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"Mein Name ist Thyri. Ich lebe ewig. Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde. Ich suche nach meiner Liebe. Und ich suche nach dem Tod. Gemeinsam werden wir eine Antwort finden auf die Frage: Wer bin ich? Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben. Ich bin Thyri." 2556 v. Chr.: Thyri hat es in die paradiesische Metropole Uruk in Mesopotamien verschlagen. Als Geschichtenerzählerin ist sie am Hofe des Königs Gilgamesch zwar gern gesehen, doch dieser lässt keine Gelegenheit aus, sein Volk in Angst und Schrecken zu versetzen. Entschlossen, Gilgameschs Tyrannei ein Ende zu bereiten und gleichzeitig eine Erklärung für ihre Unsterblichkeit zu finden, sucht Thyri die mysteriöse Seherin Ken-gir auf, nicht ahnend, wie weitreichend die Folgen eines Blicks in die Zukunft tatsächlich sein können. Und das Gilgamesch-Epos nimmt seinen Anfang … DIE EWIGEN: eine Serie von Geschichten vor den Kulissen der Weltgeschichte. Zu allen Zeiten finden sich Mystery, Horror und ein Hauch Liebe.
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Seitenzahl: 91
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Chriz Wagner
DIE EWIGEN
Gilgamesch und die Seherin
Folge 10
Wagner, Chriz : DIE EWIGEN. Gilgamesch und die Seherin. Folge 10, Hamburg, acabus Verlag 2018
Originalausgabe
epub-ISBN: 978-3-86282-692-6
PDF-ISBN: 978-3-86282-691-9
Lektorat: Birthe Dauer, acabus Verlag
Cover: © Annelie Lamers, acabus Verlag
Covermotiv: #126739448, a magic crystal ball on blue astrology background © starblue; www.pixabay.com
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Der acabus Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH,
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© acabus Verlag, Hamburg 2018
Alle Rechte vorbehalten.
http://www.acabus-verlag.de
Für Manu
Thyri und Simon sind unsterblich.
Auf ihrer Reise durch die Jahrtausende verloren sie sich aus den Augen. Ihre Geschichten führen uns vorbei an mystischen Orten und magischen Begebenheiten auf der
Mein Name ist Thyri. Ich lebe ewig. Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde. Ich suche nach meiner Liebe. Und ich suche nach dem Tod. Gemeinsam werden wir eine Antwort finden auf die Frage: Wer bin ich? Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben. Ich bin Thyri.
Gilgamesch und die Seherin
I
Leipzig, Deutschland im Jahr 1999 nach Christus
Wir schlenderten durch eine vornehme Einkaufsgasse, in der für gewöhnlich ausgesuchte Dinge an erlesene Kundschaft angeboten wurden. Kühler Wind hielt uns auf Trab und es duftete nach zuckerigem Gebäck.
Mich überkam ein eigenartiges Gefühl, als ich den Souvenirladen zum ersten Mal sah. Er quetschte sich zwischen ein nobles Antiquitätengeschäft und einen stilvollen Laden mit Zigarren und Pfeifentabak. Nur dieses Geschäft passte ganz und gar nicht hierher. Überladene, kunterbunte Aufsteller mit Ansichtskarten, Zeitschriften und Schlüsselanhängern brachten die Laufkundschaft zum Stehen und viel zu große, neongelbe Preisschilder – JEDES TEIL 50 PFENNIG – lockten die Leute hinein.
Argwöhnisch näherte ich mich dem Ladengeschäft. Ich wagte einen Blick ins Schaufenster und verzog angewidert das Gesicht. Nicht wegen der pinken Küchenuhr mit dem unheimlich grinsenden Pandagesicht, die auf einem kleinen Podest über einem schwarzen Matchbox-Porsche und einer Spiegelei-Bratpfanne posierte. Und auch nicht aufgrund des Eierschälers, von dem ein Schild empfahl: JEDEN TAG EIN EI UND DU BIST MIT DABEI. Nein. Mein Blick blieb an einem Scherzartikel hängen – einer Spardose in Form eines hängenden Penis. Und ich fragte mich: Wer zur Hölle kauft so ein Zeug?
Vielleicht war’s meine Neugier? Ich weiß es nicht, aber irgendetwas zog mich in seinen Bann und ließ mich nicht mehr los. Auf einmal hatte ich das dringende Bedürfnis, mir dieses Ladengeschäft genauer anzusehen. Marie, mit der ich die Buchmesse besuchen wollte, war an einem Geschäft mit Seidentüchern hängengeblieben. Ich sah zu ihr hinüber, deutete mit dem Daumen auf die Tür, erntete einen herablassenden Blick und betrat den Souvenirladen.
*
Damit hatte ich nicht gerechnet. Zwar war der Laden von vorne recht schmal – drei bis vier Meter vielleicht, weshalb er mir so klein vorkam – aber dafür breitete er sich nach hinten aus. Am anderen Ende verlor er sich in einer ausladenden Treppe abwärts.
»Hallo«, begrüßte mich das Mädchen an der Kasse freundlich. Ihr Gesicht kam mir auf rätselhafte Weise bekannt vor, wie jemand aus einem längst vergessenen Traum. Ich nickte unsicher und schlenderte an ihr vorbei. Und mich beschlich dieses Gefühl, dass nichts von alldem hier richtig war – dass ich nicht hier sein sollte.
Nahe der Kasse lag noch mehr billiger Plunder in den Regalen herum: Ein Sandmann aus Porzellan; Teller, auf denen knallbunte Comicfiguren abgebildet waren; eine Spiderman-Maske sowie die gigantische Kunststoffbrille eines Clowns mit einer Blume am Gestell und einer Wasserspritzvorrichtung. Und da war auch der Tisch mit den 50-Pfennig-Sachen, den ich von draußen gesehen hatte.
Ich bummelte weiter durch den Laden, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass der einzige Kunde ein muskelbepackter Mann war, der hier noch weniger reinzupassen schien als ich. Ich schlenderte an Bücherregalen vorbei, vollgestopft mit gebrauchter Literatur für Kinder. Ich finde nicht, dass man Bilderbücher, Kunststoff-Kaubücher und Vorleseheftchen, die schon zerknittert, besabbert, beschmiert, zerrissen und bekleckert wurden, noch verkaufen sollte. Ein Blick in dieses Regal bekräftigte meine Meinung.
Dahinter entdeckte ich ein ansprechendes Bücherregal mit Spannendem, Abenteuerlichem und Phantastischem. Schon eher meins, sagte ich mir. Ich las gerne mal ein gutes Buch. Seit meiner Zeit als Bibliothekarin in der British Museum Library war ich den geschriebenen Texten verfallen. Hier in Leipzig fand zum zweiten Mal nach der deutschen Wiedervereinigung eine der weltgrößten Buchmessen statt. Ein Traum für jeden Bücherfreund. Von dem Augenblick an, als ich die üppig gefüllten Bücherregale sah, hatte mich der Laden am Haken. Ich war fasziniert und wollte unbedingt wissen, was da noch kam.
Jetzt erst wurde mir der Kerl bewusst. Nicht, weil er nur so dastand und sich für überhaupt nichts zu interessieren schien. Sondern da ich für eine Sekunde das Gefühl hatte, er behielt mich im Auge. Trotzdem wuchs die merkwürdig vertraute Spannung, als gäbe es einen besonderen Grund für mein Hiersein.
*
Blumentöpfe und Untersetzer in einem kunterbunten Sammelsurium aus Gebrauchtem und Neuem, in Terracotta und bemalt, in sämtlichen Formen und Größen blockierten die Stufen ins Kellergeschoss, sodass ich darüber hinwegsteigen musste. Ein aufregender Geruch drang aus den unteren Räumen. Ich war gespannt, welche Geheimnisse es hier zu entdecken gab.
Eigentlich war ich stets auf der Suche nach anderen Menschen meiner Art, nach Mitgliedern aus meiner Familie, nach Simon. Doch seit jeher lenkte mich das Schicksal an außergewöhnliche Orte, die magische Mysterien und zauberhafte Erlebnisse für mich bereithielten. Nicht ohne Grund, wie ich vermutete. Es war, als wäre ich eine Sklavin der Vorsehung – verdammt, die Welt im Lot zu halten und was schiefgegangen war wieder in Ordnung zu bringen.
Ich hörte Marie lachen. Dann sah ich ihre Stiefel auf der Treppe.
»Oh, wow!«, rief ich erstaunt aus, als ich sah, was sich hier unten verbarg.
»Thyri?«, rief Marie.
»Hier«, antwortete ich, ohne den Blick von all dem wundervollen Kram abzuwenden. Regale, überfüllt mit abgenutzten, in Leder gebundenen Büchern; rostige, verbeulte Schilder aus Blech, die COLA VERSÜSST DEINEN TAG und HAPPY HOODLES BITTERSAURE GUMMI-SCHLANGEN anpriesen; kistenweise Schallplattenhüllen: Fats Domino lächelte mich an, Dean Martin und die Glen Miller Kapelle. Hier fand ich alte Seifenschachteln, bedruckt mit Gesichtern aus den 50ern, dort ein Grammophon sowie einen Holzfernseher und eine Auswahl von Verkehrsschildern aus aller Welt. So unendlich viele Gegenstände aus vergangenen Zeiten – ich war hellauf begeistert.
»Stell dir vor«, sagte Marie, »der Kerl da oben hat mich gefragt, ob wir Schwestern sind.« Sie grinste, dass ihre strahlend weißen Zähne sichtbar wurden.
»Wäre ja noch schöner«, witzelte ich beiläufig, immer noch verzaubert von dem wundervollen Klimbim. »Sieh dir das an!«, staunte ich und hob einen abgekuschelten Teddy mit rotem Halstuch hoch.
»Igitt.« Sie rümpfte die Nase. »Ist ja wie auf dem Flohmarkt hier. Nein, schlimmer.«
»Zauberhaft«, schwärmte ich und legte ihn zurück.
Der Geruch, die Gegenstände und all das Leben, das an ihnen genagt hatte – es kam mir vor, als stünde ich in den Requisiten meiner Vergangenheit; als gehörte ich auf wundersame Weise hierher. Ein Gefühl von Zuhause. Die Maske eines indianischen Häuptlings machte mich ebenso froh wie die verbeulte Ritterrüstung in der Ecke und das vergilbte Gemälde an der Wand, das eine nackte Frau am Wasser zeigte. Was war das hier? Ein Trödelladen? Eine Ausstellung?
»Viertausendfünfhundertfünfundfünfzig«, kommentierte eine tiefe Stimme mein Interesse an einem roten Oldtimer-Modell aus Blech mit einer winzigen Kurbel an der Front – der Muskelmann.
»Wir schauen nur«, entgegnete ich und wunderte mich über den Preis. Marie zwinkerte ihm zu und kicherte beschämt.
Ich rempelte sie an. »Was soll das?«
»Ist doch süß«, verteidigte sie sich und zog eine Schnute.
Auf dem Deckel einer monströsen Holztruhe entdeckte ich einen verbeulten, grauen Karton, vollgestopft mit Bildern und Fotos. Das musste ich mir näher ansehen.
Wahllos zog ich eines der Bildchen heraus. Es war eine Postkarte. Ihre Rückseite zeigte das verwaschene Schwarzweißbild einer Berghütte mit einem breiten Rand drumherum, der einmal weiß gewesen sein musste. Auf der anderen Seite standen eine Anschrift und der Text:
Liebe Familie Sanner,
herzliche Urlaubsgrüße aus Lamastre. Es ist schön. Aber zuhause ist es schöner. Alois Brunner.
»Zeig mal her«, meinte Marie und zog mir die Karte aus den Fingern. »Was ist das denn für ein Kram?«
»Alte Ansichtskarten«, sagte ich fasziniert.
»Komm, raus hier«, drängelte Marie.
Aber ich wollte noch nicht gehen. Erst recht nicht, nachdem ich diese Kiste entdeckt hatte. Stattdessen zog ich eine Handvoll rechteckiger Papierkärtchen heraus und blätterte sie durch.
Sämtliche Fotos waren in Schwarz-Weiß. Dazwischen immer wieder Bilder in Tusche oder Öl, gedruckt auf dickes Papier. Die Ränder mancher Postkarten waren in Wellenformen gestanzt, einige auch gezackt. Alle waren beschrieben von Menschen, die einander liebten, grüßten und sich erzählten, was sie erlebt hatten.
Auf einer entdeckte ich die Fotografie eines Mannes zu Pferd in Paradeuniform mit geschwellter Brust und federgeschmücktem Pickelstahlhelm. Den linken Arm versteckte er in seiner Rocktasche. Kaiser Wilhelm II stand daruntergeschrieben. Ich war hin und weg.
Die nächste zeigte die Tuschezeichnung einer vornehm gekleideten Dame mit weitem Hut, die ihren Hund maßregelte. Darüber stand geschrieben: Frohes Neujahr.
Schätze der Vergangenheit, kam mir in den Sinn. Von da an konnte ich meine Finger nicht mehr von den Karten lassen. Ich musste durch diese Schatzkiste stöbern, egal was Marie sagte.
Eine andere Postkarte war mit der Aufnahme eines überfüllten Hafens, Segelbooten, einem Fuhrwerk, Häusern im Hintergrund und dem Spruch SALUTE GENOVA bedruckt.
Schon folgte der Protest. »Komm schon.«
»Viertausendfünfhundertfünfundfünfzig«, meinte der unheimliche Mann an der Treppe zum zweiten Mal. Er muss meine Faszination gesehen haben, dachte ich. Breitbeinig stand er da, verschränkte die Arme und wirkte wie ein unbeirrbarer Türsteher.
Ich stopfte die Karten zurück und zog eine weitere Ladung aus der Kiste.
»Ich gehe jetzt«, maulte meine Freundin, aber ich beachtete sie nicht. Ich verspürte den übermächtigen Drang, mich noch länger mit diesen Ansichtskarten beschäftigen zu müssen. Hier lag ein Geheimnis verborgen, das es zu entdecken gab. Und ich dachte mir, vielleicht war es so, dass jeder Mensch in dieser Pappkartonkiste seinen persönlichen Schatz finden könnte, wenn er nur lange genug suchte. Jedem sein eigenes Kärtchen.
Nachdem ich die alten Bilder durchgesehen hatte, wendete ich das Bündel und stöberte durch die handgeschriebenen Texte. Ich war wie berauscht. Gezackte, altdeutsche Schriftzeichen sowie schwungvolle Tuschebuchstaben gemischt mit braver Druckschrift; die eine Karte ordentlich beschrieben, die andere wirr bekritzelt, oftmals so gut wie unleserlich. Und ich dachte wehmütig: Die meisten Menschen, die diese Texte verfasst hatten, sind längst tot.
Heiner, mein lieber Mann,
wie lange ist’s jetzt her, dass wir uns in die Arme genommen haben? Ich vermisse den Frieden. Ich möchte dich bei mir haben. Wenn nur dieser zehrende Krieg endlich zu Ende wäre. In Liebe, Deine Magda
Montag.
Liebe Hermia!
Also ich freue mich sehr zu lesen, wie groß die beiden schon geworden sind. Und dass sie brav lernen ist mir eine große Freude. Ich vermisse euch. Also auf frohes Wiedersehen am Mittwoch und vergesst nicht, die Auslöse beizubringen.
Dein Walter
Kindest greets & best wishes to you and Jack from Bristol,
Ernest