Die Bauernkrieger - Frank Rebitschek - E-Book

Die Bauernkrieger E-Book

Frank Rebitschek

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Beschreibung

"Die Bauernkrieger", so nennen sich militante Umweltschützer, die angeblich im Auftrag der Erdengöttin Gaia grausame Verbrechen im Kyffhäuserkreis begehen. Si eifern einer kalifornischen Terrororganisation nach, doch der wahre Hintergrund ihrer Taten reicht in eine Zeit von vor 1989 zurück. Ist das Leben des Kommissars Helmut Bauch tatsächlich darin verwickelt? Die Lösung des Rätsels verbirgt sich im Monumentalgemälde "Bauernkriegspanorama" auf dem Schlachtberg bei Bad Frankenhausen.

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Alle im Buch auftretenden Figuren sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit tatsächlich existierenden Personen

sind rein zufälliger Natur.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Das Haus des Kommissars

Der Schwur

Sägewerk

Der Tote im Wald

Heckendorf

Biogas

Polizeidirektor Kurz

Kollege Fang

Rechtsmedizin Jena

Der Anruf

Kerstin

Der Frosch

Der Chronist

Pferdequäler

Der Jockey

Abendliche Besprechung

Das Teleskop

Hütehund

Das Kühlhaus

Der Konflikt

Käthe Gürtler

Altenburg

Heimfahrt

Der Pakt

Kriminalrat Koll

Der Plan

Das Auto

Café Bauchgefühl

Das Interview

Die Baustelle

Panorama

Die Falle

Die Bauernkrieger

Lagebesprechung

Simson-Susi

Die Sendung

Letzte Besprechung

Schutzweste

Vollmond

Das Museum

Danksagungen

Nachwort

Prolog

August im Kyffhäuserland Solch einen trockenen und heißen Sommer hatte das Land zwischen dem Kyffhäusergebirge und den Weinbergen an der Unstrut noch nicht erlebt. So weit das Auge reichte, kaum eine einzige grüne Fläche im weiten Tal. Nur schmale Baumstreifen und Hecken und Baumreihen zerteilten das bleiche Land. Die Bäche trockneten aus. Nur die Unstrut, die Helme und der Flutkanal führten noch ausreichend Wasser.

Auf der westlichen Seite überragte das mächtige Kyffhäuserdenkmal auf den Ruinen der alten Reichsburg Kyffhausen die Höhen und den Wald. Unweit davon leuchtete auch das gewaltige Rondell des Bauernkriegspanoramas in die Landschaft das im Innern das Monumentalgemälde des Leipziger Malers Werner Tübke umgab.

Auf der östlichen Seite, wo die Arche Nebra die berühmte Himmelsscheibe beherbergte, wand sich der Fluss nach Nordosten, umschlang die Höhe des Wendelsteins mit seiner darauf hockenden alten Burg, um danach in weitem Bogen nach Süden bei Naumburg die Saale zu erreichen, vorbei an den steilen Weinbergen deren Weine seit Jahrhunderten der Unstrut ihren Namen gab. Der Wein wird in diesem Jahr das einzige Gewächs sein, dem der Sommer weniger ausmacht.

Das Wort Sommer traf auf die Wetterlage längst nicht mehr zu.

In den Medien sprach man von einer anhaltenden Dürreperiode. Ende März war der letzte ergiebige Regen gefallen. Seitdem trocknete das Land Woche für Woche stärker aus. Schon bald wurde allen Bauern klar, dass eine Missernte bevorstand. Das Getreide wuchs zu langsam. Der Mais erreichte nur die Hälfte seiner gewöhnlichen Höhe. Noch im Juli hatte man über die Pflanzen hinwegschauen können. In ihrer Not begannen die Bauern mit einer vorzeitigen Ernte, um das einzubringen, was noch zu retten war.

Selbst die genügsamen Schafe fanden kaum noch Futter. Bauer Willert hatte seine Tiere in einem Gatter untergebracht. Warum sollten die draußen herumlaufen? Er kaufte aus der Umgebung Reste des notgeernteten Getreides und Heu an und warf es den Tieren vor. Darin gab es einige wenige verborgene Körner. Die Schafe fanden sie nicht so schnell wie die Mäuse. Schnell kamen die aus verborgenen Löchern hervor und rochen die unerwartete Speise. Vor den Schnauzen der Schafe flitzten sie hin und her.

Heimlich hatte sich ein anderer hungriger Gast eingefunden, der Graureiher. Aus der Höhe hatte er die kleinen Nager entdeckt und war im Gatter gelandet. Gerade konnte einer von ihnen in ein Loch neben den Fußspuren der Schafe schlüpfen. Der Reiher hob enttäuscht den Kopf und öffnete den Schnabel. Auch ihm machte die Hitze zu schaffen.

Schwere Trägheit beherrschte Land und Tiere. Unter den verrosteten Zinken einer alten Pferdeharke döste ein großer Hund.

Der weiße, dick bepelzte Wächter des Hofes erspähte den Reiher und sofort war seine Jagdlust geweckt. Eigentlich diente er hier als Herdenschutzhund, ausgebildet um die Schafe vor Wölfen zu schützen. Bisher waren keine Wölfe aufgetaucht. Aber ein grauer Reiher hatte auf dem Gelände genauso wenig zu suchen. Der Hund sprang auf und stürzte sich auf den Vogel. Seine mächtigen Kiefer gruben sich in dessen Flügel und zerrissen die Sehnen. Der Reiher schrie laut und der Hund hätte ihm im nächsten Moment den Garaus gemacht, wenn nicht der Bauer ins Gatter getreten wäre. Er rief den Hund zurück.

»Muchtar, lass los! Das ist kein Wolf, du blödes Vieh.«

Er stürzte hinzu. Mit Mühe gelang es ihm, den Vogel zu befreien. Die Schafe waren entsetzt auseinandergestoben. Vorsichtig trug der Bauer den kraftlosen und geschockten Vogel zum Haus. Er überlegte, was er mit dem Tier anfangen sollte. War der überhaupt noch zu retten? Zwei Jahre zuvor hätte er nicht gezögert. Reiherbrust soll früher eine Delikatesse gewesen sein. Das kam jetzt nicht mehr in Frage. Seit seine Frau und er den Hof biologisch führten und sich auch für eine vegetarische Ernährung entschieden hatten, war Fleisch obsolet.

Den nächsten Schritt zur veganen Ernährung hatte er allerdings abgelehnt. Auf sein Frühstücksei wollte er nicht verzichten.

Nun war der Reiher buchstäblich bei ihm gelandet und er brachte ihn in die Scheune.

In einem kleinen Verschlag für frisch geborene Lämmer bereitete er ihm ein Lager aus Heu. Der Vogel lag auf der Seite und hatte nicht mehr die Kraft, mit seinem spitzen Schnabel nach dem Bauern zu hacken. Heute noch wollte er den Tierarzt anrufen. Vielleicht kriegte der ihn ja wieder hin.

Bauer Willert hatte sich entschieden, seinen Hof im Sinne des Tierwohls zu bewirtschaften. Schafe, Gänse, freilaufende Hühner, ein Truthahn.

Die Haupteinnahmequelle bildeten allerdings hochmoderne Landmaschinen auf seinem Hof. Traktoren mit GPS, die auf den Feldern zentimetergenau die Furchen ziehen konnten, kaum dass der Traktorist eine Hand rühren musste. Die vermietete er und stellte sie auch seinem Bruder zur Verfügung. Der betrieb in Heckendorf eine Biogasanlage und benötigte gehäckseltes Material als Energiebasis. Beide arbeiteten sie seit Jahren einigermaßen erfolgreich

Das Haus des Kommissars

Es war kein großes Haus, das sich Polizeihauptkommissar Helmut Bauch vor wenigen Jahren gekauft hatte; zwei Stockwerke, eine Garage und hintendran ein kleiner Garten. Nur wenige Quadratmeter, umgeben von Mauerwerk und der Rückwand des Schuppens vom Nachbargrundstück. Es stand im Innenstadtkern von Roßleben unweit der Unstrut. Der Kauf des Hauses bedeutete für ihn eine schicksalhafte Entscheidung, die einer Befreiung glich. Als seine Frau gestorben war, hatte er das großelterliche Haus in Sömmerda verkauft und war hierher zurückgegangen. Dort wollte er nicht bleiben und damit auch Erinnerungen an seinen Vater zurücklassen, mit dem ihn schon lange nichts mehr verbunden hatte.

Hier in der Nähe des Flusses war er geboren worden und hatte seine ersten Schuljahre verbracht. Hier hatten sie als Kinder im Park gespielt, im Fluss geangelt und waren in kalten Wintern darauf Schlittschuh gelaufen. Und deshalb wollte er an diesem Ort auch seine letzten Lebensjahre verbringen, wenn die Dienstzeit an der Landespolizeiinspektion in Nordhausen endete.

»Helmut, in diesem Bett nicht mehr lange. Wenn du das Ding behalten willst, triffst du meinen Körper in Zukunft in Berlin. Mir tut jeder Knochen einzeln weh. Was hast du überhaupt für eine Matratze?«

Er hockte schuldbewusst wie ein Schuljunge am Kopfende des Bettes, während Evelyn im Schein der Sonne am Erker ihre allmorgendliche Gymnastik machte.

»Nichts Besonderes. Spiralboden eben.«

»Wie bitte?«

Sie sprang aus der Kniebeuge hoch.

»So ein Ding aus Vorzeiten etwa?«

»Aus DDR-Zeiten eben.«

»Darauf hast du vermutlich schon mit deiner Frau gelegen.«

»Das ist schon lange her und danach war außer dir niemand hier. Also kein Grund auf eine Matratze eifersüchtig zu sein. Mich hat sie noch nie gestört.«

»Auch nicht das Gequietsche? Ich bitte dich, schmeiß das Ding raus.«

»Versprochen. Ich schmeiße noch mehr. Ich schmeiße die Maschinen wieder an.«

Evelyn kam zu ihm und setzte sich auf die Bettkante. Sie streichelte über seine Knie.

»Lieber Helmut, übernimm dich nicht. Du musst mir nichts beweisen. Jedenfalls nicht mit Aktionismus. Plötzlich brach er in ein herzhaftes Lachen aus, so dass sie erschrocken ihre Hand zurückzog.

»Ich dusche jetzt. Dann frühstücken wir und anschließend gehe ich in den Keller und mache die Maschinen klar.

Ich habe dir erzählt, dass PHK Helmut Bauch früher in seiner Freizeit geschreinert hat.

Erinnere dich an die Wiege, die ich im vergangenen Jahr für das Kind meiner Tochter gemacht habe, das letzte Produkt aus meiner Werkstatt.«

»Die war sehr schön. Und jetzt willst du wieder mit der Schreinerei anfangen?«

»Will ich.«

»Und ich ahne hoffentlich das Richtige.«

»Ein Bett für uns. Du sagst mir, wie du es dir vorstellst. Ich habe Rufbereitschaft und kann drei Tage zu Hause sein. Ein neuer Kollege schiebt in Nordhausen Dienst. Wenn keine Leiche ins Haus steht, gehört die Zeit uns. Ich schlage vor, wir unternehmen heute einen Ausflug ins Sägewerk nach Greußen. Dort bekam ich in all den Jahren immer sehr gutes Holz.«

Beim Frühstück klappte Evelyn ihren Laptop auf und schaute im Internet verschiedene Bettgestelle an.

»Ein Himmelbett aber nicht«, meinte er nach einem Blick über ihre Schulter. »Dafür ist der Raum zu niedrig und ich kriege Platzangst. Das ist gar nicht förderlich.«

Schließlich hatte Evelyn eine Idee.

»Die Form stelle ich mir schlicht vor. Aber wenn es möglich ist, bringe ähnliche Schnitzereien an, wie bei der Wiege für deine Tochter.«

Er versprach es und schmunzelte.

»Aber um die Matratze kümmere ich mich. Und auch um den Garten.«

Genervt verzog er das Gesicht.

»Es gibt keinen Garten.«

»Weil du ihn hast verkommen lassen.«

»Nicht ich. Der sah schon so aus, als ich das Haus gekauft habe. Auf die paar Quadratmeter mit dem Bretterzaun kann ich verzichten.«

»Du vielleicht, aber ich nicht. Aus den paar Quadratmetern lässt sich durchaus etwas machen.«

»Wie auch immer. Ich weiß aber nicht, ob das noch Sinn ergibt. Auf dem Nachbargrundstück haben sie eine Grube für das Fundament eines Krans ausgehoben und Armierungen eingezogen. Das bedeutet, sie wollen dort bauen. Weiß ich, wie hoch das Gebäude wird? Am Ende schauen die Leute uns dann in den Garten.«

»Das ist noch nicht erwiesen. Warten wir es ab.«

»Wie auch immer. Ich gehe dann mal in den Keller.«

Irgendwie ging ihm das alles zu schnell. Wollte Evelyn am Ende ganz bei ihm einziehen. Sie konnte doch unmöglich ihre prächtige Bürgerwohnung in Charlottenburg für diese Hütte aufgeben wollen. Außerdem hatte sie noch ihre spannende Arbeit als Fotografin bei den Berliner Museen.

Seit einem halben Jahr dauerte ihre Beziehung an und er musste zugeben, dass sie ihm guttat.

Sie hatten sich nicht jede Woche sehen können, manchmal nur einmal im Monat. Aber ihre gemeinsamen Stunden genossen sie beide. Bis jetzt hatte er das Gefühl, es könne immer so weitergehen. Ist wohl dem Alter angemessen, hatte er für sich entschieden.

Aber nun kamen zwei neue Dinge ins Spiel.

Ein neues gemeinsames Bett und dieser verdammte Garten, von Bretterzäunen und Mauerwerk umgeben. Efeu und Brennnesseln regierten zwischen alten Autoreifen und einer verrosteten Hollywood-Schaukel. Nach dem ersten Blick auf das Chaos hatte er die Tür sofort wieder zugeschlagen. Ein Kommissar hat keine Zeit für Gemüsebeete. Seine Eltern hatten auch nie einen Garten besessen. Wozu das ändern? Aber wenn es Evelyn Freude bereitet. Dann muss eben eine Entrümpelungsfirma bestellt werden. Die Baustelle nebenan ließ ihm allerdings keine Ruhe.

Der Schwur

Sondershausen, 15. August Der Mond stand hoch und Mitternacht nahte. Sie waren fünf. Jeder von ihnen war mit dem Motorrad gekommen. Vier Männer und eine Frau. Ihre Maschinen hatten sie einen halben Kilometer vom vereinbarten Treffpunkt abgestellt; jede auf einem anderen Platz. Den letzten Weg gingen sie zu Fuß. Fünfhundert Jahre zuvor wären sie zu Pferde gekommen und hätten vielleicht ähnlich ausgesehen in ihrer schwarzen Kleidung. Sie schritten, als würden sie einander nicht kennen; jeder für sich und langsam. Einzig das Ziel einte sie: das Rondell auf dem höchsten Punkt der Hainleite. Dort ragte eine Stele aus Sandstein auf, ein Kriegerdenkmal, symbolisiert durch einen riesigen Schwertträger in der Mitte eines Karrees, denn das Rondell war nicht rund, wie der Name vermuten ließ. Vielleicht war es früher einmal rund gewesen.

Heute bildete es ein Quadrat mit einer kniehohen Sandsteinkante, die, wenn man vor ihr stand, den Blick über das Tal auf die Stadt und bis zum Harz freigab.

Ein fantastischer Aussichtspunkt, der tagsüber Besucher anzog. Doch daran hatten die nächtlichen Besucher kein Interesse. Oben angekommen stellten sie sich an den Rand und schauten über die Ebene. Über der Stadt hing die orangefarbene, runde Scheibe des Vollmonds.

Obwohl es kurz vor Mitternacht war, wehte vom Tal immer noch ein warmer Lufthauch herauf. Vier schwarzgekleidete Gestalten mit Kapuzen hatten ihre Position eingenommen. Die fünfte schritt den Platz ab, ging von Stamm zu Stamm der umliegenden Buchen und blieb dann vor der Stele mit dem Krieger stehen. Alle verharrten, bis unten in der Stadt eine Kirchenglocke zwölfmal schlug. Nach dem letzten Schlag drehten sie sich wie auf Kommando um und begaben sich in die Mitte. Sie bildeten ein Quadrat. Durch ihre Kapuzen erinnerte die Szenerie an die Zusammenkunft von Mönchen.

Der in der Mitte Stehende hub zu einer Rede an.

»Große Mutter Gaia, Mutter der Erde! Deine Krieger sind versammelt am heiligen Ort um dir zu dienen. Wir haben den Schrei deines Schmerzes gehört und sind bereit zum Kampf. Die Menschen quälen dich bis aufs Blut und werden mit ihrem Blut dafür bezahlen. Das Land verdorrt. Die Tiere schreien.

Die Luft wird schwer im Dunst von Abgasen und entschwindet ins All. Die Wälder brennen und das Meer verkommt im Schmutz der Abfälle. Aber du bist nicht allein. Wir werden für dich den Kampf aufnehmen. Das ist unser Schwur.«

»Den Kampf aufnehmen«, murmelten die vier anderen im Chor.

»Liebe Brüder, liebe Schwester. Lasst uns den Schwur erneuern und zur Tat schreiten. Undecima, die Elf soll unser Zeichen sein, die heilige Zahl.

Mit unserem Blut wollen wir den Schwur besiegeln und unserer heiligen Mutter Erde den höchsten Dienst erweisen.«

Er zog ein Schwert aus seinem Mantel und die anderen ein Messer. Der Anführer ritzte mit der Klinge seinen Unterarm und sie taten es ihm nach. Fünffach trat das Blut hervor und tropfte auf den Stahl. Dann traten sie zusammen und vereinten ihr Blut mit dem auf dem Schwert des Anführers. Als der Vorgang vollzogen war, ging der Schwertträger zu einer Buche mit einem schmalen Spalt über dem Erdboden. Er stieß sein Schwert hinein, das sofort im Innern verschwand und verschloss die Öffnung mit Laub und Moos.

»Es ist vollbracht. Lasst uns nun singen.«

Sie gingen wieder an den Rand und wandten sich dem Tal zu. Leise stieg ein Gesang in die Nacht.

Wir sind Gaias schwarzer Haufen.

Heia, Oho!

Wir wollen mit den Sündern raufen.

Heia, Oho!

Fahr voran, drauf und dran!

Setz aufs Autohaus den roten Hahn!

So wie sie gekommen waren gingen sie, jeder für sich, zu den Motorrädern, deren Geräusch bald in der Nacht über Sondershausen verhallte. Eine kleine weiße Wolke schob sich vor die Scheibe des Vollmonds.

Sägewerk

17. August

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als sie hinter Wiehe die Serpentinen zum Kamm der Hohen Schrecke hinauffuhren.

»Deine Klimaanlage leistet nicht gerade viel«, meinte Evelyne.

»Das Auto ist neun Jahre alt. Werde wohl bald ein neues kaufen müssen. Der Verbrauch steigt schneller als die Spritpreise.«

Sie fuhren hinter einer Schlange von LKW durch Greußen und dann bergauf aus dem Ort hinaus.

»Das wird immer schlimmer. Die Trucker umgehen auf der B 4 die Autobahn um Maut zu sparen und die Städte ersticken in Lärm und Abgasen.«

»Aber dafür seid ihr Polizisten doch zuständig.«

»Wie sollen wir das mit so wenig Personal in den Griff bekommen?«

Sie hatten die Anhöhe erreicht und bogen ab. Bauch zeigte auf ein modernes Gebäude neben der Straße.

»Das ist der Nachfolger von der einstigen berühmten Greußener Salamifabrik. Inzwischen kommen sogar Leute aus dem Schwarzwald hierher, um sich mit Salami einzudecken.«

»Warst du mal im Schwarzwald?«

»Wann hätte ich das machen sollen? Mit meiner jahrelang kranken Frau und meinem Dienstplan fand sich keine Zeit für weite Reisen.«

»Dort gibt es auch reichlich Holz und vor allem Möbel. Erzähle ich dir später einmal.«

Sie rollten auf den Hof des Sägewerks.

»Aus meiner Kindheit habe ich ein Sägewerk noch ganz anders in Erinnerung. Glasbausteine, Spinnweben voller Sägemehl davor. Stattdessen sieht es hier fast wie auf einer Messe aus. Ein moderner Industriebetrieb. Sie haben sogar einen Showroom.«

Ein Mann mit kurz gehaltenem, grauem Bart hielt die Hände in den Taschen seiner beigen Latzhose. Eine Brille hatte er hoch auf seine spärlichen Haare geschoben.

»Schau an, der Herr Kommissar. Lange nicht gesehen. Ich hoffe, die Wiege ist Ihnen gelungen. Was steht heute an?«

»Guten Tag, Herr Grundel.«

Bauch stellte Evelyne vor.

»In der Wiege liegt jetzt ein kleiner Junge. Ich will diesmal ein größeres Bett bauen und benötige dazu etwas Einheimisches. Kiefer nicht, Fichte sowieso nicht; eventuell Eiche.

»Gehen wir doch ins Lager.«

Bauch erklärte seine Vorstellungen. Meister Grundel runzelte die Stirn und blinzelte in die Sonne, die durch die großen Fensterscheiben hereinfiel

»Eiche? Wenn Sie einen Sarg brauchen. Da liegen ein paar gute Stämme.«

Er blickte fragend zu Evelyne. Die lächelte und meinte:

»Es geht um ein Bett für die Gegenwart und wenn alles gut geht für die Zukunft. Eiche fände ich auch unpassend.«

Grundel winkte sie in den hinteren Teil der Halle.

»Mein Vorschlag: Erle. Liegt seit neuestem total im Trend und ist garantiert einheimisch. Würde ein sehr schönes Bett ergeben.«

Bauch gefiel der Vorschlag. Die Erle als wassernaher Baum passte gut zur Unstrut. Evelyne war einverstanden. Bauch nahm sein Notizbuch heraus und diktierte dem Meister die erforderlichen Maße. Plötzlich klingelte das Telefon.

»Wer ist da bitte?«

Angestrengt lauschte er hinter einem Bretterstapel und sein Gesicht verfinsterte sich.

»Ich erinnere mich. Meine Sekretärin hatte Sie mir angekündigt. Ich komme sofort. In einer Viertelstunde kann ich dort sein. Nein, ich fliege nicht. Bin ganz zufällig in der Nähe.«

Eilig kam er zurück:

»Meister Grundel, Sie haben alle Angaben. Für weitere Fragen lassen Sie uns telefonieren. Ich muss dringend los. Dienst ist Dienst.«

Beinahe hätte er Evelyne vergessen, die ihn mit ernstem Gesicht beobachtete.

»Es tut mir leid. Lass uns zum Auto gehen. Wir haben einen neuen Kollegen in der Dienststelle. Weil Volker Spiegel noch im Urlaub ist hat der Chef ihn zum Tatort geschickt. Ich selbst habe ihn noch gar nicht kennengelernt.«

Er berichtete, dass in einem nahegelegenen Waldstück eine Leiche gefunden worden sei.

»So ist das manchmal. Jantzen und die Kollegen aus Sondershausen sind ebenfalls vor Ort. Ich fahre jetzt hin und verschaffe mir einen Überblick. Danach bringe ich dich nach Hause oder an den Bus. Jedenfalls haben wir heute den Anfang für unser Bett gemacht.«

Sie sah, wie er sich mühsam ein Lächeln abrang. So nahe war sie seiner Arbeit noch nie gekommen und der Gedanke, ihn an einen Tatort zu begleiten, gefiel ihr gar nicht. Aber sie wollte ihn auch nicht allein lassen und an irgendeiner Bushaltestelle warten.

»Dann lass uns losfahren. Ich werde mir die Zeit schon vertreiben und dich nicht bei der Arbeit stören.«

Mit Vollgas fuhr Bauch wieder zur B 4 zurück und sah erneut die LKW-Schlange. Er setzte das Sondersignal aufs Dach.

»Evi, ab jetzt sitzt du in einem Polizeiauto.«

Die Fernfahrer konnten auf der zweispurigen Straße nicht viel tun; erst an der Tankstelle ließ ihn der Gegenverkehr durch. In der Stadt verstopfte sich die Straße erneut.

»Wir umgehen das und fahren am Bahnhof entlang. Da siehst du gleich noch eine Greußener Sehenswürdigkeit. Das da.«

Er zeigte auf ein großes Gebäude hinter den Bahngleisen.

»Die Ruine?«

»Müsste eigentlich zum Industriedenkmal erklärt werden: die ehemalige Schokoladenfabrik. Dort hat meine Großtante Emilie noch bis in die ersten Kriegsjahre Kola-Schokolade für die Ostfront hergestellt. Erzähle ich dir später mal. Wir sollten jetzt bald da sein.«

Der Tote im Wald

17. August

Unweit von Wasserthaleben hatte sich ein Mann im Wald erschossen. Er war von einem Förster gefunden worden. Jantzens Wegbeschreibung führte von Greußen in Richtung Wasserthaleben. An einem Bahnübergang bogen sie nach links ab in die Wiesen und erreichten ein großes Wehr, von dem drei Flussläufe talwärts abzweigten. Ein Beamter neben einem Einsatzfahrzeug zeigte in das Waldstück. Als Bauch die Absperrbänder sah, hielt er an.

»Evi, ich bitte dich hier auszusteigen. Ich möchte nicht, dass du dir einen Tatort anschauen musst. Das meine ich grundsätzlich; so lange wir zusammen sind. Es geht nicht darum, ob dort ein schrecklicher oder weniger schrecklicher Anblick wartet. Ein schöner ist es nie. Ich will diese Welt von unserer fernhalten.«

»Rede nicht weiter. Ich habe dich längst verstanden. Wie lange brauchst du?«

»Ich gebe dir so schnell es geht Bescheid.«

Evelyne schaute sich um.

»Da vorn am Wehr sehe ich eine Bank. Ich habe was zum Lesen dabei. Außerdem sehe ich hier überall Blaubeeren.«

Er stapfte durchs Unterholz zum Tatort. Dort befanden sich bereits zwei Kollegen aus Sondershausen, Ralf Jantzen und Roland Klabund von der Nordhäuser Spurensicherung. Hinter einem Baum ragte der Fuß eines Mannes hervor.

Unweit davon saß ein Forstmann auf einem Baumstumpf. Sein brauner Jagdhund hechelte in der Hitze. Daneben stand ein Japaner oder Chinese und unterhielt sich mit ihm. Er trug eine grüne Weste und eine Leinenhose mit Beintaschen. Womöglich gehörte der auch zu den Waldarbeitern. Die Chinesen kümmern sich jetzt schon um unsere Wälder.

Ein großer, weißblonder Beamter kam auf Bauch zu und stellte sich vor:

»Ich bin Kommissar Kohlmeier von der Dienststelle Nordhausen. Kollege Bauch? Schön Sie mal persönlich kennenzulernen. Man hat im vergangenen Jahr viel von Ihnen gehört.«

»Wie auch immer.«

»Man sagte mir, Sie waren zufällig in der Nähe.«

»Neuerdings bin ich immer gerade dann in der Nähe, wenn ein Verbrechen entdeckt wird. Wenn das so weitergeht, gehöre ich eines Tages zum Kreis der Tatverdächtigen. Was haben wir?«

»Ein Jäger, der sich offensichtlich mit seiner Flinte erschossen hat.

Forstmeister Beyer hat ihn gefunden und kennt ihn. Der Mann heißt Holger Strauß und sucht häufiger dieses Revier auf. Außerdem hatte er Ausweis und Führerschein bei sich.«

In diesem Moment trat der grün gekleidete Mann dazu.

»Kommissar Bauch? Ich hatte Sie angerufen. Polizeihauptmeister Fang. Ich gehöre seit zwei Tagen zur Landespolizeiinspektion. Wir hatten noch keine Gelegenheit uns kennenzulernen.«

Bauch reichte dem jungen Mann die Hand.

An das asiatische Gesicht muss ich mich erst noch gewöhnen, dachte er. Jedenfalls spricht er akzentfreies Deutsch.

»Die Gelegenheit ist nun da, Herr Kollege. Eine Leiche ist der beste Start für eine erfolgreiche Zusammenarbeit in der Mordkommission. Willkommen im Team.«

Der Tote lag neben einer mächtigen Buche. Aus einer großen Bauchöffnung und aus einem Loch am Rücken war Blut gequollen und bereits geronnen. Der Tod musste bereits vor mehreren Stunden eingetreten sein. Fliegen schwirrten in der Sonne umher.

Kohlmeier erklärte die Auffindungssituation näher.

»Das Jagdgewehr wurde mit Hilfe einer Astgabel ausgelöst. Der Mann hatte sie auf den Abzug gesetzt und seinen Fuß daraufgestellt, um so den Abzug zu betätigen. Diese Hilfskonstruktion hatte er aus dem Gebüsch geholt und zurechtgeschnitzt.

Damit hat er einen ziemlich großen Aufwand betrieben, aber er wollte offenbar auf Nummer sicher gehen.«

»Oder der hatte Angst davor, sich den Lauf in den Mund zu stecken, wie wir es von anderen Suiziden kennen«, meinte Kollege Fang.

Wie viele davon mag der junge Mann selbst schon gesehen haben?, dachte Bauch.

»Die Geschosse stecken noch im Stamm.«

»Unsere Spurensicherung wird sich darum kümmern.«

Er betrachtete das Gesicht des Toten. Er lag gar nicht da wie jemand, der seinem Leben gewaltsam ein Ende gesetzt hatte, vielmehr als schliefe er. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein. Den sogar noch schwach lächelnden Mund und das Kinn umrahmte ein kurzgeschnittener Bart. Bauch dachte an den Selbstmord seines Freundes Bernd Kluge, des ehemaligen Hundeführers der Nordhäuser Staffel. Der war in seiner Freizeit auch Jäger gewesen. Er hatte allerdings seine Dienstpistole benutzt. Aber tatsächlich erleichterte immer wieder Waffenbesitz solche Kurzschlussreaktionen.

»Also gehen wir von Suizid aus. Kollege Fang, bearbeiten Sie den Vorgang weiter. Mich brauchen Sie dann nicht mehr.«

Er wollte gerade gehen, als Ralf Jantzen dazukam. Der Leiter der Spurensicherung mit dem langen norddeutschen Gesicht schüttelte den Kopf.

»Kommissar Bauch, ich kann Ihrer Theorie leider nicht zustimmen. Wir haben etwas gefunden. Zuerst Faserspuren an der Rückseite des Stammes und dann dies hier.«

Die blonde Friderike, Jantzens fast immer fröhliche Mitarbeiterin, zeigte einen Strick vor.

»Offenbar wurde der Mann an den Baum gefesselt.

Erst danach hat man ihm die Abschussvorrichtung untergeschoben und ihn auf den Abzug treten lassen. Vielleicht hat das auch jemand anderes getan. Die Astgabel aus Haselnuss wurde mit einem Messer zurechtgeschnitzt. Der Tote besitzt zwar ein Waidmesser, hat es aber definitiv nicht zum Schnitzen benutzt. Von all dem müssen wir noch Spuren nehmen. Wird eine Weile dauern.«

»Natürlich. Also Mord.«

»Mit hoher Wahrscheinlichkeit. Oder nennen wir es vorgetäuschter Selbstmord.«

»Und warum lächelt der dann?«

»Vielleicht hat er gar nicht mehr mitbekommen, was mit ihm passierte. Von ihm geht selbst nach Stunden noch ein starker Alkoholgeruch aus.«

»Der wird doch nicht allein im Wald gesoffen haben. Ist die Rechtsmedizin informiert?«

»Dr. Berger ist unterwegs.«

»Machen Sie weiter.«

»Kollege Kohlmeier, die K1 Nordhausen übernimmt den Fall. Polizeihauptmeister Fang bleibt Ihr Ansprechpartner. Ich möchte jetzt noch mit dem Forstmann reden.«

Forstmeister Beyer erhob sich von seinem Stubben als Bauch ihm die Hand entgegenstreckte.

»Revierförster Beyer. Ich habe ihn gefunden. War einigermaßen geschockt, wie Sie sich denken können, und habe gleich die Polizei gerufen.

Holger Strauß war ein netter Kerl. Aber das habe ich bereits Ihrem Kollegen gesagt.«

»Wie lange kannten Sie sich?«

»Gut zehn Jahre. Holger war naturbegeistert und ein guter Schütze. Wir haben zusammen ein paar erfolgreiche Treibjagden abgehalten. Er war einer, der den Wald verstand. Wir hatten viel Spaß miteinander.«

»Nach diesen, wie Sie sagen, erfolgreichen Treibjagden wurde sicher auch ordentlich gefeiert.«

»Wie sich das gehört.«

»Und der Herr Strauß hat tüchtig mitgehalten.«

»Im Gegenteil, der trank nie.«

»Aber der da«, er zeigte in Richtung des Toten, »der riecht schon schwer nach Zecherei.«

Der Förster zögerte und meinte dann:

»Ist mir auch aufgefallen. Vielleicht hatte er ein Problem. Obwohl Sauferei wirklich nicht zu ihm passt.«

»Was wissen Sie sonst über ihn?«

»Früher lebte er in Schmalkalden. Nach der Scheidung kam er in unsere Gegend und baute zusammen mit der Firma Willert eine Biogasanlage in Heckendorf bei Wiehe auf. Die lief wohl ganz gut. In Wiehe hat er auch eine kleine Wohnung. Aber er lebte allein, soviel ich weiß. Irgendwie passt das alles nicht zusammen. Aber mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Ich danke Ihnen.«

Er gab dem Mann seine Visitenkarte und sah sich noch einmal um.

Jantzen, Friderike und Klabund untersuchten den Waldboden und die Bäume. Fang kniete vor dem Toten. Bauch ging zu ihm und verabschiedete sich:

»Sie wissen, wie Sie mich erreichen, wenn es noch weitere Neuigkeiten gibt. Mich beschäftigt vor allem die Frage, wie der Mann hierhergekommen ist. Veranlassen Sie bitte die Suche nach einem Fahrzeug, das auf ihn zugelassen ist. Wie der Forstmann sagte, wohnte unser Mann in Wiehe. Ich fahre jetzt dorthin und suche vor allem seine Arbeitsstelle auf, eine Biogasanlage in Heckendorf. Dort weiß man hoffentlich mehr über ihn. Kommen Sie morgen früh um neun Uhr zur Lagebesprechung. Dann lernen Sie auch Ihren Kollegen Spiegel kennen, der heute Nacht aus dem Urlaub zurückkommt.«

Ralf Jantzen kam noch einmal heran. Er hatte mit dem Förster gesprochen

»Einen Moment, Kommissar Bauch! Bevor Sie abfahren, habe ich noch ein kleines Detail.«

Er zeigte auf drei in die Buchenrinde eingeschnittene Buchstaben: ELF

»Ich habe den Förster gerade gefragt. Er kennt das Zeichen nicht. Es wird nicht von Forstleuten benutzt. Kann auch von Kindern oder Verliebten geschnitten worden sein. Oder es gehört zu den Spuren.«

Bauch nickte und meinte:

»Ich tippe auf Spur.«

Der Wagen der Gerichtsmedizin aus Jena näherte sich. Dr. Berger öffnete das Fenster und reichte ihm die Hand.

»Ich warte gespannt auf Ihre Ergebnisse. Bitte rufen Sie mich an, sobald Sie Genaueres wissen.«

Evelyne saß auf einer Bank oberhalb des Wehrs und hielt ihr Gesicht in die Sonne.

»Hat der Kommissar ermittelt?«

»Hat er, mitten in die Mitte rein. Jetzt wartet wieder eine Menge Arbeit auf mich.«

Er sah eine Tüte voller Blaubeeren auf der Bank.

»Und du warst auch erfolgreich, wie ich sehe.«

»Dürfte fast ein Kilo sein.«

»Und was hast du damit vor?«

»Na was schon? Kompott, Marmelade. Oder was anderes.«

Bauch überlegte, wann das letzte Mal jemand für ihn Marmelade gekocht hatte. In der alten Wohnung hatten ihm die Nachbarn zu Weihnachten ein Töpfchen gebracht.

»Evi, wir müssen fahren. Ich setze dich zu Hause ab und fahre noch zu einem Bauernhof.«

»Du kannst mich am Ortseingang rausschmeißen. Ich wandere noch ein bisschen. Außerdem habe ich eine Idee. Wenn es dir recht ist, gibt es heute gebackenen Camembert mit Blaubeeren und Salat. Fleischlos. Hältst du das aus?«

»Natürlich.«

»Gib mir bitte eine halbe Stunde vor deinem Eintreffen Bescheid, damit der Käse nicht in sich zusammenfällt.«

Er versprach es. Der Käse durfte keinesfalls zusammenfallen. Wie auch immer.

Heckendorf

17. August

Zuerst suchte er in Wiehe die Wohnanschrift des Toten auf. Sie befand sich in der zweiten Etage eines dreigeschossigen Wohnhauses in der Leopold-von-Ranke-Straße. Wie zu erwarten war, öffnete niemand. Der Briefkasten war leer. Im Nachbarhaus gab es eine kleine Poststelle mit Papierladen. Eine jüngere und eine ältere Frau unterhielten sich angeregt hinter dem Ladentisch. Kunden waren nicht im Geschäft. Mitten im Raum summte ein Ventilator, der die frühe Nachmittagshitze nur durcheinanderwirbelte.

Bauch stellte sich vor und erkundigte sich nach dem Nachbarn Holger Strauß.

Ja, den hatten sie am vergangenen Nachmittag zum letzten Mal gesehen, als er seine Handy-Karte aufgeladen hatte. Er war bereits in voller Jagdmontur gewesen und hatte seine Flinte bei sich. Ein stiller, aber sehr netter Kerl, sagten beide. Meist holte er seine Jagdzeitung oder schickte wichtige Post per Einschreiben ab.«

»Geschah das häufig?«

»Na ja, in letzter Zeit schon«, meinte die jüngere Frau. Sie zögerte und Bauch stutzte.

»Können Sie sich daran erinnern, wohin die Einschreiben gerichtet waren?«

»Ich weiß nicht, ob ich das sagen darf…«

»Sie dürfen. Ich komme von der Mordkommission.«

»Oh Schreck! Ist Herr Strauß…?«

»Das wissen wir noch nicht. Also, wie war das mit den Einschreiben?«

»Sie waren an eine Detektei adressiert. Wir haben uns schon gewundert, warum ein so ruhiger Mensch einen Detektiv braucht. Die Scheidung hatte er ja hinter sich.«

Bauch zog die Augenbrauen hoch. Womöglich wussten die beiden noch mehr.

»Nur noch so viel: Erinnern Sie sich auch, in welcher Stadt sich diese Detektei befand?«

»Entweder Eisenach oder Erfurt«, meldete sich die Ältere. »Wir lesen nicht die Post unserer Kunden.«

»Natürlich nicht. Ich danke Ihnen. Möglicherweise komme ich oder einer meiner Kollegen noch einmal wieder. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich bitte an.«