Die Blaue Blume von Kelbra - Frank Rebitschek - E-Book

Die Blaue Blume von Kelbra E-Book

Frank Rebitschek

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Beschreibung

Die romantische Sehnsucht nach einer blauen Blume endet für Jugendliche in einem Verbrechen. Erzählt wird das verhängnisvolle Schicksal ehemaliger Waisenkinder und die Macht der Drogen. Die Ermittlungen der Kommissare Spiegel und Jantzen gleichen der Suche im Dunkel einer Höhle. Ihr ehemaliger Chef, Kommissar Helmut Bauch, verschwindet während einer Sibirienreise spurlos. Immer noch hofft Frau Evelyne auf eine Rückkehr. Der siebte Krimi der Kyffhäuserreihe führt den Leser in den Norden des Landes zwischen Kyffhäuser und Himmelsscheibe von Nebra.

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Im Andenken an Helmut Bauch

Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufälliger Natur. Die Nennung von Firmen im Roman erfolgte mit deren Einverständnis.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Prolog

Ostersonntag

Ostermontag

Theater

Der Ring

Rechtsmedizin

Die blaue Blume

Stausee

Die Ankleiderin

Abend

Der erste Abend am See

Tilleda

Langenroda

Auswertung

Der Corsa

Das Haus

Der Tag danach

Drogenmann Junge

Crystal Meth

Vernehmung

Der Makler

Käthe Gürtler

Artern

Roßleben

Gerda

Der Lehrer

Die Höhle I – Novalis

Melegard

Der Brief

Pension Tröger

Der letzte Abend

Lützensömmern

Die Brücke

Das Gutshaus

Frau Ritter

Wasser

Anruf Dr. Berger

Recht kommt vor Gesetzlichkeit

Besprechung

Pirna

Die Suche

Amokfahrt

Im Dunkel

Die Nacht

Die Vernehmung

Die Höhle – der Traum

Der Rennfahrer

Nachtrag und Epilog

Danksagungen

Vorwort

Schreibt sich eine Geschichte von selbst fort? Sie tut es, aber besser ist es, wenn sie jemand aufschreibt. Liebe Leser meiner Kyffhäuserkrimis, das Leben ging und geht weiter. Manchmal reihen sich die Ereignisse unerwartet aneinander. Diese will ich nun erzählen, obwohl ich selbst nicht geglaubt hatte, dass die Geschichte um Kommissar Bauch noch weitergehen würde.

Auch wenn wir mit diesem Buch endgültig Abschied von ihm nehmen müssen, soll die Erinnerung nicht verblassen. Die nächste und die übernächsten Generationen erkunden und erleben die wunderschöne Landschaft südlich des Harzes. So soll auch dieser Krimi seinen Weg nehmen.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern hoffentlich auch diesmal Vergnügen bei der Lektüre.

Im Coronawinter 2020.

Prolog

Stausee Kelbra, 4. März Ostern lag in diesem Jahr früh im Kalender. Der Wind pfiff über die Böschungen am Stausee und trieb einen modrigen Geruch vom Wasser herüber. Es war kalt, doch die Sonne schien über den Kyffhäuser bereits ins Tal und kündigte einen baldigen Frühling an. Auf dem See war das Eis bereits getaut. Für den Vormittag hatten sie sich zu einem Osterspaziergang am Stausee Kelbra verabredet; Kommissar Ralf Jantzen mit Sandra und ihrem Nachwuchs, Hauptkommissar Volker Spiegel und seine Freundin, die schwangere Kommissarin Kerstin Liebetrau.

Die Initiative für ein Treffen war von Evelyne ausgegangen. Am Telefon hatte sie gesagt, worum es ging: um das Schicksal ihres Mannes, des Kommissars Helmut Bauch und ehemaligen Kollegen von Spiegel und Jantzen, der von seiner Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn nicht zurückgekommen war. Die Geschichte hatte damals alle erschüttert.

Kurz vor der Abreise gegen Ende Mai hatten Helmut Bauch und Evelyne geheiratet. Er war zwar gesundheitlich angeschlagen gewesen, hatte aber das großartige Geschenk einer Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn bis nach Wladiwostok dankbar angenommen; eine Reise nach Fernost, die er sich früher niemals hätte vorstellen können. Dafür hatte er sogar sein Schulrussisch aus DDR-Zeiten aufgefrischt. Und dann war alles ganz anders gekommen.

Evelyne hatte gesagt, sie warte mit ihrem Neffen Simon am Ufer des Stausees. Dort wolle sie dringend noch einmal über das tragische Ereignis sprechen. Angeblich besaß sie neue Informationen.

Ihre Wohnung in Berlin hatte sie im Sommer aufgegeben und wohnte seitdem endgültig in Roßleben. Sie hatte das Städtchen liebgewonnen, aber vor allem wollte sie Bauchs Haus um keinen Preis verlassen. Darin lebte sie, als würde sie bis in alle Ewigkeit auf ihn warten. Die Rente genügte ihr für ein bequemes Leben. Eine Witwenrente bekam sie nicht, denn offiziell galt Helmut Bauch als verschollen.

Nun saß sie auf der Bank am Ufer des Stausees von Kelbra und starrte auf die Wasserfläche. Simon, ihr Neffe und Bauchs Enkel war für eine Woche bei ihr zu Besuch. Der Junge stand oberhalb der Böschung und warf Steine ins Wasser.

Er war inzwischen vier Jahre alt und ungewöhnlich schweigsam für ein Kind seines Alters. Nach seinem Opa fragte er nur selten.

Die schrecklichen Ereignisse lagen bereits ein Dreivierteljahr zurück, aber immer noch überrollte Evelyne die Erinnerung an jene Tage wie eine riesige Welle. Vor allem die Tatsache, dass sie nichts über Bauchs Verschwinden hatte in Erfahrung bringen können, ließ ihr keine Ruhe. Alle Bemühungen, auch seitens des Auswärtigen Amtes, hatten keinen Erfolg gebracht. Nun waren plötzlich alle damaligen Ereignisse wieder da.

Es war am achten Tag ihrer dreizehntägigen Reise geschehen, als der Zug in Irkutsk Station machte und ein Ausflug nach Listwjanka am Baikalsee auf dem Programm stand. Ein Bus brachte die Touristen zu dem kleinen, pittoresken Städtchen an dem berühmten See. Schon als Kind hatte Bauch vom Baikalsee geschwärmt.

Er konnte sogar die berühmte Melodie des gleichnamigen Liedes summen. Als er hörte, dass zwei kleine Fischerboote für eine Tour auf den See bereit standen, zögerte er keinen Augenblick. Es hieß, sie würden sogar zu den weltberühmten Baikalrobben fahren. Evelyne wollte nicht mit aufs Wasser, sondern die einzigartige Architektur des Städtchens fotografieren; die pittoresken, bunten Holzhäuschen am Ufer und die hölzernen Kirchen. Sie trennten sich am Büro des Hafenmeisters, wo schon andere Touristen auf die Boote warteten.

Um 18:00 Uhr sollten sich alle Touristen wieder am Bus versammeln, der sie zum Bahnhof nach Irkutsk zurückbrachte. Um 21:00 Uhr würde der Zug seine Reise nach Wladiwostok fortsetzen.

Um 16:00 Uhr traf das erste Fischerboot nach der Fahrt an dem wackeligen, mit verblichenen Planken bedeckten Steg ein. Helmut Bauch war nicht an Bord. Vom zweiten Boot fehlte jede Spur.

Der schnauzbärtige Hafenkapitän in seinem zerlöcherten Pullover versuchte vergeblich über sein urtümliches Sprechfunkgerät eine Verbindung herzustellen. Evelyne wählte Bauchs Handynummer, andere Touristen versuchten es ebenfalls, aber auf dem See kam keine Verbindung zustande. Das mochte am Wetter liegen oder weil das Netz hier lückenhaft war.

Am Horizont tauchten graue Wolken auf. Der Wind nahm zu und Wellen mit Schaumkämmen schwappten ans Ufer. Der Kapitän des anderen Bootes war eine andere Route gefahren und hatte seinen Kollegen bald aus dem Blick verloren. Bei den Wartenden, vor allem den jungen Frauen, wurde aus der Unruhe Panik. In Bauchs Boot waren außer ihm offenbar junge Männer aus Moskau mitgefahren. Die am Ufer Wartenden schrien den Hafenmeister an, versuchten ihr Reisebüro in Moskau zu erreichen und verlangten einen Hubschrauber. Der Mann war völlig überfordert. Angeblich war dergleichen noch nie vorgekommen.

Der Kapitän des ersten Bootes lief noch einmal aus, um nach dem anderen zu suchen. Der Wind hatte weiter zugenommen. Die Stimmung am Hafen sank auf einen Tiefpunkt. Der Busfahrer kam und erklärte, dass er spätestens um 19:00 Uhr nach Irkutsk abfahren müsse. Der Zug könne nicht warten.

Das Protestgeschrei verstärkte sich mit jeder Minute. Endlich rief man nach der Polizei, die auf sich warten ließ.

Dann die Erlösung. Inzwischen war es 18:30 Uhr. Jemand schrie etwas, das heißen mochte:

»Da kommen sie!«

Das erste Fischerboot näherte sich im starken Wellengang der Anlegestelle und hatte das zweite Boot im Schlepptau. Darin saßen in ihren Schwimmwesten die Touristen. Sie hörte den Hafenmeister ein Wort sagen, was wie »Avaria« klang und vermutlich Havarie bedeutete. Allen fiel ein Stein von der Seele.

»Wie auch immer, Helmut Bauch, Hauptsache, du bist zurück,« stieß sie leise hervor.

Und dann fiel sie in das tiefste Loch ihres Lebens: Helmut Bauch war nicht an Bord.

Ostersonntag

Stausee Kelbra, 11:00 Uhr Sie waren nicht die Einzigen am Seeufer. Radfahrer strampelten lautstark miteinander redend vorbei. Weiter hinten versuchten Fischer mit langen Stangen offenbar ein Netz ans Ufer zu ziehen. Simon kletterte die Böschung bis ans Wasser hinunter.

»Fall da nicht rein!«, rief Evelyne.

»Nein, nein. Ich sehe da was.«

Sie blinzelte in die Sonne und schaute den Weg entlang. In der Ferne entdeckte sie eine kleine Gruppe, die sich rasch näherte. Das waren sie, Bauchs ehemalige Kollegen, Ralph Jantzen, Volker Spiegel, Kerstin Liebetrau und ein kleines Mädchen. Jantzens Frau Sandra war nicht mitgekommen.

»Schön, dass Sie es einrichten konnten«, sagte Evelyne und erhob sich.

»Ich glaube, wir gehen zusammen weiter. Zum Sitzen ist es noch zu kalt.«

»Ein herrliches Osterwetter«, meinte Kerstin Liebetrau, die sich bei Spiegel eingehakt hatte. Ihr Bauch wölbte sich unter dem Mantel. Evelyne war ihr früher nur einmal begegnet.

Volker Spiegel, Helmuts ehemaliger Mitarbeiter war heute selbst Leiter der Mordkommission. Der jugendlich wirkende Radsportler erinnerte mit seinem Gesicht immer noch an einen berühmten Formel-1-Piloten, der später für einen Paketdienst Werbung gemacht hatte.

Ralf Jantzen, ehemaliger Leiter der Spurensicherung und heute Mitglied der Mordkommission, kannte sie ebenfalls noch von Helmut Bauchs letzten Ermittlungen. An dem großen Norddeutschen waren ihr seit damals vor allem seine bedächtige Art und das selbst gemachte Rasierwasser der Marke Thuja in Erinnerung. Nach einer spektakulären Ermittlungsaktion während der die ehemalige Sensationsreporterin Sandy Schliff des Privatsenders Unstrut-TV als Lockvogel agierte und dabei fast ums Leben gekommen war, waren sich die beiden näher gekommen. Damals hätte auch Helmut Bauch fast sein Leben verloren.

Beide haben später geheiratet und Sandy, alias Sandra trug jetzt seinen Nachnamen. Jantzen nahm das Mädchen an die Hand.

»Meine Frau wollte zu Hause bleiben«, sagte er.

»Dann lassen Sie uns ein Stück am See wandern und die Goldene Aue zu Ostern genießen.«

Sie rief nach Simon und hörte im nächsten Moment ein Platschen.

»Na also. Es hat geklappt. Er ist reingefallen.«

Alle rannten zur Böschung am Ufer. Simon kletterte gerade herauf und zog etwas hinter sich her.

»Guck mal, Tante Evi, was ich gefunden habe!«

»Oh nein!«

»Lass das fallen!«, rief Jantzen und sein Töchterlein schrie: »Igitt!«

Simon umklammerte einen toten Fischreiher am Schnabel, der offensichtlich schon länger im Wasser gelegen hatte. Nur widerwillig ließ er ihn los. Evelyne holte Papiertaschentücher heraus und reinigte notdürftig seine Finger. Dann setzte sich die Gruppe langsam in Bewegung.

Spiegel rückte gleich mit seiner Frage heraus.

»Was gibt es Neues? Sie sagten, es ginge um Helmuts Verschwinden.«

Sie griff in ihre Handtasche und zog einen gepolsterten Briefumschlag hervor.

»Der wurde mir vor einer Woche per Post zugeschickt. Schauen Sie bitte selbst.«

Jantzen sah eine in Folie gewickelte Armbanduhr und schaute nur verwundert. Er gab sie Volker Spiegel.

»Das ist Helmuts Uhr«, meinte der sofort. »Ich erkenne sie.«

»Ganz recht. Das ist seine Uhr. Jemand hat sie mir geschickt.

Der Brief ist nicht in Sibirien aufgegeben und abgestempelt worden, sondern in Berlin. Wie soll das zusammengehen? Ich habe Helmut am Baikalsee verloren.«

»Einen Moment bitte.«

Jantzen zog ein Taschenmesser aus der Jackentasche und öffnete vorsichtig die Rückseite der Uhr. Er hielt das Werk in die Sonne.

»Ich muss das noch genauer untersuchen. Die Uhr ist zwar stehengeblieben, aber eines kann ich schon jetzt sagen: die hat niemals längere Zeit im Wasser gelegen. Es handelt sich um ein älteres Modell der Marke Glashütte. Hier steht auch kein Hinweis auf Wasserdichtheit. Darf ich sie mitnehmen?«

Evelyne presste die Lippen zusammen und murmelte nur:

»Natürlich.«

Simon war vorausgerannt und das kleine Mädchen folgte ihm. Inzwischen waren sie zu den Fischern gelangt, die immer noch mit ihren Stangen am Ufer hantierten.

»Tante Evi! Kommt schnell. Hier sind noch mehr!«

Als sie näher kamen, sahen sie neben dem Weg tote Fischreiher, Schwäne und auch einen Kranich liegen.

Die Kinder standen staunend vor den toten Vögeln. Zwei Männer zogen gerade einen weiteren Kranich an Land.

»Was ist hier passiert?«, wollte Spiegel wissen.

»Passiert ist nicht das richtige Wort«, antwortete ein etwa fünfzigjähriger Mann mit Wattejacke und Wathose.

»Die Vogelgrippe hat uns erreicht. Alle Geflügelfarmen ringsum müssen isoliert oder die Tierbestände getötet werden. Wir holen jetzt nur die Kadaver raus. Und dabei finden wir allerlei Unrat. Was die Leute so ins Wasser schmeißen. Fahrräder, einen Kinderwagen, einen Rollstuhl. Da hinten schwimmt sogar eine Schaufensterpuppe. Wahrscheinlich von einem Traditionsverein entsorgt, so wie das Kostüm aussieht. Ja, denn wünsche ich mal schöne Ostern!«

Sie spazierten weiter und kamen zu der Stelle mit der Schaufensterpuppe. Zwei Männer bemühten sich mit Haken, die farbig und historisch gekleidete Puppe herauszuziehen. Die erschien ungewöhnlich schwer und schwamm mit dem Rücken nach oben. Die Aufmerksamkeit von Spiegel und Jantzen war sofort geweckt.

»Langsam und vorsichtig!«, rief Volker Spiegel.

Gemeinsam zogen sie den Körper ans Ufer und legten die Figur auf den Rücken. Das Plastikgesicht der Puppe erinnerte an einen sehr jungen Mann aus einer vergangenen Zeit.

»Möglicherweise ist die Puppe aus einem Museum entwendet worden«, meinte Evelyne.

»In der Nähe, im Knopfmuseum von Kelbra, gibt es eine ähnlich verkleidete historische Puppe. Helmut und ich waren einmal dort. Irgendwie erinnert mich die Verkleidung an eine historische Figur, die mit dieser Gegend verbunden ist.«

Jantzen unterbrach sie schroff.

»Ruhe jetzt! Riecht ihr nichts? Haltet die Kinder zurück!«

Er kletterte die Böschung hinunter, schaute sich noch einmal um und wartete, bis Evelyne die Kinder außer Sichtweite gebracht hatte. Spiegel stand neben ihm, als er die Larve vom Gesicht der halbverwesten Leiche riss. Der griff sofort zum Telefon.

»Na dann! Nochmal Schöne Ostern!«, murmelte Jantzen. Bis das Einsatzkommando eintraf, würden sie warten müssen. Er kümmerte sich zuerst um seine Tochter. Die Kleine hatte scheinbar doch etwas von dem schrecklichen Fund mitbekommen oder nur gespürt. Sie weinte. Der Junge starrte mit unbeweglichem Gesicht auf den See, als hätte er gar nichts bemerkt.

Evelyne erklärte sich bereit, das Mädchen zusammen mit Simon fortzubringen und der Mutter in Nordhausen zu übergeben. Kerstin Liebetrau wollte sie begleiten. Mit den verstörten Kindern an der Hand gingen beide zu den Autos.

Ostermontag

Landespolizeiinspektion Nordhauseen Sie trafen sich um 9:00 Uhr in Spiegels Zimmer. Ralf Jantzen, der Einsatzleiter der Leichenbergung vom Kelbraer Stausee, die blonde Friderike und Roland Klabund vom Team der Spurensicherung. Der Polizeidirektor wollte später dazu kommen.

»Ja denn, trotz allem, nochmal schöne Ostern, wenn ich das so sagen darf. Da hat man uns gewissermaßen ein buntes Osterei in den See gelegt. Aber ich will keine Witze machen. Wir haben einen Toten in einem außergewöhnlichen Kostüm. Papiere haben wir bis jetzt nicht gefunden. Unsere Anfrage ist raus, ob irgendwo eine Vermisstenmeldung vorliegt, die auf unseren Mann passen würde. Zur Stunde befindet sich die Leiche in der Rechtsmedizin in Jena, wo Dr. Berger sie untersucht. Bis jetzt schickte er noch keine Ergebnisse über die Todesursache. Die Bekleidung liegt bei euch«, wandte er sich an Friderike.

»Es handelt sich ausnahmslos um ein synthetisches Material, sozusagen Plastikmode, wie sie für Faschingskostüme oder ähnliche einmalige Anlässe verwendet werden.

Da kommen wir mit Faserspuren nicht wirklich weit, zumal die Leiche lange im Wasser gelegen hat. Ich habe sie unserer Schaupuppe angezogen.«

Sie schob die großformatigen Fotos über den Tisch. Die Plastiklarve hatten sie wieder über den Kopf gelegt. Alle blickten unschlüssig auf die Puppe.

Jantzen war der Erste, der sich rührte.

»Der Fischer vom Stausee hatte gar nicht so Unrecht, als er den Körper für eine Schaufensterpuppe hielt. Vielleicht hatte der auch eine Nasenschleimhautentzündung und deshalb den Gestank nicht bemerkt. Aber irgendwie abstrakt und nicht in unsere Zeit passend wirkt das Ganze schon, fast wie eine Inszenierung. Ich kenne mich in der Kunstgeschichte nicht aus. Würde auf das 18. Jahrhundert tippen oder später. Aber damals hatten sie keine Stoffe aus PVC. Also alles eine Kopie, ein Karnevalsscherz, eine Entwendung aus einem Museum. Wir müssen nachforschen, ob irgendwo was fehlt. Oder nur ein Spinner. Denen sollte man immer alles zutrauen.«

»Auf Spinner ist Verlass«, meinte Spiegel grinsend und besann sich sofort wieder:

»Wir haben hier auf jeden Fall eine männliche Leiche. Alter 18 bis 20 Jahre, würde ich nach dem ersten Eindruck vermuten.

Schlank, Größe 1,75 Meter. Allerdings sind die Taucher noch vor Ort und suchen den Seegrund ab.«

Friderike meldete sich:

»Da ist noch etwas. In einer Tasche des Mantels fanden wir ein Feuerzeug, in der anderen eine zusammengeschrumpfte Blüte, die aber auch ganz natürlich durch das Wasser hinein gespült sein könnte. An der linken Hand trug er einen goldenen Siegelring mit dem eingeprägten Buchstaben N. Eine Gravur im Innern bestand lediglich aus einem winzigen Mäanderband, was sehr ungewöhnlich ist. Offenbar hat hier der Juwelier seinen Stempel hinterlassen. Den sollten wir ermitteln können.«

Auf Spiegels Stirn bildeten sich Falten.

»Wenn er sich den Ring mal nicht im Internet bestellt hat. Und was soll das N bedeuten? Möglicherweise der Anfangsbuchstabe seines Namens?«

»Oder Napoleon«, entgegnete Jantzen. »Das Kostüm könnte auf diese Zeit verweisen. Dann hätten wir es mit einem Historienfreak zu tun. Einer von denen, die ein Kostüm im Kleiderschrank aufbewahren, um einmal im Jahr damit die Völkerschlacht bei Leipzig nachzuspielen.«

Roland Klabund meldete sich zögernd:

»Ich muss gestehen, dass ich auch einmal daran teilgenommen habe.

War schon beeindruckend, wie viele Menschen man für das Spektakel auf die Beine bringen kann. Allerdings kann ich mich an ein solches Kostüm nicht erinnern. Aber ich werde mich darum kümmern. Eine ehemalige Freundin ist Kostümbildnerin am Nordhäuser Theater. Sie besitzt garantiert Bildbände und Vorlagen.«

»Wie auch immer«, erwiderte Spiegel und bemerkte zu spät die Heiterkeit, welche die drei Worte in der Runde ausgelöst hatten.

Unbeabsichtigt war ihm Helmut Bauchs Standardsatz rausgerutscht. Er spürte, wie sich sein Gesicht mit Röte überzog.

»Mach dir nichts daraus«, beruhigte ihn Jantzen.

»Das war nur ein echter Freudscher Versprecher oder die Erbschaft eines Kommissars. Jedenfalls erwarte ich von Bergers Feststellung der Todesursache entscheidende Informationen.«

»Also zum weiteren Vorgehen. Ich habe die Taucher aus Erfurt herbeordert. Die müssten zur Stunde bereits vor Ort sein. Unsere Ermittlungen werden dort nicht gestört, weil das gesamte Gelände des Stausees wegen der Vogelgrippe für den Besucherverkehr gesperrt wurde. Die Geflügelhalter der Region werden darunter noch lange zu leiden haben. Also haben wir Leichen über Leichen und dazwischen unsere.

Schon eine makabre Situation. Allerdings kann die Vogelgrippe nach bisherigen Erkenntnissen nicht mit dem Tod eines Menschen in Verbindung gebracht werden. Soweit zum heutigen Stand. Wir haben Ostermontag. Vor Morgen können wir nicht viel ausrichten. Die Taucher und Berger sind an der Arbeit. Roland, du fährst am besten gleich morgen früh zu deiner Theaterfreundin.«

Jantzen hatte während des Gesprächs auf sein Smartphone geschaut.

»Und ich nehme mir alle Juweliere des Landkreises vor. Irgendeiner wird hoffentlich diesen Ring angefertigt haben.«

»Das werden nicht allzu viele sein,« meinte Spiegel. »Wir brauchen dich hier.«

Ralf Jantzen zog grinsend die rechte Augenbraue hoch. Er hatte schon im Computer nachgeschaut.

»Ich mag die Gegend immer wieder, weil sie so überschaubar ist. In Berlin wollte ich nicht gern alle Juweliere durchchecken müssen. Bei uns kann ich nur fünf feststellen, davon vier Frauen. Scheint ein sehr weiblicher Beruf geworden zu sein.«

»Oder der war es schon immer, nur hat es niemand zugeben wollen«, hielt Friderike dagegen.

Jantzen nickte nur. Die Sitzung war beendet.

Theater

Nordhausen, Dienstag, 10:00 Uhr Roland Klabund hatte Sybille nach mehreren Versuchen endlich telefonisch erreicht. Sie waren zusammen in Sondershausen zur Schule gegangen. Im letzten Schuljahr hatten sie sich in einem Zeltlager an der Ostsee ineinander verliebt. Die Sache ging dann während Klabunds Armeezeit auseinander. Sybille studierte erst an der Fachschule für Angewandte Kunst in Heiligendamm und spezialisierte sich auf Produktgestaltung, was ihr aber nicht gefiel. Sie wechselte zum Studium an der Hochschule für Angewandte und Bildende Kunst in Berlin-Weißensee. Im Nordhäuser Theater fand sie eine Stelle als Kostümbildnerin. Der Kontakt zu Roland Klabund war nie endgültig abgerissen, auch wenn ihre Beziehung immer sehr spannungsvoll gewesen war.

»Du bist die Frau, mit der ich mich am liebsten streite«, hatte er einmal gesagt. Und gestritten hatten sie sich mehr als genug.

Er parkte das Auto vor dem großen Portal des Theaters mit den sechs Säulen und begab sich zum seitlichen Bühneneingang. Sybille hatte am Telefon gesagt, er solle auf einer der Bänke davor warten. Sie käme dann raus. Klabund wartete.

Die Sonne schien, aber der Wind jagte weiße Wolken über das leuchtende Theatergebäude. Es war kalt und er lief eilig im Slalom um die vier Bänke herum, schaute immer wieder auf die Uhr. Typisch Sybille. Sie ließ gern warten, nicht aus Unhöflichkeit, sondern weil sie immer ihre Gedanken in die erste Reihe stellte. Dann endlich öffnete sich die Tür des Bühneneingangs. Sie kam im farbbekleckerten Arbeitskittel heraus und hatte sich eine Pelzjacke übergeworfen. Ihr Pferdeschwanz wippte, wie auch ihr Schritt wippte. Klabund umarmte sie.

»Ich hab nicht viel Zeit. Um was geht es?«

»Eine Beratung in Sachen Kostüm. Wir haben da was gefunden. Eine Frage der Kunstgeschichte. Kannst du solch ein Kostüm irgendwie einordnen?«

Er zeigte ihr das Farbfoto. Sybille warf einen kurzen Blick darauf und zog ihre Zigarettenschachtel hervor.

»Sorry! Ich muss erst eine rauchen.«

Dann nahm sie das Blatt wieder in die Hand. Die Zigarette in ihrer Hand zitterte. Der Wind blies die Asche weiter. Sybille starrte die Kopie schweigend mit weit aufgerissenen Augen an.

Klabund wartete ungeduldig. Als immer noch kein Kommentar kam, fragte er:

»Kennst du das Kostüm?«

Sie nickte nur und stieß dann leise hervor.

»Und ob. Schließlich habe ich es selbst genäht.«

Roland Klabund musste erst tief Luft holen, ehe er fragte.

»Na und? Was ist es?«

»Nicht was, sondern wer. Heinrich. Heinrich von Ofterdingen. Wir wollten hier vor ein paar Jahren das Stück von Novalis szenisch aufführen und ich habe mir die Vorlagen für das Kostüm besorgt. Dann habe ich es nach eigenem Entwurf genäht. Zweimal; für die Erst- und Zweitbesetzung. Dabei habe ich mich auf ein Gemälde des Dichters bezogen. Zu einer Aufführung ist es dann leider nie gekommen. Das Projekt wurde aufgegeben.«

Klabund verstand nicht und blickte sie fragend an.

»Novalis,« wiederholte sie.

»Wer?«

»Georg Philipp Friedrich von Hardenberg, falls dir das was sagt. Wenn nicht, dann google. Ein Dichter, der hier im 18. Jahrhundert in der Gegend unterwegs war. Eine Symbolfigur der Romantik. Ist leider nicht sehr alt geworden.«

Sofort dachte er an die Leiche, von deren Fund er nichts sagen durfte. Aber es handelte sich dabei vermutlich ebenfalls um einen jüngeren Mann.

»Habt ihr die Kostüme noch in eurem Theaterbestand? Dann wäre dies eine Kopie.«

»Im Fundus? Gut möglich. Da müsste ich nachsehen. Kann aber auch sein, dass sie bei einer Versteigerung rausgegangen sind. Wir können nicht alles aufheben und außerdem braucht das Theater Geld. Obwohl mir bei dem Kostüm besonders leid tat, dass es nie auf die Bühne gelangt ist. War eine kostbare Arbeit; ein Gehrock aus dem 19. Jahrhundert, lange Jacke mit Kapitänsrevers, das ich wegen des Novalisgemäldes rot eingenäht hatte, eine lange Knopfleiste. Vintage Victoria Barockmantel. Ich schaue nach, ob wir die beiden Mäntel noch haben. Wie seid ihr darauf gekommen? Vermutlich in Zusammenhang mit einem Leichenfund. Sonst wärst du ja nicht gekommen.«

»Ich…«

»Ich weiß, du darfst darüber nicht sprechen. Ist schon gut. Mein Lieber, ich muss dann wieder rein. Ja, ja, die Blaue Blume. Habt ihr die auch gefunden? Eine Kunstblume. Hatte ich ins Knopfloch gesteckt.«

Klabund schüttelte den Kopf und umarmte Sybille zum Abschied noch einmal. Er gab ihr seine Karte:

»Wenn du die Kostüme gefunden hast oder auch nicht, ruf mich bitte an.«

Sie versprach es und verschwand wieder im Theater.

Als er im Auto saß, dachte er an Friderikes Erwähnung der halbverfaulten Blüte aus der Jackentasche des Kostüms. Die wollte er sich noch einmal genau ansehen. Er rief Jantzen an und erstattete ihm Bericht.

Der Ring

Bad Frankenhausen, Dienstag, 10:30 Uhr Keiner der Juweliere im Landkreis öffnete vor zehn Uhr, deshalb konnte sich Ralf Jantzen nur langsam durch die Liste telefonieren. Aber er hatte Glück. Die erste Juwelierin, eine Claudia Münch, befand sich bereits am Morgen in ihrem Laden in Bad Frankenhausen und erwartete ihn. Er machte sich sofort auf den Weg.

Eine schlanke, dunkelhaarige Frau zeigte sich hinter der vergitterten Schaufensterscheibe und rief ihm zu, er solle um das Haus herum in den Hof gehen. In der offenen Tür stand sie in einem knöchellangen, braunen Baumwollkleid und trug darüber einen Rollkragenpullover aus Schafwolle. Vielleicht war es in der Werkstatt nicht allzu warm. Jantzen schätzte die Frau auf etwa fünfzig Jahre. In ihre schwarzen Haare hatten sich silberne Strähnen geschlichen, die einer Juwelierin gut standen.

»Kommen Sie rein. Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann. Die Tür zur Straße öffne ich auch während der Geschäftszeit nur gegen Anmeldung. Man weiß ja nie und meistens bin ich allein im Laden. Aber Sie kommen ja von der Polizei, wie Sie am Telefon sagten.«

Zur Bestätigung zeigte Jantzen seinen Dienstausweis und fügte hinzu:

»Ich komme von der Mordkommission.«

Sie warf einen kurzen Blick darauf und machte eine einladende Bewegung. Er folgte ihr in die Werkstatt. Die war tatsächlich kaum geheizt. Auf einem Arbeitsstuhl vor der Werkbank lag ein Schaffell. Hoffentlich hatte die Frau wenigstens den Laden für ihre Kunden etwas angewärmt.

»Frau Münch, ich möchte Sie nicht lange aufhalten. Es geht mir um eine Frage: Kennen Sie diesen Ring?«

Er legte den Siegelring des Toten auf den Tisch.

Sie warf einen kurzen Blick darauf, nahm ihn in die Hand und hielt ihn mit schmalen Fingern liebevoll gegen das Licht. Jantzen fiel auf, dass die Juwelierin selbst keinen Ring trug.

»So kommt er also zu mir zurück. Wer hätte das gedacht? Wo haben Sie den her? Ist irgendetwas passiert?«

Die Frage weckte Jantzens Neugierde, aber er hielt sich noch zurück.

»Ich möchte gern von Ihnen wissen, ob Sie sich an den Mann erinnern, der diesen Ring bei Ihnen hat anfertigen oder umarbeiten oder sonstwas hat machen lassen. Das ist für uns wichtig.«

Sie blickte mit zusammengekniffenen Augen durch den Ring, als fände sie dahinter eine Erinnerung. Dann sagte sie:

»Sie kommen von der Mordkommission. Also ist doch etwas passiert. Ich ahnte es. Wissen Sie, wenn Sie mit Gold arbeiten, öffnen sich Ihnen oft tiefere Einblicke, Sie bekommen Ahnungen, Visionen. Das ist schon seit Jahrtausenden so. Wahrscheinlich war der Stoff gerade deshalb so begehrt. Gold birgt immer ein Geheimnis und eine Gefahr, egal ob Sie einen Klumpen in Afrika finden oder einen Schatz aus dem Museum rauben.«

Jantzen hörte der Frau geduldig zu. Die lebte in ihrer eigenen Welt, fertigte hinter Gittern kostbare und schöne Dinge an. Schließlich setzte er nach:

»Ich fragte Sie nach dem Mann, der diesen Siegelring bei Ihnen hat anfertigen lassen.«

»Ein Mann?«

Sie lachte plötzlich laut und unnatürlich auf.

»Kein Mann hat den Ring bei mir arbeiten lassen. Es war ein Mädchen, achtzehn Jahre alt. Sie hat mir ihren Ausweis gezeigt, sonst hätte ich den Auftrag gar nicht angenommen. Die Dame war nicht schmächtig, eher stämmig. Wirkte wie eine Sportlerin. Sie brachte den Ring mit der Gravur eines R mit und wollte ein N stattdessen darin haben. Der Ring sollte ein Geschenk für ihren Freund sein.

Das hat mich schon einigermaßen gewundert. Es handelte sich immerhin um hochkarätiges Material. Angeblich stammte der Ring von ihrem Onkel, der in Griechenland lebte, deshalb gab es wahrscheinlich das Mäanderband im Innern, was aber auch nur wie eine Inszenierung wirkte. Selbst aus Griechenland ist mir eine derartige Gravur in einem Ring noch nie vorgekommen. Im Grunde stimmte bei dem ganzen Stück gar nichts. Vor allem nicht die Bezahlung. Dann ging es ja erst richtig los. Sie hat ohne zu Zögern diverse Schmuckstücke auf den Tisch gelegt, darunter auch ein Diamantcollier. Sie wollte, dass die Dinge mit den Kosten für die Umarbeitung des Ringes verrechnet werden. Die waren natürlich allemal gedeckt. Den Restbetrag habe ich ihr ausgezahlt.«

»Über welche Summe reden wir?«

Die Frau zögerte. Offensichtlich war ihr die Sache unangenehm.

»8000 Euro.«

Jantzen hob die Augenbrauen.

»Ein achtzehnjähriges Mädchen legt Ihnen Schmuck von solchem Wert auf den Tisch und Sie werden nicht misstrauisch. Ich würde zuerst vermuten, dass es sich um die Beute eines Überfalls handelt.«

»Sie sind Polizist und denken so. Ich bin Juwelierin und hier kommen schon mal ganz andere Stücke auf den Tisch. Deshalb habe ich nicht weiter nachgefragt. Unsereins muss ja auch leben. Aber als das Mädchen zu Tür hinaus war, hat das bei mir doch ein schlechtes Gefühl hinterlassen.«

Worin das schlechte Gefühl auch immer bestanden hat, dachte Jantzen.

»Können Sie sich noch an den Namen des Mädchens erinnern? Sie hat Ihnen ja immerhin den Ausweis gezeigt.«

»Nicht nur das. Ich hab mir von dem Ausweis auch eine Kopie gemacht. Moment mal bitte.«

Jantzen atmete erleichtert auf. Das ist ja immerhin was, dachte er. Aber kalt hat sie es hier doch. Sollte mal eine Kohle mehr auflegen. Die Frau kam mit der Kopie.

»Magdalena Förster. Jetzt erinnere ich mich.«

Sie reichte Jantzen das Blatt. Der schaute darauf und fragte:

»Sind Sie sicher, dass es sich bei dem Mädchen genau um die Person handelt, die Sie kennengelernt haben?«

Sie schaute ebenfalls auf das Bild und wurde nachdenklich.

»Wenn Sie so fragen. Die Ähnlichkeit ist tatsächlich nicht sehr groß.

Aber die jungen Mädchen verändern sich in dem Alter so schnell. Da habe ich nicht so genau hingeschaut.«

»Ihnen macht niemand einen Vorwurf. Was mich noch interessiert: Wie hat sie den Ring denn angepasst, wenn ihr Freund gar nicht dabei war?«

»Der Mittelfinger. Sie sagte, ihr Mittelfinger wäre genauso dick wie dessen Ringfinger.«

»Wir möchten Sie bitten, zur Identifizierung des Mädchens ein Phantombild anfertigen zu lassen. Nur um sicher zu gehen. Sie müssen dafür nicht in die Dienststelle kommen. Wir schicken einen Kollegen. Aber noch eine Frage. Die Schmuckstücke, die Ihnen die junge Frau verkauft hat; befinden die sich noch in Ihrem Besitz?«

Sie druckste herum:

»Die anderen Stücke liegen noch hier, nur das Collier habe ich inzwischen weiterverkauft. Wie gesagt, unsereins muss auch leben.«

»Zeigen Sie mir bitte die restlichen Schmuckstücke. Ich möchte davon Fotos machen.«

Das war der Frau offenbar gar nicht Recht, aber Jantzens hartnäckiger Tonfall beeindruckte sie. Genervt nickte sie.

»Einen Moment bitte.«

Auf einer samtenen Schublade lagen Ringe, Ohrringe, Armbänder, ein silbernes Zigarettenetui und Halsketten. Jantzen machte Fotos.

»Von dem Collier besitzen Sie hoffentlich ein Foto und einen Kaufvertrag.«

»Ein Foto ja, einen Kaufvertrag nicht mehr. Ich habe das Stück im Internet angeboten und verkauft. Ist an eine Adresse nach Russland gegangen. Aber alles, was darüber hinausgeht, ist mein Geschäftsgeheimnis.«

»Schon gut. Ich bin nicht von der Zollfahndung, sondern von der Mordkommission. Bleiben Sie für weitere Rückfragen und für unsere Kollegen erreichbar. Und verkaufen Sie den Schmuck vorerst nicht weiter, ansonsten müssen wir die Stücke beschlagnahmen.«

»Selbstverständlich. Wenn ich damit helfen kann.«

Jantzen machte sich auf den Rückweg. Er wollte noch einmal zum Stausee fahren. Im Auto dachte er über die Aussagen der Juwelierin noch einmal nach. Ein kostbares Diamantcollier samt weiteren Schmuckstücken und die Summe von lediglich 8000 Euro passten nicht zusammen. Die Inhaberin des Geschäfts hatte offensichtlich ein ziemliches Schnäppchen gemacht oder ganz einfach gesagt, die junge Frau haushoch betrogen. Wer immer diese Magdalena Förster gewesen war, sie brauchte offenbar dringend Geld; viel Geld.

Als Nächstes mussten alle Überfälle auf Schmuckläden und gemeldete Einbrüche in Privathaushalte überprüft werden.

Roland Klabund sollte im Internet nach angebotenen Colliers recherchieren und auch über den vermutlichen Wert der restlichen Schmuckstücke.

Rechtsmedizin

Nordhausen, Dienstag, 12:00 Uhr Volker Spiegel ordnete alle bisherigen Ermittlungsergebnisse auf seinem Schreibtisch. Unter dem Gemälde des Kyffhäusers, das Helmut Bauch einst gemalt und der Dienststelle überlassen hatte, lag auf dem Bord jetzt dessen Armbanduhr. Jantzen hatte nicht mehr viel bei seiner Untersuchung herausgefunden. Er war zu der Juwelierin nach Bad Frankenhausen gefahren und jetzt noch einmal unterwegs zum Stausee, wo die Taucher den Seegrund absuchten. Friderike befand sich ebenfalls bereits dort. Das Telefon klingelte. Dr. Berge von der Rechtsmedizin Jena hatte seine erste Analyse.

»Guten Morgen, Kommissar Spiegel. Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat, aber schneller konnte ich nicht arbeiten. Also: Wir haben einen jungen Mann von etwa 18 bis höchstens 20 Jahren. Sportlich würde ich den Körper nicht bezeichnen. Da er offenbar längere Zeit unter Wasser lag und sich bereits Waschhaut gebildet hatte, veränderte sich das Äußere. Aber die aufgedunsene Form ließ mich nicht übersehen, dass die eigentliche Muskelmasse gering war. Vielmehr handelt es sich um einen eher schmächtigen, jungen Mann, genauer gesagt um einen Kranken.

Wasserleichen bringen bei der Untersuchung immer zusätzliche Schwierigkeiten und manche Überraschungen mit. Das geht schon bei der Todesursache los. In den Lungen befand sich Wasser aus dem See, also liegt ein Tod durch Ertrinken nahe. Dazu passen aber nicht die Hämatome an den Armen und im Nacken.«

»Sie wollen damit sagen, er wurde ertränkt.«