9,99 €
Vier Schwestern durch dick und dünn
Alle in der Martini-Familie freuen sich auf das neue Baby und umsorgen Mama Iris rührend. Wenn nur nicht jede der Schwestern so mit ihren eigenen Problemen beschäftigt wäre ... Malea hat mit ihrem Hundedienst in der Lauschigen Eiche richtig viel zu tun und kommt gar nicht mehr zum Spionieren, Tessa bekommt ein Angebot, das sie einfach nicht ausschlagen kann, Kenny muss eine schwere Aufgabe lösen und Livi bringt ein Brief in echte Schwierigkeiten. Doch trotz aller Irrungen und Wirrungen - die Vier halten zusammen und am Ende heißt es: Die Chaosschwestern leben hoch!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 277
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
1. Auflage 2018© 2018 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagbild und Innenillustrationen: Franziska Harvey
Umschlaggestaltung: basic-book-design, Karl Müller-Bussdorf
cl · Herstellung: UK
Satz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-22492-9V002www.die-chaosschwestern.dewww.cbj-verlag.de
… Weltbürgerin (das zeigt doch wohl schon der hawaiianische Name!).
… Tiefseeforscherin (später).
… eine knallharte, gerissene, mit allen Wassern der Weltmeere gewaschene Spionin (so etwa wie James Bond, nur weiblich natürlich).
… keine Welle hoch genug. Als echte Surferin schreckt sie auch auf dem Land vor kaum einer Herausforderung zurück.
… Sternenguckerin (abends durchs Dachfenster).
… Ponybesitzerin (im Traum).
… große Schwester (eines Tages, wenn sie Mama endlich überredet hat, noch ein weiteres Kind zu bekommen. So lange ist sie leider nur »eine« Schwester. Aber ist doch völlig egal, ob die anderen älter oder jünger sind. »Klein« ist sie jedenfalls nicht.).
… gut drauf (»Lasst mich bloß in Ruhe!«).
… auf jeden Fall groß genug, um jederzeit mitzumachen, mitzureden und mit aufzubleiben.
… irgendwie fehl am Platz in dieser Familie (nach Aussage von ihr selber) und kann den Gedanken nicht ganz aufgeben, als Baby im Krankenhaus vertauscht worden zu sein, nur leider sprechen alle familiären Fakten gegen diese Hoffnung versprechende Theorie.
… langweilig (nach Aussage von Malea).
… gaaanz toll (nach Aussage von Kenny, weil Livi oft mit ihr malt, bastelt oder ihr vorliest).
… eben eine von unzählig vielen Schwestern (nach Aussage von Tessa).
… schön (das ist nun mal so, dafür kann Tessa ja nichts).
… interessiert an fast allem (besonders am anderen Geschlecht, schließlich muss sie sich aufs Leben vorbereiten, und zu Hause hat sie nur wenig Anregung in der Beziehung – zumindest, was das andere Geschlecht angeht).
… wirklich nicht dumm. (Wenn die Lehrer das endlich mal einsehen würden!).
… jeden Tag schwer beschäftigt (da gibt es ständig neue Telefonnummern zu sortieren, Make-up-Produkte zu vergleichen und Mails an Dodo, Tessas beste Freundin, zu schicken).
Ich habe meine Familie sehr, sehr lieb. Also bitte keine Missverständnisse. Dass sie alle mehr oder weniger einen an der Waffel haben, ist ja nicht ihre Schuld. Meine allerdings auch nicht! Wenn ich Gregory nicht hätte, wäre ich wahrscheinlich ebenfalls schon mittelschwer durchgedreht. Gregory hält mich aufrecht. Gregory ist der Sohn unserer Nachbarn und … mein Freund. Mein Freund, mein Freund, mein Freund! Manchmal muss ich es zehnmal leise hintereinander nur für mich sagen, damit ich es auch glaube. Dass meine Knutschschwester Tessa einen Freund hat, ist so selbstverständlich wie die Gänseblümchenschnipsel in Iris’ Salaten. Ohne einen Jungen an der Seite kann ich mir Tessa gar nicht vorstellen. Trotzdem ist sie ihrem Javier schon seit einem Jahr treu. Javi ist ein toller Typ. Und meine Pinsel-Puder-Pastenschwester ist auch nicht übel – nur eben, wie soll ich sagen? – für meinen Geschmack ziemlich pinselig, puderig und pastig. Tessa und ich haben ungefähr so viel gemeinsam wie ein Eisbär am Nordpol mit einem Pinguin am Südpol. Nämlich das Eis unter den Füßen, also unsere Familie – mehr nicht. Mein Leben lang habe ich mich gefragt, wie das seinkann. Wie können so unterschiedliche Menschen zu ein und derselben Familie gehören? Und irgendwie gibt es nur eine Erklärung: Ich gehöre überhaupt nicht zu dieser Familie! Vermutlich bin ich als Baby im Krankenhaus vertauscht worden. Denn viel besser würde ich zu einer Familie passen, in der die Mutter verantwortungsvoll vegetarisch kocht, statt uns regelmäßig mit Krokodilfleisch oder Rosenblättern zu vergiften, und außerdem lieb und sanft lächelt, statt ständig am Rad zu drehen, weil sie die Abgabetermine für ihre blöden Kitschromane nicht hinkriegt. Und bestimmt hätte ich dann einen Vater, der Biologe oder Umweltwissenschaftler oder Öko-Landwirt ist und seine Kraft in das Wohlergehen unserer Welt steckt, statt einen, der im Keller wie ein Wahnsinniger auf seinem Schlagzeug trommelt und behauptet, das sei sein Beruf. (An dieser Stelle kann ich mal anfügen, dass auch Ohropax seine Grenzen hat und leider kein Allheilmittel gegen verrückte Familien ist). Und ich hätte auf keinen Fall drei durchgeknallte Schwestern, sondern vielleicht nur einen völlig unnervigen, kleinen Bruder, der den ganzen Tag still und leise bunte Bilder am Küchentisch malt und mich bewundert und vor allem niemals …
Livi?«
Hrrrgh! Man hat in diesem Haus keine ruhige Minute.
Ob Kenny denkt, dass ich nicht da bin, wenn ich ganz still bleibe?
»Liviiiii!! Ich weiß, dass du da drin bist. Ich kann dich durchs Schlüsselloch sehen!«
Och, neeee!
Meine knuddelige, kleinste Quietschschwester Kenny ist wie ein Flummiball, der hierhin hüpft und dahin knallt und ständig kräht und mit ihrem Leben gerne genau dorthin plumpst, wo man es gerade nicht ganz so gut gebrauchen kann. Dabei wollte ich so gern das Referat über die Bedrohung der Eisbär-Population durch die steigenden Temperaturen und das Schmelzen der Pole zu Ende schreiben!
Peng! Da steht sie auch schon im Zimmer, meine kleine Ping-Pong-Schwester. Vermutlich gucke ich nicht allzu begeistert. Denn für einen kleinen Moment fällt Kenny das süße Grinsen aus dem Gesicht.
Mit schief gelegtem Kopf zieht sie eine Grimasse. »Wieso sitzt du schon wieder am Schreibtisch?«
»Weil ich gerade an einem Referat schreibe über Eisb…«
»Oh ja, EIS! Das wäre vollknalltoll! Haben wir noch Eis im Kühli?«, fällt mir Kenny ins Wort und stöhnt dann lauter als Tessa, wenn unser Huhn Aurora ihr mal wieder eine Laufmasche in die Seidenstrümpfe gepickt hat. »Mir ist sooooo heiß!«
Ich lächele unverbindlich (wie gesagt, ich hab Kenny echt lieb), doch schiele dabei immer noch mit einem Auge auf meinen Laptop. (Huch, hab ich da oben etwa statt Eisbär EisWAFFEL in mein Referat getippt? Ich hab ja wohl auch schon einen an der Waffel – das muss ich sofort korrigieren!)
»Kannst du nicht was machen, Liviiii?«
»Äh…?« Was soll ich denn machen? Bin ich die Wettergöttin?
»Mir ist soooo, so heiß!«
»Ja, ähm, Süße, das kann ich leider auch nicht ändern. Ich muss noch das hier über die Eisbären zu Ende schreiben.«
»Du schreibst was über eisige Eisbären?« Kenny hat ihre Augen kugelrund aufgerissen. »Jetzt? Bei fünfzig Grad im Schatten? Wird dir dann kühler?«
Ich muss grinsen. »Wir haben keine fünfzig Grad, sondern nur dreiunddreißig und außerdem …«
»Remi hat gesagt, ich soll dich fragen, ob du mit mir ins Schwimmbad gehst«, platzt Kenny wieder dazwischen.
Ah, daher weht der Wind! Da wollte Rema wohl zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen! Sie findet nämlich immer, ich sitze viel zu viel vor meinem Computer, um zu arbeiten. Und außerdem hat sie selbst wohl mehr Lust, heute Nachmittag mit Walter Walbohm auf der Terrasse zu sitzen und an ihrem Eiskaffee zu nippen.
Unsere Rema, unsere REnate-oMA, ist die Einzige, die ich in der Familie, in die ich doch eigentlich gehören sollte (also in der mit dem netten kleinen Mal-Bruder und meinen fabelhaften Umwelt-Eltern), grässlich vermissen würde. So eine supertolle Oma wie unsere Rema gibt’s garantiert kein zweites Mal auf der Welt.
»Wollte nicht Rema mit dir schwimmen gehen?«, frage ich zurück.
Kenny nickt traurig. »Mhmmm. Aber jetzt sagt sie, ihr ist schwummerig.« Sie guckt zu mir hoch. »Was ist schwummerig?«
»Oh«, mache ich und bin gleich ein wenig besorgt. »Schwummerig ist ein altmodisches Wort. Es bedeutet so viel wie wackelig oder schwindelig. Ältere Leute vertragen die Hitze oft nicht so gut.«
Meine kleine Schwester nickt verständig. »Ich vertrage die auch nicht gut. Deswegen muss ich unbedingt ins Schwimmbad. SOFORT!«
Jetzt seufze ich. »Was ist denn mit Iris oder Cornelius?«
Ich meine, wofür hat man schließlich Eltern? Immerhin ist Wochenende, da machen normale Eltern ja wohl was mit ihren Kindern. Oder?
»Vor Mamas Schreibzimmer hängt wieder dieses doofe Schild »Eintreten nur bei Feueralarm, Einsturzgefahr oder echten Kacka-strowen!«, mault Kenny. »Was denkt Mama eigentlich, was ’ne echte Kacka-strowe ist?«
Ich überhöre das.
»Und Cornelius?« Ich gebe die Hoffnung nicht auf.
Kennys Gesicht verdüstert sich noch mehr. »Papa trommelt und trommelt und lässt mich nicht mal mittrommeln.«
Dabei wirbelt Kenny inzwischen mindestens so gut wie Cornelius über unser Schlagzeug im Übungsraum im Keller. (Und genauso laut.)
Ich seufze noch mal. Und versuche dann, pädagogisch bewundernswert, meine Eltern in Schutz zu nehmen. (Wie ich das hasse! Wieso bin immer ich die Dumme, die nett ist, und versucht, die Interessen von allen auszugleichen?)
Ich hole tief Luft. (Es ist wirklich schweineheiß.) »Ach, Kennylein, ich schätze, Iris muss nächste Woche ihren neuen Roman abgeben. Du weißt schon, Fiebernde Liebe im Strandflieder, sie redet doch seit Wochen von nichts anderem. Da muss sie wohl nonstop tippen. Und Cornelius will ja unbedingt diesen Song für Tessa schreiben.«
Meine zwei Jahre ältere Stöckelschuh-und-Duft-dazu-Schwester hat nämlich nicht nur Schmink- und Flirt-Talente, sondern tatsächlich auch eine grandiose Stimme. Das findet unser Musiker-Vater natürlich großartig. Und hat sich in den Kopf gesetzt, Tessa auf allen Ebenen darin zu unterstützen, im Musikbusiness Fuß zu fassen.
Dass Tessa seit ihrer Entdeckung als Sängerin bei unserer Schulband Straight out of the Sky, kurz SOS genannt, mitmacht, hält Cornelius allerdings für Zeitverschwendung. Wo seine begabte Tochter doch viel besser bei seiner eigenen Band Rainbow hätte singen können.
Haha, das ist so typisch Cornelius! Als ob Tessa Lust hätte, in einer Alte-Hippiemänner-Band mitzusingen! Die Jungs von SOS sind Lichtjahre cooler.
»Doof!«, raunzt Kenny. »Total doof ist das!«
»Ja, Süße, das kann ich verstehen.« Ich lächle lieb und mitfühlend.
Schließlich kann Kenny nichts dafür, dass sie klein ist und in diesem Augenblick ein bisschen nervt, weil ich gerade alle Punkte zum Eisbärthema so wunderbar geordnet in meinem Kopf habe und sie nur noch schnell in den Laptop bringen müsste. Danach kann ich dann nämlich rübergehen zu Gregory und mit ihm …
»Und DU bist auch doof!« Kenny hat sich mit bitterbösem Gesicht vor mir aufgebaut.
»ICH?« Also wirklich! Dankbarkeit für Nettigkeit und Mitgefühl kann man in dieser Familie anscheinend nicht erwarten. »Wieso denn ICH?«
Aber wenn Kenny jetzt denkt, dass sie mich mit ihren Kulleraugen und ihrem »Du bist doof!« dazu bringen kann, meinen schönen Tagesplan komplett über den Haufen zu schmeißen und stattdessen mit ihr schwimmen zu gehen, dann kennt sie mich schlecht!
Oh, no – nicht mit mir!
Ich habe mal irgendwo gelesen, dass es in jeder Familie (so wie auch in jeder Schulklasse übrigens) Rollenverteilungen gibt. Also einer hat die Rolle des Clowns (Kenny – manchmal), einer hat die Rolle des lieben Schussels (Cornelius), eine andere die der Geldverdienerin (Iris – nur schade, dass sie dabei noch Zeit zum Kochen hat) und so weiter. Ich wäre spitze darin, Demos zu organisieren oder Zeitungsartikel zu Umweltthemen zu schreiben. Nur leider lässt mir meine Familie wenig Zeit dazu. Ich scheine hier beliebter zu sein mit meinem Talent, angebrannte Milchreistöpfe zu retten. Das meine ich natürlich nur bildlich. Eigentlich muss ich alles retten, was brennt. Obwohl ich, seit ich denken kann, tatsächlich schon unzählige Töpfe in der Küche vorm Durchschmoren gerettet habe.
Ich fühle mich allmählich selbst wie ein angebrannter Milchreistopf. Noch zehn Minuten länger in der Sonne und mein Kopf implodiert. Oder explodiert. Wahrscheinlich beides.
So wie ein Vulkan, wenn sich die Lava entlädt. Ja, es fühlt sich exakt so an, als wäre mein Gehirn nur noch kochendheiße, blubberweiche Lavamasse, die gleich …
Jemand tippt mir auf die Schulter. »Hey, LIVI!«
Ich fahre herum.
Mein Hirn ist nicht so schnell. Es ist noch mit dem letzten gedachten Satz beschäftigt: … Lavamasse, die gleich in einer Riesenfontäne herausschießen wird und direkt auf …
»KATINKA!« (Was macht DIE denn hier?) »W-w-was – äh – machst du denn hier?«
Katinka lacht. »Wonach sieht’s denn aus? Ich geh schwimmen. So wie dreihundert andere Leute auch. Und du? Gibt’s hier irgendwelche Seepferdchen zu retten?«
Hahaha. Soooo komisch.
Mein lavablubberiges Gehirn sagt mir, dass ich trotzdem lächeln muss. Auch wenn ich ihren Witz total NICHT witzig finde. Was ist komisch daran, dass ich mich dafür einsetze, wenn Tiere gerettet werden müssen?
Aber nicht zu lächeln, wäre natürlich voll ungerecht. Schließlich kann Katinka nichts dafür, dass ihre knallschwarzen Haare immer so glänzen, und ihre Zähne so weiß sind, und sie überhaupt so klasse aussieht, wie man wirklich nicht aussehen muss, wenn man in Gregorys und meiner Umwelt-AG mitmacht. Und dass ich mal dachte, dass sie und Gregory was zusammen haben könnten, also das ist echt voll und ganz vergeben und vergessen.
»Nett!«, lächele ich.
»Was ist nett?« Katinka guckt mich an, wie man arme Irre anguckt. (Anscheinend habe ich das Lächeln doch nicht so gut im Griff.) »Dass ich im Schwimmbad bin?«
»Äh-ähm, ja, dass du hier auch schwimmst. Ich meine, wo wir hier auch schwimmen und …« Echt, bei siebenunddreißig Grad im Schatten verschwimmen offenbar auch die letzten Gehirnzellen in meinem Schädel!
»Wo ist denn Gregory?«, fragt Katinka und fängt schon an, im Riesenpool vor uns die Leute abzuscannen.
Okay, damit hat sie leider den falschen Knopf gedrückt. Hmpf. Ich muss jetzt langsam mal meine Lavamasse in den Griff kriegen. Katinka ist voll nett. Katinka ist voll nett! Katinka ist …
»HEY!« Plötzlich winkt sie wild zum Becken hin. »EY!!! Warte, ich komme!«
Ich glaub’s nicht! Jetzt hat sie doch tatsächlich Gregory zwischen den gefühlt zweitausend Leuten entdeckt und hechtet mit einem Satz direkt ins Wasser! Kopfsprung! Nicht die peinliche Bauchklatscher-Nummer. Richtig elegant.
Katinka ist nett, Katinka ist nett!
»Du siehst die ganze Zeit voll grieselig aus, Livi!« Eine tropfende Kenny zupft von hinten an meinem Bikinihöschen. »Warum eigentlich? Findest du es nicht schön im Schwimmbad?«
Ich drehe mich zu ihr um und schiebe meine Sonnenbrille vors Gesicht. »Doch. Klar. Nur ein bisschen heiß.«
Kenny giggelt. »Ja, ist das toll oder ist das toll? Wenn es nicht so volltoll knackheiß wäre, würde es überhaupt nicht so viel Spaß machen, ins Wasser zu platschen.«
Und schon tut sie genau das noch mal. PLATSCH!
Zugegeben, die Spritzer sind sehr angenehm auf der Haut. Trotzdem muss ich jetzt raus aus der Sonne. Und da Kenny heil aus dem tiefen Becken aufgetaucht ist und ich nicht mehr aufpassen muss, dass sie nicht abblubbert, darf ich endlich zurück in den Schatten.
Ach nee, jetzt ist sie ja wieder reingehopst.
Egal, ich kann nicht mehr.
»KENNYYY?« Ich lege meine Hände wie einen Trichter vor der Mund, damit sie mich zwischen all den Leuten hören kann.
Kenny dreht ihren Kopf tatsächlich in meine Richtung.
»Da hinten ist Gregory!«, brülle ich zu ihr rüber. »Wenn was ist! JA?«
Ich mache heftig gestikulierende Bewegungen zum anderen, tieferen Ende des Pools hin, wo Gregory alleine vor sich hinkrault.
Äh, nicht mehr alleine vor sich hin krault.
Katinka ist nett, Katinka ist nett! Und ich muss in den Schatten.
Ha – für Leute wie Katinka ist es ja kein Problem, stundenlang in der Sonne zu hängen! Dunkle Haare, braune Sommerhaut. Ich wette, die kriegt nie einen Sonnenbrand. Ich dagegen! Rote Haare, Lava-Hirn, schneeweißer Körper … (Der nicht unbedingt weniger weiß aussieht mit der drei Zentimeter dicken Sonnencremeschicht, die ich auf mir verteilt habe. Sicher ist sicher, ich möchte morgen nicht als Pellkartoffel in die Schule gehen.)
Irgendwie hab ich nicht die allerbeste Laune, als ich mich auf unsere Decken unter einer alten Eiche fallen lasse. Muss an der Hitze liegen.
Ich lege mir ein nasses Handtuch quer übers Gesicht und schließe die Augen. Ich hätte jetzt auch mein Referat fertig geschrieben haben und danach mit Gregory unten am Flussufer die Beine ins Wasser baumeln lassen können. Dort kennen wir eine Stelle, wo fast nie jemand ist. Ungestört und seeelenruhig hätten wir ein bisschen schweigen und ein bisschen quatschen können.
Durch mein tiefes Seufzen bläht sich das Handtuch auf meinem Gesicht leicht auf und klatscht dann wieder auf meine Haut. Ich blinzele ein bisschen und schiebe das Handtuch höher, sodass es nur meine Haare kühlt.
Noch eine Woche Schule, dann haben wir sechs Wochen Ferien. Sechs Wochen! Was kann man da alles machen! Na gut, zwei Wochen muss ich opfern, um mit meiner verrückten Familie in den Urlaub zu fahren.
Das ist auch so ein Ding. Seit dem Winter reden wir ständig über den Sommerurlaub. Aber haben Iris und Cornelius bis jetzt irgendetwas gebucht? Nein. Und warum nicht? Weil jeder woanders hinwill.
Iris möchte irgendwohin, wo sie bekocht wird und keine anstrengenden Sachen machen muss. Was, von ihrem Standpunkt aus betrachtet, verständlich ist. Iris ist schwanger. Im Winter werden wir ein Baby in der Familie haben. Ein Baby!
Hammer irgendwie! Ich meine, wir sind ja alle schon weit voran auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Bis auf Kenny natürlich. Und nun noch ein fünftes Kind! Aber ich freue mich wie wild. Genauso wie die anderen. Tessa forstet schon sämtliche Internetseiten nach hipper Babymode durch. Tessa eben!
»ICH will den Namen für meine kleine Schwester aussuchen!«, krähte Kenny gestern Abend beim Essen.
»Und wenn es ein Junge ist?«, grinste Iris.
»Du kannst auch Jungen?«, alberte Cornelius sofort rum und warf Iris gleich danach eine Kusshand zu. (Es ist total süß, zu sehen, wie verliebt die beiden wieder sind.)
»ICH könnte!«, rief Iris. »Aber es sind ja die männlichen Chromosomen, die das Geschlecht bestimmen. Also kannst DU wohl nur Mädchen!« (Was auch wieder stimmt. Hatten wir vor ein paar Monaten in Bio.)
»Und WAS für Mädchen ich hinkriege! Die allerbesten, wunderbarsten, großartigsten Mädchen der Welt!« Cornelius sah sich sehr zufrieden am Tisch um. »Oder will das jemand bestreiten?«
Nein, das wollte niemand.
Obwohl ich glaube, dass Tessa gestern nicht mal zugehört hat. So tief war sie in ihr Handy versunken. Oh je, ich hoffe, da ist nicht wieder Knatsch mit Javi im Anmarsch! Oder hat sie sich mit ihrer herzallerbesten Dodo gestritten?
»Hihihi«, giggelte Kenny, »hihihi, Papa, das stimmt! Du machst voll tolle Mädchen!«
Malea grinste auch.
Trotzdem scheint ihr Geheimagentenhirn in diesen Tagen ebenfalls mit etwas anderem beschäftigt zu sein. Was kann es diesmal sein? Ob wir in ein paar Monaten noch eine Schwester oder einen Bruder bekommen, scheint Malea kaum zu interessieren.
Ich persönlich finde ja, ein kleiner Junge wäre auch mal eine nette Abwechslung. Aber wer bin schon ich, und wer würde auf mich hören?
Außerdem ist es jetzt sowieso zu spät für besondere Wünsche. Oder auf jeden Fall fürs Daumendrücken in die eine oder andere Richtung. Das Würmchen sitzt jetzt da, wo es sitzt, und ist, was es ist. Ein kleiner Bruder oder eine kleine Schwester.
Ich würde ja supergerne so schnell wie möglich wissen, auf was wir uns freuen dürfen. Doch Iris und Cornelius sind entschlossen, sich überraschen zu lassen. Erst im Dezember werden wir es erfahren!
Rema redet nur noch von unserem »Weihnachtsbaby«! Dabei ist Iris’ Stichtag, also der Tag, an dem die Ärzte die Geburt erwarten, der 29. Dezember. Es könnte also genauso gut ein kleiner Sylvesterknaller werden, hihi!
Weil Iris schwanger ist, ist Cornelius auch großzügig von seinem eigenen Wunsch, eine Musikreise nach New Orleans im Süden der USA zu machen, zurückgetreten. Das wäre für Iris dieses Jahr zu anstrengend.
Allerdings wäre auch Rema nie dorthin mitgekommen. Zu heiß und zu viel Rumgereise von einem Ort zum anderen. Nein, Rema sagt, sie möchte am liebsten an die Ostsee oder die Nordsee, neben Walter Walbohm in einem Strandkorb sitzen und uns und die Möwen beobachten.
Urlaub am deutschen Meer klingt dagegen für Tessa wie der reinste Weltuntergang. Auf keinen Fall will sie zwei Wochen lang zwischen Rentnern an der Ostsee oder zwischen Familien mit Kleinkindern an der Nordsee sitzen.
Malea will unbedingt irgendwohin, wo sie surfen kann. Was sie vielleicht an der Nordsee könnte, genug Wellen soll es dort immerhin geben. Doch sie hat Angst, dass das Wetter dort auch im August so schlecht ist, dass sie nur mit drei Neoprenanzügen übereinander ins Wasser gehen könnte. Das wäre dann nicht so Maleas Vorstellung vom Surfen.
Kenny ist es nur wichtig, dass wir alle zusammen sind. Also nicht nur wir vier und unsere Eltern, sondern natürlich auch Rema und Walter Walbohm. Und vor allem, dass auch Hugo, unser Hund, und Aurora, unser Huhn, mitkommen können. Aurora wohnt ja eigentlich bei Walter nebenan. Doch seit Walter nun praktisch ein Familienmitglied ist und deshalb mit in den Urlaub kommt, kann Aurora natürlich nicht menschenseelenallein zurückbleiben. Allerdings scheint es nicht ganz einfach zu sein, Hotels zu finden, die auch Hühner in den Zimmern erlauben.
Und ich? Ha! Überraschung! Ich wurde überhaupt nicht gefragt. Allerdings wüsste ich noch nicht mal, wo ich gerne hinfahren möchte.
Ich lasse meine hitzemüden Augen über die volle Liegewiese gleiten. Wo würde ICH gerne hinfahren?
Ich weiß, mit wem ich gerne in den Urlaub fahren möchte. Fast egal, wohin. Aber Gregory fährt mit seinen Eltern Sybille und Gerold Grünberg schon wieder nach England. Goldi hat dort ein paar Jahre als Lehrer gearbeitet. Doch das britische Wetter ist bestimmt noch mieser als das an der Nordsee. (Schöne Vorstellung eigentlich!)
Puh, ehrlich, was für eine Affenhitze! Vielleicht wäre England gar nicht schlecht? Da könnte ich außerdem noch mein Englisch verbessern. Ob ich … ob ich Gregory fragen soll, was er davon halten würde? Aber würden Sybille und Goldi mich überhaupt dabei haben wollen?
Ach, das erlauben Iris und Cornelius sowieso nicht! Die Familie geht bei uns über alles.
Normalerweise finde ich diese Einstellung unserer Eltern eigentlich ganz gut, also jedenfalls gar nicht so übel. Ich meine, ich und meine Schwestern Kenny, Malea und Tessa, wir haben, im Gegensatz zu vielen anderen Kindern, tatsächlich das große Glück, geliebt und gewollt zu sein und unterstützt zu werden. Jede von uns weiß: Was auch immer passiert, Iris und Cornelius werden in jeder Situation zu uns halten und felsenfest hinter uns stehen. Ich glaube, davon können viele Kinder auf dieser Welt nur träumen.
Tssss, genau jetzt sehe ich schon wieder zwei fürchterliche Eltern! Mit einem ganz und gar nicht glücklichen Kind.
Nicht weit von mir entfernt steht ein etwa vierjähriger Junge und heult. Knallroter Kopf, knallroter Rücken. Dass es dem nicht besonders gut geht, sieht ein blinder Frosch mit Augenklappe. Großartig, jetzt brüllt die Mutter den Kleinen auch noch an! Daraufhin plärrt der hilflose Kerl natürlich noch lauter los. Oh, wie leid der mir tut! Die blöde Mutter sollte ihn als Erstes schnell vor der Sonne schützen, kühlen und vor allem in den Arm nehmen. Stattdessen…
Nee, das glaub ich jetzt nicht! Stattdessen hat sie ihm auch noch eine geknallt?
Automatisch springe ich auf. Das arme Kind! Und überhaupt – Kinder schlagen – warum auch immer –, das ist gesetzlich verboten!!
Mein Herz rast. Vor Mitleid, vor Ratlosigkeit, aber vor allem vor Wut. Kinder schlagen IST eine Straftat.
Das war nicht immer so. Früher durften Eltern ihre Kinder tatsächlich hauen, wann immer sie es für richtig hielten. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei.
Was soll ich tun? Die Frau anzeigen? Kann ein vierzehnjähriges Mädchen einen Erwachsenen anzeigen? Ich kann gar nicht klar denken, so empört bin ich.
Jetzt blökt die Frau schon wieder rum. Der Kleine hat sich inzwischen auf den Boden geschmissen und hat einen regelrechten Heulkrampf. Mit offenem Mund starre ich rüber. Nun beugt sich der Vater vom anderen Ende des Handtuchs zu seinem Sohn. Wird er ihn beruhigen können? Ihn in den Arm nehmen? Uuuh, dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, sieht es nicht so aus!
Anscheinend sagt er etwas. Der Junge heult noch lauter. Wie eine Alarmsirene. Alarm, Alarm, mir geht es schlecht und meine Eltern helfen mir nicht!
Mein Herz pocht immer noch. Kann …, soll ich mich einmischen?
Da – jetzt richtet der Vater endlich seinen Sohn auf – ich bin richtig erleichtert – und …
… holt aus!
WAAAAS?
Kriegt der Kleine jetzt noch eine Ohrfeige? Mir stockt der Atem. Der Junge hört auf zu weinen und reißt die Augen voller Angst auf.
Doch der Schlag kommt nicht. Es war nur eine Drohgebärde. Die hat ihre Absicht allerdings nicht verfehlt.
Wofür wird der Kleine bestraft? Dafür, dass es zu heiß für einen Vierjährigen ist?
Warum tut denn niemand was? Warum holt keiner die Polizei und lässt diese Eltern einsperren?
Jetzt lässt der Vater seinen Sohn wieder los, der sich einfach wie ein kleines Säckchen Reis fallen lässt. Etwa dreißig gruselige Sekunden lang bleibt er still auf der Erde liegen. Dann ertönt ein solches Schluchzen, dass ich gar nichts mehr denken kann. Nur meine Beine, die denken – und laufen!
»WASFÄLLTIHNENEIN?«, schreit meine Stimme, die ebenfalls nicht nachdenkt, als ich bebend vor Empörung vor den Eltern stehe. »DASSCHLAGENVONKINDERNISTSTRAFBAR! ICHZEIGSIEAN!«
Beide – Mutter und Vater – drehen sich derartig erstaunt zu mir um, dass klar ist, sie haben keine Sekunde mit Kritik gerechnet.
Der Mann springt allerdings sofort auf die Beine und baut sich vor mir auf. »Du kannst auch gerne eine geschmiert haben, du freche Göre, du!«
Oh, das hätte er nicht sagen sollen! Denn jetzt werde ich so wütend, dass die Wut mein zitterndes Herz übertönt.
Mein Handy, wo ist mein Handy? Ich ruf die Polizei. Irgendjemand muss doch hier eingreifen!
Ich hab die liebste Familie der Welt. Remi und Tessa und Livi und Malea und Mama und Papa sind alle voll nett. Papa brüllt zwar ab und zu voll löwenlaut und Mama beschwert sich immer, dass wir viel zu wenig Hausarbeit machen, aber da kann man sich ja einfach die Ohren zuhalten oder die Brülllöwen in den Bauch pieken oder beides. Papa ist dann sofort still, weil er dadurch merkt, dass Brüllen echt doof ist. Mama kann ich leider im Moment nicht in den Bauch pieken, denn da sitzt meine kleine Schwester drin und mit der muss man vorsichtig sein. Dafür hat Mama aber fast keine schlechte Laune mehr, seitdem sie meine kleine Schwester im Bauch hat, sondern ist den ganzen Tag mit Lächeln beschäftigt. Besonders, wenn sie ihre Bücher schreibt. Boah, in den Geschichten müssen echt schöne Sachen passieren, so viel, wie Mama lächelt. Am aller-allernettesten in meiner Familie ist aber Livi. Die brüllt NIE und motzt nie, sondern ist immer total sanft. Mit jedem.
Greeeeegory! GREGORYYYYY!«
Pfff, der hört mich nicht! Wer ist denn das Mädchen, mit dem er da hinten auf dem Beckenrand sitzt? Kenn ich die?
Nö, nie gesehen. Vielleicht jemand aus der Schule von den Großen.
»Gregoryyyyy!« Ich winke und hüpfe, aber der guckt nicht ein einziges Mal zu mir rüber.
Pah, mir doch egal! Dann geh ich eben zurück zu Livi. Ich würde jetzt echt sooo gerne ein Eis haben. Livi hat bestimmt Geld mit. Livi kauft mir immer Eis. Ach, Livi ist echt sooo lieb!
HUCH?
Was ist denn da los? Wieso stehen denn da so viele Leute? Und wieso steht Livi, meine liebe Livi, mittten drin in den Leuten und ist ganz rot im Gesicht und schreit irgendwas? Livi SCHREIT?
Ich renne, so schnell ich kann. Boah-ey-boah, in unserer Familie ist immer voll viel los!
Bei meiner Freundin Bentje ist nie was los. Da bügelt die Mama immer nur alle Klamotten rauf und runter, und der Papa ist fast nie zu Hause, und Bentje hat noch nicht mal eine einzige Schwester. Und wenn ich mit Bentje und ihrer Mama ins Schwimmbad gehe, passiert auch nie was.
So, jetzt bin ich bei den Leuten, die alle total durcheinander reden. Ich kann gar nicht verstehen, was los ist. Aber wenn was mit Livi los ist, dann muss ich zu ihr hin, damit Livi weiß, dass sie nicht alleine ist, sondern dass ich auch da bin und ihr helfe. Ich lass doch meine Livi nicht allein zwischen brüllenden Leuten stehen!
Ich ziehe meinen Kopf ein und drängele mich ganz schnell durch alle Bikini-Bäuche durch und … stehe neben Livi.
Livi hält gerade die Luft an. Weil jemand anderes redet. Eine Frau, die versucht, ganz ruhig zu reden. Neben Livi steht ein kleiner Junge, der so aussieht, als hätte er gerade eben noch geheult. Und hinter dem Jungen stehen Leute, die wohl seine Eltern sind. Was ist bloß los?
»Livi?«, frage ich ganz leise. »Livi, was ist denn los?«
Doch Livi hört mich nicht. Oder tut so, als würde sie mich nicht hören. Sie hört der Frau zu.
»Das stimmt nicht!«, sagt Livi laut. »Der Junge hat überhaupt nichts gemacht. Nur geweint.«
Oh! Ich gucke den kleinen Jungen ganz mitleidig an. Er sieht wirklich sehr traurig aus. Und noch roter im Gesicht als Livi.
»Das werden wir alles in Ruhe klären!«, sagt die Frau und guckt streng die Eltern von dem kleinen Jungen an. »Bitte kommen Sie am Montagnachmittag zu mir ins Lehrerzimmer!« Dann dreht sie sich zu den Leuten um, die um uns rumstehen. »Ich würde Sie bitten, wieder zurück zu ihren Plätzen zu gehen. Ich denke, mehr ist im Moment nicht zu sagen.«
Die Leute brabbeln ein bisschen und gehen dann tatsächlich zu ihren Handtüchern zurück. Nur ich bleibe neben Livi stehen.
Jetzt bemerkt sie mich endlich. »Kenny! Was machst du denn hier?«
»Ich helfe dir!«, sage ich fest.
Da lächelt Livi und sieht ein kleines bisschen weniger rot im Gesicht aus. »Hast du gesehen, was passiert ist?«
»Nö«, sage ich, »aber das hat ja damit nichts zu tun.«
Die Frau, die versucht hat, ganz ruhig zu bleiben, steht auch noch da. Sie schiebt Livi ein ziemliches Stück weg von dem Jungen und den Eltern.
»Das hast du gut gemacht, Olivia«, lobt die Frau Livi leise. »Und du hast recht, das Gesetz verbietet es, Kinder zu schlagen. Auch Eltern dürfen das nicht.« Sie holt Luft und guckt Livi direkt in die Augen. »Trotzdem darfst du nicht einfach so wild auf Eltern losgehen.«
Livis Gesicht wird sofort noch röter und sie sieht richtig böse aus. »Was hätte ich denn sonst tun sollen? Einfach nur zugucken?«
»Nein«, sagt die Frau, »natürlich nicht. Du hättest einem Erwachsenen Bescheid geben sollen. Mir zum Beispiel.«
»Ich wusste ja nicht, dass Sie auch hier sind«, antwortet Livi.
»Wer bist du denn?«, frage ich mal dazwischen, weil ich das echt gern wissen möchte.
Die Frau guckt mich an. »Ich heiße Eva Tönning. Ich bin die Deutschlehrerin von Olivia. Bist du die kleine Schwester?«
»Ja«, nicke ich, »aber nicht die kleinste. Unsere kleinste Schwester wird gerade erst gemacht.« Und dabei sehe ich ganz stolz aus, denn das ist doch voll toll, oder?
Die Frau guckt ein bisschen komisch.
»Meine Mutter ist schwanger«, erklärt Livi schnell, als ob ich das nicht auch gerade gesagt hätte.
»Oh, das wusste ich gar nicht«, meint die Frau, die Eva Tönning heißt, und lächelt. »Was für wunderbare Neuigkeiten! Bestell doch bitte deinen Eltern einen ganz lieben Gruß und Glückwunsch zur Familienerweiterung!«
Livi nickt. »Danke, mach ich.«
Aber sogar ich kann sehen, dass Livi gerade überhaupt nicht an unsere kleine Schwester denkt. Sie guckt rüber zu dem kleinen Jungen und seinen Eltern. »Und Sie sagen denen, dass die das nicht machen dürfen?«
»Da kannst du dich drauf verlassen!«, versichert Livis Deutschlehrerin. »Der ältere Sohn der Familie geht in meine sechste Klasse. Und dieser Anlass hier kommt mir sehr recht, mich mal wieder mit den Eltern über ein paar grundsätzliche Dinge zu unterhalten.«
Das scheint Livi zu beruhigen.
Sie lächelt jetzt. »Vielen Dank, Frau Tönning!«
Frau Tönning klopft Livi auf die Schulter. Die übrigens auch ein bisschen rosa aussieht. Livi sieht sonst nie rosa aus. (Außer ihre Haare.) Ob sie einen Sonnenbrand hat?
»So, und jetzt wollen wir den restlichen Nachmittag weiter genießen! Um die Eltern dort kümmere ich mich am Montag, versprochen«, sagt Frau Tönning.
Sie guckt zu mir runter. »Sag mal, kleine Schwester von Olivia, meinst du nicht, es wäre eine gute Idee, für dich und deine große Schwester jetzt ein großes Eis zu kaufen?«
Boah, also boah! Das ist doch mal genau die richtige Idee! Hat Livi aber nette Lehrerinnen in der Schule!
»Soll ich für Gregory auch ein Eis holen?«, frage ich mit glücklichen Augen.
»Der ist auch da?«, fragt Frau Tönning und lacht. »Na, aber auf jeden Fall sollst du das! Hier!«
Sie kramt richtig viele schöne Eurostücke aus ihrer Rocktasche und gibt sie mir. »Guten Appetit!«
»Danke!«, rufe ich.
Und ab bin ich und fege zwischen tausend Badelaken mit Leuten drauf Richtung Verkaufsbuden! Ist das superduperklasse oder ist das superduperklasse?
Die Schlange an der Eistheke hinten vor dem Schwimmbadzaun ist auch gar nicht so lang. Bloß ungefähr dreißig Leute vor mir. Pah, das geht bestimmt ganz schnell!