Die Chemie des Lebens - Georg Schwedt - E-Book

Die Chemie des Lebens E-Book

Georg Schwedt

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Beschreibung

Chemie und Leben stehen nicht zueinander im Widerspruch, im Gegenteil. Georg Schwedt zeigt: nur "wenn die Chemie stimmt", das heißt der Stoffwechsel funktioniert, der Mineralienhaushalt ausgeglichen ist und Enzyme fehlerfrei ihre Arbeit verrichten, ist Leben überhaupt möglich.

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Contents

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Vorwort: Was ist Leben?

Chapter 1: Einführung: Nichts geht ohne Chemie – auch das Leben nicht!

1.1 Von der Urzeugung zur chemischen Evolution

1.2 Vom Vitalismus zur Biochemie

Chapter 2: Die chemischen Werke der Pflanze

2.1 Vor den Pflanzen gab es die Bakterien

2.2 Zur Chemie und Funktion pflanzlicher Zellbausteine

2.3 Ohne Photosynthese kein Leben auf der Erde

2.4 Kraftwerke der Zellen: die Mitochondrien

2.5 Die wichtige Rolle des Stickstoffs: Stickstoff-Fixierung und -Assimilation

2.6 Die Wanderung von Substanzen: Transportmechanismen in Zellen

2.7 Chemische Stoffe als molekulare Schalter

Chapter 3: Lebensmittel für Mensch und Tier

3.1 Stoffe des Lebens – Baustoff- und Energielieferanten

3.2 Chemie vom Mund bis in den Darm

3.3 In den vier Mägen der Wiederkäuer

3.4 Gustatorische Chemie

3.5 Zur Biochemie des Blutes

3.6 Die speziellen biochemischen Fabriken in Leber und Niere

Chapter 4: Wie alles sich zum Ganzen webt…

4.1 Abbau, Umbau und Aufbau von Stoffen – Beispiele stofflicher Vernetzungen

4.2 Werkzeuge, Arbeiter, Boten: Enzyme, Vitamine, Hormone

4.3 Von den Säuren zum genetischen Code

4.4 Dirigenten des Lebens: Das System Hypophyse/Nebennierenrinde

4.5 Synthetische Biologie

Literatur

Personenverzeichnis

Sachverzeichnis

Georg Schwedt Die Chemie des Lebens

Weitere Bücher aus der Erlebnis Wissenschaft Reihe:

Al-Shamery, K. (Hrsg.)Moleküle aus dem All? 2011 ISBN: 978-3-527-32877-2

Bergmann, H.Wasser, das Wunderelement? 2011 ISBN: 978-3-527-32959-5

Schwedt, G.Lava, Magma, SternenstaubChemie im Inneren von Erde, Mond und Sonne 2011 ISBN: 978-3-527-32853-6

Gross, M.9 Millionen Fahrräder am Rande des UniversumsObskures aus Forschung und Wissenschaft 2011 ISBN: 978-3-527-32917-5

Hüfner, J., Löhken, R.Physik ohne EndeEine geführte Tour von Kopernikus bis Hawking 2010 ISBN: 978-3-527-40890-0

Roloff, E.Göttliche GeistesblitzePfarrer und Priester als Erfinder und Entdecker 2010 ISBN: 978-3-527-32578-8

Zankl, H.Kampfhähne der WissenschaftKontroversen und Feindschaften 2010 ISBN: 978-3-527-32579-5

Autor

Prof. Dr. Georg Schwedt Lärchenstraße 21 53117 Bonn

Satz Mitterweger & Partner, Plankstadt

Druck und Bindung   

Umschlaggestaltung Bluesea Design, Box 3275, McLeese Lake, BC, VOL 1PO, Canada

1. Auflage 2011

Alle Bücher von Wiley-VCH werden sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren, Herausgeber und Verlag in keinem Fall, einschließlich des vorliegenden Werkes, für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie für eventuelle Druckfehler irgendeine Haftung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2011 Wiley-VCH Verlag & Co. KGaA, Boschstr. 12, 69469 Weinheim, Germany

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche markiert sind.

ISBN 978-3-527-32973-1

Vorwort: Was ist Leben?

Drei sehr unterschiedliche Werke zu diesem Thema habe ich bereits als Schüler bzw. Chemiestudent gelesen. Sie haben mich fasziniert und sind bis heute in meiner Bibliothek vorhanden:

1. »Chemie des Lebens. Von den chemischen Vorgängen in Pflanze, Tier und Mensch« von Hans-Joachim Flechtner (Ullstein, Berlin 1952).
Flechtner (1902–1980) studierte Chemie, Musik und Philosophie in Berlin, Breslau und Greifswald. Er arbeitete neben seinem Studium als Feuilletonist und Kulturkorrespondent beim Stettiner Generalanzeiger und beim Berliner Tageblatt. Als promovierter Chemiker war er von 1950 bis 1970 Chefredakteur der noch heute bestehenden Zeitschrift »Chemie für Labor und Betrieb« (CLB: Chemie in Labor und Biotechnik). Er schrieb zahlreiche Bücher, außer dem bereits genannten auch »Die Welt in der Retorte. Eine moderne Chemie für Jedermann« (erstmals 1938, Deutscher Verlag, Berlin).
2. »Magie der lebenden Zelle« (Roman) von Karl Alois Schenzinger, Wilhelm Andermann Verlag, München 1957.
Schenzinger (1886–1962) hatte nach einer Apothekerlehre in Freiburg, München und Kiel Medizin studiert und war zunächst als Arzt tätig. Als freier Schriftsteller (ab 1928) schrieb er zahlreiche romanartige Monographien zu historischen Themen aus Naturwissenschaft und Technik, u.a. den Bestseller »Anilin« (1936).
3. »Exakte Geheimnis. Knaurs Buch der modernen Biologie« von Hans Joachim Bogen, mit einem Geleitwort von Nobelpreisträger Professor Dr. Adolf Butenandt (Droemer Knaur, München 1967).
Bogen (Jg. 1912), ab 1955 o. Professor für Botanik der Technischen Hochschule Braunschweig, war im Jahr 1967, als sein Buch erschien, mein Lehrer und Prüfer in Botanik als Nebenfach im Chemie-Vordiplom.

Als ich in Hannover promovierte, erschien das Buch »Die Doppelhelix« von James D. Watson (Rowohlt, Reinbek 1971), das ich seitdem mehrmals gelesen habe. Watson und Francis H. C. Crick hatten 1953 die Struktur der Desoxyribonucleinsäure (DNA) als Doppelspirale aus zwei ineinander verwundenen Ketten des DNA-Moleküls entschlüsselt, in dem alle Erbinformationen eines Lebewesens enthalten sind.

Wie haben die drei Autoren den Begriff Leben definiert?

In Flechtners Buch trägt das erste Kapitel die Überschrift »Leben als physikalisches und chemisches Problem«. Er gelangt nach der allgemeinen Feststellung, dass Leben »die allen Lebewesen gemeinsamen Eigenschaften und Vorgänge« beinhaltet, zu folgender Umschreibung:

» ›Leben als Ganzes‹ auf der Erde ist eine große, wunderbar ineinandergefügte Ganzheit, ein Wechselspiel und Zusammenspiel von Kräften, ein Aufnehmen und Weiterreichen von Stoffen von einem Wesen zum anderen, von einem Lebensbereich in den anderen.«

Und er stellt außerdem fest, dass alle Lebewesen Organismen sind, eine abgeschlossene, geformte Einheit von Materie, die mit »Leben begabt« sei. In den Organismen gebe es keine Trennung von stofflichen Vorgängen und Lebensvorgängen (s. dazu auch Abschnitt 1.2), sondern bis in den kleinsten Vorgang, bis in die letzte Eigenschaft des Lebens hinein gelte das Grundgesetz, dass alles Leben an Materie, an stoffliche Grundlagen gebunden sei.

Schenzinger stellt in seinem Roman die lebende Zelle in den Mittelpunkt von Geschichten um die Entdeckungen von Vitaminen, Hormonen, Enzymen, Chromosomen und Genen. Sein Fazit im fünften Teil des Romans lautet: Die Zelle ist der Grundbaustein der lebenden Materie.

Bogen war Zellphysiologe und Molekularbiologe. Das Geleitwort zu seinem Buch schrieb Adolf Butenandt (1903–1995), der über Sexualhormone, zur chemischen Natur der Viren und über biochemische Grundlagen der Krebsentstehung forschte; er erhielt zusammen mit Leopold Ruzicka (1887–1976) 1939 den Nobelpreis für Chemie. Butenandt schrieb, dass zahlreiche biologische Mechanismen sich auf molekulare Ereignisse zurückführen ließen; das hieße, man könne aus dem Bau und den Eigenschaften chemischer Moleküle auf deren Reaktionsweisen in der lebenden Zelle schließen. Dann nennt er die Molekularbiologie als Zweig der modernen Biologie, die sich die »Erklärung der Grundphänomene des Lebens, wie Vererbung, Wachstum, Entwicklung, Differenzierung, Reizbarkeit, Bewegung, Gedächtnis, durch Begriffe der Atom- und Moleküllehre zum Ziel gesetzt« habe. Sie stände im Gegensatz zum Vitalismus (s. Abschnitt 1.2.1) und man müsse abwarten, inwieweit die Molekularbiologie ihre Ziele erreiche. Auch Bogen beginnt sein noch heute lesenswertes Buch mit dem »Zellenleben« und mit der Frage: »Kann und darf man Leben definieren?« Bogen kommt bereits im ersten Absatz des Kapitels zu dem Schluss, Leben sei dadurch charakterisiert, dass es sich jeder Definition entziehe. Er nennt aber als wesentlichen Aspekt des Lebens, dass es stets an Zellen gebunden sei, »genauer gesagt: an die Struktur der Zellen, Struktur und Funktion – oder auch Gestalt und Lebensäußerung –, das sind die beiden Aspekte des Lebens, und sie bedingen einander wechselseitig.«

Meine Prüfung in Botanik bei Hans Joachim Bogen war nicht auf klassische Themen der Botanik wie Morphologie oder Pflanzensystematik ausgerichtet. Sie beinhaltete vor allem Fragen zum Aufbau der Zelle und zu den Funktionen der Zellorganellen und war somit bereits im Jahre 1967 eher eine Prüfung in Molekularbiologie.

In einem modernen Lehrbuch der Botanik (U. Lüttge, M. Kluge, G. Bauer, Wiley-VCH, Weinheim, 5. Aufl. 2005) wird Leben ganz allgemein und umfassend als »das ständige Aufrechterhalten von Fließgleichgewichten« bezeichnet, als ein ständiger Austausch von Materie und Energie mit der Umgebung. Auch der dänische Wissenschaftler Steen Rasmussen (Jg. 1955), der im Los Alamos National Laboratory in den USA forscht, äußerte gegenüber dem Nachrichtenmagazin »Spiegel« vom 4. Januar 2010 (Nr. 1, S. 115), wesentliche Merkmale des Lebens seien darin zu sehen, dass Lebewesen sich fortpflanzen, einen Stoffwechsel besitzen und nach außen ein abgeschlossenes Gebilde bilden.

Auf unserem Planeten ist das Leben in allen bekannten Lebensformen – von Bakterien, Pilzen, Pflanzen, Tieren bis zum Menschen, ohne Ausnahme an den gleichen, universell geltenden genetischen Code gebunden, mit den gleichen chemischen Bausteinen. Vier Nucleotide und ca. 20 Aminosäuren bilden die Grundlage der für irdisches Leben typischen Proteine und Nucleinsäuren. Der Biochemiker Sven P. Thoms nennt in seinem Buch »Ursprung des Lebens« (Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 2005) acht Säulen des Lebens: Kompartimentierung, Energiestoffwechsel, Katalyse, Regulation, Wachstum, Programm, Reproduktion und Anpassung.

Der Ausspruch Alles ist Chemie! Nichts geht ohne Chemie! wird Justus von Liebig (1803–1873) zugeschrieben. In diesem Sinne soll auch in diesem Buch die Rolle der Chemie von der Entstehung erster, für das Leben notwendiger Moleküle in einer »Ursuppe« bis zu den Theorien einer chemischen Evolution dargestellt werden. Die Biochemie der Pflanzen, Tiere und des Menschen wird in ausgewählten Beispielen behandelt, und im vierten Kapitel wird das Zusammenwirken biochemischer Reaktionen als »stoffliche Vernetzungen« beschrieben. Schließlich soll der Abschnitt über die »synthetische Biologie« einen Ausblick auf Entwicklungen des 21. Jahrhunderts vermitteln, nachdem zuvor auch immer wieder auf die Historie eingegangen wurde.

Bonn, Juni 2011

Georg Schwedt

Chapter 1

Einführung: Nichts geht ohne Chemie – auch das Leben nicht!

1.1 Von der Urzeugung zur chemischen Evolution

Als Urzeugung oder spontane Zeugung (Abiogenese) wird das »Werden von Lebendigem aus Totem« (Formulierung der Philosophen), die Entstehung von Organischem, Organismen, Lebewesen aus Anorganischem durch natürliche (physikalisch-chemische) Kräfte (Formulierung der Naturwissenschaftler) bezeichnet. Ihren Ursprung haben die Vorstellungen einer Urzeugung in der Naturphilosophie der Griechen. Arthur Schopenhauer (1788–1860) erklärt in seinen »Neuen Paralipomena, § 185« (Nachlass 1893):

»Daß aus dem Unorganischen die untersten Pflanzen, aus den faulenden Resten dieser die untersten Tiere und aus diesen stufenweise die oberen entstanden sind, ist der einzige mögliche Gedanke.«

Die chemische Evolution als Teilgebiet der Evolution geht von einem Urknall aus, bei dem die ersten chemischen Elemente entstanden. Auf der Erde begann die Entwicklung vor etwa 4,7 Milliarden Jahren, als sich aus Wasserstoff, Wasserdampf, Methan, Schwefelwasserstoff und Ammoniak die Vielfalt der heutigen Materie bis zu den ersten Lebewesen entwickelte.

1.1.1 Anhänger einer Urzeugung

Die Frage nach der Entstehung des Lebens beschäftigte seit jeher die Menschen. Im 2. Jahrtausend v. Chr. war in China, Mesopotamien, Ägypten und Indien die Annahme einer Urzeugung von Würmern, Fröschen u.a., das heißt die Entstehung von Leben, aus unbelebter Materie allgemein verbreitet. Vor allem von den griechischen Naturphilosophen kennen wir einige der Theorien. Sie führten die Fragen nach dem Werden und Vergehen der Dinge (und auch des Lebendigen) auf grundlegende Prinzipien zurück. Schon Hesiod (ca. 700 v. Chr.) beschrieb die Geburt der Materie aus dem Chaos. Bei unterschiedlichen Ansätzen wurde die unzerstörbare Materie als in ständigem Kreislauf befindlich betrachtet. Die Ursache dieser Bewegung sollte in ihr selbst liegen, so konnte auch alles Lebendige aus ihr entstehen. Im Gegensatz zu der Erschaffung von Lebewesen durch einen göttlichen Schöpfungsakt stand die Vorstellung einer Urzeugung. Der griechische Naturphilosoph und Wanderarzt Empedokles (um 483–425 v. Chr.), der sich der Legende nach in den Krater des Ätna stürzte, war der Begründer der Lehre von den unvergänglichen Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde. Er postulierte die Entstehung von zunächst Pflanzen, dann auch von Tieren aus der Erde. Nach Aristoteles (384–322 v. Chr.) entstanden die niedrigsten Lebewesen aus Schlamm.

Als klassische Erscheinung einer Urzeugung galt die Entstehung von Maden aus faulendem Fleisch. Viele Biologen sahen in diesem Beispiel eine Bestätigung der Urzeugungstheorie. Aber bereits William Harvey (1578–1657), der Entdecker des großen, geschlossenen Blutkreislaufes, lehnte diese Theorie ab und war überzeugt, dass auch Maden aus Eiern entstehen würden, die man damals wegen ihrer geringen Größe nicht sehen konnte. Der italienische Arzt Francesco Redi (1626–1697) griff die Idee Harveys auf und führte 1668 folgende Experimente zu deren Bestätigung durch: Er verteilte verschiedene Fleischsorten auf acht Flaschen, von denen er vier verschloss, die anderen vier ließ er offen. Das Fleisch begann sich in allen Flaschen zu zersetzen (zu verfaulen), Maden entstanden aber nur in den offenen Flaschen, in welche Fliegen gelangen konnten. In einem zweiten Experiment setzte er auf einige offene Flaschen Fliegendraht. Somit konnte Luft an das Fleisch gelangen, die Fliegen wurden jedoch ferngehalten – und es entwickelten sich auch in diesen Flaschen keine Maden.

Nach diesen Experimenten hätten die Biologen überzeugt sein müssen, dass es keine spontane Zeugung gibt. Da sich die Experimente aber nur auf Maden, also Würmer, bezogen, wurde ihre Beweiskraft durch die Entdeckung von Mikroorganismen durch den niederländischen Naturforscher Antony Leeuwenhoek (1632–1723) unter dem Mikroskop (mit 40- bis 275facher Vergrößerung) 1674 bis 1676 wieder abgeschwächt.

Hundert Jahre später, im Jahre 1748, schien der englische Naturforscher John Tuberville Needham (1713–1781) die spontane Urzeugung von Bakterien mit seinen Experimenten neu beweisen zu können. Er kochte zusammen mit Georges Louis Leclerc Buffon (1707–1788, französischer Naturforscher) Hammelfleischbouillon und füllte sie dann in Versuchsröhren, die er mit Korken verschloss. Schon nach einigen Tagen hatten sich zahlreiche Mikroorganismen gebildet, woraus die beiden schlossen, dass sie die spontane Zeugung bewiesen hätten. Bis in das 20. Jahrhundert bildete sich daraus eine Panspermielehre (griech. pan: alles und sperma: Samen, Keim), die 1906 darin gipfelte, dass der Physikochemiker Svante Arrhenius (1859–1927; 1903 Nobelpreis für Chemie) die Hypothese entwickelte, dass der Ursprung des irdischen Lebens im Weltall liegt, von wo aus Keime durch Meteorite auf die Erde gelangt seien (Kosmozoentheorie). Diese wissenschaftlich nicht anerkannte Theorie wurde durch zwei Astronomen, Fred Hoyle (1915–2001; leistete bedeutende Arbeiten zum Aufbau und zur Entwicklung von Sternen, schuf eine Theorie zur Elemententstehung in Sternen durch Kernfusion) und seinen Schüler Nalia Chandra Wickramasinghe (Jg. 1939; sri-lankischer Astrophysiker, ab 2000 Direktor des Cardiff Centre for Astrobiology) neu belebt. In dem Buch »Evolution aus dem All« (Ullstein 1981) ist u.a. zu lesen, dass die orthodoxe Biologie in ihrer Gesamtstruktur daran festhalte, dass Leben zufällig entstanden sei. Die Biochemiker hätten jedoch in steigendem Maße die ehrfurchtgebietende Komplexität des Lebens entdeckt. So sei sein zufälliger Ursprung ganz offensichtlich so wenig wahrscheinlich, dass man die Möglichkeit völlig ausschließen könne – mit dem Fazit: »Leben kann nicht zufällig entstanden sein.«

Von den Biologen, als Naturforscher zugleich auch Philosophen, des 19. Jahrhunderts sind als Anhänger einer Urzeugungs-Theorie vor allem Lorenz Oken (1779–1851) und Ernst Haeckel (1834–1919) zu nennen. Oken war 1807–1819 Professor der Medizin in Jena, dann ab 1818 in München und ab 1832 in Zürich. Er war besonders von dem Philosophen Schelling beeinflusst und entwickelte Vorstellungen über eine gemeinsame Lebenssubstanz als »Urschleim« und kleinsten Einheiten, die sich zu Organismen fügen (organisieren) (»Infusorien«). Haeckel, 1862 bis 1909 Professor für Zoologie in Jena, veröffentlichte 1868 sein populärwissenschaftliches Buch »Natürliche Schöpfungsgeschichte«, in der er vor allem die Theorien Darwins vertrat. In seiner »Generellen Morphologie der Organismen« von 1866 (Band I, S. 182) ist auch von einer »dereinstigen« Urzeugung (Autogenie) zu lesen.

Abb. 1 Infusionstierchen, Infusorien oder Aufgusstierchen unter dem Mikroskop (»Bilder-Conversations-Lexikon«, Brockhaus, Leipzig 1838) – Mikroorganismen wie Wimpertierchen (Protozoen) und Geißeltierchen (Flagellaten), die sich in einem Aufguss von Wasser auf Heu u. a. aus Dauerstadien (Zysten, Sporen) entwickeln. »Der Anblick eines Wassertropfens durch das Mikroskop muß dem denkenden Menschen die ehrfurchtvollste Bewunderung der Macht und Größe des Schöpfers einflößen, der Welten lebender Wesen hervorruft, welche unseren Blicken verschwinden. Die Schöpfung, sehen wir, ist, wie in der Größe, so auch in der Kleinheit unendlich, überall voller Bewegung und Leben.«

Skeptisch gegenüber den beschriebenen Experimenten zeigte sich jedoch bereits der italienische Biologe und Philosoph Lazzaro Spallanzani (1729–1799). Er war überzeugt, dass Needham und Buffon ihre Fleischbouillon nicht lange und nicht hoch genug erhitzt hatten, um sie vollständig zu sterilisieren. Er wiederholte die Versuche 1768, indem er eine Nährlösung 30–45 Minuten erhitzte und dann erst die Flaschen versiegelte; danach, berichtete er, seien keine Mikroorganismen nachweisbar gewesen.

Er gelangte somit noch vor dem französischen Chemiker und Bakteriologen Louis Pasteur (1822–1895) zu dem Ergebnis, dass in erhitzten und verschlossenen Gefäßen keine sogenannten »Infusorien « entstehen können. Spallanzani führte u. a. die erste künstliche Besamung bei Hunden durch. Pasteur widerlegte die angebliche Urzeugung in faulendem Schlamm (um 1862) und erkannte 1865 lebende Hefezellen und andere Mikroorganismen als Ursache von Gärung und Fäulnis.

(Siehe zu diesem Thema auch: Spektrum der Wissenschaft: Von der Urzeugung zum künstlichen Leben, Mai 2010.)

1.1.2 Entwicklungen zu einer chemischen Evolution

Noch vor den Experimenten des damaligen Studenten Stanley Miller nach Ideen seines Lehrers Harold C. Urey in der Universität von Chicago, aus einer Uratmosphäre Aminosäuren entstehen zu lassen, führte der Chemiker Walther Löb (1872–1916) im Jahre 1913 vergleichbare Experimente durch – jedoch unter anderen Gesichtspunkten als denen der chemischen Evolution. Löb, ab 1898 Privatdozent der Physikalischen Chemie an der Universität Bonn, ab 1906 an der Universität Berlin, publizierte in den »Berichten der deutschen chemischen Gesellschaft« 1913 eine Arbeit mit dem Titel »Verhalten des Formamids unter der Einwirkung der stillen Entladung. Zur Frage der N-Assimilation.« Darin beschreibt er die Wirkung einer stillen Entladung auf ein Gemisch von Kohlenstoffmonoxid, Ammoniak und Wasser und erhält dabei Spuren von Aminosäuren, vor allem von Glycin. F. L. Boschke, der »Stanley Millers Aminosäure-Synthese« in seinem Bestseller »Die Schöpfung ist noch nicht zu Ende. Naturwissenschaftler auf der Spur der Genesis« (1. Aufl. 1962 mit 1.–5. Tausend, 1965 161.–180. Tausend) ein eigenes Kapitel widmet, schrieb darin, dass die Priorität des Stanley’schen Experiments eigentlich dem »sehr gescheiten Chemiker Walter Löb« zukomme, die Zeit aber für die Gedanken an eine Uratmosphäre mit dem Hintergrund der Entstehung des Lebens noch nicht reif gewesen sei.

Der russische Biochemiker Aleksandr Iwanowitsch Oparin (1894–1980) begann 1922 in Moskau mit Untersuchungen zur abiogenen Entstehung des Lebens auf der Erde; er ging von einer durch die Zersetzung von Carbiden und Nitriden entstandenen Ursuppe aus.

Stanley Lloyd Miller (1930–2007) setzte als Student an der Universität von Chicago in einer einfachen Versuchsapparatur nach Vorschlägen seines Lehrers Harold C. Urey (1893–1981; 1934 Nobelpreis für Chemie für seine Entdeckung des schweren Wasserstoffs) ein Gemisch aus Methan, Ammoniak und Wasserstoff elektrischen Entladungen aus. Nach einigen Tagen konnte er als Reaktionsprodukte sowohl einige niedere Carbon- und Fettsäuren als auch Aminosäuren nachweisen. Sein Experiment wird heute als Ursuppen-Experiment bzw. Miller-Urey-Experiment bezeichnet. Als Zwischenprodukte entstehen bei diesem Experiment Methanal und Cyanwasserstoff, aus denen sich unter simulierten Bedingungen der Erde (vor etwa 4,5 Milliarden Jahren) auch weitere Biomoleküle synthetisieren lassen. So gelang 1960 dem Biochemiker Juan Orb die Synthese von Adenin und Guanin durch Wärmepolymerisation von Ammoniumcyanid in wässriger Lösung.

Die Mitwirkung von Mineralien ist ein weiterer Baustein der chemischen Evolution. Grundsätzlich können Minerale folgende Funktionen haben: Organische Moleküle in den winzigen Hohlräumen von Gesteinen sind vor intensiver UV-Strahlung geschützt. Kristalloberflächen können als Matrix für Polymerisationen dienen, wobei sie auch bestimmte Molekülformen bevorzugen können. So ist bekannt, dass L- und D-Aminosäuren sich auf einem Calcit-Kristall an unterschiedlichen Stellen anlagern. Am Tonmineral Montmorillonit konnten Proteine mit Kettenlängen von mehr als 50 Proteinen synthetisiert werden.Metallionen können als Katalysatoren beimAufbau von Biomolekülen wirken. Eine besondere Rolle kommt nach den Theorie von Günter Wächtershäuser (1938 in Gießen geboren, Honorarprofessor für evolutionäre Biochemie der Universität Regensburg und Patentanwalt in München) den Eisen-Schwefel-Mineralien zu. Die Theorie von Miller und Urey konnte zwar die Entstehung kleinere präbiotischer organischer Moleküle, aber nicht eine weitergehende Polymerisation erklären. Sulfide aus den vulkanischen Prozessen, die auch heute noch in Tiefseevulkanen gebildet werden, waren schon in der Frühzeit der Erde vorhanden. Bei Synthesen an sulfidischen Mineralen ist die Bildung komplexer Biomoleküle auch an eine Energieversorgung infolge der Reduktion von Eisen in Mineralen wie dem Pyrit (FeS2) mit elementarem Wasserstoff gebunden (FeS2 + H2 → FeS + H2S). Es entsteht genügend Energie für eine präbiotische Ammoniaksynthese aus den Elementen und auch für die Synthesereaktion bis zur Polymerisation. Die positiv geladenen Oberflächen der Pyrite und anderer Eisen-Schwefel-Minerale können auch die entstandenen negativ geladenen Biomoleküle wie organische Säuren und Thiolate binden, konzentrieren und führen so zu weiteren Reaktionen zwischen diesen Substanzen. Nach dieser Theorie, die keine Energie von außen, also keine UV-Strahlung bzw. keine elektrischen Entladungen benötigt, lassen sich viele der heute bekannten Synthesereaktionen nachvollziehen – bis hin zu den Wirkungen von Enzymen mit aktiven Eisen-Schwefel-Zentren. Da in etlichen Meteoriten auch einfach organische Moleküle nachgewiesen wurden (wie Aminosäuren), so wird auch die Entstehung und Herkunft von Biomolekülen aus dem Weltall diskutiert. Die bereits erwähnte Panspermie-Hypothese vertritt sogar die Meinung, die Erde sei mit niederen, bakterienähnlichen Lebensformen aus dem Weltall »angeimpft« worden.

Die chemischen Theorien der Evolution beschäftigen sich über die angesprochenen Synthesemöglichkeiten hinaus auch mit der Bildung von Zellvorläufern. So konnte schon Oparin zeigen, dass abgegrenzte Räume mit einem einfachen Stoffwechsel prinzipiell durch Selbstorganisation entstehen können, wenn Katalysatoren mit spezifischen Eigenschaften vorhanden sind. Als Beispiel kann die Bildung kleiner Tröpfchen aus kolloidalen Lösung von Biomakromolekülen durch den Zusatz von Salz genannt werden. Im Experiment konnte gezeigt werden, dass Tröpfchen aus Histon und Gummi arabicum zusammen mit dem Enzym Phosphorylase aus der Umgebung Glucose-1-phosphat aufnehmen und daraus Stärke synthetisieren und speichern.

Alle chemischen Ansätze einer Evolution führen zu dem Ergebnis, dass sich nur eine Form von Leben, nämlich diejenige auf der Grundlage von Nucleinsäuren (RNA und DNA), durchgesetzt hat. In allen bekannten Lebensformen finden wir die gleichen Bausteine für zwei lebenstypische Makromoleküle: Nucleinsäuren und Proteine, fünf Nucleotide und 20 Aminosäuren, und den universell gültigen genetischen Code. Die RNA-Welt-Hypothese, die auf das Miller-Urey-Experiment aufbaut, wurde erstmals 1967 von Carl Woese (Jg. 1928, US-amerikanischer Mikro- und Evolutionsbiologe) vorgeschlagen. Sie geht davon aus, dass die Entstehung von Ribonucleinsäuren als universellen Bausteinen sowohl zur Informationsspeicherung als auch zur Katalyse chemischer Reaktionen die Grundlage für die heutigen Formen des Lebens bildete. Sie wird auch als Bindeglied zwischen der chemischer Evolution, der Entstehung organischer Moleküle aus anorganischen Verbindungen, und der Bildung erster zellulärer Lebensformen verstanden. Nach neuesten Ergebnissen können Nucleinbasen (s. auch Abschnitt 4.3) aus Cyanwasserstoff, Acetylen und Wasser entstehen, Zucker aus Methanal und der zur Stabilisierung erforderliche Phosphor kann aus einem seltenen Mineral, dem Schreibersit (Fe,Ni)3P (Vorkommen in Eisenmeteoriten), stammen. Im Frühjahr 2009 führten John Sutherland und seine Mitarbeiter von der University of Manchester aufbauend auf diesem Ansatz ihre Experimente durch und erhielten ein Fragment eines Zuckers, das an ein Stück einer Nucleinbase gebunden ist – das 2-Aminooxazol (s. Spektrum der Wissenschaft, Dossier 3/10, S. 6–13). Trotz aller dieser erfolgreichen Experimente existiert bis heute noch kein einheitliches Bild einer chemischen Evolution bzw. präbiotischen Chemie. Zur Entstehung von Proteinen einerseits (Miller-Urey-Experiment) und Nucleinsäuren andererseits (RNA-Welt-Hypothese) werden Alternativhypothesen diskutiert, die Peptid-Nucleinsäuren, Threose-Nucleinsäuren und Glycerol-Nucleinsäuren einschließen – als mögliche und einfachere Vorgänger der RNA. Für Peptid-Nucleinsäuren konnte bereits nachgewiesen werden, dass sie sich selbst replizieren und somit als Vorlage der RNA gewirkt haben könnten. Auch eine Entstehung von Peptid-Nucleinsäuren aus der beschriebenen Ursuppe ist möglich. Schließlich wird auch die Herkunft solcher Moleküle aus dem Weltall diskutiert.

1.2 Vom Vitalismus zur Biochemie

1.2.1 Aus der Geschichte des Vitalismus

Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts bestimmten die Theorien des Vitalismus auch die Denkweise der experimentierenden Wissenschaftler. Sie glaubten, dass die Zellen eine geheimnisvolle Lebenskraft enthalten, die alle Lebensvorgänge bestimmen und steuern würden. Diese Lebenskraft sei ein eigenständiges Prinzip, die Grundlage alles Lebendigen und somit der wesentliche Unterschied zwischen Organischem und Anorganischem. Eine Erklärung des Lebendigen ausschließlich aufgrund chemischer und physikalischer Grundprinzipien lehnt der Vitalismus (im Unterschied zum Mechanismus bzw. Materialismus) ab.

Als Vorläufer des Vitalismus gilt der griechische Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) Er ging davon aus, dass das Lebendige durch ein Lebensprinzip ermöglicht wird, welches er Entelechie nannte. Die Philosophie versteht heute unter Entelechie ein innewohnendes Formprinzip, das u. a. den Organismus zur Selbstentwicklung bringt, oder – allgemeiner – die Selbstverwirklichung der in einem Seienden angelegten Möglichkeiten, wobei die immanente Zielbestimmung der Entwicklung hervorgehoben wird.

Die vitalistische Betrachtung der Lebensvorgänge steht somit im Gegensatz zu der mechanistischen Betrachtungsweise, die unter den griechischen Philosophen schon Demokrit (um 460 bis um 376 v. Chr.) vertrat. Er wollte das Weltganze aus dem Zusammenspiel der von ihm definierten Atome erklären.

Als bedeutende Vertreter des Vitalismus gelten allgemein Jan Baptist van Helmont, Georg Ernst Stahl, Albrecht von Haller und Johann Friedrich Blumenbach.

Jan Baptist van Helmont (1577–1644), als Sohn adeliger Eltern in Brüssel geboren, ist in die Chemiegeschichte vor allem als selbstständig beobachtender Chemiker eingegangen, der u.a. das Kohlenstoffdioxid als »Gas sylvestris« aus Kalkstein durch die Einwirkung von Säuren und als Produkt der Gärung herstellte (um 1640). Van Helmont studierte in Löwen, erhielt 1599 die medizinische Doktorwürde und betrieb auch in Vilvorde zeitweise eine Arztpraxis. Er war Anhänger des Paracelsus und wurde von der spanischen Inquisition, da er die Heilkraft der Religion leugnete, ab 1634 unter Hausarrest gestellt. Erst seine Witwe konnte 1646 seine Rehabilitierung erwirken. Berühmt wurde er auch durch zwei biologische Experimente. Er grub einen fünf Pfund schweren Weidenschössling aus; nachdem er die Erde von den Wurzeln entfernt hatte, wog er den Schössling und pflanzte ihn in einen Topf voll ebenfalls abgewogener Erde. Der Baum wurde regelmäßig mit Wasser gegossen. Nach fünf Jahren zog van Helmont die Weide aus dem Topf und stellte fest, dass ihr Gewicht auf über 169 Pfund gestiegen, von der Erde aber nur wenig verloren gegangen war. Daraus schloss er nach dem damaligen Wissensstand, 164 Pfund Holz, Rinde und Wurzeln seien allein aus Wasser entstanden. Die Rolle des von ihm entdeckten Gases Kohlenstoffdioxid konnte er noch nicht erkennen. Zugleich war Helmont auch Anhänger der Abiogenese (Urzeugung), der spontanen Entstehung von Leben aus unbelebter Materie (erst 1862 durch Louis Pasteur widerlegt – s. Abschnitt 1.1.2). In seinen theoretisch-philosophischen Ansichten vertrat Helmont die Meinung, dass Materie und Seele nicht zu trennen seien. Sowohl seine als auch Paracelsus’ Ansichten werden als nicht-mechanistisch, vitalistisch und beinahe antirational bezeichnet – im Gegensatz zu seinen analytischen Untersuchungen über Gase und zu seinen Messungen.

Er stand damit auch im Gegensatz zu seinem französischen Zeitgenossen René Descartes (1596–1650), der das Leben als einen mechanistischen, von der menschlichen Seele getrennten Prozess ansah. Der Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler Descartes (latinisiert Renatus Cartesius) war Schüler der Jesuitenschule in La Flèche, studierte Jura, Literatur, Mathematik und Philosophie in Paris und Poitiers, wurde unter Tilly Offizier im Dreißigjährigen Krieg, lebte ab 1629 in den Niederlanden und folgte 1649 einem Ruf der Königin Christine als Lehrer des Königshauses nach Stockholm, wo er schon wenige Monate später starb. Er gilt als Begründer einer neuen Philosophie, war ein hervorragender Mathematiker und beschäftigte sich intensiv mit Astronomie,Meteorologie, Optik, Chemie und Medizin. In seiner mechanistischen Deutung der Lebensvorgänge sah er den menschlichen Körper als eine Maschine, die von der Seele über die Hypophyse (s. Abschnitt 4.4) gesteuert wird.

Georg Ernst Stahl (1660–1734) studierte Medizin in Jena (Promotion 1694), war ab 1687 Leibarzt des Herzogs von Sachsen-Weimar und wurde 1694 Professor für Medizin an der neu gegründeten Universität Halle. 1716 wurde er Leibarzt des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. und auch Präsident des Berliner Collegium Medicum. Stahl entwickelte die Phlogistontheorie, nach der bei der Verbrennung, bei der Verkalkung, der Verwesung und Gärung ein in den jeweiligen Stoffen (wie Kohle) enthaltener Bestandteil, das Phlogiston, entweicht. Mit dieser Theorie konnten später – nach der Entdeckung des Sauerstoffs – alle als Oxidation und Reduktion erkannten chemischen Reaktionen in einem einheitlichen System zusammengefasst werden. In die Medizingeschichte ist Stahl als Vertreter des Vitalismus durch sein Werk »Theoria medica vera« (1708) eingegangen, in dem er ein animistisches System schuf, in welchem die Seele zum eigentlichen Träger aller Lebensvorgänge erklärt wurde.

Albrecht von Haller