Reise nach Rumänien - Frank Rebitschek - E-Book

Reise nach Rumänien E-Book

Frank Rebitschek

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Beschreibung

Das Tagebuch beschreibt eine Bergwanderung über den Kamm des Transfogarasch-Gebirges in Rumänien zur Zeit der kommunistischen Diktatur 1980. Der Autor schildert eine beeindruckende Landschaft im Kontext zu einer von Armut und Korruption geprägten Gesellschaft. Die Begegnung mit den Bergen und der Natur führt bei den drei Freunden während dieser Wanderung zu grundlegende Lebenserfahrungen.

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Seitenzahl: 98

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Für Andi

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

12. August 1980

13. August 1980

14. August 1980

15. August

16. August

17. August 1980

18. August 1980

19. August 1980

Vorwort

Nachdem ich dieses Manuskript vor vierzig Jahren auf einer anstrengenden Bergtour geschrieben hatte, lagerte es in irgendwelchen Kisten, überstand Scheidung, diverse Umzüge und ist auf wundersame Weise nicht verloren gegangen.

Unmittelbar nach meiner Rückkehr aus Rumänien im Sommer 1980 wäre es beinahe tatsächlich verloren gegangen, denn ich hatte es in meinem Gepäck auf dem Weg zum Schwimmbad, las darin und wollte anschließend in unserem Studenten-Café Vis-à-vis noch daran arbeiten. Aber der schusselige Student hatte das Buch in der Straßenbahn liegen gelassen. Weg waren also die Aufzeichnungen und ich befand mich damals in ziemlicher Verzweiflung. Im letzten Moment kam mir die Idee mit dem Fundbüro. Das befand sich nur wenige hundert Meter entfernt vom Schwimmbad. Ich fragte nach und tatsächlich hatte jemand das Buch dort abgegeben. Der Angestellte erklärte mir, dass sie das Buch mit einem Wert von 70 Mark eingeschätzt hatten und ich zehn Prozent Finderlohn zu entrichten hätte. Diese sieben Mark habe ich gern bezahlt und betrachte sie bis heute symbolisch als die erste Wertschätzung meiner schriftstellerischen Tätigkeit.

Was ich damals geschrieben habe, sehe ich heute aus einer großen zeitlichen Distanz und kann erst jetzt ermessen, in was für ein Land wir damals gereist sind. Das ganze Ausmaß der Diktatur begriffen wir 1989, als der Staatschef dieses angeblichen sozialistischen Bruderlandes samt seiner pelztragenden Gattin vor laufender Kamera erschossen wurde. Die Bürgerbewegung rächte sich auf ihre Weise für grausame Unterdrückung und Bevormundung. In der DDR war das vergleichsweise glimpflich abgelaufen. Erich Honecker wurde angeklagt und verstarb später an Krebs.

Michael Gorbatschow übernahm sein Amt friedlich und wurde dann durch einen Putsch entmachtet. Neue oligarchische Strukturen etablierten sich im größten Land der Erde. Die Geschichte Rumäniens geriet aus dem Focus des öffentlichen Interesses. Das Land schien einzig als strategischer Happen für die NATO von Interesse zu sein. Die Mitgliedschaft in der EU nahm man notgedrungen in Kauf. Von da an gestaltete sich das Schicksal des Landes als schwierig. In der Stadt, in der ich heute lebe, kenne ich zahlreiche Rumänen, die ihr Land verlassen haben, weil sie dort keine Lebensperspektive mehr sehen. Dabei handelt es sich sowohl um deutschstämmige Siebenbürger, als auch um romanische Rumänen.

Niemand kennt genau all die Schicksale, die sich seit dreißig Jahren abgespielt haben. Eine Auswandererfrau sagte mir:

»Unsere ganze Familie ist nach Deutschland gekommen und wir alle sind wie die Kaninchen über das ganze Land verteilt in unsere unterirdischen Baue geflüchtet.«

Ich muss hinzufügen, dass ihr Vater ein Dichter war.

Derartig unterirdisch wird sich das für zahlreiche Familien abgespielt haben, vor allem für die Ärmsten, denen ich tagtäglich begegne. Organisierte Bettlerbanden und illegale Billigarbeitskräfte. Ohne Erntehelfer aus Osteuropa würde Deutschland in der Saison ohne Gemüse dastehen. Die Nachrichten aus dem Land zwischen Donau, Karpaten und Schwarzem Meer sind widersprüchlich. Die neueste ist den Umständen geschuldet unter denen ich mein Tagebuch veröffentliche, der Corona-Pandemie. Ich erfahre, dass sich Menschen in Rumänien infolge der Seuche aus den Städten auf das Land zurückziehen um nicht in die Gewalt verantwortungsloser Krankenhausdirektoren zu geraten, die mit staatlicher Gewalt Anspruch auf ihre Blutkonserven erheben oder Hilfeleistungen verweigern, wenn die Patienten nicht zustimmen. Diese Leute bauen sich dort für ihre Familien eine alternative Existenz als Selbstversorger auf.

Vielleicht treiben auch sie eines Tages wieder ihre einzige Kuh im Morgengrauen über die Straße zur Weide.

Wir sind auf unserer Wanderung zu dritt unterwegs gewesen. Wir, das heißt drei Freunde. Heinz, mein Kamerad von der Stube aus der grauen Armeezeit, der bei unseren endlos langen, sehnsuchtsvollen Abenden bei mir gesessen hatte, Bücher mitbrachte über Rumänien und die Kulturgeschichte der Siebenbürger. Und er schwärmte vom Bergwandern. Dort oben könne man sich frei fühlen. Sichfreifühlen war zu dieser Zeit ein besonderes Reizwort. Die Fantasie verstärkte es um ein Vielfaches. Andi, mein langjähriger Schulfreund litt zur gleichen Zeit unter den Zwangszuständen des Militärlebens. Wir tauschten uns mit hunderten von Briefen darüber aus, ohne Rücksicht, ob jemand sie mitlas. Irgendwann floss die Idee einer Bergwanderung durch die rumänischen Karpaten mit ein und schließlich verabredeten und planten wir diese Reise zu dritt für nach der Grauen Zeit. Hoffnung und Sehnsucht bestimmten fortan die Vorbereitungen. 1980 war es dann endlich so weit.

Mein Tagebuch will nicht mehr als ein Zeitdokument sein und keinen Stab über ein eigentlich sehr schönes Land und seine Menschen brechen. Was Bergwandern betrifft, waren wir sehr unerfahren gestartet. Es gab für uns nur wenige erlaubte, interessante und bezahlbare Reiseziele.

Unser Trip hat uns eine gehörige Portion Lebenserfahrung verabreicht, auch wenn ich seitdem den Bergen nicht die Treue halten kann. Man möge es der Flachlandameise verzeihen. Den Text habe ich im Ganzen nicht verändert, allenfalls Fehler korrigiert. Formulierungen wie zigeunerhaft oder ähnliche passte ich nicht einem veränderten Zeitgeist an.

So wurde damals gesprochen und gedacht. Der Leser mag sich selbst seine Meinung bilden.

Stuttgart, August 2020

12. August 1980

Wer mit dem Zug zur heutigen Zeit auf eine lange Reise geht, dem erscheint manchmal selbst ein kleines Land endlos. Man wartet auf die nächste Grenze und immer wieder bremst die Lok und es geht im Schritttempo weiter. Keine Durchsagen, die ein solches Verfahren oder Versagen erklären. So war es jedenfalls damals, 1980. Und wir haben uns nicht sonderlich aufgeregt, waren froh wenigstens in dieser Himmelsrichtung ins Ausland reisen zu können. Eigentlich unbegreiflich, wie jemand bereits einhundert Jahre zuvor die ganze Welt in achtzig Tagen hatte umrunden wolle, zumindest in der Fantasie. Ich liebe ihn immer noch dafür und springe in der Zeit zurück.

Nach 38 Stunden Fahrt in einem Zug voll gnadenlosem Dreck langen wir in einem kleinen Haltepunkt, genannt Media ş in der Frühe an. Uns empfängt ein unfreundlicher Morgen in Rumänien. Kalt und nebelig. Auf den schmalen Bahnsteigen stehen Menschen, die zur Arbeit unterwegs sind, ärmlich gekleidet, manchmal von zigeunerhaftem Aussehen. Eine alte Frau mit Kopftuch und langem Rock läuft barfuß durch den Schlamm und treibt eine Kuh vorwärts. Unser Anschlusszug steht bereit.

Uralte Wagen mit hölzernen, verschrammten Abteilen, als stammten sie noch aus Zeiten des ersten Weltkriegs. Gleichzeitig trifft ein neuer Zug ein und bringt von irgendwoher noch mehr Arbeiter. Alles scheint hier seinen eingespielten Gang zu haben. Wohin sie gehen, lässt sich nicht erkennen, denn die ganze Szenerie versinkt noch einmal in dichtem Morgennebel, der nur hin und wieder durch den grässlichen Schrei einer Lokomotive zerrissen wird. Das klingt nicht wie eine Dampfpfeife und auch wie keine Schiffssirene. Das klingt wie ein gequältes Tier.

Es gibt viele Möglichkeiten in einem fremden Land anzukommen. Man kann mit einem Flugzeug landen oder sich von einem Schiff ans Ufer setzen lassen. Früher brachten auch braune Bretterzüge mit Schiebetüren die Männer ganzer Nationen in andere Länder, obwohl diese es gar nicht wollten.

Gerade hier in den Ländern des Balkans nahmen viele Wege des Krieges ihren Lauf und ihr verhängnisvolles Ende. Aber die Waggons waren noch nicht die, in denen man Menschen nach Auschwitz transportierte.

Wohin wir gereist waren, hieß nach allen Vorbereitungen Siebenbürgen. Wir befanden uns auf den Spuren deutscher Einwanderungs-Kultur und auf der Suche nach einer Landschaft, die in den wenigen Reiseprospekten angepriesen wurde.

Siebenbürgen klingt wie hinter den sieben Bergen und hat natürlich etwas von Schneewittchen. In unser Abteil steigt tatsächlich ein Siebenbürger und der ist hocherfreut auf Deutsche zu treffen, vor allem weil er mit der unverfälschten Sprache Kontakt bekommt. Und dass er dies nötig hat hören wir. Er redet gewählt schnell und mit viel rhetorischer Übertreibung. Darin ähnelt er einem Ausländer, der eine Fremdsprache gut beherrscht und durch gezielten Gebrauch von Redewendungen diesen Eindruck verstärken möchte, nicht ahnend, dass er damit nur das Gegenteil erreicht und beim Zuhörer ein Lächeln hervorruft. Unser Reisebegleiter erzählt uns bereitwillig, dass er Bekannte in Neustadt-Halle, nein in Halle-Neustadt hat und dass er selbst einen Trabbi besäße. Vertraute Worte in ungewohnter Umgebung. Und über die Aussiedlung der Deutschen im 17. Jahrhundert erzählt er. Sachsen waren es, erläutert er. Heute hätte beinahe jedes Dorf seinen eigenen deutschen Dialekt und alle hoffen darauf, ihre Sprache zu erhalten. Sie sehen es auch nicht gern, wenn sich Deutsche mit Rumänen vermischen. Es gibt auch deutsche Schulen.

Aber auch die Zahl derjenigen die in die BRD und die DDR auswandern ist sehr groß. Das Los einer nationalen Minderheit.

Wir erzählen ihm von unserer geplanten Bergtour, den Hauptkamm des Transfặgặraş von West nach Ost zu überwinden. Er nickt anerkennend mit dem Kopf.

»Und das schafft ihr? Da muss man schon gut ausgerüstet sein. Ich traue mir das nicht zu. Bevorzuge lieber die Randgebiete.«

Wir stimmen ihm zu und bereiten uns aufs Aussteigen vor, denn Copşa Micặ der nächste Umsteigebahnhof naht. Er hilft uns noch, die dicken Rucksäcke durch das Fenster zu reichen. Auf dem Bahnsteig wird Andi von einem jungen Zigeuner angesprochen, der einen unendlich dreckigen Anorak und einen ausgefransten Strohhut trägt und ihm einen goldenen Ring verkaufen will, der natürlich so echt ist, dass er ihn in einem schmutzigen Taschentuch aufbewahrt. Wir können ihn gerade noch abwimmeln. Unser Mitreisender winkt uns aus dem Fenster zu und ruft.

»Lasst euch nicht unterkriegen, Jungs! «

Nach einer weiteren Stunde Bahnfahrt treffen wir in Sibiu ein, auch Hermannstadt, wie die Siebenbürger sagen. Auf dem Bahnhof das gleiche Geschrei der Lokomotiven. Es ist neun Uhr und wir wollen uns so schnell wie möglich zu einer Geldwechselstelle durchfragen, um unsere Schecks einzulösen und damit endlich diese Lei in der Hand zu haben.

Wir können alle zusammen trotz meiner vorbereitenden Sprachanstrengungen so gut wie kein Rumänisch. Warum eigentlich nicht? Das fragen wir uns ziemlich spät. Vielleicht war es die Hoffnung auf die hier lebenden Deutschen. Oder es war nur Bequemlichkeit. Ich hatte mir immerhin an der Martin-Luther-Universität in Halle Mühe gegeben, hatte Romanistik und Slawistik belegt.

Und in der Sektion Romanistik, zu der natürlich auch Rumänisch gehörte, war ich leider der einzige Student, der sich für diese Sprache interessierte. Dr. Silcher, der Professor, Herausgeber des einzigen Rumänisch-Lehrbuchs der DDR, gab sich mit mir alle Mühe und schloss seinen Unterricht mit der Bemerkung ab:

»Viel Glück. Es gibt keine echten Rumänen. Alle sind in anderen Sprachen und Kulturen verwurzelt.«

Das klang fast wie der Ruf des Mannes aus dem Zugfenster. Nun waren wir dort gelandet. Dank des Professors konnte ich mich in der Landessprache zur Wechselstelle durchfragen und wir bekamen unsere Lei.

Der Charakter der Stadt hat durchaus etwas Orientalisches. Hell getünchte Häuser, schmale Straßen, dazwischen drängen einige Neubauten hervor, wirken wie das Kaufhaus oder das Hotel unpassend. Nach dem Geldumtausch gehen wir auf den Markt, essen Würste und trinken Bier, das recht gut schmeckt.

Wir packen uns noch Paprikaschoten und Mohrrüben ein und fahren mit dem Bus dann zum Bahnhof zurück. Hier schreiben wir noch schnell Karten und schicken sie ab. Um zwölf Uhr wollen wir mit dem Bus in die Berge fahren, haben aber vergessen, dass zu unserer heimatlichen Sommerzeit hier noch eine Stunde Zeitverschiebung hinzukommt. Also hilft hier wieder nur der Zug, ein ratternder Triebwagen, der uns schließlich bis 15.00 Uhr nach Turnu Roşu bringt. Während der Fahrt sehen wir rechts und links gewaltige Berge emporwachsen. So unwahrscheinlich hoch, dass uns leise Zweifel bedrängen, ob wir es auch schaffen werden, da hinaufzuklettern.

Als der Zug hält, wissen wir, dass von jetzt an nur noch unsere Füße entscheiden, ob wir vorwärtskommen oder nicht. Turnu Roşu kann man ein romantisches Bergdorf nennen; im Sonnenschein liegend.

Ein kleiner Kirchturm schaut hervor, hat sich am Hang festgesetzt. In jeder Straße gibt es einen Brunnen. Wir wollen echtes Brunnenwasser probieren.