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"Mein Name ist Simon. Ich lebe ewig. Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde. Ich habe außergewöhnliche Dinge gelernt, auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage: Wer bin ich? Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben. Ich bin Simon." 1891: Simons Telefon klingelt. Ein anonymer Anrufer stellt eine Forderung. Wenn Simon die wahre Geschichte der Gebrüder Renz erfahren möchte, soll er schon einmal seine Schusswaffe laden. So seltsam diese Forderung zunächst erscheint, kann Simon ihr dennoch nicht widerstehen; denn der jüngste Bruder, Richard Renz, war einst ein guter Freund von ihm. Der Anrufer erzählt die Geschichte der vier Brüder Otto, Albert, Heinrich und Richard – von einer Wette um Leben und Tod, die sie als Kinder abschlossen, über den unglaublichen Aufstieg aller vier Brüder bis hin zu einem entsetzlichen Geständnis. Als das Gespräch zu Ende ist, klopft es an Simons Tür. Ist das der Anrufer? Hat sich eine dunkle Macht vor langer Zeit seiner Seele bemächtigt? Und wie wird Simon reagieren, wenn er ihm nach dieser grausigen Beichte gegenübersteht? DIE EWIGEN: eine Serie von Geschichten vor den Kulissen der Weltgeschichte. Zu allen Zeiten finden sich Mystery, Horror und ein Hauch Liebe.
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Seitenzahl: 79
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Chriz Wagner
DIE EWIGEN
Der Bruderpakt
Folge 2
Wagner, Chriz: DIE EWIGEN. Der Bruderpakt. Folge 2, Hamburg, acabus Verlag 2017
OriginalausgabeISBN: 978-3-86282-493-9
Lektorat: Carolin Wagner und Anna Coordes, acabus VerlagCover: © Annelie Lamers, acabus VerlagCovermotiv: #126739448, a magic crystal ball on blue astrology background © starblue, fotolia.com; pixabay.com
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Der acabus Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.
© acabus Verlag, Hamburg 2017Alle Rechte vorbehalten.http://www.acabus-verlag.de
eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net
Für meine drei Mädels, Manu, Denise und Celine, weil ihr immer bei mir seid, egal wo ich bin …
Thyri und Simon sind unsterblich. Auf ihrer Reise durch die Jahrtausende verloren sie sich aus den Augen. Ihre Geschichten führen uns vorbei an mystischen Orten und magischen Begebenheiten auf der Suche nach dem Grund für ihr ewiges Leben.
Mein Name ist Simon.
Ich lebe ewig.
Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde.
Ich habe außergewöhnliche Dinge gelernt auf der Suche nach einer
Antwort auf die Frage:
Wer bin ich?
Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben.
Ich bin Simon.
Der Bruderpakt
I
Irgendwo im Deutschen Kaiserreich im Jahr 1891
„Spreche ich mit Herrn Simon Adams?“, fragte die Dame von der Telefonvermittlung.
„Ja.“
„Ich habe hier einen Anrufer für Sie.“
„Bitte stellen Sie ihn durch“, sagte ich.
„Einen Moment“, bat die freundliche Stimme. Dann klickte es ein paar Mal in der Leitung.
Zögerlich erklangen zwei Worte aus dem Hörer. Eine Männerstimme, rauchig und so leise, dass ich sie fast nicht verstand.
„Hallo Simon.“
Etwas an der Art, wie er meinen Namen herauspresste, machte mir Angst.
„Wer ist da?“, wollte ich wissen.
„Das tut nichts zur Sache“, sagte er und räusperte sich nervös.
Die Stimme war offensichtlich verstellt. Warum sollte ich nicht wissen, wer dahintersteckte? Aber dieser eigenartige Unterton war echt, das spürte ich, als hätte der Anrufer Angst, mit mir zu sprechen.
Ich hatte keine Lust, mich am Telefon an der Nase herumführen zu lassen und beschloss, den Spieß umzudrehen.
„Dann lege ich auf.“
Ich dachte, wenn ihm das Gespräch so wichtig war, würde ich jetzt einen Namen erfahren. Und wenn nicht, dann würde ich eben einfach einhängen. Mir konnte es egal sein.
„Es geht um die Gebrüder Renz“, sagte er.
Damit traf er mich völlig unerwartet und mitten ins Herz.
Mein ganzes Leben war ich auf der Suche: die Suche nach meiner Familie, nach Freunden aus vergangenen Zeiten und vor allem auf der Suche nach dem Grund für meine Unsterblichkeit. Die Suche brachte mich an Orte, wo Spuren und Hinweise auf mein Schicksal zu finden waren, in der Hoffnung, Antworten auf meine Fragen zu erhalten und der Wahrheit ein Stück näher zu kommen. Aber diesmal schien es, als kämen die Antworten zu mir.
Ich konnte nicht anders, als ihn weiterreden zu lassen.
„Was wissen Sie über sie?“
„Zuerst eine Bitte“, sagte er.
Ich hatte das Gefühl, in die Ecke gedrängt zu werden. Am liebsten hätte ich den Hörer auf die Gabel geschlagen. Raus aus der Leitung und fertig. Vielleicht war alles nur ein dummer Scherz. Doch zu dieser Zeit machte niemand Telefonstreiche. Telefongespräche waren wohlhabenden Menschen vorbehalten. Wenn ein Gespräch vermittelt wurde, dann war es wichtig.
„Was?“, fragte ich genervt.
„Simon, ich bitte dich. Hol deine Perkussionspistole aus dem Schrank und lade sie“, sagte er. „Du wirst sie heute noch brauchen.“
Jetzt bekam ich wirklich Angst. Woher wusste der Anrufer von meiner Handfeuerwaffe? Er kannte sogar den Aufbewahrungsort.
„Tu, was ich sage“, befahl er.
Wollte er mir drohen? Ich schluckte. Sah mich um. Ich sollte Forderungen stellen. Nicht er. Andererseits … Ich warf dem wuchtigen Mahagonischrank einen möglichst unauffälligen Blick zu.
„Hast du sie?“, fragte die verstellte Telefonstimme.
„Ja“, log ich und hatte das Gefühl, als hätte ich noch immer die Kontrolle über mein Handeln.
Was ich nicht wusste: Zu diesem Zeitpunkt hatte ich längst das Zepter abgegeben.
*
Eine Warnung vorweg: In dieser Erzählung gibt es keine Helden. Nur Verlierer. Es gibt Scheidewege im Leben eines Menschen, da sind sämtliche Lösungen verbraucht. Vorbei mit den guten Ratschlägen. Im Nachhinein gab mir die Geschichte einiges zum Nachdenken. Und ich habe neue Rätsel mit auf den Weg bekommen. Ja, es war ein Racheakt. Und ich beging ihn aus Hass. Aber vielleicht bin ich durch die Tat den Gründen meines Daseins wieder ein Stück näher gekommen.
Heute liegt mein Anrufer auf dem Friedhof in Uldenburg, einer winzigen Gemeinde in Preußen. Hier fing alles an und hier nahm es sein Ende. Und hin und wieder, wenn ich zufällig in der Nähe bin, besuche ich ihn und erinnere mich zurück an die grausigen Annalen der Gebrüder Renz.
II
„Was soll das alles?“, fragte ich in die Sprechmuschel hinein.
„Ich erzähle dir die ganze Geschichte. Die Wahrheit.“
„Weshalb?“
„Sei still und hör zu.“ Schon wieder ein Befehl.
Solange ich ihn am Telefonapparat hatte, musste ich nicht befürchten, dass er vor meiner Wohnungstür stand, befand ich und blickte noch einmal misstrauisch zum Schrank.
Dann sagte ich: „Also gut, sprich weiter“, erwartete mir aber nicht besonders viel davon.
Seine Schilderung begann im Jahr 1874. Er wusste das so genau, weil die Zeitungen voll waren von dem Attentat auf Bismarck. Er sagte, er selbst hätte am darauffolgenden Tag den Tagesboten in die Postkästen gesteckt. In Uldenburg, einem Ort, in dem sich sonst nie etwas tut, rissen sie ihm das mit Neuigkeiten gefüllte Blatt aus der Hand, um dem Alltagstrott etwas entgegenzusetzen.
„Es war der 14. Juli und es nieselte schon den ganzen Tag, als steckte die Ortschaft gänzlich in einer Wolke. Die Luft roch sauer und dick, wie kurz vor einem Wolkenbruch. Trotzdem liefen die vier Jungs mit den alten Stelzen ihres Vaters über den Schotterweg. Es sah ulkig aus, wie die beiden Holzlatten hinter der grünen Hecke vorbeimarschierten. Ottos dicke Finger klammerten sich oben an dem Holz fest. Dazwischen wackelte sein Kopf. Er war der Älteste und mit seinen sechzehn Jahren schon ein richtiger Mann. So wie er aussah, hätte er sich durchaus in der Schenke ein Bier genehmigen können: Arme, wie ein Holzfäller, ein Nacken wie ein Stier und einen leichten Bauch über dem Gürtel. Er trug eine Lederhose – ein Erbstück des Vaters. Oben herum war er nackt. Die anderen machten sich oft über seine Bassstimme lustig. Und über die wild wuchernde Behaarung, die seinen Körper überall bedeckte. Er sah damit zum Fürchten aus, wie ein Räuber. Trotz seines Alters und Auftretens war er noch gerne Kind. Deshalb verbrachte er so viel Zeit mit seinen Brüdern.
Albert zählte die Schritte: ‚Sechsunddreißig … siebenunddreißig … achtunddreißig.‘ Im Gras konnte man stundenlang auf den Hölzern laufen. Aber auf dem Schotter rutschten die Stelzen leicht zur Seite weg. Dann verlor man das Gleichgewicht und es ging abwärts.
Im Gegensatz zu seinem Bruder hatte Albert kurzes Haar. Er war ein Jahr jünger und hielt stets die Augen leicht zusammengekniffen, da er sonst, wie er sagte, die Dinge unscharf sah. Sie nannten ihn Spargel, weil er so dünn war. Es sah schon lustig aus, wie die dürren Beinchen aus der knielangen Hose herausstanden. Trotzdem machten sich seine Brüder nicht über ihn lustig. Denn wenn sie einen richtig guten Einfall brauchten, war er gefragt.
Otto kam ins Wanken und Albert rief: ‚He, was ist los da oben?‘
Otto wollte die Stelzen gerade halten. Seine Hände schlingerten hin und her. Und seine Wampe wabbelte.
Und Richard rief: ‚Baum fällt.‘
Richard war das Nesthäkchen. Er war ein Jahr jünger als der dritte Bruder, Heinrich, und, weil er so klein und schmächtig war, nicht zur harten Arbeit zu gebrauchen. Wenn die anderen Holz hackten, sang er der Mutter ein Lied vor oder malte ein Bild mit Tusche. Hinterher lachten sie gemeinsam über die Zeichnungen. Man konnte die ganze Bande darauf sehr gut erkennen. Sogar die Zotteln von Heinrich und die dünnen Arme von Spargel sah man genau. Und Ottos Wanst saß perfekt.
Jetzt lachte der Kleine und klatschte in die Hände. Und er rief: ‚In Deckung.‘
‚Halt die Klappe‘, maulte Otto und tat noch einen Schritt.
‚Einundvierzig‘, sagte Albert.
Noch im selben Augenblick plumpste Otto von den Stangen und landete mit dem Hintern auf dem Schotter. Es ärgerte ihn.
Aber Heinrich freute sich riesig über die Einundvierzig. ‚Packe ich locker‘, sagte er.
‚Schaffst du nie‘, sagte Richard.
‚Erinnerst du dich an den legendären Lauf drüben am See?‘, sagte Heinrich und zog siegessicher die Brauen hoch.
Heinrich war vierzehn und vom Spiel besessen. Wenn es um eine Wette ging, konnte er nicht Nein sagen. Er trug ein Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und eine Hose, die viel zu schick war für Stelzenlauf. Sein Vater hatte immer gesagt, er solle sich die Zotteln vom Kopf schneiden lassen – ungepflegte und ungleich lange Locken. Aber Heinrich hatte sich nie darum gekümmert, was sein alter Herr von sich gab. Bei dessen Beerdigung weinte er dann allerdings am meisten. So ist das in dieser Welt. Wir wissen erst dann, welche Menschen uns wirklich am Herzen liegen, wenn wir sie nicht mehr haben.“
*
Nach diesen Worten machte er eine Sprechpause. Vielleicht wischte er sich eine Träne aus den Augen? Ich konnte spüren, dass das Gesagte für ihn Gewicht hatte.
Dann erzählte er weiter:
„Otto rieb sich den Hintern und sagte: ‚Jetzt kommt er wieder mit den ollen Kamellen.‘
‚Das war eine Siebenundfünfzig‘, prahlte Heinrich. Er war wahnsinnig stolz auf diese Zahl.
‚Der Boden war trocken‘, erklärte Albert.
‚Schaffst du nie‘, sagte Otto und ermunterte damit seinen Bruder erst recht.