Die Chroniken von Avantia (Band 1) - Der Kampf des Phönix - Adam Blade - E-Book

Die Chroniken von Avantia (Band 1) - Der Kampf des Phönix E-Book

Adam Blade

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Beschreibung

Ein actiongeladenes Abenteuer in der Welt von Beast Quest. Das perfekte Fantasy-Kinderbuch für Jungs ab 10 Jahren mit mehr Biestern, schwierigen Missionen und spannenden Abenteuern! In Avantia tobt ein erbitterter Krieg. Der dunkle Krieger Derthsin versucht, alle Biester in seine Gewalt zu bringen. Doch dazu braucht er die Maske des Todes. Seine gnadenlose Suche beginnt – eine Suche, die alles Lebendige tötet. Sam muss mit ansehen, wie Derthsin und dessen grausame Krieger sein Dorf zerstören. Doch Sam darf den Mut nicht verlieren, denn er ist der Auserwählte Reiter von Firepos, dem Phönix. Und die beiden haben den Auftrag, Avantia vor dem Bösen zu retten. Zwar sind sie auf dieser gefährlichen und blutigen Mission bald nicht mehr allein, aber ihr Kampf hat gerade erst begonnen …

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Mein besonderer Dank gilt Cherith Baldry  

Prolog

Tief im Bauch des Vulkans ramme ich meine Krallen in den glühenden Stein. Ich spüre das kochende Feuermeer unter mir, ich spüre die aufsteigende Hitze. Hier wurde ich geboren.

Bald wird der Morgen grauen. Bald werden Ereignisse ihren Lauf nehmen, die sich seit langer Zeit angekündigt haben.

Ich stoße mich ab. Mit weiten, kräftigen Flügelschlägen arbeite ich mich nach oben, getragen von Wirbeln aus brennender Luft, bis ich in einer Flammenexplosion aus dem Krater schieße. Bis ich in der kühlen Nachtluft schwebe, den Wind in den Federn genieße und den Blick über meine Heimat schweifen lasse: Avantia.

Dort draußen wartet meine Bestimmung, mein Auserwählter Reiter. Endlich ist es an der Zeit, ihn zu suchen.

Ich öffne den Schnabel und stoße einen Schrei aus, einen Schrei, der aus den Tälern und Wäldern widerhallt – einen Ruf nach meinen treuen Freunden. Es ist viele Monde her, dass wir uns gesehen haben. Dann lande ich auf dem Rand des Kraters. Nun kann ich nur noch warten.

In der Ferne, in großer Höhe, entdecke ich eine winzige Gestalt. Rasend schnell bewegt sie sich über den Himmel, der sich allmählich aufhellt. Erregung ergreift mich. Die Gestalt wird größer, deutlicher und verdichtet sich zu einem … grauen Wolf. Zu einem grauen Wolf, der direkt auf mich hinabschießt. Erst im letzten Moment öffnet er die ledernen Schwingen und landet behutsam auf allen vieren. Einige Meter entfernt streift er rastlos auf dem Kraterrand hin und her. Ich nicke ihm zu. Gulko ist gekommen.

Da zerreißt ein gespenstisches Jaulen die Stille. Aus den Schatten, die sich am Fuß des Vulkans sammeln, tritt eine riesige Raubkatze, eine Art Puma. Flink und geschmeidig springt sie über einzelne Felsbrocken bis zum Gipfel. Funken fliegen, als ihre Klauen über den nackten Stein kratzen. Das Feuer des Vulkans lässt ihr goldenes Fell glänzen und ihre bernsteinfarbenen Augen blitzen – Neras großer Auftritt. Ich kenne sie seit frühesten Zeiten und ich freue mich, meine alte Freundin wiederzusehen. Ich bin froh, dass sie uns bei der kommenden Aufgabe zur Seite stehen wird. Wir werden ihren unerschütterlichen Mut bitter nötig haben.

Ein durchdringendes Zischen und Peitschen ertönt von der gegenüberliegenden Seite des Kraters. Als ich mich umdrehe, sehe ich, wie sich Snakor aus einer großen Felsspalte hervorwindet. Die gespaltene Zunge der Riesenschlange zischelt durch die Luft, schmeckt den Wind. Langsam gleitet sie auf uns zu. Die Flammen der brodelnden Lava spiegeln sich auf ihrer schuppigen Haut, darunter treten deutlich die kraftvollen Muskeln hervor. Verwirbelte Farben leuchten auf ihren Flanken, wie eine schimmernde Ölschicht im Wasser. Nun senkt sie den breiten, flachen, mit Dornen bewehrten Kopf zum Gruß. Ihre schwarzen Augen verschlucken alles Licht, selbst das Licht der Sterne und des Vulkans. Snakor wickelt ihren schillernden Leib um einen Findling und reckt den Kopf aufmerksam in die Höhe. Sie wartet.

Meine Federn erstrahlen noch heller. Der heutige Tag wird auf ewig in Erinnerung bleiben, denn heute haben wir uns wieder versammelt, zum ersten Mal seit langer Zeit. Als ich die Flügel ausbreite, nähern sich die anderen Biester. Sie senken den Kopf, sie lauschen meinen Worten. Die Luft knistert vor Spannung, als würde gleich ein Sturm losbrechen.

Es ist an der Zeit, sage ich ihnen. Derthsin, unser alter Feind, bringt Unheil über das Königreich. Ein Krieg braut sich zusammen. Es wird ein furchtbarer und brutaler Krieg werden. Wir müssen unsere Auserwählten Reiter finden.

Gulko wirft den Kopf nach hinten und entfesselt ein Heulen, das von den Hängen des Vulkans widerhallt. Nera stimmt mit einem donnernden Knurren ein, das den Stein unter meinen Füßen bröckeln und krachen lässt. Snakor zischt und zieht den Körper um den Findling enger zusammen, bis der Fels unter dem Druck zersplittert. Und auch aus meinem Hals bricht ein Schrei hervor, ein frohlockendes Krächzen aus der Tiefe meiner Kehle.

Nun stößt sich Gulko ab. Ich kann nur noch zusehen, wie er mit wild schlagenden Flügeln verschwindet. In großen Sätzen springt Nera den steinigen Hang hinab, bald wird sie von den Schatten verschluckt. Snakor streckt sich, bis sein glitzernder Körper in seiner gesamten Länge vor mir liegt, verabschiedet sich mit einer angedeuteten Verbeugung und gleitet in eine Felsspalte.

Ich wünsche euch viel Glück, meine Freunde. Meine Gedanken begleiten euch.

Zuletzt breite ich die Flügel aus. Einen Moment lang genieße ich das Gefühl ihrer Kraft. Dann hebe ich ab.

Mein Name ist Firepos und mein Auserwählter Reiter erwartet mich …

Ich fliege. Das Land rast unter mir hinweg wie ein verwischter Flickenteppich aus hellen Äckern und dunklen Wäldern.

Noch ist es nicht hell.

Die Welt wirkt ruhig und friedlich …

Bis ich einen scharfen Geruch bemerke: Rauch. Aber nicht nur Rauch. Vor Schreck erglühen meine Federn. Weiter vorne entdecke ich ein orangefarbenes Flackern. Feuer!

Ich schieße im Sturzflug hinab und gleite über den Wald, meine Klauen streichen über die Wipfel der höchsten Bäume. Vor mir liegen Weizenfelder – Weizenfelder, die von gierig lodernden Flammen verschlungen werden. Und reetgedeckte Hütten, von denen schwarze Rauchschwaden aufsteigen. Ein Angriff auf das Dorf Forton!

Schreie dringen aus dem brodelnden Inferno: Soldaten stürmen das Dorf und treiben die Bewohner vor sich her. Ihre Rüstungen tragen Spuren zahlreicher Kämpfe, die Spitzen ihrer Speere und Schwerter blitzen. Ich sehe, wie einige Dorfbewohner stehen bleiben, um sich den Eindringlingen zu stellen. Doch gegen diese Armee wirken sie völlig schutzlos.

Tief in mir regen sich meine Sinne. Irgendwo hier muss er sein. Mein Auserwählter Reiter!

Ich hätte früher kommen sollen. Was, wenn es schon zu spät ist?

Jetzt galoppiert ein Schlachtross die Hauptstraße hinunter. Schweiß rinnt über seine Flanken und auf seinem Rücken reitet ein riesenhafter Krieger. Sein gesamter Körper wird von einer eng anliegenden schwarzen Rüstung geschützt, von der scharfe Stacheln abstehen. Sein Gesicht verbirgt sich hinter einer ledernen Maske, einer unförmigen, grässlichen Maske. Bei ihrem Anblick kribbeln meine Federn.

Ich kenne diese Maske.

Aus den schlaffen Wangen ragen lange Dornen, zwei Reihen spitzer Zähne ziehen sich über die klaffenden Kiefer. Von den Schläfen winden sich korkenzieherförmige Hörner in die Luft, die sich am Ende zu heimtückischen Widerhaken verjüngen, wie man sie beim Angeln verwendet.

Es ist das Gesicht eines Dunklen Biests, einer Kreatur namens Anoret, die fast nur noch in Sagen und Legenden existiert. In alten Zeiten soll sie das Land terrorisiert haben. Ihre Maske trägt grenzenlose Macht in sich.

Das Gesicht Anorets. Oder wie es von der Bevölkerung Avantias genannt wird: Die Maske des Todes.

Und der dunkle Reiter, der sie trägt, muss Derthsin sein!

Blind vor Wut winkle ich die Flügel an, stoße einen schrillen Schrei aus und rase auf ihn zu.

Derthsin fährt im Sattel herum. Er hat mich entdeckt. Ich lasse Flammen in meine Klauen strömen, bis ein Feuerball entsteht, der immer weiter wächst, sich immer weiter aufheizt. Von meinem Feind wird bald nur noch ein Haufen schwelender Asche übrig sein.

Hinter den Löchern in der fratzenhaften Maske glitzern Derthsins Augen. Er scheint mir zuzuwinken – eine lässige, wegwerfende Bewegung.

Plötzlich fühle ich mich, als wäre ich ins Auge eines Hurrikans geraten. Eine unsichtbare Macht kracht in mich hinein, wirft mich aus der Bahn und schon rast der Boden auf mich zu, schnell und immer schneller …

Laut kreischend knalle ich ins nächste Weizenfeld. Als der Feuerball zwischen meinen Krallen explodiert und die umliegenden Ähren versengt, hellt sich die Umgebung für eine Sekunde auf. Meine Flügel knicken ab, ich höre, wie meine Knochen knacken.

Doch hinter dem Nebel aus Schmerz und Wut begreife ich, was geschehen ist: Die Legende vom Gesicht Anorets ist wahr! Sie verleiht Macht über die Biester Avantias.

Erst jetzt ergreift mich echte Angst. Auf diesen Kampf bin ich nicht vorbereitet. Ich kann mich nicht bewegen, ich bin gelähmt. Derthsin hat mich in der Hand.

Und so muss ich hilflos zuschauen, wie ein Mann den Weg hinunterläuft, direkt auf Derthsin zu. Weil ich zwischen hohen Weizenähren liege, sieht er mich nicht. Der Mann trägt ein wollenes Wams und grob gewebte Hosen, seine Hände umklammern einen einfachen Dreschflegel – zwei Stöcke, die mit einer Kette verbunden sind. Ein kleiner Junge rennt hinter ihm her, ein kleiner Junge mit braunem Haar und tränenüberströmtem Gesicht.

Meine Sinne lodern auf. Das ist er! Das ist mein Auserwählter Reiter! Ich muss aufstehen, ich muss. Doch ich kann mich noch immer nicht bewegen.

Der Junge packt die kräftige Hand des Mannes, er will ihn aufhalten. Auf seinem Gesicht spiegelt sich blankes Entsetzen. Doch der Mann schüttelt ihn ab. „Geh, Sohn, versteck dich im Wald!“ Damit wendet er sich dem Krieger zu, der mittlerweile vom Sattel gesprungen ist und ein langes, barbarisches Schwert gezogen hat.

Mit einem verzweifelten Schrei geht der Mann zum Angriff über: Er hebt den Dreschflegel über den Kopf, stürmt auf Derthsin zu und schlägt ungeschickt nach seinem Schädel.

Derthsin tritt einfach zur Seite und lässt seinen Gegner ins Leere laufen. Ein Geräusch dringt aus der Maske, eine Art verzerrtes, höhnisches, falsches Lachen. Schnell wie eine zuschnappende Schlange hebt er das Schwert und lässt die Klinge in einem weiten Bogen auf den Mann zurasen …

Doch im letzten Moment duckt sich der Mann, richtet sich wieder auf, schwingt den Dreschflegel auf gut Glück … und trifft den Krieger mitten im Gesicht. Als ihm der Schlag die Maske herunterreißt, entfährt Derthsin ein wütendes Jaulen. Er fällt auf die Knie, sein Schwert landet auf dem Boden und der Mann tritt es schnell außer Reichweite.

Ich spüre, wie Derthsins Macht über mich schwindet. Aber noch kann ich mich nicht bewegen, noch bin ich zu schwach.

Dafür sehe ich nun sein Gesicht: dünne, blutleere Lippen, dicke Augenbrauen über tiefliegenden schwarzen Augen, eine ausgeprägte Nase. Über seine dunklen Wangen rinnt ein dünner Blutfaden. Er starrt auf den Mann. Ein weiterer Schlag mit dem Dreschflegel und er wäre tot. Derthsin wäre tot.

„Überleg dir das gut“, sagt Derthsin in ruhigem, aber gewichtigem Tonfall, während sein Blick zu dem Jungen wandert. „Soll dein Sohn wirklich mit ansehen, wie du einen Unbewaffneten tötest?“

Der Mann dreht sich um. „Verschwinde!“, ruft er meinem Auserwählten Reiter zu. „Versteck dich! Geh deine Mutter suchen!“

Gleichzeitig tastet Derthsin heimlich nach einer schlanken Schwertscheide an seinem Gürtel – und zieht einen langen Dolch.

Ich muss aufstehen, ich muss.

Zwei schnelle Schritte später steht Derthsin unmittelbar hinter ihm. Blanker Stahl blitzt im Mondlicht. Kurz darauf kracht der Dreschflegel auf die Erde.

Jetzt nähert sich jemand aus Richtung des Dorfes – eine Frau stolpert den Weg entlang. Als sie den reglosen Mann entdeckt, schreit sie voller Schmerz auf, beugt sich über ihn und bettet seinen Kopf in ihre Arme. Hinter ihr taucht ein grölender Trupp Soldaten auf.

„Schafft sie zu den anderen in den Wagen!“, befiehlt Derthsin und die Soldaten gehorchen. Sie schleifen die Frau zurück zum Dorf.

Nun widmet sich Derthsin meinem Auserwählten Reiter. Er packt ihn am Kragen, reißt ihn hoch und starrt ihm tief in die Augen. Obwohl er keine Chance hat, wehrt sich der Junge mit Händen und Füßen.

„Ich spüre die Kraft deiner Seele“, knurrt Derthsin. „Aber weißt du, wer noch stärker ist als du?“ Er hebt den Dolch, die Spitze auf die Brust des Jungen gerichtet. „Der Tod.“

Ich verdunkle mein Gefieder und schieße auf Derthsin herab.

Der Junge öffnet den Mund zu einem stummen Schrei.

Im nächsten Moment ramme ich meine Klauen in Derthsins Schultern und reiße ihn hoch in die Luft. Vor Schreck lässt er den Jungen fallen. Er brüllt vor Wut, während ich ihn immer höher trage. Er will sich aus meinem Griff herauswinden, aber ich lasse ihn nicht los. Noch nicht.

Wir fliegen über Wälder und Wiesen. Vor uns lodert die Glut meines Vulkans in der Dämmerung. Zweifellos hat Derthsin inzwischen begriffen, wohin die Reise geht. Sein Brüllen verwandelt sich in Schreie der Verzweiflung. Als wir den Krater erreicht haben, schlägt uns kochende Hitze entgegen. In der Tiefe brodelt der geschmolzene Stein.

„Dafür wirst du bezahlen!“, heult Derthsin.

Ich erwidere seine Drohung mit einem Siegeskreischen – und lasse ihn los. Seine Hand schließt sich um eine meiner Federn, doch ich rolle den Körper zur Seite, bis die Feder ausreißt. Eine einzige Feder wird seinen Sturz nicht aufhalten. Derthsins Körper dreht und wendet sich in der Luft, bis er von der Lava verschluckt wird. Und seine Schreie abrupt verstummen …

In Windeseile fliege ich zurück nach Forton. Das Dorf steht noch immer in Flammen. Die Soldaten suchen in kleinen Grüppchen nach ihrem Anführer. Dunkler Rauch wabert über die Stelle, wo der Junge neben seinem Vater kniet. Als die Rauchwolke vorüberzieht, schaut er nicht mal auf. Neben ihm liegt die Maske des Todes.

Ich lande auf dem Weg und stupse den Jungen vorsichtig mit dem Schnabel an. Sofort wirft er mir die Arme um den Hals. Instinktiv spürt er die Verbindung zwischen uns. Wird er stark genug sein?

Natürlich werde ich alles tun, um ihm zu helfen, um ihn vorzubereiten. Ich habe gar keine Wahl. Doch zuerst müssen wir unsere Wunden heilen.

Ich schicke dem Jungen einen Gedanken: Bewahre dir deine Kraft. Dein Schicksal erwartet dich. Aus der Dunkelheit muss ein Held hervorgehen.

Erstes Kapitel

In seinen Träumen wurde Sam von schwarzen unheimlichen Wolken und klirrenden Schwertern heimgesucht – bis ihn ein scharfer Schrei aus dem Schlaf riss. Er spürte, wie er aus den Tiefen der Traumwelt an die Oberfläche raste. Zitternd öffnete er die Augen. Erst jetzt begriff er, wer geschrien hatte: er selbst. Mondlicht sickerte durchs Fenster. Müde setzte er sich auf und rieb sich das Gesicht. Der bedrohliche, tödliche Traum spukte noch immer durch seine Gedanken.

Sam seufzte, warf die Decke beiseite und krabbelte aus dem Bett. Als seine Füße den kalten Boden berührten, zuckte er zusammen. Er strich sich das lange Haar aus den Augen und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser aus einem eisernen Becken. Endlich war er richtig wach. Er streifte sich ein grobes Hemd über und steckte die Füße in seine abgeschabten Stiefel.

Im Norden, wo Harron lag, leuchtete es – ein fahles orangefarbenes Leuchten. Vielleicht ein großes Lagerfeuer? Mit gerunzelter Stirn betrachtete Sam sein Spiegelbild in der schmutzigen Fensterscheibe. Sein blasses Gesicht wurde von langem braunem Haar eingerahmt. Die dunklen Augen über den hohen Wangenknochen verrieten, dass er eine unruhige Nacht hinter sich hatte.

Ich komme noch zu spät zur Arbeit. Sam schüttelte den Kopf. Keine Zeit mehr fürs Frühstück. Als er am Zimmer seiner Großmutter vorbeischlich und ihr leises Schnarchen hörte, musste er lächeln. Nachdem er die Vordertür so geräuschlos wie möglich geöffnet hatte, trat er hinaus in den kalten Morgen. Seine ersten, tiefen Atemzüge dampften in der Luft, die nach der frischen Minze in Omas Kräutergarten roch. Aber was war da geschehen? Irgendwer hatte die Pflanzen zertreten, jemand sehr Großes, und manche Blätter waren am Rand angesengt. „Da wird Großmutter nicht gerade begeistert sein“, murmelte Sam in sich hinein und grinste. Denn er konnte sich schon zu gut denken, wer den Schaden angerichtet hatte.

Aber nun musste er schleunigst zur Arbeit, zur Bäckerei in Forton. Sein Weg führte ihn hinter einer Reihe reetgedeckter Häuschen entlang. Nicht weit von hier, in der Nähe des Waldes, war sein Vater getötet und seine Mutter entführt worden. Sam konnte kaum glauben, dass seitdem schon acht Jahre vergangen waren. Er erinnerte sich noch daran, als wäre es gestern gewesen: das Gesicht seines sterbenden Vaters und die verzweifelten Schreie seiner Mutter, als sie von den Soldaten verschleppt wurde.

Er schüttelte den Kopf. Keine Zeit für Grübeleien.

Brennende Hitze schwappte über Sams Körper, beißender Dampf drang ihm in die Nase. Das Hemd hatte er längst ausgezogen und trotzdem rann ihm der Schweiß den Rücken hinunter. Obwohl er noch wuchs, war er bereits drahtig und geschickt. Auf den ersten Blick wirkte er nicht besonders kräftig, aber das täuschte.