DIE EWIGEN. Erinnerungen an die Unsterblichkeit - Chriz Wagner - E-Book

DIE EWIGEN. Erinnerungen an die Unsterblichkeit E-Book

Chriz Wagner

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Beschreibung

Aus den Memoiren der Unsterblichkeit Thyri und Simon sind unsterblich. Auf ihrer Reise durch die Jahrtausende verloren sie sich aus den Augen. Ihre Geschichten führen uns vorbei an mystischen Orten und magischen Begebenheiten auf der Suche nach dem Grund für ihr ewiges Leben. Dieser Sammelband enthält fünf Erzählungen aus den Memoiren der EWIGEN. In "Die Gärten von Rom" erzählt Simon, weshalb im Jahr 11 n. Chr. Roms Grünanlagen von Kindern nicht mehr betreten werden durften. "Der Bruderpakt" wird den Brüdern Renz zum Verhängnis. Und die grausame Beichte dahinter kreuzt im Jahr 1891 Simons Lebensweg. "Die Zeichen der Schuld" und der Kampf um Gut und Böse führen den Leser zurück zu den biblischen Anfängen der Menschheit. Thyri berichtet in "Von sterbenden Engeln", wie sich im Jahr 1645 die dunklen Schatten des Mittelalters um Schrattenthal zusammenzogen. Und was geschah, als 1933 der Codex Sinaiticus, die älteste Bibelübersetzung der Welt, seinen Weg in die London Museum Library fand, erzählt Thyri in "Das Gedächtnis der Welt". DIE EWIGEN: eine Serie von Geschichten vor den Kulissen der Weltgeschichte. Zu allen Zeiten finden sich Mystery, Horror und ein Hauch Liebe.

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Chriz Wagner

DIE EWIGEN

Erinnerungen an die Unsterblichkeit

Sammelband der Folgen 1 – 5

Wagner, Chriz : DIE EWIGEN. Erinnerungen an die Unsterblichkeit. Sammelband der Folgen 1–5, Hamburg, acabus Verlag 2017

Originalausgabe

epub-ISBN: 978-3-86282-491-5

PDF-ISBN: 978-3-86282-519-6

Print-ISBN: 978-3-86282-459-5

Lektorat: Carolin Wagner und Anna Coordes, acabus Verlag

Cover: © Annelie Lamers, acabus Verlag

Covermotiv: #111696534: glass ball in hands with abstract background © rolffimages, fotolia.com

Dieser Sammelband enthält die Folgen:„Die Gärten von Rom“„Der Bruderpakt“„Die Zeichen der Schuld“„Von sterbenden Engeln“„Das Gedächtnis der Welt“

Alle Folgen sind auch einzeln als E-Book erhältlich!

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der acabus Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

© acabus Verlag, Hamburg 2017

Alle Rechte vorbehalten.

http://www.acabus-verlag.de

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Für meine drei Mädels, Manu, Denise und Celine,weil ihr immer bei mir seid, egal wo ich bin …

Thyri und Simon sind unsterblich. Auf ihrer Reise durch die Jahrtausende verloren sie sich aus den Augen. Ihre Geschichten führen uns vorbei an mystischen Orten und magischen Begebenheiten auf der Suche nach dem Grund für ihr ewiges Leben.

SIMON

Mein Name ist Simon.Ich lebe ewig.Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde.Ich habe außergewöhnliche Dinge gelernt auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage:Wer bin ich?Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben.Ich bin Simon.

Die Gärten von Rom

I

Anzino, Rom im Jahr 11 nach Christus

Es war etliche Jahrzehnte vor dem Jahre Null in christlicher Zeitrechnung. Nach dem Kalender der Bürger Roms muss es ungefähr 728 ab urbe condita – seit der Stadtgründung – gewesen sein. Aber das war den Menschen in dieser Gegend gleichgültig.

Dieses Mal führte mich meine Suche in ein Landgebiet, mehrere Tagesreisen von Rom entfernt, einer Metropole, die man schon bald als Die Mitte der Welt bezeichnen sollte. Aber davon bemerkte man hier nichts. Die unbefestigte Straße führte über Felder, die fast unablässig vom Wind heimgesucht wurden, sodass man den Weg oft nicht vom Acker unterscheiden konnte.

Alle Wege führen nach Rom, so sagt man heute. Doch dieser eine endete in Anzino, einer Hundert-Seelen-Gemeinde am Tiber, wie ich heute weiß. In sämtlichen Ecken stank es nach Fisch. Trotzdem war ich froh, in dem kleinen Dorf angelangt zu sein. Mein Hals kratzte vom Staub. Meine Lippen waren aufgeplatzt. Und der Wasservorrat, den ich in einem Lederbeutel auf dem Rücken trug, fühlte sich verdächtig leicht an. Die Häuser wirkten fehl am Platz, wie auf das Ödland aufgesetzt und vom Schutt begraben. Es gab kein Grün in Anzino. Nur Braun, Gelb und Grau. Der Weg führte zwischen zwei Holzhütten hindurch. Überall hingen schmutzige Gesichter an den Fenstern. Hinter den dunklen Gucklöchern leuchteten die Augäpfel weiß, die Pupillen sprangen hin und her. Ich vermutete Kinder, mindestens ein Dutzend, wunderte mich aber, dass sie nicht ausgelassen durch die Straßen tollten, wie andernorts auch.

Es wehte noch immer dieser unbarmherzige Wind, trotz der Bruchbuden, die rechts und links die Straße abschirmten. Ein ausgezehrter Mann mit fransigem Bart und Gehstock humpelte hinter mir hinter einer Baracke hervor.

Tok-tum. Tok-tum.

Er wirkte uralt, die Haut runzlig und wettergegerbt, die Beine krumm und dürr. Aber ich erinnere mich, dass er trotzdem recht flott mit dem Stock über den Schutt wackelte. Das einzige Geräusch weit und breit war das Aufsetzen seines Holzstabs im Dreck.

Tok-tum. Tok-tum.

Er lief in meine Richtung und überholte mich. Ich sah, wie er seine Knochen vorantrieb, sich quälte. Er hätte eigentlich auf einen Stuhl in der Ecke einer Stube gehört, zu seinen Enkeln und Urenkeln. Jetzt erst entdeckte ich eine kurze Schnur, die an den Gehstock gebunden war. Am anderen Ende baumelte ein knallrotes Fähnchen, in der Art, wie man es heute von den Gebrauchtwagenmärkten kennt.

Ich wollte von ihm wissen, ob es in Anzino eine Schlafmöglichkeit für mich gab. Daraufhin sah er mich an, als wäre ich eine einzelne Mohnblüte auf einem Kornfeld. Ohne stehenzubleiben, sagte er drei Worte, voller Hoffnung und Lebensenergie: „Er ist da.“

Und gleich tauchten noch mehr Kinderaugen und winzige Finger, die unruhig in unsere Richtung zeigten, an den Fenstern auf.

Tok-tum. Tok-tum.

Ich betrachtete den Alten skeptisch und mit einem Hauch Sorge. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er die Strecke würde zurücklaufen können. Und so wie er schnaufte, würde es schon bald nötig sein. Aber er hatte mich neugierig gemacht. Und ich dachte als Allererstes, dass er wohl zu einem Heiler wollte.

„Wer ist da?“

Das hätte ich nicht fragen dürfen. Sofort verschwanden die Augen an den Fenstern in der Dunkelheit der Häuser. Der Alte blieb stehen und sah mich fassungslos an. Dann hob er den Stock in die Luft. Seine Beine zitterten. Sie würden die Last des Körpers nicht lange tragen können. Und wieder kam der Wind auf. Das Fähnchen am Gehstock flatterte.

„Er“, sagte er, als würde dies alle Fragen beantworten.

Und winzige Gesichter wagten sich so nah an die Fenster heran, dass man sie erkennen konnte: Jungen und Mädchen, ungewaschene Wangen, verfilzte, strähnige Haare. Mit offenen Mündern und großen Augen sahen sie zu dem einzigen Farbklecks hin, der in diesem Ort zu sehen war – dem roten Gebrauchtwagenfähnchen.

*

Ich entdeckte die Erwachsenen auf dem Dorfplatz am Fluss. Wenigstens dreißig Menschen, Frauen wie Männer. Und noch mehr farbige Wimpel, auch in saftigem Grün, strahlendem Gelb und in kräftigem Blau. Ein junger Mann mit lockigem Haar trug seines sogar um den Kopf gebunden, eine Frau an der befleckten Schürze. Die meisten hielten ihre Fahne an einer Schnur in der Hand.

„Was ist hier los?“, fragte ich in die Runde. Die Frau mit dem Fähnchen an der Kochschürze fühlte sich angesprochen. Sie sah so aus, wie ich mir eine Haushälterin vorstellte: ein farbloses Kleid um den wulstigen Körper gewickelt, ein übereifriger Ausschnitt und ein verwaschenes Häubchen, um das Resultat ihrer Kochkünste vor Läusen zu schützen.

„Magnus ist zurück!“, rief sie begeistert. Sofort dachte ich an einen römischen Gesandten, der Brot und Wein verteilte und von der Güte des Kaisers Augustus berichtete. Ein Grund, sich zu freuen. Ich stellte mir einen krossen Brotlaib vor. Das Wasser lief mir im Mund zusammen. Sie deutete zum Fluss.

Ein Mann machte seinen Kahn an einem Pfahl fest und streckte mir dabei sein Hinterteil entgegen. Hätte ich damals gewusst, was noch kommen sollte, hätte ich ihm an Ort und Stelle einen Tritt in seinen Hintern verpasst, sodass er vornüber in den Tiber geplumpst und hoffentlich ersoffen wäre.

Magnus entpuppte sich als kräftiger, stämmiger Kerl, mit kurzem, naturgelocktem dunkelbraunem Haar und buschigen Augenbrauen. Wie Baumstämme ragten die behaarten Beine aus den abgenutzten Sandalen und verschwanden in der hochgezogenen Tunika. Durch den Vollbart wirkte sein Schädel kugelrund. Was mich damals am meisten überraschte, war seine Kopfbedeckung. Heute würde man sie wohl als Mütze eines Hofnarren bezeichnen. Doch diesen Begriff gab es damals noch nicht. Vier Zipfel hingen herab, jeder in einer anderen Farbe: blau, rot, gelb und grün. Dieselben Farbtöne wie die der Dreieckstücher.

„Liebe Leute sehet an …“, rief Magnus mit kräftiger Stimme und schon nach den ersten beiden Worten stimmten alle mit ein: „… was ich alles zeigen kann!“ Und wie von Geisterhand flogen vier apfelgroße Kugeln in die Luft, die eine rot, die anderen gelb, blau und grün. Die Leute klatschten in die Hände, die Gesichter strahlten. Und Magnus jonglierte die Bälle vor seinem Körper – hip, hip, hip – schneller, als meine Augen folgen konnten.

„Bildet einen Kreis“, rief ein Mann, der die Haare als Einziger ordentlich frisiert trug. Durch das Pallium über seiner Toga wirkte er seriöser, als die restlichen Menschen auf dem Dorfplatz. Ihm war die Begeisterung für die bunten Bälle ins Gesicht geschrieben. Und ich muss zugeben: Das Gefühl war ansteckend. Obwohl der Jongleur bisher keine besondere Leistung vollbracht hatte, spürte ich ein Hochgefühl in mir aufsteigen, für das, was noch kommen würde. Ich klatschte in die Hände und feuerte ihn mit an.

„Hip. Hip. Hip.“

Da schallte zum zweiten Mal Magnus’ Stimme über den Platz: „Liebe Leute sehet her …“

Die Menschen kannten ihren Text. Und sie freuten sich, ihn zum Besten geben zu können. Im Chor forderte die Menge: „… Jongleur Magnus kann noch mehr!“

Und dann schwangen sie jubelnd ihre Wimpel.

Plötzlich wurden aus den Holzbällen acht kleinere Kugeln, zwei von jeder Farbe. Es sah aus, als teilten sie sich in der Luft und fielen abwechselnd in die rechte oder die linke Hand. Und Magnus jonglierte mit allen acht Farbkreisen. Es war wundervoll.

„Hip. Hip. Hip“, riefen die Menschen im Takt. Ein paar Hände klatschten. Und ich ertappte mich dabei, wie auch ich applaudierte.

Mit seinen bunten Bällen und der Zipfelmütze inmitten von zerlumpten Arbeitergewändern war dieser Mann ein besonderer Anblick. Das Kunststück wirkte kinderleicht. Trotzdem konnte ich meine Augen nicht mehr von ihm lassen. Vermutlich ging es den anderen auch so. Und deshalb entging ihnen das Tier, das gebückt über den Platz schnüffelte, als suchte es nach etwas Essbarem – einem Stückchen Dörrfleisch vielleicht? Als es an mir vorbeihuschte, stieg ein furchtbarer Geruch in meine Nase, der Geruch von Verwesung. Ich sah hinterher: eine Hyäne, gigantisch und kräftig wie ein kleines Pferd, das graue Fell zerrupft, als hätte es unzählige Kämpfe überstanden. Niemanden sonst schien das Wesen zu beunruhigen. Vermutlich bemerkten sie es gar nicht. Alle Augen folgten den bunten Bällen – hip, hip, hip.

„Liebe Leute sehet her …“, rief Magnus, so laut, dass seine Stimme zwischen den Hütten echote. Sofort hielt er die Hände still, mit dem Handrücken nach unten. Die Kugeln fielen eine nach der anderen auf die Handflächen. Und das Wunderliche war, sie prallten nicht daran ab, wie man es beim Zusehen erwartet hätte. Es sah aus, als würden sie in den Händen verschwinden; vier in der rechten und vier in der linken. Dann stand er da, lächelte, und die Bälle waren weg.

Und die Menge rief: „… Jongleur Magnus kann noch mehr!“

Wie auf Kommando schossen sechzehn winzige Farbkugeln, so groß wie Weintrauben, aus den Händen. Sie flogen in die Luft, zwei Ketten aus jeweils acht Kügelchen. Ohne dass er eine Hand bewegte, drehten sie eine Runde um seinen Kopf und schwebten zurück in die Handflächen, aus denen sie gekommen waren.

Die Menschen jubelten, applaudierten und feuerten ihn mit „Hurra“-Rufen an, weiterzumachen.

Das hatte nichts mit irgendwelchen Tricks zu tun. Nein. Hier hätte mir auffallen können, dass etwas Finsteres am Werk war, das die Leute in seinen Bann zog. Aber ich dachte nicht darüber nach. Vielleicht, weil ich dieser Kraft selbst längst verfallen war.

Doch noch eine Sache ließ mir keine Ruhe. Ich hatte schon öfter Vorstellungen von fahrenden Schaustellern beigewohnt. Eines vermisste ich bei dieser ganz besonders. Ich lehnte mich zur Seite und flüsterte dem Mann neben mir ins Ohr: „Wo sind die Kinder?“

Er schüttelte den Kopf, als hätte ich ihn aus einem unsichtbaren Bann gerissen. Dann sah er verloren zwischen mir und der Aufführung hin und her. Schließlich fauchte er mich an: „Bist du verrückt? Er kann Kinder nicht leiden.“ Er wirkte, als hätte ich ihm etwas weggenommen. Seine Augen verengten sich zu bösartigen Schlitzen. Schließlich, als wäre er aus einem eigenartigen Traum erwacht, kehrte er der Darbietung den Rücken und ging.

Meine Begeisterung wich wohl langsam einer Beunruhigung. Mit einem Mal fand ich die Vorführung nicht mehr so toll. Eher langweilig – ein Mann, albern angezogen, der immer wieder dieselben Tricks vorführte, mal von oben, mal von unten, mal hinter dem Körper, dann davor.

Mittlerweile jonglierte er mit acht Bällen, die er herabfallen ließ, sodass sie vom Boden abprallten und zurück in seine Hände sprangen. Seine Bewegungen wirkten nicht mehr so leichtfüßig wie zuvor. Er musste sich gewaltig konzentrieren. Eine fette Schweißperle kullerte seine Stirn hinunter, sein Ausdruck war verbissen. Und für den Bruchteil einer Sekunde sah er zu mir herüber, vorwurfsvoll, anklagend, als hätte ich ihm sämtliche Mühen tagelanger Arbeit verdorben. Das sagte nicht nur sein Blick. Nein. Ich fühlte es deutlich in meiner Brust. Mit meiner Frage hatte ich ihn aus dem Fluss gebracht. Er duldete keine Unterbrechungen. Keine Fragen. So war das Gebot. Ich hatte dagegen verstoßen. Schandmaul.

Aber spätestens als er die bunten Bälle gegen Feuerflammen tauschte, war die kurze Störung vergessen. Die Menge hatte gerade eben ihren Spruch aufgesagt: „… Jongleur Magnus kann noch mehr!“, und die Fähnchen wehten jubelnd in der Luft.

Jetzt hatte er die Hände gespitzt, sodass die Fingerkuppen aneinander lagen. Vier Flammen, so groß wie Mäuse, hüpften zwischen den Fingerspitzen hin und her, immer zwei von ihnen gleichzeitig in Bewegung. Sie leuchteten in unterschiedlichen Farben: gelb, rot, grün und blau.

Keine Kinder? Dieser Gedanke ließ mir keine Ruhe. Meine Grübelei hatte mich aus dem Bann gerissen. Wie macht er das nur?, fragte ich mich und sah keine zauberhafte Aufführung, sondern einen Mann, der mir eine Illusion unterjubeln wollte. Keine Kinder. Das verstand ich nicht. Ich glaubte nicht, was ich sah. Ich wollte hinter die Kulisse blicken. Ich hatte schon zu viele außergewöhnliche Dinge erlebt und fast immer steckte entweder ein simpler Trick oder etwas Böses dahinter. Ich vermutete Täuschung. Kartenspielertricks. Aber so angestrengt ich das Flugspiel der Feuerbälle auch verfolgte, ich entdeckte keinen durchsichtigen Faden, keinen doppelten Boden, kein Rettungsnetz. Die Illusion war perfekt.

War es möglich, dass dieser Mann tatsächlich die Elemente beherrschte? Weil ich hinter das Geheimnis kommen wollte, konzentrierte ich mich auf den Jongleur und die springenden, bunten Flämmchen.

Da erschallte sein Ruf.

„Liebe Leute sehet her …“

Ich stimmte mit ein.

„… Jongleur Magnus kann noch mehr!“

Ich weiß nicht, warum ich es tat. Aber ich hob die Hände in die Luft, applaudierte und war fasziniert von den Feuerbällen, die in seinem Mund verschwanden. Dies war so außergewöhnlich, dass ich mich wieder dem Schauspiel hingab. Auch der Gestank war verschwunden. Stattdessen roch ich geröstete Nüsse und den Duft von kandierten Früchten. Als die letzte Flamme verschluckt war, lächelte der Jongleur zufrieden. Das Lächeln galt mir.

Dann folgte der Trick mit den Bechern. Es waren bemalte Zinnbecher – zumindest hatten sie diesen hohlen Klang, wenn sie auf den Tresen schlugen, den Magnus am Bauch trug. Ich wunderte mich, dass ich nur drei Farben zählte: rot, grün und gelb. Aber nur, bis ich das blaue Dreieckstuch in seiner Hand erblickte. Er steckte es unter den gelben Trinkbecher und jonglierte mit den Bechern, ohne dass das Fähnchen herauspurzelte. Dann knallte er sie nacheinander auf den leeren Bauchladen. Wer erriet, wo sich das Stofftuch befand, würde zur Belohnung eine besondere Rose erhalten. Nachdem er die Zinnbecher über seiner Narrenkappe herumgewirbelt hatte, war das Tuch, wie von Zauberhand, nicht mehr im gelben, sondern im roten Becher. Es war schier unmöglich, den passenden Becher zu erraten. Der seriöse Mann mit dem Pallium über der Toga versuchte es zwei Mal. Und jedes Mal, wenn er falsch riet, machte der Jongleur zuerst eine überraschte, dann eine spöttische Grimasse. Und ich lachte ebenso wie der Rest der Menge. Es war lustig, wie die Menschen auf den Trick mit den Trinkbechern immer wieder hereinfielen. Und noch unterhaltsamer waren Magnus’ Gesichtsausdrücke. Reingefallen. Lange Nase. Ätschbätsch.

Auch die Haushälterin forderte ihr Glück heraus. Natürlich zog sie den falschen Becher. Trotzdem überreichte er ihr eine Rose. Ein Trostpreis. Sie war begeistert, roch an der blauen Blüte, hob die Pflanze in die Luft und zeigte sie herum. Applaus. Zu meiner Verwunderung hatte der Stängel keine Dornen.

*

Etwas berührte mein Bein. Die feuchte Nase der übelriechenden Hyäne. Offenbar hatte sie gefunden, wonach sie gesucht hatte. Sie hörte auf zu schnüffeln, nahm mich ins Visier und fletschte die Zähne. Ich sah rotes Fleisch zwischen gelben Zähnen, wabernd und blutig. Sie knurrte bedrohlich – eine Warnung: Letzte Chance, sonst wird es ernst. Ihr Atem stank mir entgegen und wieder wunderte ich mich, warum niemand sonst das Wesen wahrzunehmen schien. Es war, als wäre es nur eine lästige Mücke, die man erst bemerkt, wenn man selbst gestochen wird.

Dann biss sie in meinen Wasserbeutel und zerrte daran, als wollte sie mich vom Dorfplatz vertreiben. Ein Fehler. Ich konnte es nicht leiden, wenn jemand meinem Beutel zu nahe kam. Er war meine Versicherung, dass ich jederzeit gehen konnte, wohin ich wollte. Ihr Reißzahn in meinem Wasserbeutel machte mich zornig. Jeder, der sich schon mal einen Tag ohne Wasser durch die Wüste geschleppt hat, wird das verstehen.

Es war mehr ein Reflex als eine bewusste Aktion. Aber obwohl mir das Vieh mit einem Happen den Kopf vom Hals hätte beißen können, schlug ich mit voller Wucht auf die Nase des Wesens. Erst zuckte es zusammen. Dann rieb es die Nase zwischen den Pfoten. Und auf einmal zog die Bestie wimmernd und heulend ab. Sie taumelte zwischen den Menschen hin und her, schlug mehrfach wie ein Maultier mit den Hinterläufen und heulte wie ein Wolf bei Vollmond. Der Jongleur sah zwischen den Bechern hindurch. Er richtete einen strafenden Blick auf mich. Und ich konnte in seinem Gesicht Wut lesen. Wieder schwitzte er vor Anstrengung, den Trick aufrechtzuerhalten.

Zu diesem Zeitpunkt hätte ich noch fliehen können. Rasch, weit weg. Und Magnus hätte mich ebenso schnell vergessen, wie hundert andere Ungläubige, denen er auf seinen Fahrten begegnet war. Er wollte, dass ich verschwinde. Das verrieten seine Augen. Mach, dass du wegkommst und lass dich nie wieder blicken. Und ich hatte wirklich vor, zu gehen. Ich hatte genug von dem Schauspiel, hatte meine eigenen Sorgen.

*

Dann passierte es. Er stand mit seinem Bauchtresen direkt vor mir. Er wollte wohl mich als Nächsten bloßstellen. Komm her. Versuch dein Glück. Jongleur Magnus wird dir zeigen, dass auch du keine Chance hast. Er sammelte die Becher aus der Luft und knallte sie nacheinander auf das hölzerne Tablett. Da sah ich, für den Bruchteil einer Sekunde, eine winzige blaue Spitze zwischen seinen Fingern herausblitzen. Und für mich bröckelte seine Fassade, wie verwitterter Putz von der Wand.

Mit einem Mal wirkten die Becherfarben ausgelaugt und verwaschen. Der grüne Lack blätterte an mehreren Stellen. Es müffelte wieder entsetzlich nach einer Mischung aus faulem Fisch und dieser nach Verwesung stinkenden Hyäne. Und ich fand plötzlich, dass die Darbietung bis dahin keine besonders wertvolle Unterhaltung gewesen war. Es war tatsächlich nur ein billiger Trick. Eine Illusion. Was auch sonst? Er versteckte den blauen Wimpel in der Hand. Und er würde ihn mit Geschick in den Zinnbecher seiner Wahl stopfen.

Alle Augen waren auf mich gerichtet. Ich deutete auf den gelben Becher. Er strahlte selbstzufrieden.

„Da ist es nicht“, sagte ich und packte zu. Das Metall fühlte sich rau an. Unangenehm. Ich knallte den Trinkbecher mit der offenen Seite nach oben auf den Bauchtresen. Leer.

Ein Raunen ging durch die Menge. Der Jongleur verzog keine Miene. Ich hatte den Eindruck, als sei er mit der Wendung überfordert. Da war sie wieder, die Schweißperle auf seiner Stirn.

Ich wollte schnell machen – solange er mir die Gelegenheit ließ. Darum packte ich sofort zu.

„Und da auch nicht“, sagte ich und hob den grünen Trinkbecher in die Luft. Leer. Die Berührung war schlimmer, als beim ersten Mal. Ich sah hartes Metall. Aber ich fühlte Pelz. Unangenehm warm. Mir stieg Säure in den Hals. Ich war froh, als ich das widerliche Ding auf den Tresen klatschen konnte. Dann sah ich Magnus in die Augen.

Ich hatte meinen Zug gemacht. Und ich hatte den Jongleur an die Wand gestellt. Schachmatt. Sein Blick biss sich an meinem fest. Hätte er gekonnt, dann hätte er mir Blitze entgegengeschleudert. Magnus wusste, egal, was der letzte Zinnbecher jetzt bringen würde – Tuch oder kein Tuch –, er hatte auf jeden Fall verloren. Entweder wäre ich der Erste, der richtig geraten hätte, oder aber er wäre als Betrüger entlarvt. Ihm blieb nur noch eine Chance. Er musste die Sache beenden, bevor der rote Becher zum Zug kam. Koste es, was es wolle. Schon hörte ich sein Hyänenvieh auf mich zulaufen, fauchend, knurrend, die Zähne fletschend.

Die Schweißperle zappelte auf seiner Stirn. Und seine Augen verengten sich. Vermutlich wollte er erreichen, dass ich alles stehen und liegen ließ, die Beine in die Hand nahm und losrannte.

Stattdessen sagte ich meinen Spruch. Und das mit einer Hingabe und Arroganz, als stammte er aus dem Mund des Jongleurs.

„Liebe Leute sehet her: Jongleur Magnus kann nicht mehr.“

Dann schlug ich den Becher in die Luft. Er flog in die Höhe, wirbelte herum. Kein blaues Tuch fiel heraus.

Natürlich rannte ich sofort so schnell ich konnte los. Und ich hörte die Menschen hinter mir lachen. Vielleicht amüsierten sie sich über den rennenden Kerl mit den langen Haaren – möglich. Oder aber, sie lachten über Jongleur Magnus, der zum ersten Mal sein Gesicht verloren hatte. Vielleicht machte er noch einen Spaß aus der Sache? Zu seinen Gunsten, versteht sich. Nur die Frau mit der blaublühenden, dornenlosen Rose in der Hand lachte nicht. Als ich an ihr vorbeilief, funkelte sie mich an.

Ich ging nie wieder nach Anzino. Sonst hätte ich mich erkundigt, wie dieser spezielle Tag am Tiber zu Ende gegangen war.

Es war ein Fehler gewesen, dem Jongleur die Blöße zu geben. Doch das erfuhr ich erst Jahre später – 36 Jahre …

II

36 Jahre später

Rom. Errichtet auf sieben Hügeln. Eine Republik, die sich, den Angriffen der Kelten zum Trotz, immer weiter ausdehnte. Aeternitas, die Göttin der Ewigkeit und Unsterblichkeit war eine zentrale Figur in der römischen Götterwelt. Das allein war für mich schon Zeichen genug: Rom ist eine Reise wert. Zudem kamen bei den Menschen der umliegenden Ländereien immer wieder Weissagungen über die Vorstellung der kaiserlichen Ewigkeit Aeternitas imperii auf. Vielleicht zwang mich meine Reiseroute deshalb Schritt für Schritt näher an das Zentrum des Römischen Reiches heran.

Wenn ich auf meinen ersten Tag in Rom zurückblicke, denke ich an weiße Mauersteine, Säulen und Dächer aus Terrakotta und Kalkstein, bunte, menschenüberfüllte Alleen und viele Räder – Räder an Wagen, an Karren und Gespannen, so lang, dass sechs Pferde nötig waren, sie zu ziehen. Doch vor allem ist meine älteste Erinnerung an diese Stadt grün. Am Stadttor begrüßten mich wilder Wein und rote Rosen. In den Straßen ragten Platanen in den Himmel, mit Stämmen so mächtig wie Roms Prachtsäulen. Oleander, duftende Myrte und in Form gebrachte Buchsbäume säumten die Wege. Eines sah man auf den ersten Blick: Die Bürger der Metropole liebten ihre Grünanlagen. Stolz bepflanzten sie in ihren prachtvollen Häusern das eigene Peristyl; diese Gärten lagen in den Innenhöfen, umsäumt von einem schattenspendenden Säulengang. Ein kompliziertes Bewässerungssystem sorgte dafür, dass die Pflanzen niemals austrockneten und der zentrale Brunnen stets gefüllt war. Hier wurden Liebstöckel, Schnittlauch, Quitten und Feigen gezogen. Damals konnte ich eine Olive nicht von einer Walnuss unterscheiden. Durch puren Zufall kam ich jedoch zu einer Arbeit in Margaritas Gärtnerei.

Metzger, Bäcker und Gärtner fand man in Rom an jeder Ecke. Der Konkurrenzkampf war groß. Kleinere Gärtnereibetriebe konnten nur bestehen, wenn sie einen Gönner hatten. Jemanden aus der Stadtverwaltung beispielsweise – jemanden wie Vitus.

Vitus war Quästor im Senat – eine Art Ja-Sager und Sattelträger ohne echtes Stimmrecht. Seine eigentliche Aufgabe war es, Steuergelder einzutreiben. Hier trafen sich unsere Wege. Die Bürger Roms zahlten keine Steuern. Ich jedoch war neu in der Stadt, mittellos und hatte nicht die Möglichkeit, meine Abgaben zu bezahlen. Der Quästor Vitus hatte eine Freundin, eine Gärtnerin, mit zu wenig Personal. Sie bekam jede Menge Aufträge aus seiner Hand, da der Architekt Marcus Vitruvius Pollio in einer seiner Buchrollen an den Kaiser Augustus gefordert hatte: An zentralen Orten Roms müssen Parks angelegt werden, was der Gesundheit der Bevölkerung zugutekommt. Schon an meinem dritten Tag in Rom hatte ich also einen Arbeitsplatz als Hilfskraft in ihrer Gärtnerei. Und so eignete ich mir in kürzester Zeit ein fundiertes Wissen über die Vegetation einer pflanzenliebenden Stadt an, deren Bürger sogar mit aufwändigen Wandgemälden grüne Oasen in die Zimmer holten.

Margarita betrieb das, was man heute Gewächshaus nennen würde. Eigentlich waren es zusammenhängende, mannshoch ummauerte Aufzuchtgärten, mit Schatten- und Sonnenbereichen, Rankgittern und einer Unmenge von Beeten. Es wurden Pflanzen für den Verkauf gezogen. Und weil ich der Dienstjüngste von uns Fünfen war, durfte ich bewässern. Ich bediente die Grundwasserpumpe, bis der Brunnen wieder ausreichend gefüllt war. Und ich schleppte eimerweise Wasser zu den Töpfen und Blumenbeeten, die nicht an das Bewässerungssystem angeschlossen waren. Dreimal täglich. Anfangs goss ich überall ordentlich. Ich dachte mir, zweimal richtig, dann kann man sich das dritte Mal sparen.

So lernte ich, dass Pflanzen ertrinken können.

*

„Nicht zu viel, Simon“, sagte Margarita. Ein Scherz, den ich mir seitdem Tag für Tag gefallen lassen musste. Ich lächelte sie an, liebevoll, aber auch ein wenig genervt. Die Brotherrin war klein und rund. Wenn sie lief, wankte ihr Körper mit jedem Schritt hin und her. Sie hatte ein freundliches Gesicht, rote Backen und kurzes, lockiges Kopfhaar.

„Du, Simon. Nicht so viel gießen, ja?“ Das war Octavian. Der Trottel ergötzte sich ständig an meinem Missgeschick, obwohl es nun wirklich lange genug zurücklag. Er war froh, das Thema immer wieder aufs Neue und insbesondere vor Margarita aufwärmen zu können. Es stellte ihn in ein besseres Licht. Er war deutlich älter als ich – wenn man von meinem augenscheinlichen Alter ausging. Und irgendwie wirkte alles an ihm kantig und knochig. Obgleich er ein Unfreier war, spielte er sich auf, als gehörte ihm ein Teil der Gärtnerei. An meinem ersten Tag nahm er mich zur Seite und machte mir klar: „Wenn du mir in die Quere kommst, mach’ ich dich fertig.“

Albina war kesse 25 Jahre alt und der Gänseblümchen-im-Haar-Typ. Sie beugte sich vor, um die Weinstöcke mit ihren zarten Fingern zurechtzuknipsen, sodass ihr Gesicht vom dunkelblonden Haar verdeckt blieb. Trotzdem wusste ich genau, wie ihre grünen Augen strahlten, wenn sie lächelte. So oft hatte ich den Anblick genossen.

„Mach dich mal nicht so breit“, ärgerte ich sie, als ich versuchte an ihr vorbeizugehen. Und natürlich kannte ich ihre Antwort schon.

„Und du … gieß mal nicht zu viel.“ Sie durfte das.

Ich hatte Albina im Laufe des letzten Jahres sehr gut kennengelernt – zu gut. Und da waren die einen oder anderen Momente, in denen ich mir sehnlichst gewünscht hätte, sie wäre eine wie ich. Ich zwängte mich auf eine angenehme Weise an ihr vorbei. Sie strahlte mich an. Dann betrat ich mein eigenes kleines Reich.

Margarita hatte mir, als die ersten drei Monate vorbei waren, eine Erhöhung meines Wochenlohns auf elf Silberdenar angeboten. Ich lehnte ab. Geld bedeutete mir nicht viel. Auch heute nicht. Es genügt mir, wenn ich sorgenlos über den Tag komme. Geld anzuhäufen ist uninteressant für mich. Mit den Jahrhunderten kam und ging es. Und mit ihm die Zivilisationen, die es erschaffen haben.

Aber ich hatte festgestellt, dass mir der Umgang mit Pflanzen besondere Freude bereitete. Es war mehr als nur ein Broterwerb. Es war ein tiefes Gefühl, das immer schon in mir verborgen war und bei der täglichen Arbeit mit den Grünpflanzen aus mir herausplatzen wollte. Wie ein Küken, das aus einem Ei schlüpfen will. Es kämpft bis zur bitteren Erschöpfung, um endlich das Tageslicht sehen zu können. Etwas in mir musste ausbrechen. Und es hatte mit den Gewächsen zu tun, das wusste ich. Darum bat ich Margarita stattdessen um ein eigenes Beet.

„Gehst du wieder spielen, Simon?“

Zu gerne hätte ich Octavian den Mund verboten. Ich ignorierte ihn.

Mein Pflanzenbeet lag in einer schlecht zugänglichen Ecke des ummauerten Aufzuchtgartens. Dafür strahlte die Sonne immer genau dann in das Mauereck, wenn sie am höchsten stand. An diesem Ort zog ich Stecklinge aus dem, was beim Formschnitt in den Kundengärten abfiel. Anfangs probierte ich einiges aus. Versuchte mich an Efeu und Buchs, weil ich dachte, ihre Giftigkeit würde etwas aussagen über die Kräfte, die in ihnen stecken. Dann bemerkte ich schnell, dass eine außergewöhnliche Lebensenergie in Rosenblüten steckte. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich das Gefühl nicht beschreiben, das mich bei der Arbeit mit diesen Pflanzen erfasste. Dafür gelangen ihre Stecklinge recht gut.

In meinem Beet kannte ich so gut wie jedes Blatt. Besonders stolz war ich auf eine Wildrose, die ich auf dem Heimweg am Fluss gestochen hatte. Sie war buschig gewachsen mit Dornen wie Nadeln, die Blüten klein aber herrlich geformt, wie ein winziger Trinkbecher, und rot wie Blut. Aber nun war sie fort.

Damit will ich nicht sagen, dass sie verblüht war oder dass andere Rosengewächse sie überwuchert hätten. Nein. Sie war weg. An der Stelle, wo sie Wurzeln geschlagen hatte, sah mich schwarze Erde an – verdächtig lockere Pflanzenerde. Als hätte jemand die Strauchrose herausgezogen.

„Octavian!“, brüllte ich.

Er musste es gewesen sein. Wer sonst?

„Ja, Simon?“ Er klang, als hätte er darauf gewartet, endlich angesprochen zu werden.

„Du weißt nicht zufällig etwas über meine Rosen?“

„Was möchtest du damit sagen?“

Ich kippte das Wasser auf die leere Rosenerde. Dann funkelte ich ihn an.

„Was ist denn?“, fragte Albina.

Ich sprach leise, für ihre Ohren bestimmt. „Eine fehlt.“

Aber Octavian hatte seine Lauscher überall.

„Ach …“, sagte er schnippisch, „… und da denkst du gleich an mich?“

„Lass gut sein“, fuhr ich ihn an.

„Komm her und beschuldige mich des Diebstahls“, provozierte er und baute sich auf wie ein Schrank.

Ich kehrte ihm den Rücken und pflückte welke Blätter von den Pflanzen. Es war mir egal, was er hinter mir trieb. Ich wusste es. Und er wusste es. Und Albina vermutlich auch.

„Was ist hier los?“, fragte Margarita, die aus dem Sträuchergarten kam.

Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten. Mir war klar, was jetzt kam. Er würde ihr die Geschichte vom unschuldigen Octavian präsentieren, der immer gute Arbeit leistete. Dann würde er jammern: „Seitdem der Neue da ist, werde ich regelmäßig an den Pranger gestellt.“ Und ob sie nicht etwas dagegen unternehmen wolle, dass Simon das Arbeitsklima verpeste. Das hatten wir alles schon einmal gehabt.

Da platzte Pius herein.

„Sie lassen mich nicht mehr rein!“, rief er aufgeregt und presste beide Hände zu knallroten Fäusten – eine für ihn ungewöhnliche Geste.

Pius war ein lieber Kerl. Er war der Jüngste von uns. Aber im Geiste war er der älteste. Er war stets pflichtbewusst und außerordentlich korrekt. Und es war schwer, ihn aus der Fassung zu bringen. Umso seltsamer war es, diese feurige Wut in seinem Gesicht zu sehen. Die Augen feucht, die Lippen bebten.

„Setz dich“, sagte Margarita, die ihn wie einen Sohn behandelte. Irgendjemand hatte einmal erzählt, Pius’ Eltern wären gestorben, als er gerade fünfzehn war. Seitdem arbeitete er für seine Tante. Trotzdem nannte er sie nie Tante. Ich vermute, er wollte sich keinen Vorteil erschleichen.

„Sie haben gesagt, es geht uns nichts mehr an“, sagte er, fuchtelte mit den Armen und setzte sich auf den Hocker, den Margarita ihm anbot. „Und sie haben Sachen gesagt … noch nie hat jemand solche Dinge zu mir gesagt.“

Margarita nahm seine Hände und Albina legte ihm den Arm um die Schultern. Für einen Augenblick war ich neidisch, was ich mir jedoch nicht anmerken ließ.

Dann erzählte er, dass ein neuer Gärtner in der Stadt war. Er wusste den Namen nicht mehr. Und dieser Mann ließ Pius nicht auf die Baustelle. Er behauptete, der Auftrag wäre auf ihn übergegangen. Eine Unverschämtheit. Es war eine große Bestellung. Und eine sehr bedeutende noch dazu. Ein öffentlicher Park in zentraler Lage. Die Kosten trug der Senat. Und wenn Margarita Fragen hatte, sollte sie die ihrem Freund stellen: Quästor Vitus. Wie konnte er sie so hintergehen?

*

Margarita stampfte wütend auf Vitus’ prachtvolles Anwesen zu. Ich wusste, der Quästor hatte ihr einiges zu verdanken. Wie oft hatte sie sich wundgearbeitet, damit irgendwelche Senatoren ihre Wasserläufe, Rankgitter und Heckenschnitte zügiger bekamen? Ihre Arbeit stärkte sein politisches Ansehen.

Wir liefen über den gepflasterten Weg, gesäumt von duftenden, großblütigen Rosen, abwechselnd gelb und orange. Der Pfad führte zwischen zwei saftig-grünen Buchslöwen hindurch. Sie erhoben sich auf die Hinterläufe und warfen stolz die Pranken in die Luft und die Mähne zurück. Dahinter erblickte ich die schwere Eichenholztür. Wilder Efeu kroch darum herum und den Granit hinauf. Wer konnte noch so einen prachtvollen Vorgarten vorweisen? Ich stellte mir vor, wie Senatoren in blütenweißen Togen über diesen Weg ein- und ausgingen. Wie sie ihm neidische Blicke zuwarfen. Und wie er ihnen ebenbürtige Grünanlagen versprach, wenn sie im Tagesordnungspunkt 27 Abschnitt 5 für ihn stimmten.

Wir betraten das Atrium. Ich schätzte die Halle auf zehn mal zehn Schritte. Die Wände waren mit kräftigen Farben bemalt und zeigten Ausschnitte aus den Geschichten über die Götter. Es sah beinahe kurios aus, dass in der Mitte zwei Kinder mit Holzspielzeug auf dem Fußboden spielten. Lucius und Julius, wie ich annahm. Die anderen beiden waren schon größer und würden sich eher mit Schwertern und Rüstungen beschäftigen. Ich hatte Margarita einmal sagen hören, dass sie nicht verstände, warum Vitus sich nicht endlich eine Frau nahm. Es war modern, sich zur Erhaltung des Geschlechts vom Stadtprätor Haussöhne überschreiben zu lassen. Aber das war doch nichts gegen eine richtige Ehefrau. Ich glaube, Margarita machte sich Hoffnungen. Sie wäre eine gute Wahl für ihn gewesen.

„Tante Margarita“, rief einer der Jungen, sprang auf die Füße und stürmte auf sie zu. Julius. Seine Naturlocken waren noch länger geworden. Und die Gesichtszüge noch arabischer. Auch wenn Margarita es nicht zugab, aber sie mochte ihn von allen am liebsten – auch mit Hakennase. Das war offensichtlich. Er umarmte ihre Beine und sie tätschelte seinen Rücken.

„Salve Julius. Wie geht’s dir?“

Lucius warf ihr einen gleichgültigen Blick zu. Ich bestaunte die Deckenbemalungen.

„Holst du deinen Vater?“, bat sie.

„Aber ja“, sagte Julius und flitzte los.

In der Ecke trauerte eine trockene Topfpflanze vor sich hin. Ich zupfte ein paar Blätter ab und wünschte mir eine Wasserkanne für die staubige Erde. Unterdessen ahmte Lucius Geräusche von Pferden nach und hämmerte mit dem Spielzeug auf den Boden.

„Ich sagte doch, ich brauche meine Ruhe!“, hörte ich Vitus mit dem Jungen schimpfen. Man sah Margarita an, dass dies ihr ohnehin angespanntes Gemüt noch mehr erregte. Ich kannte sie gut. Ihr Blick sagte: Komm du mir mal zwischen die Finger. Dann werde ich dir sofort den ungebändigten Zorn an den Kopf werfen. Quästor hin, Quästor her.

„Ja, ja. Ich bin ja da“, sagte Vitus. Julius zerrte seinen Stiefvater an der Hand ins Atrium.

Ich war von seinem stattlichen Anblick beeindruckt. Ein Senator, wie er im Buche stand. Der Kopf schmal und kahl, eine Nase, die an die Caesars erinnerte, und ein hochgewachsener Körper – nicht zu dick und nicht zu dünn.

„Margarita“, rief er ihr zu. Mir entging nicht, dass sie nur zögerlich Freude zeigte. Ihre Zähne bissen aufeinander, als wartete sie nur auf die passenden Worte als Vorlage für einen gezielten Angriff. Stattdessen sagte er: „Schön, Euch zu sehen.“ Was aber klang wie: Was wollt Ihr denn hier?

„Ich muss sofort mit Euch reden“, sagte sie.

„Simon. Wie ich höre, hast du dich eingelebt.“ Er tätschelte meinen Rücken.

„Ihr wisst, warum ich hier bin?“ Margarita wirkte ungeduldig. Als hätte sie Angst, ihr Zorn könnte verfliegen, bevor sie ihn als Waffe benutzen konnte. Sie biss die Zähne zusammen und fauchte: „Hört. Es geht um den Park. Pius wurde heute …“

„Ich habe einen viel besseren Auftrag für Euch“, würgte er ihre Worte ab, bevor sie richtig loslegen konnte. Dabei warf er die Arme hoch, als würde dieser neue Auftrag irgendwo in der Luft schweben.

„Aber …“

„Margarita“, sagte er, wie zu einem beleidigten Kind. Das machte sie noch wütender. Ihre Augen blitzten auf. „Es ist nur dieses eine Mal. Seht doch. Manchmal müssen Senatoren Entscheidungen treffen, die ihnen nicht leicht fallen.“ Er wirkte betrübt. „Glaubt mir. Es ist nicht leicht für mich.“

„Ich brauche den Park“, sagte sie. „Ich habe vier Leute zu bezahlen. Dazu kommen die Investitionen. Und herrje … Vitus. Was hat Euch geritten, das nicht einmal mit mir zu besprechen?“

Er legte die Hand an die Stirn und drehte sich ab. Eine Pose, die ich vom dramatischen Laientheater her kannte.

„Ihr liefert die Pflanzen für den Park. Das haben wir besprochen und daran ändert sich nichts.“ Es war offensichtlich, dass er versuchte, seine Güte in den Vordergrund zu rücken. Aber es klang gestellt. Margarita verdrehte die Augen. Ich verkniff mir ein Grinsen. „Euer neuer Auftrag ist ein Ziergarten für Feierlichkeiten und Empfänge. Senator Marcus hat mich gebeten, ihn Euch zu übertragen. Weil Ihr die Einzige seid, die die nötige Qualität …“

„Ein Garten gegen einen Park?“ Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Vermutlich dachte sie an die Sesterze, die ihr nun fehlen würden. Wenn ich die Lage richtig beurteilte, dann würde es die nächsten Monate ziemlich eng werden.

„Wer hat den Auftrag?“, rief sie. „Sagt es mir. Wer macht den Park?“

„Ihr kennt ihn nicht. Er ist neu in der Stadt.“

Ich hatte Margarita noch nie so wütend erlebt. Sie knurrte wie eine Löwin, stampfte mit dem Fuß auf den Granit, machte kehrt und floh aus dem Atrium.

Als sie schon draußen war, rief sie: „Das werde ich nicht auf mir sitzen lassen!“

Ich verzog entschuldigend die Mundwinkel und warf Vitus und seinen erschrocken dreinschauenden Söhnen zum Abschied einen Blick zu. Dann eilte ich meiner Chefin nach.

Auf einem Sockel neben dem Ausgang fiel mir eine einzelne Rose ins Auge. Ich zögerte kurz. Die Blüte war geschlossen. Zuerst war es ein merkwürdiger Geruch, der mich vor ihr zurückschrecken ließ. Dann bemerkte ich, dass sie keine Dornen hatte. Ich sah mich noch einmal um und blickte dem Quästor ins Gesicht. Er wusste, dass ich Margaritas verlorenen Auftrag mit dieser Rose in Verbindung brachte. Und Vitus’ Blick sagte mir, was er selbst niemals zugegeben hätte: ertappt.

Ich hatte einen Verdacht. Doch den konnte ich selbst kaum glauben …

III

Margarita, Albina, Octavian und ich waren mit dem Pferdekarren mit einer Pflanzenlieferung auf dem Weg zur verlorenen Parkbaustelle. Das Pferd Lotus zog das Fuhrwerk. Es war verrückt. Margarita hatte uns erklärt, dass sie vorberechnet hatte, wie viele Pflanzen sie von jeder Sorte benötigte. Da das Fassungsvermögen des Aufzuchtgartens begrenzt war, wollte sie den Auftrag saisonbedingt erledigen: nur die Gewächse liefern, die gerade ihre Austriebzeit hatten. Das hatte den Vorteil, dass sie weniger anliefern musste, als auf der Baustelle benötigt wurde. Und so hatte sie zusätzliche Kapazitäten für den Garten des Senators Marcus frei. Sie hatte angekündigt, diese Herangehensweise mit dem neuen Landschaftsgärtner bei ihrer ersten Lieferung vor ein paar Tagen besprechen zu wollen. Doch dem Mann – der gar kein so übler Kollege war, wie sie meinte – war das völlig gleichgültig gewesen. Ihm war die Reihenfolge der Anlieferung gleichgültig. Ihm waren die Stückzahlen gleichgültig. Und Margarita erklärte, dass er den Auftrag mit dieser Einstellung ohnehin bald wieder verlieren würde. Er schien ein ziemlicher Laie zu sein. Wenn er tatsächlich so nett war, wie Margarita gesagt hatte, war das beinahe ein wenig traurig. Octavian grinste zufrieden.

Jetzt erreichten wir mit unserem Karren die Baustelle. Margarita zügelte Lotus mit einem „Brr“. Und uns fielen fast die Augen aus dem Kopf.

Der erste Blick durch den Rosenbogen am Eingang war wie der Ausblick auf ein Gemälde. Drei Kieswege vereinten sich auf einer ausgedehnten Wiese zu einem Pfad. Eine gebogene Steinmauer mit eingelassenen Säulen grenzte einen Teil des Parks wie ein Podest von den umliegenden Platanen, Palmen und mannshohen Büschen ab. Ich erkannte Lorbeer und Oleander. Der Weg führte um die Mauer herum und von hinten auf die Erhöhung. In deren Mitte goss eine Statue des Jupiter aus einem goldenen Kelch Wasser in einen Brunnen. Liebstöckel, Schnittlauch und Maulbeerbäume und noch mehr Palmengewächse säumten den Zierbrunnen ein. Und eine aus Fels gehauene Sitzgelegenheit versteckte sich hinter kugelrund geschnittenem Buchs.

„Ach du meine Güte“, hörte ich Octavian flüstern.

Der Park wirkte so gut wie fertig. Und ich fragte mich, wie dieser Landschaftsgärtner das so schnell hinbekommen hatte. Außerdem: Wohin sollten wir nun mit unserer Lieferung? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es hier noch etwas zu pflanzen gab. Und woher stammte das viele Grünzeug?

Nachdem wir genug gestaunt hatten, liefen wir ehrfürchtig unter dem gravierten Schild mit der Aufschrift HORTUS DUODECIM DEORUM – Garten der zwölf Götter – hindurch. Margarita vorneweg, Octavian hinterher. Es war schäbig, so unterwürfig das Projekt eines anderen Gärtners zu betreten. Doch in Anbetracht der Leistung, die unser Konkurrent in kürzester Zeit vollbracht hatte, fühlten wir uns klein wie Ameisen.

„Unfassbar“, sagte Albina.

„Magnus“, rief Margarita. „Sind Sie hier irgendwo? Magnus.“

Vielleicht hätte ich hier schon hellhörig werden sollen. Ich war jedoch viel zu überwältigt vom Anblick des bildhübschen Parks. Sogar Octavian, der sonst nie die Arbeit eines anderen anerkannte, staunte nicht schlecht.

Die Sonne schien wie bestellt und färbte die Anlage in magisch leuchtendes Grün. In diesem Licht sah Albina wunderschön aus. Und für den Bruchteil einer Sekunde berührten sich unsere Hände. Ich weiß nicht, ob es Zufall war. Ich spürte, wie Albinas Körper zusammenzuckte. Nein, lass das, sagte ich zu mir selbst und ignorierte ihre Seitenblicke, als wäre nichts gewesen. Sie ließ die Schultern hängen.

Ich hörte ein Grunzen und irgendetwas bewegte sich im Lorbeerstrauch. Ich versuchte mich zu erinnern, wann ich den Namen Magnus zum letzten Mal gehört hatte. Da schob sich eine überdimensionale Schnauze durch den Strauch und es fiel mir wieder ein. Als das Tier unter den Blättern hervorkroch und in gebückter Haltung zum Brunnen lief, um daraus zu trinken, blieb mir der Atem weg.

Liebe Leute sehet an, was der Jongleur alles kann.

Da stand das Riesenvieh und schluckte Jupiterwasser.

„Wir sollten abladen und wieder fahren“, schlug Margarita vor.

„Was ist los?“, wollte Albina von mir wissen. „Hast du einen Geist gesehen? Du bist ganz weiß.“

„Simon hat wohl schlecht gegessen“, freute sich Octavian.

Ich konnte mich nicht rühren. Plötzlich sah ich sie alle mit bunten Fähnchen vor dem Brunnen stehen, jubeln, applaudieren und laut rufen: Liebe Leute sehet her, Jongleur Magnus kann noch mehr.

Völlig unmöglich, sagte ich mir. Es war mindestens dreißig Jahre her. Und wenn man bedachte, dass er damals über dreißig war, dann hätte er jetzt zwischen sechzig und siebzig sein müssen. Zu dieser Zeit wurden nur wenige Menschen außer mir so alt. Ich rechnete damit, einem Sohn des Jongleurs zu begegnen, der sich als Gärtner in Rom niedergelassen hatte.

Ich schnaufte durch und sagte: „Es geht schon.“

Wir gingen zum Karren, hoben die ersten in Jute gepackten Pflanzballen herunter und wollten soeben unter dem Rosenbogen hindurch. Da sprang die Hyäne knurrend vor uns und versperrte uns den Weg. Sie war so groß, wie ich sie in Erinnerung hatte. Und sie stank bestialisch.

„Was ist das?“, rief Margarita. Auch die anderen sahen das Tier. Der Schrecken hatte sich in ihren Gesichtern festgesetzt.

„Was ist da los?“, hörte ich eine bekannte Stimme. „Lass sie rein. Ist in Ordnung.“

Wieder blieb beinahe mein Herz stehen.

Als das Biest zur Seite trat, kam Jongleur Magnus über die Wiese gelaufen. Sein Aussehen hatte sich kein bisschen verändert: Er hatte Locken, trug einen Vollbart, und seine stämmige Statur verlieh seiner Bassstimme Nachdruck. Nur die Narrenkappe war verschwunden. Mein Gefühl riet mir, mich hinter Octavian zu verstecken.

„Oh, hallo“, sagte Margarita verzückt, „Herr Magnus. Wir haben uns gerade über diesen wundervollen Garten … Park unterhalten. Wie habt Ihr nur …“

„Stellt alles da ab“, unterbrach er.

„Ihr habt hier wahrlich ein Kunstwerk geschaffen“, schwärmte Margarita weiter.

Magnus brummte.

Ich hörte die Bestie schnüffeln. Sie hatte meine Spur in der Nase und kam näher.

„Ich muss … darf Euch noch einiges liefern“, sagte Margarita, „auch wenn ich nicht weiß, wo Ihr das alles pflanzen wollt.“

„Lasst das meine Sorge sein“, knurrte Magnus und folgte mit den Augen misstrauisch dem Pfad der Hyäne.

Das Vieh schnüffelte an meinem Bein herum, sah mir ins Gesicht, winselte und sprang hinter den Brunnen.

„Was bist du für einer?“, sagte der Jongleur, der jetzt keiner mehr war.

„Oh. Das ist Simon“, sagte Margarita und schob sich vor mich. „Euer Park ist wirklich ein Traum.“ Sie unterstrich ihren Satz mit einer schwungvollen Armbewegung.

„Ich kenne dich irgendwoher.“ Er kniff die Augen zusammen.

„Davon weiß ich nichts“, sagte ich beiläufig, lief zum Wagen und holte den nächsten Ballen. Ich hatte nicht vor, ihm zu erzählen, dass ich vor langer Zeit seinen Trick hatte auffliegen lassen. Womöglich war das auch alles nur eine dumme Verwechslung. Das zumindest redete ich mir nun ein. Ich tat meine Arbeit und verhielt mich ruhig.

„Es ist mir egal, was Ihr liefert“, sagte er gerade eben, als ich die letzte Pflanze hereintrug.

„Gut. Dann sehen wir uns bald wieder“, freute sich Margarita. Und ich fragte mich, woher sie nur die Freundlichkeit nahm, die sie diesem Griesgram entgegenbrachte.

*

Als uns Lotus zurück zur Gärtnerei zog, brach ich die Stille mit einer gewagten Behauptung: „Er ist ein Betrüger.“

„Simon!“ Margarita war entsetzt. „Wie kommst du auf solche Gedanken?“

„Das sagt mir meine Nase.“

Sie biss die Zähne zusammen.

„Ich denke, du solltest nicht schlecht über jemanden reden, den du nicht kennst.“

Octavian lächelte zufrieden. Und Albina verschränkte die Arme.

Was Magnus wirklich war, sollte sich schon sehr bald herausstellen …

IV

Es war zwar ein Auftrag, aber ich war mir sicher, dass so ein winziger Ziergarten, wie der von Senator Marcus, nicht viel einbrachte. Die Hälfte des Bodens musste mit leuchtend weißem Kies bedeckt werden, aus dem hier und da Lavendel sprießen sollte. In einer Ecke sollten Apfel-, Oliven- und Feigenbäume wachsen. Nahe dem Brunnen würde das Kräuterbeet angelegt werden. Und dann war da noch das obligatorische Rosenspalier. Dutzende solcher Gärten hatten wir seit meiner Ankunft in Rom kreiert. Es ging mich nichts an, aber aus meiner Sicht war dieser Auftrag nicht sehr lukrativ. Pius und ich legten die geschwärzten Stofflaken aus, um dem Unkraut unter dem Kies das Licht zu nehmen. Octavian schleppte einen Kiessack nach dem anderen herein. Und Albina kümmerte sich um den ersten Formschnitt der imposanten Rosen. Es war üblich, die Blühpflanzen in voller Größe mit einem dicken Erdballen anzuliefern, weil Senatoren es nicht gerne sahen, wenn man junge Pflanzen setzte. Sie fühlten sich durch die Winzlinge beleidigt. Wehe dem Gärtner …

„Kann mir mal einer von diesem Park erzählen?“, bat Pius.

„Hast du ihn noch nicht gesehen?“, fragte Albina.

„Nein.“

„Da entgeht dir etwas“, sagte sie. „Wir waren gestern nochmal dort und …“

„Er ist noch schöner geworden“, unterbrach Octavian.

„Lass sie doch mal ausreden!“, fuhr ich ihn an.

„Weiber haben nichts zu melden“, sagte er.

Und Sklaven sollten im Allgemeinen den Mund halten. Aber das dachte ich mir nur.

„Ich glaube nicht, dass man da noch etwas verbessern kann“, sagte ich. „Ich hatte das Gefühl, in einem Märchenwald zu stehen. Pius, stell dir vor: In der Mitte erhebt sich das Gras zu einem Plateau.“

„Das ist jetzt mit Rosen eingefasst“, sagte Albina. „Und ich verstehe nicht, wie er das macht, aber sie blühen schon.“

„Da ist etwas faul“, sagte ich.

„Nur weil Simon es nicht kapiert …“, motzte Octavian.

Margarita platzte herein.

„Warum liegt der Feigenbaum noch herum?“, fragte sie genervt. „Leute. Ich habe euch doch gesagt, wir müssen fertig werden. Die Zeiten, in denen wir uns auf unserem Ruhm ausruhen konnten, sind vorbei.“

Sie stellte sich mitten in den Garten und fuchtelte mit den Händen herum.

„Albina, lass die Rose stehen. Simon, pack mit an und setzt endlich dieses Teil ein. Es genügt, wenn Pius und Octavian sich mit dem Kies beschäftigen. Hopp-hopp.“

„Mir tut das Kreuz weh, Margarita“, jammerte Octavian. „Warum hetzt du uns denn so?“

Sie blies ihre Backen auf. „Ich hetze euch? Ich HETZE EUCH? Wenn wir die Aufträge in Zukunft nicht schneller abwickeln, dann könnt ihr schon mal Stöckchen ziehen, wer bleibt und wer geht. Die Zeiten haben sich geändert.“

„… seitdem der Betrüger in der Stadt ist.“

Es war mir einfach so herausgerutscht. Aber genau das dachte ich. Und bestimmt war ich nicht der Einzige. Doch mit meinem Kommentar war ich in die Falle getappt. Das zeigte mir Margaritas Augenaufschlag. Und ihre Wangenmuskeln, die sich abwechselnd anspannten und wieder lösten, bestätigten das.

Albina, Octavian, Pius … alle sahen weg. Sicherheitshalber.

Und Margarita?

Entsetzt spuckte sie die Worte „Er ist ein Künstler“ aus und lief nach draußen. Zur selben Zeit drohte uns bereits das Unheil, das der Jongleur über uns bringen würde …

V

Wir befanden uns im Aufzuchtgarten. Ich zwängte mich zu meinem eigenen kleinen Beet hindurch und betrachtete die Rosen. Merkte sie es nicht? Ich hatte das Gefühl, Margarita hatte ihren Sinn für die Pflanzenkunst verloren. Mit Geduld und viel Liebe zaubert man aus Stecklingen prachtvolle Gewächse. Das hatte sie mir beigebracht.

„Ihr lebt langsamer als wir“, flüsterte ich.

Ich fuhr mit meinen Fingerkuppen über die blutroten Blütenblätter. Nun schloss ich meine Augen. Ich erschnupperte einen zarten Duft und ich spürte Energie auf mich wirken, wie die der ersten Sonnenstrahlen an einem frischen Frühlingstag. Dabei hatte ich das Gefühl, ich könnte einzelne Zellen ertasten.

Pflanzen wandeln die Sonnenenergie für uns in organische Stoffe um. Das weiß ich heute. Durch sie gelangt die Kraft der Sonne in unsere Welt. Pflanzen speichern Sonnenkraft. Tiere fressen das Grünzeug. Auf diese Art ernähren sie sich sozusagen von Sonnenenergie. Und egal ob der Mensch Fleisch, Obst, Gemüse oder Salat verspeist – die Kraft der Sonne befindet sich in all diesen Nahrungsmitteln. Das ist die elementare Wirklichkeit. Ich wusste nicht warum, aber wenn es ganz still war und ich mit geschlossenen Augen die Pflanzen berührte, konnte ich diese Energie tief in mir drin fühlen.

Weil diese für jedes Wesen lebenswichtige Kraft in den Grünpflanzen steckt, machen uns Gärten zufrieden. Das fühlte ich damals und das fühle ich noch heute.

Ich zupfte ein einzelnes Blütenblatt ab und zerrieb es zwischen Daumen und Zeigefinger. Plötzlich durchzuckte ein Energiestoß wie ein Stromschlag meinen Arm und breitete sich in meinem Körper aus. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Es fühlte sich an wie ein Kuss, der noch nicht geküsst war. Und ich legte zwei Finger auf meine Lippen, da ich Angst hatte, schreien zu müssen. Dann lief mir ein Schauer über den Rücken. Und die Überreste des Blütenblatts bröselten wie geronnenes Blut vor meinen Füßen auf den Boden.

VI

Die halbe Stadt kam zur Eröffnung des GARTEN DER ZWÖLF GÖTTER. Zumindest kam es mir so vor. In Wahrheit hatte Vitus, wie mir später gesagt wurde, nur die Regierungsmitglieder eingeladen. Aber mit 183 Senatoren, von denen viele ihre Frauen mitbrachten, wurde es selbst in diesem großzügigen Park eng. Die Kinder mussten zu Hause bleiben. Aus Platzmangel, erklärte Margarita. Bist du verrückt? Er kann Kinder nicht leiden, hätte ich beinahe gesagt, verkniff es mir jedoch.

„Das ist ja … ist ja …“, stotterte sie, „… ist … sagenhaft.“

Sie hatte recht. Ich war seit der zweiten Lieferung nicht mehr hier gewesen. Damals war ich schon von der Grünanlage überwältigt gewesen. Aber was Magnus zusätzlich zustande gebracht hatte, grenzte an ein Wunder.