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In der DAMENGANG finden sich vier Frauen zusammen, um durch Diebstahl und Hehlerei die eigenen Finanzen aufzubessern. Das Leben, meinen sie, kann angenehm sein, wenn man genügend Geld hat und von den Dingen, die einem gefallen, nicht nur träumen muss. Doch schon bald genügt ihnen die bescheidene Beute nicht mehr, und sie rüsten zum großen Coup. Kielstein, eigentlich mit Mordsachen befasst, bekommt den Fall aufgehalst. Zunächst fühlt er sich unter-, später aber überfordert. Als der Fall in einem Totschlag mündet, hat er den Ernst der Sache längst begriffen, aber nicht mit den Überraschungen gerechnet, die ihn am Ende erwarten. DIE DAMENGANG ist frei nach einem Fall gestaltet, der sich in den achtziger Jahren in Berlin zutrug. LESEPROBE: Manja birst fast vor innerer Wut, aber sie kann nichts machen, sie fühlt sich an Händen und Füßen gebunden, Ihr Mann, dieser Jämmerling, dieser Säufer ohne Gefühl und Verstand, hat sie in der Hand, er erpresst sie mit einer Abgefeimtheit, wie sie nur ein Schwächling kennt, der seine letzte Chance wittert. Natürlich hat er es nicht bei dem ersten Zwanziger belassen, vielleicht wollte er das anfangs, bildete sich selber ein, Maß halten zu können, aber die Gier nach dem Alkohol warf seinen Vorsatz über den Haufen. Er weiß um ihre stillen Reserven, die Haushalt- und Urlaubskasse, ahnt wenigstens, dass so etwas existiert, verlangt in letzter Zeit sogar, dass sie ihren Schmuck verkauft. Ihm macht es nichts aus, dass er sie damit bis zum äußersten reizt. "Jahrelang hattest du mich am Gängelband", erklärt er, jetzt läuft's andersrum." Ewig kann das nicht so weitergehen, zumal die Frauen auf ihren vollen Anteil am Verkauf der Ware drängen. Sie hat mit Inge über ihre Lage zu sprechen versucht, es dann aber bei Andeutungen belassen: Sie scheut sich zuzugeben, dass sie erpresst wird. Wer weiß, wie Jeffi auf ein solches Geständnis reagiert. Andererseits wird sie kaum ohne die Hilfe der beiden auskommen. Eine gemeinsame Abreibung für ihren Mann, eine, die sich ihm ein für allemal einprägt, scheint ihr die einzige Lösung. Damals, nach dem Streit, hat sie die Ware gleich aus dem Haus geschafft. Den größten Teil verscherbelt, so schnell es ging, den Rest auf ihrer Arbeitsstelle in den Spind geschlossen. Inge und Jeffi allerdings hat sie bisher nur halb auszahlen können. Nun werden sie langsam ungeduldig, das ist kein Wunder.
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Seitenzahl: 162
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Klaus Möckel
Die Damengang
Kriminalroman
ISBN 978-3-86394-673-9 (E-Book)
Das Buch erschien erstmals 1984 in der DIE-Reihe (Delikte, Indizien, Ermittlungen) beim Verlag Das Neue Berlin.
Die kriminellen Sprüche wurden dem Buch "Wer zu Mörders essen geht..." von Klaus Möckel, erschienen 1993 bei Frieling & Partner GmbH Berlin, entnommen.
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
© 2012 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
Josefine Lattebeck genannt Jeffi: attraktive Dekorateurin, die ihren Beruf für raffinierte, üble Unternehmungen nutzt
Inge Kalz: ihre Freundin, männerfeindlich wie sie und fast ebenso abgebrüht
Antje: sucht als Jüngste der Gruppe das Abenteuer und findet das Verbrechen
Manja Lebholz: Hehlerin, sich immer tiefer in Schuld verstrickend
Ronald: ihr trunksüchtiger, im steten Streit mit ihr liegender Mann
Leutnant Kielstein: diesmal kleinen Ladendieben auf der Spur, die sich als höchst gefährlich entpuppen
Der dunkelgrüne Wartburg biegt von der Hauptstraße ab, die im bläulichen Schimmer der Neonlampen friedlichen Träumen nachzuhängen scheint, und taucht in eine Schattenzone ein. Kleine, meist alte Häuser, dann Gärten und schließlich Baugelände, durch Bretterzäune abgesperrt. Jetzt die Scheinwerfer aus und Gas weg", verlangt eine gepresste Stimme, "wir halten am besten dort vorn bei den Büschen."
Sofort gehn die Lichter aus, und der Wagen pirscht sich im zweiten Gang auf einem Sandweg voller Schlaglöcher an die bezeichnete Stelle heran. Die Dunkelheit umschließt das Fahrzeug wie eine Faust, öffnet sich nur für Bruchteile von Sekunden, wenn am Himmel die Wolkendecke zerreißt und ein blässlicher Halbmond sichtbar wird.
"Stopp, hier ist's richtig." Die Stimme von eben lässt sich erneut vernehmen.
Der Wagen hält, und die hinteren Türen gehen auf. Zwei Gestalten in Mänteln und mit über den Kopf gestülpten Kapuzen, die eine dicklich, untersetzt, die andere etwas größer und schlank, springen ins Freie. Eine dritte Person, durch die Scheibe kaum auszumachen, bleibt hinterm Lenkrad sitzen. Die Gestalten in den Kapuzenmänteln tragen Stoffhandschuhe, die größere von ihnen hat eine Art Leinensack unterm Arm. Die kleinere hat eine Umhängetasche bei sich und einen kurzen Eisenstab, einen Automontierhebel, am Ende stark abgeflacht.
"Vielleicht dort durch." Diesmal macht sich im Flüsterton die zweite Person bemerkbar, die mit dem Montierhebel. Sie ist schon am Zaun, der mehrere, nur provisorisch mit Stacheldraht geflickte Lücken aufweist. Ein leises Knacken, ein Brett wird mitsamt dem Draht zur Seite gedrückt. Danach ein zweites. Ohne Schwierigkeiten schlüpfen die beiden durch den Spalt.
Das Baugelände ist von Erdhaufen übersät. Steine liegen herum, ein Kran ragt auf, stumm, mit gespenstischem Arm. Die Gestalten laufen über harten, durch eine lange regenlose Periode ausgetrockneten Boden. Nach etwa hundert Metern stoßen sie auf eine halbhohe Mauer.
"Vorsicht jetzt, im Haus oben die Leute...", ertönt wieder die erste Stimme.
"Alles finster, die pennen."
Die Mauer ist kein Hindernis, der Hof ebenso wenig, die Dunkelheit macht die Sache zum Kinderspiel. Etwas schwieriger wird es, als die beiden an der Hinterfront eines Gebäudes angelangt sind, an einer Kellertür, zu der drei Stufen hinunterführen. Sie ist verschlossen und aus derbem Holz. Aber damit haben die Einbrecher gerechnet.
"Das Schloss taugt nichts, ich hab' mir's angeschaut." Die kleinere Person nickt. Sie setzt den Montierhebel an, drückt erst vorsichtig, dann stärker. Mit einem mäßigen Knall springt die Tür auf.
Die beiden Gestalten schieben sich in die Türnische, verharren einige Sekunden, doch im Haus bleibt alles still.
"Los, weiter", sagt leise und bestimmt die größere.
Sie holt eine Taschenlampe aus dem Leinenbeutel, der Strahl leuchtet tastend einen Kellergang aus. Eine Treppe führt nach oben, die Tür zum Hausflur ist nur angelehnt. Schwacher Geruch von Schokolade und Bohnenkaffee steigt in die Nase.
"Riechst du was?"
"Na und ob."
"Die Wohlgerüche Brasiliens", flüstert die größere Person und wendet sich zielgerichtet einer blechverkleideten Tür zu.
Diesmal hätte der Montierhebel bestimmt einen härteren Kampf bestehen müssen, doch er wird nicht gebraucht. Die Person mit dem Leinenbeutel holt einfach einen Schlüssel aus der Manteltasche und steckt ihn ins Schloss. Zwar sperrt sich die Verriegelung, will nicht gleich nachgeben, doch dann schnappt sie zurück. Einmal, zweimal, das letzte Hindernis ist überwunden.
Sie sind drin, die kleinere Gestalt zieht die Tür hinter sich zu. Der Strahl der Taschenlampe geistert durch einen nahezu quadratischen Raum mit einem Tisch, Stühlen, zwei Schränken, "Ob da was zu holen ist?" Der Lichtkegel verharrt bei einem der Schränke.
"Hier können wir Licht machen, müssen nur die Tür zum Laden geschlossen halten." Die größere Gestalt betätigt einen Schalter.
Der plötzliche grelle Schein blendet, die beiden kneifen die Augen zusammen. Doch sie haben keine Zeit zu verlieren. Der Montierhebel wird erneut angesetzt Mit einem Knarren geht die Schranktür auf.
"Scheiße, bloß Papierzeug."
"Vielleicht in dem andern."
Diesmal splittert Holz, in der nächtlichen Stille ein lautes Geräusch.
"Sei doch vorsichtig, du weckst die Leute auf."
"Ohne ein bisschen Krach geht's nicht."
Im zweiten Schrank befindet sich eine Kassette. Verschlossen und ziemlich schwer. Die Gestalt mit dem Montierhebel schüttelt sie, es klappert. "Da ist was drin", sagt sie.
"Gut, wir nehmen sie mit. Aber erst das andere."
Das Licht wird wieder ausgeschaltet, die größere der beiden Personen öffnet eine Tür. Jetzt aufpassen, man kann uns durchs Schaufenster sehn."
"Sollten wir nicht lieber in den Lagerraum..."
"Hat keinen Sinn, der ist doppelt verrammelt."
Der Laden, in dem sie nun stehen, ist niedrig und lang gestreckt. Der schwere süßliche Geruch drängt sich hier stärker auf, verführerischer, denn die Regale sind gut bestückt: Schokoladen- und Zuckererzeugnisse, Gebäck, aber auch Tee, Kaffee. Die beiden Gestalten haben ihre Kapuzen tiefer in die Stirn gezogen, sie huschen gebückt dahin und knipsen die Taschenlampe nicht an. Zwar ist es auf der Straße vor dem Fenster ruhig, doch ab und an fährt ein Auto vorbei, sind die Schritte eines Fußgängers zu hören.
Die untersetzte Person hat den Montierhebel im kleineren Raum zurückgelassen, sie räumt hastig Pralinenpackungen, Schokoladentafeln und Kaffeepäckchen in die große Umhängetasche. Die andere Gestalt füllt den Leinenbeutel. Sie nehmen vor allem die teuren Artikel, soweit sich das in der Düsternis ausmachen lässt. In der Nähe des Fensters steht auch Schnaps: Wodka, Weinbrand und einige Sorten Likör. Die mit der Tasche kann es sich nicht verkneifen, nach vorn zu huschen und ein paar Flaschen zu greifen.
"Nicht so schweres Zeug, das können wir dann nicht schleppen."
"Wir haben doch jeder zwei Hände."
"Und die Kassette?"
"Die kriegen wir schon mit."
Auf der Straße nähern sich Schritte und Gelächter, ein Pärchen, offenbar in gehobener Stimmung, bleibt vor dem Geschäft stehen. Die Kapuzengestalten verschwinden blitzschnell hinter einem Ladentisch. Aber vielleicht hat der junge Mann draußen doch einen Schatten bemerkt. Er presst das Gesicht gegen die Scheibe: "Ist da jemand?"
Die Worte sind im Laden nicht zu verstehen, wohl aber zu erraten.
"Diebe", kichert seine Freundin.
"Sei nicht so albern, wär' doch möglich."
"Hilfe, Einbrecher", ruft spöttisch das Mädchen.
Die kleinere Gestalt flüstert: "Los, wir haun ab."
"Bleib!"
"Das kann brenzlig werden."
"Still doch, keine Panik."
Der junge Mann versucht die Dunkelheit mit seinem Blick zu durchdringen, er ist hartnäckig. Aber das Mädchen zieht ihn weg: "Komm jetzt, lass den Quatsch."
Schließlich entfernen sie sich, miteinander streitend. Die beiden im Laden bleiben noch einen Augenblick hocken, ehe sie sich aufrichten. "Das war knapp", sagt die kleinere Person, "jetzt aber fort."
Sie verlassen den Laden, im Raum dahinter fühlen sie sich wieder sicherer. Die kleinere Gestalt klemmt die Kassette unter den rechten Arm und nimmt die Tasche, in der auch der Montierhebel steckt, über die Schulter. Die andere Person trägt Lampe und Leinenbeutel. Doch bevor sie gehen, setzt sie den Beutel noch mal ab. "Beinahe hätt' ich's vergessen."
Sie greift in die Manteltasche, holt einen Lederhandschuh heraus. Einen abgetragenen braunen Männerhandschuh. Wirft ihn auf den Fußboden und lacht. Ein kurzes, unangenehmes Lachen. Dann packt sie erneut den Beutel, und vorsichtig verlassen die beiden Einbrecher den Tatort.
Die Gestalt hinterm Lenkrad wirft den Motor an und legt den ersten Gang ein. Die Diebesware ist im Kofferraum untergebracht, die beiden Einbrecher schlüpfen in den Wagen. Sie schlagen aufatmend ihre Kapuzen zurück, öffnen die Reißverschlüsse der Mäntel. "Los", sagt Jeffi, "schnell weg von hier."
Der Wagen fährt sacht an, biegt nach wenigen Metern in einen anderen Weg ein, erreicht von dort aus die Straße. Der Lichtschein einer Laterne erhellt für Augenblicke das Autoinnere, fällt auf drei junge Frauen, die noch immer angespannt in den Polstern sitzen. Antje am Steuer, in Jeanskluft und mit dunklem Bubikopf, ist fast noch ein Mädchen. Sie schaltet die Scheinwerfer ein und beschleunigt.
"Irgendwas Besonderes?", fragt Jeffi, die Größere jener beiden, die den Laden geplündert haben, und tastet hinten, auf der Ablage, nach Zigaretten.
"Nichts. Nicht mal eine Katze ist vorbeigekommen."
"Um so besser. Bei uns ging auch alles glatt."
"Bis auf das Pärchen", sagt Inge, die dritte der Frauen.
"Was für ein Pärchen?"
"Ach, das war doch nicht der Rede wert." Jeffi zündet sich eine Zigarette an, gibt die Schachtel an Inge weiter, die sich gleichfalls bedient.
Der Wagen rollt jetzt in hohem Tempo dahin. Er umfährt im Bogen die Stadt - eine halbe Stunde später wird er am entgegengesetzten Ende wieder ins Häusergewirr eintauchen.
"Ich glaube, es hat sich gelohnt", sagt Jeffi.
"Erst mal sehn, was in der Kassette ist." Inge saugt gierig den Rauch ein.
"Wenn nichts drin wäre, hätten die sie nicht so gut abgeschlossen."
"Wir hätten nach dem Schlüssel suchen sollen."
"Das fällt dir ein bisschen spät ein", sagt Jeffi, "aber es wär' auch Zeitverschwendung gewesen. Den nimmt dieser Kerl abends mit nach Hause."
Die Unterhaltung verstummt, erst einmal soll die Beute ins sichere Versteck. Fahrgeräusche, die drei Frauen ducken sich ins Dunkel des Wagens, sie hängen jede ihren Gedanken nach. Am ruhigsten wirkt Inge, die trotz gelegentlicher Nervosität die Dinge nimmt, wie sie kommen. Für sie scheint die Aktion gelaufen, weshalb sich also nicht entspannen. Antje ist da schon aufgeregter, aber sie konzentriert sich aufs Fahren. Ein Auto steuern ist ihre große Leidenschaft, das schlägt sogar jetzt durch.
Jeffi, mit kurz geschnittenem blondem Haar, elegant und von leicht herbem Gesichtsschnitt, ist von Genugtuung erfüllt. Sie stellt sich die Mienen der Verkäuferinnen vor, wenn sie morgen früh in den Laden kommen und die Bescherung entdecken. Vor allem aber das Gesicht des Geschäftsleiters, dieses eingebildeten Schnösels. Zweimal hat sie mit einer Kollegin die Schaufenster in der "Süßen Ecke" dekoriert, und immer fühlte er sich bemüßigt, ihnen ins Handwerk zu pfuschen. Fand dieses unschön und wollte jenes anders haben. Bat nicht etwa, bildete sich ein, bestimmen zu können. Spreizte sich, gab an. Kehrte den Chef heraus, den Mann, einen, wie sie ihn auf den Tod nicht ausstehen kann. Beim ersten Mal, vor Weihnachten, ließ sie's ihm durchgehen, aber als er vor ein paar Wochen erneut den Herrn im Laden spielte, nahm sie sich vor, es ihm zu zeigen. Wobei es ihr natürlich auch um die Scheine ging. Mit dem, was sie verdient, kommt sie nicht aus. Das ist seit langem ihr Problem: Sie benötigt mehr, viel mehr, als sie für ihre Arbeit erhält. Früher, zu Hause, brauchte sie sich um Geld nicht zu sorgen, Vater als angesehener Arzt verdiente gut. Dann verließ er ihre Mutter, und die Mittel wurden knapper. Die Mutter rechnete ihr jede Zigarette vor, aber zum Glück tauchte Reimar auf, der gut situierte Steinmetz. Er warb um sie, und obwohl Jeffi sich nicht übermäßig zu ihm hingezogen fühlte, heiratete sie ihn. Sie stellte schon damals finanziell ziemliche Ansprüche ans Leben, sie dachte, er würde sie erfüllen.
Das allerdings war ein Irrtum, er gaukelte ihr was vor, solange sie ihn noch nicht geehelicht hatte. Nach der Hochzeit zeigte sich, dass er recht knausrig war. Wegen jedem Rock, jedem Paar Stiefel gab es Diskussionen. Bei einer Künstlernatur wie der ihren - sie besaß ein Zeichentalent und glaubte sich zu Großem berufen - konnte das auf Dauer nicht gut gehen. Es kam zu ständigen, sich steigernden Auseinandersetzungen. Bei der Scheidung schnitt sie eigentlich nicht schlecht ab: Das Auto und einige Möbel stammten noch aus der Zeit der Ehe. Aber der Luxus, den sie liebte, zehrte schnell alles Übrige auf...
Jeffi unterbricht ihren Gedankengang, sie fahren nun durch die Randbezirke der Stadt, sind schon im so genannten Grünen Viertel. Hier sah es früher wie geleckt aus, es war das Viertel der Reichen. Mittlerweile hat sich einiges geändert, neu verputzte Villen stehen neben recht abgewirtschafteten Häusern, aber insgesamt ist die Gegend immer noch ruhig und vornehm.
Das Haus, das der grüne Wartburg ansteuert, ist zweistöckig und versteckt sich in einem großen Obstgarten. Oben wohnen die Preißners, eine solide Familie mit zwei Kindern; sie machen zurzeit irgendwo in Mecklenburg Urlaub. An der Tür zur Parterrewohnung stehen schwarz auf weißem Metallschild die Namen J. Lattebeck / I. Kalz. Josefine oder kurz Jeffi ist vor zweieinhalb Jahren mit ihrer Freundin Inge zusammengezogen. Der Tausch hierher war für beide günstig und kam nur zustande, weil das Ehepaar, das vor ihnen die Wohnung gemietet hatte, nach vollzogener Scheidung Hals über Kopf getrennte Unterkünfte suchte.
Das Haus liegt im Dunkeln, und auch ringsum ist wenig Licht. Antje hält, Inge springt aus dem Wagen, Öffnet das Gartentor und schließt es, als sie drin sind, sofort wieder. Antje stellt den Motor ab, löscht die Scheinwerfer. Jeffi steigt aus und nimmt Inge, die sich bereits am Kofferraum zu schaffen macht, die schwere Umhängetasche ab. Mit der Beute beladen, gehn sie alle drei ins Haus.
"Was wird mit der Kassette?", fragt Inge, als sie an der Wohnungstür stehen. "Ein harter Brocken ist das, mit 'nem Büchsenöffner kriegt man die nicht auf."
"Wir knacken sie im Keller", entscheidet Jeffi, "da haben wir das entsprechende Werkzeug. Aber erst bringen wir mal die Ware 'rein."
Die Wohnung ist geräumig: drei große Zimmer, Küche, Bad, Korridor und eine Besenkammer. Hohe Fenster, ein kleiner Balkon nach hinten hinaus, zum "Salon" gehörend. Jeffis Zimmer liegt links, es ist mit hellen Möbeln und einer Menge Bilder ausgestattet, die zum Teil von ihr selbst stammen. Die junge Frau hat sich vor Jahren, bevor sie notgedrungen Dekorateurin wurde, an der Kunsthochschule beworben. Sie wurde aber nicht angenommen. Dass man ihre Begabung als nicht genügend für ein Studium ansah, hat sie nie verwunden.
Inges Zimmer, etwas kleiner, befindet sich auf der rechten Seite. Sie legt weniger Wert auf gediegene Ausstattung, ist etwas schlampig und folglich für Bequemlichkeit. Der Vater, ein überkorrekter Pädagoge, hat ihr das nicht austreiben können. Inge hat sich allerlei altes Mobiliar zusammengeholt, eine breite Liege, einen Sessel mit hoher Lehne, eine Spiegelkonsole. Auf dem Nachttisch steht ein Recorder, stets liegen bei ihr Kassetten herum, Kissen, Decken, dazwischen Kleidungsstücke. Auf dem Tisch befindet sich meist eine angefangene Weinflasche, der Aschenbecher wird nie leer.
Der "Salon" bildet das Mittelstück der Wohnung, er trennt die beiden Zimmer voneinander. Jeffi und Inge haben ihn zusammen eingerichtet, denn er wird gemeinsam oder auch wechselweise von ihnen genutzt. Er zeigt die Handschrift der Dekorateurin: Die Wände sind vornehm mit Stoff bespannt, neben dem Fernseher gibt es einen Rauchtisch mit tiefen Sesseln, eine Blumenbank, zwei weiß gestrichene hohe Schränke und eine altmodische Vitrine mit ausgesuchtem Porzellan.
Im Flur eine schmiedeeiserne Garderobe und ein Schränkchen. Die drei Frauen legen die Taschen aus der Hand, hängen ihre Mäntel auf. Auch Antje, obwohl erst vor kurzem zu den beiden anderen gestoßen, kennt sich hier aus. Dann bringen sie die Beute in den "Salon", breiten alles auf dem Rauchtisch und dem Fußboden aus. Ein bunter Haufen begehrenswerter Dinge: Mokka-Fix-Beutel, Rondo- und Monapäckchen, teure Pralinen, Schokoladentafeln, Marzipanbrote, Schachteln mit Keksen der Marke "Wurzener Extra". Daneben stehen mehrere Flaschen Schnaps: Wodka, Weinbrand Edel, Eierlikör.
"Jetzt genehmigen wir uns erst mal einen." Inge ist schon dabei, eine Flasche Weinbrand zu öffnen.
"Gut, einen, aber dann ist die Kassette dran." Jeffi holt drei Gläser aus dem Schrank.
Sie trinken, dann packt Inge die Stahlkassette unter den Arm, und sie steigen hinab in den Keller. Wo sich neben Kohlen und Holz auch ein Werkzeugkasten befindet. Inge versucht es zunächst mit einem Stemmeisen, aber der Deckel gibt nicht nach. Erst als Jeffi eingreift, mit Meißel und Hammer, gelingt es, das Schloss zu sprengen.
Die drei Frauen hocken am Fußboden, drei Köpfe beugen sich über die offene Kassette. Zunächst sind nur einige Zettel zu sehen, irgendwelche Belege und Rechnungen. Erst als Jeffi den Zwischenboden herausnimmt, kommen ein paar Münzen und ein Packen Banknoten zum Vorschein.
"Das sind mindestens dreitausend Mark", sagt Antje beeindruckt
Jeffi ist eher enttäuscht. "Ich dachte, die hätten die Tageseinnahmen drin, aber das müsste viel mehr sein."
"Wir hätten uns eben die Kasse vornehmen sollen", sagt Inge.
"Quatsch. Die Kasse leeren sie abends. Außerdem stand sie direkt am Fenster."
Inge scheint nicht überzeugt, aber jetzt ist ohnehin nichts mehr zu ändern. Immerhin beziffert sich die Summe in der Kassette auf genau dreitausendvierhundertachtzehn Mark und sechsundvierzig Pfennige, wie Antje feststellt. Dazu kommen die Waren oben, die man teils selbst verbrauchen, zum größeren Teil aber verhökern wird. Mit Hilfe von Manja Lebholz, Aushilfskraft in einer Imbissstube. Sie ist eine gute Bekannte von Inge, und wenn sie anständig Prozente bekommt, absolut zuverlässig.
Jeffi packt das Geld in eine kleine Tasche, die Kassette bleibt im Keller; sie wird so bald wie möglich in einem der nahe gelegenen Waldteiche verschwinden. Dann steigen die drei Frauen wieder hinauf in die Wohnung. Die Kognakgläser werden neu gefüllt, und Inge holt den Recorder aus ihrem Zimmer. Tanzmusik. "Hauptsache, es ist alles glatt gegangen, und wir haben es ihnen gezeigt", sagt Antje.
Inge, voller Genuss den Weinbrand schlürfend, nickt, und Jeffi umfasst Antje mit dem Arm, presst sie an sich. "Wenn wir drei zusammenhalten, werden wir noch ganz andere Dinge loslassen", ruft sie mit glänzenden Augen.
"Weshalb ich? Was interessiert mich dieser schäbige Ladeneinbruch?", sagt Kielstein unzufrieden. "Ich hab' die Sache mit Zierau aufgeklärt, den Fall Henneberg gelöst", er sieht Bothe ein wenig schuldbewusst an. "Wir natürlich", fügt er ruhiger hinzu, "wir haben das gemeinsam geschafft, ich will meine Leistung ja gar nicht überbewerten."
"Wie nett, dass du mir einen Teil deines Ruhmes abtrittst."
"Du weißt genau, dass es mir nicht darum geht, der Größte zu sein. Aber ein paar Schokoladendiebe..."
"Du brauchst sie nur morgen oder übermorgen hier abzuliefern", erwidert der Hauptmann trocken, "und schon stehst du wieder für Aufträge zur Verfügung, die deinem Format angemessen sind."
"Mach dich nur über mich lustig."
"Zwei Leute Bienerts fallen aus, und da hat der Chef uns diesen Fall übertragen. Glaubst du, ich war begeistert? Wenn ich dich allerdings so höre, will mir scheinen, dass dir ein bisschen normale Arbeit zwischendurch nicht schaden kann."
Leutnant Kielstein nimmt die Akte über den Einbruch in der "Süßen Ecke" entgegen und verlässt das Zimmer seines Vorgesetzten. Was bleibt ihm anderes übrig. Doch obwohl er sich noch immer ärgert, verhält er schon auf dem Korridor den Schritt und beginnt zu blättern. "Du mit deinem Eifer bist selbst schuld", hätte Marianne, seine geschiedene Frau, gesagt. Mit ihrer spöttischen Stimme, die er noch jetzt, nach so vielen Jahren der Trennung, im Ohr hat. Na, so ist er eben, er kann nicht dagegen an.
Da sind die Aussagen des Verkaufsstellenleiters und der Verkäuferin, die am Morgen nach dem Einbruch als erste im Geschäft war. Zwei Schränke aufgebrochen, eine Kassette mit einem Teil der Einnahmen entwendet, außerdem Waren im Wert von fast zweitausend Mark gestohlen. Offenbar waren es mehrere Täter, denn einer allein konnte kaum so viel Zeug wegschleppen. Anfänger - sie haben einen Handschuh liegenlassen. Dennoch keine verwertbaren Fingerabdrücke, nur die des Ladenpersonals.
Kielstein geht in sein Zimmer, wirft sich in den altgedienten Schreibtischsessel, der aus seinem Privatbesitz stammt. Die Beine ausgestreckt, studiert er das Material. Die hintere Tür, die durch einen anderen Raum zum Laden führte, war nicht gewaltsam geöffnet worden, sondern mit dem passenden Schlüssel. Vielleicht auch mit einem Dietrich, darüber gab es nur Vermutungen. Der Leutnant schüttelt den Kopf, hatten die Leutchen dort noch nie von einem Sicherheitsschloss gehört? Jeder Bungalowbesitzer schützte sein Eigentum besser. Da schien etwas faul, aber wenn jemand vom Personal die Hand im Spiel hatte, weshalb mussten die Täter dann die Kellertür knacken? Das hätte sich gewiss anders regeln lassen. Ein kleiner Fall, doch gleich zu Anfang eine Menge Fragen.
Eine Stunde später ist Kielstein zur "Süßen Ecke" unterwegs, Nachlese halten, wie er es bei sich nennt. Am Ziel angelangt, nimmt er sich Zeit, schaut das Haus von vorn und hinten an, stolpert über das Baugelände, zum Missfallen der Arbeiter, die dort am Werk sind. Später unterhält er sich mit den Bewohnern der oberen Etage und mit zwei Verkäuferinnen, die freilich nicht den geringsten konkreten Verdacht haben, wer für den Diebstahl in Betracht kommen könnte. Jugendliche waren das", vermutet die eine, "solche aus der 'Schwalbe'" - das ist ein Lokal in der Nähe -, und die andere sagt: "Von den Stammkunden kommt niemand in Frage, die kennen wir; es muss jemand sein, der das hier extra ausgekundschaftet hat."
Der Verkaufsstellenleiter empfängt ihn wenig erfreut, er hat ein schlechtes Gewissen. Im Grunde ein selbstsicherer Typ, der gewiss etwas von Organisation versteht, druckst er bei seinen Antworten ziemlich herum. Er hat das durchaus vorhandene, aber defekte Sicherheitsschloss nicht rechtzeitig auswechseln lassen.
"Seit wann funktionierte das Schloss nicht mehr?", fragt der Leutnant, in der Hoffnung, den Kreis derer, die Bescheid wussten, einzuschränken.
"Seit... höchstens seit drei Wochen."
"Höchstens? Sie machen mir Spaß."