Musikalische Vogelkunde - Frank Rebitschek - E-Book

Musikalische Vogelkunde E-Book

Frank Rebitschek

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Beschreibung

Das Buch beschreibt ein ungewöhnliches Konzertprojekt. Ein Liedermacher und ein klassischer Sänger produzierten Lieder für Kinder und Erwachsene über die Beziehung zwischen Mensch und Natur. Dabei standen Vogellieder im Mittelpunkt. Was als Experiment begann, erwies sich nach dreißig Jahren als großer Erfolg. Das Buch will Anregung sein für weitere Generationen von Pädagogen, Umweltbildnern und alle naturinteressierten Menschen. Auf unterhaltsame Weise werden im Buch die Tourneen und Konzerterlebnisse der beiden Musiker im In- und Ausland beschrieben. Abgedruckte QR-Codes machen einige der Lieder hörbar.

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Für die Vögel der Welt

Ob rechts die Vögel fliegen oder links, Die Sterne so sich oder anders fügen. Nicht Sinn ist in dem Buche der Natur, Die Traumkunst träumt, Und alle Zeichen trügen.

Friedrich Schiller, „Die Braut von Messina“

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Gründerzeit

Elsterberg

Die Premiere

Bühnenbild und Dommelton

Lieder und Liedermacher

Hasensaal

Stehvögel

Schachdorf Ströbeck

Das Spechtophon

Musikmesse und Wasseramsel

Das Plakat und der NABU

Dessau

Prairiehuhn Mary Railway

Leiferde und zehn Papageien

Wir sehen eure Füße

Nordseetournee

Zollhaus

Saurierkunde

Angermünde

Flötenzaunkönig

Berlin – Haus der Kulturen der Welt

Naturschutzzentrum Niederspree

Naturschutzzentrum Niederspree

Holz ist wunderbar

Hoyerswerda

Nachhaltigkeit

Der Schloßgeist

Karpfenessen

Lutz, die Autos und der wilde Osten

St. Marienthal

Unter dem Saurier

Rastatt und „Auf unsrer Wiese gehet was“.

Der Fotograf

Bonn

Gera

Frau Elster

Eugen und die Störche – Teil 1

Der Tierpark Görlitz

Die Kranichtrompete

Der Tierpark im Dreiländereck

Białowieża

One Zero

Das Fluchzeuch

Ankunft in Amerika

Der erste Tag

ICF

Lied von den ausgestorbenen Vögeln

Einkauf und Prairie

Der Buchladen

O my God!

Madison, Busbahnhof, Viertel vor zehn

New York

Abflug

Das Moor

Hermann der Hesse

Umweltbildung und der Kasper auf der Müllkippe

Musikalische Vogelkunde – die CD

Der Notenständer

Eugen und die Störche – Teil 2

Zolli

Malta

Der Storch sendet

Helgoland

Die Hummer

Lerchenprogramm

Von Wald, Wäldern und einem Waldhaus

Das Waldhaus

Wien

Technik und Natur

GEMA oder Musik hat ihren Wert

Abschied vom Walde

Was es sonst noch gab

Nachwort

Danksagungen

Die CDs

Musikalische Vogelkunde - Birdsongs

Dass ich noch lebe

Zoo- Musik

Vorwort

Erzählt wird die Geschichte eines ungewöhnlichen Konzertprojekts. Unter dem Titel Musikalische Vogelkunde entstanden Lieder über Vögel und Menschen, wie auch die erste CD, die Michael Hausburg und ich aufgenommen haben. Der Text aus dem Bocklet von 1995 hat heute noch Gültigkeit:

Vögel und Musik

Vogelwelt und Musikwelt verbindet seit Jahrhunderten ein geheimnisvoller Zusammenhang und die „Musikalische Vogelkunde“ nähert sich diesem Phänomen auf eine neue Weise. Warum erregen die gefiederten Wesen immer wieder unser musikalisches Interesse? Sie singen und haben eigentlich kein Lied, selbst wenn sich ihre Stimmen oft problemlos in Notenschrift darstellen lassen. Aber sie singen etwas, das nach Lied ruft. Aus voller Brust singen sie einen Impuls an unser Ohr.

Im Amazonasgebiet lebt der Flötenzaunkönig und seine Melodie lässt das Herz manches Komponisten höher schlagen. Ein Flötist könnte sie ohne Schwierigkeiten auf seinem Instrument nachspielen und der kleine Vogel trägt deshalb in der Fachliteratur das Attribut musikalisch.

Irgendetwas hebt die Vögel aus der unendlichen Vielfalt der Tierwelt heraus, denn nicht nur Musiker, sondern auch Dichter lassen sich von ihnen seit Jahrtausenden inspirieren.

Ganz klar vorn in der Beliebtheit liegt die Nachtigall, der Romantikvogel schlechthin. Vielleicht ist ihre Beliebtheit nicht so sehr dem kräftigen Organ geschuldet, denn Finken und Drosseln sind auch gute Solisten, als vielmehr der Stunde ihres Gesanges, in welcher sie ein erlesenes Publikum erreicht: einsame Poeten, Verzweifelte und Kranke, erlebnishungrige Reisende, vor Liebeslust schlaflose Paare und lange zechende Musiker.

Damit hat sie viel Kunst eingebracht und flattert dennoch ungerührt darüber hinweg. Unerschöpflich scheint der Reiz der Vogelwelt, unendlich der Vorzug des Fliegenkönnens, den die Natur spendierte.

Vielleicht steckt dahinter eine ältere, biogenetische Logik. Wissenschaftler sagen, dass Vögel in ihrem Körperbau an die vor Jahrmillionen ausgestorbenen Dinosaurier erinnern. Wie kann das möglich sein?

Sind sie sozusagen an uns vorbeigeflogen? Haben sie auf den langwierigen, komplizierten Aufbau und den Ballast einer Intelligenz zugunsten ihrer Mobilität verzichtet? Sind sie die Überflieger der Evolution?

Auf jeden Fall sind sie anders, und auch wenn die „Musikalische Vogelkunde“ solchen Spekulationen nicht nachgeht, lenkt sie doch Blick und Ohr auf Ungewöhnliches in der Natur, welches sich manchmal sogar vor der Haustür entdecken lässt…

Dr. Inoh Kracht

Mir sind schon Bücher in die Hand gefallen, in denen es drei Vorworte des Autors gab. Hinzu kam oft ein weiteres des Herausgebers. Ich gebe gern zu, dass auch bei mir schon zwei solche Texte auf dem Schreibtisch lagen. Statt derer nun dieses aus dem Erscheinungsjahr 2022.

In der Musik stehen vor den Noten Vorzeichen. Sie zeigen die Tonhöhe an und ob es sich um Dur oder Moll handelt. Damit kann ein Musiker etwas anfangen.

Ein Vorwort sollte in der Literatur dem Leser anzeigen, was ihn erwartet. In welcher Gestalt tritt ihm das Buch entgegen? Die Musikalische Vogelkunde – das Buch zum Konzert will nicht nur ein Tourneebericht sein. Dreißig Jahre der Beschäftigung mit Musik für Kinder und Erwachsene zum Thema Musik und Natur brachten ein ungewöhnliches Konzertgebilde hervor. Zwei Musiker unterschiedlicher Genres, die sich aus der Studentenzeit kannten und die eine mittlerweile vierzigjährige Freundschaft verbindet, erfanden nach dem Mauerfall Lieder und Geschichten, die es bis dahin noch nicht gab. Wir transportierten sie durch ein Land, das es bis dahin auch nicht gegeben hatte. Wir stießen in doppeltes Neuland vor.

Eigentlich stellten wir das Publikum in Ost und West auf die Probe, ob es für dieses Experiment bereit war.

Und wir hatten auf ganzer Linie gewonnen, nicht zuletzt dank der Begeisterungsfähigkeit der Kinder. Wir wurden keine Stars im medialen Sinn und waren manchmal vielleicht selbst daran schuld. Wenn ich mir im Jahr 2022 die Frage stelle, wer wir waren und wer wir heute sind, fällt mir nur ein Wort ein: Zeitzeugen. Dieser Begriff beschreibt vielleicht am besten das, was das Buch sein kann: Zeitzeugnis.

Damit es nicht nur eine trockene Reportage wird, habe ich einige skurrile Erlebnisse als Anekdoten eingefügt. Jeder normale Tourneemusiker könnte seine oder andere ebenfalls berichten, aber denen fehlt meist die Zeit, denn auf Tournee geht es immer nur weiter. Zu dieser Szene die landauf und landab tourte und tourt gehörten wir auch, aber doch nicht so ganz. Waren wir eigentlich eine Band? Nach einer großartigen Veranstaltung in der Stadthalle von Meerane schrieb ein Kritiker:

»Wir erlebten Frank Rebitschek mit seinem kleinen Ensemble.«

So blieb es und damit erreichten wir die stattliche Anzahl von fast 900 Konzerten. Ich kenne ein Streichquartett, dessen Mitglieder mit vier Autos zum Konzert fahren. Das Zusammenhocken im Auto, auf der Bühne und später im Hotel war ihnen auf die Dauer unerträglich. Solche Probleme hatten wir nicht. Zwei Autos benutzten wir nur, wenn es organisatorisch nicht anders ging oder das Equipment zu umfangreich war.

Als ich an der 100-Jahrfeier anlässlich der Gründung des NABU im Stuttgarter Schloss allein teilnahm, fragte mich Heinz Sielmann:

»Und wo ist der andere?«

So hat man uns gesehen und deshalb immer wieder eingeladen. Eine Journalistin schrieb einmal von zwei väterlich wirkenden jungen Männern. Das Buch Die Musikalische Vogelkunde ist ein Bericht von Umbruch und Aufbruch in einer turbulenten Zeit. Ich habe darin unsere Erlebnisse als ehemalige DDR-Bürger auch ihrer damaligen Naivität beschrieben. Diese Eigenschaft unbeschriebene Blätter zu sein, hat uns in der Welt der Marktwirtschaft manchmal geradezu geschützt.

Wir haben das große, schöne Deutschland mit seinen unterschiedlichen Seiten gleich nach der Wende ohne Reisebüros oder ausbeuterische Firmen kennengelernt und viele wunderbare Menschen getroffen. Einen Ost-West-Gegensatz haben wir durchaus gespürt und spüren ihn heute noch. Das empfinde ich nach einer so langen Zeit stärker denn je als Problem. Michael Hausburg und ich waren in all den Jahren stets auch als Musikpädagogen tätig. Unsere Schüler haben inzwischen selbst Kinder. Vielleicht haben auch sie etwas von unseren Ideen mitbekommen.

Das Buch handelt von unserer Musik, ihrem Entstehen und ihrem Weiterwirken. Jemand sagte einmal, dass die Beschreibung von Musik so ähnlich sei, wie gemaltes Essen. Als wir mit unserem Projekt begannen, kam gerade die CD als technisches Wunder auf den Markt. Später haben auch wir unsere Titel auf solchen Scheiben verewigt. Aber inzwischen ist die Zeit vorangeschritten und wir wollten keine CDs in den Buchrücken klemmen. Stattdessen haben wir einige wenige Titel als QR-Codes in den Text eingefügt. Wer über die notwendige Technik verfügt, kann sich die Lieder anhören. Alles andere ist bei uns und im Internet bestellbar.

Mag dieses Buch nicht nur Erinnerungen wecken bei denen, die die Musikalische Vogelkunde im Konzert erlebt haben, sondern vor allem Interesse für das interessante Feld zwischen Künsten und Naturwissenschaften. Die rasanten Entwicklungen bei Umwelt und Klima, und gleichzeitig in den Wissenschaften lassen sich nur noch selten in einem Lied beschreiben. Neue technische Möglichkeiten werden andere Formen hervorbringen.

Die Zeilen eines der letzten unserer Lieder seien dem Buch vorangestellt:

Sing dir mal ein Vogellied.

Und wenn`s dich auch so nach draußen zieht,

Dann sing dir ein Vogellied.

Frank Rebitschek, Stuttgart 2022

Gründerzeit

Bevor ich die Geschichte der Musikalischen Vogelkunde weitererzähle, muss ich die Zeit beschreiben, in der sie entstand und die ich insgeheim eine Gründerzeit nannte.

Erst heute kann ich diese Jahre mit gebührendem Abstand betrachten und sagen: Es war eine spannende Zeit. Auch wenn sie uns manchmal atemlos gemacht hat, weil wir nicht wussten, was der nächste Tag bringen würde.

Ich hatte gleich nach der Wende ein Engagement in einer Opernproduktion bei einer freien Truppe aus dem Rheinland bekommen und Michael forschte im Rahmen eines Projekts über Thüringer Folklore. Alles Arbeiten auf Zeit. Danach würde es irgendwie weitergehen. Das Verhängnisvollste war das Gefühl, gelebt zu werden, das Schicksal nicht beeinflussen zu können. Dabei gab es Möglichkeiten, aber nicht alle Menschen erkannten die Instrumente für einen Neuanfang. Oft fehlten dafür der Mut und die Beweglichkeit.

Trotz allem war es eine spannende Zeit und ich kann heute sagen, wir haben sie genutzt. Und das, obwohl wir bereits Verantwortung für unsere Familien trugen. Die Musikalische Vogelkunde kam genau zum richtigen Zeitpunkt.

Vor der Wende hätte ich keinen Gedanken daran verschwendet, ein Lied zu schreiben. Das war damals Aufgabe von „echten“ Komponisten und anerkannten Liedermachern, allesamt mehr oder weniger von Staates Gnaden. Außerdem stand einem solchen Gedanken ein Phänomen entgegen, das auf einer lebenslangen kontrollierten Erziehung beruhte: die unterbewusste Selbstzensur. Darf ich das eigentlich tun? Wahrscheinlich kann ich es gar nicht. Vorsicht und Selbstzweifel hatten sich schon in der Kindheit wie ein Nebel ausgebreitet und waren zur Alltäglichkeit geworden. Mit einem Schlag war nun der Dunstschleier zerrissen und niemand mehr verhinderte neue und unangepasste Ideen. Im Allgemeinen steht dafür das Wort Freiheit. Aber es wird zu schnell missverstanden.

Für die Eingesperrten und Geknechteten bedeutet es den Aufschrei schlechthin. Joachim Gauck hat es zum Leitbegriff seiner Amtszeit gemacht. Doch die Freiheit hat eine gefährlich kurze Halbwertzeit, wenn sie erst Selbstverständlichkeit geworden ist. Auch ich konnte während und nach der Wende Freiheit immer wieder spüren, geradezu mit den Händen greifen. Gleichzeitig spürte ich, dass sie gefüllt werden musste. Deshalb empfand ich die Zeit als eine Gründerzeit

Der Begriff bezeichnet ursprünglich eine Epoche zwischen ungefähr 1870 und 1914. Dem Wort haftet Aufbruchsstimmung an. Es klingt nach grundsätzlich Neuem und Anderem und nach reichlich vorhandenem Kapital. Gründerzeit will auch etwas hinter sich lassen, will mit Altem aufräumen. Historisch war mit dem Begriff die rasante Großindustrialisierung in Deutschland und Österreich-Ungarn gemeint, die vom erstarkten Bürgertum ausging, aber gleichzeitig von spekulativen Auswüchsen begleitet wurde.

Das Ende der DDR zog eine ähnliche, wenn auch wesentlich kürzere Epoche nach sich und ging als Wendezeit oder Nachwendezeit in die Geschichte ein. Der Gründerzeit ähnelten die rasanten Neugründungen und aus dem Boden gestampfte Gebäude wie Bürotürme, Supermärkte auf der grünen Wiese und Verwaltungsgebäude. Die für eine echte Gründerzeit typischen Kapitalströme sprudelten aus unterschiedlichsten Quellen und waren mit Begriffen wie Treuhand, Förderprogramm, Aufbau Ost und Investitionszulage verbunden. Das waren turbulente Zeiten, die Menschen in Ost und West unterschiedlich erlebten. Bei den Einen brach Goldgräberstimmung aus, bei Anderen, die sich entschlossen hatten, nicht passiv die kommenden Ereignisse abzuwarten, das Gründungsfieber. Hoffnungen machten sich beide Seiten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen und wie bei der Gründerzeit um 1900 gab es Spekulanten und Verlierer. Es kam darauf an, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, Anträge auf Fördermittel zu stellen, beim Arbeitsamt eine Stelle, finanzielle Unterstützung oder eine sinnvolle Umschulung zu erwirken.

Wer sich mehr zutraute, ersuchte bei Geldgebern um einen Existenzgründungskredit, oft ohne kalkuliert zu haben, wie er den später zurückzahlen konnte. Ein El-Dorado auch für zwielichtige Investoren. Der Begriff Heuschrecken wurde damals noch nicht gepflegt, aber das Schwarmverhalten dieser sogenannten Geldgeber war nicht zu übersehen. Mancher hat später teuer für seine Naivität bezahlt. Ein Freund gründete einen Computerladen und zahlte sich und seiner Frau von dem Bankkredit zuallererst ein üppiges Gehalt, ohne bis dahin auch nur einen einzigen Computer verkauft zu haben. Einen anderer kaufte sich einen ehemaligen DDR-Verlag von der Treuhand.

»Wenn meine Frau sich eine neue Küche kauft, kann ich mir auch einen Verlag kaufen.«

In dieser Gründungsphase kamen wir auch zu unserer Konzertagentur, die jahrelang gute Dienste leistete. Neben den Unternehmensgründungen gab es die zahlreichen Vereinsgründungen. Vereinswesen war in der DDR nicht erlaubt gewesen. Man befürchtete, derartige Aktivitäten könnten sich allzuschnell der staatlichen Kontrolle erziehen. Nun brach sich über diese ausgedörrte, gesellschaftliche Ebene eine Gründungswelle von mehr oder weniger sinnstiftenden Vereinen ihre Bahn. Da waren auch wir mit von der Partie und gründeten gemeinsam mit anderen Musikern, einem Anwalt und musikbegeisterten Laien das Internationale Kindermusikzentrum Leipzig, abgekürzt das IKZEL Die bis dahin staatlich geförderte professionelle Musik für Kinder hatte schlagartig keine Lobby mehr. Da wollten wir gegensteuern. Wir organisierten Kompositionsaufträge, Konzerte und Workshops. Bereits im Februar 1991 erfolgte die Eintragung ins Vereinsregister. Unser 1993 entstandenes Projekt Musikalische Vogelkunde passte genau ins Konzept.

Elsterberg

Ich sehe heute die entscheidenden Stunden, in denen alles angefangen hat, immer noch wie eine Momentaufnahme vor mir:

Es ist Februar. Zwei Männer stapfen trotz der tiefhängenden Wolken die Straße mit dem Namen Am Elsterberg bergauf. Die führt zu eben diesem Elsterberg des Erfurter Stadtteils Hochheim. Auf der Höhe biegen sie in einen Weg namens Am Stadtblick ein, der bei schönem Wetter seinem Namen gewiss Ehre macht. Aber die beiden Männer haben für die Stadt dort unten keinen Blick, sondern anderes im Sinn. Die Hände in die Taschen ihrer Jacken vergraben, sind sie in Gedanken und ins Gespräch vertieft Ein Liedermacher und ein Opernsänger, beide jenseits der 30, kennen sich aus Studienzeiten an der Leipziger Musikhochschule. Das liegt gefühlt schon lange zurück. Für dieses Zeitgefühl sorgten nicht zuletzt die rasanten Umbrüche der Nachwendezeit. Wir schreiben das Jahr 1993. Biografien wurden in den letzten drei Jahren in hohem Tempo umgebrochen, ebenso Alltagsgewohnheiten, Lebensgefühle, Sprache und Geografie. Ein Land verschwand und blieb gleichzeitig auf der Landkarte erhalten. Wann hat es das in der Geschichte schon gegeben? Dank den Kräften der Natur lassen sich heute die Umrisse noch erahnen. Doch dazu später. Davon weiß man zum Zeitpunkt dieses denkwürdigen Spaziergangs noch nichts.

Auch die kulturelle Landschaft wurde umgebrochen. Oder soll man sagen umgepflügt?

Die Spaziergänger bleiben an einem frisch gepflügten Acker stehen. Eine Idee treibt sie um. Ein bekannter Kinderliedermacher der DDR hatte seinen Auftritt beim Stadtfest in Chemnitz abgesagt.

»Könnt Ihr Kinderlieder?«, lautete die hastige Anfrage des Veranstalters.

Konnten wir, hatten selbst Kinder und Kinderlieder gab es zu Hauf. Der Auftritt wurde ein Erfolg und damit hätte die Sache zuende sein können. Aber Erfolg hinterlässt Spuren. Nicht selten verlangt er nach Wiederholung, bis er am Ende süchtig macht.

Ich weiß nicht mehr, wer damals zuerst den Gedanken hatte. Warum nicht den Faden aufnehmen und dazu eigene Lieder für Kinder schreiben? In Leipzig gab es seit zwei Jahren einen Verein, der sich der Förderung zeitgenössischer Musik für Kinder widmete. Wir hatten ihn damals mitbegründet. In dessen Archiv lagen zudem weitere Kinderlieder. Stehend an jenem Acker auf dem Elsterberg wird die Idee geboren, Vogellieder zu schreiben. Die grauen Wolken entlassen Schneegriesel und der Wind nimmt zu. Zwei Krähen taumeln in der Luft und suchen ihr Heil in einer kahlen Birke am Rand einer Gartenkolonie. Ihr heiserer Ruf dringt zu uns herüber.

Kein Nachtigallengesang begleitet die Erfindung des Unternehmens Musikalische Vogelkunde.

»Es wird ungemütlich. Wir sollten uns irgendwo reinsetzen«, meint Michael.

In einem Eiscafé in Hochheim wird die Idee weiterbesprochen. Über welche Vögel sollten Lieder gesucht oder geschrieben werden? Und wie sollten sie präsentiert werden? Um Kinder zu begeistern brauchte es mehr als ein Nummernprogramm. Michael hat die zündende Idee: Ein Hotel. Ein Vogelhotel in dem die Vögel der Welt zu einem großen Vogelfest Zimmer bestellen.

Der Hotelbesitzer Herr Storch und sein Hausmusiker, der Vogelliedermacher Herr Specht werden die Gastgeber sein, die für die eintreffenden Arten die passenden Lieder aussuchen. So entsteht das Hotel zum Storchennest.

Noch im Café wird die Liederliste aufgeschrieben; Kinder- und Volkslieder, die es bereits gab und Vogelarten, über die es sich lohnen könnte, ein Lied zu schreiben. Die Ideen purzeln nur so, während draußen Schneeflocken stieben. Wir teilen die Vögel untereinander auf, wie wir es später noch oft tun sollten. Auch wird schnell klar, wer Herr Specht und wer Herr Storch sein wird. Der Hotelbesitzer wird mein Part. In Frage kommende Instrumente wie Gitarre, Keyboard und Flöteninstrumente wurden besprochen.

Auf dem Heimweg nimmt bereits das erste Lied Gestalt an, das uns wie ein Motto über die Jahre begleiten sollte. Als ich wieder nach Hause fahre, habe ich Michael den Text bereits zum Vertonen überlassen.

Heute nehmen sich diese Zeilen etwas programmatisch aus, aber sie waren nicht nur ein Zeugnis des Zeitgeistes, sondern auch unserer ersten Zusammenarbeit:

Alles ist ein bisschen anders, auch wenn du es noch nicht weißt. Sieh den Baum nochmal genau an, hör dem Lied des Vogels zu. Geh durch bunte Wiesen wandern. Welche Blume magst denn du? Keiner kann den Platz uns nennen, wo das Wunder sich versteckt und da, wo wir alles kennen, wird am Ende was entdeckt. Und dann kommt die Zeit, wo du weißt, dass ein Vogel nicht nur Vogel, dass ein Baum nicht nur Baum heißt.

Die Premiere

Es dauerte nicht lange, bis wir das erste Liedprogramm zusammengestellt hatten und nach nur wenigen Telefonaten fand sich bereits ein Veranstaltungsort. In der letzten Aprilwoche war es soweit. Ein kleiner Kulturverein in Lutherstadt Wittenberg suchte Musik für ein Familienkonzert am Nachmittag.

Verglichen mit späteren Konzerten nahm sich der Programmzettel noch bescheiden aus. Eine knappe Stunde kam zusammen. Herr Storch gab, wie nicht anders zu erwarten, das Lied Auf unsrer Wiese gehet was. Außerdem bekamen wir ein interessantes Instrument: die Tempelblocks, fünf hölzerne, runde Klangkörper, deren Schlitz auf der Vorderseite an ein Froschmaul erinnerte. Für diese entstand das Holzlied, das ebenfalls bis heute überdauert hat.

Natürlich fehlte auch die Vogelhochzeit nicht im Programm der wir noch einige Strophen hinzugedichtet hatten. Das Lied Frau Schwalbe ist ne Schwätzerin stammt aus dem 19. Jahrhundert, wie wir aber erst später erfuhren. Der heute fast vergessene Dichter Georg Christian Dieffenbach und der gleichermaßen kaum noch bekannte Komponist und Organist Carl August Kern hatten es geschrieben. Ein Eulenlied und ein Lerchenlied fanden wir im Mittelalter, passten den Text an heutige Verhältnisse an.

Erwähnt werden muss noch Der Schwan, auch wenn der nicht lange überdauert hat. Der in Klosterneuburg lebende Komponist R.T. Crow hatte das Werk auf einen russischen Kinderreim verfasst; nicht wirklich schön und auch nicht ganz ernst gemeint. Während ich es mit seinen schrillen Tonsprüngen zum Besten gab, blies Michael einen Badeschwan auf. Insgesamt war das Programm witzig und unterhaltsam; wäre es denn vor ausreichend großem Publikum in die Welt gekommen.

Als wir mit dem Wartburg vor dem kleinen Gebäude im Schatten der berühmten Schlosskirche hielten, ahnten wir bereits, dass uns nicht hunderte Zuschauer erwarten würden.

Dass es aber nur zwei Mütter mit drei Kleinkindern sein würden, untertraf jede Erwartung. Der sowjetische Dirigent Gennadi Roshdestwenski soll einmal gesagt haben, er spiele ab einem Zuschauer, weil dieser Eine nicht hatte wissen können, dass er der einzige sein würde. Andernfalls wäre er auch nicht gekommen. Auch an diesen Satz sollten wir später gelegentlich denken. Also spielten wir auf der kleinen Bühne des ehemaligen Klubraums vor den dankbaren Frauen und ihren Kindern. Zum Ende der Vorstellung krabbelte das Kleinste auf die Bühne und zog den Stecker aus dem Keyboard. Unsere so schön ausgedachte Idee vom Rollenspiel und dem Hotel ließen wir fallen. Zu abstrakt für so kleine Kinder. Nach vierzig Minuten war der Spaß vorbei. Trotz der Enttäuschung war es ein Erfolg, denn die Mütter waren begeistert und unser Programm hatte seine erste Vorstellung erlebt.

Als wir die Sachen ins Auto geladen hatten, schien die Sonne zwischen den beiden Türmen der Schlosskirche hindurch. Wir hatten Hunger und wollten auf dem Heimweg irgendwo einkehren, uns setzen und das Erlebte auswerten. Bevor wir die Elbe überqueren konnten, mussten wir uns in zwei Staus an Bauampeln einreihen, auch ein Vorgeschmack auf spätere Tourneen. Dann ging es endlich auf der B 2 in Richtung Leipzig.

Kurz vor der Dübener Heide, in dem kleinen Ort Lubast fanden wir einen Heidegasthof. Das warme Aprilwetter erlaubte es draußen zu sitzen. Vor unseren Augen lag ein kleiner See in der Sonne. Die Karte sah gut aus und das Essen war es am Ende auch. Einmal Schlachtplatte und einmal Bratkartoffeln mit Matjes.

Schließlich kam die entscheidende Frage heraus: Was war das eigentlich gewesen? Ein Kinderkonzert? Nein, das Kind hatte den Stecker gezogen, gewissermaßen symbolisch. War alles nur eine dumme Idee gewesen und deshalb ein Flop? Vielleicht war alles nur eine Schnapsidee, vorbei an allem, was die Welt interessierte. Dabei war unsere Veranstaltung sogar in der Zeitung angekündigt worden. Was also tun? Aufhören oder weitermachen?

In meinen vergangenen Berufsjahren hatte ich oft genug erlebt, dass sich über das Eintreffen von Publikum nur vage Voraussagen machen lassen. Gesättigt und innerlich ruhiger geworden beschlossenen wir weiterzumachen. Weitere Lieder mussten her, die Geschichte mit dem Hotel sollte glaubhafter erzählt werden und ein Hotel auf der Bühne sichtbar sein. Ich würde ein kleines Bühnenbild mit einer Rezeption bauen. Die musste zerlegbar sein und ins Auto passen.

Wir fuhren durch die Dübener Heide. Auch hier wieder Bauampeln. 1993. Asphaltarbeiten. Es gab noch viel zu asphaltieren in den neu entstandenen Bundesländern. Neben der Straße sahen wir, wie im Wald die Meiler der Köhler dampften. Hier wurde Holzkohle gewonnen. Davon hatte ich in meinen Jahren in Leipzig nichts mitbekommen. Oder war auch diese Tradition erst wieder nach der Wende auferstanden?

Musikalische Vogelkunde, in Lutherstadt Wittenberg, das war die erste gewesen. Das Holzlied hatte aber schon hier seinen Weg genommen. Michael brachte mich nach Leipzig.

Holz ist, Holz ist, Holz ist wunderbar. Hinten in dem Kinderzimmer Steht das Bauernhaus noch immer und die Wände sind aus Holz. Computerspiel und Legomassen Fernsehen darf ich nicht verpassen, doch mein Bleistift ist aus Holz. Holz ist wunderbar.

Vater baut die Zwischendecke Auch im Bad noch eine Ecke, die verkleidet er mit Holz. Was sind das nur für Gerüche, sägt er Bretter für die Küche riecht es überall nach Holz.

Gestern hab ich im Konzert Einen Zauberton gehört und die Geige war aus Holz. Bratsche, Bass und Cembalo, die Gitarre ebenso. Jedes Instrument aus Holz. Holz klingt wunderbar.

Im Frühling gehn wir durch den Wald, hören, wie es weithin schallt, klopft ein kleiner Specht auf Holz. Fliegt vergnügt von Baum zu Baum, hoch am Stamm, wir sehen ihn kaum, klopft ein Liebeslied auf Holz. Holz ist wunderbar.

Bühnenbild und Dommelton

Wie kann eine zerlegbare Hotelrezeption aussehen, die neben den Instrumenten und der Verstärkeranlage in einen Wartburg passt? So klein wie möglich, so groß wie nötig. Auch das Gewicht musste ich bedenken. Gleich nach der Rückfahrt vom ersten Konzert hatte ich mit dem Zollstock die Innenmaße des Autos genommen. Da blieb nur wenig Spielraum. Natürlich kam vor allem Holz als Baumaterial in Frage. Dachlatten erwiesen sich wieder einmal als praktisch, kostengünstig und jederzeit erneuerbar. Mit Scharnieren würden sich Höhe und Breite halbieren lassen.

Der leere Dachboden unseres maroden Leipziger Mietshauses bot ausreichend Platz für mein Unterfangen. Die Wohnung darunter war leer. Hier konnte ich ungestört sägen und bohren. Während die ersten Sägespäne fielen, begleitete mich das Holzlied: Holz riecht wunderbar. Schon immer kamen mir bei Holzarbeiten gute Gedanken. Die Erinnerungen an unsere kleine Premiere in Wittenberg ließen mich nicht los.

Während ich die ersten Latten der Rezeption zusammenschraubte, wurde mir klar, dass die Hotelgeschichte nur ein Teil des Konzepts sein konnte. Schließlich sollte es nicht nur Kindertheater werden. Vom Fenster meiner Dachwerkstatt hatte ich einen Blick auf den Scherbelberg, einen jener riesigen Trümmerberge wie es sie neben vielen vom Krieg zerstörten Großstädten gibt. Der war inzwischen überwuchert und mit Bäumen überwuchert. Neben dem dahinterliegenden Auwald ein Rest Natur, der dieser durch Industrie geschändeten Landschaft verblieben ist. Mit den Kindern sind wir manchmal hinaufgegangen und haben über die Stadt und das Umland geschaut. Noch vor zehn Jahren war der Aufstieg einmal gesperrt worden, als dort ein Radarposten der Armee stationiert wurde. Nato-Doppelbeschluss. Mittelstreckenraketen in Deutschland. Das letzte Aufflackern des Kalten Krieges. Dann war alles so schnell vorbei gewesen.

Ich habe Leipzigs Kulturlandschaften nie ohne eine gewisse Schwermut erleben können. Meine Kindheit in den Weiten des Mecklenburgischen Landes hatte mich zu stark geprägt.

Als der äußere Rahmen meiner Rezeption stand, schien die sinkende Sonne über den Scherbelberg herein. Am nächsten Tag wollte ich weiterarbeiten. Plötzlich dachte ich an jene Sommerabende, als ich in meinem Kinderbett lag und vom nahegelegenen See einen tiefen Ton hörte, der an das Muhen einer Kuh erinnerte.

»Das ist die Große Rohrdommel«, erklärte mein Vater. »Man nennt sie auch den Moorochsen.«

Er zeigte mir ein Bild von diesem seltsamen Vogel, der ein Lied sang, das aus immer nur einem tiefen Ton bestand. Er lebt im Schilf und richtet sich, wenn er gestört wird, wie ein Pfahl auf, was ihn beinahe unsichtbar machte. Wir haben ihn bei unseren Wanderungen um den See auch niemals entdecken können. Wer kannte diesen Vogel überhaupt? Wie viele Kinder können ihn heute noch hören. Ich ging an mein Klavier und schrieb ein Lied auf, das fast nur auf einem Ton gesungen wird: Dommelton. Die Frage war noch, wie wir diesen urtümlichen Klang instrumental darstellen konnten. Register des Keyboards wie Orgel oder Hornpipe verboten sich von selbst. Ein weiteres Vogellied war entstanden und mit diesem ein neuer Gedanke geboren: Wir sollten nicht nur Lieder vortragen, sondern dabei gleichzeitig Geschichten aus der Natur erzählen, neben den vertrauten Vögeln wie Storch und Specht auch auf ungewöhnliche und seltene Arten aufmerksam machen, auf Probleme des Artenschutzes, Umweltschutzes. Dank der Hilfe von Herrn Storch und Herrn Specht würde es kein Biologieunterricht werden, sondern ein spielerisches Kennenlernen der Natur mit Musik, begleitet durch Mitmachen, Mitsingen, später auch Basteln. Das war es, was zu unserem Konzept noch gefehlt hatte. Zwei Tage später war die Rezeption fertig und leuchtete in der Sonne auf dem Dachboden. Sie war die Nummer eins. Damals ahnte ich nicht, dass sie nach 300 Vorstellungen verschlissen war und noch zwei weitere gebaut werden mussten.

Die Rezeption erinnerte an ein großes Puppentheater. Das Märchenhafte war Absicht, denn das Hotel Zum Storchennest ist ein Märchenhotel. Die Außenträger waren leuchtend rot wie die Beine des Storches, ebenso die Pergola, die sich über dem Tresen befand. Auf dieser saß ein geflochtenes Storchennest. Darin stand ein kleiner Storch, dessen Hals sich nach unten biegen ließ. An diesem hing ein Bleistift. Wenn Herr Storch eine Anmeldung eintrug, schaute das Störchlein zu. Außerdem gab es noch ein urtümliches Telefon und die obligate Rezeptionsklingel.

Michael kam zu einer Probe. Inzwischen hatten wir sogar eine Konzertagentur und über diese eine weitere Veranstaltung bekommen. Bis dahin blieb noch eine Woche Zeit. Diesmal sollte die Sache anders ablaufen. Wir improvisierten kleine Verbindungsdialoge. Ein Satz ergab den nächsten und wir fanden uns langsam in unsere neuen Rollen hinein. Hinzugekommen waren übergroße Postkarten, auf denen die zu besingenden Vögel abgebildet waren, darunter auch die Große Rohrdommel.

Für diesen Vogel hatte Michael das passende Instrument mitgebracht. Seit Jahren war er Mitglied einer Thüringer Folkloregruppe und besaß einen Brummtopf. Dieses urtümlich anmutende Instrument passte wunderbar zu unserer Philosophie Musik und Natur. Es erzeugte zwar nicht genau den Ruf des Voges, passte aber durch seine Urtümlichkeit künstlerisch hervorragend dazu. Auch später verzichteten wir bewusst darauf, Tierstimmen zu imitieren.

Zum Eulenlied vom Armen Käuzlein kleine, das bisher nur mit einer Tonflöte begleitet wurde, gesellte sich die Maultrommel. Und auch eine wassergefüllte Zwitscherflöte kam zum Einsatz. Ich hatte ein fröhliches, russisches Frühlingslied gefunden und einen deutschen Text darauf gemacht.

Frühlingsfest

Schwan, trag den Schnee davon, Kranich bringt den Frühling schon. Frühlingsbrausen hört die Krähe auf den Feldern in der Nähe. Spatzen holen aus dem Speicher schnell noch ein paar Körnchen

Auch Michael hatte ein neues Lied mitgebracht: Die dicke Mathilde. Die Amsel von einem Erfurter Balkon trug tatsächlich diesen Namen und begleitete uns noch viele Jahre. Das Lied hatte sie bestimmt bald überlebt. Sie wurde in den Konzerten ein treuer Freund, vor allem der kleineren Kinder. Auch sie bekam eine Postkarte.

Über unsere Agentur hatte der Naturschutzbund NABU von unserem Projekt erfahren und Interesse gezeigt. Dort kürten sie in jedem Jahr einen Vogel des Jahres. 1993 war das der Flussregenpfeifer. Über den ließ sich allerdings kein Lied herbeizaubern. Auch der Versuch, eine Flussregenpfeife zu kreieren schlug fehl. Eine Postkarte bekam der kleine, unscheinbare Vogel dennoch und auch eine Einladung zum Vogelfest. Mit ihm begann auch eine jahrelange Zusammenarbeit mit dem NABU und bald entstand auch ein Lied für einen Vogel des Jahres.

Das Programm hatte an Umfang gewonnen und wir erprobten den Abbau und das Verstauen des Bühnenbildes im Auto. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gelang es. Wir ahnten bereits, dass wir irgendwann einen Bus oder zumindest ein größeres Auto benötigen würden. Unsere Geschichte der Musikalischen Vogelkunde wurde auch eine Geschichte von Autos und Transporten, von Pannen und Erlebnissen, die Straße und Autobahn für uns bereithielten. So wird es vielen Musikanten auf ihren Tourneen ergangen sein und immer noch ergehen. Davon später mehr.

Die dicke Mathilde

Lieder und Liedermacher

Wieder eine Momentaufnahme:

Michael ist nach der Probe in Leipzig wieder abgefahren. Bis zum nächsten Konzert bleibt noch eine Woche Zeit. Soweit sieht es gut aus und alles ging so schnell. Erst jetzt komme ich ins Nachdenken. Das Tempo der Begeisterung hat meine Gedanken überholt. Im Haus will ich deren Faden nicht folgen, will ihn mit nach draußen nehmen. Laufe in Richtung Scherbelberg, aber ich steige nicht auf den Gipfel des Trümmerhaufens.

Vor dem Hauptweg gibt es einen fast zugewachsen Abzweig, eine Art Saumweg, auf welchem man über einen schmalen Pfad von der Ostseite den Müllberg erklimmen kann. Kaum jemand geht hier entlang.

Ein rostiges Eisenrohr liegt parallel zum Weg. Sieht aus wie ein Kanonenrohr. Hier sitze ich gern um nachzudenken. Von diesem Platz kann ich die Fenster unserer Wohnung und die Lampe auf meinem Schreibtisch sehen. Unterhalb dieser Anhöhe befindet sich eine kleine Kirche, deren Läutewerk im Garten steht. Darin hängen blechern klingelnde Röhrenglocken, die mich an den Feiertagen nerven.

Mir ist längst klar geworden, dass wir mit dem Projekt eine neue Form des Konzerts ausprobieren. Oder ist die gar nicht so neu? Was wollen wir eigentlich sein? Liedermacher? Chansoniers? Als Sänger und zudem Tenor, der aus der Klassik kommt, ist für mich Franz Schubert einer der größten Liedermacher.

Der Schönen Müllerin bin ich schon als Kind durch eine Schallplattenaufnahme begegnet und war damals begeistert, wie eine Geschichte mit Musik erzählt wird; vor allem darüber, welche Rolle ein Bach darin spielt. Habe mir die Texte aus dem Plattencover abgeschrieben.

Auch ich habe zur DDR-Zeit in einem der damals sogenannten Singeclubs der FDJ gesungen und bin der Liedermacherei begegnet, die uns damals zugänglich war. Die Singeclubs wurden von dem politischen Anführer dominiert, dem Berliner Oktoberclub. In meinen Ohren klingt heute noch das fordernde Lied: Sag mir wo du stehst. Das war der damalige erlaubte Mainstream für Liedermacher.

Dem Begriff haftet leider ein Geschmack von Minderwertigem, und Schludrigem an. Machen von Liedern muss nicht immer heißen, dass man auch weiß, was man tut. Am Lagerfeuer sind wunderbare Lieder entstanden. Franz Joseph Degenhardt: Kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen… Oder Hannes Wader mit dem Bellmannlied: Weile an dieser Quelle