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"Mein Name ist Thyri. Ich lebe ewig. Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde. Ich suche nach meiner Liebe. Und ich suche nach dem Tod. Gemeinsam werden wir eine Antwort finden auf die Frage: Wer bin ich? Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben. Ich bin Thyri." 1933 n. Chr.: Thyri hat eine Anstellung im Lesesaal der London Museum Library. Dort, inmitten all der alten Bücher, fühlt sie sich aufgehoben. Sie hat das Gefühl an einem Ort angekommen zu sein, an dem sie sich nicht verstecken muss. Und vielleicht, so hofft sie, findet sie in einem der abertausend Bücher Informationen über ihre Herkunft, ihre Unsterblichkeit – und über Simon, den sie nicht vergessen kann. Eines Tages wird die Sammlung der Bibliothek um ein ganz besonderes Schmuckstück reicher: Der Codex Sinaiticus, die älteste Bibelübersetzung der Welt, findet seinen Weg nach London. Und während Thyri noch ihr normales Leben genießt, schleicht sich der Codex langsam in ihre Lebenswirklichkeit und verändert alles. Denn was hat es mit den seltsamen historischen Ungereimtheiten auf sich, die Thyri immer häufiger in den historischen Büchern entdeckt? Sind ihre Freunde, wer sie vorgeben zu sein? Oder findet Thyri unter ihnen vielleicht endlich einen weiteren Ewigen? DIE EWIGEN ist eine Serie mit Geschichten über Mystery, Horror und einen Hauch Liebe vor den Kulissen der Weltgeschichte. Jede Folge steht für sich allein. Die Folgen bauen nicht aufeinander auf.
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Seitenzahl: 100
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Chriz Wagner
DIE EWIGEN
Das Gedächtnis der Welt
Folge 5
Wagner, Chriz: DIE EWIGEN. Das Gedächtnis der Welt, Folge 5, Hamburg, acabus Verlag 2017
Originalausgabe
ISBN: 978-3-86282-496-0
Lektorat: Carolin Wagner und Anna Coordes, acabus Verlag
Cover: © Annelie Lamers, acabus Verlag
Covermotiv: #126739448, a magic crystal ball on blue astrology background © starblue, fotolia.com; pixabay.com
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Der acabus Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.
© acabus Verlag, Hamburg 2017
Alle Rechte vorbehalten.
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eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net
Für meine drei Mädels, Manu, Denise und Celine, weil ihr immer bei mir seid, egal wo ich bin …
Thyri und Simon sind unsterblich. Auf ihrer Reise durch die Jahrtausende verloren sie sich aus den Augen. Ihre Geschichten führen uns vorbei an mystischen Orten und magischen Begebenheiten auf der Suche nach dem Grund für ihr ewiges Leben.
Mein Name ist Thyri. Ich lebe ewig. Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde. Ich suche nach meiner Liebe. Und ich suche nach dem Tod. Gemeinsam werden wir eine Antwort finden auf die Frage: Wer bin ich? Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben. Ich bin Thyri.
Das Gedächtnis der Welt
I
Sinai, Ägypten, 1956 nach Christus
Glühende Hitze brannte auf mich nieder, sodass ich meinen Kopf unter einem weißen Tuch verbergen musste. Schweißtropfen brannten in meinen Augen und der Wind pfiff in meinen Ohren.
Als ich vom Berg Sinai auf die Mauern des Katharinenklosters hinabblickte, musste ich unwillkürlich an einen überdimensionalen Sandkasten denken. Oder an eine Sandburg am Strand.
Bei meinem ersten Blick aus der Ferne überkam mich ein tiefes Glücksgefühl. Hinter diesem quadratischen Festungsbau, dem ältesten Kloster der Christenheit, mit Dächern in den verschiedensten Brauntönen, verkroch sich die erste christliche Bibliothek der Welt. Und ich würde sie betreten dürfen. Sechstausend handgeschriebene Schriftstücke erwarteten mich, einige davon älter als das Kloster selbst.
Seitdem ich am eigenen Leib erfahren hatte, mit welchen ungeheuren Kräften historische Schriften auf unsere Vergangenheit einwirken können, hegte ich den Wunsch, diese Klosterbibliothek zu besuchen. Man sagt, einzig und allein die Sammlung der Biblioteca Vaticana in Rom enthalte mehr Originalhandschriften aus dem Altertum.
Hier, im Katharinenkloster am Fuße des Sinai, hatte der Theologe Konstantin von Tischendorf 1844 den Codex Sinaiticus entdeckt, die älteste handgeschriebene Bibel der Welt. Er erkannte, welchen ungeheuerlichen Fund er gemacht hatte und brachte das Manuskript über Kairo nach Moskau, von wo aus es 1933 in die British Museum Library in London gelangt war.
Auch er muss diesen Ausblick genossen haben, dachte ich und stieg hinab ins Tal. Dabei fühlte ich mich eng verbunden mit den historischen Ereignissen dieser Stätte.
*
Ein mit schwarzem Talar bekleideter Mönch mit Bart und tiefschwarzer Kappe begleitete mich in einen Raum, dessen hohe Gewölbedecke von imposanten Rundbögen getragen wurde. Seinen Namen wollte er mir nicht verraten. An den Wänden reichten Holzregale bis zur Decke, vollgestopft mit Büchern und Schriftrollen bis oben hin. Nur ein Blick und schon spürte ich die Gewalt der vergangenen Jahrtausende auf mich einwirken.
Ich erkannte gleich, dass da noch mehr sein musste. Es war eine seltsame Ahnung – als lauerte eine uralte Legende an irgendeinem Ort unter den Steinen der Bibliothek, im Verborgenen.
Und dann sah ich es: Zwischen zwei Regalen blickte mir eine unscheinbare Tür, ein bisschen zu klein, um aufrecht hindurchzugehen, erwartungsvoll entgegen. Sofort war ich wie gebannt. Stille Vorfreude mischte sich mit dem fahlen Beigeschmack der Erinnerung an die Ereignisse vor 23 Jahren. Ich las, was in arabischen Schriftzeichen darauf geschrieben stand: ARCHIV.
Die schwarze Pforte – zwar an einem anderen Ort und in einer anderen Zeit, aber mit derselben Intensität und Anziehungskraft.
„Was ist damit?“
„Ich weiß nicht“, sagte der Mönch und sah sich hilfesuchend um.
„Man hat mir zugesichert, ich könne die Räume betreten – alle Räume“, sagte ich mit Nachdruck.
Der Mann brummelte etwas Unverständliches.
„Ist da offen?“ Ich ging zielstrebig auf die Pforte zu.
„Ich weiß nicht …“
Sein Kopf drehte sich hin und her.
„Lassen Sie mich mal“, sagte ich und drückte den Knauf. Die Tür öffnete sich. Und tatsächlich erwartete mich eine Treppe nach unten.
Ich fühlte mich wie durch die Zeit geschleudert – 23 Jahre. Und die unfassbaren Ereignisse von damals, als ich noch in der British Museum Library arbeitete, überschwemmten meine Erinnerung und jagten mir einen Schauer über den Rücken.
„Ich weiß nicht, ob Sie das dürfen“, jammerte der Mönch.
Was dieser Mann wusste und sagte, war mir egal. Ebenso, was erlaubt und was verboten war. Die Tür zum Bibliotheksarchiv verschlang mich und ich folgte den Stufen hinab.
Jeder Schritt abwärts war eine kleine Zeitreise. Noch ein Jahr. Und wieder eines. Und als ich unten angekommen war, spürte ich dasselbe Gefühl, das mich gepackt hatte, als ich vor beinahe einem Vierteljahrhundert das Archiv der British Museum Library zum ersten Mal betreten hatte.
*
Das Bibliotheksarchiv teilte sich in ein großes Gewölbe und winzige Nebenräume, abgetrennt durch mannshohe Torbögen. Eine ganze Weile stöberte ich in den alten Dokumenten. Ich spürte etwas, das ich aus meiner Zeit in London kannte. Wie ein wohltuender Geschmack im Mund, den man schon beinahe vergessen hat. Die ganze Zeit über hielt der Mönch Wache und verfolgte jeden meiner Handgriffe.
Aber da war auch ein unangenehmer Beigeschmack. Eine bittere Stimmung lag auf meiner Seele. Und ich hatte das ungute Gefühl, gleich überrascht zu werden.
Jetzt fuhr meine Hand in ein Fach mit handgeschriebenen Schriftrollen. Ein Schildchen am Regalbrett, mit ordentlichen arabischen Zeichen beschriftet, besagte: 20. JAHRHUNDERT. Nicht besonders interessant, wie ich fand. Meine Fingerspitzen betasteten den Holzboden des Regalfachs. Doch meine Aufmerksamkeit lag längst nicht mehr bei diesen Rollen.
Da überkam mich ein Gefühl, als träfe ich eine alte Bekannte. Ich tat einen Schritt zurück und betrachtete das Fach mit den handgeschriebenen Schriftrollen ein zweites Mal.
Und dann sah ich es: Hier, in der Bibliothek des Katharinenklosters, zwischen einem Dutzend anderer Schriften, steckte ein unscheinbares Papier, das mich aufgrund der Papierbeschaffenheit und der Art, wie es gerollt war, an etwas erinnerte, das ich einst geschrieben hatte.
Unmöglich.
Ich wollte es ignorieren. Letztendlich konnte es niemals mein Manuskript sein – geschrieben im Winter 1933 auf dem Barnabasbrief des Codex Sinaiticus, im Schreibraum des Archivs der British Museum Library, mit der Macht von tausenden historischen Büchern. Nein, das war nicht möglich. Ich runzelte die Stirn.
Der Wachtposten sah mir interessiert zu.
Ich tat ein paar Schritte, wollte weg. Aber die Ungewissheit hielt mich fest. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, solange ich nicht die undenkbare Ahnung aus der Welt geschafft hatte.
Deshalb lief ich zurück, nahm die Schriftrolle aus dem Regal, öffnete sie und las die ersten Zeilen.
Mein Name ist Thyri und ich schreibe hier und heute diesen Text mit kräftiger pechschwarzer Tinte auf ein verblichenes Blatt Papier. Ich muss das tun. Ich setze Buchstabe um Buchstabe zu Worten zusammen, bilde aus Wortketten zusammenhängende Sätze, forme sie zu Absätzen, Seite für Seite, bis daraus Kapitel entstehen. Der Grund dafür findet sich in der folgenden Erzählung.
Nichts ist wirklich unmöglich, das weiß ich heute. Und kein Augenblick in meinem Leben war ein stärkerer Beweis dafür als jener.
Die von mir gefertigte Fortsetzungsschrift des Codex Sinaiticus befand sich in der Heimat des Codex. Wie war sie hierhergekommen?
Als ich vor knapp 23 Jahren die letzten Worte mit dem Federkiel unter die Schriftrolle geschrieben hatte, saß ich in der Schreibstube der British Museum Library. Meine Finger taten weh und die Atemluft war dick und ungenießbar. Ich verfolgte einen Plan. Deshalb übereignete ich die Rolle, meine Geschichte, gestreckt mit einer ausgedachten – gefälschten – Szene, dem Archiv. Und ich hoffte, sie würde ihre Wirkung tun, ebenso wie sich auch die anderen Geschichtsfälschungen in die Vergangenheit geheftet hatten.
Ich konnte meine Augen nicht von dem Text lassen. Wieder und wieder las ich die Zeilen, die ich vor langer Zeit verfasst hatte …
II
Mein Name ist Thyri und ich schreibe hier und heute diesen Text mit kräftiger, pechschwarzer Tinte auf ein verblichenes Blatt Papier. Ich muss das tun. Ich setze Buchstabe um Buchstabe zu Worten zusammen, bilde aus Wortketten zusammenhängende Sätze, forme sie zu Absätzen, Seite für Seite, bis daraus Kapitel entstehen. Der Grund dafür findet sich in der folgenden Erzählung.
Irgendwo hatte ich einmal gehört, alte Bücher würden stinken wie verpisste Landstreicher. Meine Sprachkenntnisse und mein umfassendes Wissen über historische Hintergründe machten es mir leicht, eine Anstellung in der British Museum Library zu bekommen. Und als ich dort ankam, stellte ich fest, dass das Gegenteil der Fall war: Druckwerke stinken nicht – sie duften. Und es mischte sich der Geruch von Papier, Leim und Druckerschwärze mit dem Gefühl, das ich seit jeher verspüre, wenn ich ein Buch erwartungsvoll in die Hand nehme. Gebundene Texte sind meine große Leidenschaft. Und so wahrhaftig ich das körnige Fruchtfleisch einer aromatischen Birne auf der Zunge spüren kann, bin ich imstande, meine Nase in die Buchseiten zu stecken, tief einzuatmen und das Wunder der Geschichte lange vor dem Lesen zu schnüffeln – Papier, Leim und Druckerschwärze.
Als ich die British Museum Library in der Mitte des Jahres 1931 zum ersten Mal betrat, roch ich Leder, Teppich, Farbe und Holz. Ich spürte eine für mich unerklärliche Macht der Jahrtausende in den Regalen und roch den süßlichen und etwas modrigen Geruch der Bücher. Und das bestärkte mich nur in meiner Entscheidung. So unendlich viele wahre und fiktionale Geschichten in einem einzigen Raum – das war unfassbar. Und ich stellte mir vor, wie ich inmitten der turmhohen Holzregale in den alten Büchern schmökern und die ansprechendsten Titel lesen würde. In meinem Geiste hörte ich das belebende Geräusch beim Hin- und Herblättern der Buchseiten und das Reiben meines Daumens über das faserige Papier.
Von da an war ich diesem Ort verfallen. Jedes einzelne Druckwerk lud mich zum Lesen ein und ich fühlte mich von Anfang an in der überdimensionalen Bibliothek mehr zuhause als an jedem anderen Ort zuvor. Die Library wurde meine Oase – ein Ort der Freude und des Glücks.
Eigentlich war es den Mitarbeitern der Bibliothek nicht gestattet, wahllos in den Texten zu stöbern. Die Arbeit bestand darin, für Besucher die erwünschten Werke zu finden, aus dem Regal zu holen und nach dem Lesen wieder zurückzunehmen. Wenn wenig los war, hatte ich außerdem genug Zeit, sie auf ihren angestammten Platz zurückzustellen. Doch meistens bildeten sich auf dem Tresen Bücherstapel. Ich nutzte diesen Umstand und legte für mich interessante Abhandlungen oben auf den Ablagestapel. So konnte ich doch noch heimlich darin lesen.
Ich war insbesondere an alten, historischen Büchern interessiert. Ich forschte nach der Lebensgeschichte von Menschen, die ein Geheimnis verbargen – so wie ich. Ich hoffte darauf, Antworten auf meine Fragen zu erhalten und der Wahrheit meines ewigen Lebens ein Stückchen näher zu kommen. Und vielleicht würde ich in den Schriften sogar einen Hinweis auf Simon finden – wo er sich befand, ob er mir aus dem Weg ging oder warum ich ihn nicht finden konnte.
*
Und irgendwann wurde ich tatsächlich für meine Recherchen belohnt. Denn es kam der Tag, da stieß ich auf geschichtliche Ungereimtheiten.
Es war der Winter 1933. Ich grub in Texten über den Anbruch des 18. Jahrhunderts und die Schlesischen Kriege. Da hatte ich das sonderbare Gefühl, dass etwas nicht passte. Die Geschichtsbücher sprachen von drei Schlesischen Kriegen, in denen das Königreich Preußen und die Habsburgermonarchie um die Vorherrschaft in Schlesien kämpften. Die ersten beiden Kriege waren zudem Teil des Österreichischen Erbfolgekriegs. Der dritte war ein siebenjähriger Krieg, der alle europäischen Großmächte in die Auseinandersetzungen miteinbezog. Frankreich, Russland, das Heilige Römische Reich, Großbritannien, die österreichischen Habsburger und die Preußen kämpften in großen Schlachten um das Territorium. Die Bücher sprachen von 550.000 Opfern. Demnach sollte niemand, der zu jener Zeit auf dem alten Kontinent gelebt hatte, dieses kriegerische Großereignis verpasst haben. Es hätte an niemandem spurlos vorübergehen können. Doch das Problem war: Ich konnte mich