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"Mein Name ist Thyri. Ich lebe ewig. Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde. Ich suche nach meiner Liebe. Und ich suche nach dem Tod. Gemeinsam werden wir eine Antwort finden auf die Frage: Wer bin ich? Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben. Ich bin Thyri." 1645 n. Chr.: Thyri lebt im österreichischen Schrattenthal und arbeitet als Magd bei dem übergriffigen und alles in allem wenig christlichen Pastor Kuntz Schnabel. Eines Nachts wird sie Zeugin eines ungeheuren Schauspiels: Während einer letzten Ölung öffnet der Pastor gewaltsam die Augen des Sterbenden und murmelt beschwörende Formeln. Und nun häufen sich die schrecklichen Ereignisse in Schrattenthal. Ein vorher so lebensfroher Händler lebt nun auf der Straße und erkennt Thyri nicht wieder, ein Bauer wird lebendig begraben und beinahe wird das junge Mädchen Helena von schwedischen Soldaten vergewaltigt. Doch im letzten Moment eilt ihr Ännlin zur Hilfe, die von sich behauptet ein Engel zu sein. Für Thyri beginnt eine Zeit der Fragen. Ist Ännlin eine Ewige wie sie? Oder ist sie ein Engel wie Ännlin? Wie kann sie Helena vor den Schweden und Pastor Schnabel schützen? Und gelingt es ihr mit Ännlins Hilfe das Böse aus Schrattenthal wieder zu vertreiben? DIE EWIGEN: eine Serie von Geschichten vor den Kulissen der Weltgeschichte. Zu allen Zeiten finden sich Mystery, Horror und ein Hauch Liebe.
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Seitenzahl: 99
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Chriz Wagner
DIE EWIGEN
Von sterbenden Engeln
Folge 4
Wagner, Chriz: DIE EWIGEN. Von sterbenden Engeln, Folge 4, Hamburg, acabus Verlag 2017
OriginalausgabeISBN: 978-3-86282-495-3
Lektorat: Carolin Wagner und Anna Coordes, acabus VerlagCover: © Annelie Lamers, acabus VerlagCovermotiv: #126739448, a magic crystal ball on blue astrology background © starblue, fotolia.com; pixabay.com
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Der acabus Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.
© acabus Verlag, Hamburg 2017Alle Rechte vorbehalten.http://www.acabus-verlag.de
eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net
Für meine drei Mädels, Manu, Denise und Celine, weil ihr immer bei mir seid, egal wo ich bin …
Thyri und Simon sind unsterblich.Auf ihrer Reise durch die Jahrtausende verloren sie sich aus den Augen. Ihre Geschichten führen uns vorbei an mystischen Orten und magischen Begebenheiten auf der Suche nach dem Grund für ihr ewiges Leben.
Mein Name ist Thyri.
Ich lebe ewig.
Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde.
Ich suche nach meiner Liebe. Und ich suche nach dem Tod.
Gemeinsam werden wir eine Antwort finden auf die Frage:
Wer bin ich?
Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben.
Ich bin Thyri.
Von sterbenden Engeln
I
Schrattenthal, Heiliges Römisches Reich im Jahr 1645 nach Christus
Pastor Kuntz Schnabel hatte es ungewöhnlich eilig. Sonst erinnerte sein Gang an ein schwankendes Weinfass – seinen verwöhnten Gliedmaßen mutete er nicht eine Bewegung zu viel zu. Doch in dieser kühlen Novembernacht, während innerhalb der schützenden Mauern von Schrattenthal jeder friedlich auf seiner Schlafstätte ruhte, hetzte er mich unsanft vor sich her. Unsere Schuhe schlitterten über das Kopfsteinpflaster und Schnabels Lunge ächzte so tief und schwer, dass ich glaubte, es müsse die Schlafenden wecken.
Plötzlich änderte er seine Taktik und drängte mich nach links. Offenbar ging es ihm nicht schnell genug. Mit diesem Richtungswechsel hatte ich nicht gerechnet. Die klobige Hand des Pastors fasste meinen Unterarm. Seine dickfleischigen Finger fühlten sich glitschig an. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, wie er damit so kraftvoll zupacken konnte. Mit einem energischen Ruck schob er mich beiseite, als wolle er einen lästigen Straßenköter loswerden, der im Weg stand.
„Weg da“, donnerte seine tiefe Stimme.
Ich stieß mit der Schulter gegen das feuchte Mauerwerk und Pastor Schnabel wuchtete seinen Körper an mir vorbei. Sein schwarzer Rock wehte mir ins Gesicht.
Es ging durch die muffige Hugenottenstraße und vorbei am rußgeschwärzten Haus der Wagners, das bei den Bränden in den Jahren 1642 und 1644 in Mitleidenschaft gezogen worden war. Der alte Wagner trotzte seinem Schicksal. Er baute es wieder aus, seltsamerweise mit Holzvertäfelung an den Wänden, doch immerhin mit einem modernen Rauchfang mitten in der Stube.
Ich dachte schon, Schnabel wollte mit mir zum Marktplatz, da stampfte er durch eine schmale Gasse auf dem nach Kot stinkenden, unbefestigten Pfad in Richtung Nordtor. Ich wollte zügig hinter ihm her, als mein Blick auf ein Bündel auf dem Kopfsteinpflaster fiel: eine speckige Felldecke, nackte Zehen und ein unbedeckter Arm. Ich trat näher an den sonderbaren Haufen heran. Ich versuchte, zwischen den Falten der Decke den Inhalt des Bündels auszumachen und erkannte einen Kopf.
Es war nichts Ungewöhnliches, jemanden auf der Straße schlafen zu sehen. Die meisten gaben dem Grafen Strozzi die Schuld daran, dem Schrattenthal 1620 zugesprochen worden war, als die Familie von Eyczing zu Kriegsbeginn ihre Ländereien verloren hatte. Andere glaubten, der Krieg selbst habe die Menschen zugrunde gerichtet. Doch für mich spielte es keine Rolle – mir taten die Rumtreiber leid. Zumal es viel zu kalt war, um die Nacht draußen zu verbringen.
Das Bündel roch nach einer scharfen Mischung aus Schweiß und Urin.
„Alles in Ordnung?“, fragte ich vorsichtig und hoffte inständig, dass der Stadtstreicher nicht tot war.
Schnabel raunte ungeduldig: „Wo bleibst du?“
Da hob sich das Fell, der Kopf drehte sich und zwei schläfrige Augen sahen mich an.
„Beweg dich hierher, gottloses Miststück!“, hallte Schnabels Stimme durch die nächtliche Gasse. Ich zuckte zusammen. Das würde Ärger geben. Eigentlich musste ich ihm schleunigst folgen, ehe dem Pastor der Kragen platzte.
Doch ich blickte wie gebannt auf den Stadtstreicher. Zuerst wusste ich sein Gesicht nicht zuzuordnen. Der Mann versteckte es hinter einem verdreckten, zerzausten, weißblonden Vollbart. Doch dann erkannte ich ihn. In meiner Erinnerung fand ich das Bild eines hochgewachsenen Mannes, gepflegt, stattlich – ein Händler auf dem Schrattenthaler Wochenmarkt. Unmöglich, dachte ich und riss die Augen auf. Aber doch – er war es. Er hatte stets eine wohlgenährte Kuh an seiner Seite gehabt, mit glänzendem Fell, wie ich es lange nicht gesehen hatte. Und er hatte immer Späße im Kopf und liebe Worte auf der Zunge gehabt. Einmal hatte ich meinen Blick nicht von seinem Käse abwenden können, obwohl er zwischen den Massen an Eiern, Butter und Milch recht unscheinbar aussah. Der Händler hatte mir verstohlen zugezwinkert, gelächelt und mir bedeutet, den Mund zu öffnen. Und in einem unbeobachteten Augenblick hatte er mir einen cremigen, mit Gewürzen verfeinerten Käsebrocken zwischen die Lippen geschoben, der ganz von alleine köstlich auf meiner Zungenspitze zerging. Sein zufriedenes, selbstloses Lächeln hatte sich in meine Erinnerung eingebrannt wie ein strahlender Sonnentag in einer Welt der ewigen Dunkelheit.
„Wenn du nicht sofort deinen Hintern hierher bewegst, dann setzt es was!“, brüllte Schnabel.
Der Händler sah mich verstört an. Offenbar erkannte er mich nicht. Vielleicht war er auch betrunken oder einfach nur benebelt von der klirrenden Kälte.
Schnabels Schritte stampften über den Lehmboden auf mich zu. Doch in diesem Moment hatte ich keine Angst. Ich wollte ihn fragen, wie es so weit hatte kommen können, dass aus dem stämmigen Kerl mit dem unentwegten Lächeln ein Häufchen Elend geworden war. Im selben Augenblick jedoch packte mich eine grobe Pranke am Hals und schleuderte mich zu Boden. Mir blieb die Luft weg. Ich beugte mich vornüber, hielt mir die Kehle und schnappte nach Atemluft.
„Das passiert, wenn man nicht hört“, grunzte der Pastor hinter mir. „Lass dir das eine Lehre sein. Hast du mich verstanden?“
Ich kämpfte mit Schwindelgefühlen und Atemnot. Da trat sein Fuß gegen meine Seite.
„Ob du verstanden hast, will ich wissen! Wenn ich sage ‚komm‘, dann kommst du. Kapiert?“
Ich kannte Schnabel lange genug, um zu wissen, dass er sogar dann eine Antwort erwartete, wenn ich schon bewusstlos im Graben lag. Deshalb presste ich mühsam das Wort hervor.
„Ja.“
„Gut“, knurrte er zufrieden. „Dann komm.“
Ich konnte nicht aufstehen. Vornüber gebeugt hielt ich mir die Kehle und hechelte nach Luft. Ich wusste, das würde Prügel geben. Trotz alledem fehlte mir die Kraft in den Gliedmaßen.
Da fühlte ich seine massige Hand über meinen Hintern streichen. Es war nicht das erste Mal, dass er mich anfasste. Und ich war gewiss nicht die erste Frau, die dieser Lüstling betatschte. Aber so unangenehm die Berührung seiner Fleischfinger auf meinem Rock auch war, so froh war ich, Zeit gewonnen zu haben. Ich musste auf die Beine kommen.
Nach ein paar erfrischenden Atemzügen erhob ich mich mühsam.
„Da lang“, sagte er und klang enttäuscht.
Als ich loslief, verschwand seine Hand von meinem Hinterteil – endlich. Hätte ich gewusst, was an diesem Abend noch auf mich zukommen würde, hätte ich mir das Gefühl der Erleichterung wohl nicht gestattet …
II
Nahe dem Nordtor fiel eine Ansammlung von größeren Gebäuden auf, die Beamten und Händlern vorbehalten waren. Ich kam nur selten in diese Gegend. Das Haus, vor dem wir nun zum Stehen kamen, war das einzige mit Schnitzereien an der Tür. Pastor Schnabel pochte mit der Faust gegen das massive Holz. Bis auf Schnabels pfeifende Lunge war es mucksmäuschenstill. Auch im Inneren tat sich nichts. Kein Wunder, dachte ich und blickte zum Mond, der uns wie ein leuchtendes Auge zusah.
Ich erschrak, als Schnabel erneut und noch energischer gegen die Tür schlug. Drinnen waren Schritte zu hören. Tapsend, wie von einer ungeschickten Katze, kamen sie zielstrebig auf die Tür zu. Dann rieb Metall an Metall, das Schloss wurde entriegelt und die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Zum Vorschein kam ein schmales Gesicht – Maria. Ich kannte sie vom Wochenmarkt.
„Ja?“, piepste ihr sanftes Stimmchen. Ich wusste, dass sie nicht nur vorsichtig, sondern auch ängstlich war.
Mit klarem Befehlston herrschte Schnabel sie an: „Hol Hess aus dem Bett. Es eilt.“
„Mein Herr möchte nicht gestört werden“, sagte Maria unsicher. „Unter keinen Umständen.“ Letzteres klang fast wie eine Frage.
Ich kannte Maria so gut, dass ich wusste, sie würde die Anweisungen ihres Herren penibelst genau befolgen. Sieben Eier, hörte ich sie in meiner Erinnerung sagen, aber nur die großen und weiß müssen sie sein, wie die Federn des Schwans. Nein. Dieses Weiß ist noch zu grau. Jetzt sah sie mich hilfesuchend an.
„Es interessiert mich nicht, was Hess zu dir gesagt hat. Ich bin der Pastor und ich will auf der Stelle mit ihm sprechen. Es geht um ein wichtiges Geschäft.“
Verzweiflung lag in ihren Augen. Ich konnte ihr Dilemma nachempfinden. Gerade eben war ihre Welt noch friedlich gewesen, ihr jähzorniger Gebieter war endlich zu Bett gegangen und sie selbst konnte sich erleichtert auf ihren armseligen Schlafplatz zurückziehen. „Ich will unter keinen Umständen gestört werden“, waren seine letzten Worte gewesen. Diesen Satz bläute er ihr vermutlich täglich ein. Da pochte Schnabel an die Tür und verlangte von ihr, dass sie ihren Herrn aus den Federn warf. Wenn sie ihn weckte, widersetzte sie sich seinen Anweisungen. Aber wenn sie uns fortschickte, widersetzte sie sich dem Pastor. Gewiss hätte sie uns am liebsten in Luft aufgelöst.
„Hat es nicht bis morgen Zeit?“, fragte sie nach einem Rettungsanker suchend.
Wieder warf sie mir einen Blick zu, die Augen feucht. Ich hätte mich gerne für sie eingesetzt. Doch was waren meine Worte wert? Ich zuckte mit den Schultern und lächelte ihr entschuldigend zu.
Schnabel ging nicht im Geringsten auf ihre Frage ein. Er drückte die Tür auf, schob Maria weg, betrat das Haus und plärrte: „Hess. Wo steckst du? Es ist so weit. Hess?“
Ein aufgeschreckter Hund mit einem Maul breiter als meine Hand kam uns knurrend entgegen.
„Was machen Sie?“, rief Maria.
Schnabel brüllte noch lauter: „Hess?“
Der Köter bellte los.
Eine Tür wurde geöffnet. Zum Vorschein kam ein Mann, kleiner als ich, mit zerzaustem, schulterlangem Haar – und er war nackt.
Maria errötete. Nicht, weil sie ihrem Herrn nicht gerecht wurde, sondern weil ich ihn so sah, wie sie ihm unter keinen Umständen begegnen mochte. Sie blickte auf den Boden. Und ich sah eine Träne in ihrem Gesicht.
„Halt die Schnauze!“, brüllte der Nackte. Der Hund verstummte und verschwand mit krummem Rücken und eingezogenem Schwanz.
„Es ist so weit“, sagte Schnabel herrisch. „Jetzt.“ Das letzte Wort sollte heißen: Es eilt.
Hess wandte sich an Maria. Seine Stimme klang zu hoch für einen Mann, näselnd und wütend.
„Warum hast du mich nicht geweckt?“
Und ohne langes Überlegen gab er Maria mit der flachen Hand einen dumpfen Schlag auf den Hinterkopf. Ab diesem Moment hasste ich ihn abgrundtief. Und, wie sich herausstellen sollte, zurecht …
III
Nach einer wilden Jagd durch Schrattenthals Gassen – ich vorneweg, wie ein gehetztes Reh – erreichten wir das Wohnhaus der Familie Rieder. Ich fragte mich, warum uns Hess hierher gefolgt war. Den ganzen Weg über hatten die beiden Männer kein Wort gesprochen.
Obwohl es bereits Mitternacht war, stand die Haustür offen. In der Stube flackerte Kerzenlicht und zeichnete die Umrisse zweier Männer, die vor dem Haus ein Gespräch führten. Einer hatte ein schluchzendes Mädchen an der Hand. Ihre blonden Locken funkelten im Flammenlicht wie ein goldenes Farbenspiel.
„Endlich“, hörte ich einen der beiden sagen.
„Gerade noch rechtzeitig“, schnaufte der andere.
Als uns das Mädchen kommen sah, fing es an zu weinen.