Die Briefe. Band 4 - Ernst Barlach - E-Book

Die Briefe. Band 4 E-Book

Ernst Barlach

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Beschreibung

Ernst Barlach nimmt unter den Künstlern der Moderne einen besonderen Platz ein. Über Barlachs Der tote Tag befand Thomas Mann, es sei das »Stärkste und Eigentümlichste …, was das jüngste Drama in Deutschland hervorgebracht hat«. Über seine Plastiken hielt Bertolt Brecht fest: »Sie haben viel Wesentliches und nichts Überflüssiges.« Als Neil MacGregor 2014 für seine Londoner Ausstellung »Deutschland – Erinnerungen einer Nation« nach einem ikonischen Exponat suchte, entschied er sich für Barlachs »Schwebenden« aus dem Güstrower Dom.
Anlässlich des 150. Geburtstages von Ernst Barlach erscheinen seine Briefe in einer vierbändigen Ausgabe. Sie enthält neu aus den Originalen transkribierte Texte mit einem kontextbezogenen Kommentar. Ein Viertel der gut 2200 Briefe wird hier zum ersten Mal veröffentlicht.
Mit den Briefen schrieb Barlach den Roman seines Lebens. Der Bogen reicht von Sinnsuche und Selbstaussprache über Künstlerwerdung und Meisterschaft bis hin zu Verzweiflung und Vereinsamung. Der alleinerziehende Vater gibt Nachricht, der selbstbewusste Künstler verhandelt, der Einzelgänger zieht sich zurück, der politisch interessierte Beobachter kommentiert. Der hier schreibt, ist belesen in vielen Literaturen, bewandert in der Kunst und begabt, von sich zu sagen. Er ist feinfühlig und unbescheiden, neugierig und starrsinnig, er bittet und ignoriert. In seinen Briefen wird Barlach kenntlich als Mensch.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 1229

Veröffentlichungsjahr: 2020

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ERNST BARLACH

Die Briefe Kritische Ausgabe in vier Bänden

Ein Editionsvorhaben der Ernst Barlach Stiftung Güstrow und des Ernst Barlach Hauses Hamburg an der Universität Rostock

ERNST BARLACH

Die Briefe

Band IV: 1935-1938

Herausgegeben von Holger Helbig, Karoline Lemke, Paul Onasch und Henri Seel unter Mitarbeit von Volker Probst, Franziska Hell und Sarah Schossner

Suhrkamp

Inhalt

1935

1936

1937

1938

Nachträge

Nicht eindeutig datierbare Briefe

Bildteil

Anhang

Editionsbericht

Korpus und Textgrundlage

Anordnung und Gestaltung

Textkonstitution und Abbildungen

Kommentar und Verzeichnisse

Nachwort

Dank

Zeittafel zum Leben Ernst Barlachs

Verwandtschaftstafel der Familie Barlach

Chronologisches Verzeichnis der edierten Briefe

Erschlossene Korrespondenz

Siglen, Zeichen und Abkürzungen

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen

Personenregister

Ortsregister

Werkregister

1935

1730 an Familie Muggly, Güstrow, 〈1. ‌Januar 1935〉1

»Zum Jahreswechsel die herzlichsten Glückwünsche«

Lieben Leute,

möchtet Ihr gesunder ins neue Jahr kommen als wir hier v. ‌d. Heidbergkolonie. Alles schnupft u. prustet, wünscht Euch 3 aber trotz aller Misere das Beste für 1935. |

Umstehende Wünsche auch von mir!

EBarlach

Herzlichen Glückwunsch

Wth. Katzenstein

Postkarte, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte und Bleistift, Text von 3 Händen (Margarethe Böhmer, EB, Walther Katzenstein), Bildmotiv »Zum Jahreswechsel die herzlichsten Glückwünsche«, 14,7 ‌× ‌9,2 cm; Ernst Barlach Stiftung Güstrow; unveröffentlicht

1Datum des Poststempels.

1731 an Werner Anlauf, Güstrow, 5. ‌Januar 1935

[Güstrow (Mecklenburg)]

5. ‌1. ‌35.

Sehr geehrter Herr Anlauf,

Ihr Talent vorerst anerkennend muß ich um Entschuldigung wegen der Kürze der Antwort bitten – ich bin in der peinlichen Lage, Erwartungen wie die Ihrigen oft, wenigstens für meinen Geschmack zu oft, enttäuschen zu müssen, »lobende Kritik« nützt Ihnen nichts – gewiß nicht, aber vielleicht 〈ist〉 ein Hinweis oft nicht von Übel, so meine ich dann, daß Ihre Hauptbegabung im Porträt liegt. Proletarierkind, Ihr Vater, der Neffe, sowie Köpfe wie vom Schlaf (»Detail vom neuen Weg«).1 Sonst, ja wie sage ich: Zu viel Literatur, ja Theater. Also Sie können Porträts machen und sich damit vermutlich einen Weg bahnen. Weiter: ob Sie ausstellen dürfen, heute, wo wohl jeder Künstler irgendwo in einem Gauverband, einer Kunstkammer2 so oder sonst einer Organisation eingekellert sein soll unter Nachweis eines Studienganges – weiß ich nicht, ich selbst habe mich jahraus jahrein um nichts gekümmert – verzichte auch seit einer gewissen Zeit auf Ausstellen etc. Werde aber, wie ich beiläufig erfahre in verschiedenen Listen als »zugehörig« verzeichnet, vielleicht müßte ich sagen: für den Augenblick ist das was Sie treiben immer noch das Bessere, wenn es sich um die Frage handelt: wie durch die Jahre, vielleicht Monate hindurch kommen. Berufs-Künstler sein muß gegen jeden Rat und alles Abraten vor sich gehen, also auch ich kann nicht zuraten u. Weg angeben?

Jeder kann nur seinen eigenen finden.

Mit besten Grüßen

Ihr EBarlach

Brief, Vordruck II; Standort unbekannt (handschriftliche Abschrift Werner Anlaufs in Materialsammlung Friedrich Droß);3 unveröffentlicht

1Anlauf, als Maler, Grafiker und Plastiker tätig, schickte EB mit der Bitte um Einschätzung Fotografien von plastischen Arbeiten wie der »böhmischen Witwe« (Materialsammlung Friedrich Droß). Weitere Arbeiten konnten nicht ermittelt werden.

2Reichskammer der bildenden Künste (↘ ‌1556, Anm. 2).

3Werner Anlauf sandte eine handschriftliche Abschrift des Briefs am 14. ‌6. ‌1947 an Friedrich Droß, der daraufhin eine Maschinenabschrift anfertigte.

1732 an Hedwig Havemann, Güstrow, 5. ‌Januar 1935

»Ernst Barlach: Das Wiedersehen«

Güstrow i. ‌M.

Heidberg. 5. ‌1. ‌35

Sehr verehrte Frau Havemann,

wir senden Ihnen herzlichen Dank für Ihre freundlichen Zeilen. Sind Sie und Ihre Kleinen, Erika1 und Sylvia, wohlauf, so möchte es nach unsern besten Wünschen also bleiben. Wir sind hier Alle leidlich wohlauf, so leidlich wie es mit Husten, Schniefen usw. vereinbar ist. Nichts Böses aber auch doch etwas Lästiges, aber wohl schnell vorübergehend. Erikas | Dikta2 sind druckreif, ich bin stolz darauf, der Gegenstand dafür zu sein!

Herzlich Ihre

EBarlach u. M. Böhmer

Postkarte, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Bildmotiv »Ernst Barlach: Das Wiedersehen«, 11,6 ‌× ‌16,5 cm; Ernst Barlach Stiftung Güstrow; unveröffentlicht

1Erika Havemann.

2(Lat.) Aussprüche.

1733 an Walter Rinecker, Güstrow, 5. ‌Januar 1935

[Güstrow (Mecklenburg)]

5. ‌1. ‌1935

Lieber Herr Rinecker,

Ihnen und Ihrer Frau senden wir Grüße und Wünsche zum neuen Jahre, vor Allem einen herzlichen Dank für das Donkosaken-Responsorium,1 womit Sie uns bereichert und unsern Stapel edler Platten mit der letzten Spitze gekrönt haben. Sie war sorgfältig verpackt und gelangte unversehrt mit dem Ganzen ihres Wohllaufs in unsere Hände. Es geht uns also in Hinsicht auf solche Schätze sehr gut – was will dagegen ein bißchen Schnupfen und Versuche des bösen Wetters, uns übel zu tun, besagen! Leider ist Ihre Frau nicht so wohlauf wie wir wünschen möchten, | aber wir hoffen von Herzen, daß Alles mit Windeseile überstanden sein werde. Ich hatte einen Geburtstag, der nun schon verjährt ist, verjährt wäre, wenn nicht Ihre Gabe von Zeit zu Zeit die Erinnerung an den Tag (die Stunde weiß ich nicht, sie steht nicht im Kirchenbuch!) auffrischte.

Frau Böhmer plante gleich mir eine dankende Feder anzusetzen, aber nun ist ihr der Kopf doch so »dick«, d. ‌h. wohl so: »benommen«, daß sie mich bitten muß, es heute für sie zu besorgen, sie holt es nach, sobald ihr danach ist – das Wetter ist wirklich unliebenswürdig und böswillig. Am 2. ‌Jan. mieteten wir eine Karre und fuhren erst nach Teterow zum Mittagessen, sodann nach Malchin zum Kaffee, wo wir auch das Denkmal von allen 4 Seiten betrachteten, für das ich s. ‌Z. eine ganze Reihe Entwürfe gemacht.2 Keine der 4 Seiten taugte etwas, im Gegenteil, eine war noch schlechter | als die andere. Aber der Kaffee war gut, also sei Malchin wenigstens in dieser Hinsicht gelobt. Dann aber flott heimwärts, Niemand von uns hatte Lust zu bleiben. Das Wetter war so schlecht wie die sämtlichen 4 Seiten des Denkmals, d. ‌h. unermeßlich schlecht. Klaus u. ich hatten dicke Stiefel an den Füßen, aber die arme Frau Böhmer mußte dünnbeschuht durch dick und dünn, fror, hustete und hielt tapfer aus.

Ich bin heute endlich wieder an mein Holz gekommen. Solche Übungen haben immer eine schlechte Schrift zur Folge, das rechte Handgelenk will dann nicht wie es soll. Es soll aber doch und hat nichts zu befehlen, aber es wird tückisch und macht schlechte Buchstaben. Es hat aber gelegentlich schon schlechter mit meiner Schrift ausgesehen, also eine bedingte Entschuldigung.

Leider hatten Sie einen Trauerfall in der Familie, nehmen Sie den Ausdruck unseres herzlichen Beileids | hin! In Verbindung mit unser Beider Grüße und Wünsche für schnelle Besserung im Befinden Ihrer Frau.

Herzliche Grüße vom Heidberg senden

Ihre EBarlach u. M. Böhmer.

Brief, 1 DBl. mit 4 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Briefkopf Barlach I, 24,5 ‌× ‌18,8 cm; Privatbesitz; unveröffentlicht

1Das Responsorium ist ein liturgischer Wechselgesang in der Kirchenmusik. Der Don Kosaken Chor wurde 1920 von Serge Jaroff (1896-1985) in einem Istanbuler Kriegsgefangenenlager gegründet und bestand aus Offizieren der Kosakendivision der russischen Armee. 1923 professionalisierte Jaroff den Chor und schuf mit einem Repertoire russischer geistlicher und weltlicher Vokal-, Militär- und Volksmusik ein Renommee in Europa und den USA. Die Schallplattenaufnahme des Don Kosaken Chors, die EB von Rinecker erhielt, konnte nicht ermittelt werden.

2Das letztlich von Stadtrat und Architekten Erich Tietböhl (1881-1958) entworfene Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs wurde am 25. ‌8. ‌1929 enthüllt. In Anlehnung an das Malchiner Stadtwappen wurde ein Turm mit Schwert und der Aufschrift »Unsern Helden« errichtet. EB hatte figürliche Entwürfe eingereicht, die nach Anfeindungen durch den Stahlhelm-Bund nicht umgesetzt wurden (↘ ‌1036).

1734 an Fritz Schumacher, Güstrow, 6. ‌Januar 1935

Güstrow i. ‌M.

Heidberg

6. ‌I. ‌35.

Sehr verehrter Herr Professor,

in Abänderung der ersten Zeile Ihres Briefes vom 3. ‌1. ‌35 (Sie schreiben aber 34!), lautend: was ich eigentlich hätte wissen können, – sage ich: was ich weiß, nämlich, daß Sie vor mir Ihr Fünfundsechzigstes vollendeten, und so gelangt mein Glückwunsch für Sie als unmäßig verspäteter, obendrein trächtig mit dem Dank für die zwei Ihrigen an mich – Gott sei Dank, nun endet der Satz – an!

Ihre Hand, wozu ich extra u. von Herzen gratuliere, ist fest und sicher wie sonst, meine ist wohl ein bißchen zitteriger als sonst – aber ein fahriger Mensch war ich ja immer und ein wenig mehr oder weniger wird nicht viel ausmachen. Ich habe im Laufe dieser letzten Jahre, minder festeren Gemüts als Sie, zuviel Schlafmittel geschluckt und besinne mich darauf, daß es damit nicht so weiter gehen kann. Früher, als frischfröhliche Kumpane mit andern desgleichen sangen wir trotzig revolutionär: Blut muß fließen, knüppel, knüppeldick usw.1 Jetzt denkt man etwa: mit dem fließenden Blut ist nichts zu beschaffen, es fließt, je ernster man das Heil sucht, nur immer mehr und endlich in Strömen, sorge jeder dafür, daß das Blut im eigenen Leibe, und vor allem im Kopfe, so sachte rinne, daß nichts Dummes dabei herauskommt. Ich habe in letzten Jahren unendlich viele furiose Briefe verfaßt und kann es einstweilen dabei bewenden lassen.

Der Fries der Lauschenden kommt nach Hamburg in ein Privathaus,2 ich bin also fleißig beim Holzhacken und kann für anderweitige Zwecke einstweilen keine Kräfte hergeben, da alle solche, besonders bei den dunklen Tagen, in Anspruch genommen sind.

Wohl und vor allem wüßte ich gerne, wie beschaffen Ihr Ergehen ist, was Tag und Stunde von Ihnen erwarten und erhalten und daß Sie hoffentlich – ohne Schlafmittel auskommen. Wie Sie auf Ihre Alster blicke ich auf meinen See – aber der See schwindet immer mehr, weil Güstrow sein Wasser braucht,3 die Alster läßt sich derartiges doch wohl gefallen?! Manchmal bin ich so munter wie einer der Fische im See, manchmal haben es die Fische allein mit der Munterkeit und ich mag es ihnen gönnen oder nicht, es bleibt dabei.

Nehmen Sie das kleine Blättchen,4 reproduziert nach einem Stück in Kohle wohlwollend in Ihre Hände, seien Sie herzlich gegrüßt und zweifeln Sie nicht an der Aufrichtigkeit meines Dankes für Ihre 2 Briefe!

Ihr sehr ergebener

EBarlach.

Brief; Standort unbekannt (Maschinenabschrift in Materialsammlung Friedrich Droß); Barlach 1968/69; [1191]

1Zitat aus dem nach Friedrich Karl Franz Hecker (1811-1881) benannten Heckerlied (1848/49). Das Revolutionslied der Badischen Revolution (1848/49) wurde in Form von nationalistischen und antisemitischen Umdichtungen in Deutschland im 20. Jahrhundert, insbesondere zur Zeit des Ersten Weltkriegs, und durch revolutionsnahe Bewegungen verbreitet. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde es in der Umdichtung »Blut muß fließen knüppelhageldick, wir pfeifen auf die ›Freiheit der Judenrepublik‹, wir pfeifen auf die ›Freiheit der Judenrepublik‹!« (Kohlstruck/Klärner 2011, 150f.) zum Kampflied der SA. Die von EB zitierte Version entspricht jener, die seit Ende des Ersten Weltkriegs geläufig ist: »Blut muß fließen, / Blut muß fließen knüppelhageldick! Das gibt rote Hosen, / Das gibt rote Hosen für die deutsche Republik« (ebd., 142).

2Das Haus Hermann Fürchtegott Reemtsmas in Röndahl.

3↘ ‌1425, Anm. 1.

4Nicht überliefert. Möglicherweise sandte EB Fritz Schumacher den Druck nach der Zeichnung Der Durstige (Wittboldt/Laur 2276), den er 1935 als Dank für Glückwünsche zu seinem 65. Geburtstag versandte.

1735 an Karl Muggly, Güstrow, 7. ‌Januar 1935

»Van Gogh: Zypressenlandschaft«

»Bruegel: Der Herbst«

Güstrow 7. ‌1. ‌35

Lieber Herr Muggly,

Sie erscheinen mir auf einem Blatt von Ihrer Frau, über das ich mich außerordentlich gefreut habe. Für dieses Kommen danke ich auch Ihnen wie für sonstiges gutes Anteilnehmen an mir bei der Gelegenheit meines Geburtstages, eines Tages, der für uns Bewohner des kleinen Häuschens festlich verlief, indem wir uns eine Fahrt | ins weite Land bei sehr schlechtem Wetter auferlegten, die immerhin heiter verlief, indem wir ein »Denkmal« besichtigten, das ich vor Jahren beinahe hätte machen dürfen.1 Nun hat sich ein Anderer stellvertretend blamiert, also durften wir heiter retour kutschieren. Wie sehr wünschte ich, daß die freien und Festtage Ihnen bei dem Besuch Ihrer Tochter besonders erfreulich und erfrischend verlaufen seien, mein Sohn Klaus, der Ferien hat, lärmt manchmal ein bißchen reichlich,2 | aber auch das ist zeitweise erfrischend. –

In aller Herzlichkeit

Ihr ergebener EBarlach

Postkarte, 2 Bl. mit 3 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Bildmotive »Van Gogh: Zypressenlandschaft« und »Bruegel: Der Herbst«, 10,5 ‌× ‌14,8 cm; Ernst Barlach Stiftung Güstrow; unveröffentlicht

1↘ ‌1733, Anm. 2.

2Hs.: reicherlich.

1736 an Sophia Muggly, Güstrow, 7. ‌Januar 1935

»Van Gogh: Der Bauer«

»Bruegel: Der Winter«

Güstrow Heidberg

7. ‌1. ‌35

Liebe Frau Muggly,

wenn der Dank für Ihr Kohleblatt zu meinem 65ten Geburtstage nur kurz ausfällt, so ist er doch ein echter und rechter, nehmen Sie ihn als solchen hin wie den für Ihre begleitenden guten Wünsche – die »guten Aufträge« sind ja einstweilen schon da, vorausgesetzt, daß | nicht nur die Kräfte meinerseits, sondern auch die Zahlkraft und der Zahlwille andererseits sich gedeihlich erweisen. Hoffen wir, und auch ich hoffe für Sie und Herrn Muggly das Ganze des Möglichen an Erfüllung mit dem Besten fürs kommende Jahr – das »gekochte Süppchen« ist so amüsant, hoffentlich schmeckts so gut wie es gemalt ist!1

Tausend herzliche Grüße

Ihr EBarlach

Postkarte, 2 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Bildmotive »Van Gogh: Der Bauer« und »Bruegel: Der Winter«, 10,5 ‌× ‌14,8 cm; Ernst Barlach Stiftung Güstrow; unveröffentlicht

1Die Zeichnung Mugglys ist nicht überliefert.

1737 an Carl Albert Lange, Güstrow, 9. ‌Januar 1935

Güstrow i. ‌M.

Heidberg

9. ‌1. ‌35

Lieber Herr Lange,

auch hier fließt Infludo1 und verwandtes Zeugs, der Heidberg dröhnt von Husten u. Prusten, sogar Baldos2 Brust bricht wütend aus, was man ihm als Husten auslegt – genug, der Brief will danken und nicht jammern. Das Trio Schu-Si-La3 sei so herzlich gegrüßt wie es mir zu Mute ist, und in Hinsicht auf Dank ist mir löwenhaft zu Mute, wollen Sie diesen nicht von Influd gequälten, immerhin rauhen Schall – vor der Hand von Orte La zu Si und Schu leiten? Es ist ein häßliches Ansinnen, aber Sie selbst reden vom »großen Guten unter und über der Erde«, von dem Sie am Ende reichlich so viel spüren wie ich, Zauberhut und Wünschelrute4 eignen Ihnen gleichermaßen – und überirdische Bedrängnis meiner durch Zuspruch und -flut – einer, die rühmlich und auszeichnend trägt. Mit ehrlichem Deutsch: da ich Freunden, Verwandten, Bekannten keine Druckzeilen senden will, so müssen Zeit u. Weile helfen, bis daß alle Notwendigkeiten ihr Ziel erreicht und ich des freudig gezollten Dankes quitt bin. Ich will Ihnen was sagen, wenn Sie es weiter sagen wollen: – es kommt hier zur Zeit enorm viel dummes Zeug zusammen, das lustige Leben macht zuweilen ein | erstaunlich dämliches Gesicht – nun ja, es gab diese Wochen viel Freude u. Überfluß, es wäre an »viel Freude« übergenug gewesen, wozu also der Überfluß von der Art, die ganz unerwünscht war? Also, nicht wahr, sagen Sie es weiter, Sie wissen schon, an wen, und man wird gewiß das Einstweilige anstatt des Entgültigen gelten lassen. Könnten wir uns zu Vieren einmal wieder in einem Kellerloch gegenübersitzen,5 es wäre Alles viel leichter gesagt und getan: in vino6 außer der … noch mancherlei Gutes! Es scheint aber das Glück solcher Gelegenheit sehr, sehr rar zu sein, was muß Alles zusammentreffen an Vorbedingungen und Zufälligkeiten, es graust mir, wenn ich denke, wie unwahrscheinlich es ist, aber neulich saß doch Schurek ganz unverhofft und wie hergezaubert vor mir – am Ende ist noch guter Verlaß auf Zauberei? Berechnung und dergleichen war nie meine Stärke, wo ich mich auf sie einließ kam immer Verrechnung heraus.

Nun lasse ich mir Ihren Wunsch, den Schluß einiger mit Zuversicht durchwachsenen Ermahnungen – daß ein Jahr mir werde ohne viel Beschwerde, herzlich gern gefallen. Auch Ihnen, lieber Herr Lange, auch Ihnen möge es so werden, ich sage dreist, uns Allen und noch vielen Andern dazu, ich will durchaus nicht der Einzige sein. Ich aß und esse sehr gern mal einen guten Haufen Austern, aber allein mag ich dabei nicht sitzen, Kumpanei sei dabei, das ist unerläßlich. Frau Böhmer läßt schön grüßen, Sie hören nicht wie sie hustet – es ist wahrlich an der Zeit, daß dieses Alles aufhört. Aber der Winter kommt erst – –.

Ihnen und den Ihrigen von Herzen alles Gute wünscht

Ihr EBarlach

Brief mit Umschlag, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 28,0 ‌× ‌22,0 cm; Ernst Barlach Haus Hamburg; Barlach 1962; [1192]

1Anthroposophisches Arzneimittel zur Behandlung von Erkältungen.

2Hund EBs.

3Schurek – Sieker – Lange.

4Zu den Begriffen ›Erdstrahlen‹ und ›Rutengängerei‹ ↘ ‌1413, Anm. 2.

5Anspielung auf ein Treffen der Freunde im Hamburger Ratskeller während der Arbeit am Hamburger Ehrenmal 1931 (Sieker 1970, 19f.).

6Anspielung auf das lateinische Sprichwort ›in vino veritas‹ (dt. Im Wein liegt die Wahrheit).

1738 an Reinhard Piper, Güstrow, 13. ‌Januar 1935

[Güstrow (Mecklenburg)]

13. ‌1. ‌35

Lieber Herr Piper,

für Ihren Glückwunsch zum neuen Jahre seien Sie schönstens bedankt – es wird schon werden, wenn es hier oder da geschrieben steht, angeordnet und vorgesehen, das mit dem guten Ergehen. Auch Ihnen, Ihrem Verlag, nicht zu vergessen Ihrer Familie möge an entscheidender Stelle ein guter Verlauf des neuen Jahres verfügt sein – des neuen und der weiteren neuen bis ans Ende der Jahresrechnung, was wohl ein gutes Stück Zeit verlangt, wir haben so lange mit Jahren gerechnet. So wirds einstweilen damit nicht anders werden.

Die Zeichnungen bekam ich schon früher zurück, die Manuscripte u. die Rolle mit dem Faustblatt1 kürzlich, wofür ich bestens danke. Wegen der Manuscripte muß | es beim Alten bleiben. Ich wiederhole, es giebt keinerlei Abmachungen oder Versprechungen, aber – ja – wie sag ichs meinem Kinde? – ich will meine Freiheit behalten. Ich war lange genug gebunden und nach Cassirers Tode machte ich Feilchenfeldt von gewissen Abmachungen – oder in Aussicht gekommenen Bindungen an Sie Mitteilung, die er natürlich mißbilligte, wogegen es aber keinen Einspruch gab. Ich habe sodann im Laufe der Jahre öfter an Sie gedacht, jetzt ist mir meine Freiheit, nach Gutdünken zu handeln, lieber als alles Andre. Nebenbei: wenn ich wieder zum Schreiben komme, so werden wohl nur lange geplante Dramen, sagen wir: Stücke, herauskommen. Wie u. wo ich sie anbringe, das hängt ab, wie der Franzmann sagt: ça dépent!2 Wovon? Einfach von Umständen, Zufällen und Ähnlichem, gewiß nicht von vorhandenen Vorsätzen. Für 2 Jahre, es sind aber nur knapp 1½ noch, hat Cassirer seine Rechte auf Dramenvertrieb an den »Verlag für Kulturpolitik« abgetreten,3 dieser | Verlag hat bisher kein Stück, weder bei einem großen Theater noch bei einer Vorstadtschmiere angebracht. Er hat bis dann u. dann auch das Recht auf etwaige neue Stücke – kann lange warten. Ich schrieb ihm, meine neuen Stücke werden keine andern sein, als meine alten.* Ich habe tüchtig an Lust zur Schreiberei eingebüßt. Nach dem Stichtag geht das Recht auf die alten Stücke vorläufig (u. etwa inzwischen entstandene neue) an Cassirer zurück.

Nun bin ich gewiß mit Fechter als Textschreiber zu meinen Zeichnungen wohlzufrieden. Ich hätte gerne Scheffler gebeten, aber warum ich es nicht tat, sagte ich schon. 80 Zeichnungen werde ich kaum entbehren können und mit den Nibelungen4 ist es vorerst auch nichts, denn, ob ich mich bei Rosenberg, der lieber dahin zurückgehen sollte, wo er hergekommen ist und nicht Leute, die im Lande 65 Jahre geworden, besch – – – es fehlt ein bitterschweres Wort – – oder wo ich mich anbiedere, ich biedere mich garnicht an. Meine anständige Mißliebigkeit hat dergleichen nicht nötig,** Proben, | wie Sie vorschlagen, aus den Nibelungen zu geben, kann ich nicht billigen. Einstweilen ruht Alles, ich komme zu nichts als Briefeschreiben, ich habe den Eindruck, daß die unfertigen Blätter ganz gut so bleiben können, die einzelnen als fertig geltenden Blätter – nun, lieber Herr Piper – rechnen zum Teil unter die, die ich einmal plastisch ausführe. Ich habe an literarischem Zeug so viel Un- u. Halbfertiges liegen, es kommt auf ein wenig mehr oder weniger auch sonst nicht an. Die Blätter, die Sie zu versuchen wünschen, gehen Ihnen demnächst zu, hoffentlich ist meine Wahl glücklich, denn Sonstiges, Dinge, die ich nicht reproduziert haben möchte, kann ich doch nicht senden?! Ich habe mich gegenüber Kunsthändlern, Ausstellungen usw. darauf besonnen, daß es auch ein Gebot der Selbstverständlichkeit ist, nur das zu zeigen, was ich zu zeigen wünsche, wünschen darf zu zeigen, wovon ich mir Etwas verspreche aus eigener Vorstellung heraus.

Schults Aufsatz war, wenn ich richtig erinnere, ein Neuabdruck,5 allerdings | der einer sehr gut abgewogenen und durchdachten Auslassung. Was wird mit meinem Domengel geschehen? Sie wissen es nicht, so wenig wie ich, der ich nur hier u. da etwas ins Ohr geflüstert kriege. Ich würde im Falle jenes Falles, der, der wahrscheinlich ist, Akademie u. Kunstkammer6 anrufen, mache mir aber wohl nur überflüssige Mühe damit, kann austreten, oder sonstwie demonstrieren. Es giebt eben überall »gewisse Seiten« »Am Ende hängen wir doch ab usw.« (Mephisto).7 Wir müssen uns dreinfügen, Kreaturen zu sein und von gemachten Kreaturen abzuhängen. Inwiefern sind nun diejenigen, die von ihren Krea… abhängen, selbst keine? (Gleichung mit so vielen Unbekannten wie es garnicht giebt!) Kurz – ich bleibe dennoch im Lande.8 Na, ich muß wohl mal endigen, zunächst mit diesem Briefe, später überhaupt, ich könnte sonst noch Späße auftischen und will doch Ihr argloses Herz nicht vergiften. |

Einige Tage müssen Sie mir schon Frist geben, bis ich die Zeichnungen sende (eine »Auswahl von einem Dutzend«).9 Da ist eine Holzarbeit für den Fries, da ist vor Allem die Nötigung, den Freunden, Bekannten u. Verwandten ein Dankeswörtlein zu sagen – es sind viel viel mehr als man denken sollte, ich kann den Nächsten im Gemüte doch keine gedruckten Karten schicken. Daß Sie am 2. ‌Jan. an mich gedacht haben, nehme ich freudig hin. Seien Sie mit Ihrer Frau und Kindern herzlich gegrüßt und am Ende ist ein Prosit-Neujahr, wie zu Anfang, immer noch angebracht?!

In herzlicher Verbundenheit

Ihr EBarlach

* man darf mich nicht spielen, das ist die Sache

** Es kommt beim Anbiedern auch nichts heraus, selbst wenn man wollte.10

Brief, 1 DBl. und 1 Bl. mit 6 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Briefkopf Barlach I, 24,5 ‌× ‌19,0 cm; Ernst Barlach Gesellschaft Wedel als Depositum der Kulturstiftung Schleswig-Holstein; Barlach 1968/69; [1193]

1Zum geplanten Band der ZeichnungenEBs ↘ ‌1672. Zur Verwendung der Zeichnung Faust und Mephistopheles ↘ ‌1678; ↘ ‌1711.

2(Frz.) es kommt darauf an.

3Zum Vertrag mit dem Verlag für Kulturpolitik ↘ ‌1617, Anm. 5.

4Zu EBs Arbeiten zum Stoff der Nibelungensage ↘ ‌1698; ↘ ‌1711, Anm. 4.

5Friedrich Schults Aufsatz Der Güstrower Dom erschien nach seiner Erstveröffentlichtung 1928 (↘ ‌1068, Anm. 1) drei Jahre später als Privatdruck und 1934 in Die Neue Rundschau (Die Neue Rundschau 1934, 627-629).

6Reichskammer der bildenden Künste (↘ ‌1556, Anm. 2).

7Zitat aus Johann Wolfgang von Goethes Faust II: »Am Ende hängen wir doch ab / Von Creaturen die wir machten« (V. 7003f.).

8Anspielung auf Ps 37,3: »3Bleibe im Lande und nähre dich redlich«.

9↘ ‌1755, Anm. 1.

10Am linken Rand von Bl. 2r, quer zum Text: »** Es kommt beim […] wenn man wollte«.

1739 an Paul Schurek, Güstrow, 14. ‌Januar 1935

[Güstrow (Mecklenburg)]

14. ‌1. ‌1935

Lieber Herr Schurek,

Dank und Gruß für das Bewußte und schon früher Gespendete!1 Viele Wünsche auch von mir für Sie und den Lauf Ihres wie meines neuen Jahres.2 Einstweilen bringt es mir Mühe u. Arbeit und wenn es so weiter geht, so soll es auch gut sein, die Pausen werden schon eingelegt werden, entweder vom Jahre selbst oder von mir persönlich – ich habe ja auch noch etwas zu sagen. Im Verlag Cassirer habe ich freilich nichts mehr zu sagen, das Wort haben da die weiblichen!3 Kontor-Hyänen, die, wie es scheint, allein in Berlin verblieben sind, damit das Haus nicht eingeht.4 Manchmal sind sie guter Laune, ich denke: wenn der 28. Tag überstanden,5 manchmal erfüllen sie prompt jeden Wunsch, dann wieder spielen sie Tyrann und Untermensch, | das Alles hätte längst anders sein können, aber – wie es halt ist – die Gewohnheit hat sich eingefressen, sie haben da auch noch ein gut Teil Graphik, vielleicht Zeichnungen, und man weiß nicht, wohin so schnell damit. Der Schlendrian hat für mich etwas Bequemes, nur gut, daß sie kein Holz mehr von mir haben. Ich bin nun schon seit langem der älteste Kunde in der Viktoriastr.,6 glaube auch der einzige, wie das so gekommen ist seit 1908! Mancher wohnt lieber in einem morschen Hause und verklebt die kaputten Fensterscheiben mit Kleister oder Spucke, als daß er umzieht und das Aufräumen droht. Ich glaube allerdings nicht, daß sie ein neues Buch, wenn eins kommt, verlegen werden oder von einem alten eine zweite Auflage machen. Ich habe mich auch gescheut, nun grade, zur gesegneten Jetztzeit, die schon einmal formell vollzogene Kündigung durchzuführen, glaube auch nicht, daß Dr. Feilchenfeldt den Schlendrian ganz so mitmachen würde, aber der ist – wer weiß wo jenseits.7

Natürlich habe ich Galle gespuckt und werde zu | rechter Zeit noch einmal spucken. Schließlich bin ich hauptsächlich mit dem Hause in Verbindung geblieben, weil so wütend gegen den Verbleib gehetzt wurde (Flechtheim, Katzenellenbogen, Frau Durieux, Böhmer usw.) daß ich endlich sagte: nun grade nicht.

Also, lieber Herr Schurek, so seien Sie versichert, daß Ihr und Langes Geburtstagsartikel8 hier im Hause große Freude verbreitet. Wir sind stolz auf ein so statiöses9 Blatt, das im Böhmerschen »Archiv« einen Ehrenplatz bekam und in meinem, was ich denn so Archiv nenne, wenn ich mal Lust habe, mich wichtig zu machen, zusammen liegt mit dem Bild des Malchiner Denkmals, das ich einst beinahe hätte machen dürfen, das aber nun ein anderer machte, der sich stellvertretend blamierte.10 Dieses Bild besorgten wir uns auf einer Fahrt über Land am 2. ‌Januar, bei schlechtem Wetter, aber – hm – so mußte es kommen. Da Zeit und Gelegenheit es wollten. Es ist ein eindrucksvolles und lehrreiches Beieinander, solange ich es erdulden kann. | Wie mag es kommen, daß ich mir die (nicht skandalösen! nur nicht den Humor verlieren!) Grotesken von Malchin so gerne wiederhole? Sie sind nicht alltäglich, sondern feierlich-einzigartig, man darf sie nicht vergessen. Frau Böhmer mußte dünnbeschuht hustend durch den Malchiner Morast mit mir und Klaus bis an den Ort der Tat, dann erholte sie sich an einem erstaunlich guten Kaffee (die Gegensätze berühren sich auch dort)11 und wir fuhren heiter heim, mit den Bildern.

Ich muß einige Tage Adressen schreiben, Sie können sich wohl den Grund denken, hin u. wieder einen oder andern Satz dem Dankdruckzettel12 zufügen – man will, wenn man schon Barlach heißt, doch nicht barbarlachisch gezeichnet dastehen. Es ist ja auch nicht zu verachten, daß man von dem Dasein manches Unbekannten erfährt, der es gut mit Einem meint.

Ich sage Ihnen tausendmaligen Dank, also einen weithin schallenden und füge einen stillen Händedruck hinzu, welcher wohl das beste von Beiden ist. Frau Böhmer schließt sich mit Wünschen und Grüßen an.

Herzlich Ihrer gedenkend

Ihr EBarlach

Brief mit Umschlag, 1 DBl. mit 4 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Briefkopf Barlach I, 24,5 ‌× ‌19,0 cm; Ernst Barlach Stiftung Güstrow; Barlach 1962; [1194]

1Zu den regelmäßigen Geburtstagsgrüßen der Freunde Schurek, Carl Albert Lange und Hugo Sieker ↘ ‌1280; ↘ ‌1372, Anm. 1; ↘ ‌Bd. 3, Bildtafel 11.

2↘ ‌1059, Anm 2.

3Einfügung am unteren Rand von Bl. 1r: »weiblichen!«

4Um die Firma Paul Cassirer vor der Arisierung zu schützen, wandelte Grete Ring, nach der Verlegung des Kunsthandels nach Amsterdam, den in Berlin verbliebenen Verlag 1935 von einer Aktiengesellschaft in eine Einzelfirma um, die bis zu Rings Emigration 1938 unter ihrer Leitung in Berlin bestand (Feilchenfeldt 2015, 48). Vgl. hierzu ↘ ‌1562.

5Vermutlich Anspielung auf die Hypothese vom Biorhythmus (↘ ‌919, Anm. 2).

6Sitz des Kunstsalons und der Firma Paul Cassirer.

7Walter Feilchenfeldt emigrierte 1933 nach Amsterdam.

8Carl Albert Lange und Schurek widmeten EB am 29./30. ‌12. ‌1934 anlässlich seines 65. Geburtstags unter dem Titel Meister Barlachs Geburtstag. 2. ‌Janaur 1870 * 2. ‌Januar 1935 eine Seite im Hamburger Anzeiger (Hamburger Anzeiger 1934, o. ‌S.). Sie umfasste eine Porträtfotografie EBs von Hildegard Heise von 1932 (Hell 2017, 108), die Lithografie Der neue Tag (1932; Laur I 101), den Beitrag Wir suchen Barlach von Lange und Bekenntnisse zum Dramatiker Barlach von Schurek (Hamburger Anzeiger 1934, o. ‌S.).

9Prunkend, stattlich, ansehnlich.

10Zur Verhinderung der Gestaltung des Malchiner Ehrenmals durch EB ↘ ‌1064.

11Anspielung auf die Redensart ›Die äußersten Gegensätze berühren einander‹, die auf den französischen Schriftsteller Jean de la Bruyère (1645-1696) zurückgeht.

12Einfügung am unteren Rand von Bl. 2v: »dem Dankdruckzettel«.

1740 an Hermann Fürchtegott Reemtsma, Güstrow, 15. ‌Januar 1935

Güstrow i. ‌M.

Heidberg

15. ‌Januar 1935

Lieber Herr Reemtsma,

Ihr Wunsch für das neue Jahr mit darin enthaltenem und daran geknüpftem freundlichen Zuspruch, in dem Sie mir ganz im Sinne eines Menschen, dem Freudeerwartung Anderer Ansporn bedeutet, Ihr gutes Zutrauen zu dem Fortgang der Arbeit am Friese bekennen, dieser Ihr Wunsch wäre ohne mannigfache Hemmungen und Abhaltungen äußerer Art längst erwidert worden. Teilweise klage ich einen Trubel an, der mich, den unfeierlichsten Menschen der Welt, in einen Reigen von schlecht und recht zu überstehenden – es fehlt das rechte Wort, ich sage: Beanspruchungen zog. Man kann nicht immer die Flucht ergreifen, wie ich es bei einer der erwähnten Gelegenheiten tat, manchmal hält man stand, weil die Flucht oft größere Umstände mit sich bringt als die sind, denen man ausweichen möchte – kurz, lieber Herr Reemtsma, ich komme also mit späten aber nicht minder herzlichen Glückwünschen und erhoffe von dem neuen Jahr für Sie die Erfüllung alles dessen, was Ihrem Sinn und Ihrer Art am besten entspricht und sollte das alte Jahr hierin etwas versäumt haben, so ist auch hier nicht guter Rat teuer, denn aufs Ernsteste setze ich voraus, daß Alles gutgemacht werden kann, was an Großem oder Kleinem dem Wunsch versagt worden ist. Mir ist ein großer, sehr großer Wunsch erfüllt und der Name des Erfüllers ist der Ihrige, auch bei mir war es am Ende möglich, gutzumachen, was frühere Jahre mir versagt hatten.

Es war noch ein zweiter Grund, mit einem Schreiben an Sie zu zögern. Der erwähnte Trubel, eine Reihe Krankheitstage – hier war alle Welt krank – und nicht zuletzt, sogar in der Hauptsache, die Dunkelheit der November- und Dezembertage ließen die Arbeit nicht wunschgemäß vorankommen. Schließlich fing ich an, die hellen Tage, die halbhellen sogar, zu zählen, und komme Alles in Allem knapp auf eine Woche wirklich günstiger und von Störung freier Tagewerke. Ich wünschte so sehr, Ihnen die Fertigstellung der nun vierten Gestalt1 des Frieses anzuzeigen. Künstliches Licht ist ein Übel und Notbehelf, also da ich heute schreibe, geschieht es mit wirklich feiertäglicher Freudigkeit, da ich nun, bis auf ein geringes von einigen Tagen, meine Arbeit abschließe. Man fühlt, daß es nun Zeit ist, aufzuhören, und bis man dies fühlt, denkt man an kein Aufhören. Ich werde, wo nicht morgen, so doch spätestens übermorgen, das Lichtbild herstellen lassen – übrigens ist die dieser Figur folgende2 auch bereits aus dem Groben herausgebracht, sagen wir: im Groben begonnen – und die Tage werden spürbar länger!

Es wäre nun von Wert, die 3 ersten Figuren im Atelier3 zu haben, um die neuen gleich während der Arbeit anzupassen und Dissonanzen von vornherein vermeiden zu können. Obgleich die Höhe und Breite bei allen Gestalten die gleiche ist, werden doch die einen voller, die anderen leichter, gelegentlich zierlicher ausfallen, und damit dieser aus dem Charakter der verschiedenen erfolgende Unterschied ein gewisses Maß der Zulässigkeit nicht überschreitet, möchte man sie immer wieder nebeneinander stellen können – eben, um Dissonanzen zu meiden, die an sich, wohlangebracht, dem Ganzen ebenso förderlich sein können wie einem Musikstück. Sie sind da, um aufgelöst und zur Harmonie geleitet zu werden.

Herr Böhmer läßt sich bestens empfehlen und vereinigt seine guten Wünsche mit den meinen. Da ich gelegentlich die Gabe der Ahnung an mir bemerke, so vermute ich Reisefieber bei ihm; und die Existenz des Wintersportes ist wohl die beste Erklärung für die Zuverlässigkeit meiner Ahnung.

Mit herzlichen Grüßen bin ich

Ihr Ihnen sehr ergebener

EBarlach

Brief; Standort unbekannt (Maschinenabschrift in Materialsammlung Friedrich Droß); Thema 1950; [1195]

1Der Gläubige (Laur II 570).

2Die Pilgerin (Laur II 573) wurde im März 1935 fertiggestellt.

3Der Wanderer, Die Tänzerin und Die Träumende.

Vordruckkarte zum 65. Geburtstag EBs (Vordruck III)

1741 an Johannes Friedrich Boysen, Güstrow, 16. ‌Januar 1935

[Güstrow (Mecklbg.)]

16. ‌1. ‌35.

Sehr geehrter lieber Herr Boysen,

Ihnen und den Ihrigen sage ich herzlichen Dank. Meine Wünsche für Sie zum neuen Jahre kommen nicht, ohne daß ich mit Freude an die von Ihnen u. Ihrer Familie so wohlumhegte Zeit meines Aufenthalts in Kiel anno 19211 zurückdenke und meine lebhafte Erinnerung daran ausdrücke.

Alles Gute, wenn auch in kurzen Worten!

Viele herzliche Grüße

von Ihrem EBarlach

Brief, 1 DBl. mit 2 beschriebenen Seiten, Vordruck III; Standort unbekannt (Fotokopie in Materialsammlung Friedrich Droß); Barlach 1968/69; [1196]

1Der mehrmonatige Aufenthalt zur Arbeit am Kieler Ehrenmal vom 26. ‌9. ‌1921 bis spätestens 19. ‌12. ‌1921. Boysen vermittelte EB sowohl den Auftrag als auch eine Wohnung mit Arbeitsmöglichkeit.

1742 an Albert Damm, Güstrow, 16. ‌Januar 1935

[Güstrow (Mecklbg.)]

16. ‌1. ‌35.

Lieber Herr Damm,

auch ich erinnere mich der damaligen gemeinsamen Tätigkeit1 mit Freude, eine Freude, der sich ein wenig Beklemmung zugesellt, wenn ich mir so manches Häßliche vergegenwärtige, das mir beschieden ist – mir und so vielen alter Freunde. Denke ich weiter nach, so wächst die Beklemmung und fordert mich auf, das zu tun, was ich seit Jahr u. Tag allzu reichlich tat, nämlich, einen furiosen Brief zu schreiben. Es soll aber heute nur gedankt sein und ein herzlicher Gruß ausgetauscht.

In alter Ergebenheit

Ihr EBarlach

Brief mit Umschlag, 1 DBl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Vordruck III, 11,5 ‌× ‌13,0 cm; Ernst Barlach Haus Hamburg, Barlach 1968/69; [1197]

1Damm war seit 1911 Chefredakteur der von Paul Cassirer herausgegebenen Zeitschrift Pan, seit 1914 Prokurist der Kunsthandlung Paul Cassirer und leitete bis 1931 (↘ ‌1332) Ausstellungen und Auktionen des Hauses.

1743 an Herbert Ihering, Güstrow, 16. ‌Januar 1935

Sehr geehrter Herr Ihering,

ich war sehr froh, Ihrem Namen wieder zu begegnen und doppelt über das, was Sie mir bei Gelegenheit … gegönnt haben.

Ich hoffe für Sie alles Gute und grüße Sie aufs beste!

Herzlich Ihr

EBarlach

16. ‌1. ‌35

Güstrow

Brief, 1 DBl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Vordruck III, 11,5 ‌× ‌13,0 cm; Archiv der Akademie der Künste Berlin, Herbert-Ihering-Archiv (HIA 866); unveröffentlicht

1744 an Leo von König, Güstrow, 18. ‌Januar 1935

[Güstrow (Mecklbg.)]

Lieber Herr von König,

lassen Sie sich meinen herzlichen Dank gefallen, außer dem Text noch einmal persönlich und schriftlich. Ich hoffe, daß Sie vollauf gesundet, nach längerer Kur wieder ganz der alte sind.

Ich habe zwar eine größere Arbeit unter den Händen, aber schlechte Kräfte und lasse Zeit und Weile verrinnen so gut oder schlecht sie wollen oder können.

Alles Gute zum neuen Jahre!

Herzlich

Ihr EBarlach

18. ‌1. ‌35.

Brief, 1 DBl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Vordruck III, 11,5 ‌× ‌13,0 cm; Privatbesitz; Barlach 1968/69; [1198]

1745 an August Hoff, Güstrow, 19. ‌Januar 1935

[Güstrow (Mecklbg.)]

Sehr geehrter Herr Doktor,

der Anlaß, aus dem ich wieder von Ihnen Etwas hören durfte, ist freilich ein beiläufiger – so sehr er es ist, so freue ich mich doch einige Zeilen von Ihnen zu empfangen, wie auch den Aufsatz vom Spt. 34 aus Ihren Händen zu erhalten.1

Dank für Ihre guten Wünsche! Ihnen selbst möge das neue Jahr reichlich von dem Besten austeilen, in dessen Besitz wir Alle hoffen, daß es ist.

Mit ergebensten Grüßen

Ihr EBarlach

19. ‌1. ‌1935.2

Brief, 1 DBl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Vordruck III, 11,5 ‌× ‌13,0 cm; LETTER Stiftung, Köln; Barlach 1968/69; [1199]

1Hoff veröffentlichte 1934 Ton in des Töpfers Hand (Meine Heimat 1934, 65-67), Kirchenbauten von Johann Kamps in Hamburg (Die christliche Kunst 1934, 217-220) und Heimatliche Volkskunst und Handwerk (Niederschlesische Heimatblätter 1934, 1). Welchen Beitrag EB von Hoff erhielt, konnte nicht ermittelt werden.

2Am linken Rand von Bl. 1v, quer zum Text: »19. ‌1. ‌1935«.

1746 an Georg Kolbe, Güstrow, 19. ‌Januar 1935

[Güstrow (Mecklbg.)]

19. ‌1. ‌1935.1

Lieber Kolbe,

eine seltsame Situation, die eines Jubilars wider Willen! Indessen sie hat mir Grüße alter Freunde gebracht, nicht vergessener, aber solcher, die Zeit und Umstände, um nicht direkt Zeitumstände zu sagen, aus den Augen verlieren ließen. Freilich nicht anders als eben aus den Augen, was schließlich nicht viel, aber doch den guten Teil eines Verlustes bedeutet – ich sitze sehr abseits und nage etwas bösartig geworden an den heilen Bissen, die mir vorgeworfen werden, Einer von Vielen freilich nur!

Herzlich Ihr

EBarlach

Brief, 1 DBl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Vordruck III, 11,5 ‌× ‌13,0 cm; Georg-Kolbe-Museum, Berlin, Nachlass Georg Kolbe, GK.15; Tiesenhausen 1987

1Am rechten oberen Rand von Bl. 2r, kopfüber: »19. ‌1. ‌1935«.

1747 an Erich Zabel, Güstrow, 19. ‌Januar 1935

Güstrow i. ‌M.

Heidberg

19. ‌1. ‌35

Sehr geehrter Herr Doktor,

ich muß Ihnen nach dem Bericht Böhmers über seine Aussprache mit Ihnen doch wohl unmißverständlicher als geschehen darlegen, worum es sich bei der Frage, ob die Teilnahme meines Sohnes an den bewußten Übungen sportlicher oder ähnlicher Art, Felddienst, Gaugesang und dergl. mit einigem Recht ärztlicherseits als unerwünscht zu gelten habe, eigentlich handelt.

Sie haben die Briefe des Direktors Hittenkofer gelesen, wonach er in gewisser Hinsicht unzufrieden mit dem Gang der Studien ist, wie ihn Klaus beliebt. Er weiß ja nicht, daß das bis jetzt Erreichte weit über alles Erhoffte hinausgeht – Klaus hat nicht eben liederlich, wo nicht ganz im Sinne der Schule, so doch ohne Unterbrechung gearbeitet. Ich habe damals, als sowohl Sie wie Herr Prof. Rosenberg1 seinen Fall als ziemlich bedenklich, jedenfalls einer längeren Behandlung bedürftig, ansahen, wohl wissend, was ich wagte, gesagt: »ich, Dein Vater, habe zwischen dem 20. u. 30. Jahre meines Lebens seelisch und körperlich weit prekärer dagestanden als Du. Ich habe nicht an Kuren und weitergehende Unterbrechungen meiner Berufsausbildung denken dürfen, auch nicht gedacht, ich habe mich durchgerungen und zwar mit Erfolg, aus eigenen Entschlüssen heraus,* dasselbe erwarte ich von Dir.«

Ich wußte genau, was ich bei veränderter Lage der Dinge auch jetzt wieder weiß: das es auf immer mit einer Berufswahl oder ernster Tätigkeit vorbei sein würde für ihn. Wenn er nun nach manchen Umwegen und Fehlschlägen wieder das Gefühl des Nichtmitkönnens, des Krankseins, des Versagens der Kräfte und Begabung hingerissen werden würde. Er war dann im Laufe der Jahre immer mal wieder »krank«, wollte das Studium als »zwecklos« aufgeben, raffte sich aber doch immer wieder auf und ist nun beinah so weit, daß er, wenn die Zulassung zum Examen mißlänge oder die in Aussicht stehende Sportlerei und Felddienst ihm, was totsicher geschehen wird, irgendwie eine dauernde Unterbrechung schenkte – ich sage: schenkte – wieder abschwenken und für immer von irgend einem neuen Beginn abgeschreckt würde. Ich weiß nicht ob ich sagen darf, daß er diesen Ausgang wünscht. Für mich besteht das nächste Ziel darin, ihn soweit zu bringen, daß er auf die Frage: was sind Sie? – nicht immer wieder sagen muß: nichts. Dieser geringe Grad: Ingenieur aus Strelitz, ist wenigstens Etwas, aber auch ein Riesenunterschied von dem ewigen und endgültigen Nichts.

Sie als Arzt werden sagen: gut, Herr Papa, aber was geht das Alles mich an? Falls Sie daher Alles bei Klaus in Ordnung finden, so habe ich nichts gesagt und kann keine Wünsche vorbringen, deren Erfüllung Ihrer Überzeugung widerstreitet. Was ich Ihnen vorgetragen habe, läßt sich nicht beweisen und wenn ich sage: ich weiß – so ist das natürlich für Sie völlig belanglos. Denke ich aber daran, daß der Herr Sohn von 28 Jahren schließlich doch so etwas wie einen spürbaren Zielwillen, auch gelinde Ehrgeiz mit Ach und Krach und schweren Katastrophen zwischen einzelnen Phasen gewonnen, so möchte ich doch sagen, daß dieses bißchen Gut, dieses Gütlein, dieser elende Besitz auch von Ihnen als gefährdet angesehen werden darf, da Sie wissen, wie gänzlich aussichtslos sich der Junge in dieser Hinsicht anließ. Auf der Odenwaldschule hat er viel zu viel gesportelt, gradezu mit blöder Übertreibung eines an sich löblichen Tuns, der »Kameradschaftsgeist« ist dort bis zur Karrikatur eingedrillt.2 Das Alles, dieser ganze geistlose Krempel ist für Klaus tausendfach erledigt. Die Folgen dieses teils schöngeistigen, teils wahrhaft sinnlosen Drills sitzen ihm noch in den Knochen. Sollte der Arzt, dem dieses glaubhaft zugängig gemacht, nicht vielleicht doch sagen: mit diesem und ähnlichem ist für alle Zeit aufzuhören? Andere Beurteiler können es nicht in Rechnung ziehen, denn es steht dem Jungen, der beinahe athletisch gebaut ist, ja nicht auf Gesicht und Rippen gebrannt, wer nicht tiefer schauen kann, muß halt nach der Oberfläche gehen, die als Fassade ja ganz ordentlich aussieht.

Ich fürchte, Sie zu lange aufzuhalten, aber ich befürchtete, Ihnen die Vorstellung von Zumutungen gemacht zu haben, die ich hoffentlich ausgetilgt.

Noch Eins: die Einbeziehung meines Sohnes zu gegebener Zeit ist, falls wie wahrscheinlich, Reichswehr in Frage kommt, nicht aufzuhalten oder zu umgehen, wie etwa möglicherweise der drohende Lagerdienst, über dessen Wert ich mir die oben geschilderte Meinung gebildet habe.

Ich bitte Sie, mich den Ihrigen empfehlen zu wollen und bin mit den besten Grüßen

Ihr sehr ergebener

EBarlach

* keine väterliche Lüge sondern strikte Wahrheit

Brief; Standort unbekannt (Maschinenabschrift in Materialsammlung Friedrich Droß); unveröffentlicht

1Nicht ermittelt.

2Vgl. hierzu ↘ ‌1002; ↘ ‌1003.

1748 an Pfarramt Bargteheide, Güstrow, 20. ‌Januar 1935

Güstrow i. Mecklbg.

Heidberg d. 20. ‌I. ‌35

Sehr geehrter Herr Pastor,

wie mir bekannt geworden, ist in der Nacht vom 23. auf den 24. ‌Dezember 34 der Grabstein meines Großvaters, des 1874 verstorbenen Pastors Gottlieb Ernst Barlach, beschädigt worden. In einer Notiz des »Oldesloer Landboten« vom 31. ‌12. ‌34 wurde bei dieser Gelegenheit auf ein Vorkommnis ähnlichen Charakters vor Jahren Bezug genommen.1

Ich wäre Ihnen, sehr geehrter Herr Pastor, für einen kurzen Bericht über diesen Vorfall, soweit Sie die Zusammenhänge überschauen, sehr dankbar, da ich beabsichtige, mit den 2 weiteren, heute noch lebenden Enkeln Pastor Barlachs, dem Rechtsanwalt Karl Barlach, Neumünster, und meinem Bruder Hans über unsere Haltung gegenüber einer so unverständlichen Tat zu beraten, wozu ich glaube einiger Hinweise zu bedürfen, die wenigstens notdürftig ein bißchen Licht | in die Gründe der Handlung leiten, um nicht von »Abgründen« zu sprechen.

Ich persönlich bin arg betroffen, da ich mich aus frühesten Jugendtagen ganz deutlich einiger wenn auch nur äußerlicher Umstände, die das Wesen meines Großvaters ins Gedächtnis einprägten, erinnere, vor Allem aber bin ich durch sehr lebendige Erzählungen meiner Mutter aus in Bargteheide verlebten Brauttagen2 mit so mancherlei Vorstellungen vom Ehrwürdigen der Gestalt dieses meines Ahnen so reichlich ausgestattet, daß es mir zur Unmöglichkeit wird, diese leidige Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen, somit mich berechtigt fühle, obige Bitte an Sie zu richten.

Im Voraus, wenn ich so frei sein darf, für Ihre Mühewaltung meinen verbindlichsten Dank aussprechend bin ich mit außerordentlicher Hochachtung

Ihr sehr ergebener

EBarlach

Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 28,9 ‌× ‌22,9 cm; Archiv des Kirchenkreises Hamburg-Ost; Barlach 1968/69; [1200]

1Im Artikel Grober Unfug wird berichtet, dass »[w]ie vor einigen Jahren, so ist jetzt wieder das ehrwürdige Grabkreuz des 1874 verstorbenen Seelsorgers der Gemeinde, Pastor Barlach, […] abgebrochen worden« (Oldesloer Landbote 1934, o. ‌S.).

2Verlobungs- oder Hochzeitstag; mehrtägige Feier.

1749 an Bruno Engel, Güstrow, 21. ‌Januar 1935

[Güstrow (Mecklbg.)]

21. ‌1. ‌351

Lieber Herr Engel,2

ich danke Ihnen herzlich, leider kann es nur mit wenig Worten geschehen, ich möchte sagen: bittern Worten. Ich spreche nicht von mir, denn nachdem ich sozusagen jahraus, jahrein furiose Briefe geschrieben, ist es mir leid geworden, mich in eigenen Angelegenheiten auszulassen – es führt zu nichts, ich muß etwas Anderes finden – ich spreche also von Ihnen, dem tausendfach Unrecht geschehen. Fern von mir sei es Ihnen einen flauen Trost zu geben versuchen zu wollen. Besser nichts weiter! Man weiß ja ohnedies was ist, es kann durch nichts gemildert werden. Ich komme gelegentlich nach Bützow wo die Fa Kröplin mir Holz besorgt, sehr, sehr selten, denn …

Ich grüße Sie u. Ihre Frau3 aufs Herzlichste. Empfehlen Sie mich Ihrem Bruder!

Ihr EBarlach4

Brief, 1 DBl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Vordruck III, 11,5 ‌× ‌13,0 cm; Privatbesitz; Barlach 1968/69; [1202]

1Am rechten oberen Rand von Bl. 2r, kopfüber: »21. ‌1. ‌35«.

2EB war mit den Bützower Brüdern Bruno und Willy Engel seit 1914 bekannt und beschreibt in seinem Güstrower Tagebuch wiederholt die Sorge beider während ihres Kriegseinsatzes. Vermutlich handelt es sich hier um Bruno Baruch Engel, mit dem EB in früheren Jahren einen intensiven brieflichen Kontakt gepflegt hatte (↘ ‌391-392*; ↘ ‌395*; ↘ ‌405, Anm. 1).

3Johanna Engel.

4Am rechten Rand, quer zum Text: »Bruder!/Ihr EBarlach«.

1750 an Hermann Fürchtegott Reemtsma, Güstrow, 21. ‌Januar 1935

Güstrow i. ‌M.

Heidberg

21. ‌1. ‌1935

Sehr geehrter Herr Reemtsma,

nach dem Gespräch dieses Abends über die Notwendigkeit, aus versicherungstechnischen Gründen den einzelnen Gestalten des Frieses eine Bezeichnung zu geben, mußte ich mich nach kurzem Nachdenken schnell überzeugen, daß es sich nicht darum handeln könne, zu tun, was ich zunächst wollte, nämlich die Gemüts- und Geistesverfassung besagter Figuren deutend eine darauf hinweisende Benennung zu wählen, also etwa: die Versunkene, die Entzückte, der Hoffende (nämlich auf mühseliger Wanderung durch erhebende Klänge Gebannte) usw. Dieses alles würde zu Irrtümern bei der Unterscheidung der einzelnen Stücke voneinander führen, auf die es ja wohl bei Fragen der Versicherung ankommt. Ich mußte also die Benennung nach unverkennbaren Merkmalen vornehmen und denke mit Folgendem das Richtige getroffen zu haben:

1) Der Mann mit Stock und Hut: Der Wanderer

2) Die junge Frau unter dem Kopftuch: Die Träumerin

3) Das auf Fußspitzen stehende Mädchen: Die Tänzerin

4) Der asketisch Gestaltete mit erhobenen Händen: Der Gläubige.

Nehmen Sie freundlichst mit diesen wenigen und flüchtigen Zeilen vorlieb, die ich sogleich abgehen lasse, da ich glaube, daß die Antwort eilt.

Mit den herzlichsten Grüßen

Ihr sehr ergebener

EBarlach

Brief; Standort unbekannt (Maschinenabschrift in Materialsammlung Friedrich Droß); Barlach 1968/69; [1201]

1751 an Hugo Sieker, Güstrow, 22. ‌Januar 1935

Güstrow i. ‌M.

Heidberg

22. ‌1. ‌35

Lieber Herr Sieker,

der Dank blieb schon zu lange aus, seien Sie darum nicht böse, ich könnte, ohne zu fabulieren, von manchen Dingen reden, die dick und dumm immer wieder dazwischen kamen. Ich bat Carl Albert Lange, Ihnen ein Einstweiliges zu bestellen und rechnete auf bessere Schreibruhe, aber ich war nie sehr groß im Rechnen. Ihr Blatt, warm aus der Rotationsmaschine,1 Ihr Zuspruch wie der des Herrn v. Etzdorf u. W. Schramm, die ich bestens zu grüßen bitte,2 nun ja fast zu viel für einen weißhaarigen Heiden vom Berge Nr. 65!

Böhmer hat ja immer recht, auch mit dem, was er Ihnen von dem Fries und der Schaffenslust sagte, aber er wußte nicht, daß der November, Dezember und fast der Januar Dunkelkammern wurden, in denen ich in Klausur saß und holzhackte ohne was Rechtes sehen zu können, da brummt der Kopf und der Heide schaut blöd in das Düstere. Auch sonst hat er nicht ganz recht, Frau Böhmer wünscht, daß ich Ihnen wegen des von ihr gemachten Porträts bestelle,3 daß es nicht mit ihrer Einwilligung oder gar Betreiben zur Reproduktion gegeben. Sie hat es Ihnen s. ‌Z. glaube ich abgeschlagen und würde es jedermann abschlagen. Ich befragte Böhmer, wie es dazu gekommen, aber die Antwort war eigentlich keine, genug, Frau Böhmer wünscht dringendst, daß Sie erfahren, wie ganz unverändert ihre Einstellung von damals sei, denn es könnte so aussehen, was ihr gar nicht lieb wäre, als ob sie Ihnen etwas vorenthielt, schließlich aber der Hamburger u. Berliner Illustrierten den Willen tut. Ich füge hinzu, daß natürlich Böhmer es gut aber nicht auf rechte Art gemeint. Daß er als Verfasser genannt wurde, na, da sind denn wohl so kleine Unbedenklichkeiten im Spiel, die man übersieht, was hier am ersten Marga Böhmer tut.

Ich freue mich noch, daß wir an jenem verworrenen Sonntagnachmittag und -abend wenigstens noch eine Buttel in Ruhe austrinken konnten, auch heute wäre der Wein schnell zur Hand, wenn dasselbe mit Ihnen der Fall wäre, man hätte nebenher als Konfekt manchen Spaß aufzutischen. Postfestum4 kommt erst das wahre Fest, wenn die unvermutet günstig gesonnene Gelegenheit sich einmischt und der Zufall seine Freude daran hat, der Gelegenheit zu helfen. Wie u. wann ich einmal wieder in die Großstädte Berlin oder Hamburg einbreche, wage ich im Augenblick nicht mal zu wünschen, bin arg reisescheu, habe guten Grund meinen Kräften zu mißtrauen – und die Heidberggewohnheiten tun das ihre, mich einzuschüchtern, sie gewinnen langsam Oberhand. Alt, alt – sagt man wohl, und sollte sagen: Faul, faul! Vielleicht.

Seien Sie herzlich gegrüßt und nochmals bedankt!

Mit Grüßen von Frau Böhmer

Ihr immer ergebener EBarlach

Brief; Standort unbekannt; Barlach 1962;5 [1203]

1Druckverfahren im Zeitungswesen, bei dem sich Druckform und Gegendruck zylindrisch und konstant gegenläufig zueinander bewegen, lediglich durch das zu bedruckende Papier getrennt.

2Sieker schickte EB mit weiteren Glückwünschen von den Redaktionskollegen Wolf Schramm und Frau von Etzdorff die Sonderseite aus dem Hamburger Anzeiger (Barlach 1962, 177; ↘ ‌1739, Anm. 8).

3Nicht ermittelt.

4(Lat.) hinterher, im Nachhinein.

5Der vorliegende Text folgt der Fassung der Erstveröffentlichung des Briefs in der 1962 von Paul Schurek und Hugo Sieker herausgegebenen Ausgabe Frühe und späte Briefe, die auch Friedrich Droß für seine Ausgabe zugrunde legte.

1752 an Karl Barlach, Güstrow, 23. ‌Januar 1935

Güstrow Heidberg

23. ‌I. ‌35

Lieber Vetter,

nimm den Dank als freudigen Wiederhall auf Deine Wünsche, möge das neue Jahr sein Bestes tun für Dich und die Deinen! – Ich schaue immer einmal wieder in Deinen Brief und finde sogar blauunterstrichene Sätze, auf die ich mir vorgenommen hatte, mit gleicher Ausgiebigkeit zu antworten. Nun ja, die alte freund-verwandtschaftliche Zuneigung ist und bleibt, aber mit dem eingehenderen Plaudern von Diesem u. Jenem, von Euch und uns, ist es nichts. Man möchte gerne und schiebt es von einem zum andern Tage, schließlich denkt man: besser Wenig als Nichts. Es giebt doch viel Trödel in der Welt, lieber Vetter, manchmal, wenn man morgens erwacht und an dies u. das vielerlei Andre denkt, wird mir schaurig unbehaglich zu Mute, erst wird mal ordentlich gehustet, denn die Erkältung oder Bronchitis oder sonst was dauert nun schon ein gutes halbes Jahr, dann wird aus dem Bett gesprungen, um seinen Kadaver in Frost u. Frische zu baden, meist noch früh, zu früh zum Arbeiten, dann wird ein bißchen mit leidlich ausgeruhtem Kopfe gelesen und sich der Gedanken an d. ‌u. ‌d. ‌A.1 entschlagen. | Sodann glückt es wohl, daß man abgekühlt bettwärts strebt und wieder einschläft – die Post so um 10 herum entscheidet, ob der Tag in Arbeitsruhe verbracht werden kann oder ob zur Sammlung ums Hetzpanier geblasen wird. Klaus ist u. bleibt ein Sorgenkind, Hans hat sich eine Kohlenoxydgas-Vergiftung geholt, war genötigt in ein Sanatorium zu gehen und sitzt jetzt in einem anderen. Ob das eine besser ist als das andere weiß ich nicht, das Zentralnervensystem hat was zurückbehalten – fraglich, ob es sich bequemen wird, es zurückzugeben. Ich habe Arbeit, aber: denke doch, was für dunkle Tage wir vom November an hatten – es wird und wird nicht heller, man sieht, daß das Sehen eine Qual werden kann. An Fortsetzung früher begonnener Arbeiten mit der Feder ist nicht zu denken. Soll man resignieren? Bewahre, aber weil mans nicht tut, bohrt es in Einem und frißt wie ein Wurm, höhlt aus und macht mürbe. Nun gut, so siehts etwa im Groben und Ganzen gesehen im winterlichen Heidberg aus. – Hans schreibt vom »kleinen gemütlichen Waldhaus«! Denkt an das Glück, Glühwein zu trinken und draußen das Eis des Sees bersten zu hören, just wie »donnemals, wie donnemals«,2 man weiß aber nicht wann u. wo. Ich habe ja nun ernste Sorge um ihn und will ihn nicht bespötteln. –

Und was sagst Du zu dem Zeitungsausschnitt? Ich habe an den Pastor geschrieben und um Näheres gebeten.3 – Alle guten Geister mögen sich als stille Schauer bei Euch einmieten! Grüße Käthe und Marlisi und bei erster Gelegenheit Tante Otti u. Tante Titi.

Herzlichst D. Vetter Ernst.

Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 28,0 ‌× ‌22,0 cm; Ernst Barlach Haus Hamburg; Barlach 1968/69; [1204]

1dies und das Andere.

2(Nd.) damals.

3↘ ‌1748.

1753 an Hans Barlach, Güstrow, 27. ‌Januar 1935

Güstrow Heidberg

27. ‌I. ‌35

Lieber Hans,

ich will den Sonntagabend nicht verstreichen lassen ohne Dir einen Gruß und desgleichen von Frau Böhmer zu senden. Wir denken und sprechen an Dich und von Deinem Ergehen und hoffen, daß Du in Loschwitz1 die so nötige Ruhe vollauf hast. Es ist nun wohl vor der Hand an nichts Anderes zu denken, als Alles auszuschließen, was Dich von dem Wege zur Genesung ablenkt.

Ich wollte schon gleich nach Empfang Deines Briefes aus Braunlage an Dich schreiben, und Dir für Deine freundlichen Worte über den nun glücklich überstandenen Geburtstag danken, es war keine Kleinigkeit. Im Ganzen lebe ich ja am liebsten inkognito, aber das ist nun einmal nicht mehr möglich und man muß versuchen, das Beste auch in der Tatsache zu sehen, daß man gewissermaßen nicht mehr | sein eigener Herr ist. Ich hatte somit einem unmäßigen Anspruch an mich zu genügen und der beabsichtigte Brief an Dich blieb immer wieder ungeschrieben. Auch dieser von heute ist nur kurz, ich denke, Du wirst nicht aufgelegt sein, einen ausführlicheren Bericht von dem Leben und Treiben im Heidberg zu studieren. Ich will Dich auch nicht drängen, sogleich zu antworten und bitte Dich, nur2 zu schreiben, wenn Du Lust hast und es Deine Kräfte nicht zu sehr beansprucht.

Klaus war zwei Tage hier und ist soeben in die dunkle, kalte Winternacht hinaus gestürmt, um noch den Zug rechtzeitig zu erreichen. Frau Böhmer und ich sagen Dir die besten Wünsche, denn Dein Wohlsein liegt uns sehr am Herzen.

Alles Gute hofft für Dich Dein

Bruder Ernst.

Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 28,0 ‌× ‌22,0 cm; Privatbesitz; Barlach 1968/69; [1205]

1Der frühere Kurort Loschwitz, in dem sich mehrere Sanatorien befanden, war seit 1921 Stadtteil von Dresden.

2Mögliche weitere Lesart: »mir« (Barlach 1968/69, II 533).

1754 an Adolph Jahn, Güstrow, 29. ‌Januar 1935

29. ‌1. ‌35.

Fa. Adolph Jahn & Co. Hamburg 1

Betrifft:

Ihr Schreiben v. 22. ‌12. ‌34.

4/T. in Angelegenheit Schaden Kunstausstellung Chicago

Sehr geehrter Herr Jahn!

Ich bestätige Ihnen dankend den Eingang Ihrer Überweisung von Mk. 950.- Neunhundertfünfzig R. ‌M. als Ausgleich für den Schaden an der Figur »Andacht«.1

Hiermit sind alle meine Ansprüche befriedigt.

Hochachtungsvoll!

Ernst Barlach

I. ‌A.

Brief; Standort unbekannt (Maschinenabschrift in Ernst Barlach Stiftung Güstrow); unveröffentlicht

1Zur Beschädigung der Skulptur Lesender Klosterschüler ↘ ‌1663.

1755 an Reinhard Piper, Güstrow, 30. ‌Januar 1935

Güstrow i. ‌M.

Heidberg 30. ‌I. ‌35

Lieber Herr Piper,

Sie sehen: 12 Kohleblätter, damit das Paket nicht so unförmig werde, habe ich von den kleineren Formaten gewählt.1

Ich bekam vor ?? Tagen M 150 von Ihnen, eine Regelung und Abschluß der bewußten Angelegenheit.2 Besten Dank!

Hier sind Massengrippe und Erkältungsübel aller Art die Regel, auch im Heidberg, daher der unfrisch-unfröhliche Ton des Briefes, der den Vorteil hat, dem Briefempfänger die Mühsal des Lesens abzukürzen, da man so keine langen Briefe schreibt.

Sonstens: ich arbeite, ein bißchen mit Ach u. Krach, grade so viel pro Tag, daß es spürbar.

Herzliche Grüße auch von Frau Böhmer von Ihrem

EBarlach

Brief, 1 Bl. mit 1 beschriebenen Seite, schwarze Tinte, 28,0 ‌× ‌22,0 cm; Ernst Barlach Gesellschaft Wedel als Depositum der Kulturstiftung Schleswig-Holstein; Barlach 1968/69; [1206]

1Vermutlich Blätter für den Band Zeichnungen (↘ ‌1711).

2Zum von EB an Piper gewährten Darlehen (↘ ‌1339; ↘ ‌1357, Anm. 1).

1756 an Konrad von Kardorff, Güstrow, Januar 1935

[Güstrow (Mecklbg.)]

Lieber Kardorff,

vielen Dank, Grüße und Wünsche zum neuen Jahre! Auch Beiläufigkeiten wie die unverschuldete, die mir Ihren Gruß gebracht, haben ihr Gutes – man hört einmal wieder von Freunden und Bekannten aus alter Zeit. Freilich ist man selbst der altgewordene und die »Zeiten« von damals – ich finde sie jung und frisch wie ehemals, da man sich in ihnen mit guter Laune umtrieb und nicht daran dachte mit ihren Jahren zu rechnen wie jetzt. Ich könnte Ihnen immerhin manchen guten Spaß auftischen, solche aus letzter u. allerletzter Zeit. Ich lasse es mir nicht nehmen, Wütigkeiten spaßige Seiten abzugewinnen!

Herzlich Ihr

EBarlach

Brief, 1 DBl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Vordruck III, 11,5 ‌× ‌13,0 cm; Ernst Barlach Stiftung Güstrow; unveröffentlicht

1757 an Hans Barlach, Güstrow, 9. ‌Februar 1935

»Ernst Barlach: Lesende Mönche«

»Ernst Barlach: Ehrenmal in Kiel«

Güstrow Heidberg

9. ‌II. ‌35

Lieber Hans,

ich freue mich sehr, daß ein, wenn auch nicht gewaltiger Fortschritt zu Deiner Gesundung zu berichten war, es geht wohl langsam, aber hoffentlich stetig voran. Hier ist Alles mit Grippe u. dergleichen geplagt, der Heidberg nicht minder wie die Außenwelt. Bald hats der Eine, bald der Andere, und dann wieder der Eine. | Ich habe seit November immer in halbem Dunkel gearbeitet, es strengt nicht wenig an und man darf froh sein, daß die Tage wenigstens länger werden. Mein Kräfte-Kapital ist eine gewisse Zähigkeit, was ja sein Gutes hat. Hoffentlich hast Du in Deiner Krankeneinsiedelei nicht mit Schreibarbeit wie Briefen u. ‌A. mehr zu kämpfen, sowas kann in Deinem Fall sehr lästig sein.

Wir grüßen Dich bestens und unsere guten Wünsche stehen zwischen den Zeilen.

Dein Bruder Ernst.1

Postkarte, 2 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, Bildmotive »Ernst Barlach: Lesende Mönche« und »Ernst Barlach: Ehrenmal in Kiel«, 10,5 ‌× ‌15,0 cm; Privatbesitz; unveröffentlicht

1Am rechten Rand von Bl. 2r, quer zum Text: »Dein Bruder Ernst«.

1758 an Georg Hengstenberg, Güstrow, 10. ‌Februar 1935

Güstrow i. ‌M.

Heidberg

10. ‌II. ‌35

Lieber Herr Hengstenberg,

es ist schon so, daß ich, obgleich nicht bettlägerig, recht reduziert bin, seien Sie daher über die Kürze meines Briefes, will sagen: die summarische Fassung, nicht böse. Ihren Neujahrswunsch erwidere ich aufs beste, den Ihrigen habe ich freilich nicht in die Hände bekommen, aber der Dank für Ihr freundliches Gedenken meiner ist aufrichtig und herzlich!

Ausstellen? Nein, ich bin nun sehr ausstellungsmüde, man hat von alledem nur unendlichen Verdruß, Umstände jeder Art und Kosten. Eine Ausstellung die man in Berlin zu meinem Geburtstag plante, habe ich abgelehnt, wenn hier u. da einige oder einzelne Arbeiten von mir gezeigt werden, stammen sie aus Privatbesitz oder sind hingegeben auf Grund früherer Abmachungen. Ich habe wenig machen können in den letzten Jahren und dieses Wenige müßte durch einen großen Apparat von seinen Besitzern zusammengebettelt werden, fraglich, ob mit irgend welchem Erfolg – die Leute sind schon immer u. immer wieder in Anspruch genommen. | Also ausstellungsmüde, und mit Grund. Womit man mich in letzten Jahren malträtiert hat, geht auf keine Kuhhaut, wollte mans aufzählen. Ich habe mich einmal über Machenschaften aus dem Hinterhalt der Anonymität (man kann auch sagen: der verantwortungslosesten Feigheit) beklagt, kam aber schön an.1 Obwohl ich dergleichen nicht gut heißen kann, bin ich doch zur Ohnmacht ihm gegenüber verdammt. Schutz erbitten gegen Hinterhältigkeiten? Prost Mahlzeit! Ich bin eben schlecht gelitten, aber ich bleibe im Lande2 – das Vergnügen, mich weichen zu sehen, mache ich den Leuten nicht. Ich stelle also nicht aus – aber nun hören Sie bitte mal freundlich zu: warum in die Ferne schweifen, da das Gute so nah?!3 Stellen Sie doch mal Muggly aus und zwar so wie ers verdient.4 Ich kenne ihn und seine Arbeiten (beide nicht von Hörensagen). Ein richtiger Maler, endlich ein Maler, ich habe ihn genauer und aus vielen Proben besonders als Aquarellmaler als das erkannt, was er ist. Hier wäre ein Hebel anzusetzen, hier ein Verdienst zu gewinnen, indem man ihn mal gehörig und ausgiebig zu Worte kommen läßt. Zu stolz, um sich lieb Kind zu machen, wird ihm ja wohl das Schicksal des Versauerns bereitet. Also eine ernstlich gemeinte Anregung! Ein Hinweis, der nicht nötig sein sollte. Erwerben Sie sich das Verdienst, lieber Herr Hengstenberg!

Herzliche Grüße von Ihrem

EBarlach

Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 28,0 ‌× ‌21,5 cm; Ernst Barlach Stiftung Güstrow; Barlach 1968/69; [1207]

1Vermutlich eine Anspielung auf EBs Schreiben an den Reichsstatthalter Friedrich Hildebrandt (↘ ‌1620).

2Anspielung auf Ps 37,3 (↘ ‌1738, Anm. 8).

3Anspielung auf Johann Wolfgang von Goethes Gedicht Erinnerung (1827): »Willst du immer weiter schweifen? / Sieh, das Gute liegt so nah. / Lerne nur das Glück ergreifen, / Denn das Glück ist immer da« (Goethe 1987, 286).

4In einem Brief an Karl Muggly vom 29. ‌12. ‌1934 (↘ ‌1728) kündigte EB an, sich bei Problemen mit Hengstenberg für Muggly einzusetzen.

1759 an Alexander Langsdorff, Güstrow, 11. ‌Februar 1935

Güstrow i. ‌M.

Heidberg

11. ‌2. ‌35

Sehr geehrter Herr Professor,

Ihr Besuch im vorigen Jahr1 ist unvergessen – fraglich, was mehr dazu beiträgt, die Annehmlichkeit der Unterhaltung mit Ihnen an sich, oder die ermutigenden Worte, die Sie mir anschließend beim Abschied sagten und die mir Anlaß geben, heute an Sie zu schreiben in einer Situation, auf die Ihre Worte als auf eine vielleicht einmal eintretende Möglichkeit hinwiesen.

Ich habe im März vorigen Jahres an den Herrn Reichsstatthalter für Lübeck und beide Mecklenburg eine Art Eingabe gemacht,2 die als Hauptsache eine Bitte um Schutz gegen gewisse Methoden darstellte, mit denen die eine oder andere meiner Angelegenheiten hier im Lande mit schädigender Wirkung für mich abgetan wurde, abgetan ohne Angabe von Gründen und ohne Benachrichtigung. Leider eine Bitte ohne Gewährung!

Inzwischen liefen die Dinge in ähnlicher Weise weiter – ich muß Sie aber bitten, mir heute den Nachweis genauer Daten zu erlassen, die selbstverständlich zur Hand sind. Aus der Art der so mich treffenden Fälle ist für Jeden, der folgert, verständlich, warum ich nicht mehr sage. Es läuft auf eine Maßregelung derjenigen hinaus, die für mich ein Wort wagten. Nichts weiter von mir in dieser Frage, aber wenn es soweit kommt, daß Verfasser von Aufsätzen, der Verlag von Blättern wegen »bewußter Widersetzlichkeit«3 gegen die angeblich verpflichtende, zur Zeit als einzig gültig ordinierte Betrachtung meiner im Sinne einer totalen Verwerflichkeit gerüffelt werden, so darf man schon von Maßregelung sprechen.

Auch dieses mag als nur vorausgeschickt gelten. Da ich mich gänzlich unpolitisch verhalte, da politische Tätigkeit für mich zudem der Ausübung eines Schlimmsten in dieser Zeit des Dilettantismus gleichkäme, so darf meine Frage an den Herrn Reichsstatthalter, welche Rechte ich als Künstler noch in diesem Lande habe, wohl nicht als vorlaut oder von Überempfindlichkeit diktiert angesehen werden. Indessen dieses mich Betreffende möge nur gestreift sein.

Nun aber stoße ich auf die unwidersprochen gebliebene Feststellung, daß Herr Dr. Carl Georg Heise auf Grund des § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums … »lediglich, d. ‌h. (ohne politische Gründe) wegen seines lebhaften Eintretens für umstrittene neue deutsche Kunst«4 – Nolde, Barlach und andere – in den Ruhestand versetzt worden ist5 – und hier fängt das Ganze an, im Ernst für mich nicht mehr mit Billigkeit und dem in jedem Fall gültigen Begriff von Recht übereinzustimmen. Denn abgesehen von der für Heise verhängnisvollen Verdrängung aus Amt und Beruf, werde ich nunmehr als ein Mann bloßgestellt, mit dem man die Berührung zu meiden habe, der sozusagen pestverdächtig ist. Für das Erstere, Heise Betreffende, der mitmaßgebende Anlaß zu sein, ist eine Belastung, mit der ich mich nicht abfinden kann, sie lädt mir die Wahrnehmung der Willkür des Urteils in Dingen auf, wo es keine Unfehlbarkeit gibt, wo es niemals eine endgültige und absolute Entscheidung geben kann.

Das Zweite spricht mir schlechthin die Zugehörigkeit zu Zeit und Volksgemeinschaft ab und löst die Vorstellung in mir aus, daß ich hier nicht hingehöre und daß ich gut täte, mich anderswo nach anderen und besseren Möglichkeiten voraussetzungs- und zwangsfreien Schaffens umzusehen.

Sie mögen, sehr geehrter Herr Professor,