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Ernst Barlach nimmt unter den Künstlern der Moderne einen besonderen Platz ein. Über Barlachs Der tote Tag befand Thomas Mann, es sei das »Stärkste und Eigentümlichste …, was das jüngste Drama in Deutschland hervorgebracht hat«. Über seine Plastiken hielt Bertolt Brecht fest: »Sie haben viel Wesentliches und nichts Überflüssiges.« Als Neil MacGregor 2014 für seine Londoner Ausstellung »Deutschland – Erinnerungen einer Nation« nach einem ikonischen Exponat suchte, entschied er sich für Barlachs »Schwebenden« aus dem Güstrower Dom.
Anlässlich des 150. Geburtstages von Ernst Barlach erscheinen seine Briefe in einer vierbändigen Ausgabe. Sie enthält neu aus den Originalen transkribierte Texte mit einem kontextbezogenen Kommentar. Ein Viertel der gut 2200 Briefe wird hier zum ersten Mal veröffentlicht.
Mit den Briefen schrieb Barlach den Roman seines Lebens. Der Bogen reicht von Sinnsuche und Selbstaussprache über Künstlerwerdung und Meisterschaft bis hin zu Verzweiflung und Vereinsamung. Der alleinerziehende Vater gibt Nachricht, der selbstbewusste Künstler verhandelt, der Einzelgänger zieht sich zurück, der politisch interessierte Beobachter kommentiert. Der hier schreibt, ist belesen in vielen Literaturen, bewandert in der Kunst und begabt, von sich zu sagen. Er ist feinfühlig und unbescheiden, neugierig und starrsinnig, er bittet und ignoriert. In seinen Briefen wird Barlach kenntlich als Mensch.
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Seitenzahl: 1268
Veröffentlichungsjahr: 2020
ERNST BARLACH
Die Briefe Kritische Ausgabe in vier Bänden
Ein Editionsvorhaben der Ernst Barlach Stiftung Güstrow und des Ernst Barlach Hauses Hamburg an der Universität Rostock
ERNST BARLACH
Die Briefe
Band III: 1929-1934
Herausgegeben von Holger Helbig, Karoline Lemke, Paul Onasch und Henri Seel unter Mitarbeit von Volker Probst, Franziska Hell und Sarah Schossner
Suhrkamp
1929
1930
1931
1932
1933
1934
Bildteil
Personenregister
Ortsregister
Werkregister
1059 an Paul Schurek, Güstrow, 6. Januar 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
6. 1. 29.
Sehr geehrter Herr Schurek,
hoffentlich kommt dieser Dank an die unvollkommen entzifferte Adresse.1
So also haben wir ein Datum gemeinsam2 und wie ich aus Ihrem Buch ersehe, auch das Plattdeutsch.3 Auf Plattdeutsch ließ ich, ein endloser Geschichtenerzähler, in Kinderohren, ein für alle Mal alle Tiere reden.4 | Ein hochdeutsches Tier war ein Unding.
Ich gönne es Ihnen von Herzen, daß Sie, wie ich annehme, viel jünger sind als ich – man möchte sich manchmal eine Überjugend einreden und einen Vorzug vor der hochgelobten Geringjährigkeit buchen, aber, so glänzend es manchmal damit auszusehen scheint, – – der Winter ist ein harter Mann …5
Ich bin in der heutigen Phase meines Lebens wieder einmal nichts als Bildhauer, ein ganz schwerfälliger Briefschreiber und ganz »aus der Kehr«6 | des Zeitgemäßen. Ich hoffe, Sie nehmen vorlieb!
Einen herzlichen Gruß!
Ihr EBarlach
Brief mit Umschlag, 1 DBl. mit 3 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 21,5 × 13,8 cm; Ernst Barlach Stiftung Güstrow; Barlach 1962; [770]
1Der Brief ist adressiert an »Herrn Paul Schurek / Schriftsteller / Hamburg Fuhlsb.«.
2Schurek wurde am 2. 1. 1890 geboren, genau zwanzig Jahre nach EB.
3In EBs Nachlassbibliothek befindet sich Schureks Fabelsammlung Grisemumm von 1925.
4Eine solche Passage findet sich etwa mit einem Gespräch zweier Fische im Güstrower Tagebuch (GT, 324).
5Anspielung auf Matthias Claudius' Gedicht Der Winter ist ein rechter Mann (1782).
6(Schweiz.) Rundgang, Runde; hier aus dem Tritt sein, vom Weg abkommen.
1060 an Karl Muggly, Güstrow, 10. Januar 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
10. I. 29
Sehr geehrter Herr Muggly,
die Kiste1 ist heute Abend angekommen, da ich morgen nach Kiel reise, so kann ich Ihnen Weiteres noch nicht melden, selbstverständlich außer meinem einstweiligen Dank. Herr Böhmer wird auspacken und schreiben, es wird sich aber wohl fragen, ob die Anbringung bei dem starken Frost nicht aufgeschoben werden muß. | Hoffentlich sind Sie wohlbehalten wieder zurück und haben für sich und die Ihrigen den erhofften Nutzen mitgebracht. Wir müssen im Heidberghäuschen schon gelegentlich ein wenig frieren, was mir besonders für Frau Böhmer, die darunter mehr leidet als Andere, leidtut.
Mit den besten, wenngleich verspäteten Glückwünschen für viel Gutes im neuen Jahr bin ich
Ihr sehr ergebener
EBarlach
Brief, 1 DBl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 21,9 × 14,1 cm; Ernst Barlach Stiftung Güstrow; Barlach 1968/69; [771]
1Zum Auftrag Mugglys ↘ 1021.
1061 an Willy Hahn, Bad Doberan, 13. Januar 1929
»Wismar. St. Georgenkirche«
Sehr geehrter Herr Stadtrat,
aus Doberan sende ich eine leibhaftige Ansicht des Däublerturms1 mitsamt dem kolossalen Leibe so dazu gehört. Es ist immer wieder erfrischend hier zu sein. Ich denke auch mit Freude an den Tag in Kiel. Die Reise zieht sich hin, – die Dinge drängen sich heran u. machen sich geltend.
Mit erg. Grüßen an Sie u. Ihre Frau
EBarlach |
13. I. 29.
Postkarte, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Bildmotiv »Wismar. St. Georgenkirche«, 14,0 × 9,0 cm; Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel; Barlach 1968/69; [772]
1Der Turmstumpf an der Westfassade der St.-Georgen-Kirche in Wismar, in dem EB eine Ähnlichkeit mit Theodor Däublers Physiognomie erkannte: »In Wismar ist ein Däublerturm, der mit den breiten Schultern und dem kurzen Hals« (KS, 491). Im Prosafragment Diario Däubler schildert EB, wie er den Turm mit Däubler besichtigte und die Ähnlichkeit beider feststellte: »Wie er bei Nacht, nach dem Hummermahl in Wismar auf der Treppe lag und die breite Front des Georgskirchenturms (des Däublerturms!) hinauf starrte und ihn apostrophierte: Du sollst den Nordturm in den Nordsturm strecken« (KS, 483).
1062 an Karl Barlach, Güstrow, 15. Januar 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
15. I. 29
Lieber Vetter,
ich mußte die endlich fällige Fahrt nach Kiel auf die knappste Formel bringen und bin somit weder zu den alten Bekannten dort, noch zu Elisabeth1 gekommen, mußte mir auch einen Tag für Neumünster versagen. Ich wäre auch noch nicht gefahren, wenn die nötige Besprechung sich hätte aufschieben lassen und die Ungeduld, durch Augenschein mich von dem endlichen Ausfall des langen u. schweren Mühens um die Gestalt, die ich gewollt, zu überzeugen, hätte gebändigt werden können. |
Du wirst über den ablehnenden Wiederhall2 unterrichtet sein und vielleicht einstimmen. Es ist die zweite meiner großen Arbeiten und die Ablehnung des Domengels hier war dieselbe. Sie wird auch diesen Stoß ausdauern, man wird es gewohnt, hier waren es dieselben Kreise, wie in Kiel, die sich, sozusagen persönlich, getroffen fühlen und mit Behagen Sentenzen formulieren – das Ganze ist abgetan u. ich bin jetzt bei dem Ehrenmal für den Magdeburger Dom.
Hoffentlich ist Dir besser zu Mute – (ich gehe nun zu der Frage nach den persönlichen Zuständen über) besser als mir. Mein Arzt3 hat gewisse nicht unbedenkliche Vermutungen, die noch genauer und umfassender zu prüfen sind, es ist, | um vorwärts zu kommen, erforderlich, daß ich Regeln innehalte, die auf Reisen doch nicht beobachtet werden, bin ich in anregender Gesellschaft, im ungewohnten Hauswesen, so gehts doch schief, man kann die besten Vorsätze haben. Darum muß ich meinen Zufluchtsort im Heidberg hier so festhalten, wie der Ertrinkende seinen Strohhalm. Gäste u. Besucher, die heraus kommen, werden nicht eingelassen, die mich bewachende Freundschaft ist hieb- und stichfest, ich bin in guter Bewahrung.
Hans war vor Kurzem hier, sichtlich gesteigert durch günstigere Gestaltung seiner Berufsangelegenheiten, die einzelnen Umstände scheinen nicht so gar überwältigend vorteilhaft, aber zusammenwirkend kommt ein Impuls zur Wirkung, der ihn zuversichtlich macht, auch scheint die Ehemisere | ihn nicht mehr wie sonst zu drücken, er ist offenbar Herr der Situation geworden, Anwendung drastischer Methoden bewährt sich – sie selbst ist gewillt in Scheidung einzugehen,4 sobald die wirtschaftlichen Abmachungen vollzogen werden können – (siehe Entschädigung der Auslandsdeutschen, die in Buchschulden bestehen!).5
Klaus war kurze Zeit in Ferien hier, die Mächte die Allen überlegen sind, haben ihn in der Mache, er schreibt z. Z. lyrische Gedichte u. leidet die bewußten Schmerzen. Er fängt auch an mit den Problemen der Jugend umzuspringen, wie man es eben in der Jugend macht – ja, nun wäre es mir lieb, von Deinem Befinden zu hören und wie es Euch miteinander geht.
Ich hatte mir vorgenommen, Dir einen Brief6 Deines Vaters an meinen, anläßlich des Todes von Onkel Johannes,7 mitzubringen,* ein, wie mir scheint, für Dich wertvolles Dokument, ich schicke ihn Dir also jetzt.
Grüße bestens Käthe u. Marlisi!
Herzlich Dein Vetter Ernst.
* den ich unter Familienbriefen fand.8
Brief, 1 DBl. mit 4 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 21,9 × 14,0 cm; Ernst Barlach Haus Hamburg; Barlach 1968/69; [773]
1Christine von Zingler.
2Zur Ablehnung der Ehrenmale EBs durch völkisch-nationalistische Kreise ↘ 1052, Anm. 2.
3Erich Zabel.
4Hs.: in Scheidung zu will einzugehen.
5Nach dem Ersten Weltkrieg und der damit verbundenen Neuordnung Osteuropas entstanden neue Staaten wie die baltischen Republiken. Durch die Neuordnung waren einige der sogenannten Auslandsdeutschen gezwungen, nach Deutschland zurückzukehren, womit häufig Vermögensverluste einhergingen. Die Forderungen gegen Staaten wurden im sogenannten Schuldbuch eingetragen, wenn eine Auszahlung nicht möglich war.
6Nicht überliefert.
7Johannes Konrad Barlach.
8Am Rand von Bl. 2v, quer zum Text.
1063 an Carl Häberlin, Güstrow, 17. Januar 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
17. I. 29
Sehr geehrter Herr Doktor,
ich löse aus einem alten Manuscript ein Blatt, es ist erste Niederschrift.1
Darf ich etwas hinzufügen? Ich habe das Bewußtsein keine festliegende persönliche Hand zu schreiben, in dem Wunsch, nur um alles in der Welt nicht undeutlich zu sein, dem Empfänger | zu ersparen, was mir so viel Kopfzerbrechen gemacht hat, bemühe ich mich in Briefen, die Schrift dem Auge des Andern anzupassen, falls ich irgend einen Anhalt besitze, der die Sehgewohnheit des Fremden erraten läßt. Ganz instinktiv schreibe ich bald breitspurig, bald schnörkelig, mal so, mal anders. Zustände üben Einfluß, ich mein oft, die eigene Handschrift abläugnen zu können.
Doch wohl ist, was ich von mir gebe, Schrift und nicht, wie so oft bei Künstlern, eher Zeichnung. Wenn ich sagte, es geschehe instinktiv, so ist der Widerspruch mit der Angabe, deutlich sein zu wollen, nur | scheinbar, es geht mit Briefen nur voran, wenn ich ein bißchen drauflos schmieren darf, sobald ich auf den Ausfall des graphischen Bildes achte, stockt der Satz beim ersten Kreuzweg, ich kann die banalsten Dinge nicht in Form bringen, der Gang der Feder muß doch wohl instinktiv geregelt werden.
Wie es wird, wenn ich nur für mich schreibe, hängt wohl sehr vom Tempo ab, das ich der Feder zubilligen kann, ob die antreibenden Vorstellungen stark oder schwach sind, in Notizen und angehäuften ersten Fixierungen muß ich wie in verfilzten2 Dickichten mit dem ordnenden Sinn einen Weg suchen.
In der Hoffnung, daß ich mit rechtem Verständnis Ihrem Wunsche gedient habe, bin ich Ihr
sehr ergebener
EBarlach
Brief, 1 DBl. mit 3 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 21,9 × 13,9 cm; Stadt- und Landesbibliothek Dortmund; Barlach 1968/69; [774]
1Nicht überliefert. Zu welchem Anlass Häberlin schriftstellerisches Material von EB erbat, konnte nicht ermittelt werden.
2Mögliche weitere Lesart: »verholzten« (Barlach 1968/69, II 147).
1064 an Hans Barlach, Güstrow, 22. Januar 1929
G. 22. I. 29
Lieber Hans,
hab vielen Dank für die Information wegen der Reinigung des Ofens – wir sind glatt durch die Eiswüste der Januartage gekommen, allerdings sind wir oft recht früh zu Bett gegangen u. sehr spät heraus. Die Wasserpumpe fror kaputt u. mußte ersetzt werden, die Feurung schwand in den 4 Öfen dahin, aber es war, besonders während der Schneesturmtage trotzdem hold u. lieblich in der Hut des Heidbergs. |
Inzwischen bin ich auf einige Tage mit Frau B.1 verreist gewesen. Ich mußte endlich nach Kiel, um nach dem Rechten zu sehen. Die Aufnahme der Gruppe ist, wie die des Engels im Dom, frostig und ablehnend. Man hatte 2 Tage vorher sogar das Schwert abgebogen in der Nacht, alle Rechtsparteien ziehen gegen mich vom Leder. Jede Art Dummheit wird laut und mit Behagen austrompetet. Schlimmer ist die Hetze gegen mich von Seiten der vaterländischen Vereine, speziell Stahlhelm, hier.2 Meine Entwürfe für ein Ehrenmal in Malchin3 sind dadurch | zu Fall gebracht, daß man mich als Juden denunzierte,4 als auch, daß man behauptet, ich hätte das kommunistische Volksbegehren gegen den Panzerkreuzer unterschrieben.5 Jeder Hund, der beißt, sich derart hündisch beträgt, riskiert einen Steinwurf, aber diese Herrn operieren anonym, aus dem Unterstand der Verantwortungslosigkeit und riskieren nicht mal so viel wie ein Hund, welches Betragen man als nicht hündisch nennen kann, sondern noch ein Gutes schäbiger. Ich fahnde nach Beweisen*6 und werde ganz gegen meine Neigung genötigt | sein, vorzugehen mit Klagen, denn der Stahlhelm ist zahlreich also quantitativ übermächtig u. seine Hetze greift polypenartig weit im Lande herum. Die Direktiven geschehen vertraulich, Niemand wills gewesen sein.
Also es war eine schöne kleine Reise. Wir blieben eine Nacht in Lübeck (Ratskeller usw.). Waren in Wismar, Doberan u. übernachteten in Rostock, kamen mit begleitendem Schneesturm heim.
Nach Berlin komme ich jetzt nicht, habe Herrn B.7 geschickt, den ich morgen zurückerwarte. Es ist wieder kalt – aber wir haben jetzt eine Heizsonne zu allem Übrigen. Ich soll sagen Dein Ofen macht Fr. B. viel Freude.
Wir, zu zweien, senden herzliche Grüße.
Dein Ernst.8 |
Klaus schreibt, daß er im Hochgebirge immer gutes Wetter gehabt hat, von ½ 10-½ 3 Sonne, so daß sie im Hemd Ski geübt hätten. In der Nacht sei es etwas kälter gewesen, aber nie bösartig, er hätte auch die Strapazen gut vertragen.
Ich soll Dir sagen, es sei Frau Böhmer gut bekommen, nämlich der luftige Gang mit Dir zur Chaussee. Im Lübecker Ratskeller fanden wir einen äußerst trinkbaren Wein, außerdem ist da unermeßlich viel beste alte Kunst. Ebenso in Wismar u. Doberan, ich habe viel gelernt und schönste Anregung gehabt. Habe jetzt das Hilfsmodell für den Magdeburger Dom9 fertig.
Nochmals Gruß!
Ernst.
* »schwarz auf weiß«
Brief, 1 DBl. und 1 Bl. mit 5 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 17,9 × 13,4 cm und 21,3 × 14,0 cm; Privatbesitz; Barlach 1968/69; [775]
1Böhmer; hier Margarethe Böhmer.
2Der Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten war ein Verband ehemaliger Soldaten in der Weimarer Republik, der als bewaffneter Arm der Deutschnationalen Volkspartei galt und insbesondere seit 1928 demokratiefeindlich, antisemitisch und rassistisch auftrat. Zur Ablehnung der Ehrenmale EBs durch völkisch-nationalistische Kreise ↘ 1052, Anm. 2.
3EB entwarf zehn Skizzen zum Ehrenmal in Malchin, die einen Soldaten mit hochgereckten Armen zeigen, der auf einem zusammenbrechenden Pferd sitzt (Wittboldt/Laur 2342-2351).
Entwurf eines Ehrenmals für Malchin (1929)
Entwurf eines Ehrenmals für Malchin (1929)
4Der Vorwurf rechtsradikaler Verbände, jemand sei jüdisch, diente früh der Denunziation. Im Falle EBs nahmen die Vorwürfe mit der Veröffentlichung des Magdeburger Ehrenmals zu. So wurde gemutmaßt, sein Nachname stamme vom hebräischen Vornamen Baruch ab (Piper 1983, 32).
5Am 16. 8. 1928 beschloss die KPD, ein Begehren für einen Volksentscheid gegen den Bau des Panzerkreuzers A anzustrengen. Dieser galt als ein Prestigeprojekt der Marine und erfüllte das Interesse nationalistischer Gruppen an Aufrüstung. Am 5. 10. 1928 wurde in der Zeitung Klassenkampf. Organ der KPD Halle-Merseburg eine Liste mit Unterzeichnern des Begehrens veröffentlicht. Als Unterzeichner aufgeführt war neben Carl von Ossietzky, Walter Gropius und Albert Einstein fälschlicherweise auch EB (↘ 1072). Die Zeitung des Bunds Königin Luise griff den Artikel mit der Liste auf und verbreitete deutschnationale und antisemitische Vorwürfe, darunter gegen EB. Die Zusammenhänge beschreibt EB im postum veröffentlichten Wider den Ungeist als Ergebnis der Nachfragen beim Gauführer des Stahlhelmbunds in Güstrow (KS 610-618; PK, 413-415).
6Die hierzu von EB angefertigte Kurze Aufzählung der wichtigsten Daten rekapituliert die Anstrengungen, u. a. eine Korrespondenz mit dem Stahlhelm-Bund Güstrow (PK, 413-415; ↘ 1091; ↘ Verzeichnis EK).
7Böhmer; hier Bernhard A. Böhmer.
8Am linken Rand von Bl. 2v, quer zum Text: »Wir, zu zweien […] Grüße. / Dein Ernst.«
9Magdeburger Ehrenmal (Werkmodell) (Laur II 436).
1065 an Adolf Scheer, Güstrow, 22. Januar 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
22. I. 29
Sehr geehrter Herr Scheer,
Ihre Anfrage wegen Erwähnung meines Namens in Ihrem Roman1 war unnütze Mühe, man darf mich gerne und sei es im ablehnenden Sinn citieren, leider erfahre ich aber ganz andere Sachen. Man scheut sich keineswegs vor Denunziationen übelster Art. |
Aber der Denunziant pfeift seine Signale aus dem Loch seiner unreinlichen Verborgenheit. Als wie wohltuend empfindet man dagegen ehrliche Gegnerschaft!
Ich wünsche Ihnen Alles Gute. Verzeihen Sie die Kürze meiner Erwiderung ich bin so geplagt mit Briefschreiberei, daß es bei dem besten Willen nicht zum eingehenden und wesentlich-teilnehmenden Mitteilen reicht.
Mit besten Grüßen
Ihr sehr ergebener
EBarlach
Brief, 1 DBl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 29,0 × 22,0 cm; Kunsthaus Meyenburg Nordhausen; Barlach 1968/69; [776]
1In Scheers unveröffentlicht gebliebenem Roman Wolkenwanderer heißt es: »›Wenn ich Maler wäre, würde ich sie malen‹, redete Wilthorst sich ein, dabei dachte er an verschiedene Kohlezeichnungen von Ernst Barlach, die er in einer Ausstellung gesehen hatte; diese Alte wäre so ein Modell gewesen« (Scheer zit. nach Barlach 1968/69, II 818).
1066 an Carl Albert Lange, Güstrow, 27. Januar 1929
G. 27. I. 29
Sehr geehrter Herr Lange,
wir sitzen in winterlicher Einsamkeit und ich las in Ihrem »Sibirien«,1 ich tat es schon manchmal u. werde es noch öfter tun, es ist schön zu spüren, daß ein Mann stark ist u. mutig, wohin man | den Dank dafür richten muß, die anonyme Stelle im Kosmos erreicht kein Brief, also, da es doch nur ein Brief sein kann, so geht er an Sie!
Die Einen mehr, die andern weniger, am Pumpenrad stehen wir doch Alle, aber, Gott sei Dank, uns umfängt immer wieder die nachtigallgraue süße Nacht. Ich spüre es im klaren | Bewußtwerden, daß uns der Weg trägt, den wir zu gehen meinen, die Zeit, in die wir uns getan fühlen, sind wir wohl selbst, die gute wie die böse. Das Wesen des Seins ist dunkel, weil wir Augen haben, mit denen wir es erkennen wollen, gut nur, daß Schauen ist, das alles »Er«kennen überflüssig macht.
Wenn Sie Herrn Sieker sehen, bitte ich, auch ihm | einen Gruß von uns Allen zu überbringen.
Herzlich
Ihr EBarlach
Brief mit Umschlag, 1 DBl. mit 4 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 17,9 × 13,4 cm; Ernst Barlach Haus Hamburg; Barlach 1962; [777]
1In seinem Gedichtband Sibirien (1921) verarbeitete Lange seine Zeit in russischer Kriegsgefangenschaft vom Februar 1915 bis zum Oktober 1919.
1067 an Friedrich Schult, Güstrow, 2. Februar 1929
Güstrow 2. II. 29
Lieber Herr Schult,
haben Sie vorerst meinen herzlichen Dank für die von Klaus überbrachten Holzschnitte, die mir viel Freude machen! Dann eine Bitte: sollten Sie etwas hören von der Hetze gegen mich, ob vom »Stahlhelm« ausgehend oder von ihm aufgegriffen –: erstens heißt es, daß ich Jude sei, zweitens, daß ich das kommunistische Volksbegehren gegen den Panzerkreuzer unterschrieben.* Beides wird benutzt, um mich weitern Kreisen mißliebig zu machen und hat mir bereits den so gut wie gesicherten Auftrag in Malchin hintertrieben. Also (um den Satz zu vollenden) sollten Sie etwas davon hören, so | bitte ich, es mir nicht vorzuenthalten. Ich bin auf der Suche, u. drauf u. dran, den Mist der dafür empfänglichen Presse zu übergeben.
Vergessen Sie bitte nicht, mir ein Wörtlein über Ihr Befinden zu sagen!
Wir sitzen im Heidberg wie eingefroren u. vergletschert, eine Situation, die, wenn mans verträgt, wunderschön ist.
Ich sende Ihnen die besten Wünsche,
Ihr EBarlach
* obendrein eine Lüge.1
Brief mit Umschlag, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 29,2 × 21,0 cm; Ernst Barlach Stiftung Güstrow; Barlach 1968/69; [778]
1Zu EBs Beteiligung am Volksbegehren gegen den Bau eines Panzerkreuzers ↘ 1064, Anm. 5.
1068 an Karl von Seeger, Güstrow, 6. Februar 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
6. II. 29
Sehr geehrter Herr Doktor,
In Beantwortung Ihres Schreibens vom 4. d. M. zitiere ich einige Zeilen aus einem Aufsatz von Friedrich Schult: Der Güstrower Dom: »… Hier hängt seit kurzem, als ein Denkmal für die Gefallenen des Doms, ein bronzener Engel von Ernst Barlach. Ein altes, schmiedeeisernes und lange schon verlassenes Füntengitter1 umschließt, zu neuem Sinn geheiligt, den beherrschten Raum. Der flache, runde Stein in seiner Mitte trägt keine Schrift als das Gedächtnis der vier ewigen | heroischen und martervollen Jahre. Die drohende Figur, in strenger und unbewegter Wage schwebend, gekettet an den Schlußstein des Gewölbes, ruht ungeheuer in sich selbst, geschlossenen Auges, kreuzweis und dicht die Hände an die Brust gezogen, aus einer höheren Welt beschworene Gestalt und über tausendfachem Opfer als ein trauerndes und sichtbares Zeichen aufgehangen …«2
Diesen mir außerordentlich sympathischen und edelgefügten Worten möchte ich nur wenig zufügen. Es galt mir, eine schwer ruhende Unbeweglichkeit als Ausdruck nie versiegenden Grams, hängend weil der irdischen Bedingtheit entrückt, in den Brennpunkt einer ziemlich kleinen und nur zu Dämmerung erhellten Seitenkapelle des Doms zu bannen.
Alles diente dem Wunsch eine Abge- | wandtheit aus der Gegenwart hin in die Zeit des unerhörten Geschehens glaubhaft zu machen, die schmerzvolle Erinnerung schlechthin zu symbolisieren, da die Nötigung, Symbol zu sein, der Gestalt durch den Anlaß gegeben war, der keinen Rückblick auf erschütternde Begebenheiten früher Zeit, als gleichgroß oder ähnlich mytisch zuläßt.
Es war mir bewußt, daß ich eine Erstarrtheit in vollkommener Entrücktheit, gewissermaßen die Christallisierung der Vorstellung von ewiger Dauer formen mußte, um der Größe der Aufgabe zu entsprechen.
Wie weit ich mich diesem Ziel angenähert habe, darf ich Andren überlassen zu entscheiden.
Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung
Ihr EBarlach
Brief, 1 DBl. mit 3 beschriebenen Seiten; Standort unbekannt (Fotokopie in Materialsammlung Friedrich Droß); Barlach 1968/69; [779]
1(Nordd. Fünte) Taufstein, Taufbecken.
2Der Text Der Güstrower Dom wurde am 3. 11. 1928 in der Güstrower Mecklenburgischen Tageszeitung veröffentlicht (Mecklenburgische Tageszeitung 1928, o. S.).
1069 an Hans Barlach, Güstrow, 9. Februar 1929
G. 9. II. 29
Lieber Hans,
nun verlangt es mich doch sehr, einmal von Dir zu hören. Die Frage, wie kommt man durch diesen aasigen Winter verdrängt jede andere, und wenn ich mir vorstelle, daß Du eigentlich wärmebedürftiger bist als ich, so häuft sich in mir Bedenklichkeit riesenhoch an. Bisher haben wir uns in dem Eisloch am See brav gehalten, wenn es auch eine teure Wärme war, die uns möglich, so war es doch Wärme und wir konnten es uns gegen Verdienst u. Würdigkeit wohl sein lassen. Die Misere mit dem Wasser wurde immer wieder beschworen durch langes Auftauen u. Experimentieren, aber nun ist es damit aus, es giebt kein Wasser mehr, der Frost steckt tief im Boden und das Rohr in der Erde wird vereist sein. Im Atelier ist auch keins mehr, ein Glück, daß die Modellgruppe für die Magdeburger Arbeit geformt ist, sonst würde sie | mir im Ton zerfrieren. Ich habe jetzt Holz gekauft und lasse es in Bützow zurichten,1 bei den Berliner Firmen hätte ich 4-6000 M zahlen müssen, hier ist es für die Hälfte zu beschaffen.
Wie es dann allerdings mit der Arbeit werden wird ist noch zu bequasseln. Böhmer ist im Jubel und Trubel des freudenreichen Gesauses, und im zeitgemäßen Schwung des flotten Tanzbeines genießt er sein Leben. Da solche Holzarbeit die ganze Kraft eines frischen Menschen braucht, werde ich ihn vor die Wahl stellen müssen, da ich selbst die Leistung im Groben nicht bringe. Heute ist er, obwohl schwer erkältet, von den van Tongels auf den Rostocker Theatermaskenball verschleppt – im Hause kein Wasser, Frau Böhmer holt es von der Nachbarschaft heran, aber Herr Sausewind muß davon sausen. Nebenbei verschlingt das Geld dafür mehr als ich zu zahlen gewillt bin.
Klaus saust durch den Schnee, seit Monaten von nichts Gerede als von Schielaufen, mir wird übel dabei.
Hoffentlich ergeht es Dir leidlich! Frau Böhmer schließt sich dem Wunsch mit Grüßen an.
Dein Bruder Ernst.
Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Blatt am rechten Rand beschädigt, 26,8 × 17,7 cm; Privatbesitz; Barlach 1968/69; [780]
1Die Bützower Firma Kröplin diente EB mehrfach als Holzlieferant (↘ 1749).
1070 an Friedrich Düsel, Güstrow, 〈zwischen dem 1. und 11. Februar 1929〉
Güstrow, Febr. 1929
Lieber Friedrich,
so kommen wir also miteinander zu unsern Jahren,1 können Einer dem Andern auf die Schulter klopfen, nicht ohne, daß es so aussieht als wäre ein bißchen Mitleid beigemischt, da der eigentliche Sinn doch ein Glückwunsch ist – so also, heißt es wohl in meinem Geheimsten, siehst Du nun aus, solche Gestalt hat Dein Leben gewonnen – das ist der Gewinn des Wagens, dessen ein guter Teil, und zwar von früh an, vor meinen Augen abgelaufen, abgerollt ist – und wie es geglückt, so sei es gepriesen, gepriesen, weil es Reichtum war, von Lauterkeit getragen, von Allem, was Leben heißt, in Bösem und Gutem zugerichtet, | ein klar geprägtes Stück in gutem Gold. So etwa klingt der Spruch, zwar ungesprochen aber gedacht.
Ein bißchen verborgene Falschheit ist dabei, man weiß recht gut, die Phasen ordnen sich nach eigenen Gesetzen, nicht nach Kalenderteilungen und was sich aus der einen in die andre hineinorganisiert hat, lebt unkenntlich oder nun erst vollendet in folgenden oder gewinnt freie Christallisierung in noch anderer Gruppe von Lebensräumen. Wir halten bei der Sechzig, aber immer sind wir mittendrin, der Gang und der Wuchs gehen ihren Weg weiter und, Gott sei Dank, sind wir nie, was wir sein können und immer im Werden. Dieses große Glück sei auch heute nicht zu preisen vergessen, und Dank ans Schicksal, das uns noch dabei sein läßt, an die Unvermeidlichkeit, die uns verlangt und nicht aus der Verantwortung entläßt, gut, daß wir gespannt sein müssen und somit jung sein dürfen, als ginge es von Frischem los mit dem Treiben und Getriebenwerden, wenn auch im andern Rythmus als zum ersten Mal.
Wenigstens denke ich mir, daß solche ein Teil der Gedanken sind, die | einen allseitig beglückwünschten Sechziger bewegen: Ihr denkt, Ihr kennt mich aus und malt mich mir selbst zutreffend ab, aber ich werde es Euch schon noch zeigen – –
Wie ich von Deiner Frau höre, wollt Ihr Eure Briefe auswärts lesen, und es wird2 der Kundgebungen gewiß ein großer Stoß sein, darum will ich's auch kurz machen. Indessen denke ich doch, daß es ein Ereignis festlicher Art ist zu erfahren, daß viele und jeder von ihnen auf besondere Art kommen und sagen, was ihnen die willkommene Gelegenheit zu sagen erlaubt. Ich, wie Du siehst, verrichte es ein bißchen so, als wären wir fast Gleichalten beisammen und ständen gemeinsam an der gleichen Wegemarke. Der eine meint sich im Gedränge der Empfindungen des andern auszukennen, aber doch vielleicht irrtümlich, man sieht im andern Auge eine Frage und muß ahnen, daß Schatten zugegen sind, vor denen die Gegenwart von vielen zudringlich erscheint, alle diese dürften fehlen, wenn das Leben nicht grade um diese eine Gestalt zu arm geworden wäre. Ja, Lieber, ich weiß daß wir alle zu viel sind, die wir unser Leben behalten haben und es wichtig damit meinen, während das junge Wesen nicht Mutter werden durfte.3 Ich will gern hinnehmen, daß Dir dies alles von heute unnütz und schal erscheint, was man Dir an Beteurung und mit rechtschaffen gutem Willen zuträgt.
Ich hoffe doch, daß Ihr bei guter Gesundheit den Tag verlebt, irgendein Umstand innerlicher oder äußerer Art schafft es vielleicht, daß er freudig verläuft und einen heimlich süßen Klang bekommt, sich füllt mit der Gnade aus dem großen Vorrat des Geschehens, von der man weiß, daß sie kommt wie der Dieb in der Nacht4 und gegen Vermuten hinfindet, wo ein Ort ihrer bedürftig ist, alle sind immer teilhaftig der guten Zeit, die darum gut ist, weil sie ihr Werk vollbringt an ihren Klienten oder Patienten, meisterlich und unwiderstehlich bei jedem auf die rechte Art. So laßt Euch beide meine herzlichen Wünsche gefallen und denkt einen Augenblick an Euren alten Freund und brüderlichen Lebensgenossen
Ernst.
Brief; Standort unbekannt (Fotokopie und Maschinenabschrift in Materialsammlung Friedrich Droß);5 Barlach 1968/69; [781]
1Düsel feierte am 11. 2. 1929 seinen 60. Geburtstag.
2Hs.: werden.
3Vermutlich eine Anspielung auf den frühen Tod von Friedrich Düsels Tochter Marie, die 1924 im Alter von 24 Jahren verstarb.
4Anspielung auf die unerwartete Rückkehr Jesu Christi in Mt 24,42-44: »42Darum wachet, denn ihr wisset nicht, welche Stunde euer Herr kommen wird. 43Das sollt ihr aber wissen: Wenn der Hausvater wüßte, welche Stunde der Dieb kommen wollte, so würde er ja wachen und nicht in sein Haus brechen lassen. 44Darum seid ihr auch bereit; denn des Menschen Sohn wird kommen zu einer Stunde, da ihr's nicht meinet.«
5Der vorliegende Text folgt im ersten Teil der in der Materialsammlung Friedrich Droß erhaltenen Fotokopie der ersten beiden Seiten des Briefs, im zweiten Teil der ebendort überlieferten Maschinenabschrift.
1071 an Willy Hahn, Güstrow, 13. Februar 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
13. II. 29
Sehr geehrter Herr Stadtrat,
für die Fotos vom Kieler Engel sage ich besten Dank, an Noack werde ich im gewünschten Sinne schreiben, so daß die Frage der Rettung des Modells einstweilen still ist. Mehrere Male seit meinem Besuch in Kiel wollte ich ansetzen, Ihnen zu schreiben, schob es aber immer auf, ungewiß, ob meine Vorstellung nicht vielleicht inopportun sei, weil unausführbar in ihrem Zwecke, ich meine, daß das Gitter seitwärts der Gruppe in einen ungünstigen Winkel an den Kirchenkörper anschließt, daß die Gruppe ein wenn auch nur leise spürbares Bißchen mehr Atem bekäme, wenn der zurückweichende Bogen in leichter Kurve den spitzen Winkel von sich abstoßen würde. Natürlich kann wohl das Gitter überhaupt nicht anders als in der Graden laufen – vielleicht überdenken Sie diese Anregung gelegentlich?
Wir vergletschern langsam, halten uns nach Möglichkeit tapfer, im Heidberg heißt es jetzt | in der Nachbarschaft, deren Wassermöglichkeiten auch beschränkt, teils ganz abgeschnitten sind, um Wasser einkommen.1
Ich wünsche sodann noch von Herzen, daß Sie und alle Ihrigen von den Übeln dieser Zeit verschont sind. Bitte Ihre Frau bestens zu grüßen und bin
Ihr sehr ergebener
EBarlach
Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 27,7 × 21,4 cm; Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel; Barlach 1968/69; [782]
1(Amtsspr.) um Wasser bitten.
1072 an Karl Barlach, Güstrow, 〈16. Februar 1929〉1
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
Sonnabend d. 22
Lieber Vetter,
ich frage mich diese Tage oft, ist es infantil oder im Gegenteil Hochreife, wenn man solchen Winter ästhetisch genießt, von Schneeromantik im Heidberghaus redet, sie wenigstens empfindet, während hinter den Türen das Getier ums Leben ringt, die Rehe irren umher und man fand kürzlich 30 Stück erfroren auf einem Haufen, die Vögel verjagen sich gegenseitig von dem Futterplatz auf dem Balkon, der Häher die Drosseln, die Drosseln die Finken, eine Katze schleicht ums Haus und wehe den Vögeln, die gar zu vertraulich sind! Ein bißchen eigenes Kranksein kommt auch dazu, an sich eine Annehmlichkeit, wenn es wie hier begrüßt wird als Gelegenheit, mir doppelte Sorge zu gönnen – und ein tausendfaches verzweifeltes Menschenelend rings umher, das manche garnicht sehen oder sehen wollen u. wenn sies sehen – mit läppischem Achselzucken abtun, also wirklich, die »Winterlust« kommt mir sehr infantil vor.
Ich weiß immer noch nicht, wie der Befund Deines Kieler Arztes war. Bei mir war eine Gallenfrage entstanden, neben der nach Geschwüren im Darm. Wenn ich mich einigermaßen nach der Diät richte, bin ich ohne Beschwerden, aber die Frage ist nicht bei Seite geschoben.
Diese Wochen hatte ich mit dem Stahlhelmbund zu tun, eine kommunistische Zeitung in Erfurt hatte mich unter den Unterzeichnern | der Panzerkreuzerliste fälschlich aufgeführt, der Königin-Luisen-Bund streckte darob die Arme gen Himmel u. die Kameraden vom Stahlhelm schrien Zeter u. Mordio, grade weil ich mich um ein Ehrenmal in Malchin bewarb.3 Das Gemunkel nahm ausdrücklich darauf Bezug, in Malchin denunzierte man mich als Juden – und diese gemeinschaftliche Hatz brachte die Entwürfe zur Strecke. Zum Überdruß erlosch bei der Abstimmung das Licht »so daß die Zählung schwierig wurde« und so kam ich um 2 Stimmen zu kurz. Aber vielleicht habe ich Dir dies schon mal vorgetragen. Ich beabsichtige diesen Femevorgang4 der Presse vorzutragen, die dafür zuständig ist. Die Stahlhelmhelden machen sichs leicht: es hat in einer Zeitung gestanden. Wenn das so gemeint ist, wenn solche Ideeverknüpfungen erstens so leichtfertig entstehen können, zweitens sich so auswirken, dann kann ich mich auf einen schönen Empfang meiner Arbeit in Magdeburg gefaßt machen.
Nun, ich höre hoffentlich bald Gutes von Dir, mein Atelier ist vereist, ich warte darauf, daß das kürzlich beschaffte Holz verleimt und zugerichtet wird, in ca. 2 Wochen rechne ich, das erste der 3 großen Stücke zu bekommen u. so ist für den Sommer-Herbst, vielleicht auch Winter 29 Arbeit genug. Ich bin ziemlich gespannt, ob die Kräfte reichen, denn so wie ich jetzt muß, bin ich wohl noch nicht drangekriegt.
Herzliche Grüße! auch für Käthe u. Marlisi5
Dein Vetter Ernst
Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Anmerkung und Unterstreichung des Empfängers, 26,8 × 18,0 cm; Ernst Barlach Haus Hamburg; Barlach 1968/69; [783]
1Die Datumsangabe folgt dem Vermerk des Empfängers unterhalb der Datumsangabe.
2Darunter wurde vom Empfänger »16. 2. 29«, ein Samstag, vermerkt.
3↘ 1064; ↘ 1052.
4Vorgang eines illegalen, geheimen Gerichts, das besonders gegen politische Gegner gerichtet ist.
5Marie Luise Barlach (↘ 612, Anm. 3).
1073 an Friedrich Schult, Güstrow, 21. Februar 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
21. 2. 29
Lieber Herr Schult,
nehmen Sie diese Zeilen nicht als Beweis von Ungeduld – da Sie meinen Brief u. dessen Fragen nicht beantworteten, so nehme ich an, daß Sie nichts zu antworten hatten, aber es bleibt ein Rest von Zweifel und die Frage, ob Sie wohl aus andern Ursachen z. B. Krankheit verhindert sind – vielleicht machen Sie es doch möglich, mir ein paar Worte auch darüber zu senden.
Herzliche Grüße
Ihr EBarlach
Brief mit Umschlag, 1 Bl. mit 1 beschriebenen Seite, schwarze Tinte, 26,9 × 16,2 cm; Ernst Barlach Stiftung Güstrow; unveröffentlicht
1074 an Ludwig Max Renner, Güstrow, 3. März 1929
Güstrow i. Mecklbg.
Schwerinerstr. 22
3. 3. 29
Sehr geehrter Herr Renner,
ich hätte eine Hilfe nötig, es fragt sich, ob Sie abkömmlich sind,1 denn ich will Sie natürlich aus einer befriedigenden Lage nicht heraus in eine solche bringen, von der man nicht weiß, ob Sie oder ich, oder Beide, davon Nutzen haben.
Es handelt sich um Übertragung von ziemlich großen Stücken nach Modell in ⅓ Größe2 in Holz. Haben Sie darin praktisch Erfahrung? Es sind 3 nebeneinander stehende Blöcke, der mittlere wird 2,55 m hoch, 64 breit, ich würde natürlich nur Bearbeitung im Groben verlangen, falls Sie hier Erfahrung haben, welches Maßverfahren wenden Sie an? Ich müßte Ihnen hierin freie | Hand lassen, da mein eigenes Vorgehen zwar für mich probat, aber bei Bewältigung so großer Stücke zu umständlich ist.
Wie wären sodann Ihre Bedingungen?
Es werden immerhin noch einige Wochen bis zur Inangriffnahme der Arbeit vergehen.
Ich bitte Sie, mir über dieses baldmöglichst zu antworten.
Hochachtungsvoll
EBarlach
Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 26,8 × 17,9 cm; Ernst Barlach Haus Hamburg; unveröffentlicht
1Renner bot sich im Herbst 1928 als EBs Gehilfe an (↘ 1039).
2Die Holzfassung des Magdeburger Ehrenmals (Laur II 439). Die Figurengruppe zeigt drei Soldaten, vor denen drei Halbfiguren die Leiden des Kriegs symbolisieren.
1075 an Friedrich Schult, Güstrow, 〈vor dem 4. März 1929〉1
G. Montag
Lieber Herr Schult,
leider ist Hanning2 umsonst gekommen, nun bitte ich Sie, Ihren Brief Herrn Böhmer in die Hände zu geben, ich bin diese ganze Glacialzeit über mehr außer als in G.
Herzliche Grüße
Ihr EBarlach
Brief, 1 Bl. mit 1 beschriebenen Seite, Bleistift, 22,1 × 14,8 cm; Ernst Barlach Stiftung Güstrow; unveröffentlicht
1Auf der Maschinenabschrift des Briefs notierte Friedrich Droß »ohne Datum. Februar 1929« (Materialsammlung Friedrich Droß). Zurückführen lässt sich diese Angabe vermutlich auf die im Brief erwähnten Witterungsbedingungen. Im Brief an seinen Bruder Hans vom 4. 3. 1929 (↘ 1076) erwähnt EB, dass der Winter, der den Heidberg »vergletschert« hätte, überstanden sei.
2Schults Sohn Friedrich Ernst Schult, dessen Pate EB war. Im Drama Der Findling erhält die Titelfigur von Steinklopfer den Kosenamen Hanning: »Grüßt mir Schulten Friedrich, meinen Schwager und Schulten Wiesche, meine Schwester! Tut tüchtig Schmeichel in euren Speichel und lobt Hule und Hanning, mein Patenkind« (F, 135).
1076 an Hans Barlach, Güstrow, 4. März 1929
Güstrow 4. 3. 29
Lieber Hans,
ich komme vielleicht in Bälde nach Berlin, ich möchte wegen der hiesigen Stahlhelmhetze gegen mich, die sich in Rüpelei ausgiebt, mit Freunden beraten, ob ich mich an die Presse wenden oder ob vielleicht die Akademie ein Wort für mich spricht. Die letzte Auslassung, offiziell, vom Gauführer des Bundes,1 hat mich arg verschnupft, man verweist darauf, daß ich mit Paul Cassirer verbunden gewesen bin und beruft sich auf Daten im »Handbuch der Judenfrage«.2 Also eine antisemitische Verfemung weil Cassirer Jude war und so weiter.
Der Winter scheint überwunden, es war ein starkes Stück Arbeit, wir saßen im Heidberg wie im Eisberg, natürlich war es herrlich anzusehen, eine großartige Polargegend um uns, Winternächte, die grausig waren und überwältigend schön zugleich, aber ohne Wasser und ohne Möglichkeit, die Küche u. das große Zimmer zu benutzen, saßen wir mit allem Geschirr oben, kochten und malzeiteten, schliefen und arbeiteten in einem Raum, dazu durfte das Feuer nie aufhören, ein wahrhaft gewaltiges | Feuer zu sein, der große Ofen unten war aber der Situation gewachsen, die andern taten ihr Bestes, aber das Beste war oft kaum genug. Davon weiter mündlich.
Wenn ich zur Fahrt nach Berlin komme, so telegraphiere ich rechtzeitig und würde mich sehr freuen, wenn Du ein bißchen Zeit für mich hast.
Einstweilen viele herzliche Grüße!
Dein Ernst.
Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 27,6 × 21,3 cm; Privatbesitz; Barlach 1968/69; [785]
1Vermutlich Otto Elfeldt. EB erwähnt in seinen Notizen zu dieser Auseinandersetzung eine »Mitteilung des Herrn Dr. Elfeld als Gauführer, hier, an den Kreisführer«, in der »Hinweise von Gauangehörigen auf den Umstand angeführt [würden], daß mein Impressario Paul Cassirer sei, über den Mitteilungen im Handbuch der Judenfrage Seite … ständen« (PK, 414). Bundesführer des Stahlhelmbunds war Franz Seldte (1882-1947).
2Theodor Fritschs antisemitisches Handbuch der Judenfrage erschien erstmals 1907 als Erweiterung seines Antisemiten-Catechismus (1887). Im Handbuch werden Juden als Agenten und Nutznießer der kapitalistischen Moderne denunziert und Listen von jüdischen Personen, Firmen und Vereinen geführt. Dem Verlag Paul Cassirer und anderen Verlagshäusern unterstellte Fritsch »Erwerbs- und Rassen-Interessen« (Fritsch 1923, 315).
1077 an Johannes Schwartzkopff, Güstrow, 10. März 1929
Güstrow, Heidberg
10. 3. 29
Sehr geehrter Herr Pastor,
haben Sie besten Dank, da ich doch nach Berlin muß, mache ich Alles dort ab, ich war des Glaubens, daß Cassirers dem Furche-Verlag das alte Selbstporträt1 nicht geben wollten (warum, fragte ich mich nicht) stellte darum ein neues zur Verfügung,2 nun, da der Verlag selbst schreibt, daß nichts der Verwendung des alten im Wege steht, mag es bei dem bleiben, ich bin nicht ohne Bedenken wegen des andern Porträts gewesen und behalte es gern zurück, um so lieber, als ich eine Lithographie für den Verlag Cassirer mit wieder einem frischen Barlach zur Vervielfältigung als Einzelblatt mache – damit ist sodann von dergleichen genug in der Welt.
Ich glaube, sehr gescheit gewesen zu sein, daß ich mich ein paar Tage eingesperrt habe, zwar sind die Erkältungsbeschwerden fast behoben, aber eine tüchtige Schwäche ist noch da, ich sitze immer noch ganz willig in meinen vier Wänden und kann es ansehen, daß es taut.
Ich bitte, Ihre Frau3 bestens zu grüßen, und bin mit allen guten Wünschen
Ihr sehr ergebener
EBarlach
Hoffentlich ist in Ihrem Hause kein Übel mehr zu beklagen oder ist mit gebrochener Kraft nur noch ein gedemütigter Gast.
Brief; Standort unbekannt (Maschinenabschrift in Materialsammlung Friedrich Droß); Barlach 1968/69; [786]
1Das Selbstporträt (Wittboldt/Laur 2326; ↘ Bildtafel 1) entstammt einer Folge von Selbstbildnissen (Wittboldt/Laur 2318-2328), die für EBs Ein selbsterzähltes Leben entstanden (↘ 936, Anm. 4). Im Berliner Furche-Verlag sollte Reinhold von Walters Monografie Ernst Barlach. Eine Einführung in sein plastisches und graphisches Werk (1929) erscheinen.
2Vier Selbstbildnisse sind als Lithografien erhalten (Laur I 89-92), wobei keine eindeutige Zuordnung zu EBs hier genannten Plänen möglich ist. Die Planung als Einzeldruck legt Selbstbildnis III oder Selbstbildnis IV nahe, da die beiden übrigen in einer Mappe erschienen.
3Helene Schwartzkopff.
1078 an Hans Barlach, Güstrow, 14. März 1929
Güstrow
Heidberg 14. 3. 29
Lieber Hans,
ich wollte ja eigentlich heute kommen, aber es ging doch nicht und es ist gut, daß ich geblieben bin. Ich war ziemlich herunter u. glaubte jeden Tag, nun sei es gewiß in Ordnung, aber jeden Tag mußte ich mir sagen, daß ich mich schwach u. elend fühle, ich rate Dir, wenn Du auch so etwas wie Grippe spürst, Abgeschlagenheit, Schwäche allgemein, Miesepeterigkeit,1 so laß es wenn irgend möglich, mit | dem Arbeiten nach u. gieb dem Verlangen nach Ruhe nach. Man hört von so vielen unbegreiflich schnellen Todesfällen, wo man dachte, es ginge ganz gut u. setzte sich in Trab – nun hoffe ich aber, daß der Berg überstiegen ist u. wenn es nicht noch mal von vorn los geht, hoffe ich am Montag abend reisen zu können. Ich muß doch über Manches in Berlin verhandeln u. kann mich ja so schnell wie möglich davon abmachen.
Hab viele Grüße u. gute Wünsche, auf Wiedersehen am Montag!
Dein Bruder Ernst.
Brief, 1 DBl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 21,9 × 14,0 cm; Privatbesitz; Barlach 1968/69; [787]
1Mögliche weitere Lesart: »Schwäche, allgemeine Miesepetrigkeit« (Barlach 1968/69, II 157).
1079 an August Hoff, Güstrow, 15. März 1929
»Güstrow. Altes Haus in der Mühlenstraße«
Sehr geehrter Herr Doktor,
unter lebhaftem Dank für Übersendung von Besprechungen anläßl. der Ausstellung1 bitte ich Sie, die Broncemaske des hiesigen Domengels2 an meine Adresse zu dirigieren. Mit dem Ausdruck vorzügl. Hochachtung
Ihr sehr ergebener
EBarlach |
[Güstrow].
Schwerinerstr. 22. 15. 3. 29.
Postkarte, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Bildmotiv »Güstrow. Altes Haus in der Mühlenstraße«, 14,0 × 9,0 cm; Historisches Archiv Stadt Köln; unveröffentlicht
1Nicht ermittelt. Hoff selbst veröffentlichte 1924 den Artikel Der Bildner Ernst Barlach (Hochland 1924, 667-669).
2Die Bronze Kopf des Güstrower Ehrenmals (Laur II 426).
1080 an Ludwig Max Renner, Güstrow, 15. März 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
15. 3. 29
Sehr geehrter Herr Renner,
ich konnte Ihnen wegen Krankheit bisher nicht schreiben, und auch in der Sache selbst vermag ich das Entscheidende darum nicht zu sagen, weil sich aus Gründen, die sich nicht vorhersehen ließen, der Beginn der Arbeit verzögert,1 die Holzbeschaffung ist unsicher geworden, was den Termin betrifft und – offen gestanden – ich sehe wohl die Ihrigen, aber weniger meine Vorteile so vor Augen, daß ich sie bei der Überschlagung des Ganzen ins Auge fassen kann, Staatsaufträge wie der meine sind so knapp bemessen, daß bei ihrer Ausführung die Frage dringend wird, ob sie überhaupt hergestellt werden können. Die Berechnung des Honorars in Stundengeldern ist eine so unbestimmte Möglichkeit, daß ich das Risiko eines Anfangs aufs Geratewohl nicht laufen kann. Der Herr,2 mit dem ich bisher gearbeitet, ist auch jetzt | bereit zu arbeiten u. ich habe die Idee, ich muß erst sehen, was für Zeit die Vorarbeit solch eines Blocks verlangt, ehe ich einen Überblick über die Zahlung an Löhnen habe, die ich zugestehen kann.
Jedenfalls kann ich Sie heute nicht auffordern, des Planes nach hier zu kommen wegen, andre Möglichkeiten, die sich Ihnen bieten, auszuschlagen, einmal muß ich mich kräftiger fühlen u. nach Eintreffen der Blöcke zu einem richtigen Überschlag in Stand gesetzt sein, bitte Sie aber, diese Darlegung nicht als verkleidete Ablehnung anzusehen. Vielleicht überlegen Sie sich, ob die Arbeit nach Übereinkunft vor dem Modell nicht auch in Akkord zu machen wäre.
Hochachtungsvoll Ihr
EBarlach
Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 26,8 × 17,9 cm; Ernst Barlach Haus Hamburg; unveröffentlicht
1Die Arbeit am Magdeburger Ehrenmal (↘ 1074).
2Neben Bernhard A. Böhmer half auch der Güstrower Bildhauer Oskar Schumann bei der Arbeit am Magdeburger Ehrenmal.
1081 an Josef Rübsam, Güstrow, 18. März 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
18. 3. 29
Sehr geehrter Herr Kollege,
ich kann nur ganz kurz antworten, da ich im Begriffe bin, für unbestimmte Zeit zu verreisen.
Man kann nach Fotos niemals eine ausreichende Vorstellung von einem plastischen Werk gewinnen, unmöglich aber, wie mir Ihr Werk auch in körperlicher Wirklichkeit erscheinen möge, ist die Beseitigung eines, wie Sie schildern, im öffentlichen Wettbewerb als Ergebnis unmissverständlicher Vorschläge zur Ausführung gelangten Ehrenmals.1 Der Meinungsstreit über ein Projekt, das sich wie das Ihre rücksichtslos vorwagt, kann solange die Arbeit frisch, primitiven Blickgewohnheiten befremdend, kurz, in seinem endlichen Wert nicht fixiert ist, in einer Gegenwart nicht ausgetragen werden, die überhaupt keine festen Wertmaßstäbe hat. Ich selbst weiß ein Lied von der Selbstgerechtigkeit zu singen mit welcher in derartiger Frage politische Gesichtspunkte zu gänzlich unangebrachten Einmischungsversuchen mißbraucht werden.
Entschuldigen Sie Kürze und auch Fassung, ich bin noch halbkrank, doch denke ich, ist meine Meinung unmißverständlich und klar.
Wahrscheinlich ist, daß eine Beseitigung Ihres Mals ohne Ihre Einwilligung vom juristischen Standpunkt aus unzulässig. Die Abmachung über die Errichtung eines Denkmals betrifft doch wohl zweierlei: auch Ihre Rechte gelten, sollte ich denken, als solche die aus dem Begriff »öffentliches Mal« resultieren. Freilich kümmert sich die verhetzte Parteiseele nicht um Gerechtigkeit, aber am Ende wäre doch eine gerichtliche Instanz maßgeblich.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr sehr ergebener
EBarlach
Brief; Standort unbekannt (Maschinenabschrift in Materialsammlung Friedrich Droß); Barlach 1968/69; [788]
1Rübsams 1928 aufgestelltes Ehrenmal für das Niederrheinische Füsilier-Regiment Nr. 39 in Düsseldorf. Sein Entwurf Innere Festigung wurde unter mehreren Einsendungen ausgewählt. Das Denkmal zeigte zwei liegende Infanteristen, der eine legt seine Hand tröstend auf die des verwundeten Kameraden. Ähnlich wie EBs Ehrenmale wurde die Arbeit durch nationalistische Kreise angefeindet, beschädigt und 1933 abgebrochen, da sie deutsche Soldaten nicht heroisch darstellte (Pitzen 1991, 63-79).
1082 an Karl Muggly, Güstrow, 21. März 1929
Güstrow 21. 3. 29
Sehr geehrter Herr Muggly,
grade von Berlin zurück, finde ich heute beide Fenster fertig im Rahmen (trotz einiger Umstände) vor,1 die Wirkung ist der Erwartung entsprechend, oder, da man unter Erwartung nur etwas Vages verstehen kann, man sagt besser: über Erhoffen schön.
Ein Irrtum ist bei der Anbringung unterlaufen, die Fenster sind vertauscht, doch entsteht dadurch keinerlei Beeinträchtigung, ja es ist möglich, daß grade die reicher gefärbten Felder mit den wenigeren Goldrauten der Arbeit vorteilhafter sind. |
Ich schreibe reichlich flüchtig, was ich bitte zu entschuldigen, ich sollte Ihre Mühen höher bewerten als es so den Anschein hat. Aber es ist ein bloßer Anschein, ich weiß schon einigermaßen das Risiko zu erkennen, das mit solcher Lichtgebung, die zugleich Flächengebung und Mauerersatz ist, verbunden ist.
Ich war mehrere Wochen ernsthaft krank u. bin auch für die paar Tage, die ich nach Berlin mußte, schlecht dran gewesen. Hoffentlich sind Sie selbst wieder ganz hergestellt, Frau Böhmer, die ebenfalls recht unpäßlich war, ist immer noch mit dem Abtun von Erkältungsresten beschäftigt, es kommt mir vor, daß sie allzu viel Zeit dazu braucht (mit andern Worten: | beunruhigt).
Also mit dem Zustandekommen der Glasfenster ist meine Sache im Dom nun mehr als ganz beendet anzusehen. Ich bin daher ein bischen stolz, daß das Unternehmen bis auf den peinlichen Rest der Lichtfrage gelöst ist, wobei ich Ihrem Beistand außerordentlich viel verdanke. Es wäre sehr schön, wenn Sie einmal Gelegenheit hätten, hier an Ort u. Stelle das Gelingen zu konstatieren. Hoffentlich ergiebt sich einmal solch eine Möglichkeit, daß Sie sich mit mir zusammen freuen können.
Grüßen Sie schön Ihre Frau von uns!
Herzlich
Ihr EBarlach
Brief, 1 DBl. mit 3 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 21,9 × 14,1 cm; Ernst Barlach Stiftung Güstrow; Barlach 1968/69; [789]
1Zum Auftrag Mugglys ↘ 1019.
1083 an Johannes Friedrich Boysen, Güstrow, 3. April 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
3. 4. 29
Lieber Herr Boysen,
ich sende Ihnen und den Ihrigen meine traurigen Grüße. Ereignisse wie dieser Verlust1 sind von einer Art, die uns zum Verstummen bringen und man kann ihnen kaum den klaren Blick zuwenden, mit dem man sonst gewohnt ist, dem Geschehen gegenüber zu treten.
Doch wünsche ich, daß Sie fühlen mögen, wie nahe ich Ihnen in Ihrem bittern Leide stehe. Innige Teilnahme auszusprechen ist bei Vergegenwärtigung vergangener Tage mein ernstes Bedürfnis, besonders bitte ich, Ihrer Frau zu sagen, daß ich ihrer in herzlichem Mitgefühl gedenke.
In Ehrerbietung beim Hinblick auf Ihren Schmerz
Ihr sehr ergebener
EBarlach
Brief; Standort unbekannt (Maschinenabschrift in Materialsammlung Friedrich Droß); Barlach 1968/69; [790]
1Boysens Sohn Jürgen starb am 31. 3. 1929.
1084 an Karl Muggly, Güstrow, 3. April 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
3. 4. 29.
Lieber Herr Muggly,
ich danke schön für Ihren Brief, meine Gesundheit ist einigermaßen hergestellt, wenngleich bei der Arbeit eine Schwäche sich geltend macht, die mich mahnt, es gelassen vorwärts gehen zu lassen. Auch Frau Böhmer scheint wieder im Gleichgewicht und wir versprechen uns das Beste vom Frühling.
Herr Böhmer verständigte mich von einer Möglichkeit, die Punktiermaschine1 Ihrer Anstalt2 leihweise zu erhalten. Selbstverständlich erkenne ich die ganze Verantwortung an, die aus dem Transport, Benutzung und Risiko jeder Art entsteht. Insbesondere sollen | der Anstalt oder Irgendwem keinerlei Kosten erwachsen und ich garantiere die Instandhaltung des Apparats in jeder Beziehung, sowie seine Rückgabe in einwandfreiem Zustand.*
Mir wäre bei der bevorstehenden großen Arbeit3 die Verwendung von größtem Nutzen und ich wäre Ihnen und dem Herrn Direktor Woernle4 sehr dankbar, wenn Sie dieselbe ermöglichen könnten.
Mit besten Grüßen und guten Wünschen bin ich Ihr
sehr ergebener
EBarlach
* Eine Zeit von 4 Monaten wäre wohl erforderlich.
Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 26,8 × 18,0 cm; Ernst Barlach Stiftung Güstrow; Barlach 1968/69; [791]
1Gerät zur Übertragung der Maßpunkte eines Modells auf den Holz- oder Steinblock, um das zu fertigende Werk maßstabsgerecht zu vergrößern (↘ 426).
2Muggly war seit 1908 Lehrer, seit 1922 Professor an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule Bielefeld.
3Die Arbeit am Magdeburger Ehrenmal, das im Maßstab 1:2 vom Werkmodell in Gips (Laur II 436) auf das über zwei Meter hohe Holz übertragen werden sollte.
4Richard Woernle war seit 1924 Direktor der Handwerker- und Kunstgewerbeschule Bielefeld.
1085 an Willy Hahn, Güstrow, 5. April 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
5. 4. 29
Sehr geehrter Herr Stadtrat,
ich werde von dem hiesigen Pastor Schwartzkopff gebeten, bei Ihnen anzufragen, ob die Anfertigung der Photos meiner Gruppe durch den Photographen Herrn Petersen1 mit irgendwelchen Abmachungen hinsichtlich etwaiger Forderungen bei Bezug der Blätter neben dem üblichen Honorar für die Herstellung der Blätter verknüpft worden ist. Petersen beansprucht für die Reproduktion in Blättern 1) Kunst u. Künstler 2) 2 kirchliche Revuen, 3) Rostocker Anzeiger Zahlungen in mir einstweilen nicht angegebener Höhe.
Sind die Platten2 sein Eigentum? Ist über Reproduktionsrechte gesprochen? |
Ich würde Ihnen besonders dankbar sein, wenn Sie bei freundlicher Beantwortung dieser Fragen nicht vergessen würden, mir einige Worte über Ihr Ergehen und das der Ihrigen zu sagen. Ich selbst war mehrere Wochen ganz abgewirtschaftet und nach längerem Stubenhocken überraschend schwach und niedergedrückt eigentlich bin ich auch jetzt nur noch ein halber Mensch. Die Magdeburger Sache geht den Gang der Unvermeidlichkeit in Vorbereitungen, die eine merkwürdige Dehnbarkeit beweisen.
Ich bitte Sie, Ihrer Frau meine besten Grüße auszurichten, nehmen Sie meine besten Wünsche für Ihr Wohlergehen an.
Ihr sehr ergebener
EBarlach
Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 27,7 × 21,4 cm; Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel; Barlach 1968/69; [792]
1Vermutlich Johannes Petersen. An Fotografien des Geistkämpfers konnte lediglich eine in Oscar Gehrigs Ernst Barlachs »Geistkämpfer« an der Universitätskirche zu Kiel ermittelt werden (Kunst und Künstler 1930, 26-29). Die Fotografien sind »mit Erlaubnis von Paul Cassirer, Berlin« abgedruckt.
2Als Trägermedium der Großformatfotografie gebräuchliche Fotoplatten. Nach dem Auftragen einer Emulsion auf eine Glasplatte wird diese belichtet und entwickelt. Im Gegensatz zum Klein- oder Mittelformatfilm auf Zelluloid kann nur je ein Abzug hergestellt werden.
1086 an Hans Barlach, Güstrow, 15. April 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
15. 4. 29
Lieber Hans,
wie mir Olga schrieb, liegst Du an chronischer Grippe krank und so sende ich Dir meine besten Wünsche für baldige Besserung. Ich würde gerne einmal kommen, wenn es Dir erwünscht ist, vor Allem bitte ich Dich, Dir genügende Zeit zur Ausheilung zu gönnen, bei dem heute plötzlich einsetzenden Ostwind mit staubiger Luft und Kälte ist es höchst unratsam, an Aufstehen zu denken. Am Ostermontag versuchte ich vergeblich, Dich im Berliner Zug zu sehen, vielleicht ist Dir der Sturm am Sonntag nicht grade wohltätig gewesen. Klaus ist seit dem 8ten April wieder fort und gut angekommen.
Am Mittwoch bekomme ich nun mein Holz für die Magdeburger Arbeit1 – Arbeit für den Rest des Jahres und ich will froh sein, wenn es damit abgetan ist, es ist das bei weitem verantwortungsvollste Stück Arbeit, das ich | bis dahin unter den Händen hatte – ich will sagen, die Arbeit, von deren Ausfall für mich am meisten abhängt.
Nun will ich für heute schließen, da ich nicht weiß, ob Du zum Lesen aufgelegt bist, ich wünschte nur, daß es bald der Fall sein möge. Mir geht es gut, die letzte Erkältung ist anscheinend endgültig abgetan.
Ich sende Dir viele herzliche Grüße u. Wünsche!
Dein Bruder Ernst.
Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 27,8 × 21,3 cm; Privatbesitz; Barlach 1968/69; [793]
1Magdeburger Ehrenmal.
1087 an Hermann Schwesinger, Güstrow, 15. April 1929
Güstrow i. M., Schweriner Str. 22
15. 4. 29
Sehr geehrter Herr Doktor,
meine Arbeit im hiesigen Dom1 ist wie in ihrer äußeren Form so in der Tiefe ihrer Bestimmung ohne Zusammenhang mit vorhandenen Schmuckelementen, hat auch keine historischen Beziehungen zum Hause. Was mir glücken sollte auszudrücken, war völlige Abkehr von allem Vorher und Nachher, gänzliche Versunkenheit und Verschlossenheit vor Allem außer dem Einen. Ob es geglückt ist, werden Andere bestätigen oder vermissen.
Leider kann ich nur mit diesen wenigen Zeilen auf eine Teilnahme eingehen, die mir, so oft sie von der Jugend kommt, stets die schönste Genugtuung gibt.2
Mit ergebenstem Gruße
Ihr EBarlach
Brief; Standort unbekannt (Maschinenabschrift in Materialsammlung Friedrich Droß); Barlach 1968/69; [794]
1Güstrower Ehrenmal.
2Schwesinger besuchte, als Lehrer in Thüringen tätig, mehrmals Güstrow und behandelte die ihm bekannten Werke EBs in seinem Unterricht (Barlach 1968/69, II 901).
1088 an Karl Muggly, Güstrow, 21. April 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
21. 4. 29
Sehr geehrter Herr Muggly,
Frau Böhmer hatte Ihnen gleich nach dem Eintreffen der Kiste geschrieben, daß die Maschine unversehrt angekommen sei, doch muß der Brief (an Ihre Frau gerichtet) verloren sein, da Sie bis jetzt ohne Nachricht sind, wie ich aus der Frage an Herrn B.1 ersehe. Haben Sie also meinen besten Dank, der Apparat ist aufgestellt und zum Modell u. Holz in Verhältnis gebracht u. somit kann die Arbeit beginnen.
Heute morgen stecken wir wieder in dicker Winterlichkeit, unser Gang im Wald war ein Schneeerlebnis erster Ordnung. Leider höre ich, daß Sie noch immer an Grippefolgen laborieren. Ich auch, trotzdem ich meinte, Alles abgeworfen zu haben, so kommen immer wieder Mahnungen u. Erkenntnis, daß die Kräfte nicht reichen. Nun las ich Warnungen | solche allzulange dauernden Wirkungen der Grippe leicht zu nehmen, da sich gar zu leicht Beeinträchtigungen der Lunge herausstellen, und dringende Hinweise auf Symptome wie Stiche, Nachtschweiß, leichte Temperatur, die unbedingt ärztliche Kontrolle erfordern. Die Tatsache der Schwäche und Abgeschlagenheit dürfe nach Überwindung der Krankheit nur kurze Zeit als harmlose Nachwirkung gelten. Ich selbst werde anscheinend den Husten nicht mehr los, sonst weiß ich mich frei von Anzeichen. Verübeln Sie mir diese Weitschweifigkeit bitte nicht – ich hatte Frau Böhmer gebeten, Ihrer Frau davon zu schreiben, was in dem offenbar verlorenen Briefe geschehen ist.
Sicher wird Herr Böhmer sogleich an Retzlow2 schreiben, damit Sie über Ihre Entwürfe beruhigt sind. Wir Alle wünschen Ihnen von Herzen baldige endgültige Erholung.
Mit vielen Grüßen an Sie und Ihre Frau
Ihr sehr ergebener
EBarlach
Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 26,8 × 18,0 cm; Ernst Barlach Stiftung Güstrow; Barlach 1968/69; [795]
1Böhmer.
2Nicht ermittelt. Zu Mugglys Auftrag für die katholische Kirche in Güstrow ↘ 1021, Anm. 5.
1089 an Hans Barlach, Güstrow, 28. April 1929
G. 28. 4. 29
Lieber Hans,
nach dem letzten rauhen Rülpsen des Winters, scheint nun mehr so etwas wie Frühlingsgenäsel in Gang zu kommen, immerhin ein bis jetzt gänzlich verschnupfter Frühling. Wir haben schon mal im Gartenhäuschen geschützt vor dem Seewind im Sonnenschein gesessen, wobei allerdings Frau Böhmer aufopfernd fror und sich einen rheumatischen Anfall zuzog. Wir hatten Himbeersträucher verpflanzt und glaubten genügend im Freien akklimatisiert zu sein. Es ist in mir ein dauerndes Grübeln darüber, wie Du eine wirkliche Erholung finden kannst, und wie die Tatsache, daß Du beruflich über Gebühr angestrengt bist, aus der Welt verschwinden könnte. Es ist wohl das Schicksal aller jetzt älter und alt Werdenden, die Form, in der sie nun die Folgen des Krieges erfahren müssen. Mir geht es ähnlich, wenn auch wohl nicht halbwegs so hart. Auf jeden Fall werde ich kein ruhendes, sondern ein kämpfendes Alter | haben, und bin weit entfernt, darüber Wehgeschrei zu erheben. Du bist mit Deiner Art Tätigkeit in Gefahr schneller verbraucht zu werden als ich, der sich wenigstens die Zeit einteilen kann, innerhalb der er seine Sache beschaffen muß.
Überlege was Du Pfingsten vornehmen kannst und ob es sich einrichten läßt, daß Du einige Tage länger als so üblich ist, Berlin die Rückenansicht gönnen darfst. Du weißt, daß Du bei uns, nach Wahl im Heidberg oder Güstrow, willkommen bist.
Wir sind jetzt eine Woche an dem Holz,1 es ist ein Mordsstück Arbeit, wir helfen uns mit vielem Sägen, wodurch man zunächst große Stücke losbekommt. D. h. ich schaue einstweilen zu, wie Böhmer und Klaus sein Meister in Holzhauen, Schumann,2 mit groben Meißeln, wütend umgehen. Meine Zeit wird noch kommen, wenn das dicke Holz weg ist und der Rest nach haarscharfem dünnen Stahl schreit.
Ich hoffe, wegen Pfingsten bald guten Bescheid zu kriegen. Viele Grüße und gute Wünsche für bessere Erholung.
Dein Bruder Ernst
Frau Böhmer grüßt schön und lädt Dich in den Heidberg ein.3
Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 26,8 × 17,9 cm; Privatbesitz; Barlach 1968/69; [796]
1Magdeburger Ehrenmal.
2Oskar Schumann.
3Am linken Rand, quer zum Text: »Frau Böhmer grüßt […] den Heidberg ein.«
1090 an Erich Zabel, Güstrow, 17. Mai 1929
Güstrow i. M.
Schwerinerstr. 22
17. 5. 29
Sehr geehrter Herr Doktor,
wie hart mich mein Gewissen schlägt, ich kann es nicht eindringlich genug beteuern! Es schlägt mich schon lange, alle gewollten Briefe sind ungeschrieben geblieben, aber ich hoffe, Sie leihen der Beschönigung meines Verhaltens ein, wenn auch zunächst unwilliges, Ohr und lassen mich nicht unberuhigt darüber, wie Sie schließlich diesen Fall Barlach betrachten.
Nachdem Ihre poetische Ansprache mich bei der Rückkehr aus Berlin im November vor. Jahres empfangen, hat weder die menschliche Güte in der Betrachtung meiner als bloßes Subjekt noch Ihre fachliche Sorge um mich mein Tun und Treiben zu einem halbwegs gebührenden Eingehen auf Ihre Anregungen bestimmt – ich bitte um Entschuldigung. Aber ich bin, was das Letztere betrifft, in einer Lage, die Rücksicht auf Gesundheit zur Überflüssigkeit macht, da sie auf keine Weise vollzogen werden kann, und überdies befinde ich mich ja, wenigstens durchschnittlich, in jener Lage, in der, wenn schon Wege gewählt werden müssen, solche gewählt werden, die am Hause des Arztes vorbeiführen. Also, lieber Herr Doktor, ich will nur kurz begründen, und andeuten, daß ich beruflich und persönlich ein bißchen zu viel des Interessanten, in Anspruch Nehmenden, Zermürbenden gehabt habe. Seit Monaten bin ich (dies ist ein leicht übertreibender Ausdruck) gehetzt und bin endlich in voller Arbeit an dem verantwortungsreichsten und größten Stück meines Lebens. Natürlich werde ich allzusehr mitgenommen, aber es ist an kein Unterbrechen zu denken, ich hoffe aber doch, wenn der Berg halbwegs erstiegen ist und das erhoffte und unerläßliche Gelingen Zuversicht und Ruhe bringen und ein Abschätzen der restlichen Mühe ermöglichen 〈wird〉, mich zu einer Ausspannung aufschwingen zu können. Im Augenblick ist mein Atelier ein Ort für anscheinend wild gewordene Leute, und an diesem Ort, wenn das wilde Getue nicht unterbrochen werden soll, kann ich nicht fehlen.
Immerhin verbringe ich den größten Teil meiner Zeit am Inselsee, und da ich solchergestalt immer mit einem Bein in der Sommerfrische stehe, so ist das mehr des Guten, als unendlich Viele sich rühmen können, zu erfahren. Ich bin auch gewillt, es mit dem abendlichen und nächtlichen Arbeiten wenigstens über Sommer gut sein zu lassen, und das ist ein sicher gedeihliches Vorhaben.
Hoffentlich sind Sie durch diesen Winter nicht wie ich gekommen, nämlich mit Ach und Krach. Gegen Ende der starken Kältezeit überkam mich ein schwerer Zustand von Versagen meiner Natur, ich fühlte, es sei Schluß, wenn ich weiter trotzte, wie ich es gewohnt war zu tun, und so machte ich mich zwischen 4 Wände und spielte krank. Mir scheint, ich habe diesen Anfall noch nicht überwunden. Es versteht sich, daß meine guten Wünsche aufs Beste sich für das Befinden Ihrer Frau1 regen.
Von Klaus schriftlich zu sprechen, ist eigentlich zu schade. Seine Form, da zu sein, fordert zu allerhand umständlichen Um- und Beschreibungen heraus. Es rumort und poltert mancherlei ungeistiges Wesen in ihm und gespenstert doch plötzlich wieder wie echter Spuk aus der Unergründlichkeit eines gewiß nicht faden und flachen Seins.
Alles in Allem wünsche ich dringend, daß Sie überzeugt sind, nicht bloße Ungebundenheit und Verlorenheit an oberflächliche Tagtäglichkeit haben mich so lange von Ihnen fern gehalten, es waren recht gewichtige Umstände, z. B. ein Krach mit dem Stahlhelmbund, die mich von dem vorgefaßten Handeln und Einteilen meiner Zeit abtrieben.2 Und so ist augenblicklich die Arbeit schuld, die von solcher Art ist, daß sie nichts neben sich duldet, die mich braucht und verbraucht. Lassen Sie sich den Ausdruck meiner herzlichen Dankbarkeit freundlich gefallen und nehmen Sie und Ihre Frau gutgemeinte Pfingstgrüße von mir an.
Ihr sehr ergebener
EBarlach
Brief; Standort unbekannt (Maschinenabschrift in Materialsammlung Friedrich Droß); Barlach 1968/69; [797]
1Margarete Zabel.
2Zu den Anfeindungen gegen EBs Werk ↘ 1052, Anm. 2.
1091 an Karl Barlach, Güstrow, 24. Mai 1929
G. 24. 5. 29
Lieber Vetter,
ich teile von Herzen Deine Hoffnungen auf ein so günstiges Ergebnis Deiner Kuren, daß normale Arbeitsfähigkeit sich als der gute Schluß erweist. Inzwischen machst Du ja das Beste aus dem gegenwärtigen Zustand, und somit, da Du meiner herzlichen Zuversicht versichert bist, will ich Dich ohne eigene Beunruhigung Deiner Lage überlassen. Von mir kann ich kurz berichten. An Gesundheitspflege ist für den Augenblick nicht zu denken, da ich endlich bei der Magdeburger Arbeit bin, eine überschwere Aufgabe schon durch die Maße der zu bewältigenden Holzmassen. Daß meine Kräfte durchhalten, muß ich vertrauen, jedenfalls ist an kein Abkommen zu denken. Es ging wie auch in Kiel,1 die Vorarbeiten und Abwarten verschlingen einen allzugroßen Teil des Honorars, ich berechne mir ca. 10 Monate Arbeitszeit, sonst bin ich nun bei der dritten großen Arbeit in der rühmlichen und noblen Lage für ein Kleines ein Großes zu geben. – Seit Juli 1927 spielt die Angelegenheit, um Weihnachten durfte ich mich an die Herstellung des Hilfsmodells machen.2 – Ein Drama »die gute Zeit« ist diese Tage an den Verlag abgegangen.3
Ein Glück, daß ich im Häuschen am Inselsee einen Frieden genieße, dessen Ungestörtheit von uns – Du weißt wer der andre ist – mit einer wahren Schonungslosigkeit gehütet wird. Klaus muß auf einer Wanderung der Odenw.-Schule ins Hochgebirge sein, Nachrichten kamen bisher nicht. Sein | Stadium ist das eines Menschen, in dem Kindlichkeit die werdende Reife immer wieder erschüttert. Er denkt ans Maturum4 und hat immer noch den mir sehr wenig sympathischen berühmten Helden der Primanertragödie als nächsten Kamerad.5 Hans war um Ostern hier, es geht ihm beruflich befriedigend, aber seine Kräfte müssen über Gebühr heran und er schrieb zuletzt, daß die Scheidung von Neuem erstrebt wurde nach einer Einigung mit Olga über eine Teilung der Entschädigung als Auslandsdeutscher.
Mein Konflikt mit dem Stahlhelm ist nicht bereinigt. Nach der antisemitischen Anrempelung kann ichs nicht gut sein lassen und mich mit den Sätzen zufrieden geben, die ich die Herren im Laufe eines Briefwechsels zu schlucken genötigt habe. Ich glaube, daß die Frage, die so beschaffen ist, so typisch geworden ist, daß die Pr. Akademie, deren Mitglied ich bin, dazu Stellung nehmen muß. Mir war auch eine Sondierung bei der Centrale des Stahlhelms in Magdeburg zugesagt, aber es scheint geplant, es auf die lange Bank zu schieben oder überhaupt durch Abschrumpfen aus der Welt zu bringen.6 Wenn – so muß ich mich mit der radikalen Linkspresse7 ganz wider Willen anfreunden und werde vorher aus der Mitgliedschaft der Akademie in den Stand des früheren freien Künstlers zurückwechseln. Dies bißchen Hartnäckigkeit bin ich, wie ich fühle, Cassirer schuldig. Grüße die Deinen schön von mir, vergiß nicht Tante Otti! Gute Besserung und ersprießlichen Genuß der Ruhewochen.
Dein Vetter Ernst.
Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 26,8 × 18,0 cm; Ernst Barlach Haus Hamburg; Barlach 1968/69; [798]
1Zu den Vorarbeiten für den Geistkämpfer ↘ 924.
2Zur Vorgeschichte des Magdeburger Ehrenmals ↘ 956, Anm. 2.
3In EBs siebtem Drama treffen zwei gesellschaftliche Gruppen einer Insel, die Glücksgemeinschaft ›Absolute Versicherung‹ und die Ureinwohner der Insel, aufeinander. EB