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Otto Schacht, Lehrer und Leutnant der Reserve, wird August 1914 zur Preußischen Armee einberufen. Die Russen sind in Ostpreußen eingefallen. Seine Einheit, das pommersche Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 9, versammelt sich in Swinemünde an der Ostsee. Die Soldaten erfahren zunächst nicht, wohin die Reise geht: West- oder Ostfront. Erst bei der Fahrt im Zug erkennt er an den Bahnstationen: Die Fahrt geht gen Osten. Das jüngere aktive Heer wird im Westen eingesetzt., die Reserveeinheiten im Osten. In Ostpreußen muss seine Kompanie viel hin- und her marschieren. Erst später erkennt er, dass sein Regiment an der Schlacht bei Tannenberg teilgenommen hat, ein Begriff, der in seinem mitgeführten Tagebuch nirgendwo auftaucht. Danach geht es nach Masuren. Auch dort waren die Russen eingefallen, anschließend nach Litauen, um die russischen Festungen Kaunas (Kowno) und Vilnius (Wilna) einzunehmen (das Baltikum gehörte damals zum Zarenreich ), weiter nach Smorgon in Weißrussland. Nach den Kämpfen um die Brücke bei Perewos und am Narotsch-see kann sich seine Kompanie im ruhigen Lettland bei Ernte-arbeiten, im Straßenbau und im Sägewerk erholen. Dann beginnt der Einsatz auf dem Balkan. Rumänien ist in den Krieg gegen die Zweibundmächte Deutschland und Österreich-Ungarn eingetreten und und dringt in Bulgarien, das mit Deutschland und Österreich verbündet ist, ein. Das Regiment wird auf die Eisenbahn verladen und kommt an die rumänische Front. Dort, in der Schlacht bei Topraisar am Schwarzen Meer, in der Dobratscha, fällt er im gegnerischen MG-Feuer. Seine Erlebnisse im 1. Weltkrieg hat Otto Schacht nicht nur in seinem Tagebuch festgehalten, sondern auch mit knapp 150 Fotos in seinem Fotoalbum, genannt "Kriegserinnerungen 1914" dokumentiert. Hinzu kommen eigene Zeichnungen von den Unterständen und der Winterlandschaft vor den Stellungen, herausgegeben von der Heeresgruppe der Bug-Armee als Post-karten und ein langer, recht heroischer Brief an seine Mutter, der in der Geschichte des Regiments 1933 publiziert wurde.
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Seitenzahl: 166
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Otto Schacht mit seiner Tochter Kriemhild (geb. 1911) während eines Heimaturlaubs von der Front
Kirsten Hammerström, die mehrere Werke von Gabriele Wohmann illustrierte, hat das Aquarell ihrer Mutter und ihres Großvaters in Anlehnung an das Foto 62 Jahre später gemalt (fertiggestellt am 28.6.1978). Der Vater erscheint patriarchalisch im Gehrock und mit "Käppchenkragen", dem Nachfolger des "Vatermörders", und Krawatte, Kriemhild trägt längere Schnürstiefel und steht auf einem dekorativen Sockel, einem sog. Piedestal (kein einfacher Tisch wie auf dem Foto). Blumen zieren den Bildrand, fehlen aber auf dem Foto. Vater und Tochter wirken auf dem Foto nahbarer als im Aquarell, das vielleicht die Belastungen der Zeit und des Krieges widerspiegeln soll.
„Du musst dich doch auf deinen Papa freuen, wenn er (aus dem Krieg) nach Hause kommt." An diesen Spruch ihrer Oma erinnerte sich unsere Mutter noch nach mehr als achtzig Jahren. Aber ihr Vater sei immer sehr ernst gewesen, wenn er von der Front für kurze Zeit nach Hause kam - was kein Wunder war auf Grund seiner Kriegserlebnisse. Unsere Mutter hat ihren Vater, den sie kaum kannte, aber nicht wirklich vermisst. Sie hat sich bei ihrer Oma immer sehr gut aufgehoben gefühlt.
Carl Busse: „Kriemhild (Schacht) die Zackige", die Adressatin des Tagebuches. Die Beschriftung ist oberhalb des Künstlernamens noch zu erkennen (trotz Versuchs unserer Mutter, die Buchstaben wegzuradieren).
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Zur Person von Otto Schacht
Ironie, Läuse, Lageskizzen, Weinvorlieben, Respekt für den russischen Gegner und Kritik an Militärgeistlichen
Otto Schachts Lektüren im Feld: zeittypisch?
Abkürzungsverzeichnis
Das Tagebuch von Otto Schacht mit Feldpostkarten 1914/15
Das Tagebuch: 1. und 2. Teil?
Die Handschrift
Der Text: Tagebuch 1. Teil
Feldpostkarte an die Schwester
Hotel Romanowski in Sulowo (früher: Schulen, Masuren)
Insterburg, Sodehnen, Muldszählen, Darkehnen und Goldap
Feldpostkarte mit Foto von Otto Schacht
Der Text: Tagebuch 2. Teil
2 Feldpostkarten aus Muldszählen mit eigenen Zeichnungen an seine Schwester und Mutter vom 8.1.1914 und 5.2.1915
Skizze zu den Kämpfen um Höhe 121
Heimfahrt mit dem Lazarettzug "Prinzessin August Wilhelm"
Soldaten in den Bäumen
Ein handschriftlicher Aufruf von General Litzmann
Das Fotoalbum „1914"mit den "Kriegserinnerungen" und einem Brief aus Perewos 1915
Nach der Verwundung: Szenen aus dem Militärhospital
Rückkehr nach Stettin
Zuhause in der Erichstraße
Otto Schacht in Zivil auf Parkbesuch
Gang zum Friedhof in Stettin
Rekonvaleszenz und Rückkehr zur Truppe
Auf dem Marsch nach Kaunas (Kowno)und Vilnius (Wilna) in Litauen und Smorgon in Weißrussland
Die Gefechte im Wald von Podolosie Ende August 1915
Der Übergang über die Vilja bei Perewos (Weißrussland)
Brief von Otto Schacht an seine Mutter über die Kämpfe bei Perewos, abgedruckt in der Regimentsgeschichte
Stellungskämpfe zwischen Smorgon und Narotschsee
Bei der Gruppe Mitau (heute Jelgava, Lettland) und Bugarmee
Von Mitau über Brest-Litowsk an die bulgarisch-rumänische Front: Der Blick geht ins Exotische
Die Schlacht bei Topraisar (vor Constanza, Schwarzes Meer)
Anhang
Der Militärpass von Otto Schacht
Otto Schacht hat mit den Aufzeichnungen in seinem Tagebuch und seinem Skizzenbuch, aber auch mit der Kamera und mit einem Beitrag für die Geschichte seines Regiments, dem Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 9 (Stettin), eindrucksvolle Erlebnisse von der Ostfront aus dem 1. Weltkrieg überliefert. Die umfangreichsten Beiträge finden sich in seinem Tagebuch und dem Fotoalbum von seinen Kriegserlebnissen. Das Tagebuch hatte er für seine Tochter geschrieben, es sollte nicht anderen gezeigt werden. Seine Mutter hatte sich darangehalten und es nicht den Autoren der Regimentsgeschichte zur Verfügung gestellt. Das mag daran liegen, dass er in seinem Tagebuch einen Kollegen, Leutnant Zwick, Mitglied im Stab des Regiments und Bekannten aus früheren Reserveübungen, scharf kritisierte bei der Erstürmung der Höhe 161. Schacht sollte mit seiner Kompanie ein ganzes russische Bataillon, das sich auf Höhe 161 eingegraben hatte, angreifen. Schacht unterstellte ihm in seinem Tagebuch reine Beutegier, es ging um die Pferde des russischen Bataillons, „indem er uns mit großen Augen mitteilte, es gäbe dort schöne Beute an Pferden zu machen. Ihm tut wohl leid, daß er die Sättel auf dem Boden des Gutshauses von Slucz nicht erbeutet hatte" (S. 73). Es gelingt Schacht nach Rücksprache mit einem höheren Offizier, Verstärkungen für den Angriff zu erhalten. Dieser Leutnant Zwick hat den 1. Weltkrieg überlebt und war einer der Autoren der Regimentsgeschichte 1933. Otto Schacht wird bei der Erstürmung der Höhe 161 verwundet. Er erleidet einen komplizierten Durchschuss der Elle und muss ins Hospital nach Berlin. Damit endet das Tagebuch. Er schreibt nicht mehr.
Nach der Rückkehr zur Armee wendet er sich einem neuen Medium, der Kamera zu. Den Grund für den Wechsel vom Schreiben zum Fotografieren nennt er nicht. Otto Schacht hatte allerdings schon früh sein Interesse an dem neuen Medium Fotografie gezeigt, wie bei seinem Besuch auf der Baufach-Ausstellung in Leipzig vor dem Krieg. Er hatte sich mit der "Fünf-Doppelgänger-Photographie" ablichten lassen. Auf der Rückseite des Fotos heißt es: "Spezialität der New Yorker Photographen".
Jedenfalls muss er sich in der Zeit seiner Rekonvaleszenz eine Kamera besorgt haben. Aus der Zeit vor 1915 sind keine Fotos, die er gemacht hat, erhalten. Unsere Mutter hat wohl immer von dem Tagebuch ihres Vaters gesprochen, nie aber von der Kamera und möglichen Fotos. Das Tagebuch hat sie mir als Historiker einige Jahre vor ihrem Tod, sie wurde 94, anvertraut. Das Fotoalbum mit den "Kriegserinnerungen" entdeckte ich erst vor kurzem in meiner Bibliothek. Ich habe die knapp 150 Fotos mit dem Programm acdsee bearbeitet und noch eine ganze Reihe von Einzelheiten den Fotos entnehmen können. Natürlich ist die Qualität der Bilder in der Regel schlecht. Die Leica war noch nicht erfunden und unser Großvater hätte sich eine solche Kamera bei seinem Gehalt auch nicht erlauben können. Was für eine Kamera Otto Schacht benutzte, wissen wir nicht. Sie ist nicht erhalten. Wahrscheinlich ist sie in Rumänien an seinem Todesort verblieben oder an einen Kollegen gegangen. Gerade kurz vor seinem Tod in der Schlacht von Topraisar hat er sehr viele Aufnahmen gemacht und Datum und Ort auf der Rückseite der Fotos vermerkt - häufiger als bei den früheren Fotos. Vielleicht war es aber auch nur die Exotik der Orte. Erwähnt wird die Kamera in einer Liste, was im Todesfall mit seinen persönlichen Wertsachen geschehen soll, nicht.
Dies Buch bitte ich nebst
Degen, Portemonnaie, Uhr,
Kreuz mit Band, Pistole etc. an
meine Mutter zu senden. Meine
Wäsche u. and. Kriegsbedarf
für meine Kameraden, z. Hd. des
Kam(erad) Raasch
Otto Schacht
Mit "Buch" ist sicherlich das hier vorliegende Tagebuch gemeint. Offiziers-Degen und Pistole haben sich nicht in der Familie erhalten. Mit der Uhr war hoffentlich nicht seine wertvolle goldene IWC-Taschenuhr aus Schaffhausen gemeint, in das sein Monogramm im Jugendstil kunstvoll eingraviert war. Er hatte sie von seinen ersten Lehrergehältern erworben, wie unsere Mutter erzählte. Eine solche Uhr nimmt man nicht mit in den Krieg.
Die wenigen erhaltenen Skizzen und Zeichnungen, zum Teil in Farbe, werden alle im Buch abgedruckt. Die Originale sind nicht in der Familie erhalten. Sie dienten als Vorlage für die Heeresdruckerei der Bug-Armee, und wurden für Postkarten aus dem Kriegsgebiet versendet. Möglicherweise sind sie zahlreich im Umlauf gewesen. Entstanden sind die Zeichnungen in den Ruhepausen des Krieges, etwa im Dezember 1914 in Masuren, als sich Russen und Deutsche ohne wirkliche Kampfhandlungen gegenüberlagen. Die Bilder strahlen eine gewisse biedermeierliche Behaglichkeit aus, könnte man fast sagen. Der Soldat mit Pickelhaube melkt eine Kuh, um die Ernährungsbasis seiner Kameraden aufzubessern und Otto Schacht dichtet noch ein paar nette Zeilen hinzu. Und im Unterstand an der Frontlinie kann man sich nach Rückkehr von seiner Patrouille mit Grog schön aufwärmen.
Die Zeichnungen gehören in die Zeit des Tagebuches bis zur Verwundung März 1915. Mit dem Wechsel der Medien zur Kamera finden sich die Zeichnungen nicht mehr. Die Kamera war ja auch ein optisches Medium und vielleicht waren die Kriegszeiten zu hektisch geworden. Von Masuren ging es nach Kaunas und Vilnius, zwei russische Festungen, die genommen werden mussten und Richtung Minsk in Weißrussland, später dann nach Lettland, Serbien und Rumänien. Da blieb nicht mehr viel Muße.
Beim Übergang über die Neris (früher Vilja in Weißrussland) kommt es bei Perewos in Weißrussland zu heftigen Kämpfen. Otto Schacht schildert den Kampf in einem langen Brief an seine Mutter. Dieser Brief ist in der Familie nicht mehr erhalten, wie auch andere Briefe der Mutter an den Sohn etwa, die in der Postkarten-Kommunikation zwischen Sohn und Mutter erwähnt werden. Seine Mutter hat den Brief nach dem 1. Weltkrieg den Autoren der Regimentsgeschichte zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.
Das Tagebuch hatte mit seiner Verwundung bei der Erstürmung der Höhe 161 bei Wisna am 3. März 1915 geendet. Nach dem Krankenhausaufenthalt in Berlin, Rehabilitation in Stettin im Karolus-Stift und der Rückkehr zu seinem Regiment im Baltikum, Weißrussland und dem späteren Einsatz in Bulgarien und Rumänien sind nur noch ein Fotoalbum und ein langer Brief erhalten, den er an Mutter und Schwester schrieb und den diese offensichtlich den Verfassern der Regimentsgeschichte zur Verfügung gestellt haben (Das Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 9 im Weltkriege, bearbeitet von Arthur Maaß, Hermann Zwick, Ernst Jaeckel, Zeulenroda 1933).
Das Tagebuch hingegen war nur für seine Tochter bestimmt, wie Otto Schacht es verfügt hatte und daran hielten sich seine Angehörigen. Die Verfasser der Geschichte des Pommerschen Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 9, drei ehemalige Angehörige der Einheit, benutzten hingegen bevorzugt Tagebücher und Briefe von ehemaligen Regimentsangehörigen und natürlich die offiziellen Heeresberichte des A.O.K. (Armee Oberkommando).
An keiner Stelle der Fotosammlungen, des Tagebuches oder der Zeichnungen findet sich eine derart gewalttätige und blutrünstige Schilderung des Kampfgeschehens. Die Soldaten des Regiments dringen in die russischen Stellungen ein, „schlagend mit Kolben und Spaten, wie es gerade trifft, ein entsetzliches Blutbad ist unter den Feinden angerichtet". Wie seine Mutter, das „liebe Mütterchen", wie er seine Mutter in seinem Brief anredet, darauf reagiert hat, ist nicht bekannt. Für Otto Schacht wie auch für die Verfasser der Regimentsgeschichte ist es ein heroischer Kampf seiner Pommern.
Die meisten Berichte über den 1. Weltkrieg, ob Romane, Tagebücher, Skizzenbücher oder Fotoalben beziehen sich auf die Westfront, wenige auf die Ostfront. Dabei war die Ostfront viel länger als die Westfront. Wie man der Verlegung des Infanterie-Regiments Nr. 9 (Stettin) im Verlauf des Krieges entnehmen kann, erstreckte sich die Ostfront von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Otto Schachts Kompanie musste die Front im Laufe des Krieges marschierend kennenlernen. Gut – es gab auch Eisenbahntransporte von Lettland an die bulgarische Front. Lastkraftwagen waren an der Ostfront noch weitgehend unbekannt. Sie werden im Tagebuch nicht erwähnt. Dort und auf den erhaltenen Fotos sind in der Regel Pferde und Pferdewagen zu sehen.
Die meisten deutschen Einheiten an der Ostfront bestanden aus Reserveeinheiten, d.h. Männern, die man aus ihren Zivilberufen einberief, die oft verheiratet waren und Familie hatten. Man kann dem Tagebuch entnehmen, wie schwer es Otto Schacht fiel, die Ehefrauen über den Tod ihrer Männer zu informieren. Er kannte sie oftmals aus den Reserveübungen aus der Zeit vor dem Krieg.
Die jüngeren Einheiten der aktiven Armee kämpften an der Westfront. Die Männer dort waren vielfach noch nicht verheiratet und hatten keine Familie.
Die Verwendung verschiedener Medien für die Schilderung seiner Kriegserlebnisse durch Otto Schacht, wie Tagebuch, Skizzen, Fotografien und Briefe findet sich nur selten bei anderen Autoren des 1. Weltkrieges. Sie ist von fast einmaliger Vielfalt.
Danken möchte ich meinen Geschwistern, Neffen und Nichten, die mir ihre Fotos, Postkarten und ihr Wissen zur Verfügung gestellt haben. Ohne ihre Mithilfe hätte ich dieses Buch nicht schreiben können. Dank geht auch an Wilhelm Alff und Norbert Schröder vom Heimatverein Burgsteinfurt, die bei der Bearbeitung der über hundert Jahre alten Fotos wertvolle technische Assistenz beisteuerten, Wilhelm Alff außerdem für seine Hilfe bei der Entzifferung der alten Korrekturschrift, oftmals Sütterlin-Schrift genannt, auf der Rückseite der Fotos.
Eckart Hammerström, ein Enkel Otto Schachts
Unser Großvater mütterlicherseits, Otto Albert Gustav Schacht, wurde am 22. Juli 1883 in Hohenbüssow, Kreis Demmin, Bundesstaat Preußen wie man damals sagte, als Sohn eines Lehrers geboren. Nach der Militärausbildung eines Einjahrig-Freiwilligen wurde er nach Absolvierung verschiedener, z.T. zweimonatiger Militärübungen am 5.6.1910 zum Vizefeldwebel der Reserve befördert.
Ein Monument des Stahlbetonbaus auf der Baufach-Ausstellung in Leipzig 1913: die sogenannte Betonhalle von Wilhelm Kreis, die noch heute auf dem Messegelände zu sehen ist.
Otto Schacht, ein Jahr vor Beginn des 1. Weltkrieges. Das Foto wurde auf der Internationalen Baufach-Ausstellung 1913 in Leipzig aufgenommen. Sie war bis dahin die weltweit größte ihrer Art. Die Karte ging an seine Tochter in der Erich Straße 1 in Stettin.
Otto Schacht experimentiert auf der Baufach-Ausstellung in Leipzig mit der "Fünf-Doppelgänger-Photographie" (auf der Rückseite des Fotos heißt es: "Spezialität der New Yorker Photographen"). Auch diese Karte ging an seine Tochter nach Stettin.
Bei Kriegsbeginn musste sich Otto Schacht in Swinemünde einfinden und melden. Zunächst war unklar, wo sein Regiment eingesetzt würde: Westfront oder Ostfront. In Swinemünde hatte man dem Regiment nichts mitgeteilt. Erst bei der Eisenbahnfahrt wurde ihm klar, wohin die Reise ging: "Vor Pasewalk erwachte ich und nahm von dem bekannten Stadtbild still Abschied. Hier merkte ich mit Bestimmtheit, daß wir nach dem Osten kamen, durch Löknitz fuhren wir am frühsten Morgen. Bald kam Stettin in Sicht" (Tagebuch, S. 5).
Der überraschend schnelle russische Einfall in Ostpreußen bei Beginn des 1. Weltkrieges Anfang August 1914 führte ihn nach Kriegsbeginn an die Ostfront. Dort nahm er auch an der Tannenbergschlacht vom 26. bis 29. August 1914 teil. Mit dem Sieg der preußischen über die russische Armee war der Krieg im Nordosten aber keineswegs beendet, wie man vielleicht denken könnte. Bei den anschließenden Kämpfen in Darkehnen in Masuren und in Litauen, das damals zu Russland gehörte, zeichnete sich Otto Schacht aus und wurde zum Leutnant der Reserve im 9. Pommerschen Reserve-Infanterie-Regiment ernannt. Bei der Erstürmung der Höhe 161 nördlich von Wizna an der Narew (ca. 35 km westlich von Bialystok in Masuren) zwischen Nadbory und Trshzjanka am 3. März 1915 erhielt er einen Schuss in den linken Unterarm. In seinem Militärpass heißt es dazu: "3.3.1915 abends: Knochenbruch durch Unterarmschuss in den Stellungskämpfen vor Wizna 21.2.1915 bis 3.3.1915" (s. Otto Schachts Skizze zu den preußischen und russischen Stellungen um Höhe 161 und zum russischen Durchbruch durch die preußische Verteidigungslinie, S. 75a). Sieben Tage später wird er nach Überführung mit dem Lazarettzug Prinzessin August Wilhelm nach Berlin im Reserve Lazarett 1 in der Monbijou Straße gründlich untersucht. Die Diagnose nach dem Röntgen:
„Am 10. Mittags wurden wir geröncht. geröntgt. Bei mir ist die Speiche gebrochen und die Elle gesplittert. Es wird doch wohl länger dauern.“
(S. 78 im Tagebuch)
Aufgrund der Verwundung musste er zur medizinischen Behandlung nach Berlin und anschließend in die Rehabilitation in seiner Heimatstadt Stettin (s. auch erstes Foto mit Armschlinge).
Das hätte der Heimatschuss sein können
Die Unterarmknochen wuchsen nicht korrekt zusammen. Somit hätte die Armverwundung der sogenannte „Heimatschuss" sein können, eine Verwundung, die normalerweise die Wehruntauglichkeit und Ausmusterung aus der Armee zur Folge hatte. Doch Otto Schacht ließ sich den Unterarm extra brechen und als der Arm wieder geheilt war, kriegsverwendungsfähig (kv) schreiben. Das konnte unsere Mutter ihrem Vater nicht verzeihen: "Er hat mich im Stich gelassen", wie sie im Alter diese Angelegenheit kommentierte.
Vor seiner kleinen Tochter hatte Otto Schacht bei Kriegsbeginn seinen Feldzug offenbar als „Reise" deklariert, um sie, seine Mutter und Schwester zu beruhigen:
"Kriemhild (seine dreijährige Tochter,), Mutter und Maria (seine Schwester,) begleiteten mich. Kriemhild schlief bald ein, nachdem sie abends viel geweint, ich solle ja nicht allein reisen" (S.1)
Auch noch später kurz vor seinem Soldatentod auf dem Balkan sendet er „herzlichste Reisegrüße" aus Nis, der „serbischen Sommerresidenz" (s. seine Bildpostkarte von Veles in Mazedonien). Tatsächlich waren die Feldzüge durch Ostpreußen, Masuren, Litauen, Weißrussland und Lettland und vor allem der Feldzug auf dem Balkan in Serbien und Bulgarien und zuletzt auch in Rumänien, ein großes Abenteuer für ihn, war er doch aus seinem heimatlichen Pommern vorher kaum herausgekommen. Nachweisbar ist nur ein Besuch auf der Internationalen Baufach-Ausstellung in Leipzig 1913 (3. Mai bis Oktober 1913), von der er eine „Spezialität New Yorker Fotografen", nämlich ein 5-fach Porträt mitgebracht hatte. So spricht er auf einer Postkarte aus dem Balkankrieg etwas despektierlich von „Typen auf einem bulgarischen Bahnhof". Das Muslimische, das Fremdländische der Kleidung, der Fes (türkisch-arabische Kopfbedeckung) und die Moscheen werden ihm wohl vor allem aufgefallen sein.
Ansonsten schreibt er sehr nüchtern und sachlich. Er kommentiert aber auch schöne und weniger schöne Abenderlebnisse, wie etwa Plagegeister, ironisch:
„Nachmittags gings südlich Seiny zum Schanzen. Das Wetter schön. Abends gings durch Posseynele nach Pomorze Male. Hier gabs abends Hühnchen und Flohbeißen" (S. 27).
Flöhe und Wanzen sind die täglichen Begleiter der Soldaten. Einmal heißt es knapp: „Übernachten in Bosse. Flöhe, Wanzen" (S. 28). Es können aber auch
kleine Geschichten daraus werden:
„Unteroffizier Rosin erzählt von seiner Jagd über Nacht auf einen Floh. 2 davon griff er. Einen Bock sah er entspringen in den Sand, griff ihn, suchte ihn zu zerdrücken; unter im weichen Dreck rettendem Strampeln vergrub er sich unbeschädigt und entkam sogleich. Einen treffenden Vers machte Lt. Hobeling: „Hatte nicht ein rotes Taschentuch -jetzt hab ich mit der Hand beerdiget " (S. 14).
Selbstironie ist ihm nicht fremd, wenn er den Kommentar seines Divisionskommandeurs General Wobring, an dem er zu Beginn des Krieges mit seiner Truppe vorbeimarschieren muss, wiedergibt: „Na, Dicker, Sie werden auch wohl noch dünner" (S. 10 im Tagebuch). Einen Unterstand auf einem Gutshof an der Angerapp-Front in Masuren bezeichnet er als Onkel Toms Hütte, wohl nach einem Berliner Ausflugslokal in Zehlendorf, das 1885 eröffnet worden war. Ein Hauptmann des Bataillons residiert hier:
„Mittag essen wir in der Off. Speiseanstalt „Onk. Toms H. (Hütte)" pünktl. 1 Uhr. Wir lassen uns Fleisch von der Feldküche geben" (S.61). Überhaupt gibt es beim Regimentsstab häufig besseres Essen als in der Stellung: „Abends war ich beim Rgt. zum Abendbrot eingeladen. Hase, Wein, Stangenspargel, Ananastörtchen gebacken von Bartolt. Dunkel Bier. " (S. 64).
Bei Rückzugsgefechten im Oktober 1914 in Masuren muss sich sein Regiment russischer Angriffe erwehren. Nachdem der Regimentskommandeur den Befehl zum Angriff gegeben hat, will Otto Schacht mit seinem Zug angreifen und verlässt den sicheren Schützengraben. Ungestüm will er voranstürmen, wird aber von seinem Vorgesetzten Leutnant Ebeling zu seinem eigenen Schutz zurückgehalten:
„Nach 5 Minuten Befehl vom Oberstl. (Chef der Neuner) 7. Komp. solle vorgehen. Ich sprang im rasenden Inf. Feuer vor, wurde aber von Lt. Ebeling gewarnt, den heftigsten Kugelregen vorbei zu lassen. In einer Feuerpause sprangen Raasch (sein Freund und Kollege) und ich die Höhe hinan, Deckung in einem russ. Schützengraben findend und nahmen das Feuer auf" (S.32).
Er hat natürlich auch eine eigene Kiste mit Lebensmitteln. Als die bei einem Transport verlorengeht, weil jemand die Kiste möglicherweise an sich genommen hat, versteht er keinen Spaß. Der für den Transport verantwortliche Kutscher wird abgelöst:
„Meine Kiste mit Lebensmitteln ist mir auf dem Küchenbeiwagen beiseite gebracht worden. Ich habe mich über den Verlust der Lebensmittel sehr geärgert. Der Kutscher Schneider wird jedenfalls abgelöst" (S. 69 / 70).
Aber auch Butter und Kerzen können in der requirierten Unterkunft verschwinden:
„Wir kommen unter bei einem Bauern, der uns Lichte (Kerzen) u. Butter klaute. Die geklemmte Butter nahmen wir ihm wieder ab" (S. 48).
Die Ironie kann sehr bissig werden, wenn es um unmögliche Erwartungen von Vorgesetzten geht. So soll er mit seiner Kompanie nach den Vor-stellungen seines Bataillonskommandeurs Major Schwenke mal „geschwind" die Höhe 161 von Witynie bei Wizna nehmen, die von einer ganzen russischen Kavalleriebrigade verteidigt wird:
„Hier lagen wir bei Regenwetter 2 ½ Stunden in Scheunen, dann kamen wir zur Verfügung von Obstlt. Rodig nach Witynie u. sollten links vom 3. Btl. ein-
setzen. Nachmittags sollten wir auf Wunsch unsers Majors Schwenke links durch einen Wald uns geschwind in den Besitz der Höhe 161 südöstl. Witynie setzen, die von einer Kavalleriebrigade besetzt sein soll. Es wäre Wahnsinn gewesen, dies zu unternehmen. Die Höhe ließ sich ungedeckt nicht um-gehen. Nur dem verständigen Zwischenkommen des Hptm. Davids verdanken wir es, daß es nicht dazu kam" (S. 70).
Es wird auch mit fetter Beute von Seiten des Regimentsstabes gelockt, han-