentlich hätte es Mrs. High ohnehin am liebsten gesehen, wenn ihre Tochter niemals selbst fahren würde. Aber warum? Beverly hatte keinen Schimmer. Ihre Mutter fuhr schließlich auch Auto. Was also fand sie so schrecklich daran, dass Beverly genau das ebenfalls vorhatte?
Auf jeden Fall glaubte sie inzwischen, dass die Sache mit dem Nebenjob nur einen Grund hatte: sie davon abzubringen, einen Führerschein machen zu wollen. Wahrscheinlich ging ihre Mutter davon, dass sie schon nach zwei Tagen keinen Bock mehr auf den Job hatte und dann lieber auf den Führerschein verzichtete und weiter faulenzte. Aber da hatte sie sich geschnitten! Sie würde den Job so lange machen, bis sie das nötige Geld zusammen hatte, da konnte kommen, was wolle!
„Du bist neu hier, stimmt's?“
Beverly hielt gerade suchend nach ihrer Klasse Ausschau, als die Stimme hinter ihr erklang. Sie drehte sich um und blickte in das hübsche, etwas rundliche Gesicht eines rothaarigen Mädchens in ihrem Alter. Auffallend war die ziemlich große und ein wenig unförmige Nase.
Fragend blickte das Mädchen sie an. „Was ist los? Bist du stumm oder so was? Ich hab dich eben schon auf dem Schulhof gesehen. Warum hast du denn niemanden angesprochen? Na ja, ist ja auch egal. Ich bin Lacey. Lacey Meyer.“ Sie streckte ihr die Hand hin.
Endlich brach auch bei Beverly der Damm. Sie strahlte. „Hi Lacey, ich heiße Beverly.“
„Cooler Name. In welche Klasse musst du denn?“
„Ähm, warte mal.“ Beverly kramte einen Zettel aus ihrer Tasche. Vor lauter Aufregung hatte sie die Nummer des Klassenzimmers, die sie vom Sekretariat bekommen hatte, schon wieder vergessen. „Hier steht's: Raum 666.“
„Cool, dann sind wir ja in einer Klasse! Aber mach dich auf was gefasst. Unser Klassenlehrer ist der alte Dickson, und der macht uns das Leben ganz schön schwer. Der kennt echt kein Erbarmen. Und Klassensprecherin ist Nora, ein echtes Biest. Vor der musst du dich vorsehen. Wenn der deine Nase nicht passt, hast du verspielt. Frag mich mal.“ Sie kicherte. „Aber ansonsten sind die Kids echt cool drauf.“ Cool schien Laceys Lieblingswort zu sein. „Also, dann komm mal mit. Ich führe dich in die Höhle des Löwen!“
Beverly strahlte. Sie war happy, endlich jemanden kennengelernt zu haben. Lacey schien echt nett zu sein, und plötzlich war sie auch gar nicht mehr so nervös. Der erste Schritt war getan, den Rest des Schultages würde sie auch noch überstehen.
***
In der großen Pause folgte Beverly ihrer neuen Freundin auf den Schulhof. Dort herrschte bereits ziemliches Gedränge: Überall standen die Schüler in kleinen Grüppchen herum, tranken Coke, aßen Snacks, lachten und waren froh, ein paar Minuten dem tristen Schulalltag entfliehen zu können. Es war eine ziemlich ausgelassene Stimmung, und Beverly empfand es als ein Riesenglück, Lacey an ihrer Seite zu haben; ganz allein hier wäre sie sich absolut verloren vorgekommen.
„Und, wie findest du unseren ach so tollen Klassenlehrer?“, erkundigte Lacey sich.
Beverly winkte ab. Sie durfte gar nicht an die ersten beiden Schulstunden zurückdenken. Es war die Hölle gewesen. Alle hatten sie angestarrt wie einen Außerirdischen, als Mr. Dickson sie der Klasse vorgestellt hatte. Jeder hatte erwartet, dass sie irgendetwas Tolles zur Begrüßung sagte. Herausbekommen hatte sie schließlich nur ein heiseres „Hallo“. Und dabei war sie dann auch noch knallrot angelaufen. Prima! Am liebsten wäre sie auf der Stelle im Boden versunken. Ein Glück nur, dass sie neben Lacey sitzen konnte, alles andere hätte ihr die Sache noch schwerer gemacht. Der Unterricht war dann auch nicht besser gewesen. So etwas Langweiliges hatte sie an ihrer alten Schule nie erlebt. Trocken bis zum Gehtnichtmehr!
„Na, wen haben wir denn da?“ Die glockengelle Stimme hinter ihr riss Beverly aus ihren Gedanken. „Unser Neuzugang zusammen mit unserem Knubbelnäschen. Na, haben sich die Ladies schon angefreundet?“
Lacey stöhnte genervt auf und drehte sich um. Beverly tat es ihr nach und erblickte ein großes, schlankes Mädchen. Nora Slaughters, die Klassensprecherin, von der Lacey bereits gesprochen hatte. Im Klassenzimmer vorhin hatte Beverly sie bereits gesehen, da sie aber ganz vorne saß, war es zu keinem Gespräch gekommen. Beverly musterte sie neugierig. Nora war ziemlich hübsch, wirkte aber so gar nicht natürlich. Das Gesicht, das von langem, blondem Haar umrahmt wurde, war schmal und mit tonnenweise Make-up bedeckt. Die Haut war schon ganz runzelig von wahrscheinlich unzähligen Sonnenbankbesuchen. Auf ihre Kleidung legte Nora ebenfalls viel wert, jedenfalls trug sie nur teure, besonders auffällige Klamotten. Vermutlich hat sie reiche Eltern und bildet sich wer weiß was darauf ein, dachte Beverly naserümpfend. Sie mochte Nora nicht, aber das beruhte ganz bestimmt auf Gegenseitigkeit.
„Was willst du, Nora?“, fauchte Lacey sie an. „Kannst du dich nicht zur Abwechslung mal um deinen eigenen Kram kümmern?“ Lauernd blickte sie sie an. „Oder ist dir das etwa zu langweilig?“
„Mein Leben ist aufregender als du es dir in deinen kühnsten Träumen vorstellen kannst, Meyer“, erwiderte Nora scharf. „Aber man wird ja wohl als Klassensprecherin einen Neuzugang begrüßen dürfen, oder etwa nicht?“ Jetzt wandte sie sich Beverly zu. „Hi, du bist also Beverly, stimmt's? Ich bin Nora. Nora Slaughters. Die Klassensprecherin.“
„Ich weiß“, erwiderte Beverly knapp und sah Lacey an. „Kommst du dann? Du wolltest mich doch noch ein bisschen rumführen.“
Lacey nickte. Gemeinsam wandten sie sich ab und ließen Nora einfach stehen, was der natürlich gar nicht passte.
„Na, wenn das mal kein Fehler war“, bemerkte Lacey nach einer Weile. „Nora ist es nicht gewohnt, dass man ihr so wenig Beachtung schenkt, wie du es eben getan hast.“
Beverly hob die Schultern. „Dann wird sie sich daran halt gewöhnen müssen.“
***
„Und? Wie war dein erster Schultag, Honey? Gefällt dir deine neue Schule? Hast du dich schon mit jemandem angefreundet?“
Beverly lächelte ihrer Mom zu und warf ihren Rucksack in die Ecke. „Ja, da ist ein Mädchen, das ist ganz nett. Lacey. Ansonsten war es so lala. An der alten Schule hat's mir besser gefallen.“
„Na, das wird schon noch. Ach übrigens, Joshua hat angerufen. Du sollst ihn unbedingt mal zurückrufen.“
„Geht klar, Mom.“ Seufzend ging Beverly in ihr Zimmer. Joshua war ihr Freund, und sie hatte ihn echt gern. Auch ein Grund, weshalb sie nicht sonderlich davon begeistert gewesen war, nach Middlesbury zu ziehen. Schließlich lebten sie jetzt viele Autostunden voneinander entfernt – eine halbe Weltreise!
Natürlich rief sie ihn dann auch sofort an, aber das Telefonat verlief leider ziemlich kurz, wie fast immer in letzter Zeit. Irgendetwas stimmte mit Joshua im Moment nicht, Beverly hatte so ein merkwürdiges Gefühl. Er rief zwar immer an, aber sie hatte den Eindruck, dass er nur schnell seine Pflichtanrufe hinter sich bringen wollte. Alles war so anders als früher. Er war ihr Freund, und sie hatte ihn total lieb, aber zurzeit stellte sie sich immer öfter die Frage, ob da überhaupt noch etwas zwischen ihnen war.
Nach dem Telefonat aß sie rasch zu Mittag und machte sich dann auf den Weg zum „Burgers Heaven“, wo sie mit Lacey verabredet war. Draußen war es bitterkalt. Ein starker Wind wehte, Schnee wirbelte ihr ins Gesicht. Straßen und Autos waren mit einer weißen Schicht überzogen.
Bibbernd stellte Beverly den Kragen ihrer Winterjacke höher und vergrub die Hände, die ohnehin schon in Fäustlingen steckten, tief in die Seitentaschen. Zum Glück war es nicht weit bis zum Diner, und als sie ihn endlich erreicht hatte, blieb sie einen Moment vor dem Eingang stehen und betrachtete das Gebäude.
Es war ein recht kleiner Kastenbau mit viel Glas und blinkenden Lichtern. Überall leuchteten OPEN- und COME-IN-Schilder in grellen Farben. Ein typischer Diner halt. Beverly seufzte. Das wird also bald mein Arbeitsplatz sein, dachte sie mit gemischten Gefühlen.
Schnellen Schrittes ging sie jetzt auf den Eingang zu, zog die Tür auf und trat ein. Angenehme Wärme schlug ihr entgegen. Drinnen war jede Menge los. Fast alle Tische waren besetzt, und auch an der Theke tummelten sich die Leute, vorwiegend Jugendliche. Der Diner schien der Treffpunkt nach Schulschluss zu sein.
Suchend blickte sie sich um und atmete erleichtert auf, als sie Lacey an einem der hinteren Tische erblickte. Kurz darauf begrüßten sich die Freundinnen. Am Tisch saßen noch drei andere Kids, zwei Jungs und ein Mädchen.
„Darf ich vorstellen?“, sagte Lacey und deutete auf das Mädchen. „Das ist Erin. Und die zwei Jungs heißen Cameron und Trevor. Leute, das ist Beverly.“
Beverly nickte allen freundlich zu, setzte sich zu den anderen an den Tisch und musterte die anderen kurz. Erin war ein kleines, ziemlich rundliches Mädchen, das aber ein wirklich hübsches Gesicht hatte und einen unheimlich freundlichen Eindruck auf Beverly machte. Die zwei Jungs waren beide schlank und sahen nett, aber nicht gerade umwerfend aus. Die typischen Nachbarsjungen von nebenan halt.
„Hast du Hunger?“, fragte Lacey. „Hier gibt’s die besten Burger der ganzen Stadt. Na ja, und auch die einzigen“, fügte sie grinsend hinzu. „Woanders wirst du in Middlesbury nämlich keine Burger kriegen.“
Beverly schüttelte lachend den Kopf. „Danke, aber Hunger hab ich keinen. Nur einen mordsmäßigen Durst.“
„Bestens“, sagte Erin. „Dann empfehle ich dir einen Milchshake. Die sind hier echt klasse. Am besten ist Erdbeere, aber Schoko kann ich auch empfehlen.“
„Na, ich nehme lieber eine Cola“, entschied Beverly. Sie bestellten, und kurz darauf knallte die Bedienung, die offensichtlich ziemlich im Stress war, ihnen unfreundlich die Gläser auf den Tisch.“
„Hier zu arbeiten muss die Hölle sein“, bemerkte Lacey. „Zumindest wenn es so voll ist wie jetzt.“
Beverly lachte freudlos auf. „Na, dann werde ich diese Hölle wohl bald kennenlernen.“
Fragend sahen die anderen sie an, und Beverly klärte sie darüber auf, dass sie bald im Diner jobben würde.
„Machst du Scherze?“, fragte Lacey und sah sie geschockt an. „Wie bist du denn auf die Schnapsidee gekommen? Ich meine, reicht dir die Schule nicht? Muss man da noch unbedingt nebenbei arbeiten?“
Beverly seufzte. „Frag mal meine Mom. Es war nämlich ihre Idee. Sie hat den Job für mich an Land gezogen.“
„Und das lässt du so einfach mit dir machen?“, fragte Erin.
„Was bleibt mir anderes übrig? Ich will bald meinen Führerschein machen, und dazu brauche ich mein eigenes Geld. Meine Mom hat in der Hinsicht …“
„Pst, hört mal!“, rief in dem Moment irgendjemand laut aus. Beverly blickte auf. Die ganze Zeit über war das Radioprogramm leise aus den zahlreichen, in den Wänden integrierten Lautsprechern erklungen, jetzt wurde der Ton lauter gestellt. Es liefen gerade die lokalen Nachrichten.
„… wie wir soeben erfahren haben, ist am Vormittag ein gefährlicher Sträfling aus der Haftanstalt Norrisburg ausgebrochen. Die Polizei fahndet auf Hochtouren, hat aber bislang keine Spur. Allen Bewohnern in und um Norrisburg wird nahegelegt, vorsichtig zu sein und die Augen offen zu halten. Wichtige Hinweise sind an die Polizeidienststelle …“
Schlagartig war es ruhig geworden im Diner. Niemand sprach mehr ein Wort, die eben noch ausgelassene Stimmung hatte bedrückender Stille Platz gemacht.
Fragend blickte Beverly ihre neuen Freunde an. „Wo ist Norrisburg?“
„Wo das ist?“ Lacey lachte freudlos auf. Sie war ganz blass geworden. „Ganz hier in der Nähe, praktisch um die Ecke. Mein Gott, ich fass es nicht. Wie konnte denn so was passieren?“
Die anderen hoben die Schultern. „Jetzt können wir wohl nur hoffen, dass die Polizei diesen Typ so schnell wie möglich zu fassen kriegt“, sagte Erin.
Lacey nickte. „Und bis dahin sollten wir alle wohl wirklich vorsichtig sein. Wer weiß, wozu dieser Kerl in der Lage ist!“
Nachdenklich senkte Beverly den Blick. Sie hatte keine Ahnung, ob dieser entflohene Sträfling tatsächlich eine Bedrohung für sie und die anderen darstellte, aber eines spürte sie ganz deutlich – nämlich, dass nach dieser unschönen Nachricht noch ein weiterer, unsichtbarer Gast das Diner betreten hatte.
Die Angst …
***
„Der Cheeseburger muss zu Tisch drei, die Erdbeershakes zu Tisch sechs. Jetzt mach mal ein bisschen flott, Mädel, du wirst schließlich nicht fürs Rumstehen bezahlt!“
„Ja, ja, schon gut.“ Seufzend wischte Beverly sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, dann stellte sie Teller und Gläser auf ein Tablett, das sie gleich darauf zu den entsprechenden Tischen balancierte, um die Gäste zu bedienen.
Sie hasste es, wenn Bob Money, der Geschäftsführer des Diners, sie so hetzte, obwohl nicht viel los war. Zehn Tische gab es im Lokal, und von denen waren im Augenblick gerade mal drei besetzt. Das war nicht viel, aber üblich für den späten Nachmittag. Die Stoßzeit nach Schulschluss war vorbei, erst am Abend würde hier wieder richtig die Post abgehen. Trotzdem scheuchte er sie so herum, dass ihr die Teilnahme an einem Marathonlauf im Augenblick vermutlich nicht viel anstrengender vorgekommen wäre.
Sie lieferte die Milchshakes an Tisch sechs ab, an dem ein junges Pärchen saß. Beverly schätzte die beiden auf Anfang zwanzig, wobei er wahrscheinlich zwei bis drei Jahre älter war als seine Begleitung. Jedenfalls sahen die beiden ziemlich verknallt aus, wahrscheinlich waren sie frisch verliebt.
Den Cheeseburger brachte sie zu Tisch drei. Dort saß ein Großvater mit seinem Enkel. Der Kleine war höchstens sechs Jahre alt und machte sich jetzt über den Burger her wie ein hungriger Wolf.
Beverly atmete auf. Geschafft. Alle Gäste waren bedient, jetzt konnte sie es etwas ruhiger angehen lassen, sofern dem Big Boss nicht irgendetwas anderes einfiel, mit dem er sie auf Trab halten konnte.
Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als die Tür des Diners nach innen aufschwang. Eine kräftige Böe beförderte einen Jungen und einen ganzen Schwall Schneeflocken ins Innere des Lokals.