Die Blinden Riesen - Sandra Busch - E-Book

Die Blinden Riesen E-Book

Sandra Busch

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Beschreibung

Nach einem Jagdunglück, bei dem Crill schwer verletzt wird, ist er auf die Einnahme von Drogen angewiesen. Womöglich liegt es daran, dass ihm nun niemand Glauben schenkt, als er auf eine drohende Gefahr hinweist: Der aus Schnee und Eis bestehende Planet Tereus QR droht zerstört zu werden. Doch Crill ist sicher: Die Blinden Riesen könnten die Gefahr bannen. Erst nachdem er den Sklaven Thanis bei sich aufnimmt, dessen Dorf in der Nähe der Blinden Riesen liegt, sieht er eine Chance, das Unglück von seinem Heimatplaneten abzuwenden. Gelingt es Crill den Planeten zu retten und eine Brücke des Friedens zwischen zwei verfeindeten Völkern zu schlagen?

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Seitenzahl: 523

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Sandra Busch

Die Blinden Riesen

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2024

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte: © rawpixel – stock.adobe.com

© MELEO – stock.adobe.com

© Mikhail – stock.adobe.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-699-9

ISBN 978-3-96089-700-2 (ebook)

Inhalt:

Nach einem Jagdunglück, bei dem Crill schwer verletzt wird, ist er auf die Einnahme von Drogen angewiesen. Womöglich liegt es daran, dass ihm nun niemand Glauben schenkt, als er auf eine drohende Gefahr hinweist: Der aus Schnee und Eis bestehende Planet Tereus QR droht zerstört zu werden. Doch Crill ist sicher: Die Blinden Riesen könnten die Gefahr bannen.

Erst nachdem er den Sklaven Thanis bei sich aufnimmt, dessen Dorf in der Nähe der Blinden Riesen liegt, sieht er eine Chance, das Unglück von seinem Heimatplaneten abzuwenden.

Prolog

Der Bogen bestand aus einem ultraleichten Hightech-Material sowie einem Zielfernrohr mit Laserpointer und war genau an seine Größe angepasst worden. Crill jagte gerne mit dieser Waffe, denn es hatte deutlich mehr mit Sport zu tun, als wenn er einen Phaser auf die Beute richten würde und lediglich abdrücken musste. Zudem würde der Energiestrahl das herrliche Fell des Mugis versengen.

Vorsichtig schlich er zwei Schritte näher an die Beute heran, wohl wissend, dass auch sein Bruder auf das Tier angelegt hatte. Doch der erste Schuss gehörte wie verabredet ihm und er hatte nicht vor, seinen Pfeil in einer Schneewehe zu versenken.

Ein weiterer Schritt, sorgsam und behutsam, damit der harsche Schnee unter seinem Fuß nicht knirschte und den Mugi warnte. Geübt zog er die Sehne aus reinem Licht zurück und visierte das Tier an. Nun musste er bloß den Pfeilschaft an einem bestimmten Punkt berühren, damit der ohne Abweichungen ins Ziel traf. Da riss ihm ein wuchtiger Hieb die Beine unter dem Körper hinweg. Rücklings stürzte er in den Schnee. Gleichzeitig explodierte ein heftiger Schmerz in seinem Knie. Blut spritzte und Stücke seiner Pelzbekleidung flogen ihm um die Ohren. Er hörte sich schreien, während Krallen und Reißzähne vor seinem Gesicht auftauchten. Seine Instinkte übernahmen die Kontrolle. Er handelte intuitiv, um zu überleben. Seine Hände gruben sich in den Hals seines Angreifers und drückten das mörderische Maul zurück, obwohl die Fänge nach ihm schnappten.

„Crill!“, hörte er seinen Bruder panisch brüllen. „CRILL!“

Sengender Schmerz überzog nun auch seine Brust, sein rechtes Bein schien in Brand zu stehen. Die schrecklichen Qualen überwältigten ihn. Es wurde dunkel …

„…te durch. Halte durch. Halte durch. Halte …“

Mühsam hob er die Lider und versuchte durch den Nebel in seinem Kopf einen klaren Gedanken zu fassen. Wie ein erlegtes Wild hing er über den Schultern seines Bruders und starrte auf blutbesudelte Kleidung.

„… durch. Halte durch …“

Rettungsgriff, dachte er benommen. Jerik stapfte auf seinen Schneeschuhen zwischen den Bäumen hindurch und schleppte ihn aus dem Wald. Rote Blumen blühten im Schnee auf. Es sah schön aus.

„…urch. Halte durch. Halte …“

Rote blutige Blüten …

Crill fühlte sich schwach. Und müde. Entsetzlich müde …

Als er erneut zu sich kam, piepste und summte es um ihn herum. Er war so matt, dass er nicht einmal mit den Fingern zucken konnte. Allerdings erkannte er etliche Schläuche, die von seinem Körper zu diversen Maschinen führten. An seinem Bein zupfte etwas kontinuierlich herum. Crill erkannte lediglich die Konstruktion eines Roboterkraken, dessen zahlreiche Arme irgendetwas mit ihm anstellten.

Zu denken fiel ihm schwer, stattdessen fühlte er sich seltsam schwerelos. Das monotone Piepsen wurde langsamer, bekam Aussetzer …

„Bei allen Sternen! Crill! Bleib bei mir!“

Ein Roboterarm senkte sich herab und injizierte ihm eine rote Flüssigkeit. Gleich darauf wurde das Piepsen regelmäßiger.

„Crill?“

Seine Lider sanken herab. Er konnte die Augen nicht länger offenhalten.

„Bitte bleib bei mir. Ich liebe dich, Crill. Bleib bei mir! Hörst du?

Kapitel 1

Seit fünf Stunden saß er in dem wärmeisolierten Zelt und wartete. Allmählich wurde er unruhig. Zudem kannte er inzwischen jeden Umriss der vereinzelten Flecken, die sich auf der thermobeschichteten Plane befanden. Von draußen ertönten vereinzelte Gesprächsfetzen von den fünf Kameraden, die damit beschäftigt waren, die Jagdbeute zu zerteilen und auf die Transportgleiter zu laden. Das Fleisch würde innerhalb kurzer Zeit gefrieren und damit haltbar bleiben. Da Crill körperlich nicht in der Lage war, ihnen zu helfen, hatte er sich in seine Unterkunft verkrochen, damit er bei den Gefährten nicht den Eindruck erweckte, er würde sie überwachen. Außerdem war es draußen für sinnloses Herumstehen zu eisig.

„Es war eine Schnapsidee, mitfahren zu wollen“, gestand er sich ein. Doch er hatte zu seinem alten Leben zurückfinden und wieder ein Teil der Gemeinschaft sein wollen. Tja, das war gründlich in die Hose gegangen. Er war nichts weiter als Ballast. Zu nichts zu gebrauchen. Weder zur Jagd, noch zum Aufbauen der Zelte, zum Steuern der Gleiter oder zur Verarbeitung der Beute.

Frustriert regelte er die Temperatur der Wärmekugel herunter, die in seiner Nähe orangerot leuchtend schwebte. Seit knapp einer Stunde trug er seine dicke Felljacke, da er jederzeit damit rechnete, den ersehnten Ruf des Wachpostens zu hören, obwohl es ihm mit Pelz und der Kugel viel zu warm war. Nervös knibbelte er an der Nagelhaut seines Daumens herum. Bald würde die Sonne untergehen. Hoffentlich war niemandem etwas geschehen.

„Sie kommen!“, vernahm er plötzlich die lautstarke Meldung.

„Na endlich!“ Crill mühte sich auf die Füße, verschloss die Jacke, zog sich die Kapuze über den Kopf und verließ das Zelt. Wie erwartet, war es draußen kalt. Eisig kalt und feucht, wie ihm sein rechtes Bein signalisierte. Die Schmerzen, die er litt, deuteten auf einen Wetterumschwung hin. Das hässliche Reißen in seinen Knochen ignorierend trat er ins Freie. Sofort zerrte der beißende Wind an ihm und ließ seine Wangen ertauben. Schnell verschnürte er die Plane zu seiner Unterkunft und schlüpfte in die Handschuhe, bevor er mühsam durch den Schnee humpelte, der unter seinen unregelmäßigen Schritten knirschte. Eigentlich hätte er einen Gehstock nötig gehabt. Aber auf einem Planeten, der sich durch ganzjährige Schnee- und Eismassen auszeichnete, wäre ein solches Hilfsmittel eher hinderlich. Mit einem Stock konnte man leicht wegrutschen oder irgendwo steckenbleiben. Daher war es nicht weiter verwunderlich, dass er als Letzter den Lagerrand erreichte, obwohl er lediglich eine Strecke von zwanzig Metern zu bewältigen hatte. Neben Niadd, der den Wachdienst übernommen hatte, blieb er stehen. Sein ehemaliger Geliebter stampfte kräftig mit den Füßen und rieb sich die Hände, um sich warmzuhalten. Die Spitzen seiner dunkelblonden Haare schauten unter der Kapuze hervor, einige Strähnen klemmten unter dem Riemen der Schneebrille.

Crill richtete seine Aufmerksamkeit auf die glitzernde Landschaft und starrte in Richtung Meer. Das Wasser konnte er von seinem Standort aus nicht sehen, dafür lagen zu viele weiße Hügel und Eisblöcke zwischen ihm und den graublauen Wogen. Allerdings konnte er das Nazbei-Meer riechen, denn es lag Salz im feuchten Wind.

„Wo?“, fragte Crill.

„Dort hinten!“, antwortete Niadd genauso kurz angebunden und deutete mit dem Kinn auf eine Reihe Menschen, die sich durch den Schnee schleppte. Es waren deutlich mehr Personen, als aufgebrochen waren.

„Jerik hat die Japhoy also tatsächlich erwischt“, stellte er fest.

„Hast du daran gezweifelt?“, fragte Niadd scharf.

„Natürlich nicht“, entgegnete er frostig. Die Liebe zwischen ihnen war wie Schnee auf einem Ofen geschmolzen. Sein Ex gab ihm daran die Schuld, weil sich Crill beinahe hatte umbringen lassen und jetzt ein Krüppel war. Als ob er sich das ausgesucht hatte. Falls von Niadds Seite überhaupt je wahre Gefühle im Spiel gewesen waren und er sich nicht bloß im damaligen Glanz von Crills Erfolgen hatte sonnen wollen.

Erst in einer Krise zeigt sich, wer deine wahren Freunde sind, dachte er bitter.

Niadd warf ihm einen abfälligen Seitenblick zu, der dann ungeniert zu seinem verkrüppelten Bein wanderte. Crill ignorierte ihn. In dieser Hinsicht hatte er resigniert. Er würde das Knie nie wieder krümmen, nie wieder jagen, kämpfen oder als stellvertretender Sicherheitskommandant arbeiten können. Von einer Sekunde auf die andere war er zu einem nutzlosen Anhängsel der Iskaqui geworden, obwohl er groß gewachsen und mit einem guten Auffassungsvermögen gesegnet war.

Mit steinerner Miene musterte er die Gesichter der Handvoll Gefangener, die wenig später an ihm vorbeistapfte. Es waren hagere Gestalten, was selbst die dicke Pelzkleidung nicht verbergen konnte. Ihre mutlosen Augen waren auf die Füße gerichtet. Die Hände hatte man ihnen hinter dem Rücken gefesselt, wobei ein Teil der Verschnürung um ihre Hälse lief, damit sie sich bei einem Befreiungsversuch selbst erdrosselten. Crill vermutete, dass die knurrenden Mägen diese jungen Männer aus den Bergen hinab in die Täler und in Richtung des Meeres getrieben hatte. Ihr Beutezug hätte womöglich Erfolg gehabt, wenn sie nicht von den Jägern der Iskaqui entdeckt worden wären. Letztere hatten auf dem Ozean Jagd auf eine Herde Piga gemacht, denn die gewaltigen Meeressäuger boten saftiges Fleisch sowie eine Menge Öl und Elfenbein. Allein der zehn Meter lange Dorn auf ihren Schnauzen, der bis zu vierzig Zentimeter im Durchmesser zählen konnte, war sehr begehrt. Genauso wie das wasserdichte Fell, das die Tiere bedeckte. Seine eigene Kleidung bestand aus Pigafell, von der Kapuze, die zusätzlich weich mit Mugipelz gefüttert war, bis hin zu den Stiefeln. Die Männer hatten drei dieser gewaltigen Tiere erlegt und die Beute bereits an den Strand gezogen. Da hatten sie die Japhoy entdeckt und sich aufgeteilt. Die einen kümmerten sich um die Piga, während die anderen zu einer weiteren Jagd aufbrachen. Die Jagd nach ihren Feinden.

„Wir haben sie alle erwischt.“ Sein älterer Bruder Jerik tauchte vor ihm auf. „Keiner von ihnen ist entkommen.“ Dessen weiße Atemwölkchen mischten sich mit den eigenen, als ihm kameradschaftlich ein Arm um die Schulter gelegt wurde. „Vier von ihnen sind tot, die übrigen sieben konnten wir lebend ergreifen. Unsere Verluste sind gleich null.“

„Ich gratuliere dir“, murmelte Crill, trotz der Tatsache, dass Jerik und dessen Männer in der deutlichen Überzahl gewesen waren. Natürlich war er froh, dass sein Bruder und die Kameraden unversehrt waren. Was mit den Gefangenen geschehen würde, gefiel ihm dagegen nicht. Die Japhoy würden es bitter bereuen, dass sie sich auf das Gebiet der Iskaqui gewagt hatten. Da sich die Wenigsten einen Bewohner der Blauen Berge als Sklaven halten wollten, würden die Gefangenen wahrscheinlich erst fürs Vergnügen herhalten müssen und danach getötet werden.

Jerik störte sich nicht an seiner mangelnden Begeisterung, sondern klopfte ihm behutsam auf die Schulter, wandte sich an seine Männer und gab lautstark einige Befehle. Die Gefangenen wurden in das Gemeinschaftszelt getrieben und nach einem kurzen Zögern folgte Crill ihnen. Eine sanfte Hand umfasste stützend seinen Arm. Jerik hielt sich dicht an seiner Seite.

„Es ist glatt“, sagte sein Bruder fürsorglich. „Der Wind trägt die Feuchtigkeit des Meeres mit sich und sie gefriert auf dem Schnee. Dein Knie muss unsagbar schmerzen. Du hättest besser in der Siedlung bleiben sollen.“

„Damit ich dort den kleinen Kindern Geschichten erzähle, als wäre ich ein alter Mann?“, wollte er verärgert wissen. Verärgert, weil Jerik genau das aussprach, was er sich selbst bereits gedacht hatte.

Betroffenheit zog in dessen Miene ein. „Natürlich nicht. Aber ich weiß ja, wie sehr du bei diesem Wetter leidest.“

„Und ich weiß, was ich mir zumuten kann.“ Er betrat als Erster von ihnen beiden das Gemeinschaftszelt und seufzte erleichtert auf, weil es hier einigermaßen warm war. Ein Thermobehälter mit heißem Kahbeel stand bereit, von dem Mysso, blauäugig, kräftig und blond, ihnen je einen Becher brachte.

„Auf den Erfolg dieses Tages.“

Sie stießen miteinander an und beinahe hätte Crill den ersten Schluck wieder ausgespuckt. Er begann zu husten.

„Zu stark?“, erkundigte sich Mysso.

„Geht schon“, brachte er keuchend hervor. Er hätte sich denken können, dass das belebende Heißgetränk mit Alkohol versetzt worden war. Etwas vorsichtiger nahm er einen zweiten Schluck. Immer mehr Iskaqui kamen in das Zelt und gesellten sich zu ihnen. Während sich Jerik und die anderen gegenseitig zu ihrem Sieg gratulierten, musterte er die Gefangenen, die nebeneinander in einer Ecke kauerten. Ylle, der sein braunes Haar zu vielen dünnen Zöpfen geflochten hatte, die ständig sein kantiges Gesicht umtanzten, hatte den Japhoy die Kapuzen abgenommen. Nun konnte man aus ihren Mienen ungehindert die Furcht ablesen. Die Männer trugen die Haare ausnahmslos auf einer Kopfseite kahlrasiert und auf der anderen Seite zu einem langen Zopf geflochten. Manche hatten sich Perlen oder Ringe in die Strähnen geknotet. Ringe schmückten obendrein ihre Ohren. Diese Tracht wirkte irgendwie barbarisch, hinterwäldlerisch, wenig zivilisiert. Und doch faszinierte sie Crill. Einer der Gefangenen rückte verstohlen näher an seinen Kameraden heran und wisperte ihm etwas zu. Versuchte er ihm Mut zu machen? Oder wurden dem jungen Burschen Anweisungen zugeflüstert, wie er sich am besten verhalten sollte?

„Freunde!“, übertönte da Jerik gut gelaunt das Stimmengewirr im Zelt. „Heute werden wir unseren Jagderfolg auf die Piga und die Niederlage der Japhoy feiern. Und morgen kehren wir nach Phragmites zurück.“

Crill wusste, was seine Leute unter einer Feier verstanden. Sie würden sich am frischen Fleisch bedienen, das bereits draußen über riesigen Feuern briet, sich mit Schnaps volllaufen lassen und die unglücklichen Gefangenen der Reihe nach besteigen. Eine Orgie würde entbrennen, bis der Letzte von ihnen trunken umkippte. Er hasste solche Gelage. Seit seinem Unfall wollte sich ohnehin niemand mehr mit ihm vergnügen, sein widerwärtiger Körper schreckte sowohl die Männer als auch die Frauen seiner Siedlung ab. Letztere waren ihm ohnehin egal, da er sich ausschließlich zum Mannsvolk hingezogen fühlte.

Als auf Jeriks Worte hin lauter Jubel ertönte, hob einer der Gefangenen den Kopf. Es war derjenige, der Zuspruch von seinem Gefährten erhalten hatte. Seine verzweifelten Augen suchten nach einem Fluchtweg und wurden plötzlich von Crills Blick eingefangen. Er starrte den kleinen, schmalen Japhoy mit dem blauschwarzen Haar an. Hass und hilflose Wut verzerrten dessen Gesicht. Er war jung. Verflucht jung. Sicherlich war er noch nicht oft mit den Männern seines Dorfes auf eine gefährliche Mission ausgezogen, um in den Gefilden der Iskaqui zu jagen.

„Gefällt dir der Kleine?“

Ertappt zuckte er zusammen. Er hatte nicht bemerkt, dass sich sein Bruder ihm zugewandt hatte. Der nahm ihn jetzt am Arm und zog ihn zu den Gefangenen hinüber.

„Willst du ihn etwa zum Sklaven haben? Ich fände es zwar nicht verkehrt, wenn du dir einen zur Gesellschaft halten würdest, denn dann wärst du nicht ständig allein. Es muss aber nicht gerade ein Japhoy sein. Außer, er spricht dich tatsächlich an.“

Als Kommandant ihrer Siedlung stand Jerik das Recht zu, als Erster unter den Sklaven wählen zu dürfen. Mit harter Hand zerrte er den Kopf des Japhoys an dessen Zopf in den Nacken. Der Junge keuchte auf und der Mann neben ihm spannte sich deutlich an.

„Willst du kämpfen?“, fragte Jerik den stummen Herausforderer. Ohne sein Opfer loszulassen, trat er dem Gefesselten lachend gegen die Brust, dass der hilflos gegen seine Kameraden kippte. Dunkelgrüne Augen des in seinem Griff hängenden Japhoys funkelten Jerik wütend an. Ohne viel Federlesens riss der ihm die Fellkleidung auf und entblößte eine haarlose, helle Brust.

„Ein bisschen dürr, ansonsten ganz attraktiv.“ Jerik leckte über den Hals des zurückzuckenden Gefangenen und grinste. „Der hier gehört mir!“, rief er laut und vernehmlich, wobei er ignorierte, dass der Gewählte ihn wüst beschimpfte und zu treten versuchte.

„Ich will in mein Zelt zurück“, brummte Crill, dem das alles nicht behagte. Abrupt drehte er sich um und humpelte in Richtung Ausgang.

„Warte! Willst du nicht mitfeiern? Und was ist mit dem Kleinen? Ich überlasse ihn dir gern.“

Er ignorierte Jeriks Rufe und hastete ins Freie, wo er den eisigen Wind wie einen guten Freund begrüßte, weil er ihm den Verstand klärte. Sein Bruder wollte ihm bloß einen Sklaven aufschwatzen, damit er sein schlechtes Gewissen beruhigen konnte. Gleich darauf schalt er sich wegen seiner schäbigen Gedanken. Jerik liebte ihn, daran bestand kein Zweifel. Und er hatte ihn schon immer glücklich machen wollen, mit kleinen Geschenken, indem er ihn beschützte oder sich etwas Besonderes für ihn ausdachte. Bis der katastrophale Tag ihrer letzten gemeinsamen Jagd eine tiefe Kerbe in Jeriks Gemüt schlug und er sich mit Selbstvorwürfen geißelte. Crill hatte ihm im letzten Jahr mindestens hundert Mal versichert, dass er keine Schuld an dem Unfall trug. Trotzdem konnte sich sein Bruder nicht vergeben.

Wie so oft waren sie zu zweit auf die Pirsch gegangen, um ihre Geschicklichkeit mit den leichten Hightech-Bögen im spielerischen Wettkampf zu prüfen. Aus dem Fuhrpark der Siedlung hatten sie sich sportliche Zweidüser ausgeliehen. In einer Kabine vor dem kalten Wind geschützt, waren sie mit ihren Einsitzern in das umliegende Waldgebiet geflogen, wobei sie sich ein kleines Rennen geliefert hatten. An ihrem Ziel angelangt, stellten sie die Fahrzeuge ab und zogen auf Schneeschuhen weiter. Es dauerte nicht lange, bis sie einen jungen Mugi entdeckten, dessen edles schneeweißes Fell hochgeschätzt wurde. Routiniert hatten sie das Tier in die Zange genommen und mit Handzeichen bestimmt, wer den ersten Pfeil auf die Beute abschießen durfte. In ihrem Jagdeifer war ihnen allerdings entgangen, dass sie sich genau vor dem versteckt liegenden Bau eines Elloks befanden. Die Spuren im Schnee hätten ihnen eigentlich genügend Hinweise darauf liefern können, wenn sie nur darauf geachtet hätten. Erst als ihm die scharfen Klauen das Fleisch aus der Wade rissen, das Knie zertrümmerten und er sich schreiend im rotgefärbten Schnee wälzte, waren sie auf die Bestie aufmerksam geworden. Jerik hatte seinen Phaser ziehen müssen, mit ihren Bögen hatten sie gegen einen Ellok keine Chance. Was danach geschehen war, entzog sich Crills Kenntnis. Der Schock, der Blutverlust, sein zerfetztes Bein, der Klauenhieb, der sein Knie in Knochenbrei verwandelt hatte, die reißenden Krallen überall ... Er war bewusstlos geworden und seinem Bruder war es irgendwie gelungen, ihn in die Siedlung zurückzuschleppen. Ein halbes Jahr lang war Crill anschließend an sein Bett gefesselt gewesen. Lange Zeit war es ungewiss, ob er die Attacke überleben würde. Ein weiteres halbes Jahr benötigte er, um wieder Laufen zu lernen. Und Jerik gab sich die Schuld an dem Unglück. Er hatte den Ausflug vorgeschlagen und es versäumt, die Umgebung zuvor ausreichend zu erkunden. Als der Ältere von ihnen beiden fühlte er sich für das Geschehen verantwortlich. Dagegen war Crill der Meinung, dass er selbst hätte aufpassen müssen. Immerhin war er kein kleines Kind oder unerfahrener Jäger gewesen. Er schnitt eine Grimasse. Nein, sie waren an diesem Tag lediglich von ihrem Leichtsinn getrieben worden. Von der Annahme, ewig zu leben.

„Selbst die Sterne sind nicht unsterblich“, murmelte er und betrachtete nachdenklich den Becher mit Kahbeel, den er nach wie vor in der Hand hielt. „Wir waren nichts weiter als Narren.“ Er schüttete den schnapslastigen Rest in den Schnee. Das Getränk war kalt geworden, außerdem vertrug sich der Alkohol nicht besonders mit seinen Medikamenten.

Der bissige Schmerz in seinem Bein nötigte ihn, den ungemütlichen Platz im Wind zu verlassen und endlich sein Zelt aufzusuchen. Hinter ihm dröhnte Musik, das Gegröle und Gelächter aus vielen Kehlen sowie das Klirren von Bechern und Flaschen, die aneinandergestoßen wurden. Die Feier hatte längst begonnen. Der qualvolle Schrei eines Gefangenen überlagerte den munteren Lärm. Kurz stockte Crill, bevor er den Weg zu seiner Unterkunft fortsetzte. Es war vollkommen egal, was in dem Gemeinschaftszelt gerade geschah, er würde es auf keinen Fall aufhalten können. Ein zweiter Schrei folgte, untermalt vom rauen Gelächter der Iskaqui. Angewidert schüttelte er den Kopf. Wie konnte man nur Vergnügen an einer Vergewaltigung finden? Er seufzte schwer. Wenn die Japhoy schlau waren, würden sie sich ihrem Schicksal ergeben und sich nicht wehren.

***

Die Nacht war wenig erholsam gewesen. Unabhängig von der Tatsache, dass das Feldbett bei Weitem nicht den Komfort seiner heimischen Schlafmulde bot und ihm das sanfte Schwanken seiner Wohnung fehlte, war er mehrmals von lautstarkem Gesinge wach geworden. Außerdem war einer der Kameraden offenbar im Suff gegen sein Zelt gerannt. Crill hatte schon befürchtet, dass es über seinem Kopf zusammenbrechen würde. Bis auf ein anhaltendes Kichern auf der anderen Seite der Plane war jedoch nichts weiter geschehen.

Gähnend schlug er die Decke beiseite und erhöhte die Temperatur der Wärmekugel. Er fühlte sich steif und wie gerädert. Sein verkrüppeltes Bein verlangte nach einer behutsamen Massage, bevor er sich erhob. Das war lästig und nahm einige Zeit in Anspruch. Wenn er die Bedürfnisse seines Körpers allerdings ignorierte, würde sich das schnell rächen und er später kaum laufen können. Sehnsüchtig schielte er zu dem Kästchen, das seine Medikamente enthielt, und widerstand mit einiger Mühe der Versuchung, die Schmerzen einfach zu betäuben. Mit den starken Präparaten war nicht zu scherzen und er wollte es nicht übertreiben oder in Gefahr geraten, im Drogenrausch liegend, wie ein Stück Pigafleisch nach Hause gebracht zu werden.

Nachdem er sich schließlich angezogen hatte, deaktivierte er die Wärmekugel, rollte die Decke zusammen und legte sie mitsamt der inzwischen abgekühlten Kugel sowie seiner Wechselkleidung in eine dafür vorgesehene Kiste. Jerik würde das Zelt für ihn abbauen, da man für das Handling mit der schweren Plane einen festen Stand benötigte. Nachdem Crill mit dem Packen fertig war, machte er sich auf die Suche nach einer Mahlzeit und einer Tasse Kahbeel.

Der Morgen erwartete ihn mit einem strahlend blauen Himmel und glitzerndem Neuschnee, der wie Puder auf dem harschen Untergrund lag. Niadd stapfte an ihm vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Eines seiner Augen war beinahe zugeschwollen und blau angelaufen.

„Da wollte wohl jemand nicht mit dir feiern“, murmelte Crill wenig mitleidig und schaute ihm hinterher, bis sich sein Exfreund zu einigen Iskaqui gesellte, die miteinander scherzend bei den Transportgleitern standen und darauf warteten, dass ihnen weiteres Gepäck zum Verladen gebracht wurde. Mysso befand sich unter ihnen und winkte ihm zu. Er erwiderte den Gruß und stellte fest, dass das Gemeinschaftszelt bereits abgebaut war. Er würde sich beeilen müssen, wenn er noch ein Frühstück erhalten wollte. Doch er stockte mitten im Schritt. Ein nur halb bekleideter Japhoy wurde an den Haaren an ihm vorbeigezerrt. Der Mann sah furchtbar aus. Crill mochte sich gar nicht ausmalen, was er in der gestrigen Nacht hatte durchmachen müssen. Unwillkürlich drehte er sich in die Richtung, in die der Gefangene gebracht wurde, und entdeckte dessen Gefährten, die je nach ihrer körperlichen Verfassung im Schnee knieten oder lagen. In den umliegenden Bäumen lauerten Aasvögel und gierten zu ihnen herab, als wüssten sie genau, dass sie bald ein Festmahl erwartete.

„Jerik wird sie töten. Wir werden unseren Rückweg nicht mit ihrer Anwesenheit belasten“, erklärte Chuppu, der wie aus dem Nichts erschienen war. Wie Ylle und Mysso gehörte Chuppu, riesig, breit und mit einem dichten rotbraunen Bart, zum engeren Freundeskreis. Zudem war er einer der wenigen, die Crill wie einen normalen Menschen behandelten.

Das Frühstück war vergessen.

„Alle?“, fragte er angesichts der unnützen Verschwendung von Leben betroffen.

Chuppu nickte zustimmend. „Ohne Ausnahme. Du weißt ja selbst, dass sie für uns unnütz sind. Japhoy-Sklaven machen bloß Ärger.“

„Warum lässt er sie dann nicht einfach zurück?“

„Nur ein toter Japhoy ist ein guter Japhoy.“ Das war ein blöder Spruch. Chuppu wusste das offenbar selbst, da er hinzufügte: „Wo die herkommen, wird es garantiert weitere geben. Aber so gibt es wenigstens ein paar Schädlinge weniger auf diesem Planeten.“

„Du redest, als würdest du einen Hangar voller Wickos vor dir haben, die dir die Kabel wegfressen.“

Der rotbärtige Riese lachte. „Ein guter Vergleich.“

Crill schüttelte den Kopf. Er konnte nicht mitlachen und hatte die Bemerkung keineswegs lustig gemeint. Wie magisch angezogen humpelte er zu der Hinrichtungsstätte. Sein Bruder machte um die Exekution keinen großen Wirbel. Außer ihm waren lediglich zwei weitere Iskaqui anwesend, die mit gezückten Phasern bereitstanden, um ihre Feinde zu töten.

Benutzt und weggeworfen, dachte Crill bitter. Wie Abfall.

„Bringen wir’s hinter uns“, hörte er Jerik sagen und schon visierte sein Bruder den ersten Japhoy an.

„Halt! Warte! Bitte!“ Einer der Todgeweihten, dessen Gesicht mit getrocknetem Blut bedeckt war, erhob sich vor Angst und Kälte schlotternd halb aus seiner knienden Position und deutete auf eine der bewusstlosen Gestalten. „Nicht er! Ich bitte dich, verschone meinen Bruder!“ Flehend hob er die zitternden Hände.

In Crills Magen setzte ein übelkeitserregender Druck ein.

„Er ist erst neunzehn! Bitte! Lass ihn laufen oder versklave ihn. Er könnte dir viele Jahre über dienen!“, bettelte der Mann mit klappernden Zähnen.

Jerik hatte sich an dem Jungen vergangen und nun flehte ihn dessen Bruder an, ihn nicht zu töten?

„Wir benötigen keine Japhoy-Sklaven“, lautete Jeriks Antwort.

„NEIN! Bitte, bitte nein!“

„Ich will ihn!“ Das rutschte ihm heraus, bevor er nachgedacht hatte.

Sein Bruder musterte ihn überrascht. „Gestern hast du ihn abgelehnt.“ Jerik klang irritiert.

„Ich hab’s mir anders überlegt“, erklärte er, sich der tränennassen Augen des flehenden Japhoys bewusst, die sich hoffnungsvoll auf ihn richteten. „Falls dein Angebot weiterhin steht.“

Jerik zögerte. „Selbstverständlich. Du kannst auch einen der anderen wählen. Wäre vermutlich besser.“

„Nein.“ Energisch schüttelte er den Kopf. „Ich will den.“

„Der ist für eine Weile nicht voll gebrauchsfähig.“

Natürlich nicht, wenn Jerik ihn in der Mangel hatte.

„Außerdem ist er eine furchtbare Wildkatze.“

„Mein Entschluss steht fest“, entgegnete er.

Der Phaser wurde gesenkt und der Bittsteller atmete ebenso erleichtert auf wie Crill. Dabei hatte sein Bruder ihm noch nie einen Wunsch abgeschlagen. Von den Anwesenden aufmerksam beobachtet, humpelte er mühsam vor, packte den Bewusstlosen am Pelz seiner Jacke und bemühte sich, ihn aus der Todeszone zu schleifen, obwohl sein Körper unter der Belastung protestierte. Chuppu half ihm, als sein steifes Bein wegzurutschen drohte.

„Danke, Iskaque! Hab Dank! Pass gut auf …“ Der Satz brach ab. Crill vernahm das Zischen der Phaser und wusste, dass die Japhoy starben. Er sah sich nicht um, sondern betrachtete stattdessen sein neues Eigentum. Blutergüsse blühten auf allen sichtbaren Stellen auf, zahlreiche Kratzer und eine zerbissene Lippe deuteten auf eine harte Nacht hin. Die freiliegende Haut hatte sich mittlerweile vor Kälte blaugrau verfärbt.

„Ich packe ihn auf den Gleiter“, bot Chuppu an, was er mit einem dankbaren Nicken quittierte. Mit gerunzelter Stirn beobachtete er, wie der Gefährte den Jungen über seine breite Schulter warf und mit Leichtigkeit davonschleppte. Schnee knirschte unter dessen Schritten – und zugleich hinter ihm selbst.

„Seine Kleidung ist zerrissen. Wenn das nicht gerichtet wird, erfriert er mir auf der Heimfahrt“, sagte er, während er weiter beobachtete, wie Chuppu, einem Eisbrecher gleich, durch den Tiefschnee pflügte.

„Wir kümmern uns darum.“ Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Die Hand, die vor einer Minute den Phaser abgefeuert hatte. „Warum?“, wurde er gefragt.

„Sie waren Brüder, Jerik. Und vielleicht genauso eng miteinander verbunden, wie wir es sind. Der Mann hätte genauso gut um seine eigene Existenz flehen können, doch er wollte lieber seinen Bruder am Leben wissen. Ein solches Handeln nötigt mir Respekt ab.“

„Du hast eine weiche Seele, Crill.“

Er vollführte eine wegwerfende Geste. „Es hat mich an uns beide erinnert. Du hättest auch um mein Leben gebettelt.“

„Und dir ein Dasein in Sklaverei zugemutet? Den Launen eines Fremden ausgesetzt?“ Jerik schürzte die Lippen. „Manchmal ist der Tod gnädiger“, sagte er kopfschüttelnd.

Crill starrte ihn an. Hatte er seinen Bruder so falsch eingeschätzt? „Du würdest es vorziehen, wenn man mich umbringt?“

„Du verstehst das falsch …“

„Dann erklär es mir.“ Störrisch verschränkte er die Arme vor der Brust.

„Würdest du wirklich wie einer unserer Sklaven leben wollen?“, fragte Jerik sichtlich entgeistert.

„Nicht wie ein von den Iskaqui gehaltener Humanoide. Aber womöglich behandeln andere Völker ihre Leibeigenen besser. Zum Beispiel die Leute auf Zastorza.“

Sein Bruder begann zu lachen.

„Offenbar habe ich eine falsche Meinung von dir“, knurrte Crill.

Nach wie vor amüsiert nahm Jerik seine Hand und zog sie an seine Brust. Damit löste er Crills ärgerliche Haltung auf. „Nachdem du ein bisschen darüber nachgedacht hast, wirst du mir recht geben“, behauptete er.

Wenn er sich damit nur nicht irrte. Crill entzog seinem Bruder die Hand.

„Du wirst zukünftig höllisch aufpassen müssen“, sagte Jerik nun. „Dein neues Eigentum ist ein kleines Monster. Lass dich nicht von seinem Alter täuschen. Er hat wie eine Raubkatze gegen mich gekämpft.“

„Was ist mit dir los? Gestern wolltest du ihn mir regelrecht aufdrängen. Außerdem fandest du Mut stetslöblich.“

„Mut respektiere ich. Unberechenbaren Wahnsinn dagegen nicht. Und den hat er gestern gezeigt. Du solltest die Hämatome sehen, die ich ihm zu verdanken habe. Er hat sogar versucht, mich zu beißen, sodass ich ihn tatsächlich knebeln musste. Ich will nicht, dass sich dieser ungestüme Kampfgeist gegen dich richtet. Sollte er dich angreifen, ist er erledigt. Verstanden?“

Crill seufzte. Der übermäßige Beschützerdrang seines Bruders war gelegentlich lästig. Ohne eine Antwort zu geben, wandte er sich um und humpelte zu den Leichen hinüber, neben denen er sich ächzend niederkauerte. Mit den Händen begann er Schnee über die reglosen Körper zu schaufeln.

„Was machst du denn jetzt?“, erkundigte sich Jerik verblüfft.

„Der Boden ist zu hart, um sie zu begraben. Also will ich sie wenigstens mit Schnee bedecken und sie nicht den Aasfressern überlassen.“

Ein paar angestrengte Atemzüge lang beobachtete ihn sein Bruder nur, ehe er sich an seine Seite hockte und bei seinem Tun half. Es war Crill unangenehm bewusst, dass sich ihnen immer mehr Jagdgefährten näherten, die ihnen ungeduldig zusahen und untereinander leise ihre Arbeit kommentierten.

„… Klotz am Bein“, vernahm er einen gemurmelten Gesprächsfetzen. Leider hatte sein Bruder das ebenfalls gehört.

Im Nu sprang Jerik auf, ergriff den Lästerer am Kragen und schleuderte ihn vor Crill zu Boden. Das war dermaßen schnell vor sich gegangen, dass niemand hatte reagieren können.

„Entschuldige dich!“, brüllte sein Bruder den Mann an. „Sofort entschuldigst du dich!“

Niemand wagte, sich zu rühren und es herrschte absolute Stille. Mit zornig funkelnden Augen stand ihr Anführer im Schnee, während sich Crill in der Situation ziemlich unbehaglich fühlte. Er hätte das Schandmaul lieber überhört.

Endlich wandte sich der Übeltäter an ihn: „Verzeih mir bitte.“

Er nickte kurz und verfolgte, wie sich der Mann aufrappelte und an dem zornigen Jerik zurück in die Gruppe schlich.

„Ist hier noch jemand, der die Meinung vertritt, dass mein Bruder unnütz ist?“

Crill knurrte leise. Musste die Sache unbedingt aufgebauscht werden? Schnell scharrte er weiter Schnee über die Leichen.

„Mein Bruder war ein tapferer, erfolgreicher Jäger und Krieger, bis er verunglückte. Da er nicht mehr jagen kann, hat er ausreichend Zeit, seinen Kopf zu benutzten und ich sage euch: Es würde euch ebenfalls nicht schaden. Er erweist den Toten Respekt, weil sie tapfer gestorben sind. Sollten eines Tages eure Feinde über euch siegen, werdet ihr ihnen auch dankbar sein, wenn die Götter ihnen die Erleuchtung schenken, eure Körper nicht den hungrigen Tieren zu überlassen.“

Zustimmendes Gemurmel. Crill scherte sich nicht darum.

„Wenn unsere Feinde das erfahren, werden sie uns für weich halten“, musste selbstverständlich jemand einwerfen.

„Weshalb? Wir haben gesiegt. Das ist alles, was zählt. Was schert mich blödes Gerede, wenn ich mich großmütig zeigen kann?“ Jerik schien seine Rede beendet zu haben, da er ihm endlich weiter half. Schweigend arbeiteten sie nebeneinander. Der Schnee war fest, die obere Schicht stellenweise im eisigen Wind gefroren. Die Japhoy damit zu bedecken, war keine leichte Aufgabe.

Zwei, drei Sekunden vergingen, bis ihnen die Jagdgefährten zu Hilfe kamen. Chuppu zog ihn mit einem Lächeln beiseite und übernahm seinen Platz. Dankbar rieb sich Crill die Hände, die allmählich kalt wurden, weil seine Handschuhe durchnässt waren. Er würde sie im Gleiter austauschen müssen oder Erfrierungen riskieren.

Nach etwa einer halben Stunde waren die Japhoy begraben. Jerik trat zu ihm und zog ihn in eine Umarmung. Dessen Mund legte sich auf seinen und sie versanken in einen brüderlichen Kuss. Obwohl dieser züchtig ausfiel, nicht mehr Kontakt als Lippen auf Lippen, fiel Crill in diese Liebkosung und wünschte sich für schmerzhafte Augenblicke mehr. Sein Bein mochte verkrüppelt sein, andere Regionen waren vollkommen intakt. Zu seinem Leidwesen wurden diesen keine Aufmerksamkeit geschenkt, daher hungerte er förmlich nach Zärtlichkeiten. Als sich Jerik wieder von ihm löste, fühlte er sich einsamer als zuvor. Der Verlust des starken Körpers an dem seinen ähnelte einer Amputation.

„Du fährst in meinem Gleiter mit“, erklärte sein Bruder bestimmt.

Als ob er sich auf ein anderes Fahrzeug hätte schwingen wollen.

„Und der Gefangene?“

„Chuppu hat ihn bereits auf die Ladefläche verfrachtet und warm verpackt.“

Crill lächelte. „Dann können wir ja bald los.“

***

Eine weitere halbe Stunde verging, in der sein Zelt abgebaut und seine Habe verstaut wurde. Er hatte die Zeit genutzt, um nach dem Japhoy zu sehen. Chuppu hatte ihn sorgfältig in dessen warme Felle gehüllt. Die Kleidung des Bergbewohners war zerschnitten worden, um ihn für die Feier zu entblößen, aber der Freund hatte sie provisorisch mit Klebeband geflickt. Für die Fahrt nach Phragmites würde es jedenfalls reichen. Die Hände des Sklaven waren erneut gefesselt und mit dem Würgehalsband verbunden. Zu sich gekommen war der Bursche bislang nicht. Crill kletterte zu ihm auf den offenen Frachtgleiter und bemühte sich, das schlimme Bein irgendwie so abzulegen, dass die lange Fahrt erträglich blieb. Es gestaltete sich ein wenig schwierig, da das Gefährt voll bepackt war und die Ladefläche daher nicht viel Platz bot. Er zog eine der durchsichtigen Planen halb über sich und den Bewusstlosen, bevor er kontrollierte, ob seine Kapuze richtig zugeschnürt war. Danach setzte sich Crill eine Schneebrille auf. Sein Bruder schob sich hinters Steuer, während sich Chuppu auf den Copilotensitz fallen ließ.

Jerik drehte sich um. „Alles in Ordnung?“

Er nickte.

„Okay. Abfahrt!“

Brummend begann die Turbine zu arbeiten. Weiteres Dröhnen zeigte an, dass auch die anderen Gleiter angeworfen wurden. Acht Frachter voll mit Fleisch, Dornen, Fell und Knochen der Piga.

Vierundzwanzig zufriedene Jäger sowie ein Gefangener und ein Krüppel, dachte Crill bitter.

Jerik zog den Gleiter in die Höhe. Voll beladen schafften die Transporter zehn Meter Abstand zum Boden, was ausreichend war, um über Hindernisse hinwegzuschweben. Ihr Fahrzeug nahm Geschwindigkeit auf, kalter Wind schlug ihnen entgegen.

„Da ist Proviant für dich“, rief Chuppu über die Schulter hinweg. „Links von dir.“

Dankend hob er die Hand und tastete unter der Plane umher, bis er ein kleines Päckchen aufspürte. Es enthielt Brot, das mit Nüssen versetzt war, eine Thermosflasche mit heißem Kahbeel, eine Handvoll gesalzene Kräuterkekse und ein Stück Käse. Eigentlich war Crill nach der Hinrichtung der Appetit vergangen, trotzdem aß er ein Stück Brot und trank einen Becher der starken, munter machenden Flüssigkeit. Die Mahlzeit lenkte zumindest von der eintönigen Fahrt ab. Als sich die Plane leicht rührte, wurde er aufmerksam. Der Japhoy war zu sich gekommen und schaute sich unruhig um.

„Bennai?“, fragte er mit rauer Stimme. Sicherlich hatte er sich in der Nacht heiser geschrien, denn Jerik war nicht dafür bekannt, sonderlich zimperlich zu sein. Das war ein Charakterzug, den Crill nicht gerade an seinem Bruder schätzte.

Der Blick des Gefangenen blieb an ihm hängen.

„Bennai?“ Etwas wie Vorahnung schwang in der Stimme mit. Mitleid stieg in ihm auf. Der Sklave fragte gewiss nach seinem Bruder.

„Er hat um dein Leben gebeten“, antwortete er mit einem bedauernden Kopfschütteln. Der Gefangene verstand. Prompt begannen die ausdrucksstarken, dunkelgrünen Augen in Tränen zu schwimmen.

„Trink etwas“, bot Crill freundlich an. Das heiße Gebräu würde den Japhoy ein wenig beruhigen und wärmen. Er setzte ihm den Becher an die Lippen und ließ Flüssigkeit in dessen Mund laufen. Im nächsten Moment spuckte ihm der Sklave den Kahbeel entgegen. Ungerührt wischte sich Crill die sofort abkühlende und gefrierende Flüssigkeit mit dem Handschuh von der Brille. Dann halt nicht. Zum Glück hatte Jerik von dieser Beleidigung nichts mitbekommen, da er sich über das laute Brummen der Turbinen hinweg mit Chuppu unterhielt. Hätte er registriert, dass Crill angespuckt worden war, wäre längst ein Sturm über den Gefangenen hereingebrochen, wie dieser ihn nie zuvor erlebt hatte.

Sie starrten einander an. Der Japhoy in der Erwartung, für sein Handeln bestraft zu werden, er dagegen aus purer Neugier. Er verspürte ein wenig Widerwillen, weil er nun einen Sklaven besaß, den er eigentlich gar nicht gewollt hatte und an dem noch der Samen seines Bruders klebte. Und möglicherweise auch von anderen. Ein unliebsamer Gedanke.

„Hast du Schmerzen?“

Keine Antwort.

„Wie heißt du?“

Keine Antwort.

„Hau ihm eine runter, wenn er bockig ist“, rief Jerik über den Fahrtwind hinweg. Der Japhoy zuckte sichtlich zusammen. Offenbar erkannte er die Stimme seines Peinigers. Crill konnte erkennen, wie es im Gesicht des Sklaven arbeitete. Dem viel zu jungen Gesicht …

Plötzlich fröstelte es ihn und er zog die Plane höher, wobei er darauf achtete, dass der Japhoy ebenfalls darunter Platz fand. Der hatte inzwischen den Kopf zur Seite gedreht. Eine Träne lief ihm über die Wange und gefror an der Linie zum Kinn.

Trauere nur, dachte Crill mitleidig. Weine ruhig.Das Leben ist oft nicht zum Lachen. Und dein Bruder hat es verdient, beklagt zu werden.

In der Eintönigkeit der Fahrt begann er zu dösen. Meistens zogen sie zu Fuß auf die Jagd – für ihn mittlerweile ein Ding der Unmöglichkeit –, allerdings würden sie mit den Frachtgleitern schon den ganzen Tag bis in die Siedlung brauchen. Beladen mit dem ganzen Fleisch wären sie an der Entfernung gescheitert. Außerdem hätten sie keine Faltboote zur Verfügung gehabt, um die Piga in ihrem Element zu jagen. Wie hatten eigentlich die Japhoy die Tiere erlegen wollen? Oder waren sie auf eine andere Beute aus gewesen? Jerik hatte nicht erwähnt, dass sie Fahrzeuge bei sich hatten. Die hätte er unter keinen Umständen zurückgelassen, da neue Gleiter teuer waren und ein großes Loch in die Gemeinschaftskasse rissen. Also waren ihre Feinde bestimmt zu Fuß unterwegs gewesen, den ganzen langen Weg von den Bergen aus. Ratlos betrachtete er seinen Sklaven, der sich in seinem Elend zusammengerollt hatte und seinen Kummer zu unterdrücken versuchte. War die Bergbevölkerung dermaßen arm, dass sie ihren Jägern keinen Gleiter zur Verfügung stellen konnten, oder was steckte dahinter?

***

Thanis versuchte, völlig still zu liegen, weil sein Körper bei jeder Bewegung schmerzte. Dass seine Hände auf dem Rücken gefesselt waren, trug zur unbequemen Situation bei. Zu allem Überfluss bekam er einen Wadenkrampf, der erst nach etlichen schmerzhaften Minuten nachließ. Zudem konnte er die Qual in seinem Herzen kaum ertragen. Bennai war tot. Diese verdammten Iskaqui hatten seinen Bruder ermordet! An das, was er gemeinsam mit seinen Kameraden die Nacht zuvor erlitten hatte, wollte er lieber gar nicht erst denken, darum schob er diese Erinnerung in den hintersten Winkel seines Verstandes.

Tot!

Bennai war tot!

Er würgte an seinen Schluchzern, doch gegen die Tränen war er machtlos. Erst war es eine, gleich darauf eine zweite, schließlich ganze Bäche. Auf seinen Wangen gefroren sie zu Eis.

Flieh!, kam es ihm in den Sinn. Ergib dich nicht deinem Schicksal, sondern flieh! Vorsichtig bemühte er sich, die Beine weiter auszustrecken, was ihm ein leises Stöhnen entlockte. Seine Gliedmaßen waren eingeschlafen und der ganze Körper eine einzige Prellung. Der Anführer der Iskaqui hatte deutlich gemacht, dass er keinen Widerstand duldete, trotzdem hatte sich Thanis partout nicht fügen wollen. Dementsprechend handgreiflich war das Schwein gewesen, grob und rücksichtslos. Er hatte sich heftig zur Wehr gesetzt, aber irgendwann waren die Schläge zu brutal geworden und er bis zur Bewusstlosigkeit geprügelt worden. Würde er überhaupt laufen können? Nicht, dass sein Fluchtversuch von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Probehalber bewegte er vorsichtig seine Beine hin und her. Das Gefühl kehrte kribbelnd in sie zurück. Die Muskeln waren vom langen Liegen in der Kälte steif. Zumindest waren seine Füße nicht gefesselt, wie er zufrieden feststellte. Jetzt musste er bloß auf eine passende Gelegenheit warten. Thanis schloss die Augen, blinzelte allerdings ab und an unter den gesenkten Wimpern hindurch, um die Iskaqui auf dem Gleiter zu mustern. Die beiden pelzverhüllten Rücken mussten seinem Peiniger und dessen Freund gehören. Vor denen sollte er sich in Acht nehmen. Den Mann, der bei ihm saß, konnte er nicht einschätzen. Gestern Abend hatte er abgelehnt, als der Anführer ihm Thanis angeboten hatte. Warum kümmerte er sich heute um ihn? Oder war er lediglich als Bewachung abgestellt worden?

Er humpelt, erinnerte sich Thanis. Und er war gestern nicht unter denen, die uns … Er schluckte schwer. Der Wächter ähnelte in seinem Aussehen dem Peiniger. Bestimmt waren sie ebenfalls Brüder oder zumindest nah verwandt. Er schien jünger als der Grobian zu sein, dafür lag um seinen Mund ein bitterer Zug. Die dunkelbraunen Haare trug er kurz, daran konnte sich Thanis ebenfalls entsinnen, denn für die Fahrt hatte sich der Iskaque die Kapuze weit ins Gesicht gezogen. Ein Bartschatten betonte helle braune Augen, beinahe bernsteinfarben, die an Raubtiere erinnerten. Die Lippen waren schmal und die Nase hatte einen interessanten Knick, als ob sie irgendwann einmal gebrochen gewesen war. Mehr konnte Thanis nicht erkennen, da der Iskaque eine Schneebrille mit klaren Gläsern gegen den Fahrtwind trug und den Kragen seines Mantels hochgeschlagen hatte. Er selbst war vor dem Wind durch die Seitenwände der Ladefläche und die Plane geschützt.

Als wäre er sich der heimlichen Musterung bewusst geworden, tippte der Iskaque gegen die Brille, woraufhin sich die Gläser verdunkelten und ihn gegen den blendenden Schnee schützten. Thanis gab es auf, diesen Mann einschätzen zu wollen. Dass er lahm war, würde sich womöglich als Vorteil erweisen. Doch vielleicht war er ein Meisterschütze oder zeichnete sich durch andere Fähigkeiten aus. Oder er war von besonderer Grausamkeit, weil er damit seine Gehbehinderung ausgleichen wollte. Wenn er nach dem Anführer geriet, konnte der hier sogar ein richtiges Problem werden. Thanis seufzte. Er würde es einfach riskieren müssen.

Die Gleiter folgten über Stunden hinweg einer Schneise durch den Wald. Das Winterlaub und die Äste waren mit Eis und Schnee bedeckt. Es wäre ein schöner Anblick gewesen, wenn er ihn hätte würdigen können. Der Durchlass schien regelmäßig von Astwerk und Gestrüpp befreit zu werden. Wenn sich die Iskaqui solche Mühe machten, dann wurde dieser Weg offenbar häufiger benutzt. Wäre das seinen Leuten bewusst gewesen, hätten sie einen Strandabschnitt weiter abseits aufgesucht und es wäre nie zu dieser unseligen Begegnung gekommen.

Verfluchtes Schicksal!

Endlich wurde der Frachter langsamer und senkte sich auf den Boden ab. Mit einem dumpfen Surren erstarb die Turbine. Auch die anderen Fahrzeuge landeten und wurden abgeschaltet. Thanis spannte sich an. Vermutlich sollte eine Pause eingelegt werden. Tatsächlich wurde die Plane zurückgeschlagen und mit einem lauten Ächzen kam der Iskaque neben ihm auf die Füße. Sein Bruder half ihm mit Handgriffen vom Gleiter, die von Routine zeugten. Gleich darauf wurde er selbst am Kragen gepackt, grob an dem verpackten Fleisch vorbei über die Ladefläche gezerrt und in den Schnee fallengelassen. Prustend landete er in dem harschen Weiß, schluckte kristalline Flocken und schüttelte sich, als eisige Nässe in seine Kleidung geriet. In der nächsten Sekunde zog ihn der Humpelnde auf die Beine und klopfte ihm sogar den Schnee von der Fellkleidung, damit sie nicht durchweichte.

„Pinkelpause“, brummte er. „Musst du dich erleichtern? Der nächste Halt ist erst in Phragmites. Die Siedlung erreichen wir gegen Abend.“

Thanis nickte, da er wirklich austreten musste und weil er eine Chance zur Flucht witterte. Eine Hand umfasste seinen Arm und führte ihn ein wenig abseits. Sein Herz begann aufgeregt zu schlagen, vor Nervosität brach ihm der Schweiß aus.

„Crill! Pass auf, dass dich die Kröte nicht reinlegt“, rief der Anführer hinter ihnen her. Der Angesprochene brummte bloß etwas Unverständliches und begann an Thanis’ Kleidung herumzufummeln.

Er erstarrte!

Gleich darauf brach ein unkontrolliertes Zittern über ihn herein. Schreckensbilder der gestrigen Nacht zuckten vor seinen Augen auf.

„Keine Panik“, sagte der Iskaque besänftigend. „Es passiert nichts.“

Trotz dieses Versprechens wurde Thanis’ Hose geöffnet. Was sollte das? Er hatte gehofft, dass der Kerl seine Fesseln löste. Stattdessen holte der beherzt sein Glied aus der Hose.

„Beeil dich“, murmelte der Mann. Zumindest schaute er demonstrativ in die Baumkronen hinauf. Kurz dachte Thanis daran, gegen diese demütigende Behandlung aufzubegehren, doch schließlich fügte er sich.

Wieg ihn in Sicherheit. Zeig dich brav, dachte er und verschluckte das Knurren, das in seiner Kehle aufstieg. Trotzdem brauchte er etwas Überwindung, um pinkeln zu können. Hinterher wurde er sorgfältig angezogen und der Fremde nestelte danach an der eigenen Hose herum, um dem Ruf der Natur zu folgen. Diesen Zeitpunkt nutzte er, wirbelte herum, riss sein Bein hoch und während alle seine Muskeln vor Schmerz kreischten, trat er zu. Tatsächlich konnte er den Lahmen überrumpeln. Der Treffer selbst warf den Iskaque nicht um, aber er rutschte weg und stürzte. Thanis rannte los.

„Crill!“ Das war die Stimme des Anführers. Er drehte sich nicht um, sondern hetzte angestrengt weiter. Der Schnee zwischen den Bäumen war tief, Hindernisse lauerten unter den weißen Massen, daher kam er nicht halb so gut vorwärts, wie er gehofft hatte. Jede Sekunde erwartete er den Treffer eines Phasers im Rücken. Seltsamerweise wurde er überhaupt nicht verfolgt. Thanis’ Furcht wuchs. Lief er etwa geradewegs in sein Verderben und wusste es nur nicht? Lauerte etwas Gefährliches vor ihm? Warum reagierten die Iskaqui nicht auf seine Flucht? Er blieb an einem im Schnee verborgenen Ast hängen und fiel. Es gab einen heftigen Ruck an seinen Fesseln und plötzlich wurde ihm der Atem abgeschnürt. Er riss den Mund auf und schnappte nach Luft, weil es um seine Kehle immer enger wurde. Die seltsame Schnur, die man ihm um den Hals gelegt und mit den Handfesseln verbunden hatte, zog sich unerbittlich zu. Er würgte, rang verzweifelt nach Atem, trat mit den Beinen um sich … Nichts half. Kein Wunder, dass ihn niemand verfolgt hatte … Schwärze näherte sich, die Panik stieg. Er würde ersticken … Flimmern … Ein letztes Aufbäumen …

***

Vergeblich bemühte sich der Japhoy zu atmen. Sein Gesicht verfärbte sich dramatisch blau, was etliche Iskaqui zum Lachen brachte. Crill fand das überhaupt nicht komisch. Sein Sklave durchlitt Todesangst, so wie er kämpfte, als ihm die Luft abgeschnürt wurde.

„Er ist ein Rebell. Ich besorge dir einen anderen“, sagte Jerik und verschränkte die Arme vor der Brust, um abzuwarten, bis sich die Angelegenheit von selbst erledigt hatte.

Verdammt!

Sie redeten hier nicht über ein Spielzeug aus Holz!

Wütend bewegte er sich durch den Tiefschnee auf den Erstickenden zu und brüllte dabei: „Ich will den oder keinen! Also unternimm was!“ Er selbst würde mit seinem verfluchten Bein definitiv zu spät kommen. Wertvolle Sekunden lang starrte ihn sein Bruder wegen des zornigen Ausbruchs überrascht an, hastete dann folgsam zu dem Japhoy, der mittlerweile das Bewusstsein verloren hatte, und lockerte die Fesseln. Danach schleppte er den reglosen Sklaven ohne ein Wort zum Gleiter zurück, wo die anderen sie teils belustigt, teils kopfschüttelnd erwarteten. Crill folgte stark humpelnd. Wie ein Bündel Schilfbinsen lud sein Bruder den Sklaven auf der Ladefläche ab und wandte sich danach zu ihm um.

„Bist du verletzt?“, fragte er sanft, als hätte Crill ihn nicht gerade eben angeschnauzt. Konnte Jerik nicht einmal zornig auf ihn werden und ihn wie jeden anderen behandeln, der sich von einem Japhoy hatte überwältigen lassen? Und das, obwohl er ihm erst kurz zuvor gewarnt hatte. Er hasste diese Sonderstellung. Resigniert ließ er die Schultern sinken.

„Mir ist nichts passiert, außer dass ich eine Ladung Schnee in den Kragen bekommen habe.“

Sein Bruder schmunzelte. „Eine kalte Strafe.“

„Und eine nasse.“

Sie sahen einander an, wobei sein Ärger verrauchte. Jerik legte ihm eine handschuhverpackte Hand an den Hinterkopf und zog ihn zu sich heran. Der Kuss war warm und liebevoll und söhnte ihn wieder mit seinem Gegenüber aus.

„Wir sollten weiter und die anderen nicht länger auf uns warten lassen. Sonst heißt es bloß, dass der Krüppel schuld daran ist, wenn sie nicht vor Einbruch der Nacht in der Siedlung ankommen“, murmelte er.

„Du bist kein Krüppel“, knurrte Jerik. „Und sie warten solange, wie ich es verlange. Soll es einer wagen, dich zu beleidigen.“

„Deine Fürsorge macht mich zum Außenseiter.“ Eigentlich wollte er keine neuerliche Diskussion über ihr Verhältnis beginnen, doch es ergab sich nun zufällig und Jerik war wie üblich zu stur, um das Problem zu erkennen.

„Was für ein Unsinn. Du machst dich selbst zum Einzelgänger. Schließ dich mehr den Kameraden an, nimm an den Feiern teil …“

Resigniert wandte er sich ab und zog sich auf die Ladefläche, um seinen Platz einzunehmen. Es war sinnlos. Jerik verstand ihn nicht und bemühte sich nicht einmal, sich in seine Lage zu versetzen.

„Crill …“ Sein Bruder lief um die Ladefläche herum, bis er neben ihm stand. „Ich will nur, dass es dir gut geht.“

„Das weiß ich, ab…“

„Du hast dich in dem letzten Jahr ziemlich verändert.“

„Mein komplettes Leben hat sich seit dem Unfall verändert. Ich kann nicht mehr derselbe wie vor dem Ellok-Angriff sein.“

Jerik öffnete zunächst den Mund, um etwas zu erwidern, klappte ihn allerdings etwas zu sagen wieder zu. Ein wenig ratlos wurde Crill betrachtet. „Wir reden zu einem späteren Zeitpunkt darüber. Das hier ist nicht der passende Moment.“

Damit hatte er recht.

„Geht’s weiter, Kommandant?“, rief jemand, woraufhin sein Bruder winkte.

„Ist dir hier hinten warm genug? Ich hole dir gerne eine Decke aus dem Gepäck …“

„Das ist nicht nötig. Lass uns fahren. Die Männer wollen nach Hause.“

„Ja.“ Sein Gegenüber lächelte verlegen. „Gut. Kriech unter die Plane. Wenn etwas ist, gib Bescheid.“

Er nickte. Jerik kehrte ans Steuer zurück und gleich darauf rauschten sie mit den Frachtgleitern auf den Waldrand zu. In wenigen Stunden würden sie in der Siedlung ankommen. Crill starrte auf das reglose Bündel neben sich. Wie sollte er mit dem Sklaven umgehen? Er hatte nie einen besessen und sich von denen ferngehalten, die der Allgemeinheit zur Verfügung standen. Seiner Meinung nach war es moralisch verwerflich, über einen anderen Menschen zu verfügen und ihn zu einem schlichten Werkzeug zu degradieren, um Arbeiten zu verrichten oder um die eigene Lust zu stillen. Aber Sklaverei gab es seit Beginn der Besiedelung von Tereus QR. Die Leibeigenen wurden jedoch von anderen Planeten importiert, da sie ihre einheimischen Gegner meist töteten. Es war ein harter Kampf um Land und Nahrungsquellen. Da blieb kein Platz für freundliche Nachbarschaft. Nicht mit den Japhoy.

Ein Rückschritt in der Evolution, dachte Crill bitter. Er und sein Bruder Jerik waren auf Tereus QR geboren worden und hatten ihre Heimat bis auf ein paar Besuche der umliegenden Planeten nie verlassen. Dagegen war ihr Vater Gonan auf einem hübschen Planeten namens Zastorza aufgewachsen, der für seine spektakulären Himmelsverfärbungen zur Dämmerungsstunde berühmt war. Als er fünfzehn Jahre alt wurde, siedelte er gemeinsam mit seinen Eltern in die Hauptstadt Dedamos des Planeten Tereus QRs um. Dabei hatte Gonan deutlich gemacht, dass er die Annehmlichkeiten von Zastorza vermisste. Das Leben auf dem schneelastigen Planeten machte aus ihm einen verbitterten Mann mit einer unzufriedenen Ehefrau. Unabhängig davon schaffte er es bis in die Regierung und wurde ein einflussreicher Mann. Crill empfand nur noch wenig Zuneigung für seine Eltern, die ihm deutlich zu verstehen gaben, dass er seit dem Unglück zu einem lästigen Familienanhängsel geworden war. Sie wussten nicht mehr mit ihm umzugehen und schämten sich für die hässliche Gestalt, in die der Ellok ihn verwandelt hatte. Jerik hielt Kontakt zu ihnen, er dagegen hatte aufgegeben.

In solche und ähnliche Gedanken blieb er während der restlichen Fahrt versunken. Nachdem sein Sklave zu Bewusstsein kam, stellte der sich tot und Crill ließ ihn in Ruhe, da er ahnte, dass der Japhoy seine misslungene Flucht und die daraus resultierende Frustration in Ruhe verarbeiten musste. Erst als Phragmites in Sicht kam, berührte er den jungen Mann an der Schulter.

„Wir sind da.“.

Der Sklave hob den Kopf und rutschte mit einem gequälten Ächzen vorsichtig in eine aufrechte Position, ohne dabei die Hände zu bewegen. Er schien aus seinem Fehler gelernt zu haben.

„Phragmites ist sicherlich ganz anders als dein Zuhause“, sagte Crill in dem Versuch, dem jungen Mann an seiner Seite ein Gespräch zu entlocken. Er wurde ignoriert, was er mit einem Schulterzucken quittierte. Stattdessen suchte er in der Miene des Japhoy nach einer Reaktion. Tatsächlich lag da ein leichtes Staunen auf dessen Gesicht. Hinter einem schützenden Lichtzaun, der bei Angriffen um eine Kuppel erweitert werden konnte, lag ein riesiger See. Eine einzige Brücke, durch ein Tor versperrt, führte in die gut gesicherte Siedlung, wo gewaltige Schilffelder Inseln bildeten. In das größte der Schilffelder waren die Häuser hineingebaut worden.

Phragmites war ringförmig angelegt worden. Im Zentrum befand sich eine große Halle, in der Veranstaltungen und Versammlungen abgehalten wurden, sowie die Marktanlage. Ringstraßen bildeten die Hauptverkehrswege. Sie waren mit weiteren Brücken verbunden, die wie die Speichen eines Rades angeordnet waren. An den Schilfhalmen, die nicht selten einen Durchmesser von fünf Metern erreichten, waren Plattformen befestigt. Auf ihnen hatten die Iskaqui ihre Häuser errichtet. Bei starkem Wind bewegten sich die Behausungen mitsamt den dicken Halmen hin und her, was für Fremde zunächst verstörend wirkte, woran sich die Bewohner jedoch längst gewöhnt hatten. Irgendwo im Schilf schrie ein Vogel und vereinzeltes Quaken der Frostfrösche hier und da begrüßte sie. Große, runde Blätter wie Tabletts boten Schlafplätze für Breitschnäbel. Die zugehörigen orangefarbenen Blüten hatten sich gegen die Nachtkälte geschlossen. Lichter schimmerten in der Abenddämmerung über das dunkle Wasser und verzauberten diesen Ort. Crill liebte diesen Anblick.

Sie passierten das Tor und schwebten über die Brücke auf die äußerste Ringstraße zu. Über ihnen schwirrten Drohnen, die ihre Ankunft längst an die Kommandozentrale weitergemeldet hatten. Jerik nahm den Kommunikator und sprach etwas hinein, das Crill über den Antriebslärm hinweg nicht hören konnte. Erst als sie auf der Ringstraße nach links abbogen und die übrigen Frachtgleiter geradeaus zu den Lagern weiterflogen, ahnte er, welchen Inhalt die Mitteilung an die Jagdkameraden hatte. Jerik wollte ihn zu Hause absetzen, damit er sich das Abladen der Beute ersparen konnte. Ständig wurde er bevorzugt behandelt. In diesem Fall verzichtete er allerdings auf einen Protest, da ihm die Sonderbehandlung recht kam. Schließlich hatte er einen Sklaven dabei, um den er sich kümmern musste, und beim Löschen der Ladung hätte er ohnehin nicht helfen können.

Wenig später hielten sie vor einem Steg, der die Ringstraße mit der Plattform von Crills Haus verband. Für sein schlimmes Bein stellte diese Konstruktion zwar eine Herausforderung dar, aber ein starrer Bau würde beim Schwanken des Schilfhalms unweigerlich abreißen.

Jerik stieg ab, um ihm beim Verlassen des Gleiters zu helfen und den Japhoy unsanft von der Ladefläche zu zerren.

„Crill …“

„Komm mir jetzt nicht mit einer weiteren Belehrung.“ Bei allen Sternen! Er war kein kleines Kind mehr.

„Schön, dann sag ich es dir, Japhoy. Greif meinen Bruder an und du bist tot. Widersetze dich ihm und ich knöpfe mir dich vor. Ich wohne gleich nebenan, bin also schnell zur Stelle. Und ich scheue mich nicht, dich langsam zu ersäufen. Aus Phragmites zu fliehen, ist nicht möglich. Dafür müsste dir ein bestimmter Chip implantiert werden. Du kämst daher ohne einen Iskaque nicht hinaus. Kapiert?“

Sein Sklave blieb stumm. Jerik stieß ihm grob gegen die Brust, dass der Japhoy zurückstolperte und beinahe von der Brücke geschlittert wäre. Nur mit Mühe hielt er das Gleichgewicht.

„Vom heutigen Tag an bist du Crills persönlicher Sklave. Denk darüber nach, was das bedeutet. Hast du mich verstanden?“ Sein Bruder trat einen drohenden Schritt auf den Japhoy zu. Der schwieg beharrlich, schaute allerdings nervös über die Schulter. Er stand direkt am Rand der Straße. Ein Geländer gab es nicht und er war nach wie vor gefesselt. Wenn Jerik ihn hinunterstieß, würde er jämmerlich ertrinken. Schwarz schimmerte das Wasser, Eis schwamm darauf. Es war nicht dick genug, um einen Menschen zu tragen.

„Verstanden?“, zischte Jerik, da keine Antwort erfolgte, und packte den Japhoy hart am Kragen. Nun wurde der nur noch durch die kräftigen Finger daran gehindert, rücklings in die Tiefe zu fallen. Panik tauchte im Gesicht des Sklaven auf.

„Jerik“, sagte Crill mit eindringlicher Stimme.

„Er soll antworten oder ich suche dir ein neues Spielzeug.“ Sein Bruder lockerte den Griff und der Japhoy drohte tatsächlich abzustürzen. Dessen Füße rutschten über die vereisten Bohlen. Ungehalten humpelte Crill auf die beiden zu, um seinen Bruder aufzuhalten.

„Verstanden!“, rief der junge Mann glücklicherweise in diesem Moment.

„Na, geht doch.“ Jerik zog ihn einen Schritt von der Kante fort. „Und als Nächstes passen wir die Anrede an.“

„Ich habe verstanden, Herr.“ Mühsam presste der Sklave die Worte zwischen den Zähnen hervor.

„Und jetzt verrate meinem Bruder deinen Namen, ansonsten denke ich mir einen für dich aus.“

Crill konnte sich denken, dass der wenig schmeichelhaft ausfallen würde. Allmählich steigerte sich sein Ärger.

Ohne den Blick zu heben, wandte sich der Japhoy an ihn. „Mein Name ist Thanis, Herr.“

„Und ich heiße Crill. Sei so freundlich und geh schon vor. Ich muss kurz unter vier Augen mit meinem Bruder sprechen.“ Er deutete auf den Steg, der zu seinem Haus führte. Geradezu hastig folgte Thanis der Aufforderung.

„Sei so freundlich?“, wiederholte sein Bruder entgeistert. „Crill, was ist los mit dir? Diese kleine Kröte ist dein Sklave. Er hat dich bereits angegriffen und wollte fliehen. Gleich bist du mit ihm allein.“

„Du hast recht, Jerik. Er ist mein Sklave. Es sei denn, du forderst ihn zurück.“ Er bemühte sich, einigermaßen ruhig zu sprechen, dabei kochte er innerlich.

„Natürlich will ich ihn nicht zurück.“

„Dann überlass es gefälligst mir, ihn zu erziehen. Es ist mein Bein, das kaputt ist, Jerik. Mein Verstand funktioniert dagegen hervorragend. Du musst also nicht so tun, als wäre ich schwachsinnig oder schlicht nicht lebensfähig.“

Wie vom Donner gerührt stand sein Bruder da und suchte krampfhaft nach Worten. „Crill, seit deinem Unfall suchst du in jedem Menschen nach emotionalen Schwächen, damit du ihn mit Samthandschuhen behandeln kannst. Dadurch wirst du zu nachsichtig und man nimmt dich nicht mehr ernst.“

„So ähnlich ergeht es mir mit dir. Du denkst ausschließlich an mein verunstaltetes Bein und behandelst mich wie ein unmündiges Kind.“

Jerik zog sich die Kapuze vom Kopf und fuhr sich durch das Haar. „Ist das wirklich deine Sicht der Dinge?“, fragte er.

„Gütige Sterne! Ich versuche bereits seit geraumer Zeit, dir das klar zu machen. Du hörst mir bloß nie zu. Zumindest nicht richtig.“ Er seufzte entnervt, was ein entschuldigendes Lächeln bei seinem Gegenüber hervorrief.

„Ich denke darüber nach, ja?“

Er nickte.

„Ist zwischen uns alles okay?“ Jerik klang besorgt, was Crill nicht verwunderte. Sie standen sich selbst für Brüder ungewöhnlich nahe.

„Ich liebe dich sehr. Aber ich brauche ein Stück weit Freiraum, um atmen zu können. Damit ich sein kann, wie ich nun einmal bin.“

„Ich gebe mir Mühe.“ Jerik legte eine Hand auf seine Schulter. „Pass trotzdem auf dich auf.“

Er nickte und wandte sich an Chuppu, der gelassen im Gleiter gewartet hatte. „Ich möchte mich für deine Hilfe heute bedanken. Und für deine Geduld.“

Der Freund grinste breit. „Für dich immer gerne. Hab eine angenehme Nacht, Crill.“

Grüßend hob er die Hand und verfolgte, wie sein Bruder in den Transporter kletterte und mit einem letzten Winken das Gefährt die Ringstraße entlang steuerte. Danach drehte er sich zu seinem Sklaven um. Thanis, wie er sich erinnerte.

***

Thanis wartete vor der Tür und beobachtete die beiden Brüder. Sie schienen sich zu streiten.

„Mörder“, fauchte er leise. Er war froh, dass er dem Kerl mit dem steifen Bein und nicht seinem Peiniger gehören sollte. Dem Killer, Schänder … Der Krüppel hatte ihm bisher nicht gedroht. Er hoffte inständig, dass das so bleiben würde. Der Gleiter surrte davon und sein Herr kam auf ihn zu. Der Iskaque humpelte ziemlich heftig, seine Miene verriet Schmerzen, die er nicht länger verbergen konnte.

Damit stehst du nicht alleine da, dachte Thanis. Mir knurrt obendrein der Magen und es ist eiskalt.

Schweigend trat der Mann an ihm vorbei. Ein Scan, vermutlich des erwähnten implantierten Chips, öffnete ihnen die Tür.

„Nach dir.“ Der Iskaque vollführte eine einladende Geste, der Thanis rasch folgte. Mit der einbrechenden Dunkelheit sank die Temperatur drastisch und er wollte endlich ins Warme.

„Licht!“, befahl sein Besitzer und sofort schalteten sich die Lampen ein. Ein Hologramm-Gesicht tauchte vor ihnen auf und erschreckte Thanis.

„Willkommen zurück, Crill“, sagte eine männliche Computerstimme scheinbar aus dem Nichts. „Du hast drei Nachrichten im Speicher.“

„Danke, O4T. Dies ist mein Sklave Thanis. Er wird hier zukünftig ein- und ausgehen.“ Crill begann, sich aus den Fellen zu schälen, die er einem Hausdroiden überreichte.

„Thanis, Status persönlicher Sklave. Ist dies korrekt?“

„Korrekt.“

„Die Daten sind gespeichert.“

Thanis war beeindruckt. Den Luxus eines Hologramm-Butlers gab es in den Blauen Bergen nicht. Genauso wenig wie einen Droiden. Und erst recht keine solchen komfortablen Wohnungen mit Panorama-Ausblick auf den See und einer riesigen Schlafmulde im Boden. Die Farben Weiß, Graublau und Silber herrschten vor. Der Boden bestand aus einem Material, das wie dunkelbraunes versteinertes Holz anmutete. Die drei Monde –, der weiße Lindor 1, der orangefarbene Sindus und der blaue Bron2X – waren durch das Panoramafenster gut zu erkennen.

„Thanis?“

Er drehte sich zu Crill um.

„Du hast sicher Hunger?“

Mit einem Nicken beantwortete er die Frage. Ein bisschen verspätet fügte er ein „Ja, Herr“ hinzu.

„Ich hoffe, du magst Fisch. Der See bietet mehrere schmackhafte Arten an. Auch verschiedene Wasservögel sind sehr delikat.“ Crill ließ sich auf einen Stuhl sinken und massierte sein Bein. „Komm her. Diese Würgeschellen musst du ja nicht länger als nötig tragen.“