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"Mein Name ist Thyri. Ich lebe ewig. Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde. Ich suche nach meiner Liebe. Und ich suche nach dem Tod. Gemeinsam werden wir eine Antwort finden auf die Frage: Wer bin ich? Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben. Ich bin Thyri." 1753 n. Chr.: Gesichter, die aus Spiegeln herausblicken, sind etwas, das Thyri nicht für möglich hält. Sie ist verheiratet mit Valentin Glaser, einem Augsburger Spiegelmacher, und meint alles über die reflektierenden Oberflächen zu wissen. Bis sie eines Tages selbst nur noch ein Gesicht ist, das aus einem Spiegel herausblickt. Findet sie den Weg zurück in die Wirklichkeit? Oder verliert sie langsam den Verstand? Und aus welchem Grund landet sie in ihrer Verzweiflung gerade in der Hinterhofwerkstatt eines Uhrmachers? DIE EWIGEN: eine Serie von Geschichten vor den Kulissen der Weltgeschichte. Zu allen Zeiten finden sich Mystery, Horror und ein Hauch Liebe.
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Seitenzahl: 79
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Chriz Wagner
DIE EWIGEN
Spiegelwelten
Folge 9
Wagner, Chriz : DIE EWIGEN. Spiegelwelten. Folge 9, Hamburg, acabus Verlag 2018
Originalausgabe
epub-ISBN: 978-3-86282-592-9
PDF-ISBN: 978-3-86282-591-2
Lektorat: Sophia Nosthoff, Lea Oussalah, acabus Verlag
Cover: © Annelie Lamers, acabus Verlag
Covermotiv: #126739448, a magic crystal ball on blue astrology background © starblue; www.pixabay.com
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Der acabus Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH,
Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.
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© acabus Verlag, Hamburg 2018
Alle Rechte vorbehalten.
http://www.acabus-verlag.de
Dankeschön, Denise, für die Idee
und bitteschön für die Erfüllung des Wunsches.
Thyri und Simon sind unsterblich.
Auf ihrer Reise durch die Jahrtausende verloren sie sich aus den Augen. Ihre Geschichten führen uns vorbei an mystischen Orten und magischen Begebenheiten auf der
Mein Name ist Thyri. Ich lebe ewig. Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde. Ich suche nach meiner Liebe. Und ich suche nach dem Tod. Gemeinsam werden wir eine Antwort finden auf die Frage: Wer bin ich? Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben. Ich bin Thyri.
Spiegelwelten
I
Reichsfreie Stadt Augsburg, 1730 n. Chr.
Was ich zu erzählen habe, ist die ungeheuerliche Geschichte von einer außergewöhnlichen Welt. Die Erzählung von einem Spiegel – zukunftsweisend, unsagbar rein, zauberhaft perfekt und unglaublich schön. Ich muss dazusagen, dass brauchbare Spiegel im Jahr 1730 eher unüblich waren. Wenn Frauen zu jener Zeit ihre Schönheit betrachten wollten, setzten sie sich an einen Bach oder an einen Fluss und sahen hinein. Das reichte für ein verwaschenes Selbstbildnis, vor einem Hintergrund aus Flusskies, Wasserpflanzen, Algen und hin und wieder einmal einer Forelle, die sich zu nah ans Ufer wagte. Den Meisten genügte das. Mir nicht.
Dies ist eine Geschichte der Eitelkeiten – weil Spiegel und die übertriebene Liebe zum eigenen Bild so eng miteinander verwoben sind, wie Blutegel mit der Forellenhaut. Letztlich hat meine Selbstverliebtheit zu dem geführt, was ich zu berichten habe. Und oft frage ich mich, ob es meine Selbstgefälligkeit war, die mich in die reichsfreie Stadt Augsburg gebracht hatte.
Sieben Patrizierfamilien beherrschten zu jener Zeit die Großstadt. Sie machten es durch ihre moderne Weltaufgeschlossenheit möglich, dass die Kunst des Instrumentenbaus sowie die Weberei aufblühten, wie sonst nirgendwo. Auch meine Geschichte nimmt ihren Anfang vor einem Augsburger Webstuhl. Aber der spielt nur eine unbedeutende Nebenrolle.
Alles begann an einem warmen Sommermorgen am Flussufer des Lech nahe den Stadtmauern. Das Ufer fiel steil ab, und ich saß im Gras und ließ die nackten Füße vom angenehm kühlen Flusswasser umspülen. Ohne darüber nachzudenken, betrachtete ich mein ewig jugendliches Gesicht, die langen, blonden Haare und wie das Nass mit jeder Bewegung meine Umrisse verformte. Und meine Gedanken trieben ziellos durch die Jahrtausende. Wie oft war ich schon am Wasser gesessen? In einer anderen Zeit. An einem anderen Ort. Und egal, was die Menschheit auch anrichtete, die Magie dieses Augenblicks war für mich immer dieselbe.
Augsburg war ein schöner Flecken Erde. Das Stadtleben nahm mich in sich auf. Und niemand kam auf die Idee, dass hinter Thyri Glaser, der Ehefrau von Valentin Glaser, frisch vermählt, mehr stecken könnte, als eine genügsame Weberin. Nicht einmal Valentin.
Selbstverständlich machte ich mir so meine Gedanken: Wo würde das alles hinführen? Was wird mein Aufenthalt in dieser Stadt letzten Endes anrichten? Schließlich war ich nicht ohne Grund hier. Mich hatte das starke Gefühl nach Augsburg geführt, dass an diesem Ort zu dieser Zeit entscheidende Fäden zusammenliefen, die mein Schicksal bestimmten. Als wäre die Zeitgeschichte ein gigantisches Uhrwerk und Augsburg der Zahn eines Zahnrades, das mit anderen Rädern ineinandergreifen wollte.
Acht Jahre war ich jetzt an diesem Ort. Den Webstuhl beherrschte ich perfekt. Und seit drei Sommern kannte ich Valentin: den Charmeur, den ewig lächelnden Glückspilz, den lebenslustigen und überaus erfolgreichen Spiegelmacher – meinen Mann. Ich liebte diesen Kerl. Und ich genoss jeden gemeinsamen Tag.
Unaufhörlich konnte ich fühlen, dass dieser Ort sehr wichtig war, auf eine für mich besondere Weise. Ein intensives, aber unangenehmes Gefühl. Erwartung, die wie ein dunkler Fleck auf mir lastete. Und doch blieb ein Tag wie der andere. Und nichts geschah. Nichts, was ein gewöhnliches Menschenleben übertroffen hätte.
Bis zu jenem Tag am Fluss, als ich mit den Zehen im Wasser spielte und mein Bildnis verwischte. Und als ich so naiv war, zu glauben, mein Leben könnte einfach nur simpel und schön sein. Da war das Unheil längst mit großen Schritten auf dem Weg zu mir.
*
Von einer Sekunde zur nächsten war sie da. Ich sah ihr verkrampftes Gesicht, die weit aufgerissenen Augen. Entsetzte Hilflosigkeit unter der Wasseroberfläche. Die Frau strampelte mit den Gliedmaßen. Ihr Kleid wogte geistgleich mit der Bewegung des Wassers. Luftblasen quollen aus Mund und Nase. Sie war am Ertrinken und schien es aus eigener Kraft nicht an die Oberfläche zu schaffen. Und sie sah mich an. Blickte in mein Herz. Hilf mir. Oh mein Gott. Mein letztes Stündlein hat geschlagen. Ich ersticke. Bitte. Ich flehe dich an. Du, da draußen. Rette mich aus den Fluten, solange es noch nicht zu spät ist.
Auf der Stelle sprang ich in den Fluss. Eisiges Nass umspülte meine Hüften. Die Strömung zog an meinem Kleid. Ich suchte einen sicheren Stand und fasste sofort nach der Ertrinkenden. Bis zur Schulter steckte mein Arm im Wasser. Ziellos bewegte er sich hin und her. Doch ich bekam sie nicht zu fassen. Meine Hände griffen ins Leere.
Mit einem Mal fragte ich mich, ob mir mein Verstand einen Streich gespielt hatte. Oder hatte die Wasserbewegung das arme Ding längst mit sich gerissen, flussabwärts?
Ich stellte mich aufrecht hin. Das Eiswasser floss über Brust und Bauch. Aber das war mir egal. Ich brauchte nicht lange zu suchen. Mit weit aufgerissenem Mund, als würde sie vergeblich nach Luft schnappen, und mit gigantischen Augäpfeln, die aus dem Kopf zu platzen schienen, gierte ihr Antlitz aus dem Fluss. Und doch war sie außerstande, das kühle Nass zu verlassen. Die letzte Sekunde ihres Lebens. Der Hauch einer Chance, sie noch in meine Welt zurückzuholen. Eine Welt der Atmung und des Herzschlags.
Ich musste sie zu fassen kriegen. Auf der Stelle.
Wieder stach ich ins Wasser. Ich sah sie. Wusste genau, wo sie war. Verfehlen unmöglich. Und dennoch konnte ich nicht nach ihr greifen. Es schien, als fuhr meine Hand durch ihren Körper hindurch. Als sähe ich ihr Spiegelbild auf der Wasseroberfläche, obwohl sie gar nicht da war. Wie ein körperloser Geist.
Ihr sterbender Blick versetzte mich in Panik. Mit meiner ganzen Willenskraft und der festen Überzeugung, dass die Frau wahrhaftig unter mir im Wasser treibt, packte ich zu.
Endlich bekam ich ihre Haut zu spüren. Ihr Haar wischte über meine Finger. Meine Hand umfasste ihren Hals, als wolle ich sie erwürgen.
Im selben Augenblick durchfuhr mich ein ungutes Gefühl, wie ein Schlag. Ich spürte ihre Anwesenheit und doch war es, als fasste ich in eine andere Welt. Mein Arm schien mit einem Mal nicht mehr Teil meines Körpers zu sein. Sämtliche Emotionen, gute wie schlechte, waren plötzlich abgestellt. Nicht nur gefühlstaub, nein. Nie da gewesen. Und mit einem Mal überkam mich die Angst, mein Arm könnte schmerzlos abgetrennt worden sein.
Erschrocken zog ich ihn zurück, betrachtete meine Hand. Das Flusswasser plätscherte um meine Taille. Und ich spürte die Kälte an den Fingern und die Nässe auf der Haut.
Ich richtete meinen Blick auf das Bildnis der Frau im Wasser. Sie schien bewusstlos. Und ihr Körper schwebte unheimlich von mir weg. Ihre Hand schleifte über den Kies am Grund des Flusses. Ich war wild entschlossen, sie endlich aus ihrer hilflosen Lage zu retten.
Erneut stieß ich den Arm ins Flusswasser. Doch ich bekam sie nicht zu fassen. Ihre Gestalt drehte sich um die eigene Achse, der Arm löste sich vom Bodengrund und die Strömung nahm sie mit.
Verzweifelt streckte ich beide Arme nach ihr aus. Ich bin mir sicher, auf diese Weise hätte ich sie zu fassen bekommen müssen. Aber wieder langte ich durch sie hindurch, als wäre da nur die Spiegelung eines leblosen Frauenkörpers. Und wenn meine Unterarme ins Wasser eintauchten, verschwamm ihr Bildnis mit der Unruhe der Wasseroberfläche.
Hilflos blickte ich hinterher, wie ihr Körper, ihr Kleid, ihr Haar mit der Strömung verschwand. Ich hatte ihr beim Sterben zugesehen. Und jetzt war da nur noch ihre Leiche, die sich von mir wegbewegte.
Und als nichts mehr von ihr zu sehen war, stand ich atemlos und tropfnass mit beiden Beinen im Fluss und fragte mich, was da gerade eben geschehen war …
II
1753
Wundervolle Jahre lagen hinter uns. Viel zu schnell waren sie vorbeigezogen. Kinder hatte uns das Schicksal vorenthalten. Valentin war stets ein tüchtiger Geschäftsmann gewesen. Und überaus erfolgreich im Verkauf von Spiegeln aus eigener Herstellung.
Wir zogen in eines der elegantesten Häuser in den Heilig Creutz Gassen, wo außer uns nur Händler und der Klerus wohnten. Und weil es uns so gut ging, hatten wir sogar Dienstmädchen und Küchenhilfen angestellt.
Schon früh begriff Valentin, dass mit mir etwas nicht stimmte. Während seine Lebenszeit wie eine Tomate in der Mittagshitze dahinsiechte, blieb ich immerfort jung und gesund. Trotzdem stellte er keine Fragen. Er liebte mich, so wie ich war und nannte mich sein ruheloses Äpfelchen. Und als erster Klatsch und Tratsch über meinen ewigen Jungbrunnen aufkam, entließ er sämtliches Personal, um mich zu schützen.
„Die brauchen wir nicht, Äpfelchen“, hatte er zu meinem überraschten Gesichtsausdruck gesagt. „Das schaffen wir auch allein.“