Die Ehe - Freiheit zu, durch und in Grenzen - Bianka Stierhof - E-Book

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Bianka Stierhof

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Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Theologie - Systematische Theologie, Note: 1,0, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Evangelische Theologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Die christliche Sicht bezüglich Liebe, Partnerschaft und Familie unterstreicht deutlich die dauerhafte Verbindung, die Menschen verantwortungsvoll gemeinsam schließen. Den Ort der Partnerschaft sieht die traditionelle Theologie in der Ehe, die als äußere Gestalt eine schützende Institution darstellt und im Inneren durch Liebe und Treue von den Partnern ausgefüllt wird. Dabei hat das „Füreinander Vorrang vor der Selbstverwirklichung des Ich“, was in kollektivistischen Sozialordnungen, in denen besonders der Schwächeren gedacht wird, eine Tugend darstellt. Ob die Krise der Ehe, von der seit Jahrzehnten die Rede ist, nun auf die Lebensform Ehe an sich im Wandel der Zeit oder auf der Krise der Institution gründet, bleibt eine zentrale Streitfrage in der Ethik. Fakt ist, dass die Ehe nicht mehr selbstverständlich ist. Warum sie jedoch wichtig und sinnvoll ist, soll in dieser Arbeit dargestellt werden. Das Skelett der Problembehandlung ist an dem Grundriss des Urteilsverlaufs angelehnt, den Heinz Eduard Tödt in seinem Werk Perspektiven theologischer Ethik dargelegt hat. Demnach gliedert sich die Urteilsfindung in sechs Schritte: Problemwahrnehmung, Situationsanalyse, Verhaltensentwurf, Auswahl und Durchsicht von Normen, Prüfung der Verbindlichkeit von Verhaltensmöglichkeiten und schließlich der Urteilsfindung, welche mit Blick auf die Schule didaktisch entfaltet wird. Die Fragestellungen drehen sich darum, was in der menschlichen Lebenspraxis gut ist und warum die Stabilität einer Partnerschaft zu einem guten Leben gehört. Schließlich sollten Verhaltensweisen als Konsequenz einer evangelischen Gesinnung herausgearbeitet werden. Wie Schleiermacher sagte: „Was muss werden, weil das religiöse Selbstbewusstsein ist?“ Da die Definition eines Problems immer nur subjektiv bestimmt werden kann, ist in den weiteren Ausführungen zu bedenken, dass die Fragestellungen und die Verhaltensoptionen in der Perspektive junger Erwachsener gestellt wurden, geprägt durch ein pluralistisches, westliches und stark von Medien beeinflusstes Weltbild.

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Inhaltsverzeichnis
Kapitel
1.2 Vorgehensweise.
1.3 Themenrahmen
2. Partnerschaft und Ehe im Wandel der Zeit
2.1 Raum-zeitlicher Horizont.
2.1.1 Ehe und Familie bei den Erzvätern.
2.1.2 Eheschließung zu Zeiten Jesu und im Urchristentum.
2.1.3 Augustinus von Hippo und Thomas von Aquin zum Ehesakrament.
2.1.4 Neue Ansichten im Zeitalter der Reformation
2.1.5 Verdrängung der Kirche als Moralinstanz seit der Aufklärung
2.2 Zukunftsperspektiven.
2.3 Problembestimmung und religionspädagogische Relevanz.
3. Kontextanalyse - Zeitgenössische Moral zwischen Zweck und Würde
3.1 Die rechtliche Dimension von Partnerschaft und Ehe.
3.2 Die Rolle und das Bild der Frau
3.3 Lebensformen und Lebensstile im Wandel.
3.4 Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zur Instabilität der Ehe.
3.5 Die „Erlebnisgesellschaft“
3.7 Lebensformen und ihre Vielfalt.
3.8 Sozialpsychologische Erkenntnisse zum Sozialverhalten.
4. Mögliche Verhaltensoptionen im Entwurf und ihre didaktische Relevanz
4.1 Menschliches Zusammenleben ist nicht beliebig
4.2 Religionsunterricht und Wertevermittlung
5.1.1 Prinzipien, Normen und Tugenden.
5.1.2 Werte und Gewissen
5.1.3 Freiheit
5.1.4 Das Gerüst der Ehe - Treue, Institution, Verheißung.
5.1.4.1 Treue
5.1.4.2 Institution.
5.1.4.3 Verheißung
5.2.2 Der Katholische Katechismus zur Ehe.
5.2.3 Warum noch heiraten?
5.3 Die „Früchte“ der Ehe.
5.3.1 Freiheitsmoment Glück und Liebe
5.3.2 Freiheitsmoment Dauerhaftigkeit, Gegenseitigkeit und Vergebung
5.3.3 Freiheitsmoment Kinderwunsch, Elternschaft und Familie.
5.3.4 Sexualität und Treue
6. Welche Verhaltensoptionen können universell gelten?
6.1 Familie - Heimat und Ort der ersten Sozialisation.
6.2 Warum ist es für viele Menschen heute so schwer sich festzulegen?
6.3 Der Inhalt des christlichen Ethos und das Gelingen einer Partnerschaft
6.4 Lerninhalte und Lernziele für den Unterricht - Christliches Ethos.
6.4.1 Die Tugend der Empathie und Solidarität.
6.4.2 Produktives Konfliktmanagement
6.4.2.1 Der Konflikt.
6.4.2.2 Kommunikationsmodelle
6.4.3 Nächsten- und Feindesliebe - Ethos der Einseitigkeit.
7. Verhaltensorientiertes Fazit

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Zulassungsarbeit zum ersten Staatsexamen für das Lehramt an Realschulen

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Vorwort

Auszug aus Krieg und Frieden von Tolstoi:

„’Heirate niemals, niemals, mein Freund! Dies ist mein Rat: Heirate erst dann, wenn du dir sagen kannst, dass du alles getan hast, was in deiner Kraft steht, erst dann, wenn du aufgehört hast, die Frau zu lieben, die du dir auserwählt hast, erst dann, wenn du sie klar erkannt hast. Sonst irrst du dich grausam, und das ist nicht wiedergutzumachen. Heirate, wenn du uralt bist, wenn du zu nichts mehr taugst. Sonst geht alles Hohe und Gute in dir verloren. …’“1

Gedanken junger Menschen 100 Jahre später

Als junger Mensch steht einem alles offen. Karriere und Weiterbildung, Reisen, Partys, Nachtleben, neue Dinge ausprobieren. Freiheit, Unabhängigkeit und unendlich viele Optionen. Man braucht nicht einmal viel Geld, nur eine Portion Mut und Spontaneität. Es ist toll mit Freunden etwas zu unternehmen, viele Eindrücke aus der ganzen Welt zu sammeln, unterschiedliche Menschen kennen zu lernen und persönlich zu wachsen. Einfach das Leben genießen! Liebe und Familie ist ein schwieriges und komplexes Thema. Man braucht es schon irgendwie, aber oft lässt es sich mit der Schnelllebigkeit und Veränderlichkeit des Lebens schwer vereinbaren. Ob es den perfekten Partner überhaupt gibt, ist fraglich. Man wünscht es sich zwar, aber lieber man hält an seinen Zielen fest und konzentriert sich auf den eigenen Lebenslauf. Das Thema Familiengründung wird erst aktuell, wenn die magische «Dreißig» näher rückt. Kinder sind schon irgendwann geplant, aber dafür sind erst einmal eine solide Partnerschaft, gute Referenzen und berufliche Stabilität nötig, um seinen Kindern auch etwas bieten zu können. Unabhängigkeit ist für die persönliche Entwicklung vorerst das Beste. Vergleicht man beide Ansichten, kann man viele Parallelen ziehen, obwohl über 100 Jahre dazwischen liegen. Die Bindung an eine andere Person erscheint als Einschränkung der persönlichen Freiheit. Doch heute haben im Vergleich zu damals auch Frauen die Möglichkeit, sich für eine individualistisch orientierte Lebensgestaltung zu entscheiden. Heute wird eine Familiengründung von vielen jungen Paaren als eine Option in ferner Zukunft gesehen, der die persönliche Entfaltung vorangestellt wird. Die Lebensphase zwischen dem 20. und 35. Lebensjahr birgt eine Menge an Aufgaben: Schulabschluss, Berufsausbildung oder Studium, gefolgt vom Streben nach beruflichem Erfolg. Partnerwahl und Familiengründung sollen nebenbei bewältigt werden. Allerdings muss man sachlich fragen, welches Maß an Belastung die persönliche Psyche und eine Partnerschaft verträgt und

1Tolstoi, Krieg und Frieden, 35.

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ob es sinnvoll und gut für Partnerschaften ist, wenn der Beruf uneingeschränkte Mobilität verlangt.

Was den Wert der Ehe betrifft, scheiden sich die Geister. Für einige ist die Ehe selbstverständlich, manche schließen eine spätere Ehe ganz aus, andere lassen es einfach auf sich zukommen. Eine glückliche Partnerschaft wünschen sich aber die meisten. Bleibt jedoch die Selbstverwirklichung oder die berufliche Karriere das zentrale Ziel beider Partner, scheitern junge Paare schnell auf Grund von unangepassten Lebensumständen, da sich die Wege und Vorstellungen trennen. Ob diese Lebenspraxis zu mehr Glück führen kann, bleibt fraglich. Fest steht, dass die Liebe und Partnerschaft ein ethisches Feld darstellt, das uns alle tangieren und angehen sollte, was allerdings auf Grund der Komplexität und Subjektivität des Themas eine große Herausforderung bedeutet.

Ursprünglich sollte die Arbeit hauptsächlich Liebe, Treue und Sexualität behandeln, jedoch wurde im Verlauf der Recherche klar, dass Liebe und Sexualität in Anbetracht christlicher Wertevorstellungen und darüber hinaus, nach Dauer und Verbindlichkeit streben, deshalb läuft diese Arbeit auf die Betrachtung von Ehe und Familie hinaus.

„Das Menschsein des Menschen steht auf dem Spiel.“2- So beendet Horst Georg Pöhlmann seinen AufsatzEhe und Sexualität im Strukturwandel unserer Zeit.Dieses Resümee folgert Pöhlmann aus ethischen Problemfeldern verschiedenster Lebensbereiche, wie beispielsweise der Bioethik am Lebensanfang (Schwangerschaftsabbruch, IVF, Status des Embryos, PND, PID, Klonen, etc.), oder am Lebensende (Patientenverfügung, Euthanasie, Organtransplantation, etc.). Das Zentrum der Problematik, welches das „Menschsein“ bedroht, liegt nach Pöhlmann in der „Funktionalisierung und Instrumentalisierung des Menschen in unserem technischen Zeitalter“3. In der Diskussion um Embryonen wird dies sehr deutlich, da menschliches Leben in ethisch bedenklicher Weise benutzt wird. Im Bereich Familie und Partnerschaft wird die Gefahr der Instrumentalisierung oft unterschätzt. Ulrich Eibach hinterfragt in diesem Zusammenhang das Fundament der romantischen Liebesehe, „ausgerichtet am Modell einer individuellen Selbstverwirklichung“4, das vorwiegend nach persönlichem Glück und Gewinn strebt. Diese Bezogenheit auf sich selbst und den eigenen

2Pöhlmann, Ehe und Sexualität, in: Bayer (Hg.), Ehe-Zeit zur Antwort, 56.

3Ebd., 56.

4Eibach, Ehe und Selbstverwirklichung, in: Bayer (Hg.), Ehe - Zeit zur Antwort, 64.

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Vorteil stelle in der Marktwirtschaft ein zunehmendes soziales Problem dar, da schwächere Menschen (Kinder, Alte, Behinderte, etc.) in solch einer Gesellschaft stark benachteiligt und gefährdet seien. Eine solche Haltung würde in Partnerschaften eine auf den Augenblick konzentrierte und reduzierte Treue fordern, die aufgegeben werden kann, sobald sich ein Partner für sich keinen Vorteil oder Gewinn mehr verspricht. Würde sich diese Philosophie in der Gesellschaft durchsetzen hätte dies für Familien und generell die Gesellschaft verheerende Folgen, da Menschen im Laufe ihres Lebens immer wieder auf andere angewiesen sind. Das wohl eindeutigste Beispiel für ein völlig altruistisches, selbstloses Verhalten spiegelt sich in der Mutterliebe wieder, welche für die gesunde körperliche und geistige Entwicklung des Neugeborenen unabdingbar ist. Diese Art von Liebe ist im Leben von Menschen ein wesentlicher Faktor des Lebensglückes.

Die christliche Sicht bezüglich Liebe, Partnerschaft und Familie unterstreicht deutlich die dauerhafte Verbindung, die Menschen verantwortungsvoll gemeinsam schließen. Den Ort der Partnerschaft sieht die traditionelle Theologie in der Ehe, die als äußere Gestalt eine schützende Institution darstellt und im Inneren durch Liebe und Treue von den Partnern ausgefüllt wird. Dabei hat das „Füreinander Vorrang vor der Selbstverwirklichung des Ich“5, was in kollektivistischen Sozialordnungen, in denen besonders der Schwächeren gedacht wird, eine Tugend darstellt. Ob die Krise der Ehe, von der seit Jahrzehnten die Rede ist, nun auf die Lebensform Ehe an sich im Wandel der Zeit oder auf der Krise der Institution gründet, bleibt eine zentrale Streitfrage in der Ethik. Fakt ist, dass die Ehe nicht mehr selbstverständlich ist. Warum sie jedoch wichtig und sinnvoll ist, soll in dieser Arbeit dargestellt werden.

1.2 Vorgehensweise

Das Skelett der Problembehandlung ist an dem Grundriss des Urteilsverlaufs angelehnt, den Heinz Eduard Tödt in seinem WerkPerspektiven theologischer Ethikdargelegt hat. Demnach gliedert sich die Urteilsfindung in sechs Schritte: Problemwahrnehmung, Situationsanalyse, Verhaltensentwurf, Auswahl und Durchsicht von Normen, Prüfung der Verbindlichkeit von Verhaltensmöglichkeiten und schließlich der Urteilsfindung, welche mit Blick auf die Schule didaktisch entfaltet wird. Dieses Vorgehen erscheint sinnvoll und in Anbetracht komplexer Sachverhalte als eine große Hilfe der Strukturierung. Es ergeben sich folgende Fragen:a) Problemwahrnehmung

Welchen Beitrag liefern theologische Befunde zu Partnerschaft und Ehe? Was sagt die Bibel zur Ehe?

5Ebd., 70.

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Welche Aufgabe hat der Religionsunterricht als Vorbereitungshilfe auf das spätere Familienleben?

b) Situationsanalyse

Inwieweit hat sich das persönliche Verständnis von Liebe, Ehe und Familie verändert? Hat die Ehe für viele Menschen an Bedeutung verloren? Sind Partnerschaften zunehmend instabil? Welche Folgen und Probleme wirft die Abwendung von der Ehe auf?

c) Verhaltensentwurf

Wie sollen/müssen wir uns in Partnerschaft und Liebe verhalten, nachdem wir Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft analysiert haben?

Welchen Stellenwert und welche Funktion hat das Gespräch über Liebe und Partnerschaft im Religionsunterricht?

d) Auswahl und Durchsicht von Normen

Wie kann ein gelingendes Zusammenleben (basierend auf christlichen Werten) definiert werden - was macht es aus?

e) Prüfung der Verbindlichkeit von Verhaltensmöglichkeiten

Können die ausgewählten Verhaltensoptionen auch universell gelten?

f) Urteilsfindung

Wie müssen wir uns verhalten um eine gute und sittliche Partnerschaft zu führen?6

1.3 Themenrahmen

Die Begriffe Ethik und Moral werden je nach Wissenschaftsraum anders definiert und im Sprachgebrauch nicht eindeutig verwendet. Deshalb sollen, um Ungenauigkeit zu vermeiden, vorweg relevante Bedeutungen der Begriffe erläutert werden, die dieser Arbeit zu Grunde liegen.

„Ethik ist die Disziplin, die Begriffe, Probleme und Theorien des Guten untersuchtdarunter besonders des guten Handelns und Lebens. Eine Hauptaufgabe der Ethik ist es, die Grundsätze guten und gerechten Handelns zu begründen oder zu rechtfertigen sowie die herrschende Moral kritisch zu untersuchen.“7

Aus dieser Definition kann man folgern, dass Moral das ist, was allgemein und durchschnittlich üblich ist. Dies ist auch vom lateinischen Wortstammmos, mores(Sitten) abzuleiten. Gegenüber der Moral ist Ethos zu unterscheiden. Vom gleichen Wortstamm wie Ethik kommend, meint Ethos die innere Gesinnung eines Einzelnen oder einer Gruppe. Weiterhin können nach Henry David Aiken vier moralische Betrachtungsebenen

6Buchtitel, feste oder fremdsprachliche Ausdrücke, sowie Eigennamen wurden im Text kursiv gesetzt. Als Bibel wurde die Lutherbibel von 1984 verwendet. Zitate aus englischsprachiger Literatur wurden im Original belassen.

7Lenk, Einführung in die angewandte Ethik, 6.

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unterschieden werden.8Die expressiv-evokative Ebene (spontan, impulsiv, unkritisch), die moralische Ebene (praktische Rechtfertigung in bestimmter Situation: Was soll ich tun?), die ethische Ebene (kritische Betrachtung von Argumenten eines ethisches Urteils) und schließlich die meta-ethische Ebene (das Was, Wozu, Wie eines ethischen Urteils). Der behandelte Themenbereich lässt sich makroethisch betrachtet in dieIndividualethik, Sozialethik,dieVerantwortungsethikoder auch demPrinzip der Verantwortungnach Hans Jonas zuordnen. Die Schwerpunkte liegen jeweils anders. Die Individualethik fragt danach, wie der einzelne Mensch in der Ehe glücklich werden kann, die Sozialethik kümmert sich um das gesellschaftliche Strukturmoment mit seinen Rechten und Pflichten, die Verantwortungsethik sowie auch das Prinzip der Verantwortung, das von Hans Jonas begründet wurde, geht schließlich weiter und denkt auf der Grundlage der Ethik der Pflicht in die Zukunft hinein und prüft die Folgen eigener Handlungen für die nachfolgenden Generationen. Betrachtet man dies, aus der Perspektive der angewandten Ethik, ist die Kategorie der Ehe- und Familienethik zu nennen. Zusätzlich sollte man unterscheiden, ob eine Argumentation in den Bereich der Moral und Pflicht oder in den der Tugend und des Ethos fällt. So fragt man bei der Moral nach den allgemeinen Gesetzen, Rechten und Regeln, beim Ethos nach der Geltung für ein Individuum oder eine bestimmte Gruppe und deren Vorstellungen von einem guten Leben. Eine Frage diesbezüglich könnte sein, ob eine Ehe geschlossen wird, damit es gerecht zugeht, oder damit Glück erreicht wird. Aufgabe einer christlichen Ethik auf der Ebene des Ethos ist, zu prüfen, was der Wille Gottes ist, da dieser aus christlicher Sicht das Vernünftigste ist.

Um das Themenfeld einzugrenzen, ist zu sagen, dass wenn über Partnerschaft und Liebe die Rede ist, die monogame, heterosexuelle Partnerschaft gemeint wird. Problemfelder, welche die Würde des Menschen moralisch und nach dem Gesetz verletzen, wie etwa der psychische und physische Missbrauch, werden in dieser Arbeit nicht explizit behandelt. Grenzen, welche die Würde und die Unversehrtheit von Erwachsenen und Kindern garantieren, sind im Grundgesetz verankert und werden in weiteren Betrachtungen vorausgesetzt. Die Fragestellungen sollen sich eher um die Frage drehen, was in der menschlichen Lebenspraxis gut ist und warum die Stabilität einer Partnerschaft zu einem guten Leben gehört. Schließlich sollten Verhaltensweisen als Konsequenz einer evangelischen Gesinnung herausgearbeitet werden. Wie Schleiermacher sagte: „Was muss werden, weil das religiöse Selbstbewusstsein ist?“9Da die Definition eines Problems immer nur subjektiv bestimmt werden kann, ist in den

8Vgl. Ebd.

9Tödt, Perspektiven theologischer Ethik, 71.

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weiteren Ausführungen zu bedenken, dass die Fragestellungen und die Verhaltensoptionen in der Perspektive junger Erwachsener gestellt wurden, geprägt durch ein pluralistisches, westliches und stark von Medien beeinflusstes Weltbild.

2. Partnerschaft und Ehe im Wandel der Zeit

Mit der Betrachtung der Vergangenheit und Zukunft soll versucht werden, ungelöste Spannungen oder Konflikte des Themas aufzudecken, um das Problemfeld besser begreifen zu können. Wie kann die Instabilität von Partnerschaften aus Vergangenem und im Blick auf die Zukunft verstanden und interpretiert werden, oder was hat die Partnerschaft zwischen Mann und Frau früher ausgemacht und was kann man von ihr erwarten?

2.1 Raum-zeitlicher Horizont

Die Ehe gilt als eine auf Dauer angelegte Verbindung von zwei (Monogamie) oder mehreren (Polygamie) Menschen verschiedenen Geschlechts. „Monogamie ist heute die vorherrschende Form der Ehe. Polygynie und Polyandrie (mit dem Oberbegriff Polygamie bezeichnet) wurden früher in vielen Teilen der Welt praktiziert, scheinen jedoch immer seltener zu werden. Gruppenehen waren von jeher selten.“10Linguistische Quellen deuten auch auf die Dauerhaftigkeit hin. Der althochdeutsche Begriffewe,bedeutet Gesetz, im Griechischen heißt heiratenγαµέωundγάµοςEheschließung. Das Lateinische grenzt dasconcubinatum(außerehelicher Verbindung) vomconiugiumals eheliche Verbindung und demmatrimonium,der rechtmäßigen Ehe ab.11

Die Ehe hat religiösen, rechtlichen, öffentlichen und sozial-sittlichen Bezug. „Die Ordnung der Ehe ist von den sittlichen und religiösen Grundlagen abhängig, auf denen die einzelnen Gesellschaften beruhen.“12Äußere Umstände, wie gesellschaftliche Wertvorstellungen, wirtschaftliche Verhältnisse, ethische Überzeugungen, Sitte und Brauchtum oder religiöse Deutungen prägen die Ehe. Das heißt, sie ist sehr wandelbar, je nach Kulturraum. Jedoch hat dies ihren Bestand nie wirklich gefährdet. In der Institutionenlehre nach Haurriou und Dombois stiftet Gott in der (1)actio die,und der Mensch nimmt diese Stiftung in der (2)reactio humanisals (3)statusan.13Der Hochzeitsritus alsreactio humanis,der in die Institution alsstatushinführt hat neben dem religiösen noch öffentlichen Wert, indem die

10Magnus-Hirschfeld-Archiv. Formen und Bedeutung der Ehe.

11Vgl. Honecker, Grundriss der Sozialethik, 153.

12Brockhaus Multimedial, Ehe.

13Vgl. Honecker, Grundriss der Sozialethik, 154.

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Gemeinschaft von Menschen oder Gesellschaft die Institution akzeptiert. Heute spricht man von der Krise der Ehe. Was hat früher Partnerschaften und Ehen ausgemacht, und welcher Ethik haben sie sich unterworfen?

2.1.1 Ehe und Familie bei den Erzvätern

„Die Israelitische Familie und Sippe in alttestamentlicher Zeit ist endogam, patrilinear, patriarchalisch, patrilokal und polygyn strukturiert.“14Es durfte also nur innerhalb eines Stammes geheiratet werden, der Erbfolge der väterlichen Linie folgend, unter männlicher Vorherrschaft und in Clannähe lebend. Die Familie bestand aus mehreren Frauen, die einem Mann zugehörig waren und ihren Kindern. Nach den Schöpfungsgeschichten in Genesis ist Mann und Frau für immer verbunden (Vgl. Gen 1, 27f; 2, 24). Im Judentum ist es auch heute noch so, dass erst die Ehe die beiden Partner zu vollwertigen Gemeindemitgliedern macht. Die Ehe ist im Judentum ein Ereignis der ganzen Gemeinde als Zeichen für den Fortbestand des Volkes Israel. Das Eheversprechen ist nicht wie im Christentum auf einem gemeinsamen Konsens beruhend, sondern geht vom Bräutigam aus, der seiner Frau verspricht „sie zu ehren, für sie zu arbeiten, für ihren Unterhalt zu sorgen und sie mit allem zu versehen, was nötig ist.“15Dies ist auf die patriarchalisch geprägte Tradition der Erzväter zurückzuführen. Dementsprechend ist die rechtmäßige Scheidung nur vom Mann her einseitig möglich, denn man war der Auffassung die Frau würde die Ehe von innen her brechen, der Mann von außen, bzw. ein Mann bricht eine andere Ehe von außen auf. Heute noch ist es so, dass der Mann, der Frau eine Scheidungsurkunde gibt und sie erst dann rechtlich geschieden ist.16Auf Ehebruch stand damals die Todesstrafe, was den herrschenden Wert der Ehe sehr deutlich macht. Der Dekalog (Ex 20, 14; Dtn 5, 18) als Regelwerk für ein gelingendes Zusammenleben17,

beinhaltet das Ehebruchsverbot. In Ex 20,14 und Dtn 5,18 heißt es:‫ֹא‬‫ל‬.‫ס‬‫׃‬‫ָף‬ ‫ְא‬ ‫ִנ‬ ּ‫ת‬‫ֹא‬‫ל‬bedeutet soviel wienicht.‫ָף‬ ‫ְא‬ ‫ִנ‬ ּ‫ת‬kommt vom Wortstamm‫נאף‬:Ehebrechen.Mit dem Suffixּ ִ‫ת‬entspricht es dann der Bedeutung:du wirst nicht ehebrechen, du hast nicht Ehe zu brechenoderdu sollst nicht ehebrechen.18Der jüdische Exeget M. Buber übersetzte das Verb‫נאף‬ mit dem veralteten deutschen Verb „buhlen“19, womit schon der Versuch eines sexuellen Übertritts eingeschlossen ist. Eine Buhlschaft ist ein Liebesverhältnis, ein Buhler ist ein Geliebter oder

14Ebach, Frau II, in: TRE, 422.

15Baumann, Was jeder vom Judentum wissen muß, 90.

16Vgl. (Autor unbekannt) Israel heute. Jüdisches Fenster. Scheidungsecht reformiert, Artikel vom 24.03.2009.

17Vgl. Deuser, Die Zehn Gebote, 9

18Vgl. Jenni, Lehrbuch der hebräischen Sprache des Alten Testaments, 230f.

19„(veraltet) um jmds. Gunst buhlen“. Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Duden, 2000.

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eine Geliebte. Ginge man von dieser Übersetzung aus, würde das Gebot einen völlig anderen Charakter erhalten. Jegliche sexuelleBuhlerei,in der um die Gunst eines anderen geworben wird, wäre betroffen, unabhängig von der Ehe. Buber könnte damit auf die Sexualkulte, die Tempelprostitution, die in der damaligen Zeit betrieben wurden, Bezug genommen haben. E. Nielson bestätigt diese Auslegung in seinem WerkDie Zehn Geboteindem er dem Verb‫נאף‬jegliche Form sexueller Versündigung und religiösen Abfalls zuschreibt.20Diese weite Fassung des Gebotes ist auch in Martin Luthers Auslegung im Kleinen Katechismus zu finden.

Diese Auffassung ist im 21. Jahrhundert in Anbetracht der Entwicklungen des späten 20. Jahrhunderts, beispielsweise der Studentenbewegung in den 1970er Jahren, der sexuellen Revolution, dem gestiegenen Bedürfnis nach Individualismus, des starken Medieneinflusses und der in der westlichen Welt gelebten Freizügigkeit kaum als allgemeine Regel festlegbar. Die Ehe, in soziologischer Betrachtung, war ursprünglich an den Zweck der Zeugung von Nachkommen gekoppelt. Keine Kinder zu haben, stellte einen sozialen Makel, sowie ein wirtschaftliches Problem dar. Weiterhin war die Ehe ein Rechtsgeschäft, wobei ökonomische und wirtschaftliche Überlegungen der Sippe eine Rolle gespielt haben. Die Verliebtheit und die subjektive Entsprechung der Ehepartner waren dabei sekundär. Es stand der Bundesgedanke im Vordergrund, der die Ehe als Gleichnis für den Treuebund zwischen Jahwe und Israel (Hos 1-3) verstand.21Die Monogamie, die aus diesem Verständnis von Ehe folgt, war eine theologisch motivierte Abgrenzung gegenüber kanaanäischen, ägyptischen und hellenistischen Kulten.22Die Monogamie war gleichzeitig eine Aufwertung der Frau. Relevant für die Diskussion heute ist die theologische Motivation hinter den verschiedenen Lebensformen.

2.1.2 Eheschließung zu Zeiten Jesu und im Urchristentum

Die christliche Ehevorstellung, die vom Judentum übernommen wurde, war stark von herrschenden Moralvorstellungen im Imperium Romanum beeinflusst. Viele rechtliche und sittliche Tatsachen brachten damals eine ablehnende Haltung der Ehe gegenüber hervor, wie z.B. die Eheverbote, die vor Einführung des allgemeinen Bürgerrechts 212 n.Chr. vielen im Weg stand. Andere Einflussfaktoren, so Urs Baumann, waren "die wachsende Verelendung der Massen" im Vergleich zum maßlosen Luxus und Hedonismus der Reichen, "die

20Vgl. Nielsen, Die Zehn Gebote, 84

21Vgl. Honecker, Grundriss der Sozialethik, 155-157.

22Vgl. Deuser, Die Zehn Gebote, 96.

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erniedrigende Stellung der Frau, Familienüberdruß und latente Kinderfeindlichkeit".23Sklaverei, Homosexualität, Pädophilie, Götzendienst, Magie, Vergeudung staatlicher Mittel im Zuge des Hedonismus gehörten zum Alltag und trugen letztlich auch ihren Teil zu späteren asketischen Bewegungen des Christentums bei, wie z.B. die Hochschätzung der Jungfräulichkeit im Christentum.